Schwerbehindertenausweis ab 2013 in Scheckkarten-Format

Ab 1. Januar 2013 wird der Schwerbehindertenausweis kundenfreundlicher: er wird als Kunststoff-Karte in Form der üblichen Bank-Scheckkarten ausgegeben. Auch das ‚Beiblatt‘ mit Wertmarke für die Nahverkehrsnutzung wird dann auf das neue Format umgestellt, allerdings diese weiterhin getrennt aus Papier.

Das neue Format des Schwerbehindertenausweises ist nicht nur praktischer und nutzerfreundlicher, er erfüllt auch, so der ‚Paritätische‘, „einen Wunsch behinderter Menschen nach einem kleineren Ausweisformat, das weniger diskriminierend wirkt“. Zudem enthält der neue Ausweis erstmals auch den Hinweis auf Behinderung in englischer Sprache – hilfreich z.B. bei Auslandsreisen. Für Menschen mit Sehbehinderung erhält er zudem den Aufdruck sch-b-a in Brailleschrift.

der neue Schwerbehinderten-Ausweis ab 2013 (Foto: BMAS)
der neue Schwerbehinderten-Ausweis ab 2013 (Foto: BMAS)

Die wichtigsten Merkmale des neuen Schwerbehinderten-Ausweises laut Bundesministerium für Arbeit und Soziales:

  • Ausweis heute 13,5 mal 9,5 Zentimeter aus Papier
  • Ausweis künftig aus Plastik im Bankkartenformat
  • neuer Ausweis kann ab dem 1.1.2013 ausgestellt werden (Ausweisausgabe erfolgt durch die Länder)
  • den genauen Zeitpunkt der Umstellung legt jedes Bundesland für sich fest
  • spätestens ab dem 1.1.2015 werden nur noch die neuen Ausweise ausgestellt
  • vorhandene alte Ausweise bleiben gültig. Es müssen also nicht alle im Umlauf befindlichen SB-Ausweise umgetauscht werden

Die Änderung der Schwerbehindertenausweis-Verordnung war bereits am 28. März 2012 vom Bundeskabinett beschlossen worden; am 6. Juli 2012 hat auch der Bundesrat der Änderung zugestimmt.
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weitere Informationen:
Der Paritätische 06.07.2012: Neuer Schwerbehindertenausweis
DAH 10.07.2012: Der nutzerfreundliche Schwerbehindertenausweis kommt!
Bundesministerium für Arbeit und Soziales 28.03.2012: Neuer Ausweis kommt
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„Der blinde Fleck“: ‚HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt‘ ist unter den Top 10 der vernachlässigten Themen

Jährlich untersucht die ‚Initiative Nachrichtenaufklärung‘, welche Themen von Medien in Deutschland nicht oder nicht genügend aufgegriffen werden. Daraus erstellt die Initiative ihre ‚Top 10 der wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten‘.

2012 als zweites Thema ganz oben in den Top 10 der medial vernachlässigten Themen: „HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt: Kein Rechtsschutz gegen Diskriminierung“. Die Initaitive erläutert „Auch 30 Jahre nach dem Bekanntwerden von AIDS sind Betroffene deshalb im Bereich des Arbeitsrechts den existierenden Vorurteilen schutzlos ausgeliefert.“

Die im Mai 1997 gegründete ‚Initiative Nachrichtenaufklärung‘ ist ein Gemeinschaftsprojekt der TU Dortmund, der Universität Siegen sowie der MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation. Sie firmiert selbst unter dem Untertitel „Wir suchen nach den blinden Stellen der Medienlandschaft“. Die Top 10 basieren auf einer Recherche von drei Hochschulen, die medial vernachlässigte Themen analysierten und vorfilterten. Die aus Jopurnalisten und Wissenschaftlern zusammengesetzte Jury der Initiative wählte dann aus den ermittelten 21 Themen ihre Top 10.

Die anderen neun Themen der Top 10 2012: Keine Rente für arbeitende Gefangene, Die Antibabypille – gefährliches Lifestyle-Medikament, Weiterbildung zum Hungerlohn, Hartz IV bei Krankheit – kein Thema, Vergessene Zivilprozesse, Gekaufte Kundenbewertungen im Internet, Miserable Zustände in europäischen Haftanstalten, Die undurchsichtige Industrie humanitärer Hilfe, sowie Betrugsanfälligkeit von Drogentests.

Der blinde Fleck 05.07.2012: Vorgestellt: Top-Themen 2012

[via KoopTech]

„Ficken“ ist jetzt als Marke geschützt – ‚Schnaps‘-Idee mit potentiell weitreichenden Konsequenzen?

Ein Hersteller alkoholischer Getränke hat sich den Begriff „Ficken“ markenrechtlich schützen lassen. Eine ‚Schnaps-Idee‘ mit weitreichenden Folgen, womöglich auch im Aids-Bereich?

„Ficken“ – dieses Wort ist nun eine geschützte Marke. Ein Hersteller alkoholischer Getränke (die EFAG Trade Mark Company) hat sich den Begriff als Marke schützen lassen – für alle alkoholischen Getränke außer Bier, Mineralwasser, Fruchtgetränke und Kleidung (Klasse 25). Das Bundespatentgericht hat der Klage des Herstellers gegen eine vorherige Ablehnung des Markenschutzes durch das Patentamt stattgegeben.

Das Bundespatentgericht (26. Senat) stellte nun fest

„Die angemeldete Marke verstößt nicht gegen die guten Sitten.“

Das Bundespatentgericht machte sich in seinem Urteil weitläufig Gedanken über die heutige Verwendung des Begriffes ‚Ficken‘, vom ‚Duden‘ bis zum neueren Film („Fickende Fische“) und Theater („Shoppen & Ficken“). Auf seine etwaige Verwendung im Kontext von (z.B. HIV-/Aids-) Prävention wird im Urteil kein Bezug genommen.

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Man mag trefflich darüber streiten, ob ein markenrechtlicher Schutz für einen Begriff der Umgangssprache sinnvoll, im Interesse der Gesellschaft ist. Diese (notwendigen) Debatten sollen andere an anderen Orten führen.

So absurd es zunächst scheinen mag – es ist jedoch auch zu überlegen, ob die Marke „Ficken“ schon bald auch mit Aidshilfe kollidieren könnte, mit Aids-Prävention, mit safer-sex-Kampagnen und Kondom-Botschaften.

Ein Beispiel nur:
Man nehme die gelegentlich tatsächlich, gelegentlich bemüht frech wirkenden Sprüche der HIV-Präventionskampagne für schwule Männer „ich weiß was ich tu“ (iwwit) der Deutschen Aids-Hilfe. Sind T-Shirts für Präventions-Kampagnen mit einem Schriftzug wie zum Beispiel

„Ficken? … aber nur mit …“

bald ein Verstoß gegen eine geschützte Marke eines Schnaps-Produzenten? Weil das „F-Wort“ in Kombination mit einem Kleidungsstück benutzt wird?

Postkarte Beim Ficken Kondom und fettfreies Gleitmittel verwenden.  Beim Ficken Kondom und fettfreies Gleitmittel verwenden. (Postkarte der DAH)
Postkarte Beim Ficken Kondom und fettfreies Gleitmittel verwenden. Beim Ficken Kondom und fettfreies Gleitmittel verwenden. (Postkarte der DAH)

Oder das (auch auf ondamaris in der rechten Leiste präsente) ‚ich weiss was ich tu“ – Motiv „Ich hätte nie gedacht mal mit ’nem Positiven zu ficken“ – wird es bald als T-Shirt nicht mehr möglich sein? Weil möglicherweise Verstoß gegen die Markenanmeldung in Klasse 25?

Auch die Bundeszentrale für Gesundheit hat mehrere Produkte im Angebot, die mit dem Wort „Ficken“ aufwarten – wohl zu ihrer Beruhigung bisher nur Print-Medien, für die die Marken-Anmeldung nicht gilt. Basecaps oder T-Shirts könnten bald auch für die BZgA schwieriger werden …

Der Hersteller, der nun den Markenschutz erreicht hat, hat jedenfalls bereits diverse Kleidungsstücke mit dem Aufdruck im Angebot. Darunter auch T-Shirts, beworben mit den Worten „FICKEN Party T-Shirt zum Verfesten auf diversen Veranstaltungen. Super strapazierfähig und hält problemlos FICKEN-Flecken aus“.

Fragen über Fragen … und mehr als eine Schnaps-Idee …

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weitere Informationen:
Bundespatentgericht: Beschluss in der Beschwerdesache betreffend die Markenanmeldung 30 2009 018 699.5 ((AZ 26 W (pat) 116/10), pdf)
Werben&Verkaufen 13.09.2011: „Kein Verstoß gegen die guten Sitten“: Das F-Wort ist jetzt eine Marke
SpON 13.09.2011: Patentstreit – Getränkehersteller schützt „Ficken“ als Marke
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Geschäftspartner als HIV-positiv bezeichnet – Kündigung

Seine Vorgesetzte habe die Nacht mit einem Geschäftspartner verbracht, und der sei HIV-positiv. Sie wisse ja, was sie sich da eingefangen habe. Diese Behauptungen brachten einem 52jährigen Sachbearbeiter in einem Zulieferbetrieb der Automobil-Industrie Klagen wegen Verleumdung und die Kündigung.

Die Kündigung wurde Mitte Juni 2011 vom Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein bestätigt (5 Sa 509/10). Das Landesarbeitsgericht informierte in einer Pressemitteilung:

„Der 52-jährige Kläger war bei der Beklagten, einem Zuliefererbetrieb für die Automobilbranche, seit 1986 als Sachbearbeiter beschäftigt. Seit der Trennung von seiner Familie befand sich der Kläger kurzfristig Mitte 2008 in ambulanter psychologischer Behandlung. Von Ende 2008 bis Mitte 2009 war er aufgrund eines psychischen Zusammenbruchs arbeitsunfähig. Am 08.02.2010 ermahnte die Beklagte den Kläger, seine fortlaufenden anzüglichen Bemerkungen gegenüber dem weiblichen Personal zu unterlassen. Als der Kläger zwei Tage später die mit ihm im Großraumbüro zusammen tätige Vorgesetzte und weitere Arbeitnehmerinnen mit den Worten „Besser eine Frau mit Charakter, als drei Schlampen“ beleidigte, mahnte die Beklagte ihn ab. Am 25.02.2010 forderte der Kläger seine Kollegen und Kolleginnen trotz der Mittagspause auf, zu bleiben, da er gleich eine „Bombe platzen“ lassen würde. Als seine Vorgesetzte erschien, behauptete er, dass sie die Nacht bei einem Geschäftspartner verbracht habe. Er habe ihr Auto gesehen und sie, die Vorgesetzte, wisse ja, dass der Mann HIV positiv sei und was sie sich damit jetzt eingefangen habe. Sowohl die Vorgesetzte als auch der Mann stritten dies ab und stellten gegen den Kläger Strafanzeige wegen Verleumdung. Die Beklagte kündigte dem Kläger aufgrund dieses Vorfalles fristlos. Das Arbeitsgericht Neumünster wies die Kündigungsschutzklage zurück. Im Berufungsverfahren wandte der mittlerweile unter Betreuung stehende Kläger lediglich ein, dass während eines Klinikaufenthalts im April und Mai 2010 festgestellt worden sei, dass er manisch-depressiv sei und auch am 25.02.2010 schuldlos gehandelt habe. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

Zur Begründung hat das Landesarbeitsgericht ausgeführt, dass es nicht darauf ankommt, ob die Vorgesetzte tatsächlich bei dem Geschäftspartner übernachtet hat, denn aufgrund der konkreten Umstände und der süffisanten Diktion der klägerischen Unterstellungen hat er seine Vorgesetzte grob beleidigt. Er hat nicht nur eine Tatsachenbehauptung aufgestellt, sondern wollte die Vorgesetzte gezielt bloßstellen, indem er vermeintliche Intimitäten in deren Anwesenheit den Kollegen gegenüber preisgibt. Der Kläger ist auch bereits einschlägig abgemahnt worden. Zwar setzt eine verhaltensbedingte fristlose Kündigung in der Regel ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitnehmers voraus. Indessen ist es der Beklagten nicht zumutbar, die durch den Kläger andauernd sexuell gefärbte grobe Beleidigungen verursachte erhebliche Störung des Betriebsfriedens und der betrieblichen Ordnung auch künftig hinzunehmen, selbst wenn der Kläger am 25.02.2010 schuldlos gehandelt haben sollte.“

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weitere Informationen:
Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein 17.06.2011: Fristlose Kündigung trotz möglicher Schuldunfähigkeit
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Unterzeichnung der ‚Paris Declaration‘ 1994 – Zeitzeuge Guido Vael: das ungenügend eingehaltene Versprechen

Am 1.12.1994 verabschiedeten die die Staats- und Regierungs-Chefs von 42 Staaten eine Erklärung zu HIV / Aids. Für die Bundesrepublik Deutschland unterzeichnete der damalige Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer das Dokument. Diese ‚Paris Declaration‘ (als Dokumentation deutschsprachiger Text hier:  „Erklärung von Paris – nichtamtliche Übersetzung des BMG„) gilt als das zentrale Grundlagen-Dokument auch zur Beteiligung von HIV-Positiven an sie betreffenden Entscheidungen (GIPA – greater involvement of people with HIV / Aids).

Guido Vael war bei der Unterzeichnung der ‚Paris Declaration‘ dabei – als Mitglied der deutschen Delegation. Im Interview berichtet er, wie es dazu kam.

Guido Vael (Foto: privat)
Guido Vael (Foto: privat)

Guido Vael engagiert sich seit vielen Jahren ehrenamtlich in Schwulen- und Aids-Bewegungen, war u.a. Mit-Organisator des ersten CSD in München 1980 und engagierte sich Ende der 1980er Jahre gegen den ‚Bayrischen Maßnahmen-Katalog‘. Von 1990 bis 1999 war Guido Vael Mitglied des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe. Der gebürtige Belgier ist seit 15 Jahren Leiter des Projekts Prävention im Schwulen Kommunikations- und Kulturzentrum SUB e.V. in München. Vael wurde für sein langjähriges Engagement u.a. mit der Medaille ‚München leuchtet!“ ausgezeichnet.

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Guido, wie kam es dazu, dass du bei der Unterzeichnung der ‚Paris Declaration‘ dabei warst?

Der damalige Bundesgesundheitsminister Seehofer hat einige Leute, die im AIDS-Bereich tätig sind dazu eingeladen. Es waren Mitarbeiter/-innen aus staatlichen Beratungsstellen und NGOs. Wenn ich mich richtig erinnere ging auch eine Einladung an die DAH und ich bin dann als damaliges Mitglied des Vorstands mitgefahren. Meine Vorstandskollegen haben mir wohl den Vortritt gelassen weil ich auch in Bayern aktiv war und Herrn Seehofer bereits kannte von den Ministergesprächen und den Münchner AIDS-Tagen.

Wie kam es zur Entstehung der Erklärung, in welchem Umfeld entstand sie?

Die Erklärung wurde auf die sog. unteren Arbeitsebenen vorbereitet und auch fertig gestellt. Die Regierungsvertreter haben sich in Paris getroffen, „nur“ zum Unterzeichnen. Am Vormittag gab es eine Reihe von Ansprachen u.a vom UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, vom damaligen Leiter von UNAIDS und Regierungsvertretern der sog. Dritten Welt. Ich glaube mich auch an eine bewegende Rede einer HIV-positiven Frau aus Afrika erinnern zu können, die die Notwendigkeit einer globalen, konzertierten Aktion betonte. Die Delegationen saßen dabei wie in einer großen Hörsaal. Mittags gab es ein nobles Essen. Das gehört wohl bei solchen Veranstaltungen dazu. Nachmittags hat Seehofer die Delegation verlassen, um die feierliche Unterschrift zu leisten.

Ich habe einige gute und angenehme Gespräche mit Seehofer führen können, z.B. zum Gesundheitssystem in Deutschland, und ihn als problembewusster Fachmann geschätzt.

Und wie siehst du die Bedeutung der ‚Paris Declaration‘ heute? Welche Bedeutung hat sie, welche könnte sie haben?

Ich denke, dass die Erklärung ein wichtiger und notwendiger Schritt war. Gerade weil auch Diskriminierung und Ausgrenzung darin angesprochen wurde und das Recht auf medizinische Versorgung betont wurde.

Die Geschichte zeigt aber, dass gerade die westlichen Länder ihr Versprechen in meinen Augen ungenügend eingehalten habe. Es stünde auch die Bundesregierung gut an, sich auf die Erklärung zu besinnen. Es soll nicht bei einem Lippenbekenntnis bleiben. Es gibt in vielen Ländern immer noch die Diskriminierung und Ächtung/Ausgrenzung. In vielen Ländern wird HIV/AIDS zu wenig ernst genommen. Eine flächendeckende medizinische und soziale Versorgung ist auch 16 Jahren nach der Pariser Erklärung immer noch nicht erreicht worden.

Lieber Guido, vielen Dank für das Interview!

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Erklärung von Paris – nichtamtliche Übersetzung des BMG

Das Original: UNAIDS – The Paris Declaration: Paris AIDS Summit – 1 December 1994 (pdf)

Indien: 3.000 HIV-Positive demonstrieren für bezahlbare Aids-Medikamente

Mitarbeiter der medizinischen Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen haben am 2. März 2011 in Neu-Delhi zusammen mit mehr als dreitausend HIV-Infizierten aus ganz Asien und dem UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Gesundheit gegen Pläne der Europäischen Union demonstriert. Sie riefen die indische Regierung dazu auf, dem Druck aus der EU zu widerstehen und keine Regelungen im Freihandelsabkommen zu akzeptieren, die Patienten in ärmeren Ländern den Zugang zu bezahlbaren Medikamenten verbauen würden. Heute wird über genau diese Fragen in Brüssel weiter verhandelt.
Mehr als 80 Prozent der Aidsmedikamente, mit denen Ärzte ohne Grenzen weltweit 175.000 Patienten in ärmeren Ländern behandelt, sind günstige Nachahmerpräparate aus Indien. „Wer den Kranken diese Medikamente nimmt, gefährdet ihr Leben. Sowohl bei der Behandlung von Aids als auch bei Krankheiten wie Tuberkulose und Malaria sind wir auf die Produzenten aus Indien angewiesen“, erklärt Oliver Moldenhauer, Koordinator der Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen in Deutschland. „Deutschland ist innerhalb der EU leider einer der entschiedensten Verfechter der Interessen der Pharmaindustrie.“

Die EU besteht auf Regelungen zum Schutz geistigen Eigentums, die über das hinausgehen, was bisher für internationale Handelsverträge gefordert wird. Für die Patienten wäre vor allem die von der EU angestrebte so genannte „Datenexklusivität“ im Zulassungsverfahren verheerend. Diese Regelung wirkt wie ein Patentschutz für die Medikamente der Pharmafirmen und würde bezahlbare Nachahmerpräparate selbst dann vom Markt fernhalten, wenn diese nicht unter tatsächlichem Patentschutz stehen. Nach wie vor behauptet die EU fälschlicherweise, dass diese Regelungen den Zugang zu Medikamenten nicht behindern würden.

“Die schädliche Wirkung der Datenexklusivität auf die öffentliche Gesundheit ist bei Freihandelsabkommen zwischen anderen Ländern bereits nachgewiesen“, erklärt Anand Grover, UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Gesundheit. „Es wäre ein kolossaler Fehler, Datenexklusivität in Indien einzuführen, wenn Millionen von Menschen auf der ganzen Welt auf Indien als „Apotheke der Armen“ angewiesen sind.“

“Unser Überleben hängt von bezahlbaren Medikamenten aus Indien ab”, erklärt Rajiv Kafle aus Nepal vom „Asia Pacific Network of Positive People“. „Ein Rückschritt in die Zeit, als unsere Angehörigen und Freunde starben, weil sie sich keine Medikamente leisten konnten, wäre grauenhaft. Wir sind heute nach Delhi gekommen, um eine einfache Botschaft an die indische Regierung zu richten: Verkauft nicht unser Leben mit dem EU-Indien-Freihandelsabkommen.“

(Pressemitteilung Ärzte ohne Grenzen)

Ronald Reagan: Ehrungen für Aids-Ignoranten?

In den USA beginnen in diesen Tagen monatelange Jubelfeiern für Ronald Reagan, den 2004 verstorbenen 40. Präsidenten der USA. Selbst in Deutschland schlagen Politiker vor, ihn zu ehren, Straßen oder Plätze nach Reagan zu benennen. Doch – Ronald Reagan stand in Sachen Aids für Ignoranz, für Tausende Aids-Tote, für Desinteresse, das Leben kostete.

Am 6. Februar 1911 wurde Ronald Reagan in Tampico Illinois geboren. Nach einer Karriere als Schauspieler in zahlreichen ‚B-Movies‘ war er von 1981 bis 1989 der 40., Präsident der USA. Anlässlich seines 100. Geburtstags beginnen in den USA in diesen Tagen Feierlichkeiten zu Reagans Ehren, die als ‚Reaganiana‘ mit Konferenzen, Ausstellungen und anderen Events das ganze Jahr andauern sollen.

Ronald Reagan war als Politiker zu Lebzeiten stark umstritten. Der erzkonservative Republikaner, inzwischen zur Ikone rechter Politik geworden, stand zu Regierunsgzeiten für Abbau des Sozialstaats, Rekord-Verschuldung – und eine Ignoranz gegenüber der gerade beginnenden Aids-Krise, die viele Menschen das leben kostete.

„Die Regierung ist nicht die Lösung, die Regierung ist das Problem“, dieser Satz aus Reagans Rede anlässlich seiner Amtseinführung 1981 wirkt heute geradezu wie sein Credo, das Grund-Motto seiner Regierungszeit: weitgehende Entstaatlichung. Zum Ausdruck kommt auch das bipolare Denken Reagans – die Einteilung der Welt in ‚gut‘ und ‚böse‘, in ‚Freiheit‘ oder ‚Kommunismus‘, in ‚bösen Staat‘ und ‚gute Privatwirtschaft‘. Folgen der ‚Reagonomics‘ waren u.a. ein demontierter Sozialstaat und eine Staatsverschuldung in zuvor unbekannter Höhe.

Ronald und Nancy Reagan 1981 während der Parade zur Amtseinführung (Foto: wikimedia / White House Office)
Ronald und Nancy Reagan 1981 während der Parade zur Amtseinführung (Foto: wikimedia / White House Office)

In Reagans Amtszeit als US-Präsident fällt auch der Beginn der Aids-Krise. Im Juni 1981 wird erstmals über ungewöhnliche Erkrankungen bei ansonsten gesund scheinenden jungen schwulen Männern berichtet.

Der US-Präsident braucht fünf Jahre, bis er Stellung nimmt: am 17. September 1985 erwähnt er erstmals (!) überhaupt in einer öffentlichen Rede Aids – in Reaktion auf die Frage eines Reporters. Und es dauerte bis 1987 (am 1. April, Rede im Philadelphia College of Physicians), bis er ein öffentliches Statement zur HIV-Epidemie und Aids-Krise gab. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits über 45.000 Aids-Fälle allein in den USA gemeldet. Allein im Jahr 1987 starben 4.135 US-Amerikaner an den Folgen von Aids; insgesamt waren zu diesem Zeitpunkt schon über 13.000 Menschen allein in den USA an Aids gestorben.

Am 31. Mai 1987, dem Vorabend der Eröffnung der 3. Internationalen Aids-Konferenz in Washington, forderte Reagan dann anlässlich eines Dinners der American Foundation for AIDS Research nach seinem jahrelangen Schweigen routinemäßige HIV-Zwangstests (und stieß auf der Konferenz mit diesem Vorschlag auf lebhafte Ablehnung). Im Juni 1987 setzte der US Public Health Service Aids auf die Liste derjenigen Erkrankungen, wegen der Menschen aus den USA abgeschoben werden konnten. Und einen Monat später folgte mit dem ‚Helms Amendment‘ die Einführung des US-Einreiseverbots für HIV-Positive.

Unterstützung für seine ultrakonservative Politik fand Reagan immer wieder bei dem 2008 verstorbenen rechtskonservativen Senators Jesse Helms, einer der aggressivsten Kämpfer gegen Rechte von Schwulen und Lesben in den USA – und einem Kämpfer für eine sehr konservative und restriktive Aids-Politik (Helms war Betreiber des erst am 4. Januar 2010n endgültig aufgehobenen US-Einreiseverbots für HIV-Positive).

‚Ignorance Kills‘, Ignoranz tötet – dieser Slogan der Aids-Aktivistengruppe ACT UP war direkte Reaktion auf eine von Ronald Reagan ausgehende US-Politik, die sich jahrelang weigerte, die Aids-Krise ernst zu nehmen.

Am 6. Februar 2011 jährt sich zum 100. Mal der Geburtstag von Ronald Reagan. Verteidigungsminister Guttenberg (CSU) fordert, einen Platz oder eine Straße in Berlin nach Ronald Reagan zu benennen. Dies nicht zu tun, sei geschichtsblind, sekundiert Martin Lindner (FDP).

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weitere Informationen:
salon.com 04.02.2011: Ronald Reagan cared more about UFOs than AIDS
LHBT pov 06.02.2011: Ronald Reagan’s Real Legacy: Death, Heartache and Silence Over AIDS
Welt 22.12.2010: Guttenberg fordert Ronald-Reagan-Platz in Berlin
towleroad 07.02.2011: Reagans Failure to Act
Larry Kramer in ‚The Advocate‘ 06.02.2011 (original 2004): Adolf Reagan
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Berlin: HIV-Positive diskutieren mit Gesundheitssenatorin über Aids-Konzept

Berlins Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher diskutierte am 24. Januar 2011 in einer Veranstaltung für Menschen mit HIV und Aids das Rahmen-und Entwicklungskonzept HIV/Aids des Berliner Senats.

Berlins Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz, Katrin Lompscher, stellte Berliner Menschen mit HIV und Aids in einer zweistündigen Veranstaltung das Rahmen- sowie das Entwicklungskonzept HIV/Aids Berlin vor und diskutierte mit ihnen über Probleme und Wege der Umsetzung.
Anwesend waren auch die gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion der SPD Thomas Isenberg sowie der Linken Wolfgang Albers und der stellvertretende Leiter der Abteilung I Gesundheit der Senatsverwaltung Heinrich Beuscher. Das Konzept wird am 7. Februar 2011 (12:00, öffentliche Sitzung) im Gesundheits-Ausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses behandelt.

Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher am 24.1.2011 bei der Diskussion des Aids-Konzepts mit Berliner Positiven
Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher am 24.1.2011 bei der Diskussion des Aids-Konzepts mit Berliner Positiven

Lompscher stellte in einem 30minütigen Vortrag das Rahmenkonzept sowie das Entwicklungskonzept vor – wie auf dem Berliner Positivenplenum im Februar 2011 angekündigt (siehe „Berlin: Senatorin Lompscher im Dialog über Erwartungen und Bedürfnisse Berliner Positiver „). Anschließend diskutierten Teilnehmer/innen und Senatorin 90 Minuten Problembereiche sowie Fragen der Umsetzung.

Rahmenkonzept und Entwicklungskonzept

Rahmenkonzept: „Um den veränderten Anforderungen an die Präventionsarbeit Rechnung zu tragen, hat die Senatsgesundheitsverwaltung das Rahmenkonzept zur Prävention von HIV/Aids, sexuell übertragbaren Infektionen und Hepatitisinfektionen in Berlin entwickelt. Das Konzept wurde in Abstimmung mit freien Trägern, dem Paritätischen Wohlfahrtsverband und Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes erstellt.“

Das Rahmenkonzept benennt 8 übergeordnete Ziele:

  • Verankerung des Präventionswissens in den Zielgruppen
  • Stärkung der Handlungskompetenzen für die individuelle Gesunderhaltung sowie Förderung eines nachhaltigen Schutzverhaltens und dessen Implementierung im persönlichen Lebensstil
  • Stärkung der zielgruppenspezifischen Angebote durch verbindliche Kooperationen der Projekte im Handlungsfeld, mit angrenzenden Bereichen und mit den Institutionen in der Regelversorgung
  • Verbesserung der gesundheitsbezogenen Chancengleichheit
  • Verstärkung der Prävention in Betriebsstätten, in denen sexuelle Begegnungen stattfinden und/oder sexuelle Dienstleistungen angeboten werden
  • Förderung eines akzeptierenden und solidarischen Umgangs mit Menschen mit HIV/Aids und/oder Hepatitiden
  • Förderung der Gesundheit bei Menschen in Haft
  • Stärkung der Selbsthilfe und des ehrenamtlichen Engagements

Senatorin Lompscher betont, Grundlage des Rahmenkonzepts sei die bisherige erfolgreiche Arbeit. Das Rahmenkonzept selbst sei auch Resultat einer Evaluation der bestehenden Projekte. Zukünftig solle der Aktionsradius ausgeweitet werden – der Zusammenhang zwischen HIV-Prävention und Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen rücke zunehmend in den Vordergrund.

Zum Themenfeld HIV werde das Wissen um den eigenen HIV-Status zum Schwerpunkt, und damit HIV-Test und Test-Beratung inkl. der Stärkung der Verbindung mit bundesweiten Kampagnen (wie „ich weiss was ich tu“). Ziel seien für 2011 mindestens drei („besser 4“) hier aktive Projekte.
Das Rahmenkonzept wurde vom Berliner Senat am 19. Oktober 2010 beschlossen.

Entwicklungskonzept: Dieses von Prof. Rolf Rosenbrock (WZB Berlin) erstellte Konzept war von der Senatsgesundheitsverwaltung in Auftrag gegeben worden, um auf der Grundlage des vom Senat beschlossenen Rahmenkonzeptes zur HIV- und Aidsprävention in Berlin konkrete Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Präventionsarbeit abzuleiten.
Autor Prof. Rolf Rosenbrock zum Entwicklungskonzept:

„Mein Entwicklungskonzept empfiehlt der Senatsgesundheitsverwaltung, zusammen mit den 12 Projekten und den anderen beteiligten Senatsverwaltungen einen auf Dialog und Partizipation gegründeten Entwicklungsprozess zu starten, durch den Versorgungslücken gefüllt und die Herausforderungen der Zukunft angegangen werden sollen. Dieser Prozess wird bis zu zwei Jahre dauern. Verstärkte und innovative nicht-medizinische Primärprävention in Verbund mit den gewachsenen Möglichkeiten der medizinischen Primärprävention kann eine Dynamisierung der Epidemien verhindern.“ (Pressemitteilung der Senatsverwaltung vom 01.12.2010)

Das Entwicklungskonzept empfiehlt die Einrichtung projekt- und verwaltungsübergreifender Themengruppen für einen auf zwei Jahre angelegten partizipativen Prozess der Organisationsentwicklung:

  1. Sexual Health und Drogenprävention im Unterricht
  2. Primärprävention mit MSM
  3. Prävention mit MigrantInnen
  4. Prävention mit Frauen in der Prostitution
  5. Prävention mit Menschen, die intravenös Drogen gebrauchen
  6. Prävention im Gefängnis
  7. Tertiarprävention I: Beratung und Unterstützung für Menschen mit HIV
  8. Tertiärprävention II: Soziale Versorgung für Menschen mit HIV und Drogenproblemen

sowie zusätzlich vier Querschnittsgruppen (Ehrenamt, Qualitätssicherung, Internet, Finanzierung).

Nach Auslaufen des Integrierten Gesundheitsvertrags IGV werden die Berliner Aids-Projekte weiterhin wie bisher gefördert über das Integrierte Gesundheits-Programm IGP, dessen Steuerung nun direkt durch die Senatsverwaltung für Gesundheit erfolgt. Ziel des Entwicklungskonzepts ist es damit insbesondere auch aufzuzeigen, wie die benannten Ziele mit der gewachsenen Projekte-Landschaft erreicht werden können (Beispiel: beim Ziel ’safer settings‘ gehe es z.B. darum, wie die Wirte- / Präventions-Vereinbarung auch auf breiterer Basis umgesetzt und praktisch unterstützt werden kann). Lompscher wies darauf hin, dass hier Träger zukünftig auch andere Aufgaben bekommen könnten – und sie hierzu bereit sein müssten.

Diskussion

Beteiligung von Menschen mit HIV – GIPA

Berlin bekennt sich zum GIPA-Prinzip, dies begrüßten die Teilnehmer erneut – dieses Bekenntnis zur Einbeziehung von Menschen mit HIV und Aids müsse sich allerdings auch im konkreten Handeln von Politik und Verwaltung sowie im Rahmen- bzw. Entwicklungskonzept widerspiegeln. Menschen mit HIV seien einer der wesentlichen Akteure – und dürften hier nicht fehlen. Ihre aktive Einbeziehung müsse sich als Ziel auch im Konzept finden – das GIPA-Prinzip müsse explizit genannt werden, zum Beispiel in Form einer Selbstverpflichtung, bei allen Entscheidungen (nicht nur in Projekten, sondern auch den ‚übergeordneten‘ Entscheidungen) Menschen mit HIV einzubeziehen.

Basis des Konzepts

Mehrere Teilnehmer sehen einen Schwachpunkt des Konzeptes darin, dass dieses im wesentlichen von der Evaluation der bestehenden Projekte-Landschaft ausgeht – es fehle die Betrachtung der Frage, was denn zukünftig angestrebt werde, ebenso wie die Frage, welche Bedarfe sowie Erfahrungen mit der bestehenden Projekte-Landschaft Menschen mit HIV haben. Eine Analyse des Ist-Zustands einzig aus Sicht der bestehenden Projekte reicht nicht aus.
Senatorin Lompscher erwidert, es sei nicht anders machbar als vom Ist-Zustand auszugehen – es komme darauf an, die Projekte ‚mitzunehmen‘, die gestellten Ziele müssten mit den vorhandenen Projekten erreicht werden.

Einzel-Themen

Menschen mit HIV werden immer älter – die Frage sich verändernder Lebensperspektiven (angesichts steigender Lebenserwartung) sollte einbezogen werden.

Zunehmend mehr Menschen mit HIV sind im Erwerbsleben – ihre Lebensrealitäten und Anforderungen finden sich im Konzept bisher nicht ausreichend wieder, müsse deutlicher werden.

Das Thema ‚Sexarbeit‘ (Themengruppe 4) betrifft nicht nur Frauen, insbesondere wird auf das Fehlen jeglichen Hinweises auf Trans* hingewiesen. Sinnvoller sei z.B. ‚Menschen in Sexarbeit‘.

Der Zusammenhang zwischen HIV und Konsum von Rauschmitteln gerade auch bei Männern, die Sex mit Männern (MSM) haben, müsse deutlicher einbezogen werden – eine wirkungsvolle HIV-Prävention bei MSM sei ohne dieses Thema wenig zielführend.

Hingewiesen wird auf die Bedeutung eines transparenten Beschwerde-Managements – auf Ebene der Träger / Projekte, aber auch übergreifend.

Zum Abschluss der Diskussion betont der stellvertretende Abteilungsleiter Gesundheit Herr Beuscher stellvertretend für die (die Umsetzung des Konzeptes steuernde) Verwaltung, ihm sei wichtig, sobald der Souverän (das Landesparlament) den Auftrag zur Verbesserung des bestehenden Systems erteilt, auch die Erfahrungen der Menschen mit HIV einzubeziehen.
Das Konzept solle kein Konzept für Träger sein, sondern eines für Menschen. Die Träger / Projekte seien elementarer Bestandteil als Erbringer der zur Erreichung der Ziele geforderten Leistungen, müssten sich neuen Situationen anpassen – im Mittelpunkt aber stünden die Menschen. Menschen mit HIV sollen zukünftig als Teil des Prozesses mit ihrer Expertise eingebunden werden.

Ergebnisse

Senatorin Lompscher drückte ihre Hoffnung aus, der Gesundheitsausschuss finde einen Weg, dem Wunsch nach Einbeziehung von Menschen mit HIV im Entwicklungskonzept und in der Aids-Politik des Landes Ausdruck zu verleihen.

Sie kündigte an, der Steuerungskreis (der das IGP in der Senatsverwaltung steuert) solle verbindlich um einen Vertreter der Menschen mit HIV erweitert werden.

Lompscher betonte, der Teilnehmerkreis der im Entwicklungskonzept benannten Themengruppen könne jeweils gern um Menschen mit HIV erweitert werden, wenn (a) Menschen mit HIV selbst Interessen formulieren und (b) glaubhaft machen, dass sie hier auch Beiträge leisten können.

Sie begrüßte die zahlreich eingebrachten Ideen und Hinwiese und forderte dazu auf, diese in die konkrete Arbeit der Themen- und Querschnittsgruppen einzubringen. Menschen mit HIV seien hier aufgefordert, sich aktiv in den Prozess einzubringen.

Sie betont, Ziel sei es weniger, das Entwicklungskonzept durch eine zweite und dritte Text-Fassung zu optimieren. Das Konzept solle einen Prozess anstoßen – diesen gelte es nun gemeinsam aktiv zu gestalten.

Die Teilnehmer schlagen eine Vertiefung der Diskussion in einer weiteren Veranstaltung vor, zumal in dieser Veranstaltung nicht alle Themenkomplexe zur Sprache kamen. Hier solle insbesondere die Möglichkeit zur Diskussion mit Prof. Rosenbrock als Autor des Entwicklungskonzeptes bestehen.

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Es ist zu begrüßen – gerade auch im Vergleich mit der Situation in anderen Kommunen und Bundesländern -, dass Berlins Gesundheitssenatorin sich zum zweiten Mal zum Dialog mit HIV-Positiven traf. Und so auch einen Schritt in Richtung Umsetzung des GIPA-Prinzips unternahm.

Allerdings kann dies nur ein erster Schritt gewesen sein, dem weitere folgen müssen.

GIPA sieht im Idealfall anders aus – aber mit dem Gespräch vom Februar 2010 über Erwartungen und Bedürfnisse und der Vorstellung des Konzepts nun ein Jahr später ist ein Anfang gemacht im Dialog zwischen HIV-Positiven und Berliner Politik.

Ein ernsthaftes Bemühen um GIPA, um Einbeziehung HIV-Positiver und Aids-Kranker bei den sie betreffenden Entscheidungen bedeutet nicht nur Information, sondern echten Dialog. Bedeutet rechtzeitige Einbindung, nicht Information erst wenn bereits Tatsachen geschaffen sind. Bedeutet echte Partizipation, bei der nicht nur Gespräche stattfinden, sondern deren Ergebnisse sich auch auf den Prozess und seine Resultate auswirken. Bedeutet verbindliche Beteiligung von Positiven-Vertreter/innen auf Projekte- und übergeordneter Ebene.

Ein erster Aufschlag in Richtung GIPA ist in der Berliner Aids-Politik gemacht. Für ein ernsthaftes Bemühen um Einbindung HIV-Positiver in die sie betreffenden Entscheidungen braucht es nun beiderseits, bei Senat und HIV-Positiven, weitere konstruktive Schritte.

Dringend erforderlich ist nun zudem ein politisches Signal. Die Beteiligung von Menschen mit HIV, zu der sich das Bundesland Berlin im September 2009 offiziell bekannt hat, muss sich auch im mit Rahmen- und Entwicklungskonzept angestoßenen Prozess (auf Arbeits- wie auch auf übergeordneter Ebene) wiederfinden – sei es durch eine entsprechende Änderung des Entwicklungskonzepts, sei es durch einen entsprechenden Beschluss des Gesundheitsausschusses.

Gelegenheit dazu ist – bei der Behandlung von Rahmen- und Entwicklungskonzept Aids in der Sitzung des Gesundheitsausschusses des Berliner Abgeordnetenhauses am 7. Februar 2011.

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weitere Informationen:
Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin: Rahmenkonzept zur Prävention von HIV/Aids, Hepatitis- und sexuell übertragbaren Infektionen sowie zur Versorgung von Menschen mit HIV/Aids und/oder chronischen Hepatitisinfektionen in Berlin (pdf)
Expertise von Prof.Dr. Rolf Rosenbrock, Wissenschaftszentrum Berlin im Auftrag der Senatsverwaltung für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz Berlin: Entwicklungskonzept für die Prävention von HIV/Aids, sexuell übertragbaren Infektionen und Hepatitiden in Berlin, Oktober 2010 (pdf)
Berliner Senat / Initiative sexuelle Vielfalt (beschlossen am 02.04.2009) (pdf)
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Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

Etwa 30.0000 Bundesbürger leben ohne Krankenversicherungsschutz. Dazu gehören Selbständige, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten, Studenten, die wegen Alters oder zu langer Studiendauer aus der studentischen Krankenversicherung hinausfallen und Menschen, die mit den ganzen Formalia der Bürokratie nicht klarkommen. Für Asylbewerber sieht das Asylbewerber Leistungs Gesetz im Grunde nur eine Notversorgung vor. Dazu kommen hunderttausende bis zu einer Million Menschen, die sich im Sinne des Ausländergesetzes illegal im der BRD aufhalten und Touristen ohne Versicherungsschutz.

Alle in der Flüchtlingsarbeit Tätigen, also auch die Aidshilfen, wissen, wie schwierig es ist, im Einzelfall die Versorgung Kranker sicherzustellen. Klar die Schwerpunktpraxen und viele engagierte Ärztinnen und Ärzte versorgen auch mal einen Menschen kostenfrei, aber Laboruntersuchungen, Gerätemedizin und gar Krankenhausaufenthalte werfen immer wieder Finanzierungsprobleme auf. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es staatliche Zentren zur Versorgung nicht Versicherter gibt, steht in der BRD die immerwährende Suche nach Lösungen im Einzelfall an. In einigen Städten haben die Flüchtlingsorganisationen Notambulanzen eingerichtet, die Obdachlosenhilfe engagiert sich und der Malteserorden unterhält im mehreren Städten überwiegend einmal wöchentlich geöffnete Ambulanzen, in denen Menschen untersucht betreut und mit gespendeten Medikamenten versorgt werden.

Die Aidshilfe Offenbach hat im Rahmen der interkulturellen Wochen Herrn Dr. Kauder aus Darmstadt eingeladen, der sich vorstellte, er stehe nach dreißig Jahren internistischer Tätigkeit, zuletzt als leitender Klinikarzt auf der Rentnerliste der KV Hessen. „Das war für mich aber kein Schlussstrich, sondern die Gelegenheit, jetzt meinen Traum verwirklichen, nach jahrzehntelanger strukturierter Kassenarzttätigkeit endlich einmal humanitäre Medizin zu betreiben. Auf diese Art und Weise ist zunächst als Plan und dann als Realität die Anlaufstelle Malteser Migranten Medizin MMM am Marienhospital Darmstadt entstanden.“ Getragen ist das Projekt von seiner „felsenfesten Überzeugung aller Beteiligten, dass jeder Mensch Zugang zu medizinischer Versorgung haben sollte“. Dazu benötigt man als zentrale Funktionseinheit einen Träger der Einrichtung, geeignetes ärztliches und Assistenzpersonal sowie Praxisräume. Erforderlich sind medizintechnische Infrastruktur, ein Netzwerk von Konsiliarärzten und eine Personalreserve ist erforderlich. Es werden quasi als Schutzschicht Förderer und Gönner benötigt. Für einen reibungslosen Betrieb muss der Kontakt zu Behörden und Einrichtungen hergestellt werden. Und dann bedarf es einer Öffentlichkeitsarbeit, mit der sowohl die Bevölkerung als natürlich auch die Patienten über die Existenz des Projektes informiert werden. Er schildert: „Von Anfang an bestand Klarheit, dass wir eine qualifizierte, zeitgemäße Versorgung unserer Patienten gewährleisten und nicht nur eine Barfußmedizin betreiben wollten. Dankenswerterweise erklärte sich das Krankenhaus bereit, seine Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ich kann also bei Bedarf und das sogar sofort vor Ort Labor-, Röntgen- und Endoskopiediagnostik betreiben. Blutzucker- und Harnuntersuchungen machen wir in der Praxis selbst, außerdem verfügen wir dort über ein eigenes, jeweils gespendetes EKG, Spirometer und Sonographiegerät.“

„Um den Betrieb der Ambulanz rechtlich und organisatorisch abzusichern, muss sie nicht nur öffentlich akzeptiert, sondern institutionell und behördlich abgesichert sein. Nur so ist zu erreichen, dass sie später nicht mehr angegriffen oder infrage gestellt wird. Wir haben deswegen zu zahlreichen Stellen Kontakt aufgenommen und dort sowohl uns persönlich als auch unser Projekt vorgestellt. Die übliche Praxis-Eröffnungsanzeige in der Tageszeitung oder im Radio schied a priori aus, da wir einerseits keine Trittbrettfahrer anziehen wollten, andererseits unsere Botschaft kaum unsere Zielgruppe erreicht hätte. Welcher illegale Migrant liest schon das Darmstädter Echo oder hört den Hessischen Rundfunk? Die Information musste also durch Mund zu Mund Propaganda weitergegeben werden. Wichtigster Multiplikator war für uns hierbei das Interkulturelle Büro beim Sozialamt der Stadt Darmstadt, das regelmäßigen Kontakt zu fast 140 strukturierten Migrantenvereinigungen in Darmstadt hält. Glücklicherweise wurden wir dort mit offenen Armen empfangen, unser Vorhaben sogar materiell unterstützt und unsere Flyer an die Zielgruppen verteilt.“

Nach Anlaufschwierigkeiten, in denen mehr deutsche nicht Versicherte die Hilfe der Ambulanz in Anspruch nahmen sind inzwischen etwa zwei Drittel der bis zu zwanzig Patienten wöchentlich Ausländer. Das Arbeitsspektrum ist weit. Es geht von der Begleitung Schwangerer bis hin zur Sterbebegleitung krebskranker Menschen. In der dem Vortrag sich anschließenden regen Diskussion berichtete die Ärztin der MMM Frankfurt am Bürgerhospital von ihren Schwierigkeiten, Urlaubsvertretungen zu finden, von der Angst der Patienten, wenn vor der Klinik ein Polizeiauto steht. Es kam zur Sprache die Angst mancher Ärzte, sie machten sich ausländerechtlich strafbar, wenn sie Hilfe leisten. Dazu hat der Berliner Innensenator Körting klargestellt: „Ich bin der Meinung, dass die Verpflichtung zur Datenübermittlung in Fällen unerlaubten Aufenthalts gern. § 76 Abs 2 Nr. 1 AuslG abschließend und hinreichend in der bundesweit verbindlichen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 geregelt ist. Unabhängig davon, ob es sich um die Gewährleistung medizinischer Versorgung, vorschulische oder schulische Bildung, soziale Betreuung oder ähnliches handelt, sind öffentliche Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1-3 und 4 S.2 BDSG übermittlungspflichtig. Diese Pflicht trifft hier – also in allen Einrichtungen in städtischer Trägerschaft oder Behörden – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über die Aufnahme und Gewährung von Leistungen entscheiden und sich in diesem Zusammenhang über die Anschrift und damit auch den Aufenthaltsstatus des Betroffenen unterrichten müssen. Sonstiges Personal, das lediglich im Rahmen der Tätigkeit von dem illegalen Aufenthalt erfährt (etwa Ärzte, Erzieherinnen, Lehrer, Sozialarbeiter etc.) sind nicht übermittlungspflichtig. Nicht öffentliche Stellen – Einrichtungen in privater Trägerschaft, in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen – sind nicht zur Datenübermittlung gem. § 76 Abs. 2 AuslG verpflichtet. Das gilt auch, wenn sie aus öffentlichen Mitteln finanziert oder bezuschusst werden.“

Mitteilen kann man nur was man weiß. Und das hängt davon ab, was man fragt. Ein lebenspraktisch leicht lösbares Problem. Dennoch, die Ängste gibt es. Dies wird auch deutlich aus einer Entschließung des 108. Deutsche Ärztetages im Jahre 2005, in der festgestellt wird, dass Deutschland nicht den erforderlichen medizinischen Standards entspricht, die Versorgung durch gesetzliche Regelungen behindert. wird. Die Entschließung fordert, die politisch Verantwortlichen auf, „die medizinische Behandlung von in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Dazu gehört die Rechtssicherheit für Behandelnde, es muss klargestellt werden, dass ärztliche Hilfe nicht die Tatbestandsmerkmale der Beihilfe für illegalen Aufenthalt erfüllen. Die Gleichsetzung von Ärzten mit z. B. Schleppern, Schleusern und Menschenhändlern, wie aus § 96 AufenthG gefolgert werden kann, ist nicht akzeptabel. Aufzuheben ist die „Übermittlungspflicht“ für öffentliche Krankenhäuser an die Ausländerbehörden. Die Übermittlung von Daten gemäß § 87 AufenthG hat in der Regel die Abschiebung zur Folge. Die Verpflichtung zur ärztlichen Verschwiegenheit wird damit unterlaufen. Oft wird eine lebensnotwendige stationäre Behandlung aus Angst vor Abschiebung vermieden. Erforderlich ist eine Kostenregelung für die Behandlung von Menschen ohne Papiere. Die bisher übliche Praxis, die auf der kostenlosen Hilfe einzelner Ärztinnen und Ärzte oder von Krankenhäusern beruht, ist nicht ausreichend und auf Dauer finanziell nicht durchführbar. Eine Kostenübernahme durch die Sozialämter, die dann aber die Abschiebung zur Folge hat, ist keine realistische Lösung. Es ist vielmehr eine staatliche Aufgabe, allen hier lebenden Menschen eine angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen. “

Das fordert nicht nur die Humanität sondern ergibt sich schon daraus, dass es sträflich ist, Menschen mit zum Teil ansteckenden Krankheiten unversorgt zu lassen.

Daher die Bitte, unterstützen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten die Ambulanzen und machen Sie ihren Einfluss geltend, dass Kranke in Deutschland fachgerecht versorgt werden, ohne aus diesem Grunde eine Abschiebung befürchten zu müssen.

(Erst-Veröffentlichung dieses Textes in der ‚posT‘ Januar 2008)

Bundessozial- gericht: Keine Übernahme der Zuzahlungen für Arzneimittel und der Praxisgebühren eines HIV-Infizierten in der gesetzlichen Krankenversicherung durch die Sozialhilfeträger

Der 50 Jahre alte HIV-infizierte Kläger, der neben einer Erwerbsunfähigkeitsrente Sozialhilfe (Hilfe zum Lebensunterhalt) bezog, musste erstmals im Jahr 2004 insgesamt 35,42 Euro und im Jahr 2005 ins­gesamt 41,50 Euro an Zuzahlungen zu Arzneimitteln und Praxisgebühren auf Grund von Gesetzes­änderungen im Bereich des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch ‑ Gesetzliche Krankenversicherung ‑ (SGB V) und des Sozialhilferechts selbst tragen; diese Beträge entsprachen der jährlichen Belas­tungsgrenze. Der Beklagte hat die Übernahme dieser Kosten abgelehnt; die Klage hatte weder beim Sozialgericht noch beim Landessozialgericht Erfolg.

Mit seiner Entscheidung vom 16. Dezember 2010 ‑ B 8 SO 7/09 R ‑ hat der 8. Senat des Bundes­sozialgerichts die Entscheidung des Landessozialgerichts zwar aufgehoben und die Sache an dieses Gericht zurück­verwiesen, weil ausreichende Feststellungen dazu fehlen, ob dem Kläger insgesamt ein höherer Sozialhilfeanspruch zusteht; bestätigt hat es jedoch die Entscheidung dieses Gerichts, dass der Kläger keinen Anspruch auf Übernahme von Zuzahlungen zu Arzneimitteln und Praxisgebühren (bis zur jährlichen Belastungsgrenze) besitzt, weil die entsprechenden Regelungen des SGB V, des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) und des ab 1. Januar 2005 geltenden SGB XII, die davon aus­gehen, dass diese Kosten vom Regelsatz erfasst werden, nicht verfassungswidrig sind.

Az.: B 8 SO 7/09 R W.Z. ./. Oberbürgermeister der Stadt Köln

(Medieninformation Bundessozialgericht Kassel Nr. 48/10)

China: Aids- Aktivist in Foltergefahr

Tian Xi wurde am 17. August in der chinesischen Provinz Henan festgenommen. Mit dieser Maßnahme wollten die Behörden den Mann davon abhalten, sich bei ihnen weiterhin zugunsten von Menschen einzusetzen, die sich infolge medizinischer Fehler bei den Behörden mit dem HI-Virus infiziert haben oder an AIDS erkrankt sind. Tian Xi ist in Gefahr, gefoltert oder in anderer Weise misshandelt zu werden. Tian Xi hat sich 1996 im Alter von neun Jahren durch eine Bluttransfusion mit dem HI-Virus und überdies mit Hepatitis A und B infiziert. Am 2. August 2010 suchte er das Krankenhaus auf, in dem die Bluttransfusion vorgenommen worden war, um mit dem Leiter der Klinik über Entschädigungsleistungen für sich und andere seinerzeit infizierte Menschen zu verhandeln. Der Klinikleiter zeigte sich jedoch nicht gesprächsbereit und stieß Tian Xi von sich weg. Aus Verärgerung darüber nahm Tian Xi einige auf dem Schreibtisch liegende Gegenstände und warf sie zu Boden.

In der Nacht des 17. August tauchten annähernd 20 PolizistInnen und in weißen Kitteln gekleidete Personen in der Wohnung von Tian Xi auf, nahmen ihn fest und brachten ihn in das Volkskrankenhaus Nr. 2 im Kreis Xincai. Dort wurde ihm ein Zimmer zugewiesen, das für in Polizeihaft befindliche Personen vorgesehen ist. In dem Raum waren zudem mehrere PolizistInnen postiert. Tags darauf wurde Tian Xi zur Polizeiwache von Xincai gebracht und dort inhaftiert. Am 23. August erging gegen ihn Anklage wegen „vorsätzlicher Beschädigung von Eigentum“, weil er sich von dem Schreibtisch Tassen und andere Gegenstände gegriffen und zu Boden geworfen hatte. Am 25. August wurde sein Fall an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Einen Tag später erhielt Tian Xi Besuch von seinem Rechtsanwalt, der feststellen musste, dass sein Mandant nicht in erforderlicher Weise medizinisch versorgt wurde.

Aus internen Regierungsdokumenten, die örtliche AktivistInnen ausfindig gemacht haben, ist ersichtlich, dass die Polizei Anfang März 2010 beschlossen hatte, Tian Xi festzunehmen. Mit dieser Maßnahme wollte sie Protestaktionen von Tian Xi verhindern und unterbinden, dass er sich für Entschädigungsleistungen zugunsten von Menschen engagiert, die durch Bluttransfusionen in staatlichen Kliniken mit HIV/AIDS infiziert worden sind.
HINTERGRUNDINFORMATIONEN

Tian Xi und sein Vater setzen sich bereits seit Jahren für Entschädigungsleistungen durch örtliche Kliniken und kommunale Regierungsbehörden ein. Am 9. Juli hielt sich Tian Xi in Peking auf, um dort einen Dokumentarfilm zu zeigen, den er auf einem vom Institut Aizhixing organisierten Treffen aufgenommen hatte. Bei dem Institut handelt es sich um eine Nichtregierungsorganisation mit Sitz in Peking, bei der Tian Xi angestellt gewesen war. Die Polizeibehörden in Peking zwangen das Institut, die Filmvorführung wie auch das gesamte Treffen abzusagen. Tian Xi wurde von der Polizei sechs Stunden lang in Haft gehalten.

Am 23. Juli erhielt Tian Xi zwei Telefonanrufe des Sekretärs der Kommunistischen Partei in Xincai. Darin wurde er gebeten, nach Henan zurückzukehren. Am Telefon sicherte man ihm zu, im Falle seiner Rückkehr würden die örtlichen Behörden mit ihm beraten, in welcher Form er entschädigt werden könne. Als Tian Xi tatsächlich nach Henan zurückkehrte, verweigerte der dortige Sekretär der Kommunistischen Partei jedoch ein Treffen.

Die Eltern von Tian Xi sprachen am 19. August auf der Suche nach ihrem Sohn sowohl im Krankenhaus als auch auf der Polizeiwache vor, wurden jedoch von der Polizei informiert, dass über den Verbleib des jungen Mannes nichts bekannt sei. Am 21. August erhielten sie eine vom 18. August datierende Mitteilung über die Festnahme ihres Sohnes. Die Polizei erteilte den Eltern weder die Genehmigung, Tian Xi zu besuchen, noch ihm die Medikamente zukommen zu lassen, die er täglich einnehmen muss. Einer der Polizisten erzählte dem Vater von Tian Xi, ein früher ebenfalls auf der Wache in Xincai inhaftierter und an HIV/AIDS erkrankter Mann sei innerhalb einer Woche nach seiner Freilassung gestorben. Das gleiche Schicksal, so der Polizeibeamte, könne auch Tian Xi treffen. Der Rechtsanwalt von Tian Xi erklärte nach einem Besuch bei seinem Mandanten, dieser würde zwar medikamentös versorgt, allerdings nicht regelmäßig. Er müsse drei Mal pro Tag Medikamente einnehmen, die Polizei habe aber wiederholt Tabletten nicht an ihn weitergegeben.

In den 1990er Jahren haben sich vor allem in der Provinz Henan zahlreiche Menschen mit dem HI-Virus infiziert, die in staatlich kontrollierten Einrichtungen Blut gespendet hatten. Für Dorfbewohner ist das Spenden von Blut zu einer nicht unwesentlichen Einnahmequelle geworden, die Art und Weise der Handhabung von Blutspenden weist jedoch oftmals Mängel auf und birgt Risiken. In jüngster Zeit sind vor allem der Gebrauch von Spritzen im Drogenmilieu und die Prostitution für die Ausbreitung des HI-Virus verantwortlich, Berichte sprechen aber auch davon, dass sich Menschen durch Bluttransfusionen infiziert haben, die vor rund zehn Jahren vorgenommen worden sind. Das Gesundheitsministerium der Volksrepublik China schätzt die Zahl mit HIV lebenden Menschen im Land auf 740 000 (Stand: Oktober 2009) und nennt eine Zahl von 49 845 HIV-bedingten Todesfällen seit 1985, als in China erstmals ein AIDS-Toter zu beklagen war.

Nichtregierungsorganisationen und AktivistInnen, die sich in der Hilfe für AIDS-Kranke engagieren, riskieren Verfolgung und Inhaftierung. Li Xige, die 1995 bei der Geburt ihres Kindes eine Transfusion mit infiziertem Blut erhalten hatte, erfuhr erst durch den Tod ihrer Tochter, dass sie mit HIV/AIDS infiziert war. Seit 2006 steht sie unter Hausarrest, um sie davon abzuhalten, in Peking an Protesten teilzunehmen. Im Mai 2010 sah sich Wan Yanhai, der Direktor des Instituts Aizhing, unter dem Druck der Polizei und anderer Behörden der Stadt zum Verlassen seines Heimatlandes gezwungen. Dr. Gao Yaojie, die wohl bekannteste Aids-Aktivistin der Volksrepublik China, reiste 2009 in die USA aus. Hu Jia, die sich ebenfalls gegen HIV/AIDS engagiert, wurde im Jahr 2008 wegen „Anstiftung zur Subversion“ zu dreieinhalb Jahren Freiheitsentzug verurteilt.

(Mitteilung amnesty / MERSI)

10 Gründe gegen die Kriminalisierung der Übertragung von HIV

Am 16. August beginnt der Prozess gegen Nadja Benaissa. Angesichts des Gerichtsverfahrens gegen Nadja Benaissa wird eine brisante Frage diskutiert: Dürfen HIV-positive Menschen bestraft werden, weil sie ungeschützten Sex hatten?

Ostersamstag 2009: Die Polizei verhaftet No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa. Der Vorwurf: Ansteckung eines Sexpartners mit HIV. Die Boulevardmedien stürzen sich auf den Fall.

August 2010: Der Fall Nadja Benaissa wird endlich vor Gericht verhandelt. Hat der Popstar die Chance auf ein faires Verfahren? Wird die Verantwortung aller Beteiligten endlich unvoreingenommen geklärt?

Die Prominenz von Nadja Benaissa wirft ein grelles Licht auf eine schwierige Debatte: Dürfen HIV-positive Menschen bestraft werden, weil sie ungeschützen Sex haben? Hinter der Diskussion steht die legitime Angst vor der Übertragung von HIV. Aber auch oft der Wunsch, den HIV-Positiven die alleinige Verantwortung für Safer Sex in die Schuhe zu schieben.

Helfen Strafen wirklich weiter?
Eine nähere Analyse zeigt: Eine leichtfertige Kriminalisierung der HIV-Übertragung verhindert keine Neuinfektionen. Im Gegenteil: Sie schadet eher. Sie verringert auch nicht die Gefährdung von Frauen – ein Argument, das in Afrika häufig genannt wird.

Das Gerichtsverfahren gegen Nadja Benaissa nutzt die Deutsche AIDS-Hilfe, um klarzustellen: Jeder Mensch hat Anspruch auf ein faires Verfahren. Eine leichtfertige Verurteilung jeder HIV-Übertragung kann sich zum gefährlichen Unsinn auswachsen.

Zehn Gründe, warum die voreilige Kriminalisierung von HIV-Positiven der Prävention mehr Schaden zufügt, als sie nutzt.

Die Bestrafung einer HIV-Übertragung…
1. … ist nur dann gerechtfertigt, wenn HIV böswillig übertragen wird, um anderen zu schaden.
Für diese Einzelfälle gibt es längst strafrechtliche Bestimmungen – zum Beispiel den Tatbestand der Körperverletzung.

2. … dämmt die Ausbreitung von HIV nicht ein.
HIV wird vor allem beim Sex und beim gemeinsamen Drogengebrauch übertragen – dahinter stecken in beiden Fällen komplexe menschliche Bedürfnisse; sie lassen sich nicht mit dem stumpfen Werkzeug des Strafrechts kontrollieren.

3. … untergräbt alle Bemühungen zur Vorbeugung.
Wenn die Übertragung von HIV strafbar ist, wird sich jeder zweimal überlegen, ob er einen HIV-Test macht. Denn in einem Prozess kann Nichtwissen das beste Mittel der Verteidigung sein. Dazu kommt: Ein Strafgesetz vermittelt trügerische Sicherheit. Nicht nur die Menschen mit HIV tragen Verantwortung – jeder sollte Schutzmaßnahmen ergreifen, unabhängig von seinem HIV-Status.

4. … verbreitet lähmende Angst.
Wer fürchtet, ins Gefängnis zu kommen, der schweigt. Dabei ist es wichtig, offen über Aids zu reden. Jeder soll sich angstfrei informieren und testen lassen können. HIV-Positive sind keine gefährlichen Kriminellen, sondern Menschen wie alle anderen auch – mit Verantwortung, Würde und unveräußerlichen Menschenrechten.

5. … verschafft Frauen keine Gerechtigkeit, sondern bringt sie in Gefahr.
In vielen afrikanischen Ländern soll die Strafverfolgung Frauen und Mädchen vor einer Ansteckung mit HIV durch untreue Partner oder sexuelle Gewalt schützen. Doch leider sind es vor allem die Frauen selbst, die angeklagt werden. Denn im Gegensatz zu den Männern erfahren sie meist früher und weit häufiger von einer Infektion, zum Beispiel durch Untersuchungen während der Schwangerschaft. Im Extremfall könnten sie sogar wegen der Ansteckung ihrer eigenen Kinder belangt werden.

6. … würde ausufernde Gesetze erfordern und oftmals Verhalten bestrafen, das gar nicht schuldhaft ist.
Es bringt nichts, das Strafrecht über die willentliche HIV-Übertragung hinaus auszudehnen. Stattdessen sollte der Staat seine Bürgerinnen und Bürger dabei unterstützen, ohne Angst HIV-Tests in Anspruch zu nehmen, ihren HIV-Status offenzulegen und Safer Sex zu praktizieren.

7. … wäre oft ungerecht, selektiv und ineffektiv.
Beweise dafür, dass jemand von seiner HIV-Infektion wusste, oder was genau mit dem Sexualpartner besprochen wurde, sind schwer zu erbringen – schließlich geht es um einen sehr intimen Bereich. Dieser große Ermessensspielraum, öffnet der Willkür Tür und Tor. Oft werden dann nur die Menschen bestraft, die sowieso schon am Rande der Gesellschaft stehen, etwa Migranten und Flüchtlinge, Ausländer und Sexarbeiter.

8. … ignoriert die tatsächlichen Herausforderungen an die HIV-Prävention.
Oft ist die Verfolgung von HIV-Positiven nur ein bequemes Mittel für die Regierung, die gesamte Last der Prävention auf die Menschen mit HIV abzuwälzen. Viel sinnvoller ist es, die Menschen darüber aufzuklären, wie sie sich vor einer Ansteckung mit HIV schützen und wie sie die Weitergabe von HIV vermeiden können.

9. … ist sinnlos! Stattdessen müssen alle Bestimmungen, die der HIV-Vorbeugung und der -Behandlung im Weg stehen, reformiert werden.
Das Gesetz ist ein nützliches Werkzeug im Kampf gegen HIV – wenn man damit besonders bedrohte Gruppen stärkt und ihnen Zugang zu HIV-Dienstleistungen garantiert. Auch das Strafrecht kann helfen – und zwar zur Bekämpfung von Diskriminierung und Gewalt. Nur so können sich die von HIV besonders bedrohten Menschen ohne Angst um ihre Gesundheit kümmern.

10. … ist wirkungslos. Effektiv sind nur Maßnahmen, die auf den Menschenrechten basieren.
Die Menschenrechte betonen die Würde aller Menschen – einschließlich der sexuellen Freiheit. Sie sorgen für ein Umfeld, in dem jeder gesundheitsbewusst, verantwortlich und geschützt Entscheidungen über sein Leben und seine Gesundheit treffen kann.
Wichtige Voraussetzungen dafür sind: (1) frei zugängliche Informationen über HIV und die Übertragungsmöglichkeiten; (2) ein wirkungsvoller Schutz vor Gewalt – vor allem für Jugendliche, Frauen und Minderheiten; (3) der Schutz vor willkürlichen Festnahmen und Diskriminierung – auch für Homosexuelle und Menschen, die Sexarbeit machen oder Drogen gebrauchen.

(Presseerklärung der DAH vom 19.07.2010)

Bayern im Abseits

Die Reisefreiheit von HIV-positiven Menschen wird noch immer stark eingeschränkt. 66 Länder erschweren ihnen Einreise und Aufenthalt. In 31 droht Einwanderern die Abschiebung, sobald ihr HIV-Status bekannt wird. Das verstößt gegen grundlegende Menschenrechte und behindert die HIV-Prävention. Der Sozialwissenschaftler Peter Wiessner erklärt warum.

Herr Wiessner, noch immer schränken 66 Länder die Reisefreiheit von Menschen mit HIV ein, um die Ausbreitung von HIV zu verhindern…
…da hoffen die 66 Länder vergeblich. Ursache dieser Maßnahmen sind überholte Vorstellungen von HIV und Aids. Die meisten dieser Gesetze wurden geschaffen, als man wenig über die Übertragungswege von HIV wusste. Zwangstests und Isolation der Infizierten sind Strategien, die bei HIV ins Leere laufen. HIV hat vollkommen andere Übertragungswege als zum Beispiel Tuberkulose oder SARS.

Was versprechen sich diese Staaten dann davon?
Das Problem ist, dass diese Restriktionen eine einfache Lösung für ein sehr umfassendes Problem anbieten. Die Staaten versprechen sich einen Schutz, und sie wollen die Kosten für ihre Gesundheitsbudgets niedrig halten. Beides ist ein Mythos: Länder ohne HIV-spezifische Einreisebestimmungen beobachten weder einen „Behandlungstourismus“, noch steigen die Infektionszahlen. Safer-Sex- oder auch Safer-Use-Regeln gelten für Touristen genauso wie für Gesetzgeber, Einheimische und Menschen mit Migrationshintergrund.

In vielen dieser Staaten müssen Migranten zwangsweise einen HIV-Test machen lassen.
Das ist kontraproduktiv. Ein internationaler Standard lautet: HIV-Tests nur freiwillig und nach einer Beratung durchführen! Dass gilt besonders dann, wenn das Testergebnis negative Auswirkungen haben kann. Wenn das Ergebnis eines Tests Abschiebung bedeutet, dann erhöht das nicht die Motivation, die Gesundheitsbehörden aufzusuchen.
Migranten, die von ihrer HIV-Infektion bereits wissen, werden diese so lange wie möglich verborgen halten. Dadurch befinden sie sich in doppelter Gefahr: Sie können möglicherweise erpresst werden, und sie nehmen ein erhebliches gesundheitliches Risiko auf sich. Mit den Belastungen eines HIV-positiven Testergebnisses muss jeder individuell umzugehen lernen. Auch das spricht dafür, dass die Entscheidung für einen Test nicht durch andere Personen getroffen werden sollte.

Auch in Bayern sind Zwangstests für bestimmte Gruppen möglich. Wie kann das sein? Muss sich das Land nicht an Bundesgesetze halten?
Wenn ich mich nicht irre, sind die Voraussetzungen für Aufenthalte, die länger als drei Monate dauern, auf der Ebene der Bundesländer geregelt. Deshalb kann Bayern „den starken Staat“ markieren und Zwangstests für Asylbewerber durchsetzen. Das sind meines Erachtens noch die letzten Überbleibsel aus der Zeit des „Bayerischen Maßnahmenkatalogs“ der 80iger Jahre. Es wäre gut, wenn man in Bayern endlich erkennen würde, wie sehr man dadurch international im Abseits steht.

Sie werden auf der Konferenz in Wien über die Abschiebung von HIV-positiven Migranten referieren. Worüber berichten Sie?
Derzeit gibt es 31 Länder, die Menschen mit HIV aufgrund ihrer HIV Infektionen deportieren. Beispiele belegen, dass sich Menschen nach dem Test unter fragwürdigen Umständen in Abschiebehaft befanden – ohne Medikamente, ohne Information über ihre Erkrankung. Die Menschenrechte dieser Personen werden mit Füßen getreten, und ihre Ausgrenzung sendet ein falsches Signal. Jeder Mensch muss einen universellen Zugang zum Gesundheitssystem haben, unabhängig von seiner Nationalität und seinem Aufenthaltsstatus.

Was meinen Sie: Werden die Einreiseverbote in den nächsten Jahren fallen, oder werden die Kontrollen für HIV-positive Menschen eher noch verschärft?
Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen. Aber gerade das Jahr 2010 hat mit positiven Entwicklungen in den USA, in China, Namibia, Bulgarien und Georgien gut begonnen. Noch vor einem Jahr hätte das keiner geglaubt. Die Frage ist, ob sich eine Politik durchsetzt, die von rationalen Erwägungen oder von Angst und Fehlinformation bestimmt ist. Bei den 66 Ländern mit Restriktionen fällt es mir schwer, allzu optimistisch zu sein. Vielleicht schaffen wir es ja, dass zumindest Bayern nicht mehr auf Zwangstestung setzt. Dass wäre ja schon mal ein deutscher Anfang.

Peter Wiessner (49) ist freiberuflicher Sozialwissenschaftler und lebt in Köln. Für die Deutsche AIDS-Hilfe bearbeitet er seit 1999 das Thema HIV-bedingter Einreisebestimmungen. Die gesammelten Daten über 200 Länder sind auf der Internetseite www.hivrestrictions.org zusammengestellt. In gedruckter Form liegen sie in zehn Sprachen vor: http://www.aidshilfe.de/de/shop/schnellfinder-2010.

(Pressemitteilung der DAH)

„Blogs sind mehr Demokratie“ – Heribert Prantl

„Blogs sind mehr Demokratie“, schreibt Heribert Prantl in den “Blättern für deutsche und internationale Politik”. Das neue Parlament heiße Internet.

In seinem Artikel „Das tägliche Brot der Demokratie – Was Wissenschaft, Publizistik und Politik miteinander zu tun haben“ erinnert Prantl an die Anfangsjahre der deutschen Demokratie (1848/49), Pressefreiheit und die damalige Bedeutung des Journalismus – und blickt dann in die Gegenwart, das Verhältnis von Wissenschaft, Publizistik und Politik heute.

Und über „Das digitale Parlament und die Pressefreiheit“. Das Internet sei nicht Gefahr, sondern Chance:

„Wir erleben wieder eine Kommunikationsrevolution wie 1848/49. Mich erinnern die Blogger von heute an die politisierten Bürger von 1848/49 – Blogs sind mehr Demokratie. Soll da wirklich der professionelle Journalismus die Nase hochziehen, so wie es vor 160 Jahren die etablierten fürstlichen Herrschaften und die monarchischen Potentaten getan haben? Aber: Die neue Kommunikationsrevolution braucht professionelle Begleitung, sie braucht einen publizistisch-gelehrten Kern. Es gibt ein neues, ganz anderes Professoren-Parlament: Es heißt Internet. Dieses digitale Parlament braucht, wie das damals in der Frankfurter Paulskirche, Führung und Sachverstand.“

Prantl ist Leiter des Ressorts Innenpolitik der Süddeutschen Zeitung.

weitere Informationen:
Heribert Prantl: „Das tägliche Brot der Demokratie – Was Wissenschaft, Publizistik und Politik miteinander zu tun haben“, in: Blätter für deutsche und internationale Politik
[via netzrecherche]

Bemerkenswerte Gedanken von Herrn Prantl.
Ob Blogger „Führung“ benötigen? Nun, das sollten Blogger lieber selbst entscheiden, denke ich.

Sachverstand allerdings – ja, mir drängt sich der Eindruck auf, hier gäbe es Dinge zu verbessern. Nahezu alle Blogger im schwulen wie auch im HIV-Bereich sind meines Wissens journalistische Laien. Darin liegt viel Kraft und Potential – aber ein wenig (?) mehr ‚Professionalismus‘, ein wenig mehr Verständnis zum Beispiel bei Recherche oder Grundsätzen des Journalismus, ihre Bedeutung und Umsetzung würde uns, unserer Reichweite, unserer Wirkung gut tun.
Hier Kompetenzen und Fähigkeiten bei interessierten Bloggern und anderen Internet-Aktiven zu erhöhen, könnte (auch im Sinn gemeinsamer verbesserter Wirksamkeit) ein lohnenswertes Aufgabenfeld für die Aidshilfe oder auch den LSVD sein.
Oder?

Digitaler Aktivismus: Buch zum Gratis – Download

Wie Internet, Twitter, Facebook & Co. für Aktivismus einsetzen? Das Buch „Digital Activism Decoded“ steht seit 1.6.2010 gratis  zum Download zur Verfügung.

Aktivismus und seine eingesetzten Mittel wandeln sich. In Zeiten von Internet 2.0, Google, Facebook und Co. bieten auch digitale Technologien zahlreiche Ansatzpunkte und Wege für erfolgreichen Aktivismus. Wege, die in Deutschland noch vergleichsweise wenig genutzt werden.

Bisher fehlte eine Übersicht, die alle Aspekte des ‚digitalen Aktivismus‘ zusammenführt, alle wesentlichen Probleme behandelt.Diese Lücke zu schließen ist der Ansatz des Buches „Digital Activism Decoded‘.

Es behandelt einen weiten Kreis an Fragen: Welche Geräte, Technologien und Programme werden benötigt? In welchen sozialen und politischen Situationen findet digitaler Aktivismus statt? Welche Chancen bietet, welche Effekte verursacht digitaler Aktivismus? Wie den Erfolg digitaler Kampagnen messen? Wie kann sich Aktivismus in Zeiten vernetzter Gesellschaften weiter entwickeln?

Das Buch, das am 30. Juni in einer gedruckten Version erscheint, steht vorab seit 1. Juni 2010 zum unentgeltlichen Download zur Verfügung.

Inhaltsverzeichnis:
Preface….. by Mary Joyce
Introduction: How to Think About Digital Activism….. by Mary Joyce

Part 1: Contexts: The Digital Activism Environment
Infrastructure: Its Transformations and Effect on Digital Activism….. by Trebor Scholz
Applications: Picking the Right One in a Transient World….. by Dan Schultz and Andreas Jungherr
Devices: The Power of Mobile Phones….. by Brannon Cullum
Economic and Social Factors: The Digital (Activism) Divide….. by Katharine Brodock
Political Factors: Digital Activism in Closed and Open Societies….. by Tom Glaisyer

Part 2: Practices: Digital Actions in the Aggregate
Activism Transforms Digital: The Social Movement Perspective….. by Anastasia Kavada
Digital Transforms Activism: The Web Ecology Perspective….. by Tim Hwang
Destructive Activism: The Double-Edged Sword of Digital Tactics….. by Steven Murdoch

Part 3: Effects: What Is Digital Activism’s Value?
Measuring the Success of Digital Campaigns….. by Dave Karpf
The New Casualties: Prisons and Persecution….. by Simon Columbus
Digital Politics as Usual….. by Rasmus Kleis Nielsen
The Future of Advocacy in a Networked Age….. by Sem Devillart and Brian Waniewski

Conclusion: Building the Future of Digital Activism….. by Mary Joyce
Glossary….. by Talia Whyte and Mary Joyce
About the Authors

weitere Informationen:
the meta activism project: Digital Activism Decoded (dort Link zum pdf-Download)
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[via netzpolitik.org]

Hartz IV Regelsätze und gesellschaftliche Teilhabe

Die derzeitigen Hartz IV – Regelsätze sind verfassungswidrig, urteilte das Bundesverfassungsgericht im Februar. Doch – was heißt das in der Praxis? Eine Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung analysiert die weitreichenden Folgen und bietet Argumentationshilfen.

Wie viel Geld benötigt ein Mensch in Deutschland mindestens, um ein menschenwürdiges Leben zu führen? Mehr, als der Hartz IV Regelsatz derzeit gewährt, urteilte das Bundesverfassungsgericht am 9. Februar 2010 und erklärte zahlreiche Bestimmungen des SGB II für verfassungswidrig.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes sorgte für viel Aufsehen. DAH-Vorstand Carsten Schatz hatte in einer Stellungnahme das Urteil begrüßt und die Bundesregierung aufgefordert, „den Regelsatz für Betroffene endlich sozial gerecht zu gestalten und somit deutlich zu erhöhen, um diesen wieder eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und eine menschenwürdige Lebensführung zu ermöglichen“.

Doch – was ist für ein „menschenwürdiges Leben“ und eine „Teilhabe am gesellschaftlichen Leben“ erforderlich? Prof. Dr. jur. Anne Lenze (Hochschule Darmstadt und Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main) analysiert in einer Publikation der Friedrich-Ebert-Stiftung Bedeutung und Folgen des Urteils.

FES: Hartz IV Regelsätze und gesellschaftliche Teilhabe
FES: Hartz IV Regelsätze und gesellschaftliche Teilhabe

Ausgangspunkt für Lenzes Überlegungen: sie sieht das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes als „die Geburt eines neuen Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“. Sie behandelt darüber hinaus folgende Themen
– Transparentes Verfahren zur Ermittlung des Existenzminimums,
– Teilhabegrundrecht für Kinder,
– Rückkehr zum Individualisierungsgrundsatz, und
– Einschätzung des Urteils und Schlussfolgerungen.

Lenzes Text bietet umfassendes Hintergrundwissen, aber auch potentielle Argumentationshilfen bei Streitfällen.

Danke an Silke für den Hinweis!

weitere Informationen:
Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.): Anne Lenze: Hartz IV Regelsätze und gesellschaftliche Teilhabe – Das Urteil des BVerfG vom 9.2.2010 und seine Folgen, 28 Seiten (pdf)
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