Pharma-Werbung – weniger sympathisch, weniger Vertrauen erweckend?

Wird eine Anzeige als von der Pharma-Industrie geschaltet wahrgenommen, kann dies einher gehen mit reduziertem Vertrauen und Sympathie, zeigt eine US-Studie.

Die Forscher untersuchten in den USA Eltern (544) von Jungen im Alter zwischen 11 und 17 Jahren, die an einem online-Experiment teilnahmen. Sie sahen eine Anzeige, die für eine Impfung gegen Humane Papilloma-Viren bei Jungen wirbt; der (hypothetischen) Werbung wurde auf Zufalls-Basis ein Logo zugeordnet. Während des Betrachtens der Anzeige sollten die Eltern die Anzeige beurteilen hinsichtlich Vertrauen, Sympathie sowie Motivation für eine HPV-Impfung.

Wer schaltete die (hypothetische) Anzeige? 62% der Teilnehmer identifizierten die Anzeige die sie jeweils sahen korrekt als von der Pharma-Industrie geschaltet, bei anderen Quellen lag die Rate korrekter Identifizierung nur bei 25%. Eltern, die eine Anzeige ohne Logo betrachtet hatten, hielten diese zu 60% für eine Anzeige der Pharma-Industrie.

Bei denjenigen Eltern, die die Quelle der Anzeige korrekt identifiziert hatten, führte eine als Pharma-Anzeige identifizierte Werbung zu einer verminderten Motivation, ihren Sohn impfen zu lassen; diese Assoziation ging einher mit vermindertem Vertrauen in und Sympathie für die jeweilige Anzeige.

Das Resümee der Forscher im BMJ unter anderem: Organisationen der Gesundheitsförderung sollten darauf achten, dass ihre Anzeigen nicht für von der Pharma-Industrie gesponsorte Anzeigen gehalten werden:

„Parents were more accurate in identifying drug company advertisements, primarily because they tended to assume any advertisement was from a drug company. Public health organizations may need to take special measures to ensure their messages are not perceived as sponsored by drug companies.“

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Reichsreklame-Messe, welche hier augenblicklich eine grosszügige Ausstellung unterhält. Der "Konditor" als Reklame einer Tortenfabrik. Quelle: Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 102-01344
Reichsreklame-Messe, welche hier augenblicklich eine grosszügige Ausstellung unterhält. Der "Konditor" als Reklame einer Tortenfabrik. Quelle: Wikimedia / Deutsches Bundesarchiv (German Federal Archive), Bild 102-01344

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Eine Untersuchung, die – übertragen auf HIV/Aids – zu denken geben sollte. Nicht nur der Pharma-Industrie, sondern auch manchen Aids-Organisationen – welche Werbe-Optik verwende ich in Anzeigen, bei Aids-Kampagnen? Wie wichtig ist es, eine klarer, eigene unverwechselbare Identität zu haben? Wie viel Pharma-Nähe tut gut? Wie viel Sponsoring tut der eigenen Glaubwürdigkeit gut?

Und die auch zu weiterem Nachdenken inspirieren könnte. Welche Auswirkungen können welche Formen der Zusammenarbeit mit Pharma-Industrie z.B. für Aids- Selbsthilfegruppen haben? Fördern sie Sympathie und eigene Glaubwürdigkeit – oder tragen sie gar potentiell zu deren Erosion bei?

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Pepper JK, Reiter PL, McRee AL, Brewer NT.: Advertisements Promoting Human Papillomavirus Vaccine for Adolescent Boys: Does Source Matter? (zuerst online veröffentlicht in Sex Transm Infect 1 June 2012 vol. 88 no. 4 264-265 ; Abstract auf PubMed; veröffentlicht im BMJ [via CDC NPIN]; Beispiel-Anzeige auf BMJ als pdf hier)

Umsatz mit Aids-Medikamenten weltweit 2009 und 2010

Das umsatzstärkste Aids-Medikament weltweit war im Jahr 2010 Atripla® des Pharmakonzerns Gilead. Auf Platz 2: Truvada®, ebenfalls von Gilead.

Nahezu 3 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielte der Pharmakonzern Gilead im Jahr 2010 allein mit seinem Aids-Medikament Atripla® (2.927 Mio. $ 2010 gegenüber 2.382 Mio. $ 2009, plus 23%). Auf Platz zwei der umsatzstärksten Aids-Medikamente weltweit: das ebenfalls von Gilead vertriebene Truvada® mit einem Umsatz von 2.650 Mio. $ (plus 6,4% gegenüber 2.489 Mio. $ 2009).

Auf den weiteren Plätzen der Umsatz-Statistik 2010: Sustiva® (BMS) mit 1.368 Mio. $ (+7,1% gegenüber Vorjahr), Kaletra® (Abbott) mit 1.255 Mio. $ (minus 8,2%) und Isentress® (Merck/MSD) mit 1.090 Mio. $ (+45%). Es folgen Kivexa / Epzicom® (die Kombination aus den Wirkstoffen Abacavir und Lamivudin wird in den USA unter dem Handelsnamen Epzicom®, in den meisten anderen Staaten unter dem Handelsnamen Kivexa® vermarktet) mit 860 Mio. $ (+0,9%), Prezista® mit 857 Mio. $ (+45%), Viread® mit 732 Mio. $ (+9,7%) und Combivir® mit 563 Mio. $ (minus 15%).

Nooch im Jahr 2006 waren Truvada® (Gilead) und Kaletra® (Abbott) die beiden umsatzstärksten Aids-Medikamente weltweit.

Daten für die Umsätze des Jahres 2011 liegen noch nicht vor.

(Quelle der Daten 2009 & 2010: Statista, zitiert hier)

PrEP: Aids und die Rolle der Pharma-Industrie – ein Traum wird wahr …

PrEP: Aids und die Rolle der Pharma-Industrie – ein Traum wird wahr …

Aids-Organisationen und Aids-Medikamente herstellende Pharma-Industrie arbeiten oftmals eng zusammen. Zu eng? Einige Aids-Organisationen bemühen sich, kritische Punkte (wie das potentielle Risiko von Einflussnahmen auf Inhalte und Positionen) zu umgehen, zu thematisieren oder mit ihnen gezielt umzugehen, z.B. indem sie entsprechende Richtlinien erarbeiten. Andere haben keinerlei Regelungen. Manchmal scheint selbst das entsprechende Problembewußtsein gering ausgeprägt zu sein.

Doch selbst wenn Richtlinien zum Verhältnis von Aids-Organisationen und Pharma-Industrie vorhanden sind: diese lösen das strukturelle Problem nicht: Aids-Organisationen (die i.d.R. auch in der HIV-Prävention engagiert sind) und Aids-Medikamenten-Hersteller (die eher an der Behandlung derer verdienen, die sich infiziert haben) stehen auf „getrennten Seiten des Tisches“, haben im Kern völlig unterschiedliche, wenn nicht konträre Interessen.

Der langjährige Aids-Aktivist Mike Barr (u.a. lange Herausgeber von ‚TAGline‘ und ‚POZ‘-Autor) wies 2009 in einem Interview mit dem Schwulen-Magazin ‚Frontiers LA‘ (online auf critpath) auf diesen Interessenkonflikt hin, der dem Verhältnis von Aids-Organisationen und Pharmaindustrie innewohnt:

„Successful prevention efforts are seen as ‘threats’ to earnings, and the leitmotif sprinkled over and over again throughout their strategic plans is ‘guarding against sales erosion.’ These are the same folks who fund and fly and feed just about every high-profile AIDS research, every AIDS clinician, every AIDS educator, every AIDS activist, every AIDS foundation in this country. If that doesn’t make the hair stand up on the back of your neck …“

Erfolgreiche HIV-Prävention bedroht potentiell den Umsatz und damit den Gewinn der Hersteller von Aids-Medikamenten. Ein nahezu nie offen ausgesprochener, zudem selten thematisierter Konflikt zwischen Pharmaindustrie und Prävention.

Doch diesen strukturellen Konflikt scheint die Pharmaindustrie bald ‚elegant umschifft‘ zu haben: indem sie danach trachtet, auch die Prävention zu übernehmen – mit ihren Medikamenten.

„treatment as prevention“ und PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe): Aids-Medikamente werden eingesetzt bei ‚Gesunden‘, sprich  Nicht-HIV-Infizierten.

Ein Traum vieler Pharma-Marketing-Manager wird wahr. Schließlich ist das Potential der Gesunden viel größer als das der Kranken – und damit auch der potentielle Umsatz …

Und der strukturelle Konflikt zwischen Präventions-Organisationen und Arzneimittel-Herstellern wäre auch gelöst – zugunsten der Pharma-Industrie …

… es sei denn, die Geschichte von der Pharma-Industrie und den Pillen der Prävention nimmt noch eine andere Wendung …

ViiV Healthcare: wie ist die Zukunft des zweitgrößten Herstellers von Aids-Medikamenten?

Der Pharmakonzern GlaxoSmithKline wird sich „nicht unmittelbar“ vom Aids-Medikamenten-Hersteller ViiV trennen, so der Vorstandsvorsitzende des Konzerns.

Zeichnet sich ein neuer größerer Umbruch am Markt für Aids-Medikamente ab? Der Chef des Mehrheits-Eigners von ViiV Helathcare zeigt sich „offen“ und „aufgeschlossen“ für eine Abspaltung des Unternehmens, auch wenn diese „nicht unmittelbar“ bevor stünde. Man habe „alle Optionen“. Bereits im November 2010 hatte ein hoher GSK-Manager einen Börsengang von ViiV für möglich erklärt.

Spekulationen über einen etwaigen Börsengang von ViiVV waren aufgekommen, als Ian Read, der Chef des Pharmakonzerns Pfizer ankündigte, er überlege sich von einigen Geschäftsbereichen zu trennen.

Die Pharmakonzerne GlaxoSmithKline (GSK) und Pfizer hatten erst im Mai 2009 angekündigt, ihre Aids-Aktivitäten in einem gemeinsamen Unternehmen ‚ViiV Healthcare‘ zu bündeln. Im November 2009 hatte das Joint Venture ViiV den Betrieb aufgenommen. GSK hält 85% der Anteile an diesem gemeinsamen Unternehmen, Pfizer 15%.

Der britische Pharmakonzern GSK ist einer der fünf größten Pharmaunternehmen weltweit. Eine Abspaltung des Aids-Medikamente-Herstellers ViiV vom Konzern GSK könnte auch bedeuten, dass ViiV nicht mehr auf die umfangreichen Forschungs- und Finanzierungs-Möglichkeiten des Konzerns zurück greifen kann.

ViiV bezeichnet sich selbst auf seiner Website als Spezialist für HIV und Aids:

„Our aim is to take a deeper and broader interest in HIV/AIDS than any company has done before and then take a new approach to deliver effective and new HIV medicines as well as support communities affected by HIV.“

Analysten konstatieren, ViiV könne sich als unabhängiges, auf Aids spezialisiertes Unternehmen besser positionieren gegenüber Gilead Sciences, einem der größten Hersteller von Aids-Medikamenten. Der Pharmakonzern GSK könne im Fall einer Trennung von seinem Aids-Bereich seine Gewinnentwicklung deutlich verbessern.

Einst ein kleines unbedeutendes Pharma-Unternehmen (es wurde 1987 als ‚Oligogen gegründet), ist Gilead Sciences innerhalb weniger Jahre zu einem der bedeutendsten Hersteller auf dem Markt der Aids-Medikamente aufgestiegen. Heute ist Gilead der Markt-Führer bei Aids-Medikamenten, gefolgt von ViiV Healthcare.
Gileads Anteil am weltweiten Markt für Aids-Medikamente wird auf derzeit zwischen 30% und 40% geschätzt. Der Anteil von ViiV bewegt sich eigenen Angaben zufolge bei 19%.

Experten beziffern den Wert des globalen Marktes für Aids-Medikamente auf ca. 12 Milliarden US-$ (2009). Den größten wertmäßigen Anteil haben die USA (ein traditionelles Hochpreis-Land für Medikamente), auf dem zweiten Platz liegt die EU (ebenfalls überwiegend hochpreisige Märkte). Die weit überwiegende Mehrzahl der HIV-Positiven leben in weniger entwickelten Staaten insbesondere des Afrikas südlich der Sahara, Asien sowie Osteuropa. Hier lassen sich jedoch für Pharmakonzerne (u.a. aufgrund Patentregelungen, Generika-Einsatz) wenn überhaupt nur geringere Gewinnmargen realisieren.

Der Markt für Aids-Medikamente ist in den letzten Jahren von großen Umwälzungen und Konzentrationen gekennzeichnet. So teilte der Pharmakonzern Hoffmann-LaRoche Mitte 2008 an, seine Aids-Forschung einzustellen.

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Sollten sich GSK und Pfizer von ViiV durch einen Börsengang trennen, entstünde ein unabhängiges neues Unternehmen auf dem Markt der Aids-Medikamente-Hersteller.

Doch – was Analysten als Möglichkeit zu einer besseren Positionierung gegenüber Wettbewerber Gilead preisen, birgt auch Gefahren. Wie groß wird ein solches Unternehmen, welche Kapitalkraft wird es haben z.B. um auch mehrjährige kostenintensive Forschung und Entwicklung von neuen Substanzen zu leisten?

Und – wenn doch der Markt so lukrativ sei, wie die Analysten-Worte suggerieren, warum sollte GSK sich dann von einer solchen Perle trennen?

Andere Aussagen von Analysten weisen wohl eher den Weg. GSK könne seine eigene Gewinnentwicklung durch eine Trennung vom Aids-Bereich verbessern, konstatieren Analysten. Wird Forschung und Herstellung von Aids-Medikamenten als „Klotz am Bein“ betrachtet? Haben – berechtigte – Forderungen nach bezahlbaren Aids-Medikamenten dazu geführt, dass – möglicherweise weniger gerechtfertigte oder überzogene – Gewinnerwartungen von Analysten nicht mehr so ausgeprägt erfüllt werden können?

GSK-Chef Witty bestätigt indirekt; man habe „alle Optionen“ – „um den höchsten Wert für die Aktionäre zu schaffen“.

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weitere Informationen:
Reuters 05.05.2011: GSK CEO says no short-term plan to divest HIV unit
FiercePharma 06.06.2011: GSK chief ‚open-minded‘ about ViiV spinoff
Market Research News 14.03.2011: The HIV/AIDS Market Outlook to 2015: Competitive landscape, market size, pipeline analysis and growth opportunities
Reuters 22.07.2010: Interview: ViiV sees one new HIV product a year by 2012
Reuters 09.11.2010: Glaxo says future IPO possible for ViiV
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Birgit Fischer wird neue vfa-Haupt- Geschäftsführerin

Birgit Fischer wird zum 1. Mai 2011 neue Hauptgeschäftsführerin des Verbands forschender Arzneimittelhersteller (vfa). Fischer ist derzeit Vorstandsvorsitzende der mitgliederstärksten gesetzlichen Krankenkasse, der Barmer GEK. Zuvor war sie unter anderem Gesundheits- und Sozialministerin des Landes Nordrhein-Westfalen sowie Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion in Nordrhein-Westfalen. Sie folgt damit Cornelia Yzer, die – wie bereits kommuniziert – den vfa nach 15 Jahren erfolgreicher Arbeit verlassen wird, um sich einer neuen beruflichen Aufgabe zu stellen.

Birgit Fischer (Foto: vfa / Barmer GEK)
Birgit Fischer (Foto: vfa / Barmer GEK)

„Wir sind sehr froh, dass wir mit Birgit Fischer eine erfahrene und ausgewiesene Gesundheitsexpertin für den vfa gewinnen konnten. Sie ist eine überaus kompetente Ansprechpartnerin für Politik und Gesellschaft und wird die Positionen unseres Verbandes mit viel Sachverstand und Engagement vertreten“, erläutert der vfa-Vorsitzende Dr. Wolfgang Plischke die Personalentscheidung. Mit Birgit Fischer solle, so Plischke, der Dialog des vfa mit allen Akteuren der Gesundheitsbranche weiter intensiviert werden.

„Wir brauchen in Deutschland ein gemeinsames Bündnis für Gesundheit. Es geht im Kern darum, mit allen Beteiligten im Gesundheitswesen zum Wohle der Patientinnen und Patienten die Versorgungsqualität zu sichern und Innovationen zu fördern. Deswegen freue ich mich sehr auf die anstehenden Aufgaben“, sagte die designierte vfa-Hauptgeschäftsführerin. Das Gesundheitswesen befinde sich, so Fischer weiter, im Umbruch. Notwendig sei deswegen ein neues gemeinsames Verständnis aller Beteiligten im Gesundheitswesen über Perspektiven und mögliche Problemlösungen sowie verlässliche Bemühungen um Kooperationen.

Zur Person: Birgit Fischer wurde am 4. Oktober 1953 in Bochum geboren. Nach Abschluss des Studiums sowie beruflichen Stationen im Bildungswesen und im öffentlichen Dienst war sie von 1991 bis 1998 Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Landtagsfraktion und von 1998 bis 2005 Gesundheits- und Sozialministerin des Landes Nordrhein-Westfalen. Zwischen 2005 und 2007 gehörte sie dem Präsidium der Bundes-SPD an. 2007 wechselte sie zur Barmer GEK Krankenkasse. Fischer ist Mitglied des Hochschulrates der Ruhr-Universität Bochum, Mitglied des Hochschulrates der Deutschen Sporthochschule in Köln sowie Mitglied im Präsidium des Evangelischen Kirchentages. Sie ist verheiratet und hat einen Sohn.

(Pressemitteilung des vfa)

Eine Personalie, die überraschte – und bereits erstaunte Reaktionen auslöste. „Seitenwechsel“, kommentierte SpON.

Larry Kramer: Aids – eine Pest, die bewusst zugelassen wurde

Aids ist die neue Pest – und die Verantwortlichen haben sie bewusst zugelassen, beschönigen und belügen uns. Mit starken Worten kritisiert US-Autor und Aids-Aktivist Larry Kramer die Situation 30 Jahre nach Beginn der Aids-Krise.

„Ich möchte dein Herz brechen – aber ich befürchte, nach dem Lesen werden mehr Menschen sauer auf mich sein als mir zustimmen.“ So beginnt der Autor, Gründer von ACT UP und langjährige US- Aids-Aktivist Larry Kramer einen Kommentar auf den Internetseiten des US-Nachrichtensenders CNN.

Larry Kramer (Foto: actup.org)
Larry Kramer (Foto: actup.org)

Kramer beschreibt in seinem Kommentar zehn „Realitäten“:
1. Aids sei in jeder Hinsicht eine Pest, eine Plage – nur traue niemand sich, dies auch auszusprechen.
2. Zu viele Menschen empfänden explizit Hass gegen diejenigen, die von Aids am meisten betroffen seien: Schwule und Farbige.
3. Ebenso würden zwei Bevölkerungsgruppen als geradezu entbehrlich betrachtet: Menschen, die nicht Sex haben auf die gleich Weise wie sie [die Mächtigen], und Menschen die Drogen nehmen um eine Welt besser aushalten zu können, die sie als elend empfinden.
4. Aids hätte nicht zu einer Plage werden müssen – es wurde aber hingenommen, dass dies geschieht.
5. Aids ist eine Plage, die nicht verschwinden wird. Sie wird schlimmer.
6. Es gebe keine Heilung, und die zur Erforschung einer Heilung eingesetzten Mittel  seien äußerst gering – bezeichnend für ein Land und eine Welt, die diese Plage nicht beenden wollten.
7.Es gebe keinen Anreiz für Pharmaunternehmen, eine Heilung zu finden – sie verdienten Milliarden mit Medikamenten zu stark überhöhten Preisen, die HIV-Infizierte nehmen müssen. Medikamente, die uns (so Kramer) nur am Leben lassen, aber gerade noch infiziert genug, um möglicherweise andere zu infizieren.
8.  Alle Präventionskampagnen bisher seien „zu dumm, nutzlos, feige“ um irgend etwas zu bewirken.
9. Weder in den USA noch sonst irgendwo auf der Welt gebe es unter den Verantwortlichen jemanden Nützliches, und dieser Mangel an anständigen, verantwortungsvollen und humane Führern bestehe seit Beginn der Epidemie 1981. Diejenigen in Verantwortung belügen uns (nach Kramers Ansicht); er betrachte sie als Mördern gleich.
10. Inzwischen sei einer von fünf schwulen Männern in den USA HIV-positiv, und über 50% davon wüssten es nicht. So wie sich die Situation entwickele, könnten bald alle Schwulen der USA HIV-positiv sein – und einer Reihe von Menschen würde dies gefallen.

Trotz all dieser erschreckenden Fakten und Aussagen – niemand rege sich auf. Die Herrschenden belügen uns wenn sie behaupten, die HIV-Epidemie sei unter Kontrolle,  allerdings sei HIV zu kompliziert, um es auszurotten.

Wir sollten ihnen, so Kramer, nicht glauben, aus einer Vielzahl von Gründen (die er einzeln benennt, von fehlenden Heirats- und Adoptions-Rechten bis fehlender Chancengleichheit).

Die Aids-Plage finde jetzt statt. Dieser Plage wurde es absichtlich erlaubt stattzufinden. Der Hass finde immer wieder erneut einen Weg.

Bei einigen US- Aids-Aktivisten stößt Kramers Kommentar auf Zustimmung. So kommentierte Eric Sawyer, endlich spreche mal jemand die Wahrheit aus. Andere wiesen darauf hin, dass Kramer Themen außer acht gelassen habe, wie die Kriminalisierung HIV-Positiver.

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Larry Kramer ist u.a. auch der Gründer von ACT UP. In Deutschland und (bis auf die Ausnahme Paris) Europa ist ACT UP inzwischen kaum mehr als ein Mythos. Anders in den USA – hier ist der Geist, die Grundhaltung, die ACT UP zugrunde lag, wach – auch und vor allem immer wieder in mahnenden Worten Larry Kramers.

Larry Kramer ist bekannt dafür, oft sehr deutliche Worte zu finden. Ihm wird gelegentlich der Vorwurf gemacht, über das Ziel hinaus zu schießen. Und er hat nach Ansicht einiger Kritiker auch aus dem Aids-Bereich manchmal eine eigenwillige, verzerrte Sichtweise oder Perspektive auf Sachverhalte.

So scheint Kramer (wie viele US-Aktivisten) das EKAF-Statement und seine Bedeutung weiterhin außer Acht zu lassen. Und er geht implizit von der Situation in den USA aus – nicht alle Präventions-Kampagnen in Europa erscheinen als „zu dumm, nutzlos, feige“. Hinzu kommt, Kramer argumentiert vor dem Hintergrund einer Situation in den USA, die aufgeheizt ist und differenzierte Debatten nicht befördert (ein kurzes Stöbern in den Kommentaren unter dem CNN-Kommentar gibt einen lebhaften Eindruck).

Doch all die womöglich berechtigte Kritik an Kramers Argumentation und besonders Art, sie zu präsentieren ändert nichts daran:

Kramer wirft wichtige Fragen auf, weist auf Tabus und nicht thematisierte Probleme hin – von der schwierigen Rolle und dem problematischen Verhalten der Pharmaindustrie über das Schweigen vieler Schwulen (-organisationen) bis zum Schwiegen oder Versagen vieler Politiker.

Normalisierung? Weit gefehlt – auch dies sagt Kramers ‚Weckruf‘.

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weitere Informationen:
Larry Kramer Kommentar auf CNN 14.01.2011: AIDS is a plague allowed to happen
und auf actup.org
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Leitsätze der DAH zur Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie

Zur Debatte, wie Organisationen des Gesundheitsbereichs mit Geldern Dritter, insbesondere aus der Pharma-Industrie, umgehen können, hier als Dokumentation die Leitsätze der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) aus dem Jahr 2000. Die hier dokumentierten Leitsätze wurden durch den Vorstand der DAH für den Verband formuliert und im März 2000 veröffentlicht. Sie wurden auf der DAH-Mitgliederversammlung im November 2000 diskutiert und verabschiedet.
Inzwischen hat die DAH die „Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen“ von Paritätischem Wohlfahrtsverband und BAG Selbsthilfe unterzeichnet.

Leitsätze zur Zusammenarbeit mit der pharmazeutischen Industrie

1. Die Deutsche AIDS-Hilfe richtet ihre fachliche und politische Arbeit an den Bedürfnissen und Interessen von Menschen mit HIV und AIDS und der von AIDS bedrohten Gruppen aus. Leitkriterium ihrer Arbeit ist die Selbstbestimmung und das Wohlbefinden der genannten Interessengruppen; daher werden Zuwendungen, die mit Auflagen verbunden sind, die diesem Leitkriterium entgegenstehen, von der Deutschen AIDS-Hilfe nicht akzeptiert.

2. Die Deutsche AIDS-Hilfe stellt bei der Bewertung therapeutischer Optionen das Interesse und das Wohlbefinden von Menschen mit HIV und AIDS in den Mittelpunkt, nicht aber die Zugehörigkeit zu bestimmten medizinischen Schulen gebunden und/oder wirtschaftliche Motive; sie steht auch unkonventionellen Therapierichtungen jenseits oder am Rande der sogenannten Schulmedizin vorurteilsfrei gegenüber (Methodenpluralismus).

3. Die Deutsche AIDS-Hilfe gibt keine ärztlichen Therapieempfehlungen. Sie behält sich aber vor, Stellung zum Einsatz von bestimmten Medikamenten, Medikamentengruppen und Therapieregimen aus der Perspektive von Menschen mit HIV und AIDS zu beziehen.

4. Die Deutsche AIDS-Hilfe nimmt finanzielle Unterstützung in Form von Spenden oder im Rahmen schriftlicher Sponsoringvereinbarungen von Firmen der pharmazeutischen Industrie entgegen. Ein Einflussrecht der Sponsoren auf Inhalte von Informationsmaterialien oder Veranstaltungen der Deutschen AIDS-Hilfe ist ausgeschlossen.

5. Die Deutsche AIDS-Hilfe legt die Förderung durch Firmen der pharmazeutischen Industrie in ihrem Jahresbericht offen.

6. Die Deutsche AIDS-Hilfe lässt sich von mehreren unterschiedlichen Firmen der pharmazeutischen Industrie fördern. Exklusivverträge sind ausgeschlossen.

7. Die Deutsche AIDS-Hilfe achtet bei der Förderung durch die pharmazeutische Industrie darauf, dass eine Einstellung dieser Unterstützung niemals den Fortbestand des Vereins Deutsche AIDS-Hilfe gefährden kann.

8. Die Deutsche AIDS-Hilfe schließt zur Wahrung ihrer Interessen und ihrer Unabhängigkeit gegenüber den unterstützenden Firmen mit diesen schriftliche Vereinbarungen ab.

9. Die Deutsche AIDS-Hilfe bietet den unterstützenden Firmen, sofern dies fachlich zu verantworten ist, an, ihre Unterstützung öffentlich zu dokumentieren. Ausgeschlossen sind solche Formen der Dokumentation, die im Zusammenhang mit medizinischer Information die Bevorzugung einzelner Produkte, Produktgruppen oder Anbieter nahe legen und daher als eine indirekte Produktempfehlung verstanden werden könnten.

10. Die Deutsche AIDS-Hilfe gewährt den unterstützenden Firmen im Rahmen der jeweils geschlossenen vertraglichen Vereinbarung bestimmte Kommunikationsrechte. Ausgeschlossen davon ist die unmittelbare oder mittelbare Bewerbung von Produkten oder Produktgruppen der HIV- oder AIDS-Therapie.

11. Die Deutsche AIDS-Hilfe stellt den unterstützenden Firmen im Rahmen ihrer Möglichkeiten die eigene Fach- und Interessenkompetenz zur Verfügung (Neben-, Wechselwirkungen, Adherence u. dgl.) mit dem Ziel, im Interesse von Menschen mit HIV und AIDS auf Studiendesigns, Produktentwicklung und Marketing Einfluss zu nehmen.

Berlin, den 12. November 2000

Unabhängigkeit der Selbsthilfe: Monitoring- Ausschüsse legen 2. Jahresbericht vor

Vielen auf dem Gebiet der Gesundheit aktiven Organisationen stellt sich die Frage, wie mit Mitteln Dritter, besonders der Pharma-Industrie umzugehen sei. Finanzierungsbedarf und Forderung nach Unabhängigkeit können leicht in Konflikt geraten (siehe auch Kommentar „Selbsthilfe oder Propaganda? Über Schleichwege des Pharma-Marketings„).

BAG Selbsthilfe und der Paritätische Wohlfahrtsverband haben Leitsätze erarbeitet zum Umgang mit Pharma-Geldern (siehe Dokumentation „Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen“). Ihre Einhaltung wird in einem Monitoring-Verfahren gesichert. Dazu die folgende Presseerklärung der BAG Selbsthilfe:

2. Jahresbericht zum Monitoring- Verfahren der BAG SELBSTHILFE und des FORUMs chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN GESAMTVERBAND veröffentlicht

Unabhängigkeit und Neutralität sind seit Jahren ein wichtiges Thema bei den Mitgliedsverbänden der BAG SELBSTHILFE und des FORUMs chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN Gesamtverband. Dies gilt insbesondere für den Umgang mit der Pharmaindustrie. Aus diesem Grunde haben die BAG SELBSTHILFE und das FORUM im PARITÄTISCHEN Leitsätze erarbeitet, die die Grenzen des Zulässigen aufzeigen. Die Einhaltung dieser Leitsätze wird durch das sogenannte Monitoring- Verfahren gesichert, in dem mögliche Verstöße überprüft werden. Um zukünftige Verstöße zu vermeiden, beraten die Monitoring-Ausschüsse zudem die Mitgliedsverbände.

Die Eigenmittel der chronisch kranken und behinderten Menschen, die die Selbsthilfeorganisationen tragen, reichen oftmals nicht aus, die Vielzahl ihrer Aktivitäten zu finanzieren. Von daher sind die Organisationen häufig auf Spenden und Förderungen angewiesen. Auch Wirtschaftsunternehmen fördern Selbsthilfeprojekte. Die Annahme dieser Fördermittel birgt aber die Gefahr, dass sich die Selbsthilfeverbände bewusst oder unbewusst an den Anliegen der Wirtschaftsunternehmen orientieren, oder dass die Unternehmen gezielt versuchen, auf die Willensbildungsprozesse der Selbsthilfe Einfluss zu nehmen.

Es ist unabdingbar, dass die Selbsthilfeverbände als Anlaufstellen von ratsuchenden Menschen ihre Neutralität und Unabhängigkeit bewahren. Um dies zu gewährleisten, gibt es seit 2005 das sogenannte Monitoring-Verfahren, das der Beratung und Information der Mitgliedsverbände dient, mit dem aber auch die Leitsätze weiterentwickelt und Verstöße gegen diese Leitsätze sanktioniert werden sollen. Der Monitoring-Ausschuss nimmt dabei selbst initiativ Prüfungen problematischer Fälle vor. Weiter bringen die Mitgliedsorganisationen eigene Fälle ein, wenn sie einen Verstoß gegen die Leitsätze befürchten. Aber auch Dritte – wie beispielsweise Krankenkassen – können sich an die Monitoring-Prüfstelle wenden, wenn sie bei Verbänden den Verdacht auf einen Verstoß gegen die Selbsthilfe-Leitsätze vermuten. Die Ausschüsse haben im vergangenen Jahr 13 Fälle entschieden, weitere Verfahren sind derzeit noch in der Bearbeitung.

Das Monitoring Verfahren soll jedoch nicht nur dazu dienen, vergangene Verstöße festzustellen, sondern auch neue zu verhindern. So wurde etwa ein Muster zur Selbstauskunft für Wissenschaftliche Beiräte entwickelt. Denn viele Selbsthilfeorganisationen werden von ihren wissenschaftlichen Beiräten in medizinischen Fragen beraten und möchten wissen, ob es hier Kontakte zu Wirtschaftsunternehmen gibt und wie diese aussehen. Zur Erläuterung der Leitsätze hat der Monitoring-Ausschuss zudem die Arbeitshilfe aktualisiert, die den Verbänden die Leitsätze anhand praktischer Beispiele und entschiedener Fälle konkret nahe bringen soll. „Die Arbeitshilfe ist eine sehr gute inhaltliche Ergänzung zu den Leitsätzen, so dass die Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen eine noch größere Handlungssicherheit im Umgang mit Wirtschaftsunternehmen erhalten“, fasst Dr. Martin Danner, Geschäftsführer der BAG SELBSTHILFE, das Arbeitsergebnis zusammen. „Die Verbände können jetzt noch einfacher als bislang konkrete Vorhaben anhand der Arbeitshilfe überprüfen und einschätzen“, urteilt Burkhard Stork, Leiter der Bundesgeschäftstelle der Deutschen Morbus Crohn/Colitis ulcerosa Vereinigung DCCV e.V. und Vorsitzender des Monitoringausschusses.

Die BAG SELBSTHILFE e.V. – Bundesarbeitsgemeinschaft SELBSTHILFE von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen – ist die Vereinigung der Selbsthilfeverbände behinderter und chronisch kranker Menschen und ihrer Angehörigen in Deutschland. Sie ist Dachverband von 109 bundesweit tätigen Selbsthilfeorganisationen, 14 Landesarbeitsgemeinschaften und 5 Fachverbänden. Über ihre Mitgliedsverbände sind in der BAG SELBSTHILFE mehr als eine Million Menschen mit körperlichen, seelischen und geistigen sowie Sinnes-Behinderungen und Menschen mit unterschiedlichsten chronischen Erkrankungen zusammengeschlossen.

Das „Forum chronisch kranker und behinderter Menschen“ wurde im Jahre 1986 als ein übergreifender Zusammenschluss von 37 der 92 bundesweit agierenden Selbsthilfeorganisationen und zugleich Mitgliedsverbänden des PARITÄTISCHEN Gesamtverbandes gegründet. Das FORUM vertritt die Interessen chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN nach innen (Mitglieder, Verbandsrat, Vorstand, Hauptgeschäftsstelle) und außen. Der PARITÄTISCHE Gesamtverband unterstützt diese Aktivitäten auf Bundesebene und durch seine 15 Landesverbände.

(Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe)

Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen

Zur Debatte, wie Organisationen des Gesundheitsbereichs mit Geldern Dritter, insbesondere aus der Pharma-Industrie, umgehen können, hier als Dokumentation die entsprechenden Leitsätze der BAG Selbsthilfe als Dokumentation.

Diese Leitlinien der BAG Selbsthilfe wurden auch von der Deutschen Aids-Hilfe DAH unterzeichnet und gelten auch für die DAH.

Leitsätze der Selbsthilfe für die Zusammenarbeit mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen, insbesondere im Gesundheitswesen

Präambel

Die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe von Menschen mit Behinderung und chronischer Erkrankung und ihren Angehörigen (BAG SELBSTHILFE) und der Paritätische Wohlfahrtsverband mit seinem FORUM chronisch kranker und behinderter Menschen im PARITÄTISCHEN (FORUM) vertreten als Dachorganisationen die Interessen der ihnen angeschlossenen Mitgliedsverbände. Darüber hinaus sind sie als die maßgeblichen Spitzenorganisationen der Selbsthilfe aufgerufen, die Interessenvertretung der Selbsthilfe behinderter und chronisch kranker Menschen insgesamt wahrzunehmen.

Um ihren Auftrag als maßgebliche Spitzenorganisationen der Selbsthilfe behinderter und chronisch kranker Menschen sachgerecht wahrnehmen zu können, ist es für die Selbsthilfe chronisch kranker und behinderter Menschen unabdingbar, ihre Neutralität und Unabhängigkeit strikt zu wahren. Auf der Basis ihrer Neutralität und Unabhängigkeit legen die der BAG SELBSTHILFE und die dem FORUM angeschlossenen Selbsthilfeorganisationen Wert auf eine faire und transparente Zusammenarbeit mit anderen Akteuren im Gesundheitswesen. Sie begrüßen das Interesse von Wirtschaftsunternehmen an einer solchen Zusammenarbeit und sehen hier die Chance zu einem gleichberechtigten Dialog.

Um ihre Neutralität und Unabhängigkeit zu bewahren und auch künftig zu gewährleisten, sind im Folgenden gemeinsame Leitsätze der beiden Spitzenorganisationen für die Kooperation mit Personen des privaten und öffentlichen Rechts, Organisationen und Wirtschaftsunternehmen sowie von ihnen Beauftragte formuliert.

Die nachstehenden Leitsätze gelten für die BAG SELBSTHILFE und das FORUM als übergreifende Zusammenschlüsse sowie für die Selbsthilfeorganisationen, die sich durch schriftliche Selbstverpflichtung zur Anwendung dieser Leitsätze gegenüber der BAG SELBSTHILFE und/oder dem PARITÄTISCHEN Wohlfahrtsverband, Gesamtverband e. V., verpflichtet haben und im Anhang aufgeführt sind. Soweit Selbsthilfeorganisationen entsprechende Leitsätze oder Richtlinien verabschiedet haben, bleibt deren Geltung unberührt.

Die BAG SELBSTHILFE und das FORUM beraten die ihnen angeschlossenen Selbsthilfeorganisationen und begleiten sie fortlaufend bei der Umsetzung dieser Leitsätze in der Praxis.

1. Allgemeine Grundsätze

a. Die Selbsthilfeorganisationen richten ihre fachliche und politische Arbeit ausschließlich an den Bedürfnissen und Interessen von behinderten und chronisch kranken Menschen und deren Angehörigen aus. Sie wollen die Selbstbestimmung behinderter und chronisch kranker Menschen fördern.

b. Die Kooperation zwischen Selbsthilfeorganisationen und Wirtschaftsunternehmen muss mit den satzungsgemäßen Zielen und Aufgaben der Selbsthilfeorganisationen im Einklang stehen und diesen dienen. Die Selbsthilfeorganisationen akzeptieren keine Zusammenarbeit, welche die Gemeinnützigkeit des Verbandes gefährdet oder gar ausschließt.

c. In allen Bereichen der Zusammenarbeit mit Wirtschaftsunternehmen muss die Selbsthilfeorganisation die volle Kontrolle über die Inhalte der Arbeit behalten und unabhängig bleiben. Dies gilt sowohl für ideelle als auch für finanzielle Förderung und Kooperationen.

d. Jedwede Kooperation mit und Unterstützung durch Wirtschaftsunternehmen ist transparent zu gestalten.

2. Information und inhaltliche Neutralität

a. In Kooperationen mit Unternehmen der pharmazeutischen Industrie, Anbietern von Heil- und Hilfsmitteln sowie Dienstleistungen und anderen Unternehmen, die Produkte für behinderte und chronisch kranke Menschen herstellen oder vertreiben, wird auf eine eindeutige Trennung zwischen Informationen der Selbsthilfeorganisation, Empfehlungen der Selbsthilfeorganisation und Werbung des Unternehmens geachtet. Die Selbsthilfeorganisationen informieren über Angebote, beteiligen sich aber nicht an der Werbung.

Werbung von Wirtschaftsunternehmen ist grundsätzlich zu kennzeichnen.

b. Die Selbsthilfeorganisation gibt grundsätzlich weder Empfehlungen für einzelne Medikamente, Medikamentengruppen oder Medizinprodukte, noch Empfehlungen für bestimmte Therapien oder diagnostische Verfahren ab.

Die Abgabe einer Empfehlung ist nur dann möglich, wenn diese auf dem Bewertungsergebnis anerkannter und neutraler Expertengremien beruhen. Die Zusammensetzung der Gremien muss öffentlich transparent sein. Ihre Ergebnisse müssen transparent und nachvollziehbar sein.

Informationen von Wirtschaftsunternehmen werden kenntlich gemacht sowie nicht unkommentiert weitergegeben.

c. Die Selbsthilfeorganisation informiert über die Erfahrungen von Betroffenen mit Medikamenten, Medizinprodukten, Therapien und diagnostischen Verfahren.

d. Die Selbsthilfeorganisation informiert auch über die Vielfalt des Angebotes und über neue Entwicklungen im Bereich der Prävention, Diagnostik, Behandlung und Rehabilitation unter Angabe der Quellen.

e. Die Selbsthilfeorganisation ist in ihrer fachlichen Arbeit unabhängig und nicht an medizinische Fachrichtungen gebunden. Sie steht grundsätzlich auch besonderen Therapierichtungen offen gegenüber. Eine besondere Bedeutung haben hier z. B. homöopathischen, phytotherapeutischen und anthroposophischen Angebote.

3. Kommunikationsrechte

a. Die Selbsthilfeorganisation gewährt ggf. Wirtschaftsunternehmen in schriftlichen Vereinbarungen Kommunikationsrechte, wie z.B. das Recht auf die Verwendung des Vereinsnamens oder des Logos in Publikationen, Produktinformationen, Internet, Werbung oder auf Veranstaltungen. Tatsache und Gegenstand dieser Vereinbarungen werden veröffentlicht. Ausgeschlossen wird die unmittelbare oder mittelbare Bewerbung von Produkten, Produktgruppen oder Dienstleistungen zur Diagnostik und Therapie von chronischen Erkrankungen oder Behinderungen.

Die schriftlichen Vereinbarungen enthalten eindeutige Beschreibungen, welcher Partner in welchem Zusammenhang Namen bzw. Logo des anderen Partners verwenden darf und wo die Grenzen gezogen werden. Eine Formulierung wie: „Der Sponsor verpflichtet sich, keine Maßnahmen zu treffen, die den Ideen und dem Ansehen der Selbsthilfeorganisation Schaden zufügen“ bietet in der Vereinbarung einen umfassenden Schutz für die Interessen der Selbsthilfeorganisation.

b. Das Gebot der Transparenz gebietet, dass grundsätzlich im Rahmen der gemeinsamen Aktion auf die Unterstützung durch das Wirtschaftsunternehmen hingewiesen wird, ohne jedoch im Sinne der Grundsätze des BMF für ertragssteuerrechtliche Behandlung des Sponsoring vom 18.02.1998 und des darauf beruhenden Erlasses des Finanzministeriums Bayerns vom 11.02.2000 aus steuerlicher Sicht Werbung im aktiven Sinne zu betreiben.

c Eine Verwendung des Logos und des Namens der Selbsthilfeorganisation darf nur mit ausdrücklicher schriftlicher Zustimmung der Selbsthilfeorganisation erfolgen. Das Logo muss dann originalgetreu verwendet werden. Abweichungen oder Änderungen sind nicht zulässig. Die Verwendung darf nur für den konkret vereinbarten Zweck erfolgen.

Ebenso kann die Selbsthilfeorganisation das Logo des Wirtschaftsunternehmens verwenden. Die Abgrenzung von jeglicher Produktwerbung ist dabei zu beachten.

d. Im Folgenden sind übliche Aktionsfelder für Kommunikationsrechte zwischen Wirtschaftsunternehmen und Selbsthilfeorganisationen aufgeführt. Die Liste versteht sich als beispielhafte und nicht abschließende Nennung von Kooperationsmöglichkeiten.

· Veranstaltungen von Selbsthilfeorganisationen

Die Selbsthilfeorganisation trägt dafür Sorge, dass bei von ihr organisierten und durchgeführten Veranstaltungen stets die Neutralität und Unabhängigkeit gewahrt bleibt. Dieser Anspruch gilt auch für organisatorische Fragen. Die Auswahl des Tagungsortes und der Rahmen der Veranstaltung wird von der Selbsthilfeorganisation bestimmt. Reisekosten orientieren sich grundsätzlich am Bundes- bzw. Landesreisekostengesetz. Sofern Honorare gezahlt werden sind diese maßvoll zu bemessen. Dabei kann die Honorarordnung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge herangezogen werden. Daten von Teilnehmenden an Veranstaltungen werden nicht an Wirtschaftsunternehmen weitergegeben.

Bei der Festlegung der Inhalte und bei der Auswahl der Referenten achtet die Selbsthilfeorganisation insbesondere darauf, dass die Sachverhalte objektiv dargestellt und behandelt werden. Dies schließt eine einseitige Darstellung zu Gunsten eines bestimmten Unternehmens, einer bestimmten Therapie oder eines bestimmten Produktes grundsätzlich aus. Die Selbsthilfeorganisation trägt Sorge dafür, dass die behandelten Themenbereiche nicht allein von Referenten, die bei dem jeweiligen Sponsor angestellt sind oder vom dem jeweiligen Sponsor finanziell abhängig sind, behandelt werden.

· Veranstaltungen von Wirtschaftsunternehmen

Die Selbsthilfeorganisation trägt dafür Sorge, dass auch im Rahmen von Veranstaltungen von Wirtschaftsunternehmen stets die Neutralität und Unabhängigkeit der Selbsthilfeorganisation gewahrt bleibt. Die schriftliche Vereinbarung regelt, in wie weit der Name oder das Logo der Selbsthilfeorganisation auf Veranstaltungen des Wirtschaftsunternehmens benutzt werden darf. Werbung für ein konkretes Produkt, Produktgruppen oder Dienstleistungen wird dabei ausdrücklich ausgeschlossen. Reisekosten orientieren sich grundsätzlich am Bundes- bzw. Landesreisekostengesetz. Sofern Honorare gezahlt werden, sind diese maßvoll zu bemessen. Dabei kann die Honorarordnung des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge herangezogen werden.

· Publikationen von Selbsthilfeorganisationen

Sollte eine Publikation mit der Unterstützung durch ein Wirtschaftsunternehmen entstanden sein, wird auf den Druckerzeugnissen – z.B. mit der Formulierung: „mit freundlicher Unterstützung von…..“ – auf die Unterstützung hingewiesen. Dabei können das Logo oder der Schriftzug des Wirtschaftsunternehmens verwandt werden, soweit dies ohne besondere Hervorhebung erfolgt.

· Publikationen von Wirtschaftsunternehmen

Das Wirtschaftsunternehmen kann den Abdruck des Logos der Selbsthilfeorganisation in seinen Publikationen oder auf Plakaten veranlassen, soweit dies in der schriftlichen Vereinbarung festgehalten wurde. Die Vereinbarung schließt aus, dass auf diesem Wege mittel- oder unmittelbar Werbung für Produkte, Produktgruppen oder Dienstleistungen betrieben wird.

· Internetauftritte von Selbsthilfeorganisationen

Die Selbsthilfeorganisation kann auf ihrer Homepage auf die Unterstützung durch Wirtschaftsunternehmen hinweisen. Eine aktivierte Verlinkung von einer Homepage der Selbsthilfeorganisation auf die Homepage eines Wirtschaftsunternehmens wird von den Steuerbehörden als aktive Werbung gewertet und stellt aus steuerlicher Sicht einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb dar. Im Einzelnen wird auf den Erlass des Finanzministeriums Bayern vom 11.02.2000 verwiesen.

· Internetauftritte von Wirtschaftsunternehmen

Wirtschaftsunternehmen können in ihrem Internetauftritt auf die Selbsthilfeorganisationen verweisen und auch direkt verlinken. Sie sollten die Selbsthilfeorganisationen über diesen Schritt informieren und auch akzeptieren, wenn eine solche Verlinkung nicht gewünscht wird. Eine Verlinkung zum down load-Bereich der Selbsthilfeorganisation verursacht Kosten bei der Selbsthilfeorganisation und ist in einer schriftlichen Vereinbarung zu regeln.

· Eigenwerbung von Selbsthilfeorganisationen

Selbsthilfeorganisationen können in ihrer Eigenwerbung auf die Unterstützung von Wirtschaftsunternehmen hinweisen. Umfang und Art und Weise werden in der schriftlichen Vereinbarung festgehalten. Der Hinweis geschieht in der Form, dass es sich im steuerrechtlichen Sinne nicht um aktive Werbung handelt. Ein Zusammenhang mit Produkt-, Produktgruppen und Dienstleistungswerbung wird ausgeschlossen.

· Eigenwerbung von Wirtschaftunternehmen

Die Selbsthilfeorganisation kann den unterstützenden Wirtschaftsunternehmen anbieten, die im Rahmen der geschlossenen Vereinbarungen erfolgten Zuwendungen öffentlich zu dokumentieren und damit zu werben.

4. Zuwendungen

a. Die Selbsthilfeorganisation kann finanzielle Zuwendungen entgegennehmen. Dabei wird die Selbsthilfeorganisation nicht in Abhängigkeit von bestimmten Wirtschaftsunternehmen oder von einer bestimmten Person geraten. Die Selbsthilfeorganisation achtet bei der Förderung durch Wirtschaftsunternehmen und Privatpersonen insbesondere darauf, dass eine Beendigung der Unterstützung weder den Fortbestand noch den Kernbereich der satzungsgemäßen Arbeit der Selbsthilfeorganisation gefährden kann.

b. Die Selbsthilfeorganisation trifft ggf. auch Sponsoring-Vereinbarungen mit Wirtschaftunternehmen. Unter Sponsoring ist dabei die Gewährung von Geld, geldwerten Vorteilen, Sachzuwendungen oder ideeller Unterstützung durch Unternehmen zur Förderung der Selbsthilfeorganisation zu verstehen, wenn damit auch eigene unternehmensbezogene Ziele der Werbung oder der Öffentlichkeitsarbeit des Unternehmens verfolgt werden. Die Selbsthilfeorganisation sichert ihre Unabhängigkeit gegenüber Sponsoren dadurch ab, dass Sponsoring-Vereinbarungen, die Zuwendungen in nicht unerheblichen Umfang zum Gegenstand haben, schriftlich fixiert und die Zuwendungen transparent gemacht werden.

Sollte mit einem Unternehmen eine Sponsoringvereinbarung getroffen werden, sind die geltenden steuerrechtlichen Vorschriften, insbesondere im Hinblick auf die Gemeinnützigkeit von Vereinen, und die eindeutige Zuordnung zum entsprechenden Tätigkeitsbereich zu beachten.

c. Soweit Projekte einer Selbsthilfeorganisation mit über der Hälfte der dafür notwendigen Sach- und Finanzmittel von einem oder mehreren Wirtschaftunternehmen ausgestattet sind, werden diese in geeigneter Weise öffentlich ausgewiesen.

d. Die Selbsthilfeorganisation informiert in geeigneter Weise über Organvertreter, die außerhalb ihrer Rolle als Mitglied der Mitgliederversammlung von Wirtschaftsunternehmen Leistungen erhalten.

5. Unterstützung der Forschung

a. Die Selbsthilfeorganisation begrüßt Forschungsanstrengungen, die einer Verbesserung der Situation chronisch kranker und behinderter Menschen dienen.

b. Die Selbsthilfeorganisation ist grundsätzlich bereit, sich mit ihrer Fachkompetenz an solchen Forschungsprogrammen, insbesondere an klinischen Studien zu beteiligen, sowie über solche Forschungsprogramme, insbesondere klinische Studien, zu berichten, um über ihre Mitgliedsverbände so die Beteiligung von Probanden an den Forschungsprogrammen bzw. Studien zu ermöglichen. Eine solche Unterstützung setzt jedoch voraus, dass die Informationen über das Forschungs- und Studiendesign sowie über die laufenden Ergebnisse der Forschungsprogramme bzw. Studien die Informationen gegenüber der Selbsthilfeorganisation vollständig offen gelegt werden. Des Weiteren hält die Selbsthilfeorganisation die Übernahme der Kosten für die genannten Unterstützungsmaßnahmen durch die betreffenden Unternehmen für geboten. Die Selbsthilfeorganisationen unterstützen insbesondere Studien, die bei Studienregistern registriert werden und bei denen Design und Ergebnisse der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden.

c. Die Selbsthilfeorganisation versucht ihrerseits, im Interesse chronisch kranker und behinderter Menschen auf die Firmenpolitik (Studiendesigns, Produkteigenschaften, Marketing, etc.) der Unternehmen Einfluss zu nehmen.

6. Monitoring

a. Die BAG Selbsthilfe und der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband mit seinem FORUM beraten aktiv neue Mitglieder im Zusammenhang mit der Unterzeichnung der Leitsätze, im Übrigen auch andere Mitglieder über Zielsetzung und Regelungsgehalt der Leitsätze.

b. Mindestens einmal im Jahr kommen Vertreter beider Organisationen zusammen, um über die Erfahrungen in der Anwendung der Leitsätze in der Praxis und notwendige Weiterentwicklung zu beraten. Die Ergebnisse dieser Fachaustausche werden öffentlich gemacht.

c. Bei Verstößen gegen die Leitsätze werden die betreffenden Organisationen von ihren Dachorganisationen aktiv angesprochen und zu einem Beratungsgespräch eingeladen. Die im Beratungsgespräch getroffenen Vereinbarungen werden dokumentiert und darüber in den Fachaustauschen informiert.

d. Die Selbsthilfeorganisationen beraten und informieren regelmäßig ihre ihnen angeschlossenen Untergliederungen (Selbsthilfegruppen), z. B. in geeigneten Veranstaltungen und Publikationen, um haupt- und ehrenamtliche Mitglieder mit den erforderlichen Verfahrensregeln vertraut zu machen.

e. Selbsthilfeorganisationen, die diesen Leitsätzen beigetreten sind, werden in einer Übersicht zusammengefasst. Diese wird in der aktuellen Fassung in geeigneter Weise veröffentlicht.

Den Selbsthilfeorganisationen wird eine Übergangsfrist bis 31.12.2007 eingeräumt, um ggf. abweichende eigene Regelungen anzupassen.

Darüber hinausgehende Regelungen von Selbsthilfeorganisationen haben weiterhin Geltung.

Selbsthilfe oder Propaganda? Über Schleichwege des Pharma-Marketings

Positive bloggen – immer mehr. Ein erfreulicher Trend, denn auch auf diesem Weg werden immer mehr Stimmen sicht- und lesbar, die aus der Vielfalt des Lebens mit HIV und Aids berichten. Allerdings gibt es Stimmen, die nachdenklich stimmen, bei denen ein Blick lohnt à la „guck mal wer da spricht“. Ein ‚Blog‘, eine Site, bei denen unklar ist, ob ‚HIV-positiv‘ oder nicht vielmehr ‚Pharma‘ drin ist, Marketing eines Pharmakonzerns …

Jo bloggt, Marcel bloggte, Termabox bloggt, Diego neuerdings auch, und Kalle sowieso, Alive n Kickin auch, und Desmond. Desmond? Ja, Desmond.
Desmond wirbt auch für sein Blog, zum Beispiel auf Facebook:

„Hallo Leute,
ich bin Desmond, 30 Jahre alt, komme aus Köln und bin HIV-positiv. In meinem Blog spreche ich über mich, meine Musik, die Mode und das Bloggen. Außerdem schreibe ich über meine Gedanken und was mich in meinem Leben bewegt. Das hilft mir, mit HIV umzugehen und ich hoffe, dass es anderen hilft, denen es genauso geht. Drückt oben auf den Button „Gefällt mir“, um an meinem Leben teilzuhaben.
Ich freue mich über jeden „Zuhörer“… ;-)))))
Desmond“

Das klingt zunächst interessant. Desmond, HIV-positiv, schriebt über sein leben. Etwas jedoch sagt Desmond nicht. Wer auf den Link klickt, der zu Desmonds Blog führt, landet auf einer aufwendig gestalteten Seite. Liest viel über Desmond und sein Leben …
…und erfährt höchstens, wenn er ganz unten an Ende der Seite auf „Impressum“ klickt, wer denn dieses Angebot betreibt:

„Diensteanbieter: Abbott GmbH & Co. KG“
und
„Realisierung: Allround Team GmbH … Redaktion: Christian Lang, Fabienne Nawrat“

Über das „Allround Team“, zuständig für Abbotts „Infotainment-Angebot“ und „Community-Website“ namens ‚Garten der Lüste‘,  ist auf dessen Internetsite zu erfahren

„Allround: Das bedeutet für uns vielseitig begabt, universell tätig und überall einsetzbar zu sein. Spezialisiert sind wir auf Agenturdienstleistungen, Verlagswesen, Sprachdienste und Usability-Studien, stehen Ihnen aber mit unserer langjährigen Erfahrung und unseren frischen Ideen auch in jedem anderen Aufgabenfeld zur Verfügung.“

Technisch wird ‚Desmonds Blog‘ realisiert von ‚Medienhof‘ – einer Agentur, die sich selbst im Untertitel bezeichnet als

„Agentur für Unternehmenskommunikation“.

Desmonds Blog – also nicht ‚irgendein‘ HIV-positives Blog. Ein Blog auf einer Marketing-Plattform, und zwar eines Pharmakonzerns, eines Konzerns der Aids-Medikamente herstellt. Ein kleiner, ein wichtiger Unterschied.

Nun mag ein HIV-Positiver sich vielleicht durchaus entscheiden, sich bei einem Pharmakonzern zu verdingen, dort sein Blog professionell ‚betreuen‘ zu lassen (was auch immer ‚betreuen‘ dann meinen mag).

Allein – die ‚Kommunikation‘ von Pharmakonzernen mit Patienten ist immer einen besonderen Blick wert. Nicht umsonst gilt das Direktwerbeverbot des Heilmittelwerbegesetzes:

„Für verschreibungspflichtige Arzneimittel darf nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.“ (Volltext: Gesetz über die Werbung auf dem Gebiete des Heilwesens, dort §10)

Nicht nur, dass die Site ‚Garten der Lüste‘ von Abbott betrieben wird, dort wird auch -ohne Nennung von Produktnamen- über die HIV-Medikamente des Konzerns berichtet, werden Broschüren angeboten, die bestimmte Technologien des Konzerns für HIV-Medikamente lobpreisen, wird auf andere konzerneigene HIV-Sites verlinkt.

Wenn dann auch noch die Verquickung von ‚Stimme aus dem HIV-positiven Leben‘ und Pharma-Marketing nicht (wie z.B. beim Facebook-Auftritt) oder kaum sichtbar (wie auf der Site) erwähnt wird, wirft dies weitere Fragen auf.

Worum geht es?

„Unternehmenskommunikation“ – dieser Begriff (den die realisierende Agentur im Untertitel führt) weist wohl in die Richtung, um die es im ‚Garten der Lüste‘ gehen dürfte. Und vermutlich auch auf ‚Desmonds Blog‘? Die Kommunikation eines Unternehmens, das einer der großen Player auf dem Gebiet der HIV-Medikamente ist. Und einer der sehr umstrittenen Player.

Denn Abbott hat eine bewegte Geschichte auf dem Aids-Markt. Eine Geschichte voll von Problemen und Eigenartigkeiten. Eine kleine Auswahl: Der Konzern plante eigenen Unterlagen zufolge, ein lebenswichtiges Aids-Medikament vom Markt zu nehmen, was die eigene Marktposition im Vergleich zu Wettbewerbern befördert hätte. Um die eigenen Gewinne zu erhöhen, wurde in den USA der Preis dieses Aids-Medikaments verfünffacht. Immer wieder auch gerät Abbott in die Kritik aufgrund seines Umgangs mit Patentrechten. Erst jüngst versuchte ein Abbott-Pharmareferent in Costa Rica Presseberichten zufolge, HIV-Positive davon zu überzeugen sich einer Klage gegen eine generische Version von Lopinavir> anzuschließen. Kritik wird nicht gern gesehen – Abbott klagte gegen ACT UP . In den USA wurde jüngst Abbott abgemahnt – wegen Werbung, die die Wirkung für ein Aids-Medikament übertreibt und Nebenwirkungen verharmlost.

Sieht so die Aids-Politik eines Unternehmens aus, in dessen Gesellschaft man sich befinden möchte als HIV-positiver Blogger? Diese Frage muss jeder Blogger für sich selbst entscheiden. Aber die Verbindungen zum Konzern sollten für jeden und jederzeit offen ersichtlich sein.

So bleibt letztlich die Frage nach dem Zweck des Ganzen. Sind ‚Garten der Lüste‘ und vielleicht auch ‚Desmonds Blog‘ wirklich mehr als nur der immer wieder erneuerte Versuch von Pharmakonzernen, sich über das aus guten Gründen bestehende Direktwerbeverbot hinweg zu setzen?

Wird hier das Image eines ‚Blogs eines HIV-Positiven‘ benutzt, instrumentalisiert, um über immer neue Wege direkten Zugang zu Patienten zu bekommen?

Positive Stimme? Oder schnödes Marketing, im Interesse des Unternehmens?

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Nebenbei, der ‚Garten der Lüste‘ ist eines der bekanntesten Triptychen von Hieronymus Bosch. Der eigentliche ‚Garten der Lüste‘, dargestellt im  Mittelteil dieses Triptychons, wurde lange Zeit als Warnung vor der Todsünde der Wollust gedeutet. Inzwischen wird es auch als Darstellung eines utopischen Liebes-Paradieses gesehen, als ‚Garten der Liebe‘. Abbott wirbt für seine Kampagne mit dem Slogan „Augen auf im Garten der Lüste – Kondome schützen“. Ob Abbott dieses Spannungsfeld der Interpretationen des Bosch-Triptychons  bei der Wahl des Namens ihrer Patienten-Marketing-Kampagne bewusst war?

siehe auch:
stationäre aufnahme 11.07.2010: Abbott schickt bei Facebook HIV-Infizierten vor
Bildblog 12.07.2010
medizynicus 20.07.2010: Kann man Bloggern trauen? Oder: Desmond, die Krankheit und die Pharmaindustrie
Reaktion von Desmond auf die Artikel in Desmonds Blog am 23.07.2010 [Artikel dort nicht einzeln verlinkbar]
medizynicus 23.07.2010: Desmond lebt!

brandeins 07/2010: Mein Patient, mein Partner
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Todesfälle … aber nicht signifikant. Oder: zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie …

Wie geht ein Pharmakonzern, und wie ein Referent auf einer bedeutenden Aids-Konferenz damit um, dass es in einer Studie mit einem experimentellen Aids-Medikament zu einer nennenswerten Zahl an Todesfällen kam? Ein lehrreiches Beispiel …

Vicirviroc ist eine Substanz der neuen Klasse der CCR5-Hemmer, die derzeit in klinischen Studien untersucht wird. Vicriviroc ist bisher nicht zugelassen.

Vicriviroc
Vicriviroc

Neue Studiendaten zu Vicriviroc wurden jüngst auf der 17. CROI Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections 2010 vorgestellt. Siegfried Schwarze berichtet in der März/April-Ausgabe von ‚Projekt Information‚ über die Daten und dabei über eine bemerkenswerte Begebenheit:

„Interessant wurde es dann, als nach dem Vortrag ein Zuhörer im Auditorium die Frage stellte, ob es denn Todesfälle in der Studie gegeben hätte – in der Präsentation hatte es keine Anhaltspunkte dazu gegeben. Der Referent Joseph Gathe antwortete (zunächst im Brustton der Überzeugung) „Es gab einen Todesfall!“; dann, nach einer kurzen Pause: „nein, Moment, mir wird gerade signalisiert, es gab sieben Todesfälle, diese traten gleich verteilt in beiden Gruppen auf.“ Daraufhin ging Lisa Dunkle von Schering-Plough ans Mikrofon und stellte klar: „Es gab sieben Todesfälle, alle in der Vicriviroc-Gruppe. Aber das war statistisch nicht signifikant. Einer wurde ermordet.“
Bei einer solchen Vorgehensweise fragt man sich als Zuhörer schon, ob hier etwas bewusst verschwiegen werden sollte.“

Tim Horn berichtet ähnlich über den Vorfall (auf aidsmeds.com, s.u.):

„Interestingly, Gathe didn’t discuss deaths seen in the study during his presentation. When asked about this during the question-and-answer period, one of Gathe’s colleagues answered that there were seven deaths among those receiving vicriviroc, compared with zero deaths among those receiving optimized therapy alone. No clear explanations for these deaths—notably their causes—were provided.“

Auch im Abstract der Präsentation (auf der Konferenz-Internetseite, s.u.) werden die Todesfälle nicht erwähnt.

Hersteller Schering-Plough beschloss unterdessen, eine Zulassung von Vicriviroc für bereits vorbehandelte HIV-Positive nicht mehr anzustreben. Klinische Studien zur Anwendung bei bisher nicht antiretroviral behandelten Positiven werden fortgesetzt.

Referent Gathe wirbt auf seiner eigenen Internetseite mit dem Motto „Taking care of AIDS patients is the most gratifying thing I have ever done in my life.“

weitere Informationen:
Joseph Gathe: Phase 3 Trials of Vicriviroc in Treatment-experienced Subjects Demonstrate Safety but Not Significantly Superior Efficacy over Potent Background Regimens Alone. 17. CROI 2010, paper #54LB
Siegfried Schwarze: ‚Neue Substanzen (und neues von bekannten Substanzen) auf der CROI‘, Projekt Information Jg. 18 Nr. 2 März/April 2010
aidsmeds.com 18.02.2010: Vicriviroc Falls Short in Treatment-Experienced HIV Studies
The Body 17.02.2010: Why Vicriviroc Failed in Its Phase 3 Trials — and What It May Mean for Future Studies in HIV Treatment-Experienced People
aidsmap 21.02.2010: Merck will not seek vicriviroc licenses in treatment-experienced
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Das österliche Preis-Wunder – ein Akt „sozialer Verantwortung“?

Ein internationaler Pharmakonzern senkt den Preis für ein Aids-Medikament. Nicht etwa in Afrika, wie es gelegentlich vorkommt, um mehr Menschen den Zugang zu wirksamen Aids-Therapien zu erleichtern. Nein, der Preis für das Medikament (es geht nicht um Hersteller oder Produkt, also nennen wir es hier „Contra-Vira“) wurde in Europa, genauer in Deutschland gesenkt,und um immerhin rund 15 Prozent.

Der Hersteller des Medikaments kommentiert die „freiwillige Preissenkung“ sich selbst lobend in einer Pressemitteilung wie folgt:

„Mit der Preissenkung zeigen wir soziale Verantwortung, denn wir leisten unseren Teil innerhalb des Gesundheitssystems. Wir entlasten die Krankenkassen finanziell und nehmen den Ärzten ein Stück weit die Angst vor Arzneimittelregessen, wenn Sie XXX als Behandlungsoption einsetzen möchten.“

Verwundert reiben wir uns die Augen. Die Pharma-Industrie – doch ein Hort von Altruismus, ein Freund der Krankenversicherung und der armen Aids-Kranken? Hat die vereinte Lobbyismus-Maschinerie der Pharmawirtschaft von Y bis Z doch recht? Die Pharmaindustrie – eine altruistische Veranstaltung voller sozialer Verantwortung, einzig für den Nutzen von uns Patienten (nun gut, und der Krankenkassen, und der Ärzte, und … ach ja, der Aktionäre)?

Die (prinzipiell begrüßenswerte) Preissenkung, dies vorweg, sie war, obwohl verkündet am 30. März, wohl kein vorgezogener April-Scherz. Und trotz nahender Feiertage auch kein Akt österlichen Erbarmens.

Doch was mag einen Pharma-Konzern bewegen, den Preis für ein Medikament freiwillig zu senken? Wo er doch in Deutschland in der komfortablen, ja geradezu luxuriösen Situation ist, den Preis für Medikamente völlig frei, allein nach eigenem Gusto festsetzen zu können?

Schauen wir uns die Situation an.
Zunächst fällt auf: Contra-Vira ist nur eines unter vielen Medikamenten. Und wenn es auch aus einer neuen Klasse von Medikamenten stammt, so sind ihm doch in ihrer Wirksamkeit die besten Medikamenten anderer Klassen durchaus ebenbürtig. Zudem, schon bald könnten weitere Substanzen eben dieser neuen Wirkstoff-Klasse zugelassen werden.

Contra-Vira hat zudem eine Eigenschaft, die zumindest von Marketing-Strategen den Konsumenten, also uns Patienten, als Nachteil verkauft wird: es muss zweimal täglich eingenommen werden. Bei Produkten mancher Wettbewerber hingegen reicht eine einmal tägliche Einnahme.

Contra-Vira war zunächst nur für Patienten zugelassen, die bereits einige „Therapie-Erfahrung“ haben, wie die beschönigende Umschreibung des Medizinbetriebs für die Situation lautet, dass bereits eine oder mehrere Medikamente gegen HIV beim Patienten versagt haben, seine/ihre Ängste angesichts der Frage noch verfügbarer wirksamer Therapien gestiegen sind.

Der lukrative Markt hingegen sind weniger diese „therapieerfahrenen“ HIV-Positiven, sondern die derzeit in Deutschland noch große Zahl der so genannten „therapienaiven“ Patienten (wobei hier nicht diskutiert werden soll, wie viel Naivität tatsächlich darin liege, etwa nicht in jeder Situation sofort mit einer dann lebenslangen Medikamenteneinnahme zu beginnen).

Nun fügt es sich, dass zufällig gerade erst, am Rande einer Konferenz, wenige Wochen vor der bemerkenswerten Preissenkung, die Therapie-Richtlinien für diese „therapienaiven“ Patienten aktualisiert wurden. Und siehe da, da Contra-Vira ein wirksames und meist gut verträgliches Medikament ist, findet es sich nun auch auf der Liste der empfohlenen Medikamente für „therapienaive“ HIV-Positive.

Einzig, die Liste allein macht noch keinen Umsatz. Und es bleibt ja immer noch das Problem mit der zweimal täglichen Einnahme. Zudem, Contra-Vira ist bisher deutlich höher im Preis angesiedelt (die Hausfrau übersetzt: teurer) als Produkte der Wettbewerber. Das mag die Mehrzahl der Patienten in Deutschland wenig interessieren – den Arzt betrifft es schon. Ist er doch zu wirtschaftlicher Therapie angehalten, müsste abweichende Verordnungen begründen. Und wie begründet er es, ein Medikament zu verschreiben, das zwar nicht besser, wohl aber deutlich teurer ist? „Regress“ (sprich: die Kasse lässt sich den vermeintlichen Schaden vom Arzt erstatten), diese Wort mag ihm drohend in den Ohren klingeln – und ihn vom Verordnen von Contra-Vira potentiell abhalten.

Hinzu kommt, der Gesundheitsminister möchte – wie nahezu alle seine Vorgängerinnen und Vorgänger – die Kosten im Gesundheitswesen senken. Und hat als einen der Kostentreiber die Ausgaben für Medikamente identifiziert. Er hat auch ein Werkzeug entdeckt, der steigenden Medikamenten-Kosten Herr zu werden (oder: es zu versuchen): die Möglichkeit der Kosten-Nutzen-Betrachtung. Medikamente, wenn höher im Preis, müssen auch wirksamer sein, so vereinfacht der Grundgedanke dieses Prinzips. Wie mag Contra-Vira sich bei diesen Kosten-Nutzen-Überlegungen positionieren, mit seinem höheren Preis?

Zudem: wer heutzutage als HIV-Positiver zum ersten mal eine Therapie gegen HIV beginnt, der hat die Auswahl unter mehreren Alternativen an Kombinationen von Wirkstoffen. Und unter diesen Alternativen sind attraktive Angebote, zum Beispiel „drei Wirkstoffe in einer Pille, einmal am Tag einzunehmen“ oder „zwei Pillen, einmal am Tag einzunehmen“, oder ganz banal „Pillen, günstiger im Preis als Contra-Vira“. Ein Quattro soll zudem gar vor der Tür stehen, vier auf einen Streich, einmal am Tag.

Selbst wenn die Empfehlungen, welche Kombinationen für die erste Therapie gegen HIV eingesetzt werden sollten, nun so sind, dass auch Contra-Vira zum Zuge kommen könnte (und dem Hersteller entsprechende Umsätze generieren könnte), die Wettbewerbs-Position von Contra-Vira scheint schwierig. Wirkung vergleichbar, dabei aber teuer, und dann zweimal am Tag einzunehmen? Das macht ein Medikament trotz geänderter Empfehlungen nicht eben attraktiv. Sparsame Kassen, ein nachdenklicher Gesundheitsminister? Das klingt nicht nach guten Rahmenbedingungen. „Da müssen wir was tun …“

Und so erklärt sich die wundersame vor-österliche Preissenkung, von der eigenen Öffentlichkeitsarbeit des Pharmakonzerns verbrämt als Ausdruck „sozialer Verantwortung“, als ganz simpler Schritt des Marketings, der Markt-Erschließung, der Stärkung der Wettbewerbs-Position, des Eingehens auf gesundheitspolitische Fragen. Senken wir den Preis auf den des Wettbewerbs, und ein ‚Nachteil‘ und potentielles Risiko von Contra-Vira ist schon mal entschwunden. Zudem ist einem drohenden gesundheitspolitischen Argument, der Kosten-Nutzen-Problematik, halbwegs begegnet.
Oh Patienten, kommet – oh Umsätze, steiget. Nicht mehr. Und nicht weniger. Es geht um Umsatz, und nicht soziale Verantwortung.

20 Organisationen in Europa fordern: gute Patientinnen-Information statt versteckte Pharma-Werbung

29 europäische und nationale Organisationen fordern den neu gewählten EU-Kommissar Dalli auf, den Gesetzentwurf zu Patienteninformation komplett umzuschreiben, damit er den Interessen der VerbraucherInnen an guter PatientInneninformation gerecht wird.

Die Organisationen nehmen den Kommissar für Gesundheit und Verbraucherschutz John Dalli beim Wort, der zusagte, den Gesetzesvorschlag noch einmal kritisch zu überprüfen. Mitunterzeichner des Aufrufs sind das internationale Netzwerk HAI, bei dem die Pharma-Kampagne Mitglied ist und die Internationale Gesellschaft der unabhängigen Arzneimittelzeitschriften (ISDB), deren Präsidenten die Pharma-Kampagne derzeit stellt.

Der Gesetzesvorschlag war im Dezember 2008 noch unter der Führung des Generaldirektorates Unternehmen und Industrie in den parlamentarischen Prozess gebracht worden und würde es der Pharmaindustrie erlauben, direkt mit VerbraucherInnen über Gesundheit, Krankheit und rezeptpflichtige Arzneimittel zu kommunizieren. Der Entwurf wurde von unabhängigen ÄrztInnen-, VerbraucherInnen- und PatientInnenorganisationen als einseitig und nicht zielführend kritisiert. Dabei wurde besonders hervorgehoben, dass die Pharmaindustrie wegen ihrer kommerziellen Interessen nicht als eine verlässliche Quelle von unabhängiger Information angesehen werden kann. Auch der EU-Ministerrat (die Versammlung aller EU-GesundheitsministerInnen) lehnte die Vorschläge der Kommission ab.

Nach Auffassung der 29 Organisationen sollten sich die Mitglieder des Europäischen Parlamentes mit dem vorliegenden Gesetzesvorschlag gar nicht erst beschäftigen, sondern von der Kommission einen komplett neuen Vorschlag verlangen, der die Bedürfnisse der europäischen BürgerInnen nach unabhängiger, vergleichender und ausgewogener Gesundheitsinformation erfüllt.

Dazu machen die Organisationen fünf konkrete Vorschläge, wie Gesundheitsinformationen im Sinne der VerbraucherInnen verbessert werden können:
· Den Beipackzettel besser lesbar und Nutzen und Schaden aussagekräftig darstellen.
· Verbesserung der Kommunikation zwischen PatientInnen und Arzt /Ärztin.
· Nationale Behörden stellen Gesundheitsinformationen aktiv und transparent zur Verfügung. Dazu gehört auch der öffentliche Zugang zu Daten zur Wirksamkeit und Nutzen von Arzneimitteln und anderen Gesundheitsprodukten.
· Entwicklung, Vernetzung und Stärkung bereits existierender Quellen unabhängiger Gesundheitsinformationen.
· Schärfere Kontrolle von Verstößen gegen das Heilmittelwerbegesetz sowie eine wirksame Ahndung von Verstößen.

(Pressemitteilung BuKo Pharmakampagne vom 15.03.2010)
Pressemitteilung komplett, englische Version (pdf)

lukrativer ‚Nebenverdienst‘ – Pharmageld an Ärzte

Ärzte erhalten Geld von Pharmakonzernen – ein offenes Geheimnis. Doch – wie viel? In den USA kehrt zunehmend mehr Transparenz ein …

Pharmakonzerne zahlen Geldbeträge an Ärzte, für Beratungsleistungen und als Honorare für Vorträge. Die Tatsache an sich ist bekannt – doch wie hoch sind diese Leistungen? In den USA veröffentlichen nun Pharmakonzerne Aufstellungen ihrer Leistungen an ‚influential prescibers‘ im Internet.

Und – es geht bei den Zahlungen von Pharmakonzernen an Ärzte durchaus nicht nur um kleinere Beträge. Der 121-seitige Bericht des Pharmakonzerns GlaxoSmithKline (GSK) zum Beispiel führt auch Ärzte  auf, die ‚Berater-Honorare‘ von annähernd 74.000$ oder ‚Honorare als Redner‘ von über 70.000$ erhalten haben – und dies nur im zweiten Quartal 2009, und nur in den USA.

Der größte Betrag innerhalb der drei Monate April, Mai und Juni 2009 ging an einen Spezialisten für die Behandlung von Asthma und Allergien – allein 99.375$ in 3 Monaten. Medikamente für Asthma und Allergien sind eines der Schwerpunkt-Geschäftsfelder von GSK.

Die Zahlungen als Redner oder Berater sind zudem nicht die einzigen Zahlungen, die GSK an Ärzte leistet. Die Internetseite des Pharmakonzerns führt unter der Kategorie „work with healthcare providers“ auch die Rubriken „Sponsoring und Zuwendungen“ sowie „Forschungs-Zuwendungen“ auf.

Vor GSK haben bereits die Pharmakonzerne Lilly und MSD ihre Zahlungen an Ärzte veröffentlicht, Pfizer wird demnächst folgen – in den USA. Ob derartige Transparenz irgendwann einmal auch für Deutschland zu erwarten ist?

Immerhin – auch für Patienten ist nicht uninteressant zu wissen, von welchem Konzern ihr Arzt welche Beträge erhält – schließlich geht es auch um die Unabhängigkeit des Behandlers und das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient.

Denn – dass die Zahlungen der Pharmaindustrie völlig ohne Absicht, rein aus Philanthropismus erfolgen, steht wohl nicht zu erwarten. Schon der Begriff „influential prescibers“ erzählt viel über die Hintergedanken …

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weitere Informationen:
ft.com 14.12.2009: GSK’s $15m fees data go online
ft.com 20.10.2009: Merck pays $3m in speaker fees to US doctors
Lilly: Registry Report Payments Made Q1-Q2/2009
GSK: Fees Paid to US Based Healthcare Professionals for Consulting & Speaking Services 2nd Quarter 2009

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Preisabsprache bei Potenzmitteln – Millionen-Strafe in der Schweiz

5,7 Millionen Franken Strafe müssen drei Pharmaunternehmen in der Schweiz zahlen – wegen illegaler Preis-Absprachen bei Potenzpillen.

Viagra®, Cialis®, Levitra® – der Einfallsreichtum der Pharmakonzerne ist groß, wenn es um bunte Namen für Pillen geht. Weniger groß scheint der Einfallsreichtum, wenn es um die Preise der Pillen geht. Denn die Verkaufspreise für die drei genannten Potenzpillen hätten die drei herstellenden Pharmakonzerne abgesprochen, befand die Schweizer Wettbewerbskommission.

Damit sie der Wettbewerb zum Nachteil der Verbraucher beeinträchtigt gewesen. Bereits seit 2006 war wegen des Verdachts illegaler Preisabsprachen bei Potenzpillen ermittelt worden. Die Wettbewerbsbehörde verhängte nun gegen die drei Pharmakonzerne Pfizer, Eli Lilly und Bayer eine Strafe von 5,7 Millionen Schweizer Franken. Die Konzerne prüfen derzeit, ob sie Rechtsmittel einlegen.

Medikamente zur Behandlung der ‚erektilen Dysfdunktion‘ (vulgo ‚Potenzmittel‘) werden i.d.R. nicht von der Krankenversicherung übernommen; die Kosten hat der Patient selbst zu tragen.

weitere Informationen:
NZZ 01.12.2009: Unerlaubte Preisabsprachen bei Potenzmitteln
stationäre Aufnahme 01.12.2009: Unerlaubte Preisabsprachen bei Potenzmitteln in der Schweiz
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Die Pharmaindustrie und die Give-Aways …

„Please note Please note that US PhRMA guidelines prohibit US physicians from taking any promotional items“

(gesehen auf der 12. Europäischen Aids-Konferenz in Köln)

Immerhin, im Vergleich zu früheren Jahren hat der Werbe-Zirkus des Pharma-Jahrmarkts auf Aids-Kongressen schon deutlich nachgelassen …

… dennoch: fragt sich nur, wann eine derartige Regelung auch für europäische Ärzte gilt …