„Aids-Archaik. Das Konzept des Bös-Kranken, seine Ursprünge und Folgen“ lautete der Titel eines Vortrags von Prof. Dr. Peter Strasser von der Universität Graz auf der Ethik-Konferenz – ein Vortrag, der sich trotz des etwas sperrigen Titels als interessanter Denkanstoß erweisen sollte.
Strasser konzedierte eingangs eine „rechtlich abgekühlte, einigermaßen etablierte Liberalität“, die auch durch ein Unter-Spielen der Tatsache gekennzeichnet sei, dass HIV vor allem durch Analverkehr übertragen werde. Er ging dabei besonders auf das Konzept des Homosexuellen als Bös-Kranken ein, sowie den Gedanken von HIV als Ausdruck gerade jener Natur, die den ‚homo homosexualis‘ erzeuge.
Strasser betonte, gerade die Rede von Toleranz führe nicht automatisch zum ‚als natürlich akzeptieren‘. Tief im Unterbewußtsein gebe es weiterhin das Bild des Bös-Kranken.
In diesem Kontext kritisierte er deutlich, was er als ‚homosexuelle Folklore‘ bezeichnete. In keiner US-Soap dürfe inzwischen ein Schwuler oder ein liebenswürdiger Transvestit fehlen, weite Kreise der Gesellschaft schmückten sich mit Elementen schwuler Kulturen, übernähmen von Homosexuellen etablierte Moden, kopierten Lifestyles, selbst sexuelle Lebensstile.
Dies führe dazu, dass auch das Aids-Bild in den Medien derzeit weitgehend über Lifestyle, Glamour und Celebrities vermittelt werde – bis hin zu Glamour-Veranstaltungen wie dem ‚Life Ball‘ in Wien. Hier machten Privilegierte sich symbolisch gleich mit den Diskriminierten, zu Brüdern und Schwestern – eine weitere ‚homosexuelle Folklore‚ unter dem Motto „sind wir nicht alle ein bisschen schwul“.
Hier handele es sich jedoch nur um vordergründige Sympathien. Strasser warnte, dies könne schnell umschlagen. Er warnte vor schönfärberischen Kampagnen mit Werbe-Etiketten (‚Gegen-Etikettierung‘), denn diese zeichne nicht nur ein falsches Bild von der Lebenssituation der Homosexuellen (besonders der ökonomisch, gesellschaftlich nicht so gut gestellten) mit Verdrängung der objektiven Lebenssituation schwuler Männer. Zudem verfehlten beschönigende Gegen-Etikettierungen zur (vermeintlichen) Abwehr von Diskriminierung oftmals ihr Ziel einer Aufklärung. Stattdessen folge eine zunächst sympathieträchige ‚Aufrüstung‘, die aggressive Einstellungen in positive ummünze – aber nur zeitweilig, bevor diese dann in ihr Gegenteil, eine offene aggressive Haltung und Diskriminierung zurückzuschlagen drohten. Besser, so Strasser, sei es, negative Bilder durch veränderte Haltungen, Geschlechterbilder, Rollenverständnisse zu ersetzen – sonst bleibe immer die Gefahr eines Rückfalls in reaktionäre Haltungen immanent.
Es gelte, eine in Wahrheit eskapistische Haltung nicht mit einer liberalen Haltung zu verwechseln. Das was sich heute noch als liberal feiern lasse, könnte schon morgen auf einer neuen Welle der Diskriminierung reiten – das sei nur eine Frage der Mode. Auch in Zukunft könne es zu einer Renaissance des Bös-Kranken kommen. Auf den ersten Blick sympathisch erscheinende Tendenzen könnten sich nur zu leicht als das Gegenteil erweisen; wen man heute als toll empfinde, der könne sich schnell als der Paria von morgen erweisen.
Die ‚homosexuelle Folklore‘ erweise sich so mehr als Produkt einer Verdrängungsleistung – Menschen, die eigentlich Ressentiments gegen Schwule hätten, könnten sich (weil so die Mode ist) als liberal darstellen, diese Folklore als Dekoration ihrer eigentlichen Haltung benutzen.
Prof. Dr. Peter Strasser ist Professor am Institut für Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie und Rechtsinformatik der Karl-Franzens-Universität in Graz
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Text 15. März 2017 von ondamaris auf 2mecs