sechs Monate auf Bewährung – Ein Biss, ein Test und die Angst

Ein Polizist wurde im Dienst von einer Frau gebissen. Aufgrund eines falschen HIV-Tests lebte er wochenlang mit der Angst, sich mit HIV infiziert zu haben. Die Frau wurde zu 6 Monaten auf Bewährung verurteilt.

Es sah im Mai 2011 alles nach einem Routine-Einsatzz aus für den Betzdorfer Polizisten. Eine Frau, die aufgrund eines nicht funktionierenden Fahrkarten-Automaten in Rage geraten war, nahm er mit auf die örtliche Polizeiwache. Diese allerdings wollte wieder gehen und wehrte sich, als der Polizist sie daran hindern wollte – sie biss ihm in den Unterarm. Ob es zuvor auch zu einer Ohrfeige des Polzisten gekommen ist, blieb vor Gericht zweifelhaft.

Die unter Alkoholeinfluß stehende Frau wurde abgeführt, willigte schließlich in eine Blutentnahme ein.

Das nach zwei Wochen vorliegende Ergebnis war für den Polizisten ein Schock: die Frau sei mit HIV infiziert, so der Bericht des Labors. Auch das Blut des Polizisten wurde nun untersucht. Erst im November (aufgrund möglicher Inkubationszeit) war für ihn klar: er ist nicht mit HIV infiziert. Die Frau ebenfalls nicht – ein Folgetest zeigte, dass das erste Testergebnis falsch war.

Das Gericht kam zu einem klaren Urteil: „Polizisten dürfen nicht gebissen werden.“ Die Frau wrude zu sechs Monaten auf Bewährung verurteilt.

Bissverletzungen und die Frage einer HIV-Übertragung landen selten vor der Justiz. Anfang 2007 stand in Potsdam der HIV-positive Dennis M. vor Gericht. Im Verlauf einer gewalttätigen Auseinandersetzung im Jahr 2005 soll er sich gewehrt und einen der Angreifer gebissen haben. Professor Dieter Neumann-Haefelin (Uniklinik Freiburg) sagte dem Magazin ‚Stern‘ zufolge damals

„Uns ist kein Fall bekannt, bei dem es zu einer Infektion gekommen ist, nachdem der Speichel eines HIV-Infizierten auf eine offene Wunde getroffen ist. Nur in äußerst seltenen Fällen kommen HI-Viren im Speichel vor.“

Dennis M. wurde damals freigesprochen. Er habe aus Notwehr gehandelt, so das Gericht.

HIV-Tests dürfen auch seitens der Polizei i.d.R. nur mit Einwilligung des/der Betroffenen durchgeführt werden.

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weitere Informationen:
Siegener Zeitung 15.12.2011: Routine-Einsatz mit Nachspiel – Polizist von Frau gebissen
Stern 25.01.2007: Prozess gegen HIV-Infizierten „Bin ich etwa eine Biowaffe?“
gaybrandenburg 2007: Es war Notwehr: Dennis Milholland freigesprochen
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HIV-Neuinfektionen gehen zurück – Prävention lohnt sich, und Mythen bleiben Mythen

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen sinkt deutlich. Und auch bei schwulen Männern zeigt sich ein deutlicher Rückgang. Erfreuliche Daten, die das RKI kurz vor dem Welt-Aids-Tag 2011 vorstellt. Daten, die deutlich zeigen, dass Prävention wirkt – und dass ihre Rahmenbedingungen stimmen müssen.

Prävention lohnt sich

So einfach die Botschaft „Prävention lohnt sich“ auch klingt, die nun vorgestellten Zahlen belegen erneut eindrücklich die Wichtigkeit dieser Aussage.

Und: gerade auch Mittel für zielgerichtete Prävention, wie sie die Aidshilfen seit einiger Zeit z.B. für Schwule und Männer die Sex mit Männern haben, mit der Kampagne „ich weiss, was ich tu!“ betreibt, sind gut angelegte Mittel. Diese Mittel zu reduzieren, wäre sträflicher Leichtsinn. Mittel für die Prävention sind gut angelegte Mittel – auch in Zukunft.

Mythen bleiben Mythen

Mythen blieben im Aids-Bereich das, was sie sind: „sagenhafte Geschichten“. Auch ihr gebetsmühlenartiges Wiederholen macht sie nicht wahrer.

Die (immer wieder gern kolportierte) „neue Sorglosigkeit“ – sie bleibt ein Mythos ohne Grundlagen und Belege – sonst sähen die Daten zu Neuinfektionen und Neudiagnosen anders aus. Ebenso unwahr wie der Mythos der verantwortungslosen Schwulen. Und ebenso unwahr wie der Mythos vom verantwortungslosen Positiven.

Wir (gerade auch: Positive, Schwule, schwule Medien) sollten aufhören, derartige Mythen weiterhin zu bedienen und zu transportieren. Und wir sollten uns ihnen entgegen stellen. Ihre Substanzlosigkeit aufzeigen. Ihnen Fakten entgegen stellen – wie die heute vorgestellten sinkenden Zahlen der HIV-Neudiagnosen.

Wirksame Therapie ersetzt keine Prävention

Wirksame antiretrovirale Therapie kann die Infektiosität HIV-Positiver drastisch reduzieren – diese Erkenntnis ist spätestens seit dem EKAF-Statement (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) vom Januar 2008 breit bekannt – und von der DAH seit April 2009 mit der Viruslast-Methode in einem Positionspapier umgesetzt. Mit diesem Effekt leistet die Therapie auch einen bedeutenden Beitrag zur HIV-Prävention.

Therapie allerdings kann Prävention nicht ersetzen. Es bedarf auch weiterhin wirksamer HIV-Prävention, insbesondere in und für die von HIV am stärksten bedrohten Gruppen.

Und – Therapie darf niemals ausschließlich dem Aspekt der Prävention dienen. Im Vordergrund muss immer die individuelle (medizinische wie auch soziale) Situation des HIV-Positiven stehen.

Der Rahmen muss passen – Prävention und Therapie sind nicht alles

Die beste HIV-Prävention kann nur wirken, wenn die Rahmenbedingungen stimmen, gesellschaftlich wie auch politisch:

Für Drogengebraucher heißt wirksame HIV-Prävention auch: verfügbare Methadon-Programme, Druckräume und Spritzen-Tausch-Programme.

Für Menschen in Haft heißt wirksame HIV-Prävention auch: Kondome und saubere Spritzbestecke müssen auch im Strafvollzug verfügbar sein. Ebenso selbstverständlich antiretrovirale Medikamente für HIV-positive Strafgefangene.

Für alle heißt dies: testen lassen auf HIV wird sich nur, wer nicht anschließend an einen etwaigen positiven HIV-Test Diskriminierung und Stigmatisierung befürchten muss, oder gar den Staatsanwalt. Wirksame HIV-Prävention muss sich zugleich auch gegen Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-Positiver engagieren.

Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-Positiver ebenso wie die Kriminalisierung der HIV-Übertragung beeinträchtigen, ja gefährden den Erfolg von HIV-Prävention. Engagement gegen Stigmatisierung, Diskriminierung und Kriminalisierung müssen selbstverständlicher Bestandteil von HIV-Prävention sein. Debatten in jüngerer Zeit lassen zudem hoffen, dass auch ein sich veränderndes Selbstbewusstsein mancher HIV-Positiver dazu beiträgt, ihnen den Boden zu entziehen.

Zahl der HIV-Neuinfektionen sinkt – besonders stark bei Schwulen

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland ist am Sinken, bereits seit dem Jahr 2007. Besonders stark ist der Rückgang der HIV-Neuinfektionen bei Schwulen. Dies teilte das Robert-Koch-Institut RKI heute (21.11.2011) mit.

2011 wird die Zahl der HIV-Neuinfektionen nach Angaben des Robert-Koch-Instituts in Deutschland auf insgesamt 2.700 geschätzt. Dieser Wert ergibt sich aufgrund einer neuen Berechnungs-Methodik und verbesserter Datenlage (s.u.). Die gesamten Angaben wurden veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins (Nr. 46/2011). Das Robert-Koch-Institut RKI hat auf seinen Internetseiten zudem Daten für die einzelnen Bundesländer bereit gestellt.

2.700 HIV-Neuinfektionen 2011

Der neuen Berechnungs-Methodik zufolge werden für das Jahr 2011 nun 2.700 Neuinfektionen geschätzt (2.250 Männer und 450 Frauen). Der höchste Wert für HIV-Neuinfektionen lag nach dem neuen Modellierungsverfahren im Jahr 2006 bei rund 3.400 Infektionen und geht seitdem zurück.

Die Gesamtzahl der in Deutschland mit HIV oder AIDS lebenden Menschen beträgt 2011 etwa 73.000. Diese Zahl steigt seit Mitte der 1990er Jahre, da die Zahl der Neuinfektionen höher ist als die Zahl der Todesfälle. Für das Jahr 2011 werden etwa 500 Todesfälle bei HIV-Infizierten geschätzt (gesamt seit Beginn ca. 27.000).

Etwa 14.000Menschen in Deutschland leben mit einer HIV-Infektion, ohne von dieser zu wissen. Bei etwa 1.000 Menschen wurde 2011 eine HIV-Infektion diagnostiziert, die sich bereits in fortgeschrittenem Stadium befand.

Ungefähr 42.000 HIV-Positive in Deutschland erhalten derzeit antiretrovirale Therapie. Für die Gruppe der Männer mit diagnostizierter HIV-Infektion, die Sex mit Männern haben, schätzt das RKI den Anteil derjenigen, die antiretrovirale Therapie erhalten, auf 85 bis 90 Prozent.

Im ersten Halbjahr 2011 wird auch bei den HIV‐Diagnosen ein Rückgang sichtbar – vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Hochgerechnet auf das ganze Jahr 2011 werden 2.800 gemeldete und bestätigte Erstdiagnosen erwartet.

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist nicht zu verwechseln mit der Zahl der HIV-Neudiagnosen (siehe „HIV-Neuinfektionen – Hintergrundinformationen„). Die Zahl der Neuinfektionen liegt mit 2.700 inzwischen niedriger als die der Neudiagnosen (2.800) – zurückzuführen darauf, dass inzwischen vermehrt HIV-Infektionen diagnostiziert werden, die bereits seit längerer Zeit bestehen.

Trendwende auch bei Schwulen

Die am stärksten von HIV betroffene Gruppe sind nach wie vor Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), 45.000 der in Deutschland mit HIV oder AIDS lebenden Personen gehören zu dieser Gruppe. 1.500 Schwule infizierten sich 2011 neu mit HIV.

Bereits seit 2007 geht die Zahl der Neuinfektionen bei MSM in Deutschland zurück. Dies zeigt sich inzwischen auch bei den HIV-Neudiagnosen:

„Für das Jahr 2011 zeigt sich auf der Grundlage der Entwicklung des ersten Halbjahres und in Fortsetzung einer sich bereits 2010 andeutenden Entwicklung ein klarer Rückgang der HIV-Neudiagnosen auch in der in Deutschland größten Betroffenengruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM). Damit ist nach einer mehrjährigen Plateaubildung bei der Gesamtzahl der HIV-Neudiagnosen zwischen 2007 und 2009 jetzt bei der Zahl der Neudiagnosen eine Trendwende zu erkennen“ (RKI).

Am deutlichsten zeigt sich der Rückgang der HIV-Neudiagnosen unter Schwulen bei denjenigen, die mit einer Infektion in frühem Stadium diagnostiziert werden.

Geschätzte Zahl der Neuinfektionen (Linie) und von HIV-Neudiagnosen (Balken) bei Männern, die Sex mit Männern haben, 2001 – 2011, RKI 2011
Geschätzte Zahl der Neuinfektionen (Linie) und von HIV-Neudiagnosen (Balken) bei Männern, die Sex mit Männern haben, 2001 – 2011, RKI 2011

(Erläuterungen: dunkelblau = früher Diagnosezeitraum, hellblau = mittlerer Diagnosezeitraum, grau = später Diagnosezeitraum; durchgezogene Linie = Inzidenz, gestrichelte Linie = Inzidenz – Vertrauensbereich; Quelle: RKI)

Erfolgs-Faktoren – Stabiles Schutzverhalten, zielgerichtete Prävention, verändertes Test-Verhalten

Experten führen den Rückgang der Zahl der HIV-Neuinfektionen auf mehrere Faktoren zurück. Eine verstärkte und zudem auch vermehrt an der Zielgruppe schwuler Männer orientierte HIV-Prävention trägt hierzu ebenso bei wie ein verändertes Testverhalten: aufgrund vermehrter HIV-Tests werden HIV-Infektionen inzwischen vermehrt und früher festgestellt. Dies führt nicht nur dazu, dass die betroffenen Menschen früher Zugang zu medizinischer Betreuung und Therapie erhalten, sondern auch zu einem Rückgang der Infektiosität aufgrund wirksamer Therapie:

„Zu den wichtigsten Ursachen für diese positive Entwicklung gehören die intensivierte Prävention und die zunehmend frühere Diagnose und Behandlung HIV-Infizierter, die dann weniger infektiös für ihre Sexualpartner sind“, sagt Reinhard Burger, Präsident des Robert Koch-Instituts.

Besonders deutlich wird das veränderte Testverhalten bei schwulen Männern: So ist der Anteil der auf HIV getesteten schwulen Männer nach Angaben der Deutschen Aids-Hilfe DAH im Zeitraum 2007 bis 2010 von 64% auf 70% angestiegen, 61% der HIV‐negativen schwulen Männer haben sich in den letzten 12 Monaten testen lassen (Bochow 2011). Erfolge, die auch auf die Präventionsarbeit der Deutschen Aids-Hilfe zurück zu führen sind, insbesondere die Kampagne „ich weiss, was ich tu!“:

„Die Zunahme der Testbereitschaft und die Ergebnisse der hier dargestellten Analysen zum Verlauf der HIV-Epidemie bei MSM deuten darauf hin, dass der eingeschlagene Weg erfolgreich ist.“ (RKI)

Neben den erfreulichen Nachrichten enthält der RKI-Bericht auch einen Wermutstropfen: Die Zahl der Syphilis-Diagnosen in Deutschland steigt. Da die Syphilis die Übertragungswahrscheinlichkeit von HIV erhöht, könnte dies den Erfolg bei den HIV-Neuinfektionen wieder gefährden. Das RKI empfiehlt darum, in der HIV-Prävention noch mehr über Syphilis und andere sexuell übertragbare Infektionen aufzuklären.

Zur veränderten Methodik:

Die aktualisierte Schätzung zu Stand und Verlauf der HIV-Epidemie in Deutschland unterscheidet sich von früheren Schätzungen hauptsächlich dadurch, dass der Zeitabstand zwischen HIV-Infektion und HIV-Diagnose genauer in die Schätzungen einfließt. Für frühere Schätzungen musste vereinfachend davon ausgegangen werden, dass der Diagnosezeitpunkt dem Infektionszeitpunkt entspricht. Die neue Methode modelliert den tatsächlichen Verlauf der Epidemie sehr viel genauer, da der Infektionszeitpunkt jetzt auf Grundlage des klinischen Stadiums und der CD4-Zellzahl zum Zeitpunkt der HIV-Diagnose geschätzt werden kann. Bei einer HIV-Infektion verringert sich mit der Verschlechterung des Immunsystems die Anzahl der CD4 tragenden Immunzellen.

Zu den Auswirkungen des neuen Modells auf die Zahlen schreibt das RKI:

„Gegenüber dem bisherigen Modell zum Verlauf der HIV-Epidemie in Deutschland bringt das neue Modell folgende Veränderungen: Anstiege und Rückgänge von Neuinfektionen verschieben sich auf der Zeitachse in die Vergangenheit. Spitzenwerte von Neuinfektionszahlen können höher und die zeitliche Dauer von transienten Infektionswellen kann kürzer ausfallen als bisher angenommen, weil sich die Diagnose der dabei erfolgten Infektionen über längere Zeiträume ausdehnt.“

Aufgrund der neuen Methodik ist der aktuelle Wert nicht direkt mit den Schätzungen der vorangegangenen Jahre vergleichbar. Um eine Vergleichbarkeit mit vergangenen Perioden zu ermöglichen, wurden auch für die vorangegangenen Jahre die Daten nach der neuen Methodik neu ermittelt (Rückrechnung).

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siehe auch Kommentar „HIV-Neuinfektionen gehen zurück – Prävention lohnt sich, und Mythen bleiben Mythen

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weitere Informationen
Epidemiologisches Bulletin Nr. 46/2011
RKI 21.11.2011: Die Zahl der HIV-Neuinfektionen ist gesunken
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niedrige Viruslast im Blut senkt auch Infektionsrisiko bei Analverkehr

Die Viruslast im Blut und rektal stehen in enger Korrelation zu einander – HIV-Positive mit einer  Viruslast unter 1.000 Kopien /ml im Blut haben mit hoher Wahrscheinlichkeit auch kein nachweisbares HIV in rektalen Sekreten. Rektale sexuell übertragbare Infektionen erhöhen die Wahrscheinlichkeit nicht, in rektalen Sekreten HIV festzustellen. Zu diesen wichtigen Ergebnissen kommt eine US-Studie.

Wenn ich im Blut eine nicht nachweisbare Viruslast habe (Viruslast unter der Nacheisgrenze), bedeutet das, dass dies auch im Rektum (Mastdarm, Teil des Enddarms) so ist? Oder ist die Viruslast in Darmflüssigkeiten eventuell unabhängig von der im Blut? Diese Frage – hinter der auch die Frage nach der Infektiosität bei Analverkehr steht, einer möglichen Übertragung von HIV – ist für viele (insbesondere, aber nicht nur schwule) HIV-Positive von grosser praktischer Bedeutung. In einer US-Studie wurde sie nun untersucht – mit eindeutigem Ergebnis.

Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)
Analbereich des Mannes (Foto: Cheywen)

Die Forscher um Kelley kommen in ihrer jüngst im ‚Journal of Infectious Diseases‘ veröffentlichten Studie zu einem eindeutigen Ergebnis: Plasma-Viruslast und Viruslast in rektalen Flüssigkeiten stehen in einem linearen Zusammenhang. Rektale STIs (sexuell übertragbare Infektionen) führen bei Schwulen nicht zu einer höheren Wahrscheinlichkeit, HIV in rektalen Sekreten festzustellen.
Wichtige Konsequenz der Forscher: eine Unterdrückung der Viruslast im Blut führt wahrscheinlich auch zu einer Reduzierung des Risikos des insertiven (‚aktiven‘) Partners, sich mit HIV zu infizieren.

„Plasma and rectal viral load were correlated, and rectal STIs did not increase the likelihood of detecting HIV in the rectal secretions in MSM, including those with low or undetectable plasma viral load. Suppressing plasma viral load is likely to reduce risk of HIV transmission to insertive partners.“

Die Forscher kommen auch zu dem Schluss, dass eine wirksame antiretrovirale Therapie bei schwulen Männern einen vergleichbaren Effekt wie bei heterosexuellen serodifferenten Paaren auf die Übertragbarkeit von HIV habe:

„Combination antiretroviral therapy will have a similar effect on reducing HIV transmission in MSM, as seen in studies of heterosexual discordant couples.“

Die Forscher untersuchten 80 schwule Männer. 59 von ihnen erhielten antiretrovirale Therapie, 63% von diesen hatten eine Viruslast unterhalb von 1.000 Kopien /ml Blut. Fast alle hatten rektale HPV-Infektionen (humanes Papilloma-Virus, Auslöser u.a. von Feigwarzen / Kondylomen), 36% auch Herpres simplex. Bei 38% der Männer konnte rektal HIV nachgewiesen werden. Die Viruslast in rektalen Proben stand dabei in eindeutigem Zusammenhang mit der Viruslast im Blut. Dies galt auch für Männer mit rektalen sexuell übertragbaren Infektionen.
Der einzige Faktor, der nach Ergebnissen der Forscher in eindeutigem Zusammenhang mit nachweisbarer HIV-Viruslast in rektalen Proben stand, war eine Plasma-Viruslast über 1.000 Kopien.

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Die Studienergebnisse sind für schwule Männern von grosser Bedeutung: Analverkehr ohne Benutzung von Kondomen zählt zu den Haupt-Übertragungswegen von HIV. Rektale Sekrete stellen somit einen bedeutende potentielle Infektionsweg dar. Zudem haben viele schwule Männer im Analbereich sexuell übertragbare Infektionen (die zudem oft nicht festgestellt werden, siehe „anale Untersuchungen häufig Mangelware„). Dass wirksame antitretrovirale Therapie zu einer deutlichen Reduzierung des Infektionsrisikos beim Analverkehr beiträgt, ist für viele schwule Männer eine gute und lebensnahe Nachricht.

Auch in Deutschland stand eine Untersuchung dieser Frage zur Diskussion, im Rahmen der viel diskutierten ‚Rektalstudie‘ (auch: ‚Dildostudie‘).

 

Die Frage, ob die Viruslast-Absenkung im Blut mit einer annähernd ähnlichen Absenkung im Rektum einhergeht, war eine der Fragen, die von Kritikern des ‚EKAF-Statements‘ (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) immer wieder ins Feld geführt wurde. Sie galt lange als vermeintliches Argument dafür, dass das EKAF-Statement nicht auf Homosexuelle (korrekter: auf Analverkehr) anzuwenden sei. Dieser Kritik dürfte nun wesentlich der Boden entzogen sein.

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weitere Informationen:
Colleen F. Kelley et al.: HIV-1 RNA Rectal Shedding Is Reduced in Men With Low Plasma HIV-1 RNA Viral Loads and Is Not Enhanced by Sexually Transmitted Bacterial Infections of the Rectum (abstract)
aidsmap 06.09.2011: Plasma and rectal viral load correlated in HIV-positive gay men: supports use of treatment as prevention
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Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

„Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast“ Mit dieser Frage Hatten sich Corinna Gekeler und Karl Lemmen in einem Gastbeitrag am 6. Juli 2010 beschäftigt ((Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?).
Heute behandeln beide Autoren in einem Gastbeitrag einen aktuellen Fall aus Kiel, in dem u.a. ebenfalls die Viruslast des Angeklagten ein Thema war:

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven:
Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Das Kieler Landgericht verurteilte 28.Juni 2010 einen 47-jährigen Mann am wegen zweifacher vollendeter und fünffacher gefährlicher Körperverletzung. Der gelernte Maler wird auf Anordnung des Gerichts in der Psychiatrie untergebracht. Das Gericht billigte ihm wegen massiver Hirnschädigungen und einer schweren Persönlichkeitsstörung erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Die Kammer blieb zwei Jahre unter dem Antrag der Anklage, die beiden infizierten Frauen als Nebenklägerinnen verzichteten auf Rechtsmittel. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Fall
Der Angeklagte gab zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Die zuerst angesteckte Frau beschuldigte er sogar wider besseres Wissen, sie habe ihn infiziert.
Der Mann saß wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft, nachdem ihn eine der beiden infizierten Frauen angezeigt hatte. Eine zweite Infizierte erlitt Nierenversagen und war sogar zeitweilig gelähmt. Beide betroffene Frauen müssten nun nicht nur eine erheblich verminderte Lebensqualität hinnehmen, sondern auch mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen, betonte das Gericht.
Bei dem Angeklagten war die Krankheit 2004 mit schwersten Symptomen wie starkem Gewichtsverlust und einer Lungeninfektion ausgebrochen. Die HIV-Medikamente setzte er ab, als seine Viruslast unter der Nachweisgrenze war. Er ging erst wieder in die Aids-Ambulanz der Universität Lübeck, als eine der Sexpartnerinnen infiziert war. Da sei seine Viruslast „exorbitant hoch und er hochinfektiös“ gewesen, sagte Richter William. Dennoch kontaktierte er weitere Frauen, um ungeschützten Sex zu haben.
Das Gericht betonte, es wäre möglicherweise gar nicht zu den Taten gekommen, wenn die Ärzte 2004 die Hirnschädigung nicht nur festgestellt, sondern auch genauer untersucht hätten. Durch den massiven Abbau von Hirnmasse habe der Angeklagte schon damals nicht mehr richtig einsehen können, was mit ihm und anderen geschehe.

Erstes Resümee
Welches Gewicht die Viruslast letztendlich bei der Urteilsfindung spielte, kann noch nicht geklärt werden, da das Urteil noch nicht vorliegt. Sollte die gestiegene Viruslast darin ein ausschlaggebendes Argument darstellen, müsste jedoch auf die rechtlichen Konsequenzen für das Gegenteil, also die nicht nachweisbare Viruslast, diskutiert werden.
Ein Rolle scheint aber auf jeden Fall zu spielen, dass der Verurteilte seine Infektion verschwiegen bzw. verleugnet hatte und die Frauen ohne ihr Wissen einer großen Gefahr aussetzte. Unklar bleibt auch, wie es zu der vermutlich unzureichenden ärztlichen Behandlung des Mannes kommen konnte.

Quellen:
http://www.focus.de/panorama/welt/prozesse-aids-kranker-wegen-ungeschuetztem-sex-verurteilt_aid_524493.html
ln-online/lokales vom 29.06.2010 00:00: http://www.ln-online.de/news/2810203
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/hamburgschleswigholstein_nt/article8206865/Fuenf-Jahre-Haft-fuer-HIV-Infizierten.html

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!

HIV-Übertragung: Frische HIV-Infektionen hochgradig an Neu-Infektionen beteiligt

Eine neue Studie zeigt erneut, dass frisch erworbene HIV-Infektionen zu einem bedeutenden Teil an neuen HIV-Übertragungen beteiligt sind.

Forscher um Frederick Hecht untersuchten, welcher Zusammenhang zwischen der Viruslast einer neu mit HIV infizierten Person und der des übertragenden Partners besteht. Ein eindeutiger Zusammenhang, stellten sie fest: die Viruslast bei einer frischen HIV-Infektion wird bestimmt von der Viruslast des übertragenden Partners.

Die Forscher stellten in ihrer Studie etwas weiteres fest: nahezu zwei Drittel der Teilnehmer, die HIV übertrugen, waren selbst erst kurze Zeit mit HIV infiziert.

Die Forscher hatten 24 HIV-Positive identifizieren können, die erst sehr kurze zeit mit HIV infiziert sind. Diese teilten freiwillig mit, von welcher Person sie möglicherweise HIV erworben haben könnten. Diese wiederum wurden auf freiwilliger Basis kontaktiert; so konnten insgesamt 23 „Quell-Individuen“ identifiziert werden (einer hatte zwei Studienteilnehmer identifiziert). Die Übertragungen wurden mit phylogenetischen Untersuchungen bestätigt. Alle Teilnehmer waren schwule Männer.

Damit verstärken sich Hinweise, dass Menschen mit frischer HIV-Infektionen zu einem bedeutenden Teil an HIV-Neu-Infektionen beteiligt sind. Unterschiedlichen Studien gehen davon aus, dass die Hälfte bis zwei Drittel aller Neu-Infektionen mit HIV erfolgen im Kontakt mit Menschen, die selbst frisch mit HIV infiziert sind.

weitere Informationen:
Hecht et al.: „HIV RNA level in early infection is predicted by viral load in the transmission source“, AIDS 24 (abstract)
aidsmap 08.03.2010: Viral load in early HIV infection predicted by that of transmitting partner
aidsmap 26.03.2007: Primary HIV infection responsible for half of all HIV transmission in Quebec
iwwit-Blog 10.03.2010: Die Last mit der Viruslast
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Bemerkenswerterweise berichten weder die Studie noch der Bericht auf aidsmap, wie mit dem Problem der durch das Studiendesign bedingten Dokumentation von potentiell straf- oder versicherungsrechtlich relevanten Fragen umgegangen wurde.

Kommentar: was lange währt, wird endlich gut – die Präventionsmethode Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze

Die Deutsche Aids-Hilfe hat ihr Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“ vorgelegt.

„was lange währt, wird endlich gut“ – ein abgegriffener Spruch, und doch, er scheint gut geeignet, zutreffend für das abschließende Positionspapier, das die Deutsche Aids-Hilfe zur Frage der Senkung der HIV-Viruslast unter die Nachweisgrenze und Konsequenzen für den Einzelnen sowie für die HIV-Prävention vorgelegt hat.

„was lange währt, wird endlich gut“
Ja, die DAH hat sich Zeit gelassen. Über 14 Monate sind seit der Publikation des EKAF-Statements vergangen, eines Statements zudem, dessen Inhalte und wesentliche Botschaften zumindest in Fachkreisen schon weit vorher bekannt waren.

14 Monate sind eine lange Zeit, und viele (Positive , Aktivisten, Mitarbeiter/innen in Aids-Hilfen und -Beratungen… ) wurden ungeduldig, drängelten. Andere hingegen betätigten sich mit Verve als Bremser, gar Blockierer, wollten eine -womöglich gar ‚zu positive‘- Stellungnahme verhindern oder doch verzögern.

14 Monate sind eine lange Zeit – die aber vielleicht erforderlich war. Erforderlich, um zu einer überlegten, reflektierten und tragfähigen Position zu kommen. Zu einer Position, die auch in den nun sicherlich neu aufflammenden Debatten argumentiert, begründet werden kann, Bestand haben wird. Und eine Position, die -das darf nicht vergessen werden- auch innerhalb von Aidshilfe(n) tragfähig ist.

Denn Lebens- und Präventions-Realität wird diese Position nur, wenn möglichst viele, HIV-Positive, Ungetestete wie auch HIV-Negative, Aids-Hilfe Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Berater und Beraterinnen davon überzeugt sind, überzeugt werden können, dass dies die richtige, die zukunftsweisende Position ist. Dieses Positions-Papier bietet die Voraussetzungen dafür.

was lange währt, wird endlich gut
Gut – diese drei Buchstaben, dieses eine Wort genügen, um das Positions-Papier der DAH im ersten Ansatz zu bewerten.

Es ist gut, denn es prüft das Statement der EKAF,wägt ab – und kommt zu einer eigenen, lang erwarteten Position der DAH.

Gut aber vor allem, weil es neben der reinen Positionierung zwei weitere bedeutende Schritte geht:
Das Positions-Papier setzt sich öffentlich, für jeden nachvollziehbar und transparent, mit Argumenten, mit Für und Wider auseinander, wägt ab, kommt zu einer Entscheidung – und begründet diese.
Vor allem aber: das Positions-Papier bleibt nicht verharren bei der trockenen, abstrakten Position. Es geht vielmehr mutig gleich zwei weitere Schritte: es übersetzt in lebensnahe, den Situationen, dem Lebensalltag, dem Liebes- und Sexleben gerecht werdende Empfehlungen, und es weist den Weg in neue Chancen für die HIV-Prävention.

„Ja, und was heißt das für mich? Für meine Situation?“ – Diese Fragen waren oft zu hören in den letzten Monaten, in vielen Diskussionen über „die EKAF“. Und zumindest die laut geäußerte Antwort lautete meist „nix genaues weiß man nicht“. Das EKAF-Statement blieb das, als was es ursprünglich publiziert wurde, eine Stellungnahme von Medizinern zu Fragen der Infektiosität.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat in ihrem Positions-Papier die Stellungnahme der EKAF nun mit ‚Fleisch‘, mit Leben versehen. HIV-Positive, HIV-Negative, Ungetestete in verschiedensten Lebenssituationen, von HIV Betroffene und von HIV Bedrohte, ob schwuler Mann, Hetero mit gelegentlichen ‚Männer-Kontakten‘, Frau mit oder ohne Kinderwunsch, Drogengebraucher(in), Mensch in Haft – sie finden nun lebensnahe, lebensbejahende Empfehlungen, wie das Statement der EKAF, wie die Frage der ‚Präventionsmethode Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze‘ in ihrem Leben integriert, gelebt werden kann.

Die Chancen des EKAF-Statements nicht nur abstrakt aufzuzeigen, sondern sie in konkreten Empfehlungen lebbar zu machen – das ist das eigentliche Verdienst dieses Positionspapiers.

HIV-Therapie und Prävention – die Deutsche Aids-Hilfe hat eine Position gefunden

Das Statement der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) hat für viele Diskussionen gesorgt. Immer wieder wurde angemahnt, was ist die Position der Deutschen Aids-Hilfe. Nun, nach 14 Monaten, hat die DAH ihre abschließende Position veröffentlicht – detailliert, begründet und zukunftsorientiert.

“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dieser Satz sorgt seit Januar 2008 für viele intensive, oft aufgeregte Diskussionen. Doch – die EKAF, die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, das ist die Schweiz. Was sagen Organisationen in Deutschland dazu, vor allem die Deutsche Aids-Hilfe (DAH)?

Eine erste Positionierung zeichnete sich bereits ab mit dem Haltungspapier des Delegiertenrats der DAH vom März 2008  („Neue Wege sehen, neue Wege gehen!„), später ergänzt durch ein erstes Positionspapier des DAH-Vorstands („HIV-Therapie und Prävention – Stellungnahme der DAH„).
Anfang April 2009 nun, lang erwartet, liegt die endgültige Position der DAH vor.

Die DAH bringt in ihrem Positionspapier (als Dokumentation auf ondamaris „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V.„) das Statement der EKAF auf folgende zentrale Botschaft:

„Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor“

und stellt zur Bedeutung dieser zentralen Botschaft fest

„Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Prävention muss lebbar sein, und dies -so die DAH- bedeute

„Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen.“

Doch es geht um mehr als „nur“ darum, zielgruppengerechte Information bereitzustellen. Es geht darum, diese auch lebbar zu machen, in den Lebensalltag zu übersetzen – mittels Empfehlungen.

Empfehlungen – das bedeutet die DAH übersetzt in ihrem Positionspapier die „zentrale Botschaft“ in Ratschläge, Hinweise, Anmerkungen. Empfehlungen, die auf die spezifischen Lebenssituationen verschiedener Gruppen eingehen:
– HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
– HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, Ungetestete und HIV-Negative
– HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
– Drogengebraucher(innen)
– Menschen in Haft
– bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen

Für jede dieser Konstellationen werden konkrete, lebensnahe Empfehlungen und Anregungen gegeben und in einem eigenen Kapitel die Hintergründe erläutert – bis hin zu Fragen von Schleimhaut-Läsionen, sexuell übertragbaren Erkrankungen oder regelmäßigen Routine-Untersuchungen.

Empfehlungen, die die zentrale Botschaft des Positionspapiers in Lebensrealitäten übersetzen, für verschiedene Gruppen und Situationen anwendbar machen.

Auf diese Weise wendet sich das Positionspapier nicht nur an HIV-Positive, HIV-Negative und Ungetestete. Es stellt darüber hinaus auch eine wichtige und lebensnahe Basis für Beraterinnen und Berater in Aids-Hilfen und anderen Beratungsstellen dar, sowie für Ärzte und Ärztinnen.

Auf einer übergeordneten Ebene der öffentlichen Gesundheit (New Public Health) kommt die DAH zu dem Schluß

„Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering. Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.“

Die „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bezeichnet die DAH konsequenterweise als eine weitere Präventionsmethode.

Auf Befürchtungen von Kritikern, es könne nun zu steigenden Neu-Infektionen kommen, entgegnet die DAH selbstbewusst

„Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.“

Das „Positionspapier“ ist so weit mehr, als der Name zunächst vermuten lässt:
Das Statement der EKAF zu bewerten, eine eigene Position zu finden und zu begründen ist nur der erste Schritt. Das „Positionspapier“ geht auch den zweiten Schritt, kommt zur Umsetzung in konkrete Empfehlungen – und versucht so, sie zu nutzen, die Chancen, die sich in der Prävention neu ergeben.

Erstmals geht damit eine auch international bedeutende Aids-Organisation den Schritt, nicht nur zu kommunizieren, dass erfolgreiche antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektiosität drastisch senkt, sondern auch zu sagen, was dies konkret für den/die Einzelne(n) und seine/ihre Handlungen bedeuten kann – und wie es in Prävention übersetzt werden könnte.

HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe

weitere Informationen:
faz.net 08.04.2009: Auf’s Kondom verzichten?
queer.de 09.04.2009: Aids-Hilfe: Kondom muss nicht immer sein
aidsmap 21.04.2009: German NGO endorses treatment as prevention
thewarning 22.04.2009: L’association allemande Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse
POZ 22.04.2009: German AIDS Group Endorses HIV Treatment as Prevention
e-Ilico 27.04.2009: L’association Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse sur le traitement anti-VIH en prévention
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das gesellschaftliche Trauma Aids überwinden – die eigentliche Chance des EKAF-Statements

Die Debatte um die Stellungnahme der EKAF zur Nicht-Infektiosität erfolgreich therapierter HIV-Positiver schient langsam zu verstummen. Doch reicht es als Stellungnahme zu sagen, Positive sind unter diesen Umständen nicht infektiös? Steckt nicht mehr an Potenzial in der Stellungnahme der EKAF?

Das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission, ein HIV-Positiver sei „ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … sexuell nicht infektiös“ ist nun über ein Jahr alt.

Bei seinem Erscheinen sorgte das Statement der EKAF für heftige Reaktionen, in der Fachwelt aber vor allem auch bei HIV-Positiven.

Inzwischen aber scheint es ruhiger geworden zu sein um das Thema EKAF, sehr viel ruhiger. Die Deutsche Aids-Hilfe hat im Januar 2009 eine Stellungnahme zu EKAF abgegeben, auf den Positiven Begegnungen 2009 wurde EKAF schon nur noch ruhig und distanziert diskutiert. Ansonsten: eher kaum noch Debatte, Ruhe.

Ist in Sachen des Statements der EKAF alles erreicht?
War eine klare Position der DAH alles, was es anzustreben galt?

Nein.
Das Potenzial an Veränderung, das das Statement der EKAF ermöglicht, scheint bisher kaum bewusst. Es reicht wesentlich tiefer.

Um dieses Potenzial des EKAF-Statements zu erkennen, hilft es (so man / frau älter als etwa 45 ist) sich zu erinnern an Facetten schwul-lesbischen Lebens in Zeiten vor Aids – und zu fragen, was Aids daran geändert hat.

Denn Aids war und ist weit mehr als „nur“ eine Epidemie, weit mehr als „nur“ ein medizinisches Syndrom. Aids war immer auch das massenhafte Sterben von Freunden, Bekannten, das massive Verändern schwuler Szenen. Und das Ende eines möglichen schwulen Lebensstils, wie er als Ergebnis der 70er-Schwulen-Emanzipation von nicht wenigen versucht wurde zu leben.

Michael Callen texte damals

„How to have sex in an epidemic,
without being caught up in polemic?“

Doch – es ging und geht um mehr als ’nur‘ Sex. Es geht um Formen schwuler Lebensstile.
Wilhelm Trapp (1) spricht dazu von der

„Aids-Epidemie, die den schwulen Traum von einer erotisch unrestriktiven Gemeinschaft zerstörte.“

Eine Zerstörung, die schwules Leben für viele massiv verändert hat. Trapp fragt später im gleichen Text fragt Trapp

„Ob die ideologisierte Lust sich ohne Aids und Mauerfall anders entwickelt hätte als zum Hedonismus der Love Parade, zum coolen Sexkonsum?“

Die Antwort auf diese Frage scheint müssig, ein auf die Vergangenheit gerichteter Konjunktiv.
Aber hinter seiner Frage verbirgt sich -nach vorne gedacht- ein wichtiger Gedanke:

Was, wenn diese Zerstörung rückgängig gemacht werden könnte?
Wären dann auch Entwicklungen anderer Art (wieder) denkbar?
Wären dann auch wieder Experimente „einer erotisch unrestriktiven Gemeinschaft“ denkbar, lebbar?

Das ist für mich (unabhängig davin, das langfristiges Zeil weiterhin eine völlige Heilung von HIV sein muss) eine der wahren, tieferen Chancen des EKAF-Statements für schwule Szenen – Experimente schwulen Miteinanders wieder unrestriktiver, oder doch weniger restriktiv denk- und lebbar zu machen.

Und – diese Chance betrifft bei weitem nicht nur Menschen mit HIV und Aids – sie betrifft potenziell z.B. die gesamten schwulen Szenen, die aus den Folgen des EKAF-Statetments heraus -so sie denn wollen- neue Freiheiten gewinnen könnten, neue Chancen auf mehr Experimente, weniger Restriktionen und Repressionen, mehr Freiheit.

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(1) Wilhelm Trapp: Eine sehr heftige Variante des Lockerseins (über: Matthias Frings / Der letzte Kommunist – Das traumhafte Leben des Ronald M. Schernikau), in Süddeutsche Zeitung Nr. 55/2009, 7./8. März 2009

Arzt hält sich bei HIV- Infektion an Schweigepflicht – kein Rechts-Verstoß

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einen schwierigen Fall zu behandeln: ein Arzt hatte die Ehefrau eines HIV-Infizierten aufgrund seiner Schweigepflicht nicht über dessen HIV-Infektion informiert. Die Frau infizierte sich und klagte gegen den Arzt. Sie verlor. Ihre Klagen, ihre Rechte seien vernachlässigt worden, wurden abgewiesen – nun auch vom ECHR.

Eine 41jährige Frau aus Wiesbaden hat sich bei ihrem Mann mit HIV infiziert. Der Arzt ihres Mannes hatte sie unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht nicht über die HIV-Infektion ihres Partners informiert. Allerdings hatte er sie gleichzeitig dazu aufgefordert, sich gegen eine HIV-Infektion zu schützen.

Bereits 1999 hatte die Frau den Arzt ihres Mannes verklagt, er habe sie nicht rechtzeitig informiert. In mehreren Instanzen verlor die Frau allerdings ihre Klage vor deutschen Gerichten. Der Arzt habe sich an seine Schweigepflicht gehalten, aber die Frau adäquat informiert sich zu schützen.

Die betroffene Frau wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ECHR (European Court of Human Rights). Sie war der Ansicht, ihre Rechte seien von den deutschen Gerichten nicht ausreichend gewürdigt worden.

echr

Die beteiligten deutsche Gerichte haben keine Fehler begangen und nicht gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte verstoßen, so der ECHR. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 5. März 2009 die Klage gegen Deutschland abgewiesen.

Das Gericht teilte zum Urteil mit

„The Court considered that the domestic courts had had sufficient regard to Ms C.’s right to life and physical integrity; it further found that their assessment of the facts had not been arbitrary and that the principle of equality of arms had been complied with. Consequently, the Court held, unanimously, that there had been no violation of Article 2 of the Convention and no violation of Article 6 § 1. It further held, by six votes to one, that there had been no violation of Article 8.“

Weitere Informationen:
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Press Release (in englischer Sprache) und Urteil (ebenfalls in englischer Sprache)
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HIV-Elite-Controller -warum leben einge Menschen fast ’normal‘ mit HIV?

Einigen wenigen HIV-Infizierten gelingt es, HIV auch ohne Medikamente langfristig unter Kontrolle zu halten. Warum? Welche Faktoren spielen dabei eine Rolle? Und kann von ihnen für HIV-Therapie und -Impfung gelernt werden? HIV-Elite-Controller – ein spannendes Randgebiet der Aids-Forschung.

Die Frage, warum leben einige Menschen länger mit HIV, erkranken nicht oder erst nach sehr viel längerer Zeit, diese Frage beschäftigt Aids-Forscher wie auch HIV-Positive schon seit Beginn der HIV-Epidemie. Viele Namen wurden schon verwendet, Langzeit-Überlebende, Long-Term Non-Progressors, Langzeit-Positive, und nun ‚HIV-Elite-Controller‚.

Doch – HIV-Elite-Controller, dieser Begriff bezeichnet mehr als ’nur‘ einen Langzeit-Positiven. Mit ‚Elite-Controller‘ werden HIV-Infizierte bezeichnet, deren Immunsystem die HIV-Infektion über einen langen Zeitraum unter Kontrolle halten kann, die in dieser Zeit eine sehr niedrige oder auch eine nicht nachweisbare HIV-Viruslast haben, und das ohne antiretrovirale Medikamente einzusetzen.

Denn ganz offensichtlich sind nicht alle Immunsysteme gleich. Während die Mehrzahl der HIV-Positiven ohne den Einsatz von Medikamenten nach gewissser (manchmal größerer, manchmal geringerer) Zeitspanne schwer erkrankt, schafft es bei einem sehr geringen Anteil der Positiven das Immunsystem, die HIV-Infektion langfristig unter Kontrolle zu halten. Positive, die langfristig trotz HIV-Infektion eine fast normale Gesundheit haben, fast normale CD4-Werte – und eine Viruslast unter 50 Kopien, ohne Medikamente. Weit unter ein Prozent der HIV-Positiven haben dieses ‚andere‘ Immunsystem, schätzen Forscher.

Schon bald, nachdem dieses Phänomen erstmals beschrieben wurde, widmeten sich Forscher weltweit der Frage nach dem ‚warum‘. Was befähigt einige Menschen, nahezu normal mit HIV zu leben? Inzwischen werden internationale Forschungsanstrengungen von einer eigenen Organisation koordiniert, dem ‚HIV Elite Controllers Consortium‚.

Die Forscher gehen vielen Spuren, Konzepten nach. Liegt es am infizierenden Virus, vielleicht einem besonders ’schwachen HIV-Stamm? Oder eher an Faktoren des Menschen, der infiziert wurde? Weist sein Immunsystem besondere Eigenschaften, Fähigkeiten auf? Gibt es genetische Besonderheiten?

Auch wenn keiner sich ’sein Virus ‚aussuchen‘ kann, und erst Recht nicht sein Immunsystem – die Forscher hoffen, Antworten auf das ‚warum‘ zu finden. Antworten, die sich irgendwann in Zukunft vielleicht in konkreten Nutzen umsetzen lassen. Wenn Ursachen gefunden wären, stünde als erstes die Frage an, wie diese ’schützenden Besonderheiten‘ anderen zugänglich, nutzbar gemacht werden könnten. Lassen sich hieraus neue Ansätze für die HIV-Impfstoff-Forschung gewinnen, vielleicht auch in Richtung therapeutischer Impfung? Lassen sich ’normale‘ Positive in ‚HIV Elite Controller‘ verwandeln?
Viele Frage beschäftigen die Forscher, und bisher gab es viele Spekulationen jedoch kaum Antworten.

Eine allerdings schon: selbst die ‚HIV-Elite-Controller‘ sind vermutlich nicht „the lucky few“, die wenigen Glücklichen. Neuere Studien ergeben, dass auch bei ihnen ein hohes Maß an Aktivierung des Immunsystems gezeigt werden kann. Einer Aktivierung, die von HIV verursacht ist, einer Aktivierung, die das Immunsystem schwächt. Einer Immunaktivierung, die bei HIV-Positiven mit erfolgreicher Medikamenten-Therapie deutlich geringer ist.

Was das Ziel ist? Einer der Forscher, die sich seit langem mit ‚HIV-Elite Controllern‘ beschäftigt, der Londoner Prof. Frances Gotch, erklärt es einfach „Unser Ziel ist, dass chronisch mit HIV Infizierte eher wie ‚HIV Elite Controller‘ leben. Unsere Hoffnung ist, dass wir in Zukunft in die Lage kommen, die antiretrovirale Therapie deswegen absetzen zu können.“

HIV-Inzidenzstudie

Wie viele Menschen infizieren sich in Deutschland jährlich mit HIV? Bisherige Zahlen basieren auf Schätzungen – mit einer derzeit laufenden Studie will das Robert-Koch-Institut Daten zu frischen HIV-Infektionen sammeln.

Wie viele Menschen infizieren sich jährlich mit HIV? Zwar publiziert das Robert-Koch-Institut jährlich Fragen hierzu, diese basieren jedoch auf Schätzungen.

Gemessen wird bisher, wie viele HIV-Infektionen in einem Jahr neu diagnostiziert werden. Dies sagt jedoch zunächst nichts darüber aus, wann sich die Person mit HIV infiziert hat (sondern nur über den Zeitpunkt des positiven HIV-Tests). Gemessen werden die Neu-Diagnosen, nicht die Neu-Infektionen.
Eine interessante Basis zur Beurteilung der Situation, aber auch für die HIV-Prävention wäre jedoch auch eine bessere Kenntnis des aktuellen Infektionsgeschehens – sprich der Zahl derjenigen Menschen, die sich in einem Zeitraum frisch mit HIV infizieren (HIV-Neuinfektionen). Die  Zahl der HIV-Neudiagnosen pro Zeiteinheit wird als HIV-Inzidenz bezeichnet.

Das Robert-Koch-Institut führt hierzu seit November 2007 eine Studie zur Bestimmung der Inzidenz von HIV-Infektionen in Deutschland durch. Ziel dieser HIV-Inzidenz-Studie ist insbesondere die „Ermittlung des Anteils frischer (inzidenter) HIV-Infektion unter den neu diagnostizierten HIV-Infektionen über einen Zeitraum von zweimal 12 Monaten in Deutschland“.

Diese HIV-Inzidenz-Studie wird seit dem 1. November 2007 durchgeführt. Sie wird durch das Bundesministerium für Gesundheit gefördert. Die Laufzeit der Studie beträgt drei Jahre. Der jetzigen HIV-Inzidenz-Studie ging eine Pilotphase voran, die von November 2005 bis Februar 2007 in Berlin stattfand.

Zum Hintergrund der Inzidenzstudie erläutert das RKI:

„Diese Fallmeldungen der neu diagnostizierten HIV-Infektionen spiegeln jedoch nicht die tatsächliche HIV-Inzidenz, also die Anzahl der neu erworbenen Infektionen wieder, sondern sie stellen die Summe aus frischen und länger zurückliegenden, erstmalig diagnostizierten HIV-Infektionen dar. Die Qualität dieser Daten hängt vom Meldeverhalten der Labore und Ärzte ab. Weitere Faktoren, die die Meldedaten beeinflussen können, sind das Angebot von Testmöglichkeiten und die Inanspruchnahme solcher Testangebote. Insbesondere Veränderungen dieser Parameter im Zeitverlauf können die Interpretation der Daten erschweren.

Die Anzahl frisch erworbener Infektionen (inzidenter Fälle) ist ein sehr aktueller Indikator, der auf eine veränderte epidemiologische Situation hinweisen kann und dadurch eine zeitnahe Anpassung von Präventionsprogrammen ermöglicht. Durch Bestimmung der Inzidenz kann z.B. das Übertragungsniveau und dessen Änderung bzw. Dynamik in bestimmten Risiko- oder Altersgruppen erfasst werden.“

Das RKI über die Studie:

„Nach Abschluss einer Pilotphase in Berlin sollen jetzt in der HIV-Inzidenzstudie bundesweit Daten zum Anteil frischer HIV-Infektionen und zu Wissen, Einstellungen, Verhalten und Praktiken bezüglich HIV/AIDS gesammelt werden. Die Datensammlung erfolgt anonym und unverbunden. Die Studie wird in Kooperation mit etwa 90 Laboren sowie Praxen, Kliniken, Gesundheitsämtern und Beratungsstellen in sechs Regionen in Deutschland durchgeführt.“

Weitere Informationen:
Epidemiologisches Bulletin 47 / 2006: RKI-Pilotstudie zu inzidenten HIV-Infektionen in Berlin
Epidemiologisches Bulletin 1/2008: Zur Bestimmung der Inzidenz von HIV-Infektionen in Deutschland
Robert-Koch-Institut: HIV-Inzidenzstudie
ondamaris: HIV-Neuinfektionen – Hintergrundinformationen

HIV-Neudiagnosen – niedrig auch in Zukunft?

Die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland stagniert, HIV-Prävention ist erfolgreich. Doch – werden die Zahlen der HIV-Neudiagnosen in den kommenden Jahren so niedrig bleiben? Und wenn nicht, wäre dies ein Versagen der Prävention?

Zum Welt-Aids-Tag werden traditionell die Zahlen der HIV-Neu-Diagnosen und HIV-Neu-Infektionen präsentiert und breit diskutiert. ‚Stabilisierung der Zahl der HIV-Infektionen‚ konnte das Robert-Koch-Institut für Deutschland erfreulicherweise vor kurzem vermelden.
Und der Erfolg der HIV-Prävention in Deutschland wird gelobt. Erst jüngst zeigte sich Bundeskanzlerin Merkel auf dem Welt-Aids-Tags – Empfang 2008 der Deutschen Aids-Hilfe „stolz, … dass wir wirklich zu den vorbildlichen Ländern auf der Welt gehören“ (Rede Text, Video).

Ein Erfolg, der sich sehen lassen kann, in mehrfacher Hinsicht: im internationalen Vergleich sind die Zahlen der HIV-Infektionen in Deutschland sehr niedrig. Und aus zahlreichen Nachbarstaaten werden aktuell (bei stagnierenden Zahlen in Deutschland) deutlich steigende Zahlen an HIV-Neudiagnosen gemeldet.

Die deutsche HIV-Prävention kann also zu Recht ein wenig stolz sein auf errungenen Erfolge.
Über diese Erfolge und die Freude darüber sollte jedoch nicht vergessen werden, dass vermutlich in den kommenden Jahren mit steigenden Zahlen bei den HIV-Neudiagnosen zu rechnen sein dürfte.

Steigende Zahlen? Ja – und aus einfachem Grund. Und steigende Zahlen vor allem in der Gruppe der so genannten MSM (Männer die Sex mit Männern haben).

Gerade in den Gruppen schwuler Männer nimmt die Bereitschaft derzeit deutlich zu, einen HIV-Test zu machen. Und nicht nur das, mit gezielten HIV-Test-Kampagnen wenden sich in zahlreichen Städten Deutschlands Aids-Hilfen, aber auch Schwulengruppen sowie Lesben- und Schwulenzentren gezielt an die Gruppe schwuler Männer. Die Bereitschaft zum HIV-Test wird dadurch weiter erhöht, und der Zugang zum Test durch koordinierten Beratungs- und Test-Angebote weiter erleichtert. Eine für Herbst 2009 geplante bundesweite HIV-Test-Kampagne im Rahmen der Kampagne ‚ich weiss, was ich tu‘ wird die Zahl der HIV-Tests noch weiter erhöhen.

So banal es klingen mag – wo viel getestet wird, werden auch mehr (bisher unbekannte) HIV-Infektionen festgestellt. Je mehr Menschen, und gerade: je mehr Menschen aus den in besonderem Umfang von HIV betroffenen Gruppen einen HIV-Test machen, desto höher wird zukünftig die Zahl der HIV-Neudiagnosen ausfallen.

Also – seien wir heute schon ehrlich: die erfreuliche Entwicklung, dass die Zahl der HIV-Neudiagnosen sich 2008 stabilisiert hat, wird sich so in den kommenden Jahren, besonders schon 2009 vermutlich nicht aufrecht erhalten lassen. Die Zahl der HIV-Neudiagnosen dürfte 2009 und 2010 steigen.

Warum ich diese banale Erkenntnis so betone?
Weil Medien, aber auch Politiker und mancher Aktivisten gerne dazu tendieren, jeglichen Anstieg der HIV-Zahlen voreilig als Versagen der Prävention zu brandmarken, ihn für andere Zwecke instrumentalisieren. HIV und Aids werden gern als Mittel benutzt, um andere Zwecke zu erreichen – gerade ein eventuell deutlicher Anstieg der HIV-Neudiagnosen bei schwulen Männern könnte da leicht so manchen Politiker oder Kirchen-Funktionäre, fundamentalistischen Eiferer oder auch nur nachlässigen Redakteur zu voreiligen, verkehrten, im schlimmeren Fall gefährlichen Schlüssen verleiten.

Sollten die Zahlen der HIV-Neudiagnosen 2009 durch vermehrte Tests steigen – so wäre dies aber ganz im Gegenteil letztlich ein Erfolg der Prävention!
Ein Erfolg für diejenigen HIV-positiven Menschen, denen nun eine adäquate Behandlung und Therapie ihrer Infektion rechtzeitig zur Verfügung steht. Ein Erfolg erst recht für diejenigen Menschen, bei denen ansonsten womöglich erst sehr spät im Infektionsverlauf HIV diagnostiziert worden wäre, zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Gesundheit schon unnötig stark geschädigt wäre, sie womöglich bereits schwer erkranken (late diagnosis). Und letztlich wäre es auch ein Hinweis auf einen Erfolg der Test-Kampagnen, der HIV-Prävention.

Also: gerade wenn wir uns über die stagnierenden Zahlen der HIV-Infektionen 2008 freuen, gerade wenn wir Erfolge der HIV-Prävention in Deutschland berechtigt feiern – seien wir ehrlich, sagen wir auch: ja, in den kommenden Jahren könnten die Zahlen der gemessenen HIV-Neudiagnosen möglicherweise steigen.

Stabilisierung der Zahl der HIV-Infektionen

In Deutschland leben nach einer aktuellen Schätzung des Robert Koch-Instituts anlässlich des Welt-AIDS-Tages 2008 rund 63.500 Menschen mit HIV oder AIDS. Von ihnen haben sich geschätzte 3.000 im Jahr 2008 infiziert, ähnlich viele Neuinfektionen waren es im Jahr 2007 gewesen. „Die weiterhin hohe Zahl zeigt, dass Prävention und Forschung unverändert wichtig sind“, betont Jörg Hacker, Präsident des Robert Koch-Instituts. Ob es sich nach dem Anstieg der Infektionszahlen zwischen den Jahren 2000 und 2006 um eine dauerhafte Stabilisierung handelt, ist offen. Bei rund 1.100 Menschen haben sich im Jahr 2008 die HI-Viren so stark vermehrt, dass sie an AIDS erkrankt sind. Etwa 650 Menschen mit einer HIV-Infektion sind im Jahr 2008 gestorben.

Das Epidemiologische Bulletin des Robert Koch-Instituts veröffentlicht in der aktuellen Ausgabe 47/2008 mehrere Beiträge zu HIV/AIDS: eine Analyse der Epidemie in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten, eine Einschätzung zur aktuellen weltweiten Situation, Zwischenergebnisse aus der so genannten HIV-Inzidenz-Studie sowie eine neue Schätzung der „Eckdaten“, die im Internet auch für jedes einzelne Bundesland verfügbar ist. Die Eckdaten enthalten eine Schätzung der Zahl der Personen, die mit einer HIV-Infektion leben (HIV-Prävalenz) und der tatsächlich erfolgten HIV-Neuinfektionen im Jahr 2008 (HIV-Inzidenz).

Unter den 63.500 Menschen, die Ende 2008 mit HIV oder AIDS leben, stellen Männer, die Sex mit Männern haben, mit 38.700 die größte Gruppe. Etwa 8.700 Personen haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert, rund 7.300 Menschen kommen aus so genannten Hochprävalenzregionen und infizierten sich überwiegend in ihren Herkunftsländern und dort bei heterosexuellen Kontakten. Etwa 8.200 HIV-Infektionen gehen auf intravenösen Drogengebrauch zurück.

Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen ist nicht zu verwechseln mit der Zahl der Neudiagnosen. Die Meldungen über Neudiagnosen (die monatlich im Epidemiologischen Bulletin veröffentlicht werden und auch über die Datenbank SurvStat im Internet abrufbar sind) erlauben keinen direkten Rückschluss auf den Infektionszeitpunkt, da HIV-Infektion und -Test zeitlich weit auseinander liegen können. Um das aktuelle Infektionsgeschehen besser bewerten zu können, hat das Robert Koch-Institut die „Inzidenz-Studie“ begonnen, die vom Bundesministerium für Gesundheit finanziert wird. Ziele sind die Bestimmung des Anteils aktueller Infektionen an den gemeldeten Diagnosen und die Erhebung von Faktoren, die das Testverhalten beeinflussen. Außerdem sollen Risikofaktoren und -verhalten ermittelt werden, um gezielte, an aktuellen Trends orientierte Präventionsstrategien abzuleiten.

Das 25-jährige Jubiläum der Deutschen AIDS-Hilfe im Jahr 2008 nimmt das Robert Koch-Institut zum Anlass, einen Blick in die Vergangenheit von HIV zu werfen. Die Ausstellung „Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV“ wird am Standort Seestraße 10 in 13353 Berlin gezeigt. Zu sehen ist unter anderem ein Teil der zwischen 1987 und 2002 an das Robert Koch-Institut gerichteten Briefe zu diesem Thema sowie Schlagzeilen der Presse. Die Eröffnung findet am 1.12.2008 um 16.00 Uhr statt. Die Ausstellung kann werktags zu den üblichen Bürozeiten besucht werden.

(Pressemitteilung des Robert-Koch-Instituts)

weitere Informationen:
RKI: Verlauf und gegenwärtiger Stand der HIV-Epidemie in Deutschland, Ende 2008
RKI: Epidemiologisches Bulletin 47/2008 (pdf)
HIV-Neuinfektionen: Hintergrund-Informationen

HIV-Neuinfektionen – Hintergrund-Informationen

Im Vorfeld des alljährlichen Welt-Aids-Tags am 1. Dezember werden demnächst wieder die Zahlen zu den HIV-Neudiagnosen in die Diskussion geraten. Was steckt hinter diesen Zahlen? Wie kommen sie zustande, und was sagen sie aus? Einige Hintergrund-Informationen …

HIV-Neudiagnosen

HIV-positive Testergebnisse müssen in Deutschland von Laboren und Ärzten pseudonymisiert an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden (Meldung gemäß §7(3) Infektionsschutzgesetz). Anhand der Pseudonymisierung werden Doppel-Meldungen (z.B. Labor und Arzt melden den gleichen Patienten an das RKI) weitgehend bereinigt.
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird gezählt!

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird vom RKI regelmäßig publiziert im ‚Epidemiologischen Bulletin‘ (z.B. der Jahresbericht ‚HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland‘ 2007 im Epidemiologischen Bulletin Sonderausgabe A / 2008, 2. Mai 2008).

HIV-Infektion und HIV-Diagnose können zeitlich weit auseinander liegen. Aus diesem Grund erlaubt die Zahl der HIV-Neudiagnosen keinen direkten Rückschluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Zudem wird die Zahl der HIV-Neudiagnosen z.B. beeinflusst von Faktoren wie das Meldeverhalten der Ärzte oder Angebot und Inanspruchnahme von HIV-Tests (ein massives Bewerben des HIV-Tests in Schwulenszenen einiger Städte führt z.B. fast ’natürlich‘ auch zu einem Anstieg der Tests und damit der Neudiagnosen).

Für Deutschland wurden dem RKI für das Jahr 2007 (Stand 01.03.2008) 2.752 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet (für 2006: 2.643; Zunahme 2007 zu 2006: 4%). Die Zahl der HIV-Neudiagnosen publiziert das RKI im April (gesamt Vorjahr). Der bisher jeweils im Oktober vorgelegte Halbjahresbericht entfällt seit diesem Jahr; allerdings wird das RKI auch dieses jahr wieder ein Welt-Aids-Tag – Bulletin veröffentlichen  (im November; siehe ‚HIV-Neuinfektionen‘).

Im Gegensatz zu HIV-positiven Testergebnissen (pseudonymisierte Meldepflicht) wird die Zahl der Aids-Erkrankungen und Aids-Todesfälle nur freiwillig weitergegeben und vom RKI in einem zentralen Fallregister ausgewertet.

Bei weitem nicht alle Staaten weltweit zählen ihre HIV-Neudiagnosen. Aus diesem Grund werden von internationalen Organisationen wie UNAIDS (der Aids-Organisation der Vereinten Nationen) oftmals keine Daten zu HIV-Neudiagnosen veröffentlicht.

HIV-Neuinfektionen

Das eigentliche Ziel der Überwachung von Infektionskrankheiten ist weniger das Zählen neuer Diagnosen, als das Erkennen aktueller Entwicklungen. Das aktuelle Infektionsgeschehen spiegeln die Zahlen der HIV-Neudiagnosen aus verschiedenen Gründen (s.o.) jedoch nicht direkt wieder.
Da es für die Zahl der HIV-Neuinfektionen keine Zahlen gibt (geben kann), kann diese nur geschätzt werden. Das RKI schreibt selbst hierzu: „Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig.“
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird geschätzt!

Anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 berichtete das RKI im November 2007 über Stand und Entwicklung der HIV-Infektion in Deutschland und schätzte damals die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland für das Jahr 2007 auf „etwa 3.000“ (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47/2007).
Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen 2008 wird das RKI etwa Ende November 2008 veröffentlichen.

HIV-Prävalenz

Die HIV-Prävalenz gibt die Gesamtzahl der lebenden HIV-Infizierten an.
Mitte der 1990er Jahre hatte sich in Sachen HIV-Prävalenz eine Art ‚Gleichgewichtszustand‘ etablierte: die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle hielt sich in etwa die Waage mit der Zahl der HIV-Neuinfektionen. Die Einführung hochwirksamer Therapien beendete dieses ‚Gleichgewicht‘. Die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle sinkt; seit etwa 2000 steigt zudem die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass seit 1995 die Zahl der mit HIV lebenden Menschen in Deutschland langsam zunimmt. Für Ende 2007 schätzt das RKI die Zahl der in Deutschland lebenden HIV-Positiven auf „um 59.000“ (Epidemiolog. Bulletin Nr. 47/2007, s.o.). Die Schätzung für 2008 wird etwa Ende November 2008 veröffentlicht werden.
Diese Schätzung beinhaltet auch die so genannte ‚Dunkelziffer‘ (diejenigen Menschen, die noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen).

HIV-Inzidenz

Die HIV-Inzidenz gibt die Zahl der HIV-Neudiagnosen pro Zeiteinheit an (s.o.).

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Nachtrag
03.12.2008: Bei den Daten zur HIV-Prävalenz ist zu beachten, dass diese nicht direkt zwischen den Jahren vergleichbar sind. Das Robert-Koch-Institut hat die Zahl der HIV-Infektionen in den 1990er Jahren im Jahr 2008 neu berechnet und nachkorrigiert. Dadurch wurden die Zahlen nach oben korrigiert – diese erhöhten Zahlen sind in die Zahlen zur Prävalenz 2008 mit eingeflossen. Aus diesem Grund fällt die Prävalenz 2008 höher aus als die Prävalenz 2007.

EKAF im Alltag – Drohkulisse oder Chance?

Welche Konsequenzen hat das EKAF-Statement zur Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, für Positive, für die Betroffenengruppen, für die Prävention? Eine spannende Podiumsdiskussion befasste sich mit den Konsequenzen des EKAF-Statements für den Alltag.

Im Januar 2008 veröffentlichte die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF ihr Statement (siehe ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapie ohne andere STDs‚). Ein Statement, das heftige Reaktionen von verschiedensten Seiten auslöste, von „endlich spricht jemand das aus …“ bis „das darf man doch nicht laut sagen …„. Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Mexiko Stadt im August 2008 präsentierten Positive das Mexico Manifest, in dem sie forderten, das Statement anzuerkennen und zu einer offenen Debatte und uneingeschränkten Aufklärung zurück zu kehren.

‚EKAF – Konsequenzen für den Alltag?‘, unter diesem Titel fand am 13. September 2008 im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ eine lebhafte Podiumsdiskussion zu dem Schweizer Statement statt. Unter Moderation von Corinna Gekeler (Berlin) diskutierten Michael Jähme (Köln), Götz Bähr, Matthias Hinz und Jens Ahrens (alle Berlin).

Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?
Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?

Das Bild von Positiven werde sich in der Gesellschaft in Folge des EKAF-Statements verändern, betonte Michael Jähme und verwies auf das große Potential an entstigmatisierender und Diskriminierung abbauender Wirkung, das mit dem EKAF-Statement genutzt werden sollte.
Auch kondomfreier Sex könne unter bestimmten Umständen safer Sex sein. Dies werde sicherlich die künftige Prävention komplizierter gestalten – aber da müsse sich die Prävention einer veränderten Realität anpassen. Zudem liege hierin doch auch die Chance, dass Positive nun einen noch größeren Anreiz hätten, auf ihre Gesundheit zu achten.

Götz Bähr wies darauf hin, dass das EKAF-Statement für eine kleine Gruppe eine neue Perspektive biete – nur denjenigen Positiven, die eine Kombitherapie machen. Dies seien vielleicht 30% aller Menschen mit HIV in Deutschland. Was sei mit den anderen? Entstehe nun ein Druck zu noch früherem Therapiebeginn? Vielleicht gar zu einem Therapiebeginn nicht aus medizinischen sondern epidemiologischen oder psychologischen Gründen? Zudem, Motor der HIV-Infektion seien diejenigen, die ungetestet aber mit HIV infiziert seien – eine Frage, die nicht außer Acht geraten dürfe, wo blieben hier die Test-Kampagnen?
Es müsse zudem im Fokus bleiben, dass HIV-Negative und Ungetestete sich weiterhin bemühen negativ zu bleiben. EKAF sei hier ein Moment zusätzlicher Sicherheit. Die Verantwortung dürfe jedoch nicht noch mehr einseitig auf HIV-Positive verschoben werden.
Zudem könne das EKAF-Statement dazu führen, dass der Druck auf Positive jetzt noch mehr wachse, sich zu offenbaren – vielleicht sogar mit ‚Offenlegung der Werte‘.

Matthias Hinz warnte vor der ‚Monogamie-Falle‘ – nirgends im EKAF-Statement wird Monogamie als Bedingung genannt, vielmehr heißt es in dem Artikel von Vernazza et al. „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“. Zudem sehe er die Gefahr einer Re-Medikalisierung der Debatte, wenn z.B. in der Tendenz auch die früher von den Communities entwickelte und getragene Prävention (bei MSM) nun von ‚Experten‘, von Medizin und Pharma vereinnahmt werde.
Der Slogan ‚Kondome schützen‘ sei heute kaum noch situationsgerecht. Die Zeit der einfachen Botschaften sei vorbei; nicht nur die Zeit, auch die Bedrohung sei eine andere geworden. Er stelle die Prognose, der Slogan ‚Kondome schützen‘ werde irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr verwendet. Nicht etwa, weil er obsolet geworden sei, sondern weil er der Komplexität der Situation nicht mehr gerecht werde.

Hinz wies darauf hin, dass seit Jahrzehnten durch die Angst von Positiven, für andere eine Quelle der Ansteckung zu werden, weitaus mehr Neuinfektionen verhindert wurden als durch jedes Selbstschutz-Interesse von Nicht-Positiven oder Präventionskampagnen. Wenn diese oft stark übersteigerte Angst nun zumindest etwas auf ein realistischeres Maß zurückgeht, sei das im Interesse der Positiven zu begrüßen. Das Argument, dass die Prävention diese Angst zum Funktionieren braucht, sei vielleicht verständlich, es wäre aber unethisch und kontraproduktiv, diese (endlich) weniger werdende Angst künstlich am Leben halten zu wollen. Hier müsse sich die Prävention was anderes einfallen lassen, um mit den sich verändernden Umständen umzugehen.

Immer wieder war in den Diskussionen die vielfach wahrnehmbare Angst Dritter (z.B. aus Politik und Verwaltung) Thema, „wir (die Positiven) könnten unsere Angst verlieren, andere zu infizieren“. Werde hier versucht eine Angst zu Lasten von Menschen mit HIV aufrecht zu erhalten, um nur nicht an alten Präventionskonzepten rühren zu müssen?
„Ich stelle mich als HIV-Positiver nicht mehr als Drohkulisse zur Verfügung!“, kommentierte dazu Michael Jähme. Überall freue man sich über Fortschritt in der HIV-Forschung – warum ausgerechnet hier nicht?

Eine spannende, inhaltlich sehr dichte und facettenreiche Diskussion – dank pointierter wie auch kenntnisreicher Beiträge der Diskutanten und besonders der intensiven Vorbereitung und guten Moderation durch Corinna Gekeler. Vielleicht beteiligen sich beim nächsten Mal auch die anwesenden Vertreter aus Politik und Verwaltung an der Diskussion?

‚Die Debatte um die Bedeutung des EKAF-Statements wird nur weiter gehen, wenn wir uns selbst darum kümmern‘, hatte Michael Jähme zu Beginn der Diskussion betont. Diese Veranstaltung wies einen guten Weg, wie Debatten inhaltsreich weiter geführt werden können – ohne Polemik, aber mit kontroversen Themen und Diskussionen.