Spermawäsche erhöht die Sicherheit bei Kinderwunsch nicht mehr als erfolgreiche antiretrovirale Therapie – britischer Richtlinien-Entwurf

Der Entwurf zur britischen Richtlinie zur Behandlung der Unfruchtbarkeit führt aus, dass eine Sperma-Wäsche nicht mehr unbedingt erforderlich sein muss bei serodifferenten Paaren mit Kinderwunsch, bei denen der Mann HIV-positiv ist und die Frau nicht. Sofern der Mann eine erfolgreiche antiretrovirale Behandlung durchführe und Sex ohne Verwendung von Kondomen sich auf die Ovulations-Periode beschränke, werde durch eine Sperma-Wäsche das Risiko einer Infektion nicht weiter reduziert:

„sperm washing may not further reduce the risk of infection“

Der Richtlinien-Entwurf aktualisiert die bisherige Richtlinie aus dem Jahr 2004 und wurde herausgegeben vom National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE). Seine Aufgabe ist es u.a., dem britischen National Health Service besonders effektive und Kosten-effiziente Behandlungsverfahren zu empfehlen.

Die Autoren des Entwurfs weisen darauf hin, dass ihre Empfehlung nicht außerhalb ihres Kontextes auf andere Sachverhalte übertragen werden sollte.

Der Entwurf ist bis 3. Juli 2012 für Diskussion und öffentliche Beratung offen.

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zur Situation in Deutschland siehe auch
ondamaris 28.06.2011: ‘Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch’ – Aktualisierung verzögert sich (dort auch Link auf die am 09. September 2011 verabschiedeten Leitlinien).

weitere Informationen:
aidsmap 22.05.2012: NICE says sperm washing is no safer than effective treatment and timed intercourse
Entwurf der Richtlinie (pdf), zu Sperma-Wäsche siehe S. 105 – 122
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HIV am Aussterben ?

„In 50 Jahren wird es HIV bei uns wohl nur noch selten geben“, sagt Prof.Dr. Pietro Vernazza im Interview mit „20 Minuten online“, und betont „Wir sind nur durch grosse Anstrengungen in Prävention und Behandlung an den Punkt gekommen, an dem wir heute sind.“

Prof. Vernazza ist einer der Autoren des so genannten EKAF-Statements (Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“).

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20 Minuten online 16.05.2012: „HIV wird es in 50 Jahren nur selten geben“

Lasst uns aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen! Freut euch!

MichèleZwei drei Gedankesprünge und Freudehüpfer, mehr nicht. Exakt 4 Jahre nach der Veröffentlichung des „swiss statement“ der eidgenössischen Komission für AIDS-Fragen EKAF titeln und reden wir immer noch von „Erleichterung“ mit Fragezeichen. Ich sage immer noch: FREUDE!

Muss ich euch wirklich lauthals ein Plädoyer für den Austausch von Körperflüssigkeiten, Gerüchen, dem Erleben von Haut und Haar halten? Ich mach das. Sofort!
Und darum FREUE ich mich über kondomloses Miteinander.

Was denkt ihr denn? Dass es mensch nur zusteht verhalten erleichtert zu sein und sich präventiv zu ducken vor der breit-um-sich-schlagenden Moralinkeule? Warum denn? Weil es einige gibt, die mit der Moralinkeule versuchen das Leben totzuschlagen, indem sie schnell sind beim Verallgemeinern, Verurteilen und Beschuldigen?
Nein danke.

Ich will über meine Freude nicht leugnen wieviel noch zu tun ist, weil Gerechtigkeit und FREUDE Zugang zu Information, harm reduction und Behandlung bedingt. Für alle! Wenn es um die Therapie-und Test-Freiheit aller geht. Da frage ich: Erleichterung? Ja. Mich dünkt sie haben längst einen Deal beschlossen, denn Volksgesundheit ist hoch im Kurs! Schon damals, 2008, nach unendlicher Vorlaufzeit.

Ich sage trotzdem, immer noch und immer wieder:FREUDE!
Ja ich freue mich. Ich bin so frei.

Nicht Erleichterung mit Fragezeichen. Wer mich dafür der versuchten schweren Körperveletzung oder versuchten Verbreitung einer schweren menschlichen Krankheit beschuldigen möchte, sei ebenso frei. Ich halte dem nebst meiner Verantwortung, auch meine Nicht-Infektiosität entgegen.

Trotzallem. Die Angst vor der Entängstigung treibt seltsame Blüten und so fehlen uns verbindliche übergeordnete gerichtliche Urteile, um uns auch darüber zu freuen? (aber wenn wir brav die Pillen schlucken und engmaschig zur Kontrolle antraben, dann bekommen wir bestimmt das Zückerchen Straffreiheit unter erfolgreicher Therapie)

Ich denke, es erleichtert den Druck auf „uns.“

Uns könnte die FREUDE! aber auch noch mehr zu Gerechtigkeit und Freiheit verführen. Das wünsch ich mir! Die Frechheit selbstbestimmt und vollwertig Verantwortung zu leben!

Lasst uns mal aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen!
Freut EUCH!

Ja! mich freut es doch auch, dass nach so langer Vorlaufzeit die Komission sich auf den Ast herausliess und die „ganze“ Welt schockte!
War höchste Zeit, „damals“, nicht? !

Der medizinische Fortschritt ist riesig, die Freude darf sein.

Beim grossen Rest bleibt die Erleichterung mit Fragezeichen – noch!

30. Januar 2012: vier Jahre EKAF-Statement

Am 30. Januar 2008 veröffentlichen Schweizer Forscher das EKAF-Statement – HIV-Positive seien unter erfolgreicher Therapie unter bestimmten Bedingungen sexuell nicht infektiös. Erregte Debatten folgten, heftiger Widerspruch und mühsame Kleinarbeit. Inzwischen hat sich die Aufregung gelegt – vieles ist längst Alltag geworden rund um’s EKAF-Statement. Oder?

30. Januar 2008: die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen (EKAF) veröffentlicht ihr Statement „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ (EKAF-Statement; siehe auch „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„).

Darin stellt die EKAF fest

„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: «wirksame ART») ist sexuell nicht infektiös, d. h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d. h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

HIV-Positive können, sofern diese Bedingungen erfüllt sind, ungeschützten (kondomfreien) Geschlechtsverkehr machen? Kann denn das wahr sein? Darf man das sagen? Vertragen die Menschen das denn, wenn man ihnen dies sagt? Verhalten sie sich nicht nur noch verantwortungsloser? Werden die bisherigen Präventions-Botschaften (Kondome schützen“) nicht nur unnötig verwässert?

Aufgeregte Debatten folgten, viele Diskussionen, sachgerechte wie auch polemische Beiträge, ungläubiges Staunen wie auch Aufatmen der Erleichterung.

Und inzwischen?

Die aufgeregten Debatten haben sich längst gelegt. Vieles rund um das EKAF-Statement ist längst anerkannt. Und in die Realität von Leben mit HIV wie auch Aids-Prävention eingeflossen. Und wurde weiter gedacht, entwickelt zu Konzepten wie der Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) oder dem Konzept „treatment als prevention“ (tasp), das ‚Time‘ erst jüngst zum dritt-bedeutendsten medizinsichen Durchbruch 2011 erklärte..

Die damaligen Reaktionen und Debatten hat ondamaris auf einer extra Seite gesammelt: „EKAF-Statement, Reaktionen und Folgen“ – viele ist noch heute lesenswert …

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Auch 2015 kann ‚Safer Sex ohne Kondom‚ noch Aufregungen verursachen …

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Wie war das 2008 und den den folgenden Monaten? Wie waren die ersten Reaktionen auf das EKAF-Statement?
Und – hat sich heute wirklich etwas verändert? Zum besseren – oder auch auf fragliche Weise? Was denkst du?

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siehe auch:
SF 10vor10 30. Januar 2008: Ungeschützter Sex trotz HIV (Video)

Viruslast-Methode im realen Leben angekommen

Gleich drei jüngst vorgestellte Studien zeigen, dass das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode in mehrfacher Weise im realen Leben angekommen sind.

“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dies ist die Kern-Botschaft eines Statements, das die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF im Januar 2008 veröffentlichte. Lange löste das Statement heftigste Diskussionen aus, unter HIV-Positiven, Aidshilfen wie auch in der Ärzteschaft. Als ‚Viruslast-Methode‘ übersetzte die Deutsche Aids-Hilfe das EKAF-Statement in ihrem Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe“ für die Prävention. Inzwischen sind EKAF-Statement und Viruslast-Methode in der Realität HIV-Positiver angekommen, wie Studien erneut zeigen.

Eine Studie aus den Niederlanden (Van den Boom, Amsterdam Public Health Service) an 212 Schwulen (aus einem Online-Forum rekrutiert) zeigt, dass HIV-positive Schwule ihre Viruslast zunehmend mit in Betracht ziehen bei der Entscheidung, ob sie ein Kondom benutzen. Unter den Teilnehmern, die Analverkehr ohne Kondom mit einem HIV-positiven Sexpartner hatten, bezogen bei der Entscheidung, das Kondom wegzulassen, 20% derer mit Gelegenheits-Sexpartnern, 58% derer mit Sex-Buddies sowie 45% derer mit einem festen Partner ihre Viruslast in die Entscheidung mit ein. Van den Boom kommentierte, die Ergebnisse zeigten dass ‚viral sorting‘ eine inzwischen recht verbreitete Strategie der Risiko-Reduzierung sei.

Eine US-Studie (Horvath) an 326 schwulen US-Amerikanern kam zu dem Ergebnis, dass HIV-negative Männer bei Sex mit Männern, von deren Status HIV-positiv sie wissen, zunehmend auch über die Viruslast sprechen. Allerdings kam diese Studie auch zu dem Ergebnis, dass ein offener Umgang mit dem positiven HIV-Status immer noch selten ist (7%). Das größte Hindernis beim Einbeziehen der Viruslast in die Entscheidung über die Art des Risikomanagements beim Sex liege immer noch in der geringen Bereitschaft, seinen HIV-positiven Status offen zu legen.

Eine französische Studie (Rojas Castro / durchgeführt von der französischen Aidshilfe-Organisation Aides) an 2.356 Teilnehmern, davon 977 (42%) HIV-positiv, kam zu dem Schluss,  dass die Mehrzahl der HIV-positiven Teilnehmer vom EKAF-Statement weiß. Das Wissen um das EKAF-Statement war assoziiert mit besserer Gesundheit, geringeren Problemen im offenen Umgang mit der eigenen HIV-Infektion (55%) und einem besseren Sexleben (14%). 13% berichteten, seitdem sie vom EKAF-Statement wissen habe sich ihr Kondomgebrauch vermindert, 11% hingehen berichteten von erhöhter Kondom-Verwendung.

Eine Studie in der Schweiz (Barbara Hasse / Universitätsspital Zürich) hatte schon zuvor gezeigt, dass dort der Kondom-Gebrauch bei HIV-Positiven sinkt – jedoch keine Zunahme der HIV-Fälle in der Schweiz zu beobachten sei.

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weitere Informationen:
Van den Boom W et al. Frequent use of viral sorting by HIV-positive MSM: the consideration of viral load when deciding to engage in unprotected anal intercourse with HIV-positive, HIV-negative and status unknown partners. Tenth AIDS Impact conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 172. 2011.
Horvath K et al. Discussions of viral load in negotiating sexual episodes with primary and casual partners among men who have sex with men. Tenth AIDS Impact Conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 111. 2011.
Rojas Castro D et al. The Swiss Statement, who knows about it and what are its effects on PLWHIV? Results from the “VIH, Hépatites et vous” Survey.Tenth AIDS Impact Conference, Santa Fe, New Mexico. Abstract 359. 2011.
Vernazza P et al. Les personnes séropositives ne souffrant d’aucune autre MST et suivant un traitment antirétroviral efficace ne transmettent pas le VIH par voie sexuelle (‚The Swiss Statement‘). Bulletin des Médecins Suisses 89 (5), 2008.
aidsmap 15.09.2011: Viral load increasingly features in safer-sex discussion and decisions by HIV-positive gay men and their partners
Tagesanzeiger 23.08.2011: HIV-Positive verzichten häufiger aufs Kondom
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niedrige Viruslast im Blut senkt auch Infektionsrisiko bei Analverkehr

Die Viruslast im Blut und rektal stehen in enger Korrelation zu einander – HIV-Positive mit einer  Viruslast unter 1.000 Kopien /ml im Blut haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kein nachweisbares HIV in rektalen Sekreten. Rektale sexuell übertragbare Infektionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit nicht, in rektalen Sekreten HIV festzustellen. Zu diesen wichtigen Ergebnissen kommt eine US-Studie.

Wenn ich im Blut eine nicht nachweisbare Viruslast habe (Viruslast unter der Nacheisgrenze), bedeutet das, dass dies auch im Rektum (Mastdarm, Teil des Enddarms) so ist? Oder ist die Viruslast in Darmflüssigkeiten eventuell unabhängig von der im Blut? Diese Frage – hinter der auch die Frage nach der Infektiosität bei Analverkehr steht, einer möglichen Übertragung von HIV – ist für viele (insbesondere, aber nicht nur schwule) HIV-Positive von grosser praktischer Bedeutung. In einer US-Studie wurde sie nun untersucht – mit eindeutigem Ergebnis.

Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)
Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)

Die Forscher um Kelley kommen in ihrer jüngst im ‚Journal of Infectious Diseases‘ veröffentlichten Studie zu einem eindeutigen Ergebnis: Plasma-Viruslast und Viruslast in rektalen Flüssigkeiten stehen in einem linearen Zusammenhang. Rektale STIs (sexuell übertragbare Infektionen) führen bei Schwulen nicht zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, HIV in rektalen Sekreten festzustellen.
Wichtige Konsequenz der Forscher: eine Unterdrückung der Viruslast im Blut führt wahrscheinlich auch zu einer Reduzierung des Risikos des insertiven (‚aktiven‘) Partners, sich mit HIV zu infizieren.

„Plasma and rectal viral load were correlated, and rectal STIs did not increase the likelihood of detecting HIV in the rectal secretions in MSM, including those with low or undetectable plasma viral load. Suppressing plasma viral load is likely to reduce risk of HIV transmission to insertive partners.“

Die Forscher kommen auch zu dem Schluss, dass eine wirksame antiretrovirale Therapie bei schwulen Männern einen vergleichbaren Effekt wie bei heterosexuellen serodifferenten Paaren auf die Übertragbarkeit von HIV habe:

„Combination antiretroviral therapy will have a similar effect on reducing HIV transmission in MSM, as seen in studies of heterosexual discordant couples.“

Die Forscher untersuchten 80 schwule Männer. 59 von ihnen erhielten antiretrovirale Therapie, 63% von diesen hatten eine Viruslast unterhalb von 1.000 Kopien /ml Blut. Fast alle hatten rektale HPV-Infektionen (humanes Papilloma-Virus, Auslöser u.a. von Feigwarzen / Kondylomen), 36% auch Herpres simplex. Bei 38% der Männer konnte rektal HIV nachgewiesen werden. Die Viruslast in rektalen Proben stand dabei in eindeutigem Zusammenhang mit der Viruslast im Blut. Dies galt auch für Männer mit rektalen sexuell übertragbaren Infektionen.
Der einzige Faktor, der nach Ergebnissen der Forscher in eindeutigem Zusammenhang mit nachweisbarer HIV-Viruslast in rektalen Proben stand, war eine Plasma-Viruslast über 1.000 Kopien.

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Die Studienergebnisse sind für schwule Männern von grosser Bedeutung: Analverkehr ohne Benutzung von Kondomen zählt zu den Haupt-Übertragungswegen von HIV. Rektale Sekrete stellen somit einen bedeutende potentielle Infektionsweg dar. Zudem haben viele schwule Männer im Analbereich sexuell übertragbare Infektionen (die zudem oft nicht festgestellt werden, siehe „anale Untersuchungen häufig Mangelware„). Dass wirksame antitretrovirale Therapie zu einer deutlichen Reduzierung des Infektionsrisikos beim Analverkehr beiträgt, ist für viele schwule Männer eine gute und lebensnahe Nachricht.

Auch in Deutschland stand eine Untersuchung dieser Frage zur Diskussion, im Rahmen der viel diskutierten ‚Rektalstudie‘ (auch: ‚Dildostudie‘).

 

Die Frage, ob die Viruslast-Absenkung im Blut mit einer annähernd ähnlichen Absenkung im Rektum einhergeht, war eine der Fragen, die von Kritikern des ‚EKAF-Statements‘ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) immer wieder ins Feld geführt wurde. Sie galt lange als vermeintliches Argument dafür, dass das EKAF-Statement nicht auf Homosexuelle (korrekter: auf Analverkehr) anzuwenden sei. Dieser Kritik dürfte nun wesentlich der Boden entzogen sein.

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weitere Informationen:
Colleen F. Kelley et al.: HIV-1 RNA Rectal Shedding Is Reduced in Men With Low Plasma HIV-1 RNA Viral Loads and Is Not Enhanced by Sexually Transmitted Bacterial Infections of the Rectum (abstract)
aidsmap 06.09.2011: Plasma and rectal viral load correlated in HIV-positive gay men: supports use of treatment as prevention
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Egoismus als Mittel der HIV-Prävention ?

Die ‚egoistische‘ Haltung „ich will nicht HIV-positiv werden“ – kann sie Mittel der Prävention sein? Martin Dannecker schlägt genau dies vor, und begründet.

Unter dem Titel ‚Lustprinzipien‘ behandelt die aktuelle Ausgabe des Berliner Homo-Magazins ‚Siegessäule‘ verschiedene Aspekte des Lebens mit HIV heute. Highlight des HIV-Schwerpunkts: das Interview mit dem Sexualwissenschaftler Martin Dannecker.

Der seit einigen Jahren in Berlin lebende Sexualwissenschaftler Martin Dannecker schlägt in diesem Interview vor

„Es gibt eine radikale Position, die man im Zusammenhang mit Prävention vertreten kann: die egoistische Position. Unter Schwulen ist es doch klar: Jeder, der eine HIV-Infektion nicht wenigstens stillschweigend in Kauf nimmt, kann nachhaltig darauf bestehen, dass entweder ein Kondom eingesetzt wird oder bestimmte Sachen nicht gemacht werden.“

und begründet dies

„ich glaube, es ist das Fruchtbarere, die erfolgreichere Position, wenn ich sage, ich will unter keinen Umständen positiv werden und setze daher meinen Egoismus durch. Von Egoismus zu sprechen hat etwas Erleichternderes, weil es die geläufige Positionierung von verantwortlich und nicht verantwortlich umgeht.“

Martin Dannecker
Martin Dannecker

Foto: Martin Dannecker im Juli 2008 bei einer Talk-Runde zum Thema ’25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe‘ auf dem 126. Bundes­weiten Positiventreffen im Waldschlößchen

Dannecker äußert sich auch zur Frage von Schuld-Zuschreibungen (Negative / Ungetestete erwarten von HIV-Positiven, ihre Infektion vorher mitzuteilen, machen Positive (allein) verantwortlich für Schutz):

„Dass viele real oder vermeintlich Negative die Positiven für ihre eigene sexuelle Sicherheit verantwortlich machen, ist eine reine Delegation. Und wie löst man das als Positiver auf? Indem man sich bewusst macht, dass man diese zugeschriebene Schuld nicht anzunehmen braucht.“

Zur Frage, welche Bedeutung das EKAF-Statement (siehe „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) heute für sexuelle Begegnungen und strafrechtliche Relevanz hat, äußert Dannecker

„Wenn man unter der Nachweisgrenze ist, wird das in Zukunft auch strafrechtsrelevant werden. Zum Teil ist es schon so, wie ich von Ärzten gehört habe, die Gutachten erstellt haben. Kommt man dadurch aus dem Geständniszwang raus? Wenn ich mit guten Gründen annehmen kann, dass ich nicht mehr infektiös bin, muss ich es dann in bestimmten Kontexten bei kurz- oder längerfristigen Begegnungen überhaupt noch sagen? Die Antwort lautet, bei allen Restrisiken, eher nicht.“

In der aktuellen Ausgabe der Siegessäule schildern zudem fünf junge Positive „ihre ganz persönliche Sicht auf das Leben mit HIV“ (unter ihnen auch ondamaris-Autor ‚Knut‘ („sei wütend!„)), wird Nikolaj Tange Lange („The Bareback Issue“) interviewt, und Carsten Schatz, erster offen HIV-positiver Landtags-Kandidat, lädt Menschen mit HIV ein „Zeigt euch!“.

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Ein unbedingter Lese-Tipp!

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„Egoismus zum Selbstschutz“
Martin Dannecker interviewt von Peter Rehberg und Sirko Salka
Siegessäule, Ausgabe August 2011
Seiten 16 bis 18
online als pdf hier

Studie bestätigt: wirksame Therapie senkt HIV-Übertragungs-Risiko um 96% – Pillen zur Prävention? (akt.3)

Das Risiko, HIV auf eine bisher nicht mit HIV infizierte Person beim Sex zu übertragen wird durch effektive antiretrovirale Therapie um 96% reduziert. Dieses Ergebnis einer US-Studie wird von UNAIDS als ‚Durchbruch für eine neue Prävention‘ gesehen.

Die Studie zielte darauf ab herauszufinden, ob ein sofortiger Therapiebeginn im Vergleich zu einem späteren Therapiebeginn geeignet ist, das Risiko einer HIV-Übertragung auf den HIV-negativen Partner zu senken. Zudem sollte der etwaige Nutzen für die HIV-infizierte Person selbst bestimmt werden.

Die Studie HPTN 052 untersuchte 1.763 sero-differente Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-positiv). Die weit überwiegende Mehrzahl der untersuchten Paare war heterosexuell (97%). Die Positiven (mit CD4-Werten zwischen 350 und 500 zu Studienbeginn) wurden in zwei Gruppen eingeteilt, eine Gruppe mit sofortigem Beginn einer antiretroviralen Therapie, die andere Gruppe mit Therapiebeginn ab einer CD4-Zellzahl von 250 oder Aids-definierenden Erkrankungen. Die Studie fand an 13 Zentren in Afrika, Asien und Amerika statt.

In der zweiten Gruppe (Therapiebeginn später) traten unter 877 Paaren 27 HIV-Übertragungen auf (Übertragung innerhalb des jeweiligen Paares durch genetische Untersuchungen bestätigt). In der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn kam es zu einer (1) HIV-Übertragung.

Die Forscher folgerten, eine sofortige antitretrovirale Behandlung hochgradig den nicht infizierten Partner vor einer HIV-Übertragung schütze:

„The DSMB [Data and Safety Monitoring Board; d.Verf.] concluded that initiation of ART by HIV-infected individuals substantially protected their HIV-uninfected sexual partners from acquiring HIV infection, with a 96 percent reduction in risk of HIV transmission.“

Sie werteten dies als eindeutigen Hinweis, dass ein früherer Therapiebeginn das Übertragungs-Risiko senke:

„This is the first randomized clinical trial to definitively indicate that an HIV-infected individual can reduce sexual transmission of HIV to an uninfected partner by beginning antiretroviral therapy sooner.“

Die Forscher unterbrachen die ursprünglich bis 2015 geplante Studie. Beteiligte Ärzte und Patienten werden über die Ergebnisse informiert, auch allen HIV-Positiven in der Gruppe mit späterem Therapiebeginn werden antiretrovirale Medikamente angeboten.

Dr. Anthony Fauci, Direktor des NIAID National Institute of Allergy and Infectious Diseases (das die Studie finanzierte), betonte die Studie zeige, dass ein früherer Therapiebeginn einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung der HIV-Übertragung haben könne:

„Previous data about the potential value of antiretrovirals in making HIV-infected individuals less infectious to their sexual partners came largely from observational and epidemiological studies. This new finding convincingly demonstrates that treating the infected individual — and doing so sooner rather than later — can have a major impact on reducing HIV transmission.“

Auch die HIV-positiven Partner profitierten von früherem Therapiebeginn, so die Studie – es seien signifikant weniger Erkrankungen aufgetreten.

UNAIDS bezeichnete die Studienergebnisse in einer Stellungnahme als „bahnbrechend“. Michel Sidibé, Generaldirektor von UNAIDS; sagte dies stelle eine Revolution für die Prävention dar und mache antiretrovirale Therapie zu einer neuen Präventions-Möglichkeit („treatment as prevention“) mit Priorität. Nun müsse sichergestellt werden, dass Paare die Möglichkeit hätten, antiretrovirale Therapie als eine Präventionsmethode zu nutzen – und dass sie Zugang (zu den Medikamenten) hätten:

„This breakthrough is a serious game changer and will drive the prevention revolution forward. It makes HIV treatment a new priority prevention option.
Now we need to make sure that couples have the option to choose Treatment for Prevention and have access to it.“

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Aktualisierung
12.05.2011
, 23:00: „Auch gleichgeschlechtlicher Paare brauchen jetzt dirngend Antworten, kommentiert Oriol R. Gutierrez Jr., Direktor beim US-Positiven-Magazin POZ die Aussage der Forscher, Ergebnisse ihrer Studie ließen sich nicht ohne weiteres auf Schwule übertragen. Für sie liefere die jetzige Studie Hoffnungen, aber keine wissenschaftlichen Beweise.

13.05.2011, 09:00: In einer Stellungnahme betonte NIAID-Direktor Fauci, dass die bisherigen Erkenntnisse zur Senkung des HIV-Übertragungsrisikos durch wirksame Therapie aus Beobachtungs- und epidemiologischen Studien stammten. Nun sei nachgewiesen, dass eine Behandlung des Individuums, und zudem eine frühzeitige, einen wesentlichen Einfluss auf die Reduzierung des HIV-Übertragungsrisikos haben könne.
18:30: Armin Schafberger, Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, kommentiert „Sie [Menschen mit HIV; d.Verf.] haben nun Gewissheit, dass die Therapie ihre Partner zuverlässig schützt. Das haben wir zwar schon gewusst, die Studie untermauert dieses Wissen aber nun mit klaren Zahlen.“

14.05.2011, 08:30: Die Ergebnisse der Studie werden Einfluss auf die neuen Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation WHO haben, äußert WHO-Generaldirektorin Margaret Chan laut SZ.
Warum sind kaum Daten für Schwule produziert worden? „Wir hätten uns eine große Zahl von Männern als Versuchspersonen gewünscht, aber sie waren einfach nicht interessiert“, zitiert die NYT Myron Cohen von der University of North Carolina in Chapel Hill.
Und welche Folgen hat die Studie? Michel Sidibé, UNAIDS-Generaldirektor: „Die Unterscheidung zwischen Behandlung und Vorbeugung ist nicht real“

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weitere Informationen:
HIV Prevention Trials Network 12.05.2011: Initiation of Antiretroviral Treatment Protects Uninfected Sexual Partners from HIV Infection (HPTN Study 052) (pdf)
UNAIDS 12.05.2011: Groundbreaking trial results confirm HIV treatment prevents transmission of HIV
aidsmap 12.05.2011: Treatment as prevention works: randomised study shuts 3 years early after showing 96% reduction in risk of transmission
poz and proud 12.05.2011: Bevestiging
poz 12.05.2011: Study: ARV Treatment Reduces HIV Transmission 96 Percent
SpON 12.05.2011: Schutz vor HIV – Medikamente senken Aids-Ansteckungsrisiko
POZ Blogs / Oriol R. Gutierrez Jr. 12.05.2011: Same-Sex Serodiscordant Couples Need Answers
New York Times 12.05.2011: Early H.I.V. Therapy Sharply Curbs Transmission
Advocate 12.05.2011: HIV: Early Treatment Could Reduce Partner Transmission
NIAID 12.05.2011: Treating HIV-infected People with Antiretrovirals Protects Partners from Infection
DAH 13.05.2011: Antiretrovirale Therapie schützt hoch effektiv vor HIV-Übertragung
alivenkickin 13.05.2011: „Therapie als Prävention? Ja!“ . . . Ohne Druck, Ohne Zwang
Pietro Vernazza 12.05.2011: EKAF-Statement durch randomisierte Studie bestätigt
SZ 13.05.2011: Früher Medikamenteneinsatz schützt Partner vor HIV
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Kurz notiert … November 2010

29. November 2010: Die südlichen US-Bundesstaaten haben eine ausgeprägte HIV-Epidemie, jedoch ineffizienten Aids-Politik – sie verweigern sich anerkannten Präventions-Methoden, kritisiert Human Rights Watch.

25. November 2010: Der Pharmakonzern Gilead hat in den USA einen Antrag auf Zulassung einer Kombinations-Pille aus drei Wirkstoffen (Emtricitabine, Tenofovir und Rilpivirine) gestellt.

23. November 2010: Vatikan-Sprecher Federico Lombardi konkretisiert die Papst-Aussagen; das „gelockerte Kondom-Verbot“ gelte für weibliche, männliche und transsexuelle Prosituierte.

21. November 2010: In „begründeten Einzelfällen“ will der Papst die Verwendung von Kondomen auch nach katholischer Lehre ‚zulassen‚.

20. November 2010: Nach eine Besuch der Oppositions-Politikerin Suu Kyi schließt Birmas Militärjunta eine Aids-Klinik.

18. November 2010: Die Rock-Musikerin Patti Smith wird mit dem US – National Book Award ausgezeichnet für ihr Buch über den 1989 an den Folgen von Aids verstorbenen Photographen Robert Mapplethorpe.

16. November 2010: Eine iPhone-App der Universität Liverpool informiert über Wechselwirkungen von HIV-Medikamenten mit anderen Substanzen.

15. November 2010: Auf ihrem Jahresempfang 2010 nimmt die Deutsche Aids-Hilfe am 11. November Cori Obst und Bernd Aretz als Ehrenmitglieder auf.

9. November 2010: Das EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) scheint in der Schweiz Einfluss auf das Sex-Verhalten HIV-Positiver zu haben: Forscher berichten über einen vermutlichen Zusammenhang zwischen erfolgreicher HIV-Therapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) und kondomfreien Sex (im aidsmap-Artikel fälschlicherweise pauschal als „ungeschützter Sex“ bezeichnet).

8. November 2010: Bei Leberkrebs sind die Dreijahres-Überlebensraten bei HIV-Negativen und HIV-Positiven ähnlich, zeigt eine US-Studie.

Ein neuer experimenteller (auf Basis einer südamerikanischen pflanze entwickelter) Wirkstoff zur Behandlung von Durchfällen (‚Cofrelemer‘)soll sich in Studien als wirksam erwiesen haben, berichtet POZ.

7. November 2010: Das Oberhaupt der katholischen Kirche Belgiens, Bischof Léonard, bekam während eines Gottesdienstes von einem Unbekannten eine Torte ins Gesicht. er hatte u.a. Aids als „eine immanente Gerechtigkeit für den Missbrauch der Liebe“ bezeichnet.

6. November 2010: Forscher entschlüsselten, warum einige Menschen natürlich immun gegen eine Infektion mit HIV sind.

3. November 2010: „Jesus war HIV-positiv„, mit dieser Aussage in seinen Predigten will ein südafrikanischer Pastor darauf hinweisen, dass HIV-Positiver immer noch stigmatisiert werden.

Das oberste US-Gericht (Supreme Court) hat eine Klage der Stanford University gegen den Pharmakonzern Hoffmann-La Roche akzeptiert. Stanford will erneut gegen eine Vereinbarung mit dem Pharmakonzern aus dem Jahr 1989 vorgehen, insbes. um die Rechte an einem verfahren zur Bewertung von Aids-Medikamenten.

2. November 2010: Wie hängen Stigma und HIV-Test zusammen? Menschen, die stigmatisierende Vorstellungen von HIV haben, machen mit deutlich niedrigerer Wahrscheinlichkeit einen HIV-Test. Und Menschen, die einen HIV-Test gemacht haben, haben signifikant seltener negative Einstellungen zu und Vorstellungen von Menschen mit HIV. Dies stellte eine Studie in Südafrika fest.

Schweiz: Auf Basis der ersten neun Monate rechnet das Bundesamt für Gesundheit mit ca. 600 bis 640 HIV-Neudiagnosen 2010. 2010 sind bisher (bis 30.9.2010) 18 Menschen an den Folgen von Aids gestorben.

1. November 2010: Der auf politischen Druck gegangene Ex-IQWIG-Chef Prof. Peter Sawicki wechselt ab November 2010 an das Institut für Gesundheitsökonomie und Klinische Epidemiologie (IGKE) der Uni Köln. Sawickis (indirekter) Chef dort: Prof. Karl Lauterbach, Gesundheitsexperte der SPD – und Institutsleiter seit 1998, seit 2005 aufgrund seiner Abgeordneten-Tätigkeit beurlaubt. Sawickis Nachfolger als Chef des IQWIG ist seit 1.9.2010 Prof. Jürgen Windeler.

Korruption bei Ärzten? Bei Umsatz Scheck – erstmals wurden vom Amtsgericht Ulm zwei Mediziner verurteilt, die von einem Pharma-Unternehmen Schecks erhielten – die Höhe jeweils abhängig von der Menge der verordneten Präparate des Herstellers.

Eine hohe Sterblichkeitsrate sowie eine niedrigere Erfolgsrate der Hepatitis-C-Therapie stellten französische Forscher bei mit HIV und Hepatitis-C-Virus ko-infizierten Patienten fest.

Einer der ‚führenden‘ ‚Aids-Leugner‚ Südafrikas, Dr. Anthony Mbewu, ist von seinem Posten als Direktor des ‚Global Forum for Health Research‘ zurückgetreten. Er war für diesen Posten trotz Kritik seitens vieler Aids-Aktivisten vor 10 Monaten ernannt worden.

dagnä: Position zum EKAF-Statement (akt.)

Die dagnä, die Arbeitsgemeinschaft niedergelassener HIV-Ärzte, hat sich erstmals zum EKAF-Statement geäußert.

In ihrer am 27. Oktober 2010 veröffentlichten Position unterstützt die DAGNÄ „in vollem Umfang“ die Stellungnahme, die die DAIG Deutsche Aids-Gesellschaft jüngst zum EKAF-Statement veröffentlicht hat. „Der Vorstand der dagnä schließt sich ausdrücklich der aktuellen Kommentierung der DAIG an.“

In ihrer Position formuliert die dagnä

„Das EKAF-Statement ist gut geeignet, darauf hinzuweisen, dass eine konsequent eingenommene antiretrovirale Kombinationstherapie das Risiko der HIV-Übertragung hochwahrscheinlich und mindestens in derselben Größenordnung reduziert wie das Kondom, wenn aktive sexuell übertragbare Erkrankungen ausgeschlossen sind.“

Sie betont dabei

„Die Schlussfolgerung des EKAF-Statements, eine HIV-Übertragung sei ausgeschlossen, weil der infizierte Partner/die infizierte Partnerin „nicht infektiös“ sei, wird in dieser Formulierung nicht geteilt. Das Risiko einer Übertragung von HIV ist – unter den skizzierten Bedingungen des EKAF-Statements – allerdings sehr gering, aber es ist – insbesondere auf Populationsbasis – nicht vernachlässigbar.“

Auch die dagnä betont die gemeinsame Verantwortung aller beteiligten Partner

„Die dagnä sieht beim Sex eine geteilte Verantwortung beider Sexualpartner, Vorkehrungen zur Vermeidung der Übertragung von HIV zu treffen. Im Einzelfall kann die ärztliche Beratung hier hilfreich sein. Die Übernahme der Verantwortung ist ausdrücklich auch unabhängig vom Serostatus stets von jedem Einzelnen zu fordern.“

Die DAIG Deutsche Aids-Gesellschaft hatte sich Anfang Oktober 2010 erneut zum EKAF-Statement geäußert (siehe „DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten„; siehe auch Kommentar „Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier“).

Die dagnä Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte in der Versorgung HIV-Infizierter e.V. wurde 1990 gegründet.
Erst jüngst hatten sich DAIG und dagnä in einer gemeinsamen Stellungnahme zur zahnärztlichen Versorgung HIV-Infizierter geäußert.

Als erste Organisation hatte die Deutsche Aids-Hilfe DAH im April 2009 ihre Position zum EKAF-Statement veröffentlicht: „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe „. Einer der damaligen Kern-Sätze: „Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.“

weitere Informationen:
DAGNÄ 27.10.2010: Die dagnä-Position zu EKAF
DAH 29.10.2010: HIV-Therapie und Infektionsrisiko: dagnä schließt sich DAIG-Stellungnahme an
alivenkickin 29.10.2010: DAIG und DAGNÄ: Stellungnahmen zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten
Matthias Gerschwitz 29.120.2010: Das »Gummi«-Statement
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Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat eine neue DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement vorgelegt. In diesem äußert sie sich ausführlich zum EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Was bedeutet diese Stellungnahme im einzelnen? Einige persönliche Gedanken …

Die Frage der Reduzierung der Infektiosität und die Bewertung der Konsequenzen daraus

Die DAIG äußert sich zur Frage der Reduzierung der Infektiosität in Folge wirksamer antiretroviraler Therapie, sie stimme

„Aussagen der UNAIDS zu, dass die HIV-Therapie prinzipiell die HIV-Übertragung reduziert“,

und erläutert

„Verschiedene Studien zeigen, dass der Einsatz der HIV-Therapie mit einer Reduktion der sexuellen HIV-Übertragung assoziiert ist, wahrscheinlich vergleichbar zum Effekt des korrekten Kondomgebrauchs.“

sowie

„Das im EKAF-Statement benannte Risiko von ca. 1:100.000 oder weniger pro Kontakt bei effektiver HIV-Therapie aber ohne Kondom erscheint prinzipiell plausibel.“

Nichts inhaltlich wesentlich anderes sagt die Deutsche Aids-Hilfe in ihrem Positionspapier (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe), und zieht daraus die Konsequenz

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.“

Die DAIG formuliert zurückhaltender und betrachtet auch das verbleibende Einzelfall-Risiko, wenn sie das Fazit zieht, dass

„das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering ist, kumulativ und im Einzelfall aber bezifferbar und relevant bleibt.“

Eine Aussage, die nicht in Widerspruch zum Fazit des DAH-Positionspapiers steht, dass das Risiko einer HIV-Übertragung bei Viruslast-Methode so gering ist wie bei Kondom-Benutzung.

Anders ausgedrückt: das Kondom war bisher (und bleibt) der ‚Gold-Standard‘ der HIV-Prävention. Mit der Viruslast-Methode gibt es nun eine zweite Methode, die eine ebensolche Schutzwirkung erreichen kann. Beide Methoden haben ihre Schwächen – und ihre Stärken (siehe DAH-Positionspapier, Punkt 3.5).

Entsprechend kommt auch die DAIG zu der Einschätzung, dass

„in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.”

Wobei die DAIG zur Frage des Rest-Risikos darauf hinweist, dass

„das Risiko der Übertragung einer HIV-Infektion auch bei konsequenter und effektiver HIV-Therapie nach unserer Meinung nicht vernachlässigbar ist.“

Ein Rest-Risiko, das auch bei Kondomen besteht – die wir bereits seit über 20 Jahren zum Schutz gegen eine HIV-Infektion verwenden, nur weitgehend ohne uns dieses Rest-Risikos bewusst zu sein oder es zu thematisieren. Ein Rest-Risiko, das genau der Grund ist, warum wir von „safer“ Sex sprechen, und eben nicht von „safe“ Sex.

Die Frage der Verantwortung

Die DAIG betont erfreulicherweise mehrfach die

„gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“.

In einer sexuellen Begegnung haben beide Partner Verantwortung für die Frage, wie sie mit dem Schutz vor Infektionen umgehen wollen.

‚Gleichberechtigte Verantwortung‘ – eine Formulierung, die so manchem Boulevardblatt leider noch fremd zu sein scheint, wie die Berichterstattung über Nadja Benaissa in den jüngsten Tagen zum wiederholten Male zeigte. Eine klare Formulierung, die umso mehr begrüßenswert ist.

Die Sache mit dem Strafrecht

Die DAIG betont gleich zu Beginn, sie sei

„der festen Überzeugung, dass es keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen“.

Zur Frage, welche Konsequenzen das EKAF-Statement juristisch haben könnte, formuliert die DAIG vorsichtig

„Es ist möglich, dass sich ein potentiell reduziertes Infektionsrisiko durch eine HIV-Therapie in individuellen Fällen auf das Strafmaß auswirkt. Ob es strafabwendend wirkt, muss die Rechtsprechung im Einzelfall entscheiden.“

Resümee

Was bedeuten die einzelnen Punkte der DAIG-Stellungnahme? Letztlich, trotz aller Wenns, aller Abers, aller Beurteilungen als ‚befremdlich‘ oder ’nur schwer nachvollziehbar‘ – in der Substanz ist das neue Statement der DAIG m.E. positiv und begrüßenswert: Es findet sich bei genauerem hinsehen viel Übereinstimmung. In seinem Kern ist das Statement der DAIG in weiten (wenn auch nicht allen) Teilen nicht sehr entfernt vom Inhalt des Positionspapiers der Deutschen Aidshilfe – das wohl (besonders in den Botschaften, die es daraus ableitet) über das Statement der DAIG hinaus geht. Entsprechend begrüßt auch die DAH in ihrer Reaktion die Stellungnahme der DAIG und betont weitreichende Übereinstimmungen.

Die wesentliche Aussage des DAH-Positionspapiers („Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen“) findet im DAIG-Statement keinen Widerspruch, die dem zugrunde liegende Risikoeinschätzung wird als „plausibel“ betrachtet. Viruslast-Methode und korrekter Kondom-Gebrauch sind in ihrem Effekt hinsichtlich der Verhinderung der HIV-Übertragung vergleichbar. In den Bedingungen für die Anwendung der Viruslast-Methode stimmen DAH und DAIG überein.

Sehr erfreulich ist darüber hinaus, dass die DAIG klare Worte zur Kriminalisierung der HIV-Infektion findet und klarstellt, dass es „keinen Sinn macht, der Herausforderung der HIV-Epidemie mit strafrechtlichen Mitteln zu begegnen”.

Auch zur Frage der Verantwortung für Schutz findet die DAIG mit der Formulierung „gleichberechtigte Verantwortlichkeit bei sexuellen Handlungen“ begrüßenswert klare Worte – und erteilt einseitigen Zuweisungen (i.d.R. an den / die HIV-Positive/n) implizit eine klare Absage.

Es wäre begrüßenswert, wenn DAIG und DAH – wie die DAH in ihrer Reaktion erneut vorschlägt – nun einen erneuten Anlauf nehmen, ein gemeinsames Positionspapier zu erstellen.

Insgesamt scheint mir so das Positionspapier der DAIG begrüßenswert und ein Fortschritt auf dem Weg des EKAF-Statements in die Praxis. Ein Weg, den wir seit nun beinahe drei Jahren gehen, ein Weg der mühsam und manchmal beschwerlicher als erwartet ist – aber auf dem auch dieses Statement einen Fortschritt darstellt.

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Nebenbei: ich freue mich, dass auch ein ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften) die DAIG zu ihrer Stellungnahme veranlasst hat – und zu einer fünfseitigen (wenn auch stellenweise sehr kritischen) Auseinandersetzung mit dem Artikel. Zu einem  Gedankenaustausch stehe ich auch weiterhin gerne zur Verfügung.

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DAIG: Positive Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten

Die Deutsche Aids-Gesellschaft hat einen „erneute Stellungnahme“ zum EKAF-Statement vorgelegt. Sie stimmt darin in Teilen der Position von EKAF und DAH zu.

Am 30. Januar 2008 legte die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen ihr Statement vor (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs). Die Deutsche Aids-Hilfe stellte Anfang April 2009 in Reaktion darauf und nach umfangreichen Diskussionen ihr Positionspapier vor (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe).

Nun hat auch die Deutsche Aids-Gesellschaft eine erneute Stellungnahme vorgelegt.

Die DAIG kommt in ihrer (insgesamt 17seitigen) Stellungnahme u.a. zu folgenden Schlüssen:

„Nach unserer Bilanz ist in Abwägung der Ergebnisse der dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Studien und aktueller Publikationen das Risiko für eine sexuelle HIV-Transmission von Menschen unter effektiver HIV-Therapie in Populationsstudien fester Partnerschaften und nach mathematischen Kalkulationen sehr gering, bleibt aber kumulativ und im Einzelfall bezifferbar und relevant.“

und

„Die DAIG unterstützt die Einschätzung, dass in festen diskordanten Partnerschaften nach eingehender Information und Beratung dem HIV-negativen Partner letztlich die Entscheidung obliegt, auf weitere Schutzmaßnahmen zu verzichten, wenn

1. die antiretrovirale Therapie (ART) durch den HIV-infizierten Menschen konsequent eingehalten und durch den behandelnden Arzt regelmäßig kontrolliert wird;
2. die Viruslast (VL) unter ART seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt;
3. keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD) bestehen.“

Zu ihrer neuen Stellungnahme sah sich die DAIG nach eigenen Angaben veranlasst „durch Internetbeiträge und anhaltende Diskussionen“ – unter anderem einen ondamaris-Artikel (Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften).

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Deutsche Aids-Gesellschaft: Erneute DAIG-Stellungnahme zum EKAF-Statement zur Infektiosität von antiretroviral behandelten HIV-Patienten (Newsmeldung)

Deutsche Aids-Gesellschaft: komplette Stellungnahme (17 Seiten) als pdf

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In wesentlichen Teilen schließt sich die Deutsche Aids-Gesellschaft in ihrer neuen Stellungnahme nun dem Inhalt des Positionspapier an, das die Deutsche Aids-Hilfe vorgelegt hat. Dies ist ein erfreulicher und sehr zu begrüßender erster Schritt (ein ausführlicherer Kommentar der neuen Stellungnahme folgt hier: ‚Positiv – oder? Gedanken zur neuen Stellungnahme der DAIG zum EKAF-Papier‚). Ein Schritt, der auch für Behandler und Patienten nun mehr Klarheit bringen wird.

Besonders zu begrüßen wäre es, wenn nach der DAIG (die eher die Klinischen Ärzte vertritt) nun auch die niedergelassenen Ärzte (vertreten in der DAGNÄ) sich zu einer Position durchringen könnten.

Eine gemeinsame Stellungnahme der in der Behandlung HIV-Positiver engagierten Ärztinnen und Ärzte könnte dann auch Staatsanwälten, Verteidigern und Richtern eine weitere Handreichung sein, und zu einer größeren Rechtssicherheit führen.

Es wird Zeit, dass die unterschiedliche Behandlung des EKAF-Statements vor deutschen Gerichten ein Ende hat. Die niedergelassenen Ärzte sind aufgefordert, dem prinzipiell begrüßenswerten Schritt der DAIG zu folgen.

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Nachsatz: dass ein Artikel auf ondamaris die DAIG mit zu ihrer erneuten Stellungnahme veranlasst hat, erfreut den Autor … (bei aller Kritik, die die DAIG an dem Artikel äußert)

siehe auch:
DAH 08.10.2010: Neue Stellungnahme zur Infektiosiät von Patienten unter HIV-Therapie
Mit HIV leben 10.10.2010: Rechtssicherheit: Die DAIG hat ein Statement
HIV&more 15.10.2010: Neue Stellungsnahme der DAIG zum EKAF-Statement
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„Positive Begegnungen“: Rechtsexperten bemängeln Wissensstand der Justiz

In einem Workshop zum Thema „HIV und Kriminalisierung“ haben sich am 27.8.2010 HIV-Positive, Selbsthilfevertreter und Rechtsexperten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bielefeld über die aktuelle Rechtsprechung zum Sex zwischen HIV-Positiven und Nichtinfizierten ausgetauscht. Die Rechtsexperten bemängelten, dass Justiz und Strafverfolgungsbehörden viel zu wenig über das heutige Leben mit HIV wüssten und in den Prozessen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse nicht ausreichend berücksichtigt würden. Diese Instanzen, so die Workshopteilnehmer, müssten sich daher besser informieren und Gutachter einbeziehen, die auf dem Laufenden sind.

Der Kölner Rechtsanwalt Jacob Hösl unterstützte die Forderung der Teilnehmer, die Rechtsprechung müsse auch die „EKAF-Erkenntnisse konsequenter berücksichtigen“. Gemeinsam mit seiner österreichischen Fachkollegin Wiltrut Stefanek betonte Hösl, dringend notwendig seien Gesetzesnovellierungen. Einen ersten Schritt in diese Richtung habe die österreichische Justizministerin getan: Sie habe ihre Staatsanwaltschaften angewiesen, HIV-Positive nicht mehr zu verurteilen, wenn sie Safer Sex praktizieren. Bisher wurde in Österreich sogar Sex mit Kondom wegen des Restrisikos (z. B. Reißen des Kondoms) als Tatbestand der „potenziellen Gefährdung“ eingestuft. Bestraft wurde man auch dann, wenn es bei einvernehmlichen sexuellen Handlungen in der Partnerschaft zu einer HIV-Infektion kam. Eine ähnliche diskriminierende Rechtssprechung wurde aus der Schweiz berichtet, wo es neben einem Paragrafen zur Körperverletzung auch einen „zum Schutz der Volksgesundheit“ gibt. Diese Gesetze wende man bisher sehr restriktiv an: Bestraft werde immer nur der oder die Positive, auch wenn sich beide Partner auf ungeschützten Sex geeinigt hatten.

Insgesamt wisse man zu wenig über die Strafverfahren, sagten die Rechtsexperten, und die Verfahren seien auch nicht transparent. So werde in Deutschland keine Statistik zu Verurteilungen im Zusammenhang mit HIV geführt. Rechtsanwalt Hösl sind 27 Verurteilungen und zwei Freisprüche aus Deutschland bekannt.

Die Workshop-Teilnehmer forderten abschließend, die HIV-Negativen mit einzubeziehen, wenn es in der Urteilsfindung um Verantwortung gehe, und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse endlich zur Grundlage politischen Handelns zu machen. Studien z. B. aus den USA und Kanada hätten längst eindrucksvoll belegt, dass die strafrechtliche Verfolgung als Instrument der HIV-Prävention nicht taugt. Die Aidshilfen in Österreich forderte man auf, zum Thema „HIV und Kriminalisierung“ öffentlich Position zu beziehen und hier nicht länger den Kopf in den Sand zu stecken.

(Jörg Litwinschuh / DAH)

Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften (akt.)

Eine erfolgreiche Therapie reduziert die Infektiosität – aber welche Konsequenzen hat das? Insbesondere vor Gericht? Zwei Fachgesellschaften können nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden. Die Leidtragenden: die Rechtssicherheit – und Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Wenn HIV-Positive vor Gericht stehen, spielt bei der Beurteilung der Frage, wie eine etwaige bzw. mögliche Übertragung von HIV juristisch zu beurteilen ist, neben vielen anderen immer wieder auch die Frage eine Rolle, ob der Positive infektiös war – oder ob aufgrund erfolgreicher Therapie ein reales Infektionsrisiko kaum gegeben war.

Gerichte haben diese Frage in Deutschland in den letzten beiden Jahren immer wieder in unterschiedlichem Umfang berücksichtigt – und sind zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Verkürzt gesagt, von Verurteilung trotz erfolgreicher Therapie bis Freispruch, eben aufgrund erfolgreicher Therapie (und fehlender Infektiosität) – das Spektrum der Urteile ist breit.

Ein Unding, findet der Blogger „diego62“, und wundert sich. Irritiert wendet er sich an die Bundesregierung, bittet um Klarheit. Wie steht es mit der Frage des EKAF-Statements, der Frage der stark reduzierten Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, und deren Einbeziehung und Bewertung vor Gericht?
Der Blogger betont in seiner Anfrage an das Bundesministerium für Gesundheit

„Nur in deutschen Gerichten vermisst man diesen Sachverhalt in den Urteilen der letzten Monate. Hier werden, je nach dem der Gutachter den Verhalt auslegt, sehr unterschiedliche Urteile [gefällt; d.Verf.].“
und erläutert seine Anfrage
„Es kann nicht sein, dass hier ein HIV-Positiver unter Nachweisgrenze wegen schwerer (versuchter) Körperverletzung verurteilt wird, weil dem Gutachter/Richter die EKAF-Studie egal oder unbekannt ist und anders wo in einem gleichen Fall ein Freispruch gefällt wird.“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) betont in seiner Antwort den verfassungsmäßigen Grundsatz der  Gewaltenteilung – ein Ministerium könne keinen „Einfluss auf die rechtsprechende Gewalt nehmen“.
Zugleich betont das BMG die Bedeutung möglicher Stellungnahmen von Fachgesellschaften:

„Bei verallgemeinerungsfähigen Fragestellungen wirken sich allerdings Veröffentlichungen von juristischen Fachkreisen und insbesondere die Rechtsprechung der Obergerichte und des Bundesgerichtshofs vereinheitlichend auf die Rechtsprechung aus.“

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Das Statement der EKAF Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) hat nach seinem Erscheinen im Januar 2008 (!) bei HIV-Positiven, in Aidshilfen sowie in medizinischen Fachkreisen zu teils aufgeregten Diskussionen geführt. Diese Aufregung hat sich inzwischen gelegt, was einst umstritten war, ist längst weitgehend einhellige Meinung. Nationale und Internationale Organisationen wie UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement und Viruslast-Methode (siehe Nachtrag 09.10.2010).

Das Potential, das in der Stellungnahme liegt, ist auf Seiten von Epidemiologen längst erkannt, bis hin zu Diskussionen über neue Strategien wie „test and treat“ (eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senkt drastisch die Infektiosität, dadurch sinkt in Folge auch die Zahl der HIV-Neuinfektionen – möglichst viele Positive möglichst früh zu behandeln, könnte also helfen die Zahl der neuen HIV-Infektionen niedriger zu halten).

Die Deutsche Aidshilfe hat nach intensiven Diskussionen inzwischen (seit April 2009 !) längst eine Position zum EKAF-Statement (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)). Sie kommt hierin zu der klaren Aussage

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Die DAH spricht in Übersetzung des EKAF-Statements in die Praxis der Aids-Arbeit von der

„Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze““

Nicht einigen hingegen können sich – auch zweieinhalb Jahre nach Vorliegen des EKAF-Statements – anscheinend die beiden in Deutschland zuständigen Fachgesellschaften, die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ).

Diese Uneinigkeit der betreffenden Fachgesellschaften führt zu eben jener Rechtsunsicherheit, die der Blogger in seiner Anfrage an das BMG moniert hat. Eine Rechtsunsicherheit, die bei ihm den Eindruck erweckt, dass

„eine Verurteilung oder ein Freispruch eher vom Gutdünken oder Informationsstand eines Sachverständigen abhängt, nicht jedoch von einer wirklichen Gefährdung durch den Betroffenen.“

Der Blogger steht mit seiner Wahrnehmung nicht allein. Auch Corinna Gekeler und Karl Lemmen (Deutsche Aids-Hilfe) kommen in ihrem Beitrag „(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?“ zu dem Schluss:

„Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.“

Eine klare und soweit möglich eindeutige Haltung der beiden zuständigen Fachgesellschaften könnte hier, darauf weist das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Antwort nochmals explizit hin, zu deutlich mehr Rechtssicherheit vor deutschen Gerichten führen.

DAGNÄ und DAIG hatten zweieinhalb Jahre Zeit, ihre Position zu finden und aus beiden Haltungen eine gemeinsame Stellungnahme zu entwickeln. Allein, eine klare und gemeinsame Haltung fehlt bisher weiterhin. Im Gegenteil, in Gesprächen könnte manchmal der Eindruck entstehen, beide Gesellschaften verträten beinahe entgegengesetzte Meinungen …

Freispruch oder Verurteilung – die Konsequenzen, die nahezu gleiche Sachverhalte aufgrund des Nicht-Berücksichtigens des EKAF-Statements sowie des Fehlens einer gemeinsamen Stellungnahmen der beteiligten Fachgesellschaften haben, sind gravierend. Zu Lasten der Rechtssicherheit, und zu Lasten derjenigen Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Zweieinhalb Jahre sollten genügen, seine Position zu finden und mit dem ‚Kollegen‘ abzustimmen – es wird Zeit, dass sich etwas tut, dass beide Fachgesellschaften endlich zu einer den heutigen Realitäten gerecht werdenden gemeinsamen Stellungnahme kommen.

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Nachtrag 14.8., 23:45:
(1) Man kann das Thema auch anders angehen: Prof. Pietro Vernazza, einer der Väter des EKAF-Statements: „Ein weiteres Ziel des EKAF-Statements war gewesen, die in der Schweiz bis dahin recht häufigen Verurteilungen von HIV-Positiven (wegen Gefährdung Anderer trotz Beachtung der genannten Voraussetzungen) zu reduzieren. Dies ist gelungen.“ (nach einem Bericht „EKAF-Statement: 2 Jahre danach „)
(2) Zwar gab es Anfang 2008 den Versuch einer „Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. Bekannt wurde aus dem Treffen allerdings nur eine „Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor“ vom 27.2.2008, gezeichnet damals von BZgA, RKI und DAH – nicht DAIG und DAGNÄ. Diese Stellungnahme sprach von „Gefährdungslage“ und Kondomen als entscheidendem Schutz. Zum Versuch einer gemeinsamen Stellungnahme vermeldet der HIV-Report nach einem Jahr (Ausgabe vom 25.2.2009) lakonisch „nicht miteinander vereinbare Positionen bei den Akteuren“.
(3) Die DAIG ringt sich in einer Stellungnahme vom 23.4.2009 immerhin zu der Aussage durch „Auch durch die erfolgreiche Unterdrückung der Virusvermehrung mittels wirksamer antiretroviraler Therapie wird die Übertragung von HIV deutlich reduziert“ – schließt allerdings kurz darauf an „Sie [die DAIG, d.Verf.] weist jedoch darauf hin, dass diese Annahme überwiegend auf Modellrechnungen beruht und für den einzelnen Menschen weiterhin ein fassbares Risiko der HIV-Infektion besteht.“ Sie betont „Aus Sicht der DAIG lässt sich das Problem der HIV-Übertragung nicht strafrechtlich lösen.“ Neuere Stellungnahmen der DAIG zum EKAF-Statement und der Frage der Infektiosität bei HAART, auch angesichts neuer wissenschaftlicher Publikationen, sind nicht bekannt.
(4) Von der DAGNÄ sind keine Stellungnahmen zum EKAF-Statement bekannt.

Nachtrag 09.10.2010:
UNAIDS hat sich vor dem Human Rights Council zur Reduktion der HIV-Transmission durch Therapie geäußert und auch auf das EKAF-Statement verwiesen, sich jedoch nicht zur Frage des Kondomgebrauchs geäußert.

 

 

Diego62 19.07.2010: Rechtssicherheit
Diego62 13.08.2010: Antwort vom Bundesministerium für Gesundheit
Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ)
„HIV-Transmission und Schutzmöglichkeiten für diskordante Paare – Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. in: HIV-Report 04/2008 (pdf)
BZgA, RKI, DAH 27.02.2008: Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor
„The Year After“. in: HIV Report 01/2009 (pdf)
infekt.ch 01.02.20210: EKAF-Statement: 2 Jahre danach
DAIG / presseportal 23.04.2009: Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) zur Frage der Infektiosität von Patienten unter HIV-Therapie
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Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 23.07.2010 (akt.)

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 5, 23. Juli 2010:

Elly Katabira aus Uganda neuer IAS-Chef

Zwei Jahre war der Kanadier Julio Montaner Chef der International Aids Society, der Veranstalterin der Welt-Aids-Konferenzen. Nun wird er im August 2010 abgelöst von Prof. Elly Katabira aus Uganda. Katabira ist derzeit Associate Professor of Medicine an der Makerere University / College of Health Sciences in Kampala, Uganda.
Nachfolgerin Katabiras wird mit Beendigung der Welt-Aids-Konferenz 2012 in Washington dann die Nobelpreisträgerin Prof. Barré-Sinoussi werden.

IAS: Biographie Elly Katabira (pdf)
IAS 23.07.2010: Elly Katabira Becomes IAS President Francoise Barre-Sinoussi Becomes IAS President Elect

Homophobie erhöht HIV-Risiko – zeigt Studie aus Uganda

In Kampala (Uganda) haben Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und die homophobe Gewalt oder Missbrauch erlebten, ein fünffach erhöhtes Risiko, HIV-positiv zu sein. Dies berichteten Forscher über eine (um die Zielgruppe besser zu erreichen nach dem Schneeball-Prinzip aufgebaute) Studie, die zwischen Mai 2008 und April 2009 in Kampala stattfand. 3030 Männer, die in den vergangenen drei Monaten Analverkehr mit anderen Männern hatten, nahmen an der Studie teil. Die HIV-Prävalenz lag bei 13,7% (Kampala erwachsene Männer 4,5%). Von allen Studienteilnehmern waren 37% bisher schon einmal körperlich missbraucht worden, 26% waren zum Sex gezwungen worden. Männer, die jemals Gewalt oder Missbrauch erlebt hatten, hatten ein nahezu fünffach höheres Risiko, mit HIV infiziert zu sein.

aidsmap 22.07.2010: Ugandan study shows why human rights are central to HIV prevention with African men who have sex with men

Hirschel: Pillen in Afrika wirksamer als Kondome zur Prävention

Vor drei Jahren versetzte Prof. Bernard Hirschel mit dem EKAF-Statement die Welt in Aufregung. Die Aufregung hat sich gelegt, inzwischen ist das EKAF-Statement in Form der Viruslast-Methode längst in der Praxis angekommen. Hirschel aber hat schon die nächste Provokation bereit: „AIDS-Medikamente sind [zur Prävention] in Afrika wirksamer als Kondome“, sagte er am 21. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz („Aujourd’hui, le traitement est plus efficace que le préservatif en Afrique“). Mit einer Serie von Studien untermauerte er seine Aussage …

Libération 22.07.2010: Vienne 2010: « En Afrique, le traitement contre le sida est plus efficace que le préservatif »

Weltbank: Geld schützt vor HIV

Reduzieren kleine Geldbeträge das Risiko, sich mit HIV zu infizieren? Zu bemerkenswerten Resultaten und Erkenntnissen kommt die Weltbank:
In Malawi erhielten im Rahmen einer Studie an 3.769 jungen Frauen eine Gruppe junger Mädchen zwischen 13 und 22 monatlich umgerechnet 15 US-Dollar, wenn sie regelmäßig zur Schule kamen. Eine Kontrollgruppe erhielt keine Geldbeträge für regelmäßigen Schulbesuch.  18 Monate nach beginn de Programms im Januar 2008 zeigte sich ein überraschendes Ergebnis: in der Gruppe der Mädchen, die Geld als Belohnung für regelmäßigen Schulbesuch erhielten, lag die HIV-Infektionsrate bei 1,2%, in der Kontrollgruppe (ohne ‚Belohnungsgeld‘) hingegen bei 3%, eine um 60% niedrigere Prävalenz. Noch deutlicher war der Unterschied bei Herpes-Infektionen. Die Weltbank vermutet als Ursache einen „Einkommens-Effekt auf das Sexualverhalten“: The key seems to be an “income effect” on the sexual behaviors of young women receiving cash payments. A year after the program started, girls who received payments not only had less sex, but when they did, they tended to choose safer partners … In fact, the infection rate among those partners is estimated to be half of that of partners of the control group.“

Worldbank 19.07.2010: Malawi and Tanzania Research Shows Promise in Preventing HIV and Sexually-Transmitted Infections

Migranten: im Gastland höheres HIV-Risiko als im Heimatland

Niederländische Epidemiologen haben mit einem mathematischen Modell  herausgefunden, dass in den Niederlanden lebende heterosexuelle Migranten aus Afrika und der Karibik ein höheres Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren, als sie es in ihrem Heimatland hätten. Als Ursache sehen sie an, dass Migranten bei Einreise in ihr Gastland in sehr eng begrenzten sexuellen Netzwerken von Menschen gleicher Herkunft leben und sich kaum mit der lokalen Bevölkerung vermischen.
In den Niederlanden liegt die HIV-Inzidenz bei 1 HIV-Infektion auf 47.000 Menschen im Jahr, bei in den Niederlanden lebenden Migranten aus Afrika liegt dieser Wert hingegen deutlich höher bei 1 : 1.170, aus der Karibik bei 1 : 4.600.

aidsmap 22.07.2010: Immigrants are more risk of HIV in their host country than back at home

Die Zukunft des Aids-Aktivismus

In zwei Sessions befasste sich die XVIII. Welt-Aids-Konferenz mit der Zukunft des Aids-Aktivismus. Beide Sessions befassten sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte von TAC, der Treatment Action Campaign, die sich lange mit einer vergleichsweise untätigen Regierung Südafrikas auseinander setzen musste. Eine Auseinandersetzung, die von großen erfolgen gekrönt war. Doch Aktivisten befürchten, dass nach diesen Erfolgen eine Zeit des weniger engagierten Aktivismus folgen könnte. Es sei schwierig, die Energie der letzten Jahre auch die nächsten zehn Jahre aufrecht zu erhalten. Eine Gefahr liege zudem darin, wenn man für politische Ziele kämpfe zu glauben mit deren erreichen sei alles getan. Die eigentliche Arbeit beginne erst danach.

aidsmap 22.07.2010: The future of AIDS activism: looking for sustained energy and new tactics 10 years after Durban

Junge Menschen verändern ihr Sexualverhalten

Weltweit, besonders aber in Subsahara-Afrika veränderten junge Menschen ihr Sexualverhalten. Sie würden später sexuell aktiv, hätten weniger Partner und benutzten zunehmend Kondome. Dies betont ein neuer Report von UNAIDS.  Dr. Peter Ghys, Chefepidemiologe von UNAIDS, stellte die Daten auf der XVIII. Welt-Aidskonferenz in Wien vor. In zahlreichen Staaten der Region gehe zudem die HIV-Prävalenz deutlich zurück. Zwischen beiden Entwicklungen, der Veränderung des Sexualverhaltens und dem Rückgang der HIV-Prävalenz, gebe es eine deutliche Übereinstimmung.

UNAIDS: reductions in HIV prevalence among young people have coincided with a change ins exual behaviour patterns among people (pdf)
UNAIDS 22.07.2010: Young people interpret new UNAIDS data

Aids-Medikamente knapp – in Frankreich …

Schon seit einigen Wochen erscheinen gelegentlich Berichte über Probleme mit der Versorgung mit Aids-Medikamenten in Frankreich. Inzwischen thematisiert ACT UP die Versorgungskrise deutlicher – und kritisiert u.a. das französische Gesundheitsministerium.
Es scheint in Frankreich den Berichten zufolge Unterbrechungen in den Lagerbeständen zu geben, so dass nicht jedes Rezept sofort eingelöst werden kann, es manchmal zu Wartezeiten von mehreren Tagen kommt. Die Versorgungsengpässe seine schon früher gelegentlich aufgetreten, häuften sich dieses Jahr aber besonders. Die Quotierung sowie Re-Exporte seien Ursache des Problems, so die Hersteller. Konkreter Auslöser dr aktuellen Situation scheint auch ein Streik beim Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) zu sein.

ACT UP Paris 22.07.2010: C’est l’été, il n’y a plus d’ARV !
Le Figaro 24.07.2010: Sida : certains médicaments difficiles à trouver en France

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 22.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

„Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast“ Mit dieser Frage Hatten sich Corinna Gekeler und Karl Lemmen in einem Gastbeitrag am 6. Juli 2010 beschäftigt ((Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?).
Heute behandeln beide Autoren in einem Gastbeitrag einen aktuellen Fall aus Kiel, in dem u.a. ebenfalls die Viruslast des Angeklagten ein Thema war:

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven:
Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Das Kieler Landgericht verurteilte 28.Juni 2010 einen 47-jährigen Mann am wegen zweifacher vollendeter und fünffacher gefährlicher Körperverletzung. Der gelernte Maler wird auf Anordnung des Gerichts in der Psychiatrie untergebracht. Das Gericht billigte ihm wegen massiver Hirnschädigungen und einer schweren Persönlichkeitsstörung erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Die Kammer blieb zwei Jahre unter dem Antrag der Anklage, die beiden infizierten Frauen als Nebenklägerinnen verzichteten auf Rechtsmittel. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Fall
Der Angeklagte gab zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Die zuerst angesteckte Frau beschuldigte er sogar wider besseres Wissen, sie habe ihn infiziert.
Der Mann saß wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft, nachdem ihn eine der beiden infizierten Frauen angezeigt hatte. Eine zweite Infizierte erlitt Nierenversagen und war sogar zeitweilig gelähmt. Beide betroffene Frauen müssten nun nicht nur eine erheblich verminderte Lebensqualität hinnehmen, sondern auch mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen, betonte das Gericht.
Bei dem Angeklagten war die Krankheit 2004 mit schwersten Symptomen wie starkem Gewichtsverlust und einer Lungeninfektion ausgebrochen. Die HIV-Medikamente setzte er ab, als seine Viruslast unter der Nachweisgrenze war. Er ging erst wieder in die Aids-Ambulanz der Universität Lübeck, als eine der Sexpartnerinnen infiziert war. Da sei seine Viruslast „exorbitant hoch und er hochinfektiös“ gewesen, sagte Richter William. Dennoch kontaktierte er weitere Frauen, um ungeschützten Sex zu haben.
Das Gericht betonte, es wäre möglicherweise gar nicht zu den Taten gekommen, wenn die Ärzte 2004 die Hirnschädigung nicht nur festgestellt, sondern auch genauer untersucht hätten. Durch den massiven Abbau von Hirnmasse habe der Angeklagte schon damals nicht mehr richtig einsehen können, was mit ihm und anderen geschehe.

Erstes Resümee
Welches Gewicht die Viruslast letztendlich bei der Urteilsfindung spielte, kann noch nicht geklärt werden, da das Urteil noch nicht vorliegt. Sollte die gestiegene Viruslast darin ein ausschlaggebendes Argument darstellen, müsste jedoch auf die rechtlichen Konsequenzen für das Gegenteil, also die nicht nachweisbare Viruslast, diskutiert werden.
Ein Rolle scheint aber auf jeden Fall zu spielen, dass der Verurteilte seine Infektion verschwiegen bzw. verleugnet hatte und die Frauen ohne ihr Wissen einer großen Gefahr aussetzte. Unklar bleibt auch, wie es zu der vermutlich unzureichenden ärztlichen Behandlung des Mannes kommen konnte.

Quellen:
http://www.focus.de/panorama/welt/prozesse-aids-kranker-wegen-ungeschuetztem-sex-verurteilt_aid_524493.html
ln-online/lokales vom 29.06.2010 00:00: http://www.ln-online.de/news/2810203
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/hamburgschleswigholstein_nt/article8206865/Fuenf-Jahre-Haft-fuer-HIV-Infizierten.html

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!