Therapiefreiheit : Einschränkung der Auswahl der ART-Medikamente – erste Untersuchung

Der ART-Wechsel von 402 Patienten in London wurde in einer kleinen Studie ausgewertet. Für London gibt es derzeit aus Kostensenkungsbemühungen eine Einschränkung in der Therapiefreiheit für Ärzte und Patienten. Es wurde untersucht, wie viele Menschen aus Kostengründen ihre ART gewechselt haben.

In London wohnen ca. 47% der HIV-Positiven Großbritanniens, die in Behandlung sind.

Die Gesundheitsversorgung ist in diesem Land sehr stark durch den nationalen Gesundheitsdienst NHS – National Health Service – geprägt. Die Kosten für den NHS werden aus Steuermitteln gedeckt und nicht wie in Deutschland durch Sozialabgaben.

Entscheidungen über eine durch den NHS festgelegte HIV-Therapieform wirken sich also ggf. erheblich auf die Kosten des Dienstes aus.

Man hat sich für London im Mai 2011 entschlossen nur aus Kostengründen eine Vorgabe für die Verwendung des Protease Inhibitors (PI) Atazanavir (ATV) an die HIV-Behandler auszugeben (siehe ondamaris 18.05.2011: London: adieu Therapiefreiheit ? ). Danach sollen, wenn im Einzelfall keine besonderen medizinischen Umstände dagegen sprechen, möglichst viele Patienten eine erste Therapie mit Atazanavir beginnen. Auch bereits laufende Therapien sollen möglichst umgestellt werden auf Atazanavir. Hiervon erwartet man im Laufe von 2 Jahren eine Einsparung von ca. 8 Millionen GBP (ca. 10 Millionen €). Erreicht wurde diese Einsparmöglichkeit durch einen höheren Einkaufsrabatt bei der Pharmafirma, die ATV herstellt.

Das ist also schon heute der Stand der Dinge im Reich der Königin von England.

Da die Briten aber auch Evaluationen und eine gewisse Transparenz lieben, hat man gleich einige Untersuchungen zu diesem Kostensenkungsversuch mit aufgelegt. Einschränkungen in der Auswahl der Medikamente aus Kostengründen gehören bei anderen Krankheitsbildern zum Alltag, waren bei HIV jedoch bisher noch nicht zur Anwendung gekommen.

Es wurde nun bei der BHIVA 2012 18th Annual Conference eine erste kleine Studie präsentiert, die die kurzfristigen Ergebnisse zu dieser Sparmaßnahme untersucht.

Betrachtet wurden die aufgetretenen 402 Fälle eines Wechsels in der Therapie zwischen April 2011 und Januar 2012 in London.

In der Olympiastadt waren 2444 Menschen in einer ART während diesem Zeitraum. Davon haben 402 Personen ihre Therapiezusammensetzung während der 9 Monate geändert – und die wurden dann genauer unter die Lupe genommen.

Übersicht Studie
Übersicht Studie

201 Patienten wechselten ihren PI–Bestandteil in der Therapie. Ein Teil wechselte von der bisherigen Einnahme von ATV weg zu einem anderen PI (21 Personen), der andere Teil (180 Personen) nahm bisher nicht ATV als PI und wäre daher für die vorgesehene Maßnahme potentiell geeignet. Es wurden dann aber nur 153 Patienten auf ATV umgestellt.

In der Untersuchung wurde unterschieden, ob diese Umstellung aus Kostengründen erfolgt ist (in 84 Fällen) oder ob andere Gründe (z.B. Unverträglichkeit des bisherigen PI) maßgeblich waren – wie in den verbleibenden 69 Fällen.

Zusätzlich wurde abgefragt, wie viele Patienten innerhalb von 3 Monaten die Einnahme von ATV wieder abgebrochen haben. In beiden Gruppen waren dies rund 15% der Patienten.

Was ist das Ergebnis der Untersuchung?

  • Der Wechsel zu ATV rein aus Kostengründen führt nicht zu einer erhöhten kurzfristigen Unverträglichkeit von ATV in dieser Gruppe gegenüber der Gruppe die ATV aus anderen (vorwiegend medizinischen) Gründen eingenommen hat. In beiden Fällen beträgt die Abbruchrate ca. 15%.
  • Die Wechsler sind überproportional häufig Schwarze und Heterosexuell. (Das führt mich zu der Vermutung, dass diese Gruppe sich leichter in einen Wechsel „hineindrängen“ lässt.)
  • Die Studienverfasser verweisen zwar auf statistische Korrekturfaktoren für diesen Effekt und behaupten daher, dass es keine Abweichungen zur Gesamtgruppe gibt; weil es sich aber um eine sehr kleine Zahl von untersuchten Fällen handelt, scheint mir hier die Statistik zu weit ausgelegt worden zu sein. Ich würde lieber nur die absoluten Fälle und ihre augenscheinliche Tendenz betrachten wollen. Dann erkennt man schnell, wer besonders häufig einen Wechsel zu ATV hin gemacht hat.
Studienergebnisse
Studienergebnisse
  • Die Studie ist nur eine kurze Momentaufnahme mit einer sehr geringen Zahl von Fällen und kann nichts aussagen über die langfristigen Effekte der Maßnahme. Es könnte immerhin sein, dass es sich aus medizinischer Sicht erweist, dass die kosteninduzierten ATV – Wechsel zu schlechteren Ergebnissen im virologischen Bereich führt.

USA: Vierer-Kombi-Pille zugelassen

Die US-Gesundheitsbehörden FDA haben am 27.08.2012 einer Vierer-Kombinations-Pille aus drei Wirkstoffen und einem Booster die Zulassung erteilt.

Die Kombi enthält die Wirkstoffe Elvitegravir uznd als Booster Cobicistat sowie Tenofovir und Emtrictabine und ist auch als ‚Quad‘ bekannt. Die Vermarktung soll in den USA vunter dem Handelsnamen „Stribild®“ erfolgen.

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POZ 27.08.2012: ‚Quad‘ Stribild Combo Tablet Approved by FDA

TU München: erstmals CXCR4 -Hemmer gegen HIV entwickelt?

Forscher der Technischen Universität München haben ein Molekül entwickelt, das sich als CXCR4-Hemmer gegen HIV eignen könnte. Es wäre der erste CXCR4-Hemmer.

HIV benötigt zum Andocken an Zellen nicht nur den CD4-Rezeptor, sondern auch einen von zwei Ko-Rezeptoren, CCR5 oder CXCR4. Wähhrend es gegen CCR5 bereits ein zugelassenes Medikament auf dem Markt gibt (den CCR5-Hemmer Maraviroc, Handelsnamen Censentri®, Selzentry®), wurde gegen CXCR4 bisher kein Hemmstoff gefunden.

Das von den Forschern des Lehrstuhls für Pharmazeutische Radiochemie und am Institute for Advanced Study der TUM entwickelte modifizierte Peptid weist eine 400- bis 1.500-fach bessere Bindung an CXCR4 auf als bisher bekannte Substanzen. Sie hoffen, so einen neuen Wirkstoff-Kandidaten gegen HIV gefunden zu haben.

„Wir freuen uns, dass wir mit unserem neues Peptid-Design einen Wirkstoff entwickelt haben, den wir für die Therapie lebensbedrohender Krankheiten anwenden können“, sagt Prof. Horst Kessler, ein Senior Fellow im TUM Institute for Advanced Study und „Emeritus of Excellence“ in der Fakultät für Chemie. „Das Molekül könnte eine wirksame Waffe gegen besonders aggressive HIV-1-Stämme sein. Diese Viren finden wir häufig bei Patienten, die seit langer Zeit HIV-infiziert sind“, ergänzt Prof. Ruth Brack-Werner, Virologin am Helmholtz Zentrum München. „Verbindungen dieser Art bieten ungeahnte Möglichkeiten für die Entwicklung neuer Medikamente“, erklärt Prof. Hans-Jürgen Wester, Leiter des Lehrstuhls für Pharmazeutische Radiochemie. „Wir warten daher mit großer Spannung auf die ersten präklinischen und klinischen Tests.“

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3d-Strukturmodell des CXCR4-Rezeptors, S. Jähnichen
3d-Strukturmodell des CXCR4-Rezeptors, S. Jähnichen

3D structure model of the CXCR4 chemokine receptor in complex with the small molecule antagonist IT1t. The stucture model was rendered using PyMol 0.99 based on the X-ray crystal structure data from a CXCR4-T4 lysozyme fusion protein in complex with IT1t (PDB 3OE9; Wu B, Chien EY, Mol CD, et al. (October 2010). „Structures of the CXCR4 Chemokine GPCR with Small-Molecule and Cyclic Peptide Antagonists“. Science. DOI:10.1126/science.1194396. PMID 20929726.).
12 November 2010, S. Jähnichen

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TU München 09.08.2012: Potenzieller Wirkstoff-Kandidat gegen AIDS zeigt erhöhte Aktivität – Molekül gegen HIV: kleine Änderung, große Wirkung und Pressemitteilung
Originalpublikation:
A Conformationally Frozen Peptoid Boosts CXCR4 Affinity and Anti-HIV Activity. Oliver Demmer, Andreas O. Frank, Franz Hagn, Margret Schottelius, Luciana Marinelli, Sandro Cosconati, Ruth Brack-Werner, Stephan Kremb, Hans-Jürgen Wester, and Horst Kessler. Angewandte Chemie Int. Ed. 2012, 51, 8110-8113, DOI: 10.1002/anie.201202090

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Mosambik: Aids-Medikamente vor Ort hergestellt mit Hilfe Brasiliens

Eine Fabrik zur Herstellung von Aids-Medikamenten wurde am 21. Juli 2012 in Mosambik eingeweiht. Die Frabrik wurde mit Unterstützung Brasiliens gebaut. Brasilien gitl weltweit als vorbildhaft beim Aufbau einer eigenen Versorgung der HIV-Positiven mit Medikamenten.

In Moambik leben über 2,5 Millionen Menschen mit HIV, jedoch erhalten derzeit nur 300.000 von ihnen Aids-Medikamente.

Due neu eigeweihte Frabrik wird zunächst in Brasilien hergestellte Medikamente verpacken, ab Jahresende soll dann die eigene Herstellung der Substanzen vor Ort beginnen.

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CDC NPIN 21.07.2012: Mozambique Launches Brazil-Funded Drugs Plant to Battle HIV

HIV und Ramadan – was geht, und wie?

HIV und Ramadan – HIV-positiv, Medikamente, und die Fastenzeit für Muslime, der Ramadan. Verträgt sich das? Und wie regele ich’s am praktischsten? Ratschläge gibt ein (französischsprachiges) Interview mit einer Ärztin.

Am 20. Juli 2012 beginnt in Deutschland für gläubige Muslime der Ramadan (Ende: 18. August; beide Daten laut Festlegung des Koordinationsrates der Muslime KRM).

Ramadan – das bedeutet bis Sonnenuntergang nicht essen, nicht trinken, nicht rauchen. Als ‚Fastenmonat‘ bringt der Ramadan somit auch für Menschen mit HIV, die muslimischen Glaubens sind, einige Fragen mit sich. HIV und Ramadan – geht das? Und wie?

Aids-Medikamente müssen eingenommen werden, vielleicht nicht nur einmal, sondern zweimal täglich – geht das? Und wie? Und was ist mit Medikamenten, die nicht ohne Nahrung eingenommen werden dürfen? Gibt es Konstellationen als HIV-Positive/r, die sich mit dem Ramadan definitiv nicht vertragen? Und was dann?

Dr. Assia Djender hat dazu dem französichen Sida Info Service (bzw. deren ‚SIS radio) ein Interview mit vielen praktischen Tipps gegeben:

Sida Info Service: Séropositivité et ramadan 2012 : mode d’emploi

Sida Info Service
Sida Info Service

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Die “Praxistipps‘ zum Thema „HIV-positiv und Ramdan“, die Dr. Djender gibt, sind in französischer Sprache. Leider ist mir kein Pendant in deutscher Sprache bekannt – für Hinwiese bin ich dankbar!

Aids-Medikament Maraviroc auch gegen Brustkrebs einsetzbar?

Ist das Aids-Medikament Maraviroc auch zur Behandlung von Brustkrebs geeignet? Neue Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass so genannte CCR5-Hemmer (zu denen Maraviroc gehört) auch in der Lage sein könnten, aggressiven Brustkrebs an der Ausbreitung / Bildung von Metastasen zu hindern. Forscher glauben, genügend Abnhaltspunkte zu haben, um den Einsatz von CCR5-Hemmern als neue Behandlungs-Option gegen Brustkrebs zu untersuchen.

Maraviroc gehört zur Klasse der HIV-Entry-Inhibitoren, wird unter den Handelsnamen Celsentri® und Selzentry® vermarktet und ist seit September 2007 in der EU 2007 im Rahmen von Kombitherapien für die Behandlung der HIV-Infektion (bei Vorliegen CCR5-troper HI-Viren) zugelassen.

POZ 13.06.2012: HIV Drug Selzentry Shows Breast Cancer Treatment Potential
Cancer Research: CCR5 antagonist blocks metastasis of basal breast cancer cells
HIV drug may slow down metastatic breast cancer, say researchers at Jefferson’s Kimmel Cancer Center (Pressemeldung)

Rilpivirin bei HIV: Zusatznutzen für Monopräparat belegt – Dossier für Kombinationspräparat inhaltlich unvollständig: Vorhandene Studiendaten nicht adäquat ausgewertet

Seit Anfang 2012 steht erwachsenen Patientinnen und Patienten, die mit dem Humanen Immundefizit-Virus Typ1 (HIV-1) infiziert sind, auch der Arzneistoff Rilpivirin zur Verfügung. Es gibt ihn sowohl als Monopräparat (Handelsname Edurant ®) als auch in fester Kombination mit anderen HIV-Medikamenten (Handelsname Eviplera ®). Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat nun bei zwei frühen Nutzenbewertungen gemäß AMNOG überprüft, ob die beiden neuen Medikamente gegenüber den bisherigen Standardtherapien Vorteile haben.

Demnach gibt es Belege, dass Rilpivirin als Einzelwirkstoff Männern, die mit HIV-1 infiziert sind, einen beträchtlichen Zusatznutzen bietet. Für Frauen liefern die verfügbaren Studien entsprechende Hinweise.

Für die Fixkombination lässt sich aus dem Dossier des Herstellers ein Zusatznutzen dagegen nicht ableiten – und das obwohl beiden pharmazeutischen Unternehmen dieselben Studien zur Verfügung standen. Denn im Unterschied zum Hersteller des Monopräparats hat der Hersteller des Kombinationspräparats die Studiendaten nicht in angemessener Weise ausgewertet. Sein Dossier ist deshalb inhaltlich unvollständig.

(Pressemitteilung IQWIG, Anfang; vollständige Pressemitteilung mit Links zu Ergebnissen der beiden Nutzenbewertungen hier)

Umsatz mit Aids-Medikamenten weltweit 2009 und 2010

Das umsatzstärkste Aids-Medikament weltweit war im Jahr 2010 Atripla® des Pharmakonzerns Gilead. Auf Platz 2: Truvada®, ebenfalls von Gilead.

Nahezu 3 Milliarden US-Dollar Umsatz erzielte der Pharmakonzern Gilead im Jahr 2010 allein mit seinem Aids-Medikament Atripla® (2.927 Mio. $ 2010 gegenüber 2.382 Mio. $ 2009, plus 23%). Auf Platz zwei der umsatzstärksten Aids-Medikamente weltweit: das ebenfalls von Gilead vertriebene Truvada® mit einem Umsatz von 2.650 Mio. $ (plus 6,4% gegenüber 2.489 Mio. $ 2009).

Auf den weiteren Plätzen der Umsatz-Statistik 2010: Sustiva® (BMS) mit 1.368 Mio. $ (+7,1% gegenüber Vorjahr), Kaletra® (Abbott) mit 1.255 Mio. $ (minus 8,2%) und Isentress® (Merck/MSD) mit 1.090 Mio. $ (+45%). Es folgen Kivexa / Epzicom® (die Kombination aus den Wirkstoffen Abacavir und Lamivudin wird in den USA unter dem Handelsnamen Epzicom®, in den meisten anderen Staaten unter dem Handelsnamen Kivexa® vermarktet) mit 860 Mio. $ (+0,9%), Prezista® mit 857 Mio. $ (+45%), Viread® mit 732 Mio. $ (+9,7%) und Combivir® mit 563 Mio. $ (minus 15%).

Nooch im Jahr 2006 waren Truvada® (Gilead) und Kaletra® (Abbott) die beiden umsatzstärksten Aids-Medikamente weltweit.

Daten für die Umsätze des Jahres 2011 liegen noch nicht vor.

(Quelle der Daten 2009 & 2010: Statista, zitiert hier)

„Anfangs wurden wir für verrückt erklärt“

Der Psychologe Veriano Terto Jr. der Brasilianischen Interdisziplinären Aids Assoziation ABIA aus Rio de Janeiro und Andreas Wulf, medizinischer Leiter bei der Hilfsorganisation medico international im gemeinsamen Gespräch über HIV/ Aids und Patientenbeteiligung im deutschen und brasilianischen Gesundheitssystem.

Die Aidsbewegung in Brasilien ist sehr stark. Sie gilt weltweit als Vorbild. Der Zugang zu den lebenswichtigen Medikamenten zur Behandlung von HIV/ Aids wird in Brasilien staatlich gewährleistet. Wie kommt das?

Veriano: Aktivisten der Schwulenbewegung schlossen sich früh solidarisch zusammen. Wir haben Aids von Beginn an als Krise verstanden, die soziale und politische Antworten erfordert. In den 1990er Jahren gab es in Brasilien eine neue Regierung nach Jahrzehnten der Militärdiktatur. Viele soziale Bewegungen engagierten sich für eine neue demokratische Verfassung. Die Gesundheitsbewegung trat auch für das Recht auf Gesundheit ein. Das Recht wurde anerkannt und steht jetzt als solches in der Verfassung. Andererseits ist es auch heute noch eine große Herausforderung, dieses Recht auch tatsächlich für alle umzusetzen.

Wie hat die Aidsbewegung zur Demokratisierung des Rechtes auf Gesundheit beigetragen?

Veriano: Wir klagten gegen die Regierung, damit sie den Zugang zu Medikamenten gewährleistet. Dabei verstanden wir uns nicht als hilflose Patienten, sondern als Bürger, die sich aktiv für ihr Recht einsetzen, das ja auch so in der Verfassung festgeschrieben ist. Die Gerichte erkannten unsere Bedürfnisse an. Das Verfassungsrecht steht über Regierungs- oder Konzerninteressen und gilt als universeller Maßstab für Gerechtigkeit. Daher beziehen wir uns darauf.

.]Veriano Terto Jr. (ABIA) und Andreas Wulf (medico international) 2010 [Foto: Anna Weber]Das klingt ideal. Hängt die Umsetzung von Rechten nicht auch davon ab, wie stark die Bevölkerung sie einfordert?

Andreas: Ganz klar müssen Rechte erstritten werden. Du kannst allerdings niemanden dazu zwingen. Ob jemand den Kampf für das Recht auf die eigene Gesundheit politisch aufnimmt oder sich anders mit der eigenen Krankheit auseinandersetzt ist individuell unterschiedlich. Dabei spielt die Persönlichkeit oder der Grad der Reflektion eine Rolle. Auch im Fall einer Krebserkrankung ermächtigen sich einige Menschen und treten aktiv ein für gesunde Lebensbedingungen und für die eigene Gesundung. Es ist aber genauso legitim, sich nicht permanent mit der Krankheit auseinandersetzen zu wollen. Viele verstehen eine Behandlung als Dienstleistung, ohne sich über den Krebs identifizieren zu wollen.

Veriano: Für uns ist das Teil der politischen Bewusstseinsbildung. Durch den Streit um Zugang zu Medikamenten und um eine Einbeziehung aller entsteht ein Selbstverständnis als Bürger. Dabei geht die Beteiligung am staatlichen Gesundheitswesen weiter. In Brasilien entscheiden wir über die öffentliche Geldvergabe mit und üben Einfluss auf die Bildungs-, Gesundheits- und sogar auf die Finanz- und Wirtschaftspolitik aus. Unser Druck auf die Regierung greift auch hinein in die internationale Handelspolitik.

Brasilien produziert als Vorbild für viele Länder Generikamedikamente in öffentlichen Unternehmen. Wie kam es dazu?

Veriano: Die Medikamente der zweiten Generation wurden patentiert, durch die Patente stiegen die Preise ab dem Jahr 2000 extrem an. Somit wurde der internationale Handel und Patentrechte zum Thema der Aidsbewegung. Aktuell werden also acht von achtzehn Medikamenten in öffentlicher Hand in Brasilien kostengünstig produziert. Das ist wenig, aber ein Erfolg. Für ein Schlüsselmedikament konnte eine Zwangslizenz durchgesetzt werden, die Preise sanken auf die Hälfte des Marktpreises. Jetzt arbeitet ABIA mit Partnern aus Indien, Thailand oder Südafrika zusammen, um gemeinsam gegen Patente und die Folgen in Form von tödlichen Preisen zu kämpfen. Medico international unterstützt unsere Arbeit und finanziert eine Internetplattform für die Vernetzung.

Andreas: Viele Länder nutzen die Flexibilitäten nicht, die das internationale Patentrechtsabkommen über die Rechte an geistigem Eigentum gewährt (TRIPS-Abkommen). Sie beugen sich internationalem Druck, der aus anderen Ländern kommt.

Wie vermittelt sich dieser internationale Druck?

Andreas: Über multilaterale oder bilaterale Handelsabkommen, über die diese Länder mit den USA oder der EU verhandeln, um im Gegenzug Zugang zu Märkten zu bekommen und ihre Produkte absetzen zu können. Diese Verhandlungen sind nicht transparent und für die Öffentlichkeit nicht einsehbar. Wenn etwa die EU über ein Abkommen mit Indien verhandelt streitet das Netzwerk Health Action International für mehr Transparenz. Medico international ist Mitglied in diesem Aktionsnetzwerk.

Weltweit bekommen fast 60% der HIV/ Aids-Infizierten noch immer keinen Zugang zu den überlebenswichtigen Medikamenten. Was sollte getan werden?

Veriano: Das ist einfach: Mehr Medikamente produzieren, um mehr Menschen versorgen zu können. Mehr Fabriken bauen und das Angebot von kostengünstigen Medikamenten ausweiten. Es ist wichtig, den Aufbau von lokalen und nationalen Gesundheitssystemen dadurch zu stärken.

Andreas: Der Entwicklungsminister Niebel von der FDP will deutsche Entwicklungsgelder verstärkt bilateral vergeben , das heißt in direkten Programmen mit einzelnen Ländern. Damit löst er sich aus den internationalen Vereinbarungen über den Global Fund to Fight Aids, Tuberkulose und Malaria (GFATM) und orientiert sich an vermeintlichen deutschen Interessen. Diese sind, aus Sicht der FDP, vorrangig Unternehmensinteressen. Dagegen steckt hinter dem GFATM ein gemeinsamer Abstimmungsprozesse, der gestärkt und nicht geschwächt werden muss. Niebel macht eine dramatische Rolle rückwärts, wenn wir ihn nicht aufhalten.

In Brasilien wird das Gesundheitswesen kollektiv verwaltet und nicht auf den Markt vertraut. Gibt es Streit zwischen den verschiedenen beteiligten Gruppen?

Veriano: Es gibt komplizierte, weniger komplexe und einfache Krankheiten. Natürlich gibt es Auseinandersetzungen, wie viel Ressourcen für was ausgegeben werden. Die verfassungsgemäßen Prinzipien von Universalität und Gleichheit im Zugang zu Medikamenten stehen aber über allem. Sie dürfen nicht gebrochen werden und dienen bei allen Entscheidungen als Orientierung .

Andreas: Es ist eine Frage der Prioritätensetzung, wie das Recht auf Gesundheit umgesetzt wird. Soll eine Physiotherapie bezahlt werden oder die Ausgaben für chronisch kranke Patienten, damit diese besser leben können? Wichtig ist, dass Gesundheit nicht zu einer Ware wird, die nur noch die Kranken mit ausreichend Kaufkraft bekommen. Mit Gesundheit dürfen keine Profite gemacht werden; Gesundheit ist ein öffentliches Gut, das von allen getragen wird und allen zu Gute kommen muss.

Veriano: Anfangs wurden wir für verrückt erklärt, als wir Aids und HIV den Kampf in Brasilien ansagten. Die Leute fragten, wie wir einen universellen Zugang zu Prävention und Behandlung fordern könnten, wenn es nicht einmal genug Aspirin, Antibiotika und Toilettenpapier in Brasilien gibt. Wir haben gezeigt, dass es geht. Wir wollen alles und zwar jetzt.

Wie kann man eure Erfahrungen der Aidsbewegung im Kampf um einen universellen Zugang zu Gesundheit weltweit übertragen?

Veriano: Das hängt von einer Stärkung des öffentlichen Systems und seiner Gestaltung ab. In Brasilien kommt das Gesundheitssystem durch die soziale Kontrolle der Allgemeinheit zu Gute. Gesundheitsräte und Konferenzen koordinieren auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene eine öffentliche Beteiligung und Kontrolle am Gesundheitssystem. Die Menschen, die daran teilnehmen sind Experten in eigener Sache. Sie erfahren täglich das Gesundheitssystem und kennen die Stärken und Schwächen des Systems. Sie sind Gemeindeaktivisten, vor allem aus den armen Stadtgebieten, Betroffene, wie die Aids-Aktivisten, aber auch Dienstleistende. Sie arbeiten branchenübergreifend zusammen, auch von Praxen, Klinken, Vertreter verschiedener Forschungsrichtungen, öffentliche und private Unternehmen.

Wie kann eine Bürgerbeteiligung im Gesundheitswesen funktionieren? Wie kann ich die individuelle Sorge um mich selbst mit dem Gemeinsamen verbinden?

Andreas: Gesundheit betrifft jeden und sollte nicht den Experten überlassen werden. Eine wichtige Voraussetzung für gemeinsame Partizipation ist ein funktionierender und gut ausgestatteter öffentlicher Sektor, in dem sich verschiedene Stimmen gleichberechtigt artikulieren können. Der Bedeutungsverlust des öffentlichen Sektors angesichts einer globalen Politik von Privatisierung, Kommerzialisierung und Korruption stellt sich als massives Problem dar.

Andreas, du bist ausgebildeter Arzt. Was heißt Partizipation für dich?

Andreas: Im praktischen Alltag eines Gesundheitsprofessionellen geht es mir darum, die eigene Professionalität zu entmystifizieren und das eigene Wissen zu teilen und nutzbar zu machen. Auch hier haben Menschen mit HIV und Aids wichtige Impulse gesetzt, für einen partnerschaftlichen Umgang in dem traditionell extrem hierarchischen Gesundheitsbereich.

Interview und Foto: Anna Weber

Medico International: www.medico.de, Brasilianischen Interdisziplinären Aids Assoziation ABIA: www.abiaids.org.br, Health Action International: www.haiweb.org.

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Herzlichen Dank an Anna Weber, die dieses Interview und Foto www.ondamaris.de unentgeltlich zur Verfügung stellte!

gefälschte Aids-Medikamente: Hausdurchsuchungen in Hamburg und auf Sylt

Das Bundeskriminalamt hat am 9. November 2011 Wohungen und Geschäftsräume in Hamburg und auf Sylt durchsucht. Hintergrund: Handel mit gefälschten Aids-Medikamenten.

Zum Hintergrund der Hausdurchsuchungen teilte das Bundeskriminalamt BKA in einer Pressemitteilung mit:

„Dem 68-jährigen Beschuldigten wird vorgeworfen, in den Jahren 2008 und 2009 packungsgefälschte HIV-Arzneimittel aus Südafrika über die Schweiz und Belgien nach Deutschland eingeführt und hier an Pharmagroßhändler weiterverkauft zu haben. Nach derzeitigem Ermittlungsstand wurden die ursprünglich nicht für den deutschen Markt hergestellten Originalarzneimittel neu verpackt und zum höheren europäischen Marktpreis verkauft. Einem Einkaufspreis von 3 Millionen Euro stand dadurch ein Verkaufspreis von 6 Millionen Euro gegenüber.“

Zeitgleich führte die südafrikanische Polizei im Rahmen einer konzertierten Ermittlung Durchsduchungen in Kapstadt und Johannisburg durch, hierbei wurde ein Pharmahändler festgenommen.

Bereits im Februar 2011 war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Flensburg wegen des Verdachts des Betrugs mit Aids-Mwedikamenten in Millionenhöhe ermittelt. Mehrerne Pharma-Großhändlern werde vorgeworfen, für Afrika bestimmte verbilligte bzw. ‘subventionierte’ Aids-Medikamente in großem Umfang umverpackt, illegal nach Deutschland gebracht und hier mit extrem hohen Gewinnen verkauft zu haben

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weitere Informationen:
BKA 10.11.2011: Erfolgreicher Schlag im Kampf gegen den internationalen Handel mit gefälschten Medikamenten
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HIV-Medikamente: bald Pflaster statt Pillen ?

Ein US-Unternehmen arbeitet an der Entwicklung eines Pflasters zur Verabreichung von Aids-Medikamenten.

Ein einziges Pflaster soll, so ein Vertreter der entwickelnden Firma, geeignet sein, Medikamente für eine Woche durch die Haut (transdermal) abzugeben. So lasse sich die Zahl der Pillen, die HIV-Positive täglich einzunehmen haben, deutlich reduzieren.

Das Pflaster für antiretrovirale Medikamente befindet sich  noch in einer sehr frühen Entwicklungs-Phase und wurde bisher weder an Tieren noch Menschen getestet.

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weitere Informationen:
aaps Pressemitteilung 25.10.2011: Innovative Transdermal Patch for Delivery of HIV Medicine featured at AAPS Annual Meeting and Exposition
Aidsmeds 26.10.2011: An HIV Drug Delivery Patch in the Pipeline
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Der Apotheker als Spion gegen günstigere Aids-Medikamente?

Über eine ganz besondere Form der ‚Marktforschung‘ berichtet heute die ‚Süddeutsche Zeitung‘: das Darmstädter Marktforschungsinstitut-Institut IMS Health soll dem Bericht zufolge Apothekern hohe Summen zahlen, wenn sie Parallelimporte bestimmter hochpreisiger Medikamente (auch HIV-Medikamente) per Fotos dokumentieren.

Die Apotheker sollen diese Medikamente aus verschiedenen Positionen fotografieren (Kamera und Chip werden gestellt), und dies monatlich einsenden. Für teilnehmende Apotheker ein lukrativer Nebenverdienst: laut SZ soll schon die Dokumentation von drei parallel importierten Packungen z.B. des HIV-Medikaments Viread® monatlich für ein Jahr mit bis zu 1.340 € zzgl. MWSt entlohnt werden.

Parallelimporte sind aus anderen Staaten importierte Medikamente, meist haben sie einen deutlich günstigeren Preis (die Importeure nutzen niedrigere Medikamenten-Preise, Währungsschwankungen und MWSt-Sätze im Ausland) – zur Freude der Krankenkassen, für die Gewinne der Pharmaindustrie eher ärgerlich.

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weitere Informationen:
SZ 22.8.2011: Spion im weißen Kittel – Apotheker sollen Billig-Pillen an Pharmakonzerne melden
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neue HIV-Medikamente: ‚robuste Pipeline‘?

12 neue experimentelle HIV-Medikamente, sowie zahlreiche weitere Kombi-Pillen in fortgeschrittenen Studien – die ‚HIV-Pipeline‘ sei „robust“ gefüllt, meint ein Report der britischen Internetsite iBase.

Nie zuvor sei die (medizinische) Aussicht lange und gesunde Leben zu führen für Menschen mit HIV, Hepatitis C und Tuberkulose besser gewesen, mit diesen optimistischen Worten kommentieren Polly Claden (iBase) und Mark Harrington (TAG) die Situation verfügbarer und absehbarer Substanzen gegen die drei Erkrankungen.

Die britische Organisation iBase und die us-amerikanische TAG Treatment Action Group erstellen seit einigen Jahren Übersichten über antiretrovirale Medikamente, die sich in klinischer und vorklinischer Entwicklung befinden. Auf der IAS-Konferenz in Rom stellten sie die neueste Ausgabe vor: ‚2011 pipeline report: HIV, HCV, immune treatments, cure and TB research‘.

Seit den ersten Wirkstoffen gegen HIV seien im medikamentösen Kampf gegen Aids erstaunliche und erstaunlich schnelle Fortschritte erreicht worden. Und der Fortschritte gehe weiter: 2011 sei die Pipeline neuer in Entwicklung befindlicher Substanzen mindestens genauso gut gefüllt wie in jedem Jahren zuvor seit 2003 (dem Jahr des ersten ‚Pipeline-Reports‘).

Besonders erfreulich sei die Situation bei Substanzen, die direkt gegen Hepatitis C gerichtet sind. Annähernd 50 Substanzen befänden sich in Erforschung.

Mit ihrer sehr optimistischen Sicht konterkarieren Clayden und Harrington warnende Stimmen anderer Beobachter, die Pipeline von neuen Substanzen gegen HIV drohe auszutrocknen. Diese Kritiker weisen insbesondere darauf hin, dass zunehmend Me-Too-Präparate (Substanzen, die bereits zugelassenen Präparaten sehr ähneln) entwickelt würden, jedoch kaum noch neue Substanzen mit innovativen Ansätzen.

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weitere Informationen:
iBase 15.07.2011: 2011 pipeline report: HIV, HCV, immune treatments, cure and TB research
POZ 15.07.2011: HIV, Hep C Drug Development Pipeline is ‚Robust,‘ Says Report
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Apotheker gesteht bei Berliner Millionen-Betrug mit Aids-Medikamenten

Er steht wegen Millionen-Betrugs mit Aids-Medikamenten in Berlin vor Gericht. Nun legte der Apotheker ein Teil-Geständnis ab und räumte den Betrug ein.

Ja, er habe Rezepte über Aids-Medikamente bei Krankenkassen abgerechnet, ohne die Medikamente den Patienten ausgehändigt zu haben. Wie zuvor schon von seinem Verteidiger angekündigt, legte der Berliner Apotheker, dem Millionen-Betrug mit Aids-Medikamenten vorgeworfen wird, vor dem Berliner Landgericht ein Geständnis ab.

Allerdings anders als erwartet nur ein Teilgeständnis – er räumte den Betrug prinzipiell ein, allerdings sei die Höhe wesentlich geringer als im vorgeworfen werde. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 66jährigen Apotheker vor, mit dem Betrug einen Schaden von annähernd elf Millionen Euro verursacht zu haben.

Einige der mit-angeklagte HIV-Positive hatten bereits Ende April ein Geständnis abgelegt und eingeräumt, dem Apotheker Rezepte gegeben zu haben, im Gegenzug erhielten sie keine Medikamente, sondern Bargeld in Höhe von 150 bis 500 Euro.

Das Gericht hatte dem Apotheker für den Fall eines Geständnisses eine Strafe zwischen sieben und neun Jahren Haft in Aussicht gestellt. Wegen der von ihm nur als wesentlich niedriger eingeräumten Schadenhöhe scheint diese Absprache derzeit gefährdet. Der Apotheker wird am heutigen 3. Mai 2011 erneut vor Gericht angehört. Mit dem Urteil wird Mitte Mai gerechnet.

Am 11. November 2010 wurden insgesamt acht Haftbefehle vollstreckt, gegen einen Berliner Apotheker sowie sieben weitere Personen. Zudem wurden zehn Wohnungen in Berlin, Fulda und Kiel durchsucht.Der 66-jährige Apotheker mit Sitz am Kurfürstendamm wird verdächtigt, zwischen 2007 und 2009 HIV-Medikamente mit gesetzlichen Krankenkassen abgerechnet zu haben, diese aber nicht den Patienten ausgehändigt zu haben.

Zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren sollen noch laufen.

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weitere Informationen:
Apotheke adhoc 02.05.2011: Apotheker legt Teilgeständnis ab
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Geständnisse von Mitangeklagten im Prozess um Millionen-Betrug mit Aids-Medikamenten

Im Prozess gegen einen Berliner Apotheker und mehrere HIV-Positive wegen Millionen-Betrugs mit Aids-Medikamenten haben einige Mitangeklagte ein Geständnis abgelegt.

Um fast elf Millionen Euro soll ein Berliner Apotheker gesetzliche Krankenkassen betrogen haben. Diesen Abrechnungsbetrug wirft ihm die Berliner Staatsanwaltschaft vor. Seit Anfang April 2011 findet der Prozess gegen den Apotheker, der sich seit November 2010 in Untersuchungshaft befindet, vor dem Berliner Landgericht statt.

Mitangeklagt: acht zum Teil langjährig HIV-positive Patienten zwischen 39 und 47 Jahren, die sich in Berlin und anderen Bundesländern Rezepte erschwindelt haben sollen (Rezept-Tourismus). Diese reichten sie bei dem Apotheker ein, ohne Medikamente zu erhalten – dafür aber einen Geldbetrag zwischen 150 und 500 Euro. Der Apotheker stellte, so der Vorwurf der Staatsanwaltschaft, die nicht ausgehändigten Medikamente den Krankenkassen in Rechnung.

Fünf der Mitangeklagten haben inzwischen Geständnisse abgelegt. Sie können Medienberichten zufolge mit Bewährungsstrafen rechnen.

Der 66jährige Apotheker selbst soll am 29. April aussagen. Sein Verteidiger hatte ebenfalls ein Geständnis angekündigt. Der Apotheke sei erpresst worden. Das Gericht hatte ihm für den Fall eines Geständnisses eine sieben- bis neunjährige Haftstrafe in Aussicht gestellt.

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weitere Informationen:
ondamaris 11.11.2010: Berlin: Apotheker und Patienten – Millionenbetrug mit Aids-Medikamenten
Berliner Morgenpost 19.04.2011: Mitangeklagte gestehen Betrug mit Aids-Rezepten
Berliner Zeitung 20.04.2011: Rezepte verkauft, um zu überleben
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Tropismus-Test: Europäische Richtlinie

Wie können Tropismus-Tests sinnvoll in der HIV-Therapie eingesetzt, ihre Ergebnisse interpretiert werden? Eine Gruppe von Experten hat eine Europäische Richtlinie erarbeitet.

Als Tropismus bezeichnet man in der Virologie die Fähigkeit eines Virus eine bestimmte Sorte von Zellen oder bestimmte Gewebe zu infizieren und sich dort zu vermehren. Der Tropismus kann z.B. (wie bei HIV) bestimmt werden durch die Notwendigkeit, dass ein bestimmter Rezeptor auf Ziel-Zellen eines Virus vorhanden ist (bei HIV z.B. CD4), sowie eine bestimmte Oberflächen-Struktur am Virus, die dort andocken kann (bei HIV: gp120).

Bei HIV ist zum ‚Andocken‘ von HIV an Zellen nicht nur der CD4-Rezeptor erforderlich, sondern u.a. auch Ko-Rezeptoren, entweder CXCR4 oder CCR5. Aids-Medikamente der Klasse der so genannten ‚Attachment-Inhibitoren‘ wie Maraviroc (Handelsname Celsentri®) können die Bindung an einen Ko-Rezeptor (bei Maraviroc: CCR5) unterbinden.

HIV benötigt entweder CCR5 oder CXCR4 als Ko-Rezeptor zum Andocken. Studien stellten fest, dass insbesondere bei Positiven mit niedrigem CD4-Wert oder mit umfangreicher Therapie-Erfahrung der CXCR4-Rezeptor überwiegt. Für eine Wirksamkeit von Medikamenten, die einen Ko-Rezeptor hemmen, ist es dementsprechend wichtig, vorab zu wissen, welcher Ko-Rezeptor beim konkreten Patienten dominiert.
Dies wird mit Hilfe von so genannten Tropismus-Tests untersucht.

Die neue Konsens-Empfehlung wurde von einer Gruppe von 60 HIV-Experten aus 31 Ländern erarbeitet. Die Empfehlung gibt einen Überblick über bisher publizierte Fachartikel zum Thema, sowie beweis-basierte Empfehlungen zur klinischen Nutzung und Interpretation von Tropismus-Tests in der HIV-Therapie.

Wichtigste Aussage der neuen Richtlinie: bevor ein HIV-Positiver mit einer Therapie eines CCR5-Hemmers beginnt, wird unter allen Umständen zuvor ein Tropismus-Test eindringlich empfohlen.

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weitere Informationen:
Vandekerckhove LPR et al. European guidelines on the clinical management of HIV-1 tropism testing. Lancet Infectious Diseases, online advance publication, March 22, 2011 (abstract)
aidsmap 28.03.2011: European guidance published on the use of tropism tests in routine HIV care
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