Wie und warum funktioniert Schock Prävention? Was hat Thilo Sarrazin damit zu tun? Und was Inflation und Ignorieren?
Thilo Sarrazin, seines Zeichens Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank und ex-Finanz-Senator von Berlin, hat wieder einmal deutliche Worte gefunden. Die verbreitet Anstoß erregen – und erinnern an den wohl bekannten Mechanismus, Aufmerksamkeit zu erzeugen, egal was es kostet – oder was die Folgen sind.
In einem Artikel in der Wochenend-Ausgabe der ‚Süddeutschen Zeitung‘ betrachtet Evelyn Roll die Frage öffentlicher Provokation. Und analysiert die zugrunde liegende Wirkweise:
„Es ist ja so: Viel wichtiger, lukrativer und karrierefördernder als Taten und Leistungen sind heute Bedeutung und Prominenz. Aufmerksamkeit ist die Währung. Und Provokation, der gezielte Tabubruch also, ist, was das Herstellen dieser Währung angeht, immer und zuverlässig erfolgreich. Die verbale Provokation, der unpassende Vergleich und die öffentliche Beleidigung sind also niemals wirklich Ausrutscher oder selbstentlarvende Versehen. Es handelt sich immer um eine so einfache wie nur gelegentlich gefährliche Medienstrategie im Durchlauferhitzer der Erregungsdemokratie. Sie stößt auf eine fein ausgesteuerte und leicht anzusteuernde Kultur von Empörung und Heuchelei, die zuverlässig anspringt. Jedes durch Sprech- und Denktabus eingeklemmte Publikum hasst und liebt deswegen den Provokateur.“
Wohl war, denke ich. Und ich fühle mich erinnert an Schock-Kampagnen, mit denen sich eine gewisse Stiftung, ein ominöser Verein gelegentlich hervortun. Bei denen mir auch oft der Eindruck kommt, es ginge hier um vieles, um Aufmerksamkeit, um Spenden, um mediale Hypes – nur nicht um die eigentliche und doch nur vordergründig plakatierte Frage, die Aids-Prävention.
Und genau darin liegt das Problem, auch in Rolls Analyse. Derartige Strategien können eben doch gefährlich sein. Sie konterkarieren bisher erfolgreiche HIV-Prävention, können erzielte Erfolge zunichte machen oder gefährden, produzieren Klärungs- und Richtigstellungs-Aufwand (bei anderen selbstverständlich, nicht beim Verursacher) – und verpuffen schon nach wenigen Tagen im Dunst des nächsten medialen Hypes. Die Arbeit ist getan, die Aufmerksamkeit erzielt, irgend etwas wird sicher hängen blieben – und die Arbeit und den Schaden haben andere.
Doch Roll weist auch Wege aus dieser medialen Aufmerksamkeits-Falle. Ein wenig mehr Bedacht in den Reaktionen, etwas weniger Aufregung und Empörung, überlegtere Kommentare, weniger Geschrei – indem wir ihnen ihre Währung, die Aufmerksamkeit entziehen, können wir ihren Schaden vielleicht begrenzen. Und ihre regelmäßige Wiederkehr vielleicht nach und nach unattraktiver, da erfolgloser machen. Die Inflation der Währung ‚Schock-Aufmerksamkeit‘. Wir können handeln – schalten wir ihn zumindest in unserem Bereich wenn schon nicht ‚aus‘, dann doch einige Stufen kälter, den ‚Durchlauferhitzer der Erregungsdemokratie‘.
Stattdessen könnten wir von der Bedeutung der Aufmerksamkeit, der Prominenz, des Image vielleicht wieder ein wenig mehr zurück kehren zur Bedeutung von Taten, von Handeln, von Ergebnissen für die Menschen (und nicht für die Initiatoren).
Schock-Kampagnen & co. – in die Mülltonne. Aber vielleicht nicht immer durch lauten Protest, sondern gelegentlich auch durch überlegte Gelassenheit, vielleicht auch geflissentliches Ignorieren?
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weitere Informationen:
Evelyn Roll: „Das musste mal gesagt werden“ (Süddeutsche Zeitung 10./11.10.2009)
(online zweiteilig unter dem Titel „Thilo Sarrazin und die Folgen„)
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Text 25.02.2016 von ondamaris auf 2mecs