‚Geburtstage, die man noch Ende der achtziger Jahre für unmöglich hielt‘ – über das Langzeit-Leben mit Aids

„Die erste Generation der Langzeit-Infizierten feiert heute Geburtstage, die man noch Ende der achtziger Jahre für unmöglich hielt“ – Laura Weißmüller berichtet in der Süddeutschen Zeitung über die heutigen Leben von Langzeit-Positiven, von frühzeitig an Aids Erkrankten aus München und Würzburg, über alltägliche Diskriminierung und den Wandel von Aids:

„Statt Sterbebegleitung geht es bei ihr jetzt ‚ums ganz normale Leben‘. Das ist für viele Klienten jedoch das Schwierigste“.

„‚Du musst einfach mit dem Saukerl übereinkommen‘ – Das Virus, die Angst und die Einsamkeit – Wie Menschen, die vor langer Zeit an Aids erkrankt sind, mit ihrer Krankheit im Alter zurechtkommen“
Laura Weißmüller in der Süddeutschen Zeitung, 08.01.2009

Leibniz-Preis für Aids-Forscher

Prof. Dr. Frank Kirchhoff (Uni Ulm) ist mit dem Leibniz-Preis 2009 ausgezeichnet worden.

Der Hauptausschuss der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) benannte am 4.12.2008 in Bonn eine Wissenschaftlerin und zehn Wissenschaftler für die Auszeichnung mit dem bedeutendsten deutschen Forschungspreis, unter ihnen den Virologen Prof. Frank Kirchhoff (Universität Ulm Institut für Virologie, Leiter Forschungsbereich HIV).

Prof.Dr. Frank Kirchhoff (Foto: Uni Ulm)
Prof.Dr. Frank Kirchhoff (Foto: Uni Ulm)

Die DFG betont in ihrer Pressemitteilung

„Prof. Dr. Frank Kirchhoff (47), Virologie, Institut für Virologie der Universität Ulm (2,5 Mio. Euro)
Mit Frank Kirchhoff erhält einer der weltweit führenden AIDS-Forscher den Leibniz-Preis. Der Virologe hat in den letzten zwei Jahrzehnten entscheidend dazu beigetragen, dass die Entstehung von AIDS und insbesondere die Evolution des HI-Virus immer besser verstanden wird. Kirchhoff konzentrierte seine Forschungen höchst erfolgreich auf eine der wichtigsten Proteinkomponenten des HI-Virus, das Nef-Protein, das vielfältige und ganz unterschiedliche Wirkungen hat: Beim Primaten verringert es die Pathogenese der HI-Viren, beim Menschen geht sein immunmodulierender Effekt dagegen verloren, sodass sich das Virus stark vermehren kann und hochpathogen ist. Weitere bedeutende Entdeckungen Kirchhoffs gelten einem Peptid im menschlichen Blut, das aus 20 Aminosäureresten besteht und die Virusvermehrung blockiert, sowie einem Protein in der Samenflüssigkeit, das mit seinen Fasern HI-Viren einfängt, in Zellen eindringen lässt und damit die Infektionsrate erhöht. Diese Befunde können die hohen Raten der sexuellen Übertragung bei AIDS miterklären und gleichzeitig neue Ansätze zur Vermeidung der Übertragung aufzeigen. Mit diesen Arbeiten hat Kirchhoff der deutschen AIDS-Forschung international zu hohem Ansehen verholfen.
Frank Kirchhoff studierte Biologie in Göttingen und promovierte am Deutschen Primatenzentrum über einen neuen HI-Virus-2-Klon. Als Postdoktorand an der renommierten Harvard Medical School in Boston/Massachusetts befasste er sich erstmals mit dem Nef-Protein des HI-Virus, der auch im Fokus seiner Arbeiten blieb, als Kirchhoff 1994 nach Deutschland zurückkehrte. Hier arbeitete er zunächst als Assistent, Privatdozent und Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg, bevor er 2001 einem Ruf nach Ulm folgte.“

Bereits 2007 war Prof. Kirchhoff zusammen mit Prof. Münch für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Aids-Forschung mit dem Merckle Preis ausgezeichnet worden.

Body Maps – unser positives Leben

In der TU Berlin ist seit gestern (27.11.2008) bis zum 19.12.2008 die Ausstellung „Unser positives Leben – Eine Ausstellung von Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland“ zu sehen (täglich außer sonntags 8:00 bis 21:00 Uhr). Gezeigt werden Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland.

Die Organisatoren teilen dazu mit:

„zum diesjährigen Welt-AIDS-Tag steht die Perspektive von Menschen, die mit HIV leben, im Vordergrund. Wir wollen den Betroffenen zuhören und sie verstehen, da sie der fachlichen Arbeit im HIV-Bereich ein Gesicht geben. Diesen Blickwinkel greift die von der GTZ initiierte Ausstellung „Unser positives Leben – eine Ausstellung von Body Maps aus Afrika, Asien und Deutschland“ auf, die zuvor in London zu sehen war. Innerhalb eines Workshops erarbeiteten HIV-positive Menschen aus Kenia, Indien und Thailand lebensgroße, sehr persönliche und ausdrucksstarke Selbstportraits, sogenannte Body Maps. Die Sammlung umfasst darüber hinaus Geschichten, Fotos und Zeichnungen.
Durch die künstlerisch-therapeutische Auseinandersetzung mit der Thematik werden sachliche Fakten mit persönlichen Geschichten und Lebenswelten angereichert. Diese „Erfahrbarkeit“ von HIV eröffnet neue Einblicke und fördert das Verständnis für Menschen, die mit dieser Krankheit leben.
Im Vorfeld der Ausstellungseröffnung findet in Berlin ein von der DAH organisierter Workshop statt, in dem deutsche Betroffene ebenfalls eine Body Map erarbeiten. So soll ein Austausch der Perspektiven Betroffener aus Partnerländern und aus Deutschland ermöglicht werden.“

Parallel zur Ausstellung „Unser positives Leben“ findet eine Filmreihe statt:
in der Technischen Universität Berlin, Hauptgebäude,
Straße des 17. Juni 135, in Raum H2038
Start am Freitag, den 28. November 2008, 18.00 bis 20.00 Uhr mit dem Film
MEMORY BOOKS – DAMIT DU MICH NIE VERGISST
Deutschland/Schweiz 2008, 94 Min., Regie: Christa Graf

In Uganda schreiben infizierte Eltern, meist sind es die Mütter, mit ihren Kindern so genannte Memory Books, Erinnerungsbücher. Im Bewusstsein der Krankheit setzen sie sich gemeinsam mit ihren Kindern mit dem bevorstehenden Tod auseinander
Die Regisseurin wird bei der Vorführung anwesend sein und für Fragen und Diskussion zur Verfügung stehen.

weitere Filme am 5., 12. und 19. Dezember.

Während der Eröffnungsveranstaltung der Ausstellung am 26. November betonte Christiane Paul, Schauspielerin und nationale Botschafterin des Welt-Aids-Tages, die Ausstellung könne jeder auch zum Anlass nehmen, sich zu fragen welchen Beitrag er/sie selbst gegen Ausgrenzung und für einen anderen Umgang mit Aids leiste.

Hier einige Eindrücke von den ausgestellten Body Maps sowie der Eröffnungs-Veranstaltung am 26.11.2008:

Stabilisierung der Zahl der HIV-Infektionen

In Deutschland leben nach einer aktuellen Schätzung des Robert Koch-Instituts anlässlich des Welt-AIDS-Tages 2008 rund 63.500 Menschen mit HIV oder AIDS. Von ihnen haben sich geschätzte 3.000 im Jahr 2008 infiziert, ähnlich viele Neuinfektionen waren es im Jahr 2007 gewesen. „Die weiterhin hohe Zahl zeigt, dass Prävention und Forschung unverändert wichtig sind“, betont Jörg Hacker, Präsident des Robert Koch-Instituts. Ob es sich nach dem Anstieg der Infektionszahlen zwischen den Jahren 2000 und 2006 um eine dauerhafte Stabilisierung handelt, ist offen. Bei rund 1.100 Menschen haben sich im Jahr 2008 die HI-Viren so stark vermehrt, dass sie an AIDS erkrankt sind. Etwa 650 Menschen mit einer HIV-Infektion sind im Jahr 2008 gestorben.

Das Epidemiologische Bulletin des Robert Koch-Instituts veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe 47/2008 mehrere Beiträge zu HIV/AIDS: eine Analyse der Epidemie in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten, eine Einschätzung zur aktuellen weltweiten Situation, Zwischenergebnisse aus der so genannten HIV-Inzidenz-Studie sowie eine neue Schätzung der „Eckdaten“, die im Internet auch für jedes einzelne Bundesland verfügbar ist. Die Eckdaten enthalten eine Schätzung der Zahl der Personen, die mit einer HIV-Infektion leben (HIV-Prävalenz) und der tatsächlich erfolgten HIV-Neuinfektionen im Jahr 2008 (HIV-Inzidenz).

Unter den 63.500 Menschen, die Ende 2008 mit HIV oder AIDS leben, stellen Männer, die Sex mit Männern haben, mit 38.700 die größte Gruppe. Etwa 8.700 Personen haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert, rund 7.300 Menschen kommen aus so genannten Hochprävalenzregionen und infizierten sich überwiegend in ihren Herkunftsländern und dort bei heterosexuellen Kontakten. Etwa 8.200 HIV-Infektionen gehen auf intravenösen Drogengebrauch zurück.

Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen ist nicht zu verwechseln mit der Zahl der Neudiagnosen. Die Meldungen über Neudiagnosen (die monatlich im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht werden und auch über die Datenbank SurvStat im Internet abrufbar sind) erlauben keinen direkten Rückschluss auf den Infektionszeitpunkt, da HIV-Infektion und -Test zeitlich weit auseinander liegen können. Um das aktuelle Infektionsgeschehen besser bewerten zu können, hat das Robert Koch-Institut die „Inzidenz-Studie“ begonnen, die vom Bundesministerium für Gesundheit finanziert wird. Ziele sind die Bestimmung des Anteils aktueller Infektionen an den gemeldeten Diagnosen und die Erhebung von Faktoren, die das Testverhalten beeinflussen. Außerdem sollen Risikofaktoren und -verhalten ermittelt werden, um gezielte, an aktuellen Trends orientierte Präventionsstrategien abzuleiten.

Das 25-jährige Jubiläum der Deutschen AIDS-Hilfe im Jahr 2008 nimmt das Robert Koch-Institut zum Anlass, einen Blick in die Vergangenheit von HIV zu werfen. Die Ausstellung „Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV“ wird am Standort Seestraße 10 in 13353 Berlin gezeigt. Zu sehen ist unter anderem ein Teil der zwischen 1987 und 2002 an das Robert Koch-Institut gerichteten Briefe zu diesem Thema sowie Schlagzeilen der Presse. Die Eröffnung findet am 1.12.2008 um 16.00 Uhr statt. Die Ausstellung kann werktags zu den üblichen Bürozeiten besucht werden.

(Pressemitteilung des Robert-Koch-Instituts)

weitere Informationen:
RKI: Verlauf und gegenwärtiger Stand der HIV-Epidemie in Deutschland, Ende 2008
RKI: Epidemiologisches Bulletin 47/2008 (pdf)
HIV-Neuinfektionen: Hintergrund-Informationen

HIV-Neuinfektionen – Hintergrund-Informationen

Im Vorfeld des alljährlichen Welt-Aids-Tags am 1. Dezember werden demnächst wieder die Zahlen zu den HIV-Neudiagnosen in die Diskussion geraten. Was steckt hinter diesen Zahlen? Wie kommen sie zustande, und was sagen sie aus? Einige Hintergrund-Informationen …

HIV-Neudiagnosen

HIV-positive Testergebnisse müssen in Deutschland von Laboren und Ärzten pseudonymisiert an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden (Meldung gemäß §7(3) Infektionsschutzgesetz). Anhand der Pseudonymisierung werden Doppel-Meldungen (z.B. Labor und Arzt melden den gleichen Patienten an das RKI) weitgehend bereinigt.
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird gezählt!

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird vom RKI regelmäßig publiziert im ‚Epidemiologischen Bulletin‘ (z.B. der Jahresbericht ‚HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland‘ 2007 im Epidemiologischen Bulletin Sonderausgabe A / 2008, 2. Mai 2008).

HIV-Infektion und HIV-Diagnose können zeitlich weit auseinander liegen. Aus diesem Grund erlaubt die Zahl der HIV-Neudiagnosen keinen direkten Rückschluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Zudem wird die Zahl der HIV-Neudiagnosen z.B. beeinflusst von Faktoren wie das Meldeverhalten der Ärzte oder Angebot und Inanspruchnahme von HIV-Tests (ein massives Bewerben des HIV-Tests in Schwulenszenen einiger Städte führt z.B. fast ’natürlich‘ auch zu einem Anstieg der Tests und damit der Neudiagnosen).

Für Deutschland wurden dem RKI für das Jahr 2007 (Stand 01.03.2008) 2.752 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet (für 2006: 2.643; Zunahme 2007 zu 2006: 4%). Die Zahl der HIV-Neudiagnosen publiziert das RKI im April (gesamt Vorjahr). Der bisher jeweils im Oktober vorgelegte Halbjahresbericht entfällt seit diesem Jahr; allerdings wird das RKI auch dieses jahr wieder ein Welt-Aids-Tag – Bulletin veröffentlichen  (im November; siehe ‚HIV-Neuinfektionen‘).

Im Gegensatz zu HIV-positiven Testergebnissen (pseudonymisierte Meldepflicht) wird die Zahl der Aids-Erkrankungen und Aids-Todesfälle nur freiwillig weitergegeben und vom RKI in einem zentralen Fallregister ausgewertet.

Bei weitem nicht alle Staaten weltweit zählen ihre HIV-Neudiagnosen. Aus diesem Grund werden von internationalen Organisationen wie UNAIDS (der Aids-Organisation der Vereinten Nationen) oftmals keine Daten zu HIV-Neudiagnosen veröffentlicht.

HIV-Neuinfektionen

Das eigentliche Ziel der Überwachung von Infektionskrankheiten ist weniger das Zählen neuer Diagnosen, als das Erkennen aktueller Entwicklungen. Das aktuelle Infektionsgeschehen spiegeln die Zahlen der HIV-Neudiagnosen aus verschiedenen Gründen (s.o.) jedoch nicht direkt wieder.
Da es für die Zahl der HIV-Neuinfektionen keine Zahlen gibt (geben kann), kann diese nur geschätzt werden. Das RKI schreibt selbst hierzu: „Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig.“
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird geschätzt!

Anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 berichtete das RKI im November 2007 über Stand und Entwicklung der HIV-Infektion in Deutschland und schätzte damals die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland für das Jahr 2007 auf „etwa 3.000“ (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47/2007).
Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen 2008 wird das RKI etwa Ende November 2008 veröffentlichen.

HIV-Prävalenz

Die HIV-Prävalenz gibt die Gesamtzahl der lebenden HIV-Infizierten an.
Mitte der 1990er Jahre hatte sich in Sachen HIV-Prävalenz eine Art ‚Gleichgewichtszustand‘ etablierte: die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle hielt sich in etwa die Waage mit der Zahl der HIV-Neuinfektionen. Die Einführung hochwirksamer Therapien beendete dieses ‚Gleichgewicht‘. Die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle sinkt; seit etwa 2000 steigt zudem die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass seit 1995 die Zahl der mit HIV lebenden Menschen in Deutschland langsam zunimmt. Für Ende 2007 schätzt das RKI die Zahl der in Deutschland lebenden HIV-Positiven auf „um 59.000“ (Epidemiolog. Bulletin Nr. 47/2007, s.o.). Die Schätzung für 2008 wird etwa Ende November 2008 veröffentlicht werden.
Diese Schätzung beinhaltet auch die so genannte ‚Dunkelziffer‘ (diejenigen Menschen, die noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen).

HIV-Inzidenz

Die HIV-Inzidenz gibt die Zahl der HIV-Neudiagnosen pro Zeiteinheit an (s.o.).

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Nachtrag
03.12.2008: Bei den Daten zur HIV-Prävalenz ist zu beachten, dass diese nicht direkt zwischen den Jahren vergleichbar sind. Das Robert-Koch-Institut hat die Zahl der HIV-Infektionen in den 1990er Jahren im Jahr 2008 neu berechnet und nachkorrigiert. Dadurch wurden die Zahlen nach oben korrigiert – diese erhöhten Zahlen sind in die Zahlen zur Prävalenz 2008 mit eingeflossen. Aus diesem Grund fällt die Prävalenz 2008 höher aus als die Prävalenz 2007.

Aids entstand am 13. März 1901

„Aids entstand vor 100 Jahren“, so oder ähnlich geht es gerade mal wieder durch die Medien. Bei der Spurensuche, wann und wo Aids entstand, wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Juni 1980. Der Wissenschaftler Michael Gottlieb von der UCLA, informiert in einem Bericht, publiziert im Mitteilungsblatt der us-amerikanischen CDC Centers for Disease Control and Prevention (dem “Morbidity and Mortality Weekly Report”, MMWR) vom 5. Juni 1981, über eine ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen (PcP) bei fünf ansonsten scheinbar völlig gesunden jungen schwulen Männern aus Los Angeles. Offenbar ist das Immunsystem bei den Männern zusammengebrochen.
Gottlieb beschreibt damit erstmals in einer Fachpublikation ein Krankheitsbild, das bald darauf (nach einem Intermezzo namens ‚GRID‘) den Namen AIDS erhalten wird: das Acquired Immune Deficiency Syndrome.
Schon bald nach den ersten Berichten, erst recht nach der Identifikation des auslösenden Virus HIV durch die späteren Nobelpreisträger Montaignier und Barré-Sinoussi, kommt die Frage auf, woher denn diese neue Erkrankung stamme – die Suche nach dem ‚wann entstand Aids‘ beginnt.

1998, auf der Fifth Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, stellen Forscher aus einer Arbeitsgruppe um David Ho (Aaron Diamond Aids Research Center, New York) Ergebnisse vor, aus denen sie schließen, dass HIV erstmals im Kongo 1959 auftrat (abstract 280). Sie hatten in einer Blutprobe eines Mannes aus Kinshasa aus diesem Jahr HIV-Virus-Partikel identifizieren können. Publiziert wurden die Ergebnisse erstmals bereits kurz zuvor in einem Leserbrief an die Zeitschrift Nature.
Bisher gilt die von ihnen analysierte Probe als die älteste zweifelsfrei als HIV-infiziert korrekt datierte Probe.

Nun jedoch kommen Forscher um Michael Worobey (University of Tuscon, Arizona) zu dem Ergebnis, HIV sei vermutlich deutlich früher entstanden. Sie publizierten in der Zeitschrift Nature (Ausgabe vom 2. Oktober 2008) ihre Forschungsergebnisse.

Die Forscher analysierten 27 Gewebeproben aus der Republik Kongo aus den Jahren 1958 bis 1960. In einer Probe aus dem Jahr 1960 wurden sie fündig – in in Paraffin konserviertem Gewebe aus dem Lymphknoten einer Frau konnten sie HIV-Partikel zweifelsfrei identifizieren.

Ein Nachweis des Auftretens von HIV für das Jahr 1960 allein wäre nicht wesentlich bemerkenswert – würde er doch ’nur‘ den Nachweis des zweitältesten bisher belegten Auftretens von HIV bedeuten.

Doch die Forscher gingen einen Schritt weiter. Sie vergleichen die Probe der Frau mit der bisher bekanntesten ältesten HIV-Probe aus dem Jahr 1959. Und stellten dabei zahlreiche deutliche Unterschiede in der HIV-Erbinformation fest. Je größer die Unterschiede zwischen den Viren, desto länger zurück in der Zeit müsse ein gemeinsamer Vorgänger liegen, so ihre Überlegung. Aus dieser Überlegung sowie der Art und Vielzahl der genetischen Unterschiede kamen sie mithilfe einer Art ‚Stammbaum‘ aufgrund evolutionsbiologischer Gesetzmäßigkeiten zu der Einschätzung, dass ein gemeinsamer Vorgänger beider Proben zwischen 1884 und 1924, vermutlich ’nahe dem Anfang des 20. Jahrhunderts‘ existiert haben müsse.

Und warum Aids dennoch erst in den 1980er Jahren als Epidemie begann? Die Forscher bieten mehrere Erklärungsansätze an. Anfang des 20. Jahrhunderts habe es in Afrika nahezu keine städtischen Strukturen gegeben. Menschen seien zwar auch damals an Aids erkrankt und gestorben, es habe aber kaum eine Chance bestanden, das Virus weiterzugeben.
Doch auch politische Hintergründe werden als mögliche Hintergründe angeführt, so der Zusammenbruch des Kolonialismus mit seinen Strukturen. Oder, ein wenig mehr in der Tradition beliebter Verschwörungs-Theorien, das Aufkommen von Einwegspritzen – die in Afrika anfangs, in den 1950er Jahren oft mehrfach verwendet wurden.

Die Suche nach dem Ursprung von Aids begann schon mit jenem ominösen „Patienten 0“ (patient zero), zu dem der kanadische Flugbegleiter Gaetan Dugas fälschlicherweise erklärt wurde. Dass die Herkunft von HIV eher in Afrika zu suchen ist, ist bereits länger deutlich. Durch die neue Arbeit ist nun auch eine neue Zeitspanne zu vermuten, in der HIV entstanden sein könnte.
Dennoch bleibt -bei allem wissenschaftlichen Interesse- die Frage, worin der große Erkenntnisgewinn liegt, nun zu wissen dass HIV eventuell schon 50 Jahre früher als bisher angenommen aufgetreten ist. Wo sind die Nutzen für Prävention und Therapie? Und warum für dieses Thema so viel mediale Aufmerksamkeit?

Bundesregierung: EKAF hat „keine Auswirkungen auf HIV-Prävention“

‚Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern“ hat sich namens der Bundesregierung Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder geäußert. Anlass war eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Höll, Klaus Ernst, Karin Binder, Katja Kipping, Monika Knoche, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion ‚Die Linke‘ vom 22.09.2008 (Bundestagsdrucksache 16/10304, als pdf hier).

In ihrer Antwort formuliert die Bundesregierung ihre Unterstützung für die neue bundesweite Präventionskampagne der DAH „ich weiss, was ich tu!„:

Die Bundesregierung befürwortet die Ausarbeitung und Durchführung der zielgruppenspezifischen Kampagne für die Zielgruppe der MSM durch die DAH.

Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)
Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)

Wichtiger (auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen darüber, wie szene-nahe Kampagnen zu gestalten sind) ist die Antwort auf die Frage „Wie beurteilt die Bundesregierung den Gebrauch von szenetypischen Gegriffen für den sexuellen Kontakt in der Gruppe der MSM im Rahmen einer Präventionskampagne?„. Dr. Schröder antwortet:

„Die Bundesregierung hält die zielgruppenspezifische Ansprache und den Gebrauch von zielgruppenspezifischen Begriffen in der HIV-Prävention weiterhin für richtig und notwendig.“

Auf die Frage, „welche HIV-Präventionsmöglichkeiten gibt es neben dem Kondom und wie könnten diese im Sinne der HIV-Prävention vermittelt werden?“ bemerkt die Bundesregierung u.a.:

„Das Kondom gilt weltweit und auch in der HIV-Prävention in Deutschland als wirksamster Schutz vor der HIV-Infektion. Darüber hinaus gelten die Safer Sex-Regeln …“

… um in Sachen des EKAF-Statements und seiner Beurteilung durch die Bundesregierung zu ergänzen

„Die Stellungnahme der … EKAF und insbesondere ihre Gültigkeit für homosexuelle Sexualkontakte wird weltweit wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert.
Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statement deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Auswirkungen auf die HIV-Prävention, insbesondere auch nicht für homosexuelle Männer. …“

Immerhin, die Bundesregierung sieht Forschungsbedarf:

Untersuchungen sind daher erforderlich zu den Unterschieden zwischen dem Transmissionsrisiko über vaginale Schleimhaut und dem über rektale Schleimhaut unter einer effektiven antiretroviralen Therapie.

… hüllt sich aber hinsichtlich ihrer Ambitionen diese Forschungen auch zu fördern ein wenig im Nebel. Sie verweist auf ein Düsseldorfer Forschungsprojekt zum sexuellen Risikoverhalten sowie RKI-Studien zur Rolle anderer sexuell übertragbarer Infektionen bei HIV. Keine Aussagen zu Forschungen hinsichtlich des EKAF-Statements, stattdessen belanglose Allgemeinplätze:

Sollten Forscherinnen und Forscher darüber hinaus erfolgversprechende Anträge für Forschungsvorhaben einreichen, wird die Bundesregierung die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung sorgfältig prüfen.

Das EKAF-Statement hat keine Bedeutung für die HIV-Prävention, wohl aber die Positiven, meint die Bundesregierung:

„… HIV-Positive können mit ihrem Verhalten zur Nichtübertragung des Virus entscheidend beitragen. Hierfür wird auch ein Klima benötigt, das es HIV-Positiven ermöglicht, offen über ihre Infektion zu sprechen. Dies ist … bis heute nicht ausreichend gewährleistet.

Wie sie dieses bisher ihrer eigenen Ansicht nach nicht ausreichend gewährleistete Klima zu schaffen oder befördern gedenkt (über die iwwit-Kampagne hinaus), dazu äußert sich die Bundesregierung nicht.
Immerhin, der Bundesregierung scheint bekannt, dass es nicht „die homosexuelle Lebensweise“ gibt: Auf die Frage „Wie haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Lebensweisen schwuler Männer verändert?“ antwortet Staatssekretät Dr. Klaus Theo Schröder namens der Bundesregierung

„Die Lebensweisen homosexueller Männer haben sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert. Es handelt sich zudem um eine sehr heterogene Gruppe, die unterschiedliche Lebensweisen führt  …“

Barbara Höll, eine der Initiatorinnen der Kleinen Anfrage, kommentierte in einer Stellungnahme „Erfreut nehme ich die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zur Kenntnis, dass die Bundesregierung das Konzept der strukturellen Prävention (hier: Emanzipation und Akzeptanz schwuler Männer als Voraussetzung für eine erfolgreiche HIV-Prävention) unterstützt und befürwortet. Aber dies steht im Widerspruch zu ihrer eigenen Politik. Die völlige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen wäre umgehend umzusetzen, insbesondere durch das Gleichstellen der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Nur dann wären Schwule, wie auch Lesben, auch rechtlich gleichgestellt und ihre Lebensweisen stärker akzeptiert. Wer die HIV-Prävention bei schwulen Männern stärken will, muss die Akzeptanz schwuler Lebensweisen fördern. Nur ein selbstbewusst schwuler Mann, der gesellschaftlich akzeptiert wird, kann auch erfolgreich HIV-Prävention umsetzen.“

Die vollständige Antwort der Bundesregierung steht hier auf ondamaris als pdf zur Verfügung.

Kurz nach Vorlage ihres Berichts (pdf hier) über den ‚Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften‘ (den TheGayDissenter liebevoll ‚Homophobiebericht‘ betitelt) äußert sich die Bundesregierung auch zur Zukunft der HIV-Prävention bei schwulen Männern.
Zunächst ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung -nachdem sie in der Vergangenheit selbst für einige Stolpersteine gesorgt hatte-
die erste bundesweite HIV-Präventionskampagne der DAH für schwule Männer („ich wiess, was ich tu!“) unterstützt, und dass sie auch zilegruppengerechte Sprache begrüßt.

Erstaunlich, wenn auch nach dem Verhalten in den letzten Monaten zu erwarten, ist dass die Bundesregierung im Statement der EKAF keinerlei Auswirkungen auf die HIV-Prävention sieht. Man könnte den Eindruck bekommen, die Lebensrealitäten schwuler Männer sind hier teilweise weiter als die Einsichtsfähigkeit der Bundesregierung.

Zu begrüßen ist, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass das gesellschaftliche Klima für HIV-Positive bisher alles andere als diskriminierungsarm ist. Auch wenn die Bundesregierung dies leider ausschließlich unter dem Präventions-Aspekt sieht, die Lebensrealitäten von Positiven in der Allgemeinbevölkerung wie auch in den eigenen Szenen ist häufig von Verstecken, Stigmatisierung und Diskriminierung beeinträchtigt (wie gerade wieder das gestern bekannt gewordene Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts zeigt(siehe ‚HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung‘)).
Wenn der Bundesregierung diese Tatsache (des ’nicht ausreichend‘ diskriminierungsarmen gesellschaftlichen Klimas) bekannt ist, ist es allerdings umso erstaunlicher, dass nach dieser Feststellung keinerlei über iwwit hinausreichende Ansätze erkennbar sind, wie denn die Situation von Menschen mit HIV  zum Besseren verändert werden könnte. Möglichkeiten hierzu hätte die Bundesregierung vermutlich genug …

Wissenschaftskrimi um den Aids-Erreger

Die Nobelpreise für Medizin 2008 gehen an drei Forscher, die sich um die Entdeckung von Viren verdient gemacht haben – Harald zur Hausen für die Entdeckung, dass Papilloma-Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung von HIV. Hinter der Auszeichnung der HIV-Entdecker verbirgt sich ein Wissenschafts-Krimi um Intrigen, Prozesse und Profite.

Luc Montagnier und Francois Barré-Sinoussi (Foto: Institut Pasteur)
Luc Montagnier und Francois Barré-Sinoussi (Foto: Institut Pasteur)

Anfang der 1980er Jahre. Zunächst ohne erkennbare Ursachen erkranken junge Männer an einer seltene Form von Lungenentzündung. Die Zahl der Erkrankten wächst ab 1981, vor allem Homosexuelle erkranken. Bald wird eine Immunschwäche als hinter den Erkrankungen liegende Konstellation erkannt. Sie wird mit „GRID“ benannt – „gay related immune deficiency“. Ihre Ursache bleibt zunächst im Dunkel.

1983 – am Institut Pasteur, an dem Luc Montagnier die von ihm 1972 gegründete „Unité d’oncologie virale“ leitet, kann Francoise Barré-Sinoussi nach bereits im Dezember 1982 begonnenen Arbeiten in Zellen, die aus den Lymphknoten von Erkrankten stammen, ein Virus nachweisen. Bald schon vermuten sie, dass dieses Virus der Auslöser der seltsamen Immunschwäche sein könnte. Sie zeigen auf, wie das von ihnen entdeckte Virus in menschlichen Zellen wirkt und legen damit den Grundstein für die Entwicklung von Therapien. Beide beantragen ein Patent – auf einen von ihnen am Institut Pasteur entwickelten Test zum Nachweis dieses Virus. Sie benennen dieses Virus LAV (Lymphadenopathie-assoziiertes Virus).

Ebenfalls 1983 – in den USA. Der Italo-Amerikaner Robert Gallo ist Wissenschaftler der National Institutes of Health (NIH), nach der Entdeckung von HTLV I und II bereits sehr bekannt und nicht minder ehrgeizig als Montagnier. Auch in seiner Forschergruppe wird untersucht, warum manche Menschen plötzlich eine Immunschwäche aufweisen. Gallos Gruppe findet bald – ein Virus, das auch diese Gruppe als Ursache der Immunschwäche erkennt. Gallos Gruppe bezeichnet dieses Virus als HTLVIII, da es der Gruppe der bereits bekannten Humanen T-Zell-Leukämie verursachenden Viren verwandt ist. Auch Gallo beantragt ein Patent – sechs Monate, nachdem dies die französische Gruppe beantragt hat.

1984 – auf einer Pressekonferenz in Washington am 23. April 1984 erklärt Margaret Heckler, Leiterin des HHS (US-Gesundheitsbehörde), Robert Gallo publicityträchtig zum Entdecker des Aids-Erregers, die Arbeiten der französischen Kollegen völlig ignorierend. Gallo wird schon bald ein US-Patent zugesprochen – noch vor den Franzosen.

Montagnier und seine Gruppe waren wohl mehr als irritiert – zumal gerade dieser Herr Gallo im Jahr 1983 eine Probe zu Forschungszwecken aus eben dem Labor des Herrn Montagnier erhalten hat. Hat Gallos Gruppe also nur entdeckt, was Montagniers Gruppe längst gefunden hatte?
Alles purer Zufall, rechtfertigt sich Gallo. Auch als offenbar wird, dass das Virus, mit dem seine Gruppe arbeitet, aus dem Pariser Labor stammte, rechtfertigt er sich, die Pariser Probe habe nur seine Probe verunreinigt.

Bis weit ins Jahr 1987 streiten beide Seiten vor Gericht und in den Medien heftigst um die Frage, wer von ihnen den Aids-Erreger entdeckt hat. Erst Frankreichs Präsident Chirac und US-Präsident Reagan finden im März 1987 zu einer Einigung des Streits – beide werden zu Ko-Entdeckern erklärt, Montagnier in Gallos Patent mit eingetragen und die Patent-Einnahmen geteilt.

Doch Zweifel bleiben, immer wieder wird vermutet, Montagniers Gruppe sei mit ihrem LAV der eigentliche Entdecker des Aids-Erregers, nicht Gallos Gruppe mit ihrem HTLVIII.

Inzwischen gilt in Wissenschaftskreisen längst als weitgehend unbestritten, dass Montagniers Gruppe das alleinige Verdienst zustehe, 1983 den Erreger der Immunschwäche Aids entdeckt zu haben.

Insofern bringt die Verleihung des Nobelpreises für Medizin auch ein Stück Wissenschafts-Krimi zum Abschluss. Montagnier und Barré-Sinoussi werden geehrt, Gallo erhält eine öffentliche Ohrfeige.
Nicht vergessen werden sollte bei den vergangenen wechselseitigen Auseinandersetzungen allerdings, dass es neben einem bedeutenden Preis für eine bedeutende praxisnahe medizinische Forschung, neben viel Ruhm und Ehre auch um finanzielle Interessen, um viel Geld geht – die Patentrechte aus HIV-Antikörper-Tests.

Und der Name? HIV? Nicht LAV oder HTLVIII?
Ja, HIV – das Humane Immundefizienz Virus. Die Namensverwirrung um zwei Namen für ein identisches Virus hält nicht lange an. Eine einheitliche Benennung des Aids auslösenden Virus wird im Mai 1986 beschlossen. Das Internationale Kommittee für Virus-Taxonomie (ICTV) benennt LAV und HTLV III während eines AIDS-Kongresses in Paris um in “Human Immuno Deficiency Virus” (HIV) [siehe auch Rubrik ‚AidsZeiten‚ hier].

Nachtrag:
12.12.2008: Eine Verleihung, die Unruhe auslöst. Hätte auch Gallo dern Preis bekommen sollen? ‚Brauchen wir eine Reform bei den Nobelpreisen?‘, fragt die FAZ im Gespräch mit Reinhard Kurth..

Aids-Beratung per Telefon und Internet

Am 1. Oktober startet die Telefonberatung der Aids-Hilfen unter einer neuen bundeseinheitlichen Telefonnummer.

Unter 0180 / 33 19411 (9 Ct./Min. aus dem deutschen Festnetz) ist ab 1. Oktober 2008 die  telefonische Aids-Beratung zu erreichen.
Die telefonische Beratung ist unter der neuen Rufnummer nun 62 Stunden pro Woche erreichbar: Montag bis Freitag von 9 bis 21 Uhr sowie Sonntag von 12 bis 14 Uhr.

28 Aids-Hilfen entschlossen sich, ab diesem Datum ihre Telefonberatung zusammenzuführen und dadurch  gemeinsam ein breiteres Angebot mit besserer Erreichbarkeit und langfristig gesicherter Qualität zur Verfügung stellen zu können.

Parallel läuft seit langem auch bundesweit die erfolgreiche Internet-Beratung der Aids-Hilfen unter www.aidshilfe-beratung.de.

Duschen statt Rote Beete? – Zeitenwechsel in Südafrika (akt.)

Statt von jemandem, der sich nie klar von Aids-Dissidenten distanzierte und dessen aidspolitische Bilanz fragwürdig bleibt, der Aids wohl letztlich immer für eine Erfindung des weißen Mannes und seiner Pharma-Industrie hielt, der sich eine Gesundheitsministerin leistete die HIV mit Zitronensaft und Rote Beete bekämpfen wollte, wird Südafrika nun bald wohl von jemandem regiert, der zu glauben scheint vor HIV könne man sich mit Duschen schützen …

Auf Thabo Mbeki, der heute seinen Rücktritt bekannt gab, folgt bald wohl Jacob Zuma.
Ein seltsamer Zeitenwechsel in Südafrika
Und dies in einem der weltweiten Brennpunkte der HIV-Epidemie …

Nebenbei, schon im Dezember 2007 monierte TAC, die Treatment Action Campaign, eine „wholesale deterioration in the quality of health amongst people in South Africa“ und forderte, wer immer auch neuer ANC-Chef (und später Staatspräsident) werde, möge „urgently create a new leadership in the Ministry and Department of Healt“.
Oder wird wahr, wie es burnttongue auch unter Verweis auf die Homophobie Zumas kassandrahaft formuliert, ‚Jacob Zuma bringt Unglück und Verderben“?

Nebenbei, der duschende Zuma wäre in ‚guter Gesellschaft‘ … Gambias Diktator Yahya Jammeh behauptet sogar, er persönlich könne Aids heilen.

Nachtrag 23.9.2008: In Folge des Rücktritts Mbekis traten 11 Minister zurück – nicht jedoch die viel kritisierte Gesundheitsministerin Tshabalala Msimang (im Land auch ‚Dr. Rote Beete‘ genannt). Sie teilte mit sie sei ein ‚loyales ANC-Mitglied‘ und habe keinerlei Rücktrittsabsichten.
Nachtrag 25.9.2008: Doch eine neue Gesundheitsministerin – TAC gratuliert Barbara Hogan und bemerkt „She has been one of the few Members of Parliament to speak out against AIDS denialism and to offer support to the TAC, even during the worst period of AIDS denialism by former President Thabo Mbeki and former Health Minister Manto Tshabalala-Msimang.“

Aktualisierung:
SpON 06.05.2009: Parlament wählt Zuma zum neuen Präsidenten
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Termabox

Einer der früheren weltaidstag.de – Blogger ist seit heute „zurück“ – Termabox.

Wir erinnern uns – einst, es ist nicht so arg lange her, gab es ein Blog zu HIV/Aids, auf einem Internetangebot, das gemeinsam von Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), Deutsche Aids-Hilfe (DAH) und Deutsche Aids-Stiftung herausgegeben wird, auf weltaidstag.de.

Spannende Beiträge standen dort zum Teil zu lesen, bewegend, persönliche Eindrücke, Gedanken und Nachdenklichkeiten, Meinung.

Wohl zu viel der Meinung, mehr jedenfalls, als scheinbar aus dem Trägerkreis der Site heraus zu tragen (oder: erträglich?) war.
Ganz ohne Vorankündigung, geschweige denn vorherige Absprache, wurde der Blog abgeschaltet, die auf einzelne Beiträge zeigenden Links führten auf eine langweilige Startseite. Einfach nur Respektlosigkeit den eigenen Authoren gegenüber? Oder ein Akt von Willkür? Gar von Zensur? Ausdruck einer Unfähigkeit, freie auch kritische Meinungsäußerung auszuhalten? Wer weiß,  die eigentlichen Gründe der Abschaltung bleiben bisher im Dunkel …

Doch einer der Autoren ist seit heute erfreulicherweise zurück, und auch mit einem Archiv seiner früheren Beiträge: Termabox nennt sich sein Blog (die tieferen Hintergründe des Namens wird er sicher noch erläutern).

Termabox – willkommen zurück in der Welt der Blogs über das Leben mit HIV!
Klicken, anschauen, lesen 🙂

Aids-Aktionsplan Berlin – viel heisse Luft, oder doch strategischer Aufbruch?

„AIDS-Aktionsplan für Berlin!“ – unter diesem Titel versuchten Vertreter von Aids-Initiativen, Politik und Verwaltung die Zukunft der Aids-Politik in Berlin zu diskutieren.

„Im Jahr 2007 hat die Bundesregierung ihren aktuellen Aids-Aktionsplan vorgestellt. … In der Bundeshauptstadt fehlt bisher ein übergeordneter Aktionsplan, der den neuen Herausforderungen in der Aids-Bekämpfung gerecht wird.“ Mit dieser These war die Diskussion zur zukünftigen Fortentwicklung der Berliner Aids-Politik angekündigt.

Hintergrund der Debatten ist der ‚Integrierte Gesundheitsvertrag‘. Dieser „Integrierte Gesundheitsvertrag“ (pdf hier insbes. ‚Handlungsfeld HIV/Aids ab S. 22, sowie Anlage 9 Projektträger xls) regelt seit einigen Jahren die Förderung von Projekten im Gesundheitsbereich durch das Land Berlin. Er „definiert die vier Handlungsfelder chronische Erkrankungen und besondere gesundheitliche Bedarfslagen; HIV/AIDS, sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatiden, Verbundsystem Drogen und Sucht und einen Innovationsfonds, der Modellprojekte im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention unterstützen soll.“ (Parität Berlin)

Das Gesamtjahresbudget des Integrierten Gesundheitsvertrags ist für 2006 mit 11,15 Mio € angesetzt, mit Kürzungen um 148.000€ pro Folgejahr. 2,175 Mio € des Jahresbudgets (2006) entfallen auf das ‚Handlungsfeld HIV/Aids, Sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatitiden‘.

Der Vertrag trat am 1. Januar 2006 in Kraft mit einer Laufzeit von fünf Jahren – per 1.1.2011 ist also eine Neu-Regelung erforderlich. Vor diesem Hintergrund fanden die von Kai-Uwe Merkenich (Berliner Aidshilfe) moderierte Podiumsdiskussionen im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ statt.

H. Drees, Parität Berlin
H. Drees, Parität Berlin

Heike Drees (Parität Berlin) berichtete über die Evaluation der Aids-Projekte.
Der Bereich HIV/Aids sei der erste der Bereiche des IGV, bei dem eine Evaluation durchgeführt worden sei (März 2007 bis Juni 2008, von Fox GmbH Köln). Diese Evaluation habe zu Empfehlungen geführt:
– als wirkungsorientierte Empfehlung wurde die Entwicklung eines Rahmenkonzeptes vorgeschlagen (politische und strategische Zielsetzungen, künftige Arbeitsschwerpunkte, fachliche Leitlinien, Vereinbarung über Qualitätsstandards, Leistungsbeschreibungen sowie Dokumentationssystem und Berichterstattung);
– als bedarfsorientierte Empfehlung wurden Ausbau, Stärkung und Entwicklung vorgeschlagen (zielgruppenspezifischer Prävention und individueller Handlungskompetenzen (insbesondere für MSM und Migranten), spezifische Hepatitis- und STI-Prophylaxe sowie systemische personenzentrierte Hilfsprozesse).
Im Zeitraum Juli 2008 bis Juli 2009 sollen nun Ziele, Zielgruppen, Aufgabenschwerpunkte und Leistungsbeschreibungen konkretisiert werden, zudem sei die Verbesserung der Dokumentationssystematik geplant.

Drees betonte, es bedürfe ihrer Ansicht nach nicht eines zusätzlichen Aids-Aktionsplans Berlin, wohl aber einer Berliner Strategie zur Umsetzung des nationalen Aids-Aktionsplans. Dazu bedürfe es eines darauf abgestimmten differenzierten Angebots- und Hilfesystems sowie bedarfsorientierter Finanzierung der Projektarbeit bei bedarfsorientierter Weiterentwicklung der Versorgung.

Auf Nachfrage erläuterte Drews, als eines der wesentlichen Probleme habe die Evaluation aufgezeigt, dass bisher Zahlen und Daten der Projekte nicht vergleichbar seien. Hier seien dringend Änderungen erforderlich. Zudem würden Projekte bisher dazu tendieren, unter dem Stichwort ‚Prävention‘ undifferenziert „alles zu machen“, hier sei eine stärkere Konkretisierung und Fokussierung erforderlich. Es müsse klarer werden, welcher Träger für welche Aufgabenbereiche zuständig sei.

Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg
Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg

Dr. Ruth Hörnle (Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung Gesundheitsamt Berlin-Schöneberg) stellte die Arbeit der Gesundheitsberatungen vor.
Nach dem GDG 2006 (Gesundheitsdienste-Reform-Gesetz vom 25.5.2006) sei die Anzahl der Beratungsstellen ab 1.7.2008 reduziert worden auf nunmehr 5 Sozialmedizinische Dienste (vorher 11) und 4 STD/Aids-Beratungsstellen (vorher 6). Sie betonte u.a. die Probleme mit der Beratung und Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Als einen Lösungsansatz bevorzuge sie den Vorschlag eines (in Italien bereits angewandten) ‚anonymen Krankenscheins‘ (Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, siehe auch Abschlussbericht pdf).
Als Ziele benannte Hörnle die langfristige Sicherung der Personalmittel sowie der Sachkosten für die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung sowie die Sicherstellung der Therapie von HIV und Aids für Menschen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung.

Marcel de Groot (LABAS)
Marcel de Groot (LABAS)

Marcel de Groot (Vorstand LABAS Landesverband Berliner Aids-Selbsthilfegruppen e.V. und Geschäftsführer Schwulenberatung e.V.) verwies nach einer umfangreichen Erläuterung der Aufgabenbereichen der Labas-Mitglieder u.a. auf das Problem schwer erreichbarer MSM (MSM = Männer die Sex mit Männern haben). Er betonte die Schwierigkeiten der Labas-Gruppen aufgrund steigenden Aufgaben-Umfangs bei sinkenden verfügbaren Mitteln.

Karin Lompscher
Karin Lompscher

Karin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz,  betonte eingangs, Ursache vieler Probleme sei das fehlende Bundes-Präventionsgesetz (siehe Post ‚Referentenentwurf Präventionsgesetz‚) als Handlungsgrundlage. Sie betonte, dass der Bereich HIV/Aids bisher von Kürzungen und Streichungen weitgehend ‚abgeschirmt‘ worden sei.
Der Integrierte Gesundheitsvertrag habe sich als Modell bewährt und solle prinzipiell beibehalten werden. Allerdings werde es für eine Neuauflage des IGV erforderlich sein, veränderten Rahmenbedingungen zu entsprechen und z.B. neue Zuständigkeiten bei den Handlungsfeldern zu definieren. Gerader angesichts der Haushaltssituation des Landes sei es erforderlich, in die zukünftigen Verhandlungen mit guten inhaltlichen Argumenten zu gehen.

Lompscher verwies auf veränderte Aufgabenstellungen. So sei es sicher richtig, das Problem schwer erreichbarer Gruppen zu benennen. Das allein sei allerdings weder neu, noch reiche es aus. Vielmehr müssten endlich auch Lösungsansätze, die Frage des ‚wie‘ behandelt werden. Zudem sei gerade diese Gruppe (der schwer erreichbaren MSM) bisher auch nicht gerade im Fokus der Arbeit der Projekte – dies müsse sich ändern. Fragen wie die Migration und insbesondere Menschen ohne Papiere / illegaler Aufenthaltsstatus müssten stärker einbezogen werden, aber auch die spezifischen Probleme von Menschen aus einkommensschwachen Gruppen.
Lompscher verwies darüber hinaus darauf, Strukturen innerhalb der Projektelandschaft stärker zu vernetzen, z.B. die Frage, wie ÖGD (Öffentlicher Gesundheitsdienst) und Aids-Projekte besser mit einander kooperieren könnten.

Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)
Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)

Auf Nachfragen aus dem Zuhörerkreis betonte Lompscher, zukünftig sei eine deutlich bessere Bedarfsorientierung der vorhandenen Träger erforderlich. Wenn dies nicht klappe, Rollen nicht ausgefüllt, Dokumentationen nicht erstellt, Daten nicht geliefert werden, stelle sich für sie die „Frage, haben wir die richtigen Träger?“.

Werden Menschen mit HIV und Aids (die ja nicht nur Teil der Zielgruppe, sondern auch Kunden und Verbraucher sind, an den politischen Entscheidungsprozessen für die Weiterentwicklung der Förderpolitik im Aidsbereich beteiligt? Senatorin Lompscher stellte klar, die Einbindung von Positiven in die politischen Prozesse sei nicht nur über die an den Diskussionen ja auch beteiligten Selbsthilfe-Projekte gewährleiste. Sie begrüße zudem auch, wenn Positive selbst direkt ihre Vorstellungen und Interessen formulieren und sich an sie wenden würden.

zum Thema siehe auch die Post-Serie „sexuelle Gesundheit in Berlin„:
1. HIV/Aids in Berlin
2. HIV-Neuinfektionen in Berlin
3. Syphilis in Berlin
4. Hepatitis C in Berlin
5. Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
6. Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dass eine Evaluation der Aids-Projekte und ihrer Arbeit stattfindet, ist zu begrüßen – allerdings sollte in der Konsequenz daraus für einen zukünftigen Gesundheitsvertrag nicht nur eine Fortschreibung des status quo resultieren. Vielmehr wäre eine strategische inhaltliche Weiterentwicklung wünschenswert.

Umso erstaunlicher und frustrierender war es, zu erleben dass Vertreter von Projekten bei einer Diskussion über einen Weiterentwicklung der Aids-Arbeit ihre Beiträge weitgehend darin erschöpfen, ihre vielen Aufgaben aufzuzählen und über fehlende Mittel und die dringende Notwendigkeit von Aufstockungen zu lamentieren. Derlei ist seit Jahren zu hören, und so berechtigt es in einigen Fällen sein mag, es ist ermüdend, nicht ausreichend und bringt eine Diskussion um einen Aids-Aktionsplan nicht gerade nach vorne.

Positiv anzumerken ist, dass zumindest die Senatorin in die Zukunft gerichtete Statements machte, schemenhaft Ansätze einer zukünftigen Entwicklung von Prioritäten und Aufgaben skizzierte – und den Willen zu strategischer Neu-Gestaltung zeigte. Menschen mit HIV und Aids in Berlin sollten die Chance nutzen, sich aktiv in diesen Prozess einzubringen.

 

Virus-Mythen 2: verantwortungslose Schwule

Samstag 13. September 2008, ein recht kleiner Kreis von Menschen diskutiert während der Konferenz ‚HIV im Dialog‘ über die Versorgungssituation HIV-Positiver auf dem Land.
Völlig zusammenhanglos (diskutiert wird gerade die ärztliche Versorgung auf dem Land) ist plötzlich vom Podium, von einem der Referenten der Satz zu hören:

„In Hannover ist es übrigens gerade in Mode, nach Berlin zu fahren um sich infizieren zu lassen.“

Etwaiger lauter Protest ist aus dem Publikum oder vom Podium nicht zu vernehmen.

(Pastor Ernst-Friedrich Heider, / Aids-Pastor, HIV/AIDS-Seelsorger in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Hannovers und Regionalkoordinator Nord des Aktionsbündnisses gegen Aids)

Leider taucht derartiger Unsinn immer wieder in Debatten, Foren, Stammtisch-Runden auf.

Spannend ist ja zunächst, was der Erzähler dieser Märchen damit sagen will.
Sind die Züge von Hannover nach Berlin voll mit jungen attraktiven Menschen, zutiefst bereit sich in Berlin hemmungslos in die Sünde zu begeben, wissentlich darin sich größtes Leid zu holen?
Ist in Hannover so wenig los? Kann man sich gar in Hannover überhaupt nicht mit HIV infizieren und muss dazu reisen?
Oder sind Hannoveraner dazu nur zu unwissend?
Oder die Aids-Hilfe vor Ort besonders unfähig oder untätig?
Oder meint der Erzähler, gerade Berlin sei das große Sünden-Babel Deutschlands? Erst recht für unschuldige Hannoveraner?
Wahr ist vermutlich nichts davon, nicht einmal letzteres.

Indirekt aber wird damit vielleicht ganz anderes gesagt, ob absichtlich oder nicht. Seht her, die Schwulen sind so blöde, so dermaßen verantwortungslos, wenn nicht gar menschenverachtend, die wollen sich sogar schon absichtlich infizieren. Oder: soweit haben wir es schon kommen lassen, dass die Schwulen gar keine Angst mehr vor Aids haben (sondern es toll finden, infiziert zu sein).

Derartige Mythen von  verantwortungslosen Schwulen, ebenso wie der Mythos von verantwortungslosen Positiven immer wieder gerne kolportiert, sind im Kern zutiefst schwulen- und positiven-feindlich.
Sie befördern unterschwellig Diskriminierung und Stigmatisierung – und schaffen ein Klima, das populistische Parolen begünstigt.
Information, Prävention hingegen enthalten derartige Mythen nicht.

Warum werden solche Märchen immer noch laut kolportiert, und das gerade auch auf einem Aids-Kongress? Und niemand widerspricht?

Dass dieses Märchen im aktuellen Fall gerade von einem Kirchen-Vertreter kolportiert wird (auf dessen Internetauftritt zudem steht die Aids-Seelsorge sehe „sich herausgefordert im Kampf gegen Vorurteile und Stigmatisierungen„), hat dazu noch einen besonders faden Beigeschmack. Auch wenn Pastor Heider sich oftmals differenziert äußert und für zahlreiche Projekte (wie z.B. heroingestützte Therapie) einsetzt (und sicher nicht mit ‚Gloria‘ zu vergleichen ist) – ein derartiger Lapsus ist m.E. nicht nur peinlich, sondern unentschuldbar.

AIDS und Armut – ein vernachlässigter Zusammenhang!

Im Folgenden als Dokumentation ein Text des ‚Netzwerk plus e.V. – Das bundesweite Netzwerk der Menschen mit HIV und Aids‘ zum Thema Aids und Armut:

Von HIV und Aids betroffen zu sein bedeutet, wie bei kaum einer anderen Infektionskrankheit, ein überdurchschnittliches Risiko, einen wirtschaftlichen Abstieg hinnehmen und von Sozialtransfer-Leistungen leben zu müssen.

Die Mehrzahl der Menschen mit HIV und Aids wird von der Krankheit in jungen Jahren getroffen, in denen Gesunde Vermögen aufbauen und für ihr Alter vorsorgen. Dank der verbesserten Lebenserwartung steigt auch die Zahl älterer Menschen mit HIV und Aids. Viele HIV-Positive werden bis an ihr Lebensende auf Hartz IV oder Grundsicherung angewiesen sein. Die Bemessung dieser Leistungen fällt jedoch immer rigoroser aus, trotz steigender Lebenshaltungskosten und immer neuer Kürzungen im Gesundheitssystem. Die Mehrbedarfszuschläge für Ernährung, Hygiene und Kondome sind – wenn sie denn überhaupt in Anspruch genommen werden – seit über zehn Jahren nicht mehr angehoben worden. Nicht einmal ein Inflationsausgleich wurde vorgenommen.

Angesichts dieser Lage verzichten viele Betroffene schon seit Jahren auf kleine Extras wie eine Reise oder eine besondere Anschaffung. Die überwiegende Mehrheit lebt allein. Zur Armut kommt dann oft noch die soziale Isolation hinzu. Wenige der Betroffenen haben die Energie, für ihre Bedürfnisse mit politischen Forderungen einzutreten.

Es gibt kaum genaue Zahlen darüber, wie stark Menschen mit HIV und Aids von materieller Not betroffen sind, aber sicher ist: Leben mit der HIV-Infektion geht häufig einher mit Armut und sozialer Ausgrenzung. Netzwerk plus erwartet deshalb von der Deutschen AIDS-Hilfe, dass sie sich künftig intensiver mit den wirtschaftlichen Folgen von HIV und Aids für die davon betroffenen Menschen befasst und darauf in der Öffentlichkeit stärker aufmerksam macht. Eine konkrete Hilfe wäre es beispielsweise, die Arbeit der regionalen Aidshilfen zur Linderung von sozialen Notlagen zu erfassen und zu dokumentieren.

Menschenbilder

Prof. Dr. Rita SüßmuthProf. Dr. Rita Süßmuth sprach am 20.6.2008 im Rahmen der Ethik- Konferenz über das Thema „Gender und Aids“.

Rita Süssmuth (geb. 17.2.1937) war u.a. in den entscheidenden Jahren von 1985 bis 1988 Bundesministerin für Gesundheit. In ihre Zeit als Ministerin fallen die großen Streits zwischen repressiver und aufklärerischer Aids-Politik, fiel die Entscheidung, Information und Beratung zu Grund- Bausteinen des Umgangs mit HIV und Aids in Deutschland zu machen.
Von 1987 bis 2002 war Rita Süssmuth Mitglied des Deutschen Bundestags, 1988 bis 1998 Präsidentin.

Einige ihrer bemerkenswerten Gedanken aus Süssmuths Rede auf der Ethik-Konferenz:

„… auch ein irrendes Gewissen hat eine Berechtigung …“

“ … das Menschenbild, der Mensch sei von Natur aus böse, ist tief in die politische Ethik eingegangen. Zum Beispiel in der Vorstellung, dem Einzelnen nicht zu viel Freiraum zuzugestehen, selbst die Grundrechte immer wieder zu relativieren.“

… wertschätzen, „was denn sexuell anders lebende Menschen an Bereicherung sein können …“ … „auch was alles mit dem Männlichkeitsideal nicht verbunden sein muss … das ist mir wichtig, das immer wieder zu sagen“ …

Ethikkonferenz – Autonomie als heißes Eisen

Ethikkonferenz 2008Die Konferenz „HIV/Aids – Ethische Perspektiven“ fand vom 19. bis 21. Juni 2008 in Frankfurt am Main statt.

Die Veranstalter betonten vorab „die Auseinandersetzung mit HIV und Aids berührt nicht nur medizinische und soziale Themen, sondern wirft grundlegende ethische Fragen auf.“ Und „die Organisatoren bieten erstmalig Experten aus Wissenschaft und Medizin sowie aus Politik und dem Bereich der Selbsthilfe ein Forum, um gemeinsam über Verantwortung, Werte und Einstellungen von Individuum und Gesellschaft angesichts der vielschichtigen mit HIV und Aids verbundenen Probleme diskutieren zu können.“

„Heiße Eisen anfassen im Sinne der Bürger-Universität“ – mit diesem Ziel sowie dem Anspruch „von einander lernen, Neues denken“ begrüßte Prof. Alkier die Teilnehmer der Ethik-Konferenz in der Johann Wolfgang Goethe Universität in Frankfurt am Main. Prof. Asmus betonte das große Maß an Autonomie, das die Universität seit ihrer Umwidmung als Stiftungs-Universität ab 1. Januar 2008 habe. Autonomie – ein Thema, das noch des öfteren im Verlaufe der Konferenz aufscheinen sollte …

Marion Caspers-Merck auf der Ethikkonferenz 2008Marion Caspers-Merk, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheits-Ministerium (BMG), betonte, auch damals, Ende der 1980er Jahre, habe es die Frage gegeben wie viel Freiheit möglich sei, wie viel Verantwortung gebraucht werde. Deutschland habe inzwischen längst eine weltweit anerkannte Präventions-Strategie, die deutsche Aids-Politik sei erfolgreich trotz eines leichten Anstiegs der Neu-Infektionen. Caspers-Merck betonte, Prävention sei nur partizipativ mit den Betroffenen möglich, dies solle Aidshilfe garantieren – und zugleich sei diese partizipative Einbindung heute notwendiger denn je. Denn erforderlich sei nachhaltige Prävention, und dies in Zeiten, in denen die Prävention vor neuen Herausforderungen stehe.
Wie viel Freiheit ist möglich, dies sei immer wieder Thema. Das Spannungsverhältnis zwischen Freiheit einerseits und Verantwortung des Einzelnen andererseits gelte es immer wieder neu auszutarieren.
Dies werde auch am Beispiel des Statements der EKAF deutlich. Die Daten seinen an Heterosexuellen in festen Paarbeziehungen erhoben worden – und würden heute dargestellt, als ob sie für alle gelten. Dies sei derzeit eine schwierige Kommunikationslage – denn dies sei nur eine Hoffnung für sehr wenige, nicht gültig für viele.

Prof. Pott Ethikkonferenz 2008Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), betonte die langjährige gute Zusammenarbeit mit der Deutschen Aidshilfe (DAH) seit nunmehr 23 Jahren – „ohne die Aidshilfe jemals zu beeinflussen“. Die Entscheidung (Ende der 1980er Jahre), statt einer Ausgrenzungs- auf eine soziale Lern-Strategie zu setzen, sei auch damals eine politische und ethische Entscheidung gewesen. Es gehe immer wieder darum, dass der Staat seine Verantwortung wahrnehmen müsse – partnerschaftlich gemeinsam mit Organisationen der Zivilgesellschaft. Dabei müsse Prävention immer eine ‚Strategie der kleinen Schritte‘ sein. ‚Drastische Botschaften‘ hingegen, so Pott, seien ebenso wie jede Dämonisierung in der Regel mit Diskriminierung, Ausgrenzung und Schuldzuweisungen verbunden.
Die derzeitige Situation zu HIV in Deutschland sei das Ergebnis einer langjährigen Präventionsstrategie, die die Bundesregierung immer unterstützt habe – Pott stellte die Frage in den Raum, was heute wäre, wenn dies nicht der Fall gewesen wäre. Gerade heute seien aktuelle „Entwarnungs-Effekte gefährlich“, meinte sie mit Blick auf das Statement der EKAF.

Braucht man eine derartige Konferenz? Zu diesem Thema? Jetzt (noch), zu einer Zeit, da HIV und Aids schon 25, 30jähriges Jubiläum‘ feiern‘? Viele kritische Fragen waren im Vorfeld an die Konferenz gerichtet worden. Man brauchte sie, so viel lässt sich nach der Konferenz sagen – vielleicht hätte einiges anders sein können, aber die Konferenz zeigte nur zu deutlich, dass großer Gesprächsbedarf besteht, dass die Lücken groß sind, zwischen universitärer Forschung und Praxis der Aidshilfen, aber auch zwischen Politik und Lebenspraxis der Menschen mit HIV und Aids.

„Wie viel Freiheit ist möglich?“, Marion Caspers-Merck wies in ihrer Rede auf ein bedeutendes Thema hin. Erstaunlich – denn gerade aus dem Gesundheitsministerium meint man Signale zu vernehmen, dass nicht alles offen kommuniziert werden solle, was derzeit an Erkenntnis vorliegt – eine Haltung, die mir eher anti-freiheitlich scheint.
Bemerkenswert auch ihr Gedanke der Notwendigkeit, Betroffene partizipativ einzubinden. Meint man doch parallel Zeichen zu erkennen, die eher in Richtung einer stärkeren Gängelung der DAH deuten.
Bei ihren Aussagen zum Statement der EKAF fragten sich einige Besucher, wo denn ACT UP bleibe … erstaunlich, dass solche Worte auf einer Konferenz, bei der Aidshilfe immerhin Mitveranstalter ist, nahezu unkritisiert gesagt werden konnten.

Prof. Potts Äußerungen, die BzgA arbeite erfolgreich mit der DAH zusammen, „ohne diese jemals zu beeinflussen“, konnten nach Caspers-Mercks Worten wie auch gewissen Vorgängen der letzten Monate nur Heiterkeit auslösen. Unklar blieb ein wenig, ob Pott dies freiwillig oder unfreiwillig ironisch meinte. Ob ihre Deutung der Prävention als ‚Strategie der kleinen Schritte‘ die derzeitige Zaghaftigkeit ausreichend erklären vermag? Oder gerade erst (v)erklären soll?
Angesichts des Statements der EKAF von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ zu sprechen, erschien schließlich einigen positiven Teilnehmern wie ein Affront – wieder stand die Frage nach ACT UP unsichtbar im Raum …

Dass Maja Czajka, Vorstandsmitlgied der DAH, in ihrem Statement formulierte „es geht schließlich immer nur um Haltung“, mochte angesichts der fehlenden Haltung der DAH in Sachen EKAF dann nur noch als weiterer satirischer Beitrag erscheinen …