Heroin-Ersatz-Therapien wie Methadon sind geeignet, das Risiko einer HIV-Übertragung zu reduzieren. Dies berichten Forscher in einem Beitrag für das British Medical Journal. Die Forscher aus den USA, Kanada, Italien und Australien werteten die Ergebnisse zahlreicher veröffentlichter und unveröffentlichter Studien aus. Sie stellten einen bedeutenden Einfluss von Opiat-Ersatz-Therapien (OST, opiate substitution therapies) auf das HIV-Übertragungsrisiko bei iv-Drogengebrauchern (PWID, people who inject drugs) fest:
„Through their analysis, the researchers determined that the impact of OST on HIV reduction was strong—OST was associated with a 54 percent reduction in risk of HIV infection among PWID.“
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CHUM Centre hopitalier de l’université de Montreal 05.10.2012: La méthadone réduit le risque de transmission du VIH
Science Codex 05.10.2012: Methadone reduces the risk of HIV transmission
CDC NPIN 05.10.2012: Methadone Reduces the Risk of HIV Transmission
Aids-Medikamente senken das Risiko einer HIV-Übertragung drastisch. Nun bestätigen auch die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden offiziell das, was einst als ‚EKAF-Statement‘ für viel Aufregung sorgte. Die Schutzwirkung von Medikamenten liege höher als die von Kondomen.
Die US-amerikanischen Gesundheitsbehörden CDC Centers for Disease Control haben am 14. Juni 2012 eine Aufstellung zu HIV-Übertragungsrisiken online gestellt. Dort betonen die CDC, eine wirksame antiretrovirale Therapie (ART) senke das HIV-Übertragungsrisiko um 96%. Bei konsistenter Anwendung von Kondomen senken diese das Risiko einer HIV-Übertragung um 80%:
„Different factors can increase or decrease transmission risk. For example, taking antiretroviral therapy (i.e., medicines for HIV infection) can reduce the risk of an HIV-infected person transmitting the infection to another by as much as 96%. Consistent use of condoms reduces the risk of getting or transmitting HIV by about 80%. Conversely, having a sexually transmitted infection or a high level of HIV virus in the blood (which happens in early and late-stage infection) may increase transmission risk.“
In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 4, 22. Juli 2010:
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Nicht Aids definierende Krebs-Arten treten bei HIV-Positiven früher auf
Krebs-Erkrankungen, die nicht Aids-definierend sind, treten bei Menschen mit HIV nicht nur häufiger auf – sie treten auch früher, in jüngerem Alter auf. Dies zeigte eine auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vorgestellte Studie aus Atlanta. In einer retrospektiven Analyse der Daten von 8.300 HIV-positiven Patienten des Ponce de Leon Health Center in Atlanta (2000 bis 2007) wurden 512 Fälle von Krebs-Erkrankungen festgestellt, davon 192 von Krebs-Arten, die nicht zur Definition des Krankheitsbildes Aids gehören, darunter am häufigsten Lungen- (40) und Anal-/Rektal-Karzinome (24). Das Durchschnitts-Alter des Auftretens einer Krebs-Erkrankung der HIV-positiven Patienten lag bei 47 (Männer) bzw. 48 (Frauen) Jahren. Bei zahlreichen Krebs-Arten wurden signifikant deutliche Alters-Unterschiede zur Allgemein-Bevölkerung festgestellt.
POZ 21.07.2010: Non-AIDS Cancers Occurring at Earlier Age Among People With HIV
‚Toiletten-Wauwau‘ – Proteste gegen die Politik der EU-Kommission
Etwa Hundert Aids-Aktivist/innen protestierten am 21. Juli 2010 auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz gegen die Politik der EU-Kommission. Die Aktivisten (u.a. von Act Up-Paris, Health GAP und DNP+ (Delhi Network of people living with HIV)) blockierten den Stand der EU-Kommission, riefen dabei Parolen wie „Die EU-Kommission bemächtigt sich der Medikamente, wir bemächtigen uns der EU-Kommission“. Später wurde eine Satelliten-Veranstaltung der EU-Kommission gestört, als EU-Vertreter Patrick Ravaillard für die Generaldirektion Handel sprach. Die ACT UP Paris – ‚Haus-Künsterlin‘ ‚Mademoiselle Toutou-des-Labos‘ (etwa: ‚Toiletten-Wauwau) gab ihren Pharma-kritischen Song ‚Mrs. Pharmas Pet Song‘ zum besten.
ACT UP Paris sieht die EU-Kommission als ‚Marionette der Pharma-Industrie‘. Hintergrund der Proteste ist das von zahlreichen Organisationen (in der derzeitigen Version) weltweit kritisierte geplante Freihandelsabkommen der EU mit Indien. Im Abkommen soll Indien die Einhaltung des Schutzes geistigen Eigentums („intellectual property rights“) garantieren, darunter würden auch Patente auf Medikamente fallen. Indien ist der weltweit bedeutendste Hersteller generischer (und damit kostengünstiger) Versionen von Aids-Medikamenten.
HIV-Therapie senkt HIV-Transmission – indirekter Nachweis für Viruslast-Methode
In Dänemark scheint die HIV-Transmissionsrate unter schwulen Männern und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) zu fallen, selbst wenn gleichzeitig (auch aufgrund der erfolgreichen HIV-Therapien) die Zahl der im Land lebenden HIV-Positiven steigt, und trotz ‚hohen Niveaus‘ an ‚unsafem‘ [gemeint ist wohl ‚Sex ohne Kondom‘, d.Verf.] Sex. Diese Daten stellte Susan Cowan vom ‚National Infections Institute‘ Dänmarks auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien vor. Sie betonte, die einzige Erklärung hierfür sei, dass diese (an sich für die Transmissionsrate ungünstigen) Faktoren überkompensiert würden durch den Rückgang der Infektiosität des einzelnen (erfolgreich antiretroviral behandelten) HIV-Positiven: die paradoxe Situation sei am wahrscheinlichsten dadurch erklärbar, dass HIV-Positive unter Therapie und mit einer Viruslast unter der Nachweisgrenze nicht oder nur sehr selten HIV übertragen.
Obama oder Bush – wer macht(e) die bessere Aids-Politik in den USA?
Es soll eines der beliebtesten Give-aways der XVIII. Welt-Aids-Konferenz besonders bei us-amerikanischen Teilnehmern sein: das Motiv „Bush? Obama? who‘ s better on AIDS?“. Das Motiv wurde vergangene Woche als ganzseitige Anzeige in der im Washingtoner Politikbetrieb einflussreichen Zeitschrift ‚Politico‘ geschaltet und ‚ziert‘ derzeit Bus-Wartehäuser in Washington. Hinter der Aktion steht der us-amerikanische Gesundheits-Dienstleister („medical care provider“) AHF Aids Healthcare Foundation. AHF betreut weltweit etwa 140.000 HIV-positive Patienten in 23 Staaten. Mit der Aktion versucht das Unternehmen, Druck auf die US-Politik auszuüben, sich mehr bei der Finanzierung im Kampf gegen Aids zu engagieren. AHF ist auch auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz in Wien u.a. mit einem Stand präsent.
Unter Druck sehen sich auch Dirk Niebel, Entwicklungs-Minister Deutschlands – für seine sehr zurückhaltende Haltung in Sachen weiterer deutscher Finanzbeiträge für den Globalen Fonds („Zaudern tötet“). Und sein österreichischer Minister-Kollege Gesundheitsminister Stöger, ausgebuht und ausgefiffen am Rand des Human Rights March für das mickrige finanzielle Engagement Österreichs (bisher eine einzige Million Euro für den Globalen Fonds, im Jahr 2002).
Mit der Einführung hochwirksamer antiretroviraler Medikamente scheint für schwule Männer mit HIV eigentlich alles gelaufen zu sein – oder? Da war doch noch was? HIV wurde nahezu unsichtbar, doch das Stigma Aids bleib und bleibt. Vor diesem Hintergrund entstand im Jahr 2006 in den Niederlanden die Grupper ‚Poz and Proud‘. Das Ziel: HIV-positiven schwulen Männern mehr Selbstbewußtsein zu vermitteln – und ‚verlorenes Territorium zurück zu gewinnen‘, sexuelle Rechte einzufordern.
Poz and Proud: Bringing sexy back into Grassroots Advocacy for Hiv-positive Gay Men in the Netherlands – Claiming (sexual) rights, regaining lost territory (pdf)
„mit verletzten Flügeln“ … aber von HIV geheilt – der ‚Berlin Patient‘
Eine Welt-Aids-Konferenz ist gern auch Gelegenheit für erneute Publicity für eine nicht mehr so neue Story: die Heilung eines HIV-Positiven in Berlin (der sogenannte ‚Berlin Patient‘). Seit nunmehr drei Jahren ist bei dem Patienten kein HIV mehr nachweisbar – ohne Medikamente. Erstmals gab der betreffende ehemals HIV-positive Patient nun aus Anlass einer Nachuntersuchung in Berlin ein Interview, Grundlage für den Artikel der ‚Zeit‘ am 19.07.2010: ‚Einer wurde geheilt‘. (Leider, persönliche Anmerkung, ein Artikel mit sehr blumiger Sprache („Er wirkt auf seltsam gebrochene Weise jugendlich, wie ein flügger Vogel mit verletzten Flügeln“)). Das französische ‚Seronet‘ kommentiert den Fall „möglich aber praktisch nicht wiederholbar“.
Immer wieder stehen auch in Deutschland Menschen vor Gericht mit dem Vorwurf, andere fahrlässig oder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. ‚Bei mir ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze‘, mag der ein oder andere denken, sich an das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode erinnern. Doch – wie sieht es in der Realität vor Gericht aus? Welche Bedeutung haben Viruslast und EKAF-Statement vor Gericht? In einem Gastbeitrag beleuchten Corinna Gekeler und Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe drei aktuelle Urteile und ihre Bedeutung.
(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht – Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?
von Karl Lemmen & Corinna Gekeler, Deutsche AIDS-Hilfe
Die deutsche Rechtsprechung weist große Unterschiede auf. Insbesondere die Viruslust unter HAART wird sehr verschieden beurteilt. Würde man die „EKAF-Kriterien“ auch als rechtstaugliche Maßstäbe 1:1 umsetzen, müsste die von den Schweizern vorgesehene Herstellung eines Informed Consent zwischen den Beteiligten nämlich auch eine Rolle spielen.
Wir dokumentieren hier aktuelle Fälle aus der Presse und ergänzt die Bewertung eines Würzburger Urteils aus 2007 durch neue Information aus einem medizinrechtlichen Fachblatt.
Urteil 1: Fulda
Das Amtsgericht Fulda verurteilte Anfang März eine 32-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr1. Der HIV-Positiven wurde zur Last gelegt, durch ungeschützten Sex eine Infektion ihres 41-jährigen Freunds „billigend in Kauf“ genommen zu haben. Die Frau erwartet das zweite Kind von ihrem Partner, der inzwischen wieder ungeschützten Sex mit ihr habe. Weder er noch das erste Kind wurden infiziert, jedoch ein Kind aus erster Ehe. Der Ex-Mann hatte laut Berichten in der Lokalpresse ausgesagt, seinen Nachfolger von der HIV-Infektion seiner Ex-Frau informiert zu haben. Auch die Verurteilte bestritt, über ihre Infektion gelogen oder geschwiegen zu haben.
„Zudem habe ihr eine Ärztin gesagt, die Viruslast sei so gering, dass sie nicht ansteckend sei. Doch während eines Gesprächs mit dem Richter hatte die Ärztin dieser Behauptung widersprochen. Auch ein medizinischer Sachverständiger aus Fulda, bei dem die Angeklagte in Behandlung ist, gab an, dass man eine Ansteckungsgefahr nie ganz ausschließen könne“, so die Lokalpresse.
Urteil 2: Kiel
Seit April 2010 ist ein 47-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (HIV-Übertragungen) und wegen versuchter Körperverletzung in fünf Fällen vor dem Kieler Landgericht angeklagt. Der HIV-Positive sitzt wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft. Als Zeuginnen geladene Sexpartnerinnen sagten aus, er habe in Internetforen gezielt „Sex ohne Gummi“ gesucht.
Er gibt zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Auf Anraten seines Arztes nimmt der Angeklagte jetzt wieder HIV-Medikamente, obwohl er sich über die Notwendigkeit wundere. Die Idee, dass die Viruslast ohne die Pillen wieder steigt, sei ihm nicht gekommen. Er habe sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Sein Arzt sagte vor Gericht aus, er habe den Mann auf die weiterhin bestehenden Risiken hingewiesen. Weitere Experten stellten dem interessierten Richter die Bedeutung der Viruslast vor, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Voraussichtlich im Juni und Juli werden drei weitere Verhandlungstage folgen. Momentan wird ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten erstellt.2
Urteil 3: Würzburg
INFO erfuhr neue, interessante Details zu einem Urteil vom Landesgericht Würzburg aus dem Jahr 2007 (1) aus einem Beitrag im Fachblatt für Medizinrecht (2). Darin schreibt RA Dr. Jörg Teumer, der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aufgrund antiretroviraler Mittel sei seine Viruslast unter der Nachweisgrenze gewesen, wodurch er davon ausgegangen war, es könne keine Übertragung stattfinden. Bei einer der Partnerinnen konnte medizinisch eine auf den Angeklagten zurückgehende HIV-Infizierung nachgewiesen werden.
Das Gericht betonte, dass bei den Sexualpartnerinnen, die über die HIV-Infektion Bescheid gewusst und dennoch mit dem angeklagten sexuell verkehrt hätten, eine strafausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. eine wirksame Einwilligung vorliege, aus der sich keine Strafbarkeit ergebe. Ein solcher „Informed Consent“ zur Selbstgefährdung bietet demnach weiterhin Schutz vor Klagen oder gar Verurteilungen – unabhängig von der Höhe der Viruslast. Aber natürlich nur, wenn die Absprache allen Beteiligten ‚erinnerlich‘ ist.
Was die Beurteilung der Viruslast im Infektionsgeschehen betrifft, gibt es nach wie vor unterschiedliche Expertenaussagen. Gerichte urteilen ebenfalls sehr unterschiedlich, wie dieses Würzburger Urteil und der Nürtinger Fall belegen.
Für den Autor Jörg Teumer trägt das LG Würzburg mit seinem Urteil dem aktuellen Behandlungsstand Rechnung: „Solange es keine 100 % sicheren wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass eine Infizierung Anderer bereits aufgrund der regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente vollständig (!) ausgeschlossen ist, darf eine Kondombenutzung beim Sexualverkehr nicht unterbleiben und führt das Unterlassen dieser Schutzmaßnahme zur Strafbarkeit. Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter von Aids-Beratungsstellen etc., die dennoch einen Sexualverkehr ohne Kondombenutzung befürworten oder gar anregen, laufen daher Gefahr, sich wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einem Körperverletzungsdelikt strafbar zu machen.“
Fazit
Die Urteile aus Fulda und Würzburg zeigen, dass das Thema Viruslast in den Gerichten angekommen ist und wie unterschiedlich es bewertet wird, nämlich meist in Abhängigkeit von der Stellungnahme der geladenen medizinischen Experten. Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.
Ein Ausweg für alle Fälle (unabhängig von der Viruslast) könnte die Herstellung eines „Informed Consent“ zum Kondomverzicht sein; denn wer im Wissen um die HIV-Infektion des Gegenübers in ungeschützten Sex einwilligt, der begeht eine „strafausschließende Selbstgefährdung“. Frage ist natürlich, wie realistisch eine Vereinbarung ist, und ob man bei Bedarf immer Papier und Bleistift zur Hand hat bzw. haben möchte, um sich vor Gericht vor eventuellen „Erinnerungslücken“ seiner Sexualpartner schützen zu können.
(1) Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,679064,00.html und http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-amp-Region-Ungeschuetzter-Sex-HIV-Infizierte-verurteilt%3Bart25,251310
(2) Quellen: http://breaking-news.de/blog/2010/04/05/kiel211-hiv-infizierter-bestreitet-ausreichende-kenntnis-von-ansteckungsgefahr/, http://www.kiel-informativ.de/news-442.html und ein mündlicher Bericht einer Prozessbesucherin
(3) 1 Ks 901 Js 9131/2005 25
(4) RA Dr. Jörg Teumer: Neues zum Thema Aids und Strafrecht. In: MedR 2010 Heft 1
Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!
Über eine beunruhigende Entwicklung in Sachen Kriminalisierung von HIV-Positiven informiert die aktuelle Ausgabe des HIV-Reports der Deutschen Aids-Hilfe.
Schweizer Forscher hatten ermitteln wollen, in welchem Umfang HIV-Übertragungen in der frühen oder in der chronischen Phase der HIV-Infektion stattfinden. Grundgedanke war dabei die derzeit viel diskutierte These, dass besonders in der Phase der frischen HIV-Infektion HIV-Übertragungen stattfinden.
Für ihre Studie verwendeten die Schweizer Forscher Daten aus zwei Schweizer Studien, der Züricher Primoinfektionsstudie (Zurich Primary HIV Infection Study, kurz ZPHI) sowie der Schweizer HIV-Kohortenstudie (SHCS). Die Daten der Studienteilnehmer wurden verglichen, um anhand von Infektionsverläufen zu errechnen (!), wann eine Infektion stattgefunden haben könnte.
Die Forscher konnten mehrere Cluster identifizieren, in denen errechnet (!) wurde, wer wann wen infiziert haben könnte.
Armin Schafberger, Medizin-Referent der DAH, kommentiert im HIV-Report dieses Vorgehen:
„Die Ermittlung von Infektionsketten mittels Kohortendaten erscheint beunruhigend, wenn man weiß, dass die Kriminalisierung der HIV-Übertragung in vielen Ländern eher zunimmt. Staatsanwälte könnten ein Interesse an einer solchen Forschung haben. Die Pseudonymisierung der Kohortenteilnehmer bietet vor staatsanwaltlichen Eingriffen zwar einen guten, aber keinen kompletten Schutz. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat 2009 ein Rechtsgutachten zum „Beschlagnahmeschutz von Patientenakten (insbes. im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen) eingeholt. Steffen Taubert berichtete im Kompl@t 4/2009 des Kompetenznetzes zusammenfassend über die Ergebnisse“
Das fragwürdige Verhalten der Schweizer Forscher schockiert. Der Staatsanwalt dürfte sich schon die Hände reiben und prüfen, auf welchem Weg er an die Daten kommen kann. Selbst wenn es sich nur um errechnete Infektionswege und wahrscheinliche Infektionsketten handelt, für einen Ermittlungen begründenden Anfangsverdacht dürften diese Daten vielleicht schon genügen.Ganz abgesehen davon, dass das Vorgehen in der Studie vermutlich geradezu eine Handreichung für interessierte Ermittler sein dürfte …
Mit derartigen Studien und Vorgehensweisen bestärken derartige Forscher einmal mehr Vorbehalte gegen Studien und insbesondere Kohorten, besonders wenn diese nicht völlig anonymisiert (sondern wie im vorliegenden Fall nur pseudonymisiert, also prinzipiell rück-identifizierbar) sind.
HIV-Positiven kann -nicht nur angesichts dieser aktuellen Studie – nur geraten werden, sich äußerst gründlich zu informieren und bedacht zu entscheiden, ob sie an Studien teilnehmen, und wenn ja welche Daten und erst recht welche Bio-Materialien sie von sich zur Verfügung stellen.
Weitere Informationen:
Armin Schafberger: „HIV-Übertragungen in der akuten und chronischen Phase der Infektion„, in: HIV-Report Nr. 01/2010, 30. April 2010
Rieder P et al. (2010) HIV-1 transmission after cessation of early antiretroviral therapy among men having sex with men. AIDS 24(8):1177-1183, May 15, 2010 (abstract) DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen
Kompl@t 4/2009 (pdf)
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“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dies ist die Kern-Botschaft eines Statements, das die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF im Januar 2008 veröffentlichte.
2 Jahre nach Veröffentlichung des EKAF-Statements ziehen Prof. Pietro Vernazza (St. Gallen; einer der Autoren des Statements) und Armin Schafberger (Berlin; Medizin-Referent der Deutschen Aids-Hilfe DAH) in der Zeitschrift „HIV & More“ eine vorläufige Bilanz:
HIV & More: „Bilanz 2 Jahre nach EKAF“ – Audio-Datei MP3
Das EKAF-Statement zur Frage der Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie – vor zwei Jahren sorgte es für viele Diskussionen. Inzwischen ist die einstige aufgeregte Hektik weitgehend einer überlegten Gelassenheit gewichen. Die Fakten werden von Experten kaum noch bestritten – diskutiert wird weiterhin, auf welchen wegen das EKAF-Statement und die ‚Viruslast-Methode‘ in die Praxis (auch der HIV-Prävention) umgesetzt werden kann.
Ein Vergleich der HIV-Inzidenz-Daten Europäischer Staaten bei der WHO ergibt dieses Bild (Datenabfrage 13.09.2009):
Zahlreiche weitere Zahlen sind bei EuroHIV sowie bei der Weltgesundheitsorganisation WHO recherchierbar (siehe Links unten).
Ob mangels besseren Wissens, oder gar wider besseres Wissen, die Aussagen,
– in Deutschland seien die HIV-Infektionszahlen besonders hoch oder stark gestiegen,
– in Deutschland stürben besonders viele Menschen an den Folgen von Aids,
– oder gar die Deutsche Aids-Prävention sei gescheitert,
zeigen hier ihre Haltlosigkeit: sie lassen sich argumentativ aus den vorhandenen Fakten nicht untermauern. Sie sind grundlos. Sie sind wahrheitswidrig. Sie sind nicht zutreffend.
Im Gegenteil:
– zwischen 1999 und 2006 hat Deutschland laut Vergleich von EuroHIV in West-Europa durchgängig die niedrigste Rate an HIV-Neudiagnosen pro Millionen Einwohner, und
– zwischen 1988 und 2006 hat Deutschland, ebenfalls laut EuroHIV, in West-Europa die niedrigste Zahl an Aids-Diagnosen pro Millionen Einwohner, und
– im Vergleich wichtiger EU-Staaten (EU vor Erweiterung) hat Deutschland mit 3,24 HIV-Fällen pro eine Million Einwohner die niedrigste Inzidenz.
Zahlen, die eher auf eine insgesamt erfolgreiche Aids-Politik hindeuten …
weitere Informationen:
HIV Europe
dort z.B. ‚Slides set The HIV/AIDS epidemic in the WHO European Region at end 2006‘ (pdf)
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Gedanken beim Fernsehkonsum, über Familie, Normalität – und HIV.
Eine Wiese, ein Mann am Grill, eine Mutter mit ihren zwei spielenden Kindern.
Ein Studio in Köln, eine Mutter, ein Vater, eine Expertin von der Aidshilfe, ein Mediziner.
Was hat die Familien-Idylle des ersten Bildes mit dem Studio-Gespräch der zweiten Szene zu tun?
Die glückliche Familien-Idylle spielt in einer besonderen Familie. Michèle Meyer ist HIV-positiv, ihr Mann Mic HIV-negativ. Ihr gemeinsames (zweites) Kind ist auf natürlichem Weg gezeugt worden.
Eine HIV-positive Mutter. Die offen mit ihrem HIV-Status umgeht. Ein HIV-negativer Partner und Vater. Und dennoch ein Kind? Und natürlich geboren? Und gar natürlich gezeugt? Ohne Kondom?
Konflikt- und Skandalisierungs-Potential genug.
Und doch: es eine fast ganz normale Familie, die in Film und Studio ruhig und souverän über ihr normales Leben berichtet.
Erzählt über die HIV-Infektion, über das Leben mit HIV, über die Kinder, über Erfolge der antiretroviralen Therapie, darüber dass aufgrund dieser Erfolge unter bestimmten Bedingungen die sexuelle Infektiosität auf ein vernachlässigbares Risiko reduziert sei.
Mein Eindruck: die eigentliche Botschaft dieser Sendung, diejenige Botschaft, die ich für die zentrale, wichtige halte, war und ist diese:
Es ist möglich, mit HIV fast ganz normal zu leben.
So „fast normal“, wie die meisten von uns wohl nur „fast“ normal sein wollen, um uns andererseits unser Stückchen Individualität zu retten. Und so „fast“ normal, wie es ein Virus, das manchmal nervt und stört, eben zulässt.
Aber um so viel normaler, als Medien, Staatsanwälte, Politiker wahrhaben wollen. Um so viel mehr, als das Bild, das sie von uns in der Öffentlichkeit zeichnen.
Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – nicht immer, nicht für jede und jeden HIV-Infizierten, aber doch für viele (in den Industriestaaten). Es ist möglich, dass die Umwelt mit unserem HIV normal lebt.
Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – auch dank des Statements der EKAF, und dessen Umsetzung in reales Leben.
Und das trotz einer „spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität“, wie Michèle selbst es bezeichnet hat, einer Art von Realität wie sie erst jüngst wieder (nicht nur) bei den Medien-Kampagnen anlässlich der Verhaftung einer Sängerin erlebbar war.
Sich dem gegenüber diese „Normalität“ im eigenen Leben zurück zu erkämpfen, zu erobern, sie anderen vorzuleben und auch öffentlich zu zeigen, das ist für mich das eigentliche Verdienst, die eigentliche Leistung, nicht nur dieses Beitrags, sondern von Michèle und Mic.
Damit zeigen Michèle und Mic noch eines:
Fast normal mit HIV zu leben ist möglich – unter anderem, wenn frau und man es will, sich dafür einsetzt. Sich dafür einsetzt, die eigene Lebensrealität zu verändern, zu verbessern.
„Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen“ – genau das ist es, was wir fordern. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ein fast normales Leben mit HIV.
This position paper now is available in an english version as pdf „HIV Therapy and Prevention“.
The paper states that
„Transmission during sexual contact without a condom is improbable when the following conditions are met:
– the viral load of the HIVpositive partner has been under detection limit for at least six months,
– antiretroviral medication has been taken consistently,
– the sexual partners have no mucosal defects, e.g. as a consequence of sexually transmitted infections.“
Deutsche Aids-Hilfe regards this statement as „a meaningful and effective supplement to our safer sex messages to date and introduces new possibilities for precvention“.
Read the complete position paper „HIV Therapy and Prevention“ here.
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Ist Kriminalisierung von HIV, von HIV-Positiven ein geeignetes Mittel, die HIV-Infektionszahlen zu senken? Einige Beiträge angesichts der Verhaftung einer Sängerin wegen HIV-Übertragung erwecken den Eindruck. Was ist HIV – ein Verbrechen? Oder ein Virus?
Der Fall einer Sängerin, die wegen des Verdachts verhaftet wurde, einen Sex-Partner mit HIV infiziert zu haben, geht breit durch die Medien. Mancher Artikel, einige Berichte wägen ab, argumentieren, überlegen. Viele hingegen spitzen zu, überzeichnen, kaprizieren sich auf vermeintliche Horror-Geschichten. Einige benutzen eine Sprache, die eher von Terrorbekämpfung bekannt ist, reden von Virusschleuder, Todesengel oder Biowaffe. Manche schwingen die ganz große Keule, phantasieren von ‚lebenslang‘ oder fordern Verschärfung des Rechts, mehr Kriminalisierung.
Worum geht es?
Ist HIV ein Virus?
Oder ein Verbrechen?
Kriminalisierung – was bedeutet das bei HIV, und was sind ihre Konsequenzen?
Kriminalisierung von Positiven
In zahlreichen Staaten häufen sich Urteile gegen HIV-Positive. In manchen Staaten wird gar eine Verschärfung des Strafrechts gefordert. Die Kriminalisierung von HIV scheint immer breiteren Raum zu gewinnen – aber ist sie ein probates Mittel? Mit Justitia gegen Positive?
„HIV ist ein Virus, kein Verbrechen!“, betonte Edwin Cameron auf der XVII Internationalen Aids-Konferenz in Mexiko am 8. August 2008 in seiner Rede „Criminal Statutes and Criminal Prosecutions in the Epidemic: Help or Hindrance?“. Er forderte eine ‚Kampagne gegen Kriminalisierung‘.
Edwin Cameron ist Richter am Supreme Court of Apeal in Südafrika. Er lebt offen HIV-positiv und ist u.a. Autor des Buches „Witness to AIDS“ (deutsch: ‚Tod in Afrika – mein Leben gegen Aids‘).
In Deutschland wendet sich u.a. auch Pro Familia gegen Kriminalisierung. „Es gibt deutliche Hinweise darauf, dass Kriminalisierung ein Klima des Leugnens, der Verheimlichung und der Angst schafft und damit einen Nährboden für kontinuierliche und schnelle Ausbreitung von HIV“, betonte der Bundesverband Pro Familia Ende November 2008.
Und auch UNAIDS, die Aids-Organisation der Vereinten Nationen, betont (policy paper „Criminalization of HIV Transmission“, pdf) das Strafrecht sei nicht dazu geeignet, die HIV-Übertragungsrate zu senken. Es gebe keinerlei Evidenz dafür, dass mit einer breite Anwendung des Strafrechts bei der HIV-Infektion HIV-Übertragungen verhindert werden könnten. Vielmehr müssten die allgemeinen Menschenrechte auch für HIV-Positive gewahrt werden. Zudem empfiehlt UNAIDS HIV-Tests und vertrauliche Beratungsangebote.
Kriminalisierung hingegen wird – z.B. nach der (von der Deutsche Aids-Hilfe kritisierten) Verhaftung einer Sängerin – von interessierter Seite gelegentlich auch hierzulande gefordert, eine Verschärfung des Strafrechts angemahnt. So bezeichnet der Osnabrücker Strafrechts-Professor Arndt Sinn HIV-Positive im Interview mit der FR (17.04.2009) als „Gefährdungspotenzial“ und fordert die Einführung eines „Gefährdungstatbestands“.
Folgen der Kriminalisierung der HIV-Infektion
Wenn nun angesichts des Falles der Verhaftung einer Sängerin von manchen Stellen eine verschärfte Kriminalisierung gefordert wird – welche Folgen mag diese haben?
Die gesellschaftlichen Folgen, die aus zunehmender Kriminalisierung resultieren, hat u.a. der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Rolf Rosenbrock beschrieben:
„Ich bin immer davon ausgegangen, dass diese polizeistaatlichen Vorstellungen, mit Gewalt könne man das Risiko in der Bevölkerung auf Null bringen, in totalitären Wahnphantasien enden.“ (Rolf Rosenbrock, „Entscheidend ist die Kommunikation, in Deutsche Aids-Hilfe (Hg.): Jahrbuch 2007/2008)
Und die Folgen für Aids-Prävention und die Vermeidung von HIV-Neuinfektionen?
Nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Welche ‚Anreize‘ setzt dann eine zusätzliche Kriminalisierung?
Bizarre Folgen hätte eine Verschärfung der strafrechtlichen Bedrohung von HIV-Positiven, darauf weisen Kritiker hin: Nicht-Wissen wird wieder attraktiver als Wissen, nicht zuletzt aus Angst vor Repression – mit all seinen Konsequenzen.
Wer nicht weiß, dass er HIV-Positiv ist, weiß sich sicher vor strafrechtlicher Bedrohung, angesichts seines Nicht-Wissens. Auch wenn er sich beim Sex unsafe verhält, er mag sich selbst gefährden, ist aber von rechtlichen Folgen (einer Gefährdung Dritter) sicher.
Dies kann zu gravierenden Konsequenzen führen. Bereits jetzt, so zeigen zahlreiche Studien, ist ein Großteil der HIV-Neuinfektionen auf Personen zurück zu führen, die selbst bisher nichts von ihrer eigenen HIV-Infektion wissen. Die Zahl der ungetesteten HIV-Positiven, sie dürfte steigen durch zunehmende Kriminalisierung, warnen Präventionsexperten.
Und, ergänzen Behandler, wer nicht von seinem Status als HIV-Positiver weiß, bekommt keine entsprechende medizinische Betreuung, keine Behandlung, keine antiretrovirale Therapie. Ist nicht nur als nicht behandelter Positiver infektiöser, sondern vor allem selbst im Risiko einer Verschlechterung seines Gesundheitszustands, einer Verschlechterung seiner späteren Behandlungsmöglichkeiten, eines vorzeitigen Todes.
Nicht von seinem HIV-Status zu wissen, kann potenziell ein Risiko sein. Für die eigene Gesundheit (als HIV-Infizierter, der von seiner eigenen Infektion nicht weiß), aber auch für die öffentliche Gesundheit insgesamt.
Nicht von seinem HIV-Status zu wissen wird wieder attraktiv, wenn Positive noch mehr als bisher stigmatisiert, kriminalisiert werden.
Die Kriminalisierung der HIV-Infektion erschwert Prävention, verschlechtert die medizinische Situation Betroffener und riskiert eine Verschlechterung der epidemiologischen Situation.
Und damit geht es in der aktuellen Debatte um weit mehr als ’nur‘ den‘ Staatsanwalt in meinem Bett‚ – es geht darum, ob die Aids-Bekämpfung in Deutschland weiterhin auf Aufklärung, Information, Selbstbestimmung und Verantwortung setzt und damit erfolgreich ist. Oder ob populistische Impulse von Boulevard-Presse und Präventions-Nicht-Experten zu einem Rollback führen.
Dies, darauf weisen Kritiker hin, ist die bizarre, bestürzende Konsequenz von Vorschlägen à la Sinn. Sie warnen vor rechtspolitischem Populismus mit drastischen Public-Health-Konsequenzen.
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Es ist zu hoffen, dass verbale Geisterfahrten und journalistische Amokläufe der vergangenen Tage sich bald wieder legen (oder der nächsten Sau zuwenden, die durch das mediale Dorf getrieben wird). Debatten über eine Weiterentwicklung und Optimierung von HIV-Prävention sind oft sinnvoll, manchmal erforderlich. Gerade das Statement der Deutschen Aids-Hilfe (‚HIV-Therapie und Prävention‚) zur Frage der Präventionsmethode ‚Viruslast unter Nachweisgrenze‘ zeigt, dass diese Debatten auch geführt werden. Allerdings ist diesen Debatten statt aufgeregter Platitüden und auflagengeilem Populismus eher ein Klima von konstruktivem Dialog, Nachdenklichkeit und zielorientiertem Handeln förderlich.
In der Diskussion über HIV und Strafrecht wird gerne unterschlagen, dass in Deutschland wie auch in unseren europäischen Nachbarstaaten bereits seit Jahren Rechtsvorschriften existieren, die u.a. regeln wie zu verfahren ist, wenn eine Person einer anderen Schaden für Leib und Leben zufügt. Diese allgemeinen Regelungen können auch auf HIV angewendet werden – und werden es auch, wie gelegentliche Prozesse, ein aktuelles Urteil in Kanada und eine aktuelle Studie (Pärli 2009) zeigen. Es gibt keinerlei Hinweise, dass diese bestehenden rechtlichen Regelungen nicht ausreichen.
Wo sie im bestehenden Recht Lücken sehen, erklären und begründen die Kriminalisierungs-Befürworter nicht. Weswegen ein Sonder-Recht besser als allgemein gültige Vorschriften sein sollte, ebenfalls nicht.
Und die Folgen, die solcherlei Verschärfungen haben könnten?
Über potenzielle Folgen für HIV-Prävention, für HIV-Positive, für die Entwicklung der Infektionszahlen machen sie sich oftmals scheinbar keine Gedanken. Oder doch? Schielen sie schon auf die steigenden Zahlen, um dann zum nächsten Schlag ausholen zu können?
So laufen die Apologeten einer zunehmenden Kriminalisierung Gefahr, sich als Brandstifter zu betätigen, als Brandstifter einer Verschlechterung der Situation von HIV-Positiven, vor allem aber auch als Apologeten einer Verschlimmerung der HIV-Epidemie in Deutschland. Und mittelfristig zu einem ‚law-and-order-Staat, zu ‚old-school- Public Health‘, zu Gauweilereien und anderen längst in ihrem Versagen als untauglich erkannten Konzepten.
Polizeistaatliche Vorstellungen weisen nicht nur -wie Rosenbrock treffend betont- den Weg in totalitäre Wahn-Phantasien. Sie gefährden auch die Erfolge, die 25 Jahre Aids-Prävention in Deutschland erreicht haben. Erfolge, die nicht mutwillig und leichtsinnig riskiert werden sollten.
Erfolgreiche Aids-Bekämpfung braucht nicht mehr, sie braucht weniger Kriminalisierung!
Eine junge Frau wird unvermittelt verhaftet – und die Medien geraten in Aufruhr, die Schlagzeilen der Titelseiten glühen rot. Aids, Schuld, Gefängnis schreien sie uns an. Als habe es keine jahrelange Aids-Prävention gegeben, werden alte Klischees bemüht – und Präventionserfolge riskiert.
Rufen wir uns zunächst den Sachverhalt in Erinnerung. Einer jungen Frau wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Sexpartner mit HIV infiziert zu haben. Sie wird verhaftet, mit dem Vorwurf gefährlicher Körperverletzung. Dabei geht es bisher um staatsanwaltliche Ermittlungen – nicht um eine Anklage, geschweige denn um eine Verurteilung. Sondern um einen Verdacht.
Die Medien erfahren von diesen Ermittlungen – von der ermittelnden Staatsanwaltschaft.
Und nicht nur das, der zuständige Pressesprecher der Staatsanwaltschaft gibt darüber hinaus gerade Boulevard-Medien bereitwillig Interviews (Quelle: (1)).
Eine Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, die Fragen aufwirft, hier z.B.:
– War es überhaupt erforderlich, die Person festzunehmen?
– Und war es erforderlich, angesichts einer eventuellen Tat, die schon vor Jahren (2004 und 2005) stattgefunden haben soll?
Aber neben dem konkreten Ermittlungs-Verhalten stellen sich erst recht Fragen an die freudige Auskunftsbereitschaft der Staatsanwaltschaft:
– Was macht erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft sich in diesem Fall von sich aus aktiv an die Presse wendet?
– Warum war es notwendig, den vollen Namen der betreffenden Person zu nennen?
– War es tatsächlich zwingend notwendig, den HIV-Status dieser Person offen zu legen, und dann gegenüber den Medien? Ist der HIV-Status der beschuldigten Person als Faktum bekannt, oder wurde auch hier nur ein Verdacht an die Medien gegeben?
– Worin besteht der „dringende Tatverdacht“ verbunden mit „Wiederholungsgefahr„, die als Begründung für die plötzliche Festnahme angeführt werden?
– Was hat die Staatsanwaltschaft veranlasst, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen so völlig hintan zu stellen gegenüber dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit?
– Besteht die Unschuldsvermutung nicht mehr?
Fragen über Fragen, denen sich weitere hinzu gesellen, wie die, ob aktuelle Erkenntnisse in Sachen Infektiosität (EKAF-Statement) überhaupt berücksichtigt wurden, oder die, warum -wenn die Gesundheit der Bevölkerung so wichtig ist- derart lange mit Reaktionen gewartet wurde.
Für die Medien wurde der ‚Fall‘ durch das Verhalten der Staatsanwaltschaft, durch Pressemitteilung und bereitwillige Interviews erst recht zum ‚gefundenen Fressen‘ – und mit zusätzlicher Attraktivität versehen, gab es doch gar Staatsanwälte als Quelle zu zitieren.
Entsprechend gerieren sich Medienvertreter auch, als die Anwälte der Verhafteten sich mit einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen. Und sich auf die Pressefreiheit berufen.
Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, Ger Neuber, kommentierte Kritik am Verhalten der Staatsanwaltschaft kühl mit den Worten „Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat.“
Ganz im Gegenteil, man wolle weiter machen: „“In der konkreten Situation sehen wir uns nach wie vor verpflichtet, den äußeren Tatbestand der Vorwürfe den Medien mitzuteilen.“ (laut taz)
Geraten so Staatsanwaltschaften in Gefahr, sich bewusst oder unbewusst zum Helfer der Medien zu machen – und die Belange, insbesondere die Schutzinteressen der betroffenen Personen, gegen die sie ermitteln, aus den Augen zu verlieren?
Und – beschwören Staatsanwaltschaften nicht so geradezu die Gefahr herauf, dass jegliches faire Verfahren unmöglich oder zumindest erschwert wird, die Unschuldsvermutung ausgehöhlt, der Beklagte in seinen Rechtspositionen beeinträchtigt und das Verfahren vorgeprägt wird?
Oder ist die Staatsanwaltschaft gar nur ganz modern, setzt sich auf den Zug der „litigation PR“ (dem Managen der Kommunikation in rechtlichen Auseinandersetzungen)? Und die Anwälte spielen gar mit, mit ihrer einstweiligen Verfügung, die gerade Boulevard-Journalisten nur noch mehr herausfordern muss?
Der bzw. hier die Dumme im ganzen Vorgang: die Verhaftete mit ihren Persönlichkeitsrechten – und indirekt HIV-Positive und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, sowie die Aids-Prävention.
Oder ist der Staatsanwaltschaft, die kühl sagt “Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat” nicht bewusst, welche Folgen ihr Handeln für das Bild von HIV-Positiven und für HIV-Prävention haben kann? Wie sehr sie Diskriminierung und Stigmatisierung Tür und Tor öffnet?
Ist der Staatsanwaltschaft nicht bewusst, dass sie hier -wie selbst die Deutsche Aids-Stiftung beklagt und die TV-Nachrichten (2) bemerken – potenziell Präventionserfolge gefährdet?
Über Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechte hinaus – die eigentliche, über den konkreten Fall hinaus weisende Kernfrage lautet deswegen m.E.: seit wann betreiben Staatsanwaltschaften Aids-Prävention?
Was (und wer) legitimiert, vor allem auch was qualifiziert eine Staatsanwaltschaft, sich als Player auf dem Gebiet der Aids-Prävention zu gerieren?
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(1) Schertz Bergmann Rechtsanwälte: „Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall X“, online auf presseecho.de
(2) ZDF heute journal 16.04.2009
Litigation-PR-Blog 16.04.2009: PR-Periskop I: Bärendienst für X
3A 16.04.2009: HIV-Behandlerinnen fordern sofortige Freilassung von Nadja Benaissa – Inhaftierung unverhältnismäßig
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auch lesen:
koww 17.04.2005: Keine Gelegenheit auslassen …
Antiteilchen 17.04.2009: Manchmal fragt man sich wer in Bwerlin alles Richter werden darf
alivenkickin 17.04.2009: Der Spießrutenlauf
taz 17.04.2009: Ende der Unschuldsvermutung
SZ 16.04.2009: Intimes, inszeniert und vorgeführt
SZ 16.04.2009: Auf das Wie kommt es an
„Medien können sich doch bei der Entscheidung, was und wie sie berichten, nicht nur von der Frage leiten lassen, was erlaubt ist. Sie müssen sich die Frage stellen, was richtig ist. Und was notwendig ist. Ich weiß nicht, ob es erlaubt war, über den Verdacht gegen eine Sängerin, über ihr Intimleben und ihre HIV-Infektion zu berichten. Aber ich bin überzeugt davon, dass es nicht notwendig war.“ Stefan Niggemeier
Steven Milverton 18.04.2009: HIV in der öffentlichen Wahrnehmung
FAZ 19.04.2009: Der Staatsanwalt in meinem Bett
DAH-Blog 15.05.2009: Deutschland disst den Superstar
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Die Veröffentlichung des sogenannten EKAF-Statements 2008 hat viele Diskussionen ausgelöst. Die Deutsche Aids-Hilfe e.V. (DAH) hat hierzu ihre Position zum Thema HIV-Therapie und Prävention abschließend entwickelt. Diese Position im Folgenden als Dokumentation:
HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)
April 2009
1. Die HIV-Therapie ist ein wichtiges Element des Risikomanagements und kann zur Entstigmatisierung von Menschen mit HIV beitragen
Die antiretrovirale Therapie (ART) hat die Lebenserwartung von Menschen mit HIV deutlich erhöht und die Lebensqualität vieler Positiver wesentlich verbessert. Sie hat darüber hinaus einen wichtigen primärpräventiven Nebeneffekt: das Ansteckungsrisiko wird deutlich vermindert.
Eine Übertragung bei sexuellen Kontakten ohne Kondom ist unwahrscheinlich (1), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexualpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte z.B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.
Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.
1.1 Information als Grundlage für Kommunikation, selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Handeln
Die Information, dass eine HIV-Übertragung bei sexuellen Kontakten mit HIV-Positiven unter den oben genannten Bedingungen unwahrscheinlich ist, ist nicht nur für das Risikomanagement (und damit für die Primärprävention) wichtig, sondern kann für Menschen mit HIV und Aids eine Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglicht, wie Delegiertenrat und Vorstand der DAH Anfang März 2008 in einer Erklärung betonten. (2) Das gilt auch für HIV-Negative und Ungetestete, etwa Partner/innen in serodifferenten Partnerschaften (3), (weitere) Sexpartner/innen oder Familienangehörige.
Als Selbsthilfeorganisation der von HIV und Aids besonders Bedrohten und Betroffenen und als Präventionsorganisation begrüßt die Deutsche AIDS-Hilfe daher, dass die schweizerische Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) am 30. Januar 2008 das Positionspapier „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ veröffentlicht hat. Die EKAF hat diese Information, die bis dahin „unter der Hand“ bereits kommuniziert wurde (vor allem in der Beratungspraxis), zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, der Kommunikation unter (Sex-)Partnerinnen und -Partner und zu einem Thema für die Aufklärung gemacht.
Indem die DAH nun ihr eigenes Positionspapier veröffentlicht, verfolgt sie das in ihrem Leitbild formulierte Ziel, „dass die Gesellschaft als Ganze und jede und jeder Einzelne informiert, selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV/Aids … umgehen kann“. (4)
1.2 Wie sicher ist sicher genug?
Die DAH verfolgt einen Ansatz der lebensweltorientierten Prävention und Gesundheitsförderung. Das heißt unter anderem: Präventionsbotschaften müssen „lebbar“, also möglichst stabil und einfach umsetzbar sein. In der Frühzeit der HIV-Prävention hat sich die DAH daher für die Propagierung von „Safer Sex“ entschieden. „Safer“ steht in diesem Zusammenhang dafür, dass die Befolgung der empfohlenen „Safer-Sex-Regeln“(5) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich macht und insofern „sicherer“ als ungeschützter Sex ist, aber keinen völlig sicheren Schutz vor einer Infektion bieten (den es nur bei Abstinenz gäbe). Das vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete Konzept „Safe Sex“ (durch Abstinenz oder Vermeidung jeglichen Kontakts mit Körperflüssigkeiten (6)) dagegen hielten und halten wir nicht für lebensnah und nicht für wirksam, weil es die sexuellen Bedürfnisse und die Lust ignoriert.
Safer Sex heißt also: Es besteht ein Restrisiko (siehe 3.), das es aus Sicht der DAH zu benennen gilt. Ob der oder die Einzelne es akzeptiert, ist allerdings seine oder ihre autonome Entscheidung. Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen. Das gilt in gleicher Weise für andere Strategien der Risikominimierung oder Risikominderung, über deren (ggf. auch irrtümlich angenommene) Wirksamkeit und Schwächen die DAH ebenfalls umfassend informiert – auch dann, wenn sie eine geringere Schutzwirkung und Sicherheit als die klassischen Safer-Sex-Regeln bzw. eine stabil unter der Nachweisgrenze liegende Viruslast bei gleichzeitiger Abwesenheit von Schleimhautdefekten bieten: Wir vertreten den Standpunkt, dass auch „Besser-als-nichts-Strategien“ wichtige Pfeiler im Köcher der Prävention sind. Insbesondere in bevölkerungsbezogener Sicht kann eine sehr sichere Strategie (z. B. Safer Sex) nämlich sehr unsicher werden, wenn die Anwendung nicht konsequent gelingt (und umgekehrt kann eine Schutzstrategie mit beschränkter Effektivität, aber konsequenter Anwendung, die Zahl der HIV-Übertragungen senken helfen). (7) Darüber hinaus wissen (und verteidigen) wir, dass maximal präventives Verhalten nicht immer das Ziel individuellen Risikomanagements ist, sondern dass Menschen je nach Situation und Disposition z. B. den Lustgewinn und die Folgen einer möglichen Infektion gegeneinander abwägen. (8)
1.2.1 Neutrale Informationen oder Empfehlungen?
Die Deutsche AIDS-Hilfe bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Präventionsorganisation mit öffentlichem Auftrag und Selbsthilfe- sowie Interessenvertretungsorganisation. Während aus Perspektive der Selbsthilfe und Interessenvertretung die Befähigung zum selbstverantwortlichen Umgang mit den Risiken sowie die Stärkung und der Schutz der Autonomie im Zentrum stehen, ist das vorrangige Ziel aus Sicht der New Public Health die möglichst weitgehende Vermeidung von HIV-Übertragungen.
Von öffentlicher Seite (und auch aus den Zielgruppen unserer Arbeit) erwarten viele Menschen daher von der DAH nicht nur neutrale Informationen, sondern auch Empfehlungen. Ein solches Vorgehen entspricht auch unserem Selbstverständnis als bundesweites Netzwerk der Kompetenzen für die strukturelle Prävention und Gesundheitsförderung im Kontext von HIV und Aids – in dieser Rolle sehen wir es als unsere Aufgabe, Informationen im Licht der strukturellen Prävention und an den Interessen und Lebenswelten der Menschen aus unseren Zielgruppen zu bewerten. Entscheidend dabei ist aber, dass auch Empfehlungen die Autonomie des oder der Einzelnen nicht verletzen dürfen.
Empfehlungen können indes immer nur allgemeiner Art sein. Neben der Informationsaufbereitung und -vermittlung sind daher das Angebot vertiefender Kommunikation und individueller Beratung für uns zentral.
1.3 Selbstbestimmt heißt: freiwillig und ohne Zwang!
Respekt vor der autonomen Entscheidung des oder der Einzelnen gebietet nicht nur, die verfügbaren Informationen zum Risikomanagement unverkürzt und zielgruppengerecht zu verbreiten, sondern auch, Versuchen entgegenzutreten, das Individuum zu „maximal präventivem Verhalten“ zu drängen. Das heißt konkret: So, wie die Entscheidung für oder gegen den Kondomgebrauch in der Hand des Individuums liegt, so liegt auch die Entscheidung, ob und wann mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird, beim Menschen mit HIV. Hier darf kein Druck und kein Zwang ausgeübt werden (z. B., aus primärpräventiven Gründen mit einer Behandlung zu beginnen).
1.4 Selbstverantwortung, Mitverantwortung und Verantwortung für andere
Die Entscheidung über das individuelle Risikomanagement (und damit über die Nutzung der angebotenen Informationen bzw. die Umsetzung von Empfehlungen) liegt beim Individuum. Wir sehen den Einzelnen und die Einzelne dabei allerdings nicht allein mit dieser Verantwortung, sondern sehen immer auch die Mitverantwortung der anderen – insbesondere dann, wenn die Partner/innen hinsichtlich ihres Wissens, Wollens, Fühlens und Könnens nicht auf gleicher Augenhöhe sind.
Um selbstbestimmt entscheiden und verantwortlich handeln zu können, braucht der und die Einzelne aber – neben ausreichenden Informationen – auch entsprechende Kompetenzen und Ressourcen sowie Akzeptanz und Solidarität. Die Schaffung von Strukturen und Verhältnissen, in denen solche Kompetenzen erworben werden können und solche Ressourcen zur Verfügung stehen, fordert die DAH von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Das gilt auch für Akzeptanz und Solidarität: Um sie zu fördern, muss die sogenannte Allgemeinbevölkerung nicht zuletzt auch über den aktuellen Wissensstand zu Strategien des Risikomanagements informiert werden.
2. Botschaften
Die zentrale Botschaft lautet:
Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor.
2.1 (Weitere) Botschaften und Erläuterungen für HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
Unter „HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast“ verstehen wir im Folgenden Menschen mit HIV, die sich einer wirksamen ART unterziehen und deren Viruslast sich seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze befindet. Eine wirksame Therapie führt dazu, dass die Viruslast im Blut, im Sperma und in den Schleimhäuten unter die Nachweisgrenze sinkt, wodurch auch eine Ansteckung der Sexpartner/innen unwahrscheinlich wird.
Geschwüre oder Entzündungen der Schleimhäute am Penis, im Darm oder in der Scheide bei einem/einer der Sexpartner/innen – vor allem durch sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis und Herpes – erhöhen dieses Risiko wieder, weil sich in geschädigter Schleimhaut HIV anreichert und sie außerdem durchlässiger für HIV ist. Das Risiko für den HIV-negativen Partner wird unwägbar. Bis zur Ausheilung sollte wieder Sex mit Kondom praktiziert werden (bzw. ohne dass HIV in den Körper/auf Schleimhäute gelangt).
Im Übrigen gilt: Bei auffälligen körperlichen Veränderungen, die auf eine sexuell übertragbare Krankheit hindeuten könnten, sollte man sich ärztlich untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen. Auch die Partner/innen sollten informiert werden, damit sie sich ebenfalls untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen können.
Bis zum erfolgreichen Abschluss einer STD-Behandlung lautet die Empfehlung „Sex mit Kondom“.
2.1.1 Botschaften für feste Partnerschaften mit HIV-Negativen oder Ungetesteten
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast und HIV-Negativen oder Ungetesteten das Thema „Sex ohne Kondome?“ auf, so empfehlen wir folgende Vorgehensweise:
– die Beschäftigung mit den dazu vorliegenden Informationen (Unterstützung und Beratung dazu bieten z. B. die Aidshilfen, aber auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte und Mitarbeiter/innen weiterer Beratungsstellen), sodass die Grundlagen für eine informierte Entscheidung gegeben sind,
– die Kommunikation über diese Informationen,
– eine gemeinsame Entscheidung, mit der beide gut leben können, sowie in der Folge
– die regelmäßige Einnahme der HIV-Medikamente und der regelmäßige Besuch beim Arzt/bei der Ärztin, um die Wirksamkeit der Medikamente und die Abwesenheit von Schleimhautdefekten zu überprüfen.
2.1.2 Botschaften für Gelegenheitskontakte
Beim Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n empfiehlt sich weiterhin die Verwendung von Kondomen, da die Bedingungen der regelmäßigen STD-Kontrolle (um die Abwesenheit von Schleimhautdefekten bei beiden Partnern/Partnerinnen zu überprüfen), der Kommunikation und der gemeinsamen Entscheidung hier in der Regel nicht gegeben sind.
Positiven mit sexuellen Gelegenheitskontakten neben ihrem/ihrer festen Partner/in empfehlen wir eine regelmäßige Kontrolle auf sexuell übertragbare Krankheiten, da diese häufig ohne auffällige Symptome verlaufen (bzw. da Symptome häufig nicht bemerkt werden) und oft nur durch ärztliche Untersuchungen bzw. im Labor festgestellt werden können.
2.2 Botschaft für HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, für Ungetestete und HIV-Negative
HIV-Positiven mit nachweisbarer Viruslast, Ungetesteten und HIV-Negativen empfehlen wir – inbesondere bei sexuellen Gelegenheitskontakten – weiterhin die Befolgung der Regeln „Anal- und Vaginalverkehr mit Kondom“ und „Kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen“.
Für Partnerschaften zwischen HIV-Negativen oder Ungetesteten und HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast gelten die unter 2.1 und 2.1.1 gemachten Aussagen.
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Negativen und/oder Ungetesteten die Frage „Sex ohne Kondom?“ auf, gelten die bisherigen Empfehlungen. (9)
2.3 Exkurs: Botschaften für HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
Beim Sex zwischen HIV-positiven Partner(inne)n steht die mögliche Übertragung von anderen STDs oder einer Hepatitis C im Mittelpunkt des präventiven Handelns. Da manche STDs bzw. die Hepatitis C bei Menschen mit HIV schneller und schwerer verlaufen können, empfehlen wir ihnen, sich mindestens zweimal jährlich auf diese Krankheiten untersuchen zu lassen.
Um eine „Superinfektion“ (d. h. die Übertragung einer Virusvariante auf den Partner/die Partnerin bzw. die Ansteckung mit einer Virusvariante des Partners/der Partnerin) zu verhindern, reicht die wirksame Therapie eines Partners aus. Möglich (aber epidemiologisch nicht relevant) ist eine Superinfektion, wenn beide Partner/innen unbehandelt oder in einer Therapiepause sind. Nachteilig kann eine Superinfektion werden, wenn dabei medikamentenresistente Viren übertragen werden.
2.4 Besonderheiten bei Drogengebraucher(inne)n
Die erweiterten Präventionsbotschaften, die natürlich auch für Drogengebraucher/innen gelten, beziehen sich ausschließlich auf die sexuelle HIV-Übertragung. Beim Drogengebrauch gilt nach wie vor, dass eine Übertragung bei der gemeinsamen Benutzung von Spritzen und Kanülen erfolgen kann. Zwar ist davon auszugehen, dass auch hier das Risiko gesenkt wird, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Allerdings können die Ergebnisse der Studien zur sexuellen Transmission von HIV nicht auf die Transmission bei intravenösem Drogengebrauch übertragen werden, denn bei der sexuellen Übertragung stellt die intakte Schleimhaut eine Barriere gegen HIV dar, während es eine solche Barriere beim intravenösen Drogengebrauch nicht gibt. Daher gelten die Präventionsbotschaften (Safer-Use-Empfehlungen) in diesem Bereich unverändert weiter, zumal Safer Use auch das Risiko einer Übertragung anderer Infektionskrankheiten wie z. B. Hepatitis B und C minimiert.
Nichtsdestotrotz gilt auch für Drogengebraucher/innen, dass der oben geschilderte Sachverhalt vor allem für HIV-serodifferente Paare in der Substitution entlastend sein kann. Auch wenn die Präventionsbotschaften für den Drogengebrauch weiterhin bestehen, sollten die Änderungen, die sich im Bereich Sexualität ergeben, besprochen werden, denn Drogengebraucher/innen und Substituierte benötigen – wie alle anderen auch – solche Informationen, um ein auf ihr Leben abgestimmtes Risikomanagement betreiben zu können.
2.5 Besonderheiten bei Menschen in Haft
In Gefängnissen besteht die Besonderheit, dass Inhaftierte kaum über Präventionsmittel (Kondome, Gleitgel, Spritzen, Kanülen oder Substitution) verfügen. Ihr Risiko, sich beim Sex oder beim Drogengebrauch in Haft zu infizieren, ist hoch. Zudem wird auch die für das unter 2.1.1 beschriebene Vorgehen notwendige dreimonatliche Viruslastbestimmung häufig nicht oder in viel größeren zeitlichen Abständen vorgenommen als draußen. Es gilt daher weiterhin, sich für eine gute medizinische Versorgung der HIV-positiven Gefangenen einzusetzen, die der Versorgung außerhalb der Gefängnismauern entspricht, und die o. g. Argumente (bessere medizinische Versorgung = mehr Sicherheit in Haft) in die Diskussionen mit den Anstaltsärzten und Anstaltsärztinnen einfließen zu lassen.
Gegenüber Gefangenen sollten die Informationen zur sexuellen Übertragung möglichst in einem Informations- oder Beratungsgespräch mitgeteilt werden, um hier auch den Informationspart, den Ärztinnen und Ärzte aus HIV-Schwerpunktpraxen sonst übernehmen, zumindest teilweise abzudecken. (Leider ist nicht davon auszugehen, dass die von den Anstaltsärztinnen oder -ärzten gegebenen Informationen mit denen in einer HIV-Schwer–punktpraxis vergleichbar sind.) Um ein sinnvolles Risikomanagement in Haft betreiben zu können, muss im Informations- oder Beratungsgespräch der Haftalltag genauer beleuchtet werden (z. B. das Thema sexuelle Beziehungen in Haft, Risiken der einzelnen sexuellen Praktiken, Viruslast und Medikamenteneinnahme, STDs, Risiken beim Drogengebrauch).
2.6 Besonderheiten beim Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen
Für Paare mit Kinderwunsch, in denen eine/r oder beide der Partner/innen HIV-positiv ist/sind, gelten folgende Aussagen:
– Bei nicht nachweisbarer Viruslast und Erfüllung der unter 1. und 2. genannten Bedingungen kann die Zeugung des Kindes auf natürlichem Weg erfolgen, ohne eine Ansteckung des Partners/der Partnerin zu riskieren.
– Bei HIV-positiven Müttern mit nicht nachweisbarer Viruslast ist das Risiko einer HIV-Übertragung auf das Kind während der Schwangerschaft und unter der Geburt gering. Bei entsprechender medizinischer Betreuung durch Spezialist(inn)en ist daher auch eine vaginale Geburt möglich.
– Weiterhin abgeraten wird jedoch vom Stillen – für eine Änderung der Empfehlung reichen die wissenschaftlichen Daten bisher nicht aus.
3. Hintergründe und Erläuterungen
3.1 Bedeutung von Schleimhautläsionen und sexuell übertragbaren Krankheiten (STDs)
Schleimhautläsionen (Geschwüre, Entzündungen) spielen eine erhebliche Rolle bei der Transmission von HIV: Bei HIV-negativen Partner(inne)n stellen sie eine Eintrittspforte für HIV dar. Bei HIV-positiven Partner(inne)n führen sie zu einer Anreicherung von Immunzellen im Geschwür bzw. in der Entzündung. Da ein Teil dieser Immunzellen mit HIV infiziert ist, reichert sich auch HIV in und um die Läsion herum an.
Schleimhautläsionen kommen z. B. vor bei
– sexuell übertragbaren Krankheiten: Syphilis und Herpesinfektionen führen zu Geschwüren und erhöhen damit am stärksten von allen STDs die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission. Bei anderen STDs ist entscheidend, wie umfangreich die Entzündungsreaktion der Schleimhaut ist: Gonokokken (Tripper) und Chlamydieninfektionen können im Darm zu ausgedehnten Entzündungen führen – während sie im Rachen ggf. nur geringfügige Läsionen verursachen.
– Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Amöbenruhr
– Fisteln von Scheide oder Darm/Anus.
Die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung bei gleichzeitig vorliegenden STDs ist bei nicht antiretroviral therapierten Menschen mit HIV in zahlreichen wissenschaftlichen Studien gut belegt (z.B. Laga 1993, Craib 1995, Fleming 1999, Cohen 2005). Für Menschen mit stabiler antiretroviraler Therapie gibt es bislang keine aussagekräftigen epidemiologischen Studien, allerdings wurden Erhöhungen der HIV-Konzentration in den genitalen Sekreten (Schleimhäuten) bei gleichzeitig vorliegender STD nachgewiesen (Sadiq 2002).
Sexuell übertragbare Krankheiten können ganz oder phasenweise asymptomatisch verlaufen. Daher kommt der Diagnostik/dem Screening von STDs auch bei fehlender Symptomatik hohe Bedeutung zu. Folgende Untersuchungen sind möglich und üblich:
– Syphilis Serologie (Blutuntersuchung)
– Herpes Inspektion und Anamnese (Befragung/Krankengeschichte), ob Herpesbläschen oder Geschwüre beobachtet wurden. Die Serologie ist aufgrund der relativ hohen Prävalenz von untergeordneter Bedeutung, denn die Antikörper bleiben lebenslang nachweisbar.
– Chlamydien Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Alternativ oder ergänzend zum Harnröhrenabstrich (beim Mann schmerzhaft) ist eine Urinuntersuchung möglich.
– Gonokokken Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Beim Mann wird ein Abstrich aus der Harnröhre in der Regel bei fehlenden Symptomen nicht für erforderlich gehalten, da Gonokokken – im Gegensatz zu Chlamydien – beim Mann zu Beschwerden in der Harnröhre führen.
3.2 Bedeutung der Viruslast im Blut und in den genitalen/rektalen Sekreten
Einer Senkung der Viruslast im Blut folgt in der Regel auch eine Senkung der Viruslast in den genitalen und rektalen Sekreten und Schleimhäuten. Ausnahmen sind jedoch möglich. Bei einigen wenigen HIV-Positiven, deren Viruslast im Blutplasma länger als ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze war und bei denen keine STDs vorlagen, konnte HIV im Sperma nachgewiesen werden (Nachweisgrenze für Blutplasma 40 Kopien/ml, Nachweisgrenze für Sperma ca. 200 Kopien/ml); allerdings war die gemessene Viruslast in einem niedrigen Bereich (< 1500) und Transmissionen wurden von diesen Fällen nicht berichtet.
Wissenschaftlich ist nicht geklärt, ob es einen Schwellenwert für die Viruslast im Blut bzw. den genitalen Sekreten gibt, unterhalb dessen eine Infektion nicht mehr stattfinden kann.
3.3 Bedeutung von Therapietreue und Therapiekontrolle
Eine „stabile antiretrovirale Therapie“ beinhaltet regelmäßige Kontrollen der Viruslast, in der Regel alle drei Monate. Die Therapie sollte kontinuierlich eingenommen werden, um Schwankungen der Wirkstoffkonzentration und damit die Gefahr einer Entwicklung von Resistenzen mit nachfolgendem Therapieversagen zu minimieren.
Resistenzen und Therapieversagen gehen allerdings nicht ausschließlich auf mangelnde Therapietreue zurück. Auch andere Faktoren können dazu führen, dass die erforderlichen Wirkstoffkonzentrationen im Blut nicht erreicht werden. Ratsuchende sollten in der Beratung auf diese Faktoren hingewiesen werden:
– Wechselwirkungen mit anderen (auch nicht verschreibungspflichtigen) Medikamenten oder naturheilkundlichen Substanzen können zu einem Wirkungsverlust der HIV-Medikamente führen. Die Einnahme anderer Medikamente sollte daher mit dem HIV-Arzt/der HIV-Ärztin abgesprochen werden.
– Erkrankungen können die Aufnahme der HIV-Medikamente in den Körper verzögern oder verhindern (Brechdurchfall, Lymphom, atypische Mykobakteriose).
– Nach Operationen des Magen-Darm-Trakts kann es zur verminderten Aufnahme von Medikamenten kommen.
3.4 Bedeutung der Kommunikation zwischen den Partner(inne)n
Die Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bedarf – mehr als bei Verwendung von Kondomen – einer funktionierenden Kommunikation zwischen den Sexualpartner(inne)n. Mangelnde Therapietreue oder unbeabsichtigte Therapiepausen (z. B. im Urlaub) sollten thematisiert werden; es sollten dann wieder Kondome verwendet werden.
Grundsätzlich sollten in der Beratung sexuelle „Außenkontakte“ und der Umgang mit ihnen angesprochen werden, auch wenn die Paare zum Zeitpunkt der Beratung davon ausgehen, keine Außenkontakte zu pflegen. Sexuelle Außenkontakte bergen prinzipiell die Problematik, dass STDs erworben werden können und dann ggf. die Voraussetzungen für die Methode „Viruslast“ nicht mehr gegeben sind.
3.5 Vergleich: Stärken und Schwächen von Kondomen und der„Viruslastmethode“
Beide Methoden verfügen über ein unterschiedliches Profil von Vor- und Nachteilen. Beide Methoden lassen sich miteinander oder mit anderen Strategien der Risikosenkung kombinieren. Die Beratung kann bei der Auswahl individuell passender Präventionsmethoden helfen.
3.5.1 Verwendung von Kondomen
Stärken
– kann ohne Abklärung von Vorbedingungen erfolgen
– reduziert das Risiko auch für andere sexuell übertragbare Infektionen (v. a. Syphilis, Tripper, Chlamydieninfektion); eignet sich daher besonders für Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n oder für Sexarbeit
– bietet gleichzeitig Schwangerschaftsverhütung (wenn gewünscht).
Schwächen
– Anwendungsfehler möglich: Beschädigung des Kondoms bei der Handhabung, Verwendung ungeeigneter Gleitmittel (z. B. fetthaltiger Öle), Verwendung von Gleitmittel zwischen Kondom und Penis)
– Materialfehler möglich (sehr selten)
– Effektivität sinkt bei nicht durchgehender (100%iger) Verwendung, z. B. infolge Alkoholkonsums vor dem Sex oder erektiler Dysfunktion.
3.5.2 Senkung der Viruslast unter medikamentöser Behandlung
Stärken
– deckt neben den Sexualpraktiken mit hohem HIV-Übertragungsrisiko (Analverkehr, Vaginalverkehr) auch „kleine Risiken“ ab, die sich durch das Kondom nicht reduzieren lassen oder bei denen gewöhnlich kein Kondom verwendet wird, z. B. Oralverkehr, Spermaspiele mit Schleimhautkontakt, Trinken von Muttermilch, nichtinsertive Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte
– Schwangerschaft möglich (falls gewünscht).
Schwächen
– erfordert eine Abklärung der Vorbedingungen: die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze von derzeit 40 Viruskopien/ml, Kontrollen der Viruslast erfolgen regelmäßig, d. h. in der Regel alle 3 Monate, die Therapie wird zuverlässig eingenommen und es liegen bei beiden Partnern keine Schleimhautläsionen z. B. durch sexuell übertragbare Erkrankungen vor
– unzureichende Senkung der Viruslast in den genitalen/rektalen Sekreten möglich (selten)
– Anstieg der Viruslast bei Medikamenten-Wechselwirkungen oder Therapieversagen möglich (erfolgt in der Regel langsam und wird bei Kontrollen bemerkt)
– kein Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen.
3.5.3 Wirksamkeit von Kondomen und „Viruslastmethode“
Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen (10) als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering.(11) Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.
Die Graphik stellt das Transmissionsrisiko für 100 Sexualakte bei diskordanten MSM-Paaren dar (nach Garnett, Gazzard 2008). Die Autoren beziehen sich auf eine Modellrechnung von Wilson et al. (2008), die von einem hohen Transmissionsrisiko ausgeht und den Wert der Methode „Viruslast“ kritisch betrachtet.
3.6 Wissenschaftliche Datenlage zum Thema Viruslast und Infektiosität bei Heterosexuellen und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM)
Die epidemiologische Datenlage zum Thema „Viruslast und Infektiosität“ ist für Männer, die Sex mit Männern haben, schlechter als für Heterosexuelle. An dieser Ungleichheit wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich nichts ändern. Die einzige randomisierte Interventionsstudie (HIV Prevention Trial Network 2008), die derzeit zur Senkung der Infektiosität bei antiretroviraler Therapie läuft, hat die Rekrutierung abgeschlossen und kein einziges MSM-Paar eingeschlossen.
Darf man nun MSM eine bei Heterosexuellen beeindruckend wirkende Präventionsmethode so lange vorenthalten, bis auch zu MSM Daten vorliegen, oder ist es nicht angesichts der deutlich höheren HIV-Inzidenz bei MSM geboten, Analogieschlüsse zu ziehen und Empfehlungen auf geringerem Evidenzniveau auszusprechen, um gerade bei MSM alle Möglichkeiten in der Prävention nutzen zu können?
Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Zusammenhang zwischen Viruslast und Infektiosität grundlegend anders bei MSM als bei Heterosexuellen darstellt. Sowohl bei HIV-positiven Heterosexuellen als auch bei MSM senkt eine effektive antiretrovirale Therapie die Viruslast auf ein tausendstel bis zehntausendstel. Bei Heterosexuellen ist durch Kohortenstudien erwiesen, dass es bei Erfüllung der o. g. Bedingungen praktisch zu keinen Infektionen mehr kommt (Barreiro, 2006, Bernasconi 2001, Castilla 2005, Melo 2006, Quinn 2000, Gray 2001). Für MSM liegen solche Kohortenstudien nicht vor. Lediglich eine epidemiologische Studie mit MSM in San Francisco belegt eine deutliche Reduktion der Infektiosität nach Einführung der antiretroviralen Therapie (Porco 2004). Beobachtungen aus klinischen Kohorten und der Praxis weisen darauf hin, dass auch bei MSM-Paaren eine ähnliche Reduktion der Infektiosität zu beobachten ist.
Auch wenn man einen „Sicherheitsfaktor“ einbezieht (und die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Effektivität der Methode bei MSM bzw. bei Analverkehr geringer sein sollte als bei Heterosexuellen), kann man mit einer Wirksamkeit rechnen, die die Wirksamkeit bei der Verwendung von Kondomen erreicht oder übersteigt (s. oben).
3.7 Individuelle Ebene und Public Health
Auf der individuellen Ebene gibt es derzeit wissenschaftlich kaum mehr Kontroversen darüber, dass eine Transmission bei Einhaltung der Kriterien (Viruslast mindestens ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze, Therapietreue, keine Schleimhautläsionen) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich ist.
Anders stellt sich die Situation auf Public-Health-Ebene dar. Hier gibt es Befürchtungen, dass es durch die Aufnahme der „Viruslastmethode“ in die Prävention zu einem Anstieg der HIV-Neuinfektionen kommen könnte: In einer südwestpazifischen Stellungnahme (Wilson 2008) zur Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (2008) wird anhand eines mathematischen Modells angenommen, dass HIV-Positive mit stabiler ART, die bisher Safer Sex praktiziert haben, nun in großem Umfang auf Kondome verzichteten. Ausgehend von der Annahme, dass durch die Verwendung von Kondomen bei stabiler ART das Risiko einer HIV-Übertragung gegen Null sinkt, nehmen Wilson et al. an, dass das Risiko (auf das Restrisiko-Niveau der verbleibenden Methode) steigt, wenn auf eine der beiden Methoden verzichtet wird. Insgesamt könnte es bei diesem Szenario tatsächlich zu einem „Risiko–anstieg“ und damit auf die Bevölkerung bezogen zu einem potenziellen Zuwachs an Infektionen kommen – auch wenn das Risiko für das Individuum vernachlässigbar gering bleibt.
Diese Position lässt verschiedene Argumente außer Acht:
– Die Kriterien für die Verwendung der „Viruslast-Methode“ sind streng gefasst; es kommen nur relativ wenige Personen dafür in Frage; seit Veröffentlichung der EKAF-Information vor einem Jahr konnten wir keine Reduktion der Kondomverwendung beobachten.
– Die Prävention hat seit 25 Jahren mit der Propagierung der Botschaft „Safer Sex“ genau diese Höhe eines Restrisikos toleriert. Für das Individuum wäre es nicht nachvollziehbar, wenn ein noch kleineres Restrisiko nicht toleriert würde. In der Prävention fokussieren wir seit 25 Jahren auf den Schutz, den eine Methode (z.B. Kondomverwendung) bietet, und nicht auf das sehr geringe Restrisiko.
– Die Aussicht, kaum mehr infektiös zu sein, kann für Menschen mit HIV einen Anreiz darstellen, rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen und die Therapie auch konsequent fortzusetzen. Derzeit beginnen zu viele Menschen mit HIV zu spät mit der Therapie; ca. 30 % der Neudiagnostizierten sind sog. „late presenter“.
Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.
3.8 Literatur (Auswahl)
[Literatur hier nicht dokumentiert; siehe Positionspapier auf aidshilfe.de]
– – –
Anmerkungen:
(1) Siehe hierzu die Erläuterungen unter 3.
(2) Papier „Neue Wege sehen – neue Wege gehen!“, vom Delegiertenrat der DAH in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand verabschiedet
(3) Hier: ein/e Partner/in ist HIV-positiv getestet, der oder die andere HIV-negativ.
(4) Sie tut dies im Folgenden vor allem mit Blick auf diejenigen Individuen und Gruppen, die sie vertritt und mit denen und für die sie arbeitet: die Menschen, die mit HIV/Aids leben, und die von HIV, Aids, Hepatitis und anderen sexuell und beim Drogenkonsum übertragbaren Krankheiten besonders Bedrohten und Betroffenen.
(5) Die Safer-Sex-Regeln im engeren Sinn lauten: Beim Anal- und Vaginalverkehr Kondome benutzen, beim Oralverkehr kein Blut oder Sperma in den Mund gelangen lassen (für die Zielgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, z. B. in der Formulierung „Ficken mit Kondom. Beim Blasen raus bevor’s kommt.“). Im weiteren Sinne kann man unter „Safer Sex“ Maßnahmen verstehen, mit denen man verhindert, das HIV in einer für eine Ansteckung ausreichenden Menge in den Körper oder auf Schleimhaut gelangt.
(6) durch die Benutzung von Kondomen beim Anal-, Vaginal- und Oralverkehr und den Verzicht auf Zungenküsse
(7) Vgl. Aids-Hilfe Schweiz: Rahmen- und Positionspapier: Sexuelles Risikomanagement – April 2007/Januar 2008. Vom Vorstand an seiner Sitzung vom 24. April 2007 verabschiedet und für verbindlich erklärt. Aktualisiert am 30. Januar 2008. Bern: Aids-Hilfe Schweiz 2008
(8) Vgl. ebenda.
(9) Beide Partner/innen sollten drei Monate konsequent Kondome beim Anal- und Vaginalverkehr einsetzen, kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen und sich anschließend auf HIV testen lassen. Bis zur Mitteilung der Testergebnisse muss weiter konsequent Safer Sex betrieben werden. Fallen die HIV-Tests negativ aus, kann innerhalb der Partnerschaft auf Kondome verzichtet werden, sofern bei sexuellen Kontakten außerhalb der Partnerschaft die oben genannten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das setzt allerdings großes Vertrauen und Offenheit voraus: Bei ungeschützten Kontakten außerhalb der Beziehung müssen die Partner/innen miteinander reden und sich beim Sex wieder schützen, bis sie das geschilderte Vorgehen wiederholt haben.
(10) Generell nimmt man an, dass Safer Sex das Risiko einer HIV-Übertragung um 95 % senkt. Restrisiken bestehen durch Anwendungsfehler, Materialfehler und sog. „kleine Risiken“ beim Sex, die durch das Kondom nicht abgedeckt werden oder bei denen in der Regel kein Kondom verwendet wird (Oralverkehr, andere Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte). Eine Cochrane-Analyse (Weller et al. 2006) bei Heterosexuellen berechnete einen Schutzeffekt von 80 %. Bei MSM geht man im Allgemeinen von einer geübteren Handhabung und daher von einem höheren Schutzeffekt (95 %) aus als bei Heterosexuellen. Eine Cochrane-Analyse zur Sicherheit von Kondomen bei MSM gibt es nicht.
(11) Bei beiden Methoden –der Verwendung von Kondomen und der Viruslastmethode – kann es in seltenen Fällen trotz korrekter Einhaltung der Regeln zu HIV-Transmissionen kommen; bei der Viruslastmethode ist bislang ein solcher Fall dokumentiert (Stürmer 2008).
[Das Positionspapier der DAH findet sich auch online auf dem Internetangebot der Deutschen Aidshilfe als pdf]
Ein HIV-positiver Mann ist in Kanada wegen zweifachen Mordes schuldig gesprochen worden.
Der jetzt 52jährige Johnson A. ist HIV-infiziert und weiß seit 1996 von seiner HIV-Infektion. Nach kanadischem Recht ist er durch eine Anweisung der Gesundheitsbehörden verpflichtet, seine SexpartnerInnen von seiner HIV-Infektion zu informieren.
A. hatte dennoch fortgesetzt ungeschützten Sex mit verschiedenen Frauen. Trotz Fragen seiner Sex-Partnerinnen nach HIV sagte A. ihnen bewusst nicht die Wahrheit.
Von elf Sexpartnerinnen von A. sind inzwischen sieben HIV-positiv, vier wurden HIV-negativ getestet. Zwei 49 und 51 Jahre alte Frauen verstarben inzwischen an Aids-bedingten Krebserkrankungen.
Am 30. August 2003 wurde A. verhaftet. Ihm wurde die Gefährdung des Lebens von elf Frauen durch von grob fahrlässiges Verhalten vorgeworfen. Die Verteidigung von A. betonte in dem Verfahren, A. sei depressiv und krank.
A. wurde wegen der Infektion der zwei Frauen, die später an den Folgen von Aids starben, verurteilt. Zudem wurde er der sexuellen Nötigung in insgesamt elf Fällen für schuldig befunden.
Der Anwalt des Verurteilten betonte, dieses Urteil werde für viele HIV-Positive ein Anlass sein, nun erst recht sehr genau zu überlegen, ob sie ihren HIV-Status bei sexuellen Beziehungen offen legen.
Der Presse zufolge ist dies in Kanada der erste Fall einer Verurteilung wegen Mordes aufgrund HIV-Infektion. Das Strafmaß soll am 7. Mai verkündet werden.
[via]
weitere Informationen:
theglobeanddmail 05.04.2009: Hamilton man found guilty of murder by spreading HIV
cbcnews 05.04.2009: Ontario man found guilty in HIV murder trial
Udo Schuklenk BioethicsForum 31.10.2008: Why Some HIV Transmissions Should Be Punished
aidsmap 07.04.2009: Guilty verdict in first ever murder trial for sexual HIV transmission
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Aids ausgerottet, über Nacht – ein Bericht in einem populärwissenschaftlichen Magazin skizziert ein faszinierendes Szenario – und lässt wesentliches außer Acht.
Aids los zu werden – eine Vorstellung, die schon seit Beginn der HIV-Epidemie als Wunsch auftaucht, als Wunsch, der eher Utopie zu sein scheint – zu sehr ist selbst nach über 25 Jahren eine Heilung von HIV noch in weiter Ferne.
Aids los zu werden – immer wieder auch ein Thema, das die Medien bewegt. Nun auch das populärwissenschaftliche Magazin ‚New Scientist‘.
Und der Weg zu einer Aids-freuen Gesellschaft sei auch ganz einfach:
„Here’s how it works. If someone who is HIV positive takes antiretroviral-drug therapy they can live a long life and almost never pass on the virus, even through unprotected sex. So if everyone with HIV were on therapy, there would be little or no transmission. Once all these people had died, of whatever cause, the virus would be gone for good.“
Wahrhaft eine simple Idee. Alle Positive nehmen antiretrovirale Therapie, sind dann nicht mehr infektiös, irgendwann verstorben – und mit ihnen ist Aids verschwunden.
Nur dass der Report einige Kleinigkeiten vergisst. Die Schwierigkeiten, in allen Regionen der Welt für eine medikamentöse Versorgung zu sorgen, werden angesprochen. Die (vermutlich immensen) Kosten für einen derartigen Plan auch.
Andere Punkte nicht oder nicht ausreichend, wie z.B.
– wie stellt man alle HIV-Infektionen fest? Freiwillig?
– soll das weltweit gemacht werden? Oder -wenn nicht- wie will man Reisen und Infektionen auf Reisen verhindern?
– wie schafft man es, dass alle HIV-Infizierten die Medikamente nehmen? Freiwillig?
– Und wenn dann doch einer, eine …?
– …
Viele ungestellte, viele unbeantwortete Fragen. Aber was soll’s – der Nutzen macht’s:
„Yet the idea of eliminating HIV is so appealing, and the benefit to humanity so huge, that scientists and policy-makers are seriously considering the concept, albeit on regional scales.“
Bei so viel gesellschaftlichem Nutzen – da kann man schon mal Bedenken beiseite wischen, zumal wenn sie nur ethischer Natur sind.
Und wenn die HIV-Positiven nicht mitmachen wollen? Oder, einfacher, wenn die (oder auch nur einige) Positiven einfach nicht (oder nicht schnell genug) sterben wollen, durch die erfolgreichen Therapien immer länger leben – was dann? Kommt nicht irgendwann die Verlockung auf, nachzuhelfen? Natürlich nur im Interesse der Gesellschaft, für das ‚höhere Ziel‘ der „Ausrottung von Aids„?
Zynisch, ja. Aber – sind derartige Szenarien, die die Interessen und Lebensbedingungen von HIV-Infizierten dermaßen außer Acht lassen, weniger zynisch?
Umso bestürzender, dass nichtsdestotrotz diese Idee wohl ernsthaft erwogen wird:
„In the next few months the World Health Organization (WHO) will meet to discuss how the idea could be tried in developing countries, and something approaching elimination might be attempted in the UK within the next decade.“
Auf den Punkt gebracht, in all seine zynischen Absurdität, wird das Szenario von einem HIV-Spezialisten – von Marcus Conant, einem der ersten Ärzte, die HIV-Positive behandelten:
„“You could eliminate transmission overnight,“ says Marcus Conant, an HIV specialist in San Francisco.“
HIV ausgerottet, über Nacht – nur die Positiven, die stören irgendwie noch. Noch.
EKAF extrem …
(Schließlich, betont der Bericht, man wolle ja nicht etwa einen Politik-Wechsel – man wolle nur ‚Diskussionen anregen‘ …)
Das Robert-Koch-Institut berichtet nicht nur bundesweit über die Stabilisierung der Zahl der HIV-Infektionen, sondern erstellt auch Berichte z.B. zur Situation von HIV/Aids in den Bundesländern:
HIV/Aids in Baden-Württemberg
HIV/Aids in Bayern
HIV/Aids in Berlin
HIV/Aids in Brandenburg
HIV/Aids in Bremen
HIV/Aids in Hamburg
HIV/Aids in Hessen
HIV/Aids in Mecklenburg-Vorpommern
HIV/Aids in Niedersachsen
HIV/Aids in Nordrhein-Westfalen
HIV/Aids in Rheinland-Pfalz
HIV/Aids im Saarland
HIV/Aids in Sachsen
HIV/Aids in Sachsen-Anhalt
HIV/Aids in Schleswig-Holstein
HIV/Aids in Thüringen
HIV/Aids in Deutschland
Anders als in Deutschland (Stabilisierung) sieht die Situation in einigen Nachbarländern aus:
Über „Forse toename hiv-geïnfecteerden in Nederland in 2007“ berichtet ‚Poz and Proud‘, basierend auf dem Bericht des HIV-Monitoring der Niederlande (pdf)
Und pinknews berichtet aus Großbritannien ‚New figures show record number of HIV diagnosis among gay bisexual men‘, die BBC sagt ‚Rise in UK HIV numbers continues‘
In Frankreich erfreulicherweise ‚kein Anstieg bei den Homos‘
HIV-Infektiosität unter einer stabilen und wirksamen antiretroviralen Therapie (sART)
Positionspapier der AIDS-Hilfe Hessen zur Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) vom 30. Januar 2008
Vorbemerkung:
In Deutschland wird derzeit darüber diskutiert, wie mit den Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) zur Beratung gut behandelter HIV-infizierter Menschen umgegangen werden soll. Die EKAF ist das höchste Beratergremium der Schweizer Regierung zu HIV und Aids. Sie setzt sich zusammen aus VertreterInnen der Wissenschaft und den wesentlichen Akteuren der HIV-Prävention. In ihrer Bedeutung ist sie vergleichbar mit dem Deutschen Nationalen Aids-Beirat der Deutschen Bundesregierung. Die Empfehlungen wurden einstimmig verabschiedet und am30.01.2008 veröffentlicht.
Auf Grundlage des aktuellen Standes der Diskussion gehen wir davon aus, dass die Grundaussage des EKAF-Papieres breite fachliche Unterstützung findet.
Die Kontroverse fokussiert aus unserer Sicht eher die Frage, ob die Aussagen der EKAF veröffentlicht werden sollten und welche Folgen dies für die Prävention von HIV-Neuinfektionen haben würde. Im Einklang mit unseren Leitbildern lehnen wir es ab, der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten oder Informationen interessengeleitet zu entstellen, auch nicht aus präventionstaktischem Kalkül. Insbesondere das Unterdrücken neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Übertragungswege und der Infektiosität von HIV ist in keinem Fall ein legitimes Mittel zur Erfüllung irgendeines Zwecks.
Position
Trotz aller Bedenken, die hinsichtlich möglicher Restrisiken in die Diskussion gebracht werden, besteht unserer Kenntnis nach Einigkeit darüber, dass die Restrisiken maximal denen von Safer Sex entsprechen.Da ein weitgehender Konsens in der Fachöffentlichkeit besteht, Safer Sex (unter Verwendung von Kondomen) zu empfehlen, und wir dies – nicht ohne den Hinweis auf Restrisiken – schon immer tun, schließen wir uns der Aussage der EKAF im Grundsatz an.
Wir leiten daraus die folgende Formulierung ab:
„Wer seit mindestens 6 Monaten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat,
die Therapie konsequent durchführt und keine anderen symptomatischen
STIs hat, überträgt HIV bei Kondomverzicht mit einer Wahrscheinlichkeit, die
der von Safer Sex (unter Verwendung von Kondomen) ohne diese Voraussetzungen
entspricht.“
Die in letzter Zeit zunehmende Fokussierung von Risikowahrnehmung und Verantwortung auf Menschen, die von ihrer Infektion wissen, halten wir präventionslogisch für kontraproduktiv. Sie ist falsch angesichts der Erkenntnis, dass Neuinfektionen nicht nur überwiegend von Menschen ausgehen, die von ihrer Infektion nicht wissen, sondern dies vor allem dann geschieht,wenn sich die Träger des Virus gerade selbst erst infiziert haben, und sich somit noch in der Phase der Primärinfektion befinden.
Wir begrüßen, dass eine Aussage, die von vielen Experten seit längerem außerhalb der Öffentlichkeit getroffen wird, nun die Öffentlichkeit erreicht hat.
Wir gehen davon aus,dass die Veröffentlichung der EKAF einen wichtigen Beitrag dazu leistet,
– den Wandel des Selbstbildes von Betroffenen zu befördern;
– eine Normalisierung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von HIV/AIDS zu befördern;
– einen den Realitäten angemessenen Blick auf Übertragungsmöglichkeiten und -wahrscheinlichkeiten zu eröffnen, und so den Abbau von Fehleinschätzungen und daraus resultierenden Ängsten zu befördern;
– Aushandlungsprozesse in Beziehungen, auch im Hinblick auf Schwangerschaft und Kinderwunsch zu erleichtern;
– von Infektionsängsten unbelastete sexuelle Begegnungen zu ermöglichen, und selbst bei Safer Sex-Unfällen Ängste abzubauen. In diesem Zusammenhang erwarten wir zudem einen Bedeutungsverlust der PEP.
– die Angst vor einem positiven HIV-AK-Test mit den daraus resultierenden Folgen abzubauen und so die Motivation zum Test zu stärken (mit den daraus resultierenden Vorteilen für die Sekundärprävention);
– ein gelingendes individuelles Risikomanagement zu realisieren,
– indem zum einen Schutzillusionen abgebaut werden (hierzu zählen wir neben dem negativen
Serosorting vor allem die Identifikation von Orten/Settings und Partnern, die als „sicher“ phantasiert
werden, was einer fehlgeleiteten subjektiven Sicherheitsvorstellung gleichkommt), und
– indem zum anderen das Bewusstsein für die Bedeutung der Prävalenz von HIV und anderen STIs
bei MSM geschärft wird;
– unsere Präventionsstrategien weiterzuentwickeln, u.a. auch durch die Festigung bestehender Standards, wie die Stärkung von Selbstbestimmungsprozessen, die Berücksichtigung von Lebensqualität und die Orientierung an der gelebten Wirklichkeit;
– die Rechtsprechungspraxis zu verändern.
Implikationen für die Beratungsarbeit und die Prävention
Die hessischen Aidshilfen verfolgen in ihrer Beratungsarbeit als ein wesentliches Ziel „die Wiederherstellung, Wahrung und Erweiterung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten“ und „die Ausweitung des Handlungsfeldes und der Handlungsalternativen“ der Beratungssuchenden (Leitlinien zur psychosozialen Beratungsarbeit).
In diesem Sinne unterstützen wir Ratsuchende, auf die die von der EKAF benannten Voraussetzungen zutreffen, in ihrer Auseinandersetzung mit der Frage, in wie weit eingeübte (negative) Selbstbilder angesichts die Neubewertung, die durch Veröffentlichung der EKAF vorgenommen wird, überdacht werden müssen. Wir zielen dabei darauf ab, die entlastenden Aspekte dieser Aussagen wirksam werden zu lassen.
Wir sind uns jedoch auch der Tatsache bewusst, dass die Aussagen der EKAF nicht ausschließlich eine Entlastung darstellen, denn für die Betroffenen wird die Auseinandersetzung mit der eigenen Infektiosität komplexer.Wir gehen davon aus, dass die Wahrnehmung der Veränderungen in der Viruslast für die betroffenen KlientInnen an Bedeutung gewinnt. In unserer Beratungsarbeit müssen wir uns folglich den medizinischen und psychosozialen Herausforderungen stellen, die durch ein intensiviertes „Therapie-Monitoring“ entstehen können. Um den hieraus resultierenden Beratungsbedarfen gerecht werden zu können, aktualisieren wir fortwährend unser medizinisches Fachwissen und setzen uns bei unserem Bundesverband dafür ein, dass entsprechende Fortbildungsmaßnahmen angeboten und Informationsangebote bereitgestellt werden.
Darüber hinaus unterstützen wir Ratsuchende in ihren Bemühungen, die veränderte wissenschaftliche Bewertung der Infektiosität unter einer wirksamen ART in das eigene Risikomanagement zu integrieren. Auch in dieser Frage schreiben wir gemäß unserem Leitbild niemandem Antworten und Lösungen vor, sondern arbeiten ergebnisoffen. Wir enthalten niemandem Informationen vor und stellen Transparenz her sowohl im Hinblick auf unterschiedliche wissenschaftliche Bewertungen als auch im Hinblick auf unsere eigenen Ziele und Haltungen als BeraterInnen und die fachlichen Diskurse, die diese beeinflussen.
Diese Haltung in der Beratung entspricht der unserer Präventionsarbeit. Wir stellen uns den Herausforderungen, die aus der zunehmenden Individualisierung der Präventionsstrategien erwachsen sind und bieten unsere Unterstützung in der Gestaltung eines gelingenden Risikomanagements an. Wir bieten Anlass und Informationen, um die individuellen Strategien zu hinterfragen und abzusichern und fördern die individuelle Auseinandersetzung mit Wünschen, Phantasien und Sehnsüchten sowie die Bereitschaft, diese zu kommunizieren. Hierdurch fördern wir die Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung. Gegenüber der Politik und unseren Finanzgebern fordern wir die Unterstützung ein, die für den Ausbau und die Weiterentwicklung unserer personalkommunikativen Angebote notwendig ist.