Am 1. Dezember ist wie jedes Jahr wieder ‚Welt-Aids-Tag‘. Viele Menschen mit Roten Schleifen stehen auf den Straßen, viele nehmen an Lichtermeer und Trauerzug teil, Freiwillige sammeln Geld für den Kampf gegen Aids, Benefizze füllen die Säle und die Fernsehsender senden Filme über HIV und Aids, die viele von uns schon oft gesehen haben. ‚Same Procedure as every year‘, mag man/frau fast denken.
‚Lichtermeer‘ und ‚Trauerzug‘ sind eine bewegende Veranstaltung. Hunderte, Tausende von Menschen mit Kerze in der Hand, überwiegend besinnlich-ruhige Stimmung, viele offensichtlich bewegt. Die Dimension von Aids, die sich in der Kategorie ‚Menge‘ ausdrückt, die ein Stück weit veranschaulicht, wie viele Freunde, Lover, Partner, Mitstreiter wir an den Folgen von Aids bereits verloren haben, wird hier eindrucksvoll deutlich, beinahe nachempfindbar.
Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Warum nur an einem Tag im Jahr, warum diese Stille ansonsten?
Ist es nicht eigentlich, frage ich mich manchmal, nur noch ein jährlich wiederkehrendes Ritual, das zelebriert wird, aber dabei ist seinen Inhalt zu verlieren? Das dazu dient, das eigene (persönliche und kollektive) Gewissen zu beruhigen, eine Beruhigungspille, die aber kaum mehr einem Bedürfnis zu entspringen scheint, sich z.B. bewusst zu machen, wie groß die Verluste (auch wieder: individuell und kollektiv) waren und sind?
Die Aids-Mahnmale, sind sie nicht, eh schon selten genug vorhanden, kaum noch mehr als – zudem dann oft schwul dominierte – Kranz-Ablegestellen? Die Gedenk-Formen längst fade ’same procedures‘ geworden?
Wie wird denn ansonsten -wenn nicht gerade Welt-Aids-Tag ist- in dieser Stadt, in diesen Szenen an die infolge von Aids Verstorbenen gedacht?
Einzig eine rote Schleife aus Stahl, mitten auf einer der belebtesten Kreuzungen Berlins, trostlos platziert auf einem Flecken, für den der Name ‚Platz‘ sicher ein Euphemismus wäre – ist das eine adäquate Form des Gedenkens? Wollen wir so erinnern, gedenken?
Sind all die verstorbenen Partner, Lover, Liebhaber, Freunde, all die nicht mehr lebenden Weggefährten, Mit-Aktivisten, sind all sie uns nicht mehr wert als einmal im Jahr ein Trauerzug und ansonsten ein tristes Stück Stahl auf einer noch tristeren Kreuzung?
„Du weißt doch,“ bemerkte jüngst ein Freund lakonisch mir gegenüber, „diese Stadt ist ‚arm aber sexy‘. Vielleicht drückt sie ihre Armut in diesen tristen Denkmälern aus‘.“
Bemühungen, eigene passende Formen von Trauer und Gedenken zu finden, zu experimentieren, auch öffentlich, waren früher gängig und sind heute (wieder) eine Rarität geworden. Geht damit nicht auch eine (Re-)Privatisierung der Trauer, des Sterbens einher? An Aids wird nicht mehr öffentlich gestorben, sondern still und leise, und weitgehend unbemerkt im Privaten.
Versuchen wir nicht eigentlich längst, in unserem Alltag diese Zeiten des Horrors, überhaupt das ganze Thema Aids möglichst weit hinter uns zu lassen, zu vergessen, verdrängen – und zu neuem (altem) Spaß zurückzukehren?
Und hat uns dabei nicht längst ein (zumindest partieller) Gedächtnisschwund befallen? Um einer neuen Amüsiersucht Platz zu schaffen?
Wer will sich wirklich noch (mehr als einmal im Jahr zum Welt-Aids-Tag vielleicht) all der bekannten und unbekannten Menschen erinnern, die an den Folgen von Aids gestorben sind? Gedenken an die vielen Träume die ungeträumt, Utopien die ungedacht, Projekte die unrealisiert blieben und bleiben werden?
Machen wir uns die Löcher, die gerissen wurden, überhaupt noch bewusst?
Merken wir noch, wie viel uns genommen wurde? Was alles nicht stattfindet, weil diese Menschen viel zu früh gegangen sind?
Manchmal frage ich mich, ob dieses Vergessenwollen nicht beinahe wie ein zweiter Tod ist …
Die Aids-Stele in Köln – auch noch nicht die schönste aller denkbaren Lösungen, aber allemal anmutender als eine Blech-Schliefe auf einer tristen Kreuzung …