Virus-Mythen 1: verantwortungslose Positive

Bei Diskussionen über das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, bei Reaktionen, bei Gesprächen über die Frage welche Bedeutung dieses für das Sex-, Liebes- und Beziehungsleben von Menschen mit HIV und Aids haben kann, und ob man ihnen diese frohe Botschaft überhaupt sagen dürfe, ist von Politikern, Bürokraten aber auch einigen Präventionisten oft (selten im Klartext, gern zwischen den Zeilen oder höflich verbrämt) der Gedanke zu hören, „die Positiven“ seien doch „viel zu verantwortungslos“ um mit dieser neuen Freiheit adäquat umgehen zu können.

Dieses Gerede von „diesen verantwortungslosen Positiven“, denen man „sowas ja nun nicht auch noch sagen“ dürfe – es macht mich zunehmend wütend, zornig.

Woher meinen Menschen, die solche Aussagen in die Welt setzen zu wissen, wie sich „die Positiven“ verhalten?
Wie bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen gilt, es gibt nicht dieses absolute „die“. Vermutlich wird es auch in der großen Gruppe mit HIV infizierter Menschen einige geben, die sich gelegentlich so verhalten, wie es manche mit dem Begriff „verantwortungslos“ umschreiben. Aber – dies dürfte wohl für die Mehrzahl der HIV-Positiven so nicht gelten.

Ich bin im Verlauf der letzten Jahre vielen Positiven begegnet, auf Bundespositiven-Versammlungen, Positiventreffen, bei lokalen Veranstaltungen. Oftmals ist bei diesen Treffen -wie auch jüngst vor einigen Tagen- eines der Themen, wie lebe ich mein sexuelles Leben, wie gehe ich mit Fragen des safer sex, mit Verantwortung und ‚Fallenlassen‘ um. Und in den meisten Fällen bewundere ich, wie intensiv sich HIV-positive Männer und Frauen mit ihrem HIV, ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, welch ausgefeilte Strategien eines individuellen Risiko-Managements sie sich für die verschiedensten Situationen erarbeitet haben. Dabei ist immer wieder auch zu merken: mehr als alles andere haben HIV-positive Menschen vor einem Angst: dass andere sich bei ihnen mit HIV anstecken.

Sicher mag es auch bei diesen Strategien in Einzelfällen zu ‚Ausrutschern‘ oder ‚Versagen‘ kommen. Aber in der Mehrzahl gehen Menschen mit HIV nach (nicht nur) meinem Erleben mit ihrer Infektion und insbesondere möglichen Übertragungs-Risiken sehr informiert und überlegt um.

Verantwortungslos ist die Mehrzahl der Positiven nicht – verantwortungslos scheint mir dagegen sehr wohl dieses populistische Gerede, das fadenscheinigen Zwecken dient.

HIV-Positive pauschal als „verantwortungslos“ zu titulieren ist eine Beleidigung für all die Menschen, die sich bemühen, verantwortungsbewusste Wege zu finden, mit sich, ihrem HIV, ihrem Sexleben, ihren PartnerInnen umzugehen.

Mir scheint, manche schaffen es auch, Ihre Vorurteile hinter verbrämten Formulierungen zu verbergen. Ein Beispiel meinte ich jüngst zu erleben.

Frau Professor Dr. Elisabeth Pott befasste sich in ihrer Rede zur Eröffnung der Frankfurter ‚Ethik-Konferenz‘  am 19. Juni 2008 auch mit dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission und den Folgen für die Prävention. Mit den Risiken, weniger den Chancen. Welche Gefahren bewegen Frau Professor Pott? Nun, das sagte sie recht deutlich. Gefährlich seien am Statement der EKAF die -so wörtlich- „Entwarnungs-Effekte“.

„Entwarnungs-Effekte“ – man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wonach schmeckt es?
Vor wem oder was wird denn da gewarnt? Und, wer warnt baut Droh-Kulissen auf. Prävention mit Angst? Angst vor Menschen?
Oder, andere Frage, was ist so schlimm daran, wenn Menschen mit HIV  endlich ein wenig weniger Angst haben dürfen, sie könnten ihre Partnerin, ihren Partner womöglich riskieren? Was empfindet, wer so etwas sagt, als so gefährlich? Die Freiheit, die sich hier eröffnet? Die Hoffnung, dass auch Menschen mit HIV unter bestimmten Umständen wieder ein unbefangeneres, weniger konfliktbeladenes Sex-Leben haben können?
Und – wer sagt so etwas? Nun, Frau Professor Pott ist nicht irgendwer. Sondern die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), somit oberste ‚Aids-Präventionistin‘ des Landes …

Wer angesichts der neuen Beurteilung der Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ spricht, hat sicher nicht die Verbesserung der Situation von Menschen mit HIV und Aids im Sinn, freut sich nicht über Ent-Stigmatisierung und Abbau von Angst. So wird an neuen Drohkulissen gearbeitet – und zu denen braucht es eins, das Märchen vom „verantwortungslosen Positiven“.

Für viele Menschen mit HIV hingegen gilt längst „Ich weiss was ich tu!

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Text 6. März 2017 von ondamaris auf 2mecs

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