Der Nationale AIDS-Beirat fordert den Abbau von Diskriminierung in der Arbeitswelt

Der Nationale Aids-Beirat forderte in einem Votum vom 11. Oktober 2012, die Diskriminierung von Menschen mit HIV im Erwerbsleben abzubauen.
Hier das Votum im Wortlaut als Dokumentation:

Der Nationale AIDS-Beirat fordert den Abbau von Diskriminierung in der Arbeitswelt

Bonn/Berlin, 11. Oktober 2012

Am 11. Oktober 2012 hat der Nationale AIDS-Beirat folgendes Votum beschlossen:

Die HIV-Infektion ist heute gut behandelbar. Dies spiegelt sich auch im Arbeitsleben wider: die Mehrheit der Menschen mit HIV in Deutschland ist erwerbstätig.

Weil Menschen mit HIV im Erwerbsleben immer noch diskriminiert werden, stellt der Nationale AIDS-Beirat (NAB) fest:

Im Berufsalltag besteht kein Risiko der HIV-Übertragung durch HIV-positive Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Andere. Dies gilt auch für Tätigkeiten in Gemeinschaftseinrichtungen (z. B. Kindergärten, Pflegeheimen), in der Gastronomie und im Gesundheitswesen. Selbst bei verletzungsträchtigen chirurgischen Operationen ist bisher in Deutschland kein Übertragungsfall aufgetreten.

Der NAB verurteilt jegliche Diskriminierung von Menschen mit HIV im Berufsalltag und bei Bewerbungs- und Einstellungsverfahren sowie die Einschränkung der Berufsausübung und der beruflichen Weiterbildung. Die Ablehnung oder Entlassung wegen einer HIV-Infektion oder der Weigerung, einen Test durchzuführen, stellt eine Diskriminierung dar.

  • Der NAB stellt fest, dass keine Verpflichtung zur Offenlegung der HIV-Infektion besteht. Der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, über den HIV-Status Auskunft zu verlangen.
  • Weder in Bewerbungsverfahren noch bei bestehenden Arbeitsverhältnissen darf ein HIV-Test verlangt werden.
  • Erhält der betriebsärztliche Dienst Kenntnis von einer HIV-Infektion, unterliegt er der Schweigepflicht, auch gegenüber dem Arbeitgeber.

Der NAB fordert die Diskriminierung von Menschen mit HIV im Berufsleben abzubauen. Betriebe und Verbände stehen in der Pflicht, Maßnahmen zu entwickeln und zu verstärken, die einen offenen und angstfreien Umgang mit der HIV-Infektion ermöglichen.

Der Nationale AIDS-Beirat ist ein unabhängiges Beratungsgremium des Bundesministeriums für Gesundheit. Er ist interdisziplinär mit Expertinnen und Experten aus den Bereichen Forschung, medizinische Versorgung, öffentlicher Gesundheitsdienst, Ethik, Recht, Sozialwissenschaften, sowie Personen aus der Zivilgesellschaft zusammengesetzt. Weitere Hinweise zum Nationalen AIDS-Beirat finden Sie hier.

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Quelle BMG

Deutsche AIDS-Hilfe veröffentlicht erstmals Daten zu Diskriminierung von Menschen mit HIV

Zum ersten Mal liegen aussagekräftige Daten zur Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV in Deutschland vor.

Anlässlich ihrer Konferenz „Positive Begegnungen“, die am Donnerstag in Wolfsburg beginnt, hat die Deutsche AIDS-Hilfe am Mittwochvormittag bei einer Pressekonferenz in Wolfsburg die Ergebnisse ihrer Studie „positive stimmen“ vorgestellt.

„positive stimmen“ ist die deutsche Umsetzung des internationalen Projekts „The People living with HIV Stigma Index“, das unter anderem von der HIV/Aids-Organisation der Vereinten Nationen, UNAIDS, und dem Globalen Netzwerk von Menschen mit HIV, GNP+, getragen wird. Das Prinzip: HIV-Positive befragen HIV-Positive. So werden in dieser Studie nicht nur Stigmatisierung und Diskriminierung sichtbar, sondern gleichzeitig können sich alle Beteiligten mit ihrer Situation auseinandersetzen und Wege zum Umgang damit entwickeln. Forschung und Ermutigung, Hilfe zur Selbsthilfe gehen Hand in Hand.

In Deutschland fanden 1.148 Interviews statt. Die wichtigsten Ergebnisse in Kürze:

• Knapp 77% der Befragten hatten im Jahr vor der Befragung Diskriminierung erlebt – von Tratsch über Beleidigungen bis hin zu tätlichen Angriffen.

• Rund 20% der Befragten wurde im Jahr vor der Befragung aufgrund von HIV eine medizinische Behandlung verweigert (zum Beispiel beim Zahnarzt).

• Es verloren mehr Leute ihren Job aufgrund von Diskriminierung als aus gesundheitlichen Gründen. Kündigungen hatten in 84% der Fälle mit Diskriminierung zu tun.

• 30% der Befragten haben sich von ihrer Familie zurückgezogen. Bei denen, die zuvor bereits Ausschlusserfahrungen in der Familie machen mussten, waren es sogar 66%.

• Stigmatisierung und Diskriminierung werden verinnerlicht: 42% berichteten, sie hätten im Jahr vor der Befragung aufgrund von HIV ein niedriges Selbstwertgefühl gehabt.

• Die gute Nachricht: 29% der Befragten gehen gegenüber ihrem Arbeitgeber offen mit ihrer Infektion um – mehr als meist vermutet. 61% tun dies allerdings nicht, viele davon aus Angst vor Benachteiligung. (Rest zu 100 Prozent: Mischformen).

• 74% der Arbeitgeber reagierten auf das Coming-out HIV-Positiver unterstützend oder neutral, 26% diskriminierend.

Dazu sagt Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe:

„Die in der Befragung deutlich gewordene Diskriminierung im Alltag ist nicht überraschend, aber völlig inakzeptabel. Unser Ziel bleibt eine Gesellschaft ohne Diskriminierung. Die Politik und die gesamte Gesellschaft sind aufgerufen, sich dafür einzusetzen. Die Bundesregierung muss HIV-Positive und chronisch Kranke endlich ausdrücklich unter den Schutz des Allgemeinen Gesetzes zur Gleichbehandlung (AGG) stellen. Arbeitgeber und Berufsverbände sind aufgefordert klarzustellen, dass HIV kein Hinderungsgrund ist, wenn es um die Ausübung des Berufes geht. Und nicht zuletzt kann sich jeder einzelne Mensch fragen, wo sein eigenes Denken und Handeln von Vorurteilen und Ängsten geprägt ist. Informationen und realistische Bilder vom Leben mit HIV sind die besten Mittel, damit umzugehen. Diskriminierung ist heilbar!“

Die Befragung selbst geht hier mit gutem Beispiel voran. So sagt Teilnehmer Manni im Interview: „,positive stimmen’ ist sicher auch ein Stück auf dem Weg zu mehr Offenheit im Umgang mit HIV!“

Markus Schmidt vom Projektbeirat und selbst HIV-positiv: „Dieses Projekt ist ein wichtiger Schritt, um dem Leben mit HIV aktuelle Gesichter zu geben.“

Und Michael Jähme, ebenfalls vom Projektbeirat und HIV-positiv: „Das Leben mit HIV ist ganz anders, als die meisten sich das vorstellen. HIV-Positive dürfen sich stark fühlen, sie dürfen sich empören und fordern, dass es nicht in Ordnung ist, sie zu benachteiligen.“

Ausführliche Dokumentation der Ergebnisse (PDF)

Mehr Informationen zu den „Positiven Begegnungen“ in Wolfsburg (Die Ergebnisse der Befragung werden bei der Konferenz in vielen Veranstaltungen diskutiert.)

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(Pressemitteilung Deutsche Aids-Hilfe)

HIV-Positiv im Gesundheitsbereich – aktueller HIV-Report

Menschen mit HIV berichten oft über Probleme in der Arbeitswelt aufgrund ihrer HIV-Infektion. Besonders gravierend können diese sein für HIV-Positive, die selbst im Gesundheitswesen arbeiten, ob als Krankenpflegekraft oder Arzt / Ärztin (HCW Health Care Worker).

Wie ist die Situation als Arzt HIV-positiv ? Wie als Krankenpfleger/in?
HIV-positiv im Gesundheitswesen – ein Tabu-Thema.

Der HIV-Report der Deutschen Aids-Hilfe beschäftigt sich in der aktuellen Ausgabe ausführlich mit diesem Thema sowie den „Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV)“, die kommentiert werden mit den Worten „Damit ist der Anfang vom Ende der Diskriminierung HIV-positiver Beschäftigter gemacht.

Die Themen:

  • Zur Situation von HIV-positiven Ärztinnen, Ärzten und Krankenpflegekräften
  • Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV)
  • Vergleich mit US-amerikanischen SHEA-Empfehlungen
  • Übertragungswahrscheinlichkeiten
  • Kritik der Deutschen AIDS-Hilfe
  • Zur Kündigung eines Chemisch-Technischen Assistenten

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Positiv im Gesundheitsbereich
HIV-Report 4 / 2012
Deutsche Aids-Hilfe (Hg.)
(pdf)

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siehe auch
Empfehlungen der Deutschen Vereinigung zur Bekämpfung der Viruskrankheiten (DVV) und der Gesellschaft für Virologie (GfV)
(pdf)
FAZ 15.08.2012: Neue Empfehlungen: HIV-positiv – und trotzdem Chirurg
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Rolands Washington-Tagebuch, Tag 4: Aids 2012: ART und andere Verteilungskämpfe

Fast verschlafen weil ich den Hotelwecker nicht gehört habe. Um 07:30 ist die Morgenkonferenz der Delegation im Hotelfoyer, auf der jeder erzählt, was er vorhat und man checkt, wer noch welche Hilfe braucht. Es gibt ja zwei „deutsche“ Stände, einer davon muß von der DAH „bespielt werden“, und heute hatten wir auch noch in der Pan European Networkingzone 2 Programme zu liefern. Nebenbei müssen alle auch immer noch versuchen, im Kongreßprogramm möglichst viel mitzubekommen und andere Termine wahrnehmen.

Pan European Networking Zone: HIV und Arbeit
Pan European Networking Zone: HIV und Arbeit

Da man auf der Konferenz nicht immer so richtig weiß wer positiv ist, habe ich mich heute in die Positivenlounge begeben. Das ist ein Bereich, in den nur Positive gehen dürfen und wer da drin ist, hat sich zumindest etwas geoutet (was ich ja auch gerade immer wieder übe).

Die Stimmung in der Lounge war dann aber anders, als ich es erwartet hatte. Man blieb etwas auf Abstand und kommunizierte eher mit Bekannten als mit Fremden – anders als im Global Village – oder man tippte lauter wichtige Dinge in sein Telefon.

Als ich dann noch bemerkte, dass einige Positive ihren Dreck einfach liegenlassen – damit der dann von den ehrenamtlichen Helfern weggeräumt wird – fühlte ich mich etwas wie in der Lufthansalounge am Frankfurter Flughafen.

Man ist irgendwie darauf bedacht, wichtig und toll zu erscheinen. Ich hätte natürlich vermutet, daß man unter Positiven sich genau anders verhält; dass man in einem geschützten Raum wie der wirklich netten, großzügigen Lounge offener und entspannter aufeinander zugeht.

Im Kongreß geht es viel um Verteilungsfragen und das durchaus mit gutem Niveau (die Ginimaße grüßen).

Die politische Stoßrichtung aller drei Veranstaltungen, in denen ich heute war, ist tendenziell gegen die Pharmafirmen und die Regierungen gerichtet. Es wird dabei fast ausschließlich aus einer Perspektive der Länder mit niedrigem oder mittlerem Einkommensniveau diskutiert. Das hat seine Berechtigung, weil es hier für die Positiven oftmals direkt ums weitere Überleben geht. Ohnehin haben dort viele Positive keinen Zugriff auf die notwendigen ART Medikamente.

Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha
Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha

Meistgezeigtestes Chart: Dieses Bild habe ich bisher 6 mal in verschiedenen Vorträgen gezeigt bekommen. Es illustriert den Preisverfall bei ART Medikamenten nach der Erklärung von Doha.

Ich vermisse hierzu europäische Beiträge, Meinungen und Ideen, die über eine Zustimmung zu den berechtigten Forderungen nach „Universal Access“ (jeder (!) erhält seine benötigten Medikamente) hinaus gehen. Was sind möglicherweise eigene Interessen von Positiven in Europa? Gibt es in diesem Verteilungskampf womöglich in den nächsten Jahren Konflikte, die auch uns als Europäer betreffen? Solange wir uns nicht beteiligen, werden diese Positionen (heute mehrfach) von anderen dargestellt.

What does the EU want?
What does the EU want?

So wird Europa wahrgenommen in Vorträgen zur ART Versorgung in „low and middle Income Countries“

Die Pharmaunternehmen gehen geschickt vor, um ihre Renditen mit HIV zu maximieren. Dabei werden sowohl lang- als auch kurzfristige Strategien genutzt. Eine Form ist die Patentpolitik für einzelne Produkte. Die Laufzeiten werden künstlich immer weiter verlängert. Aber auch in der Welthandelspolitik haben die Unternehmen sich gut aufgestellt. Handelsabkommen scheinen auf den ersten Blick sinnvoll für die Länder, aber sie sichern auch den Medikamentenmarkt ab.

Am Abend gab es ein gemeinsames Abendessen wo man schon mal eine Zwischenbilanz ziehen konnte. Meine ist sehr positiv.

Tag 4 - die erschöpfte DAH-Delegation
Tag 4 - die erschöpfte DAH-Delegation

Etwas erschöpfte Delegation aber noch in freudiger Erwartung auf ein Essen…welches das Restaurant überfordern wird.

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ sind bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
ondamaris 24.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld
ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!
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Rolands Washington-Tagebuch, Tag 2: Aids 2012 – Geld, Geld, Geld

Ab jetzt laufen die Programme richtig los. Mein Spezialgebiet ist der Track E – Health Economics ( Gesundheitsökonomie ).

Das ist für die meisten ja nicht so ein interessantes Gebiet, aber mir persönlich sagen diese Dinge einiges, und ich finde als Positive sollten wir uns solchen Diskussionen auch stellen. In Washington nehmen sie jedenfalls einen großen Raum ein. Wenn wir diese Diskussionen vermeiden, werden sie also ohne uns geführt – und das kann einem ja erst recht nicht gefallen.

Chart des Vormittags:
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts
durch die Einnahme von ART nimmt die Arbeitsfähigkeit von HIV-Positiven wieder zu - bis auf 90% des Ausgangswerts

Das Bild zeigt, das durch den Einsatz einer ART die Arbeitsfähigkeit der Positiven wieder zunimmt, um im Laufe der Zeit fast 90 % des alten Werts zu erreichen. Das finde ich sehr ermutigend. Die Untersuchung war eine Langzeitbetrachtung mit einer große Zahl von Positiven in Süd-Afrika. Das Ganze ist in der Grafik dann etwas aufgehübscht mit Statistik. Wichtig sind die blauen Punkte. Diese sinken vor dem Beginn einer ART (= gestrichelte Linie) kontinuierlich ab. Das bedeutet, dass die Menschen immer weniger arbeiten – im allgemeinen also arbeitslos werden, weil sie nicht mehr können. Danach steigen die Punkte wieder an fast auf das Ausgangsniveau der roten Linie – d.h. die Menschen arbeiten wieder fast genau so viel wie vorher.

Chart des Nachmittags:

nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !
nur max. 19% der HIV-Positiven, die in der Ukraine ART benötigen, erhalten diese auch !

Das Bild zeigt, daß in der Ukraine 2010 nur maximal 19% der Menschen, die eine ART benötigen, diese dann auch wirklich erhalten. Dabei ist noch nicht einmal die Frage angeschnitten, ob diese ART die optimale ist. Das ist unterste Schublade! 80% der Positiven bleiben unversorgt und haben deshalb das Risiko, früher als notwendig zu sterben. Wenn man sich ansieht, dass in den anderen Balken auch keine schwerreichen Industrieländer stehen, dann kann man, habe ich das Gefühl,bei der Ukraine schon von einem AIDS-Schurkenstaat sprechen.

Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto
Gemeinschaftsstand der Lateinamerikaner - macht richtig was her.... den dicken Teppich sieht man nicht auf dem Foto

Es gab aus der Leserschaft eine Rückfrage zum Global Village [als Kommentar zuRolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister„; Anm. ondamaris]: ob die von mir beschrieben „Lebendigkeit“ im Golbal Village „nur“ von Konferenzteilnehmern verursacht ist, oder ob auch die „unbeteiligte“ Bevölkerung rein geht. Gestern am Eröffnungsabend waren nach meinem Eindruck eher Fachbesucher da. Heute hatte ich den Eindruck, dass der eine oder andere Nicht-Fachmann da war. Aber im Wesentlichen sind es Menschen, die zur Konferenz gekommen sind. Die vielzitierte Offenheit für alle wird eher nicht wahrgenommen. Meine Unterscheidung würde ich am zweiten Tag auch eher abgrenzen mit „ehrenamtlichem HIV“ im Village gegenüber „angestelltem HIV“ in der Kongressausstellung – aber ganz trennscharf ist das auch nicht, weil auch viele im HIV-Bereich Erwerbstätige im ‚Global Village‘ sind (zum Beispiel das Spitzenteam der DAH). Ich guck da noch mal weiter hin.

das Spitzen-Team der DAH im Global Village
das Spitzen-Team der DAH im Global Village

Country Ownership

Diskussions-Panel zu PrepFAR
Diskussions-Panel zu PrepFAR

Hab in einem Abendpanel versucht etwas über PEPFAR (The U.S. President’s Emergency Plan for AIDS Relief) und COUNTRY OWNERSHIP zu lernen.

Das Programm rettet unbestritten Leben, es scheint aber auch Mechanismen zu enthalten, die zu einer Aneignung des Landes durch die Geberländer führen können (ich frage mich, wie weit hat es Aspekte von Kolonialisierung, wenn Empfänger-Länder sich, um Mittel aus PrepFAR zu erhalten, konform zu den Werten des Geberlandes USA verhalten müssen?)

Interessant fand ich den Beitrag eines der weltgrößten Minenkonzerne der Welt. Die haben für Ihre Angestellten in Süd-Afrika vor einigen Jahren eine Kranken- (und auch HIV-) Versorgung auf eigene Kosten eingeführt. Ich gehe davon aus, dass diese ähnlich arbeitet wie die bestehende Arbeitgeberversicherungen in den USA. Nur 5% der Lohnsumme kostet es derzeit den Konzern, diese Struktur zu unterhalten. Die Produktivitätsverluste nur durch HIV waren vor der Einführung mehr als 3 mal so hoch. Es rechnet sich also!

Vermutlich bindet es die Arbeiter auch enger an das Unternehmen. Zumindest als Positiver hat man dann ein starkes Interesse nicht seinen Arbeitsplatz zu verlieren. An Streiks wird man wohl daher weniger gern teilnehmen. Das ist aber reine Spekulation – so hat das der freundliche Herr von der Firma nicht ausgeführt. Gleichwohl wäre es ungerecht, dem Herrn nur ein oberflächliches Interesse an dem Thema zu unterstellen. Er sitzt in vielen Organisationen zu HIV an entscheidenden Stellen.

Präsidententratsch des Tages:

Vermutlich nun aber wirklich das letzte Mal Obama: Ich traf den positiven Consultant B., der mir nach einigen unterhaltsamen Sätzen zu den Unterschieden von Annahmen, Eindrücken, Fakten und Ergebnissen in der empirischen Männerforschung seine Einladung zum „Seated Dinner“ bei Präsident Obama am kommenden Donnerstagabend zeigte.

B. hatte schon aufgrund von Charme, Intelligenz und sicherlich auch persönlichen Verdiensten um die Sache der Positiven diese Einladung verdient – aber ich habe ihn doch wohlwollend beneidet um einen ABEND mit dem gutaussehenden Herrn im Weißen Haus (das hat B. dann noch mehr gefreut – zumal er versicherte, dass die Einladung völlig unerwartet in seinem Briefkasten gelandet sei und er sich diese Ehre auch nicht ganz erklären könne – manchmal ist das Schicksal doch gerecht!).

Er ist bisher der einzige, den ich getroffen habe, der da hingehen darf – ich kenne nicht mal jemanden der jemanden kennt der da hingeht. Oder sitzen die beiden am Ende wirklich zu zweit beim Candellight Dinner ….. ???

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
ondamaris 22.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern
ondamaris 23.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 1: Aids 2012 – Es geht los … mit Demo und Minister
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„Der blinde Fleck“: ‚HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt‘ ist unter den Top 10 der vernachlässigten Themen

Jährlich untersucht die ‚Initiative Nachrichtenaufklärung‘, welche Themen von Medien in Deutschland nicht oder nicht genügend aufgegriffen werden. Daraus erstellt die Initiative ihre ‚Top 10 der wichtigsten von den Medien vernachlässigten Themen und Nachrichten‘.

2012 als zweites Thema ganz oben in den Top 10 der medial vernachlässigten Themen: „HIV-positiv auf dem Arbeitsmarkt: Kein Rechtsschutz gegen Diskriminierung“. Die Initaitive erläutert „Auch 30 Jahre nach dem Bekanntwerden von AIDS sind Betroffene deshalb im Bereich des Arbeitsrechts den existierenden Vorurteilen schutzlos ausgeliefert.“

Die im Mai 1997 gegründete ‚Initiative Nachrichtenaufklärung‘ ist ein Gemeinschaftsprojekt der TU Dortmund, der Universität Siegen sowie der MHMK Macromedia Hochschule für Medien und Kommunikation. Sie firmiert selbst unter dem Untertitel „Wir suchen nach den blinden Stellen der Medienlandschaft“. Die Top 10 basieren auf einer Recherche von drei Hochschulen, die medial vernachlässigte Themen analysierten und vorfilterten. Die aus Jopurnalisten und Wissenschaftlern zusammengesetzte Jury der Initiative wählte dann aus den ermittelten 21 Themen ihre Top 10.

Die anderen neun Themen der Top 10 2012: Keine Rente für arbeitende Gefangene, Die Antibabypille – gefährliches Lifestyle-Medikament, Weiterbildung zum Hungerlohn, Hartz IV bei Krankheit – kein Thema, Vergessene Zivilprozesse, Gekaufte Kundenbewertungen im Internet, Miserable Zustände in europäischen Haftanstalten, Die undurchsichtige Industrie humanitärer Hilfe, sowie Betrugsanfälligkeit von Drogentests.

Der blinde Fleck 05.07.2012: Vorgestellt: Top-Themen 2012

[via KoopTech]

Wien: Aids-Hilfe – Mitarbeiter wehren sich gegen bis zu 16% weniger Lohn

Buis zu 16 Prozent weniger Lohn – dies droht den Mitarbeitern der Aids-Hilfe Wien. Die Geschäftsführung begründet die Kürzungen mit dem hohen Lohnkosten-Anteil an den Gesamt-Kosten. Nein, sagt der Betriebsrat, die Ursache der budgetären Schieflage sei eine andere: das Gesundheitsministerium habe seine Mittel seit annähernd 12 Jahren nicht erhöht. „Das ist eine Vorgangsweise, die natürlich nicht akzeptabel ist. Die Beschäftigten wehren sich zu Recht gegen die Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen unter dem Deckmantel von Kollektivverträgen“, erklärt eine Gewerkschafts-Vertreterin.

GPA-djp 15.06.2012: Beschäftigten der Aids Hilfe drohen Gehaltseinbußen von bis zu 16 Prozent

Diversity Management: HIV-Positive in der Arbeitswelt

Eine vorab elektronisch publizierte kleine Studie beschäftigt sich an einem Beispiel aus Asien mit der Frage, wie mit Hilfe der Diversity Management (DM) Theorie der Umgang mit HIV-positiven Beschäftigten verbessert werden kann. Dazu wird der bisher verwendete Diversity-Begriff um die Dimension der HIV-Infektion erweitert.

„Asian hospitality managers are confident that implementing DM to manage HIV-positive employees can enhance tolerance, improve understanding and promote equality.“

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Yap MH, Ineson IM: Diversity management: The treatment of HIV-positive employees.
AIDS Care. 2012 Jan 31. [Epub ahead of print]
Abstract auf PubMed

Philippinen: Polizei engagiert sich gegen Diskriminierung und Stigmatisierung HIV-Positiver

Aktives Engagement gegen Diskriminierung und gegen Stigmatisierung sowie Vertraulichkeit und Zugang zu medizinischer Versorgung sollen im Zentrum des Umgangs mit HIV bei der Polizei der Philippinen stehen, so das neue HIV/Aids-Programm der PNP.

Die Polizei auf den Philipinnen führt ein neues Schulungs-Programm für alle 143.000 Polizisten des Landes ein. Mit dem für alle Polizisten verpflichtenden Kurs soll sichergestellt werden, dass alle Polizisten angemessen über HIV und Aids informiert sind. Bestandteil des Programms ‚PNP HIV-AIDS prevention and control program‘ ist zudem sicherzustellen, dass Polizisten und ihre Familienangehörigen im Fall einer HIV-Infektion grundlegende medizinische Versorgung erhalten.

Der Direktor der philippinischen Polizei PNP, Nicanor A. Bartolome, sicherte zu, dass HIV-positive Polizisten nicht nur eine Erstattung der im Zusammenhang mit Diagnose und Behandlung entstehenden Kosten erhalten, sondern sich auch auf die Vertraulichkeit verlassen könnten:

„The PNP strictly complies with medical confidentiality in handling medical information particularly the status and identity of persons with HIV.“

HIV-positive Angehörige der Polizei würden nicht allein aufgrund ihrer HIV-Infektion aus dem Dienst entfernt. Vielmehr werde man nicht-diskriminierenden und nicht-stigmatisierenden Umgang sicherstellen:

„The PNP will assure non-discriminatory and non-stigmatizing attitudes towards HIV-positive PNP personnel. In fact, full assistance will be provided them since our priority is to secure the welfare and benefits of all our personnel.“

Der ‚Philippine AIDS Prevention and Control Act of 1998‘ (‚Republic Act 8504‘) fordert bereits seit 1998, alle Angehörigen der Polizei über sexuell übertragbare Erkrankungen zu informieren und auszubilden. Zudem sollen Präventions-Programme in die Pflicht-Polizeiausbildung integriert werden.

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weitere Informationen:
Journal online 17.04.2012: Cops told to undergo HIV-AIDS awareness seminar
Philippines National Aids Council: Key Features of Republic Act 8504: Provisions of RA 8504 relevant in the workplace
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HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften

Mit einem neu herausgegebenen Handbuch will die Internationale Transportarbeiter-Förderation Gewerkschaften in Lateinamerika Orientierungshilfen für den Umgang mit HIV und Aids am Arbeitsplatz geben.

Die Kompetenzen gewerkschaftlicher Mitarbeiter und Aktiver im Umgang mit HIV und HIV-Infizierten verbessern, Erfahrungen austauschen und zu konkreten Maßnahmen ermuntern – dies sind Anliegen des neuen Handbuchs „Manual de VIH/SIDA“ der ITF. Die 1896 gegründete ITF Internationale Transportarbeiter Föderation ist ein Dachverband von über 600 Gewerkschaften aus 140 Staaten.

Die ITF beschreibt dass Ziel des neuen Handbuchs:

„Mit Hilfe des in spanischer Sprache veröffentlichten HIV/Aids-Leitfadens der ITF sollen lateinamerikanische Gewerkschaften Kapazitäten zur Entwicklung von HIV-Strategien auf betrieblicher Ebene und zur Aushandlung von Kollektivverträgen mit HIV-Klauseln erwerben.
Das Handbuch enthält Fallbeispiele von Gewerkschaften in der Region, die in dieser Hinsicht Fortschritte erzielt haben, darunter die Sindicato de Empleados de Líneas Aéreas de Panamá (SIELAS), die die Aufnahme von HIV/Aids-Klauseln in Verträgen mit drei Fluggesellschaften durchsetzte. Gemeinsam mit einer Organisation, die sich im Bereich der HIV-Prävention engagiert, führte die Gewerkschaft ferner eine Sensibilisierungskampagne durch und verteilte Kondome.“

ITF: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften
ITF: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften

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weitere Informationen:
ITF News 13.04.2012: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften
ITF: Manual de VIH/SIDA (Spanisch; pdf)

Tschechien: HIV-positiver Polizist will gegen Kündigung klagen

Ein HIV-positiver Polizist, der in Tschechien aufgrund seiner HIV-Infektion gekündigt wurde, will gegen seinen Arbeitgeber klagen. Der 25-jährige Mann erfuhr vor zwei Jahren von seiner HIV-Infektion. Zu diesem Zeitpunkt arbeitete er bereits seit drei Jahren bei der staatlichen Polizei. Der Arbeitgeber erfuhr von seinem Testergebnis, vom medizinischen Personal, wie der Mann vermutet. Er wurde Ende 2010 entlassen unter Berufung auf ein Dekret über die Arbeitstauglichkeit als Polizist, nachdem die Diagnose durch eine polizeiärztliche Untersuchung bestätigt wurde.

Es wäre der erste Prozes dieser Art inTschechien, berichten Medien.

Prague Daily Monitor 13.04.2012: HN: HIV-positive policeman turns to court over dismissal
Hospodarske noviny 11.04.2012: Mladíka vyhodili od policie kvůli HIV. Svůj sen o práci policisty hodlá hájit před soudem

[via HIV Justice Network]

Pilot, Flugbegleiter: bald auch mit HIV möglich?

Auch HIV-Positive können bald Pilot werden, sofern es ihre Gesundheit erlaubt. Dies sieht eine Verordnung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit vor, die am 8. April 2012 in Kraft trat. Wirksam werden die neuen Regeln in Deutschland erst 2013 oder 2014.

Die Zulassung von Piloten und Flugbegleitern zum Flugbetrieb ist in Europa durch eine EU-Verordung geregelt. Eine Neufassung dieser Verrodnung könnte nun dafür sorgen, dass bald auch HIV-Positive Pilot und Flugbegleiter werden können, wie das DAH-Blog meldet.

In der Richtlinie heisst es nun:

„Bewerber mit positivem HIV-Befund können vorbehaltlich einer zufrieden stellenden flugmedizinischen Beurteilung als tauglich beurteilt werden.“

Die enue Verordnung (Nummer: 1178/2011) der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) trat am 8. April 2012 in Kraft. Die DAH weist allerdings darauf hin, dass es noch dauert, bis die neuen Regelungen in Deutzschland wirksam werden:

„Leider werden die neuen Regeln nicht sofort wirksam: In Deutschland wie in den meisten anderen europäischen Staaten verschiebt sich die Anwendung um mindestens ein Jahr, maximal bis zum 8. April 2014. Das Jahr 2012 nutzt das Bundesverkehrsministerium erst einmal dazu, entsprechende Verwaltungsvoraussetzungen zu schaffen.“

Die DAH betont, dass routinemässige HIV-Tests weder für Piloten noch für Flugbegleiter vorgeschrieben seien – dafür gebe es keine gesetzlichen Grundlagen.

Pilot (Foto: avtraining1)
Pilot (Foto: avtraining1)

Noch 2007 rühmte die Financial Times die Einstellungen der Lufthansa als „die wohl härteste Eingangsuntersuchung“ – mit dem verweis unter anderem auf eine äußerst rigide Politik in Sachen HIV: “wer beispielsweise HIV-positiv ist, fliegt raus.”

In den USA hatte erst vor wenigen Tagen der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) geurteilt, ein HIV-positiver Pilot habe kein Recht, gegen die US-Regierung zu klagen, weil die Sozialversicherung der US-Flugsicherheitsbehörde Federal Aviation Authority FAA seinen HIV-Status mitgeteilt hat.

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weitere Informationen:
Europäische Agentur für Flugsicherheit: Acceptable Means of Compliance and Guidance Material to Part-MED1 (pdf)
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entwurf zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. …/… der Kommission zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die Beurteilung der flugmedizinischen Tauglichkeit von Beschäftigten in der Zivilluftfahrt gemäß Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (pdf)
DAH-Blog 08.04.2012: Piloten und Flugbegleiter: HIV bald kein Ausschlusskriterium mehr
Washongton Times 28.03.2012: Man can’t sue feds over sharing of his health records, justices rule
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Kampagne der Aidshilfen gegen Diskriminierung HIV-Positiver am Arbeitsplatz mit Werbepreis ausgezeichnet

Rund um den Weltaidstag schalteten die österreichischen Aids Hilfen Inserate in verschiedenen Tageszeitungen, um auf die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV aufmerksam zu machen. Das Sujet mit dem Slogan “KÜNDIGEN SIE IHREN UNPRODUKTIVSTEN MITARBEITER: DAS VORURTEIL.” wurde nun mit einem Preis vom Verband österreichischen Zeitungsherausgeber (VÖZ) prämiert. Das Sujet gewann in der Kategorie Social Advertising des zweiten Platz.

Der medizinische Fortschritt hat HIV/AIDS in industrialisierten Ländern in den letzten Jahren zu einer, wenn auch nicht heilbaren, so doch behandelbaren Krankheit gemacht. Menschen, die rechtzeitig von ihrer HIV-Infektion erfahren und therapiert werden, können ihr Leben in den meisten Fällen bei hoher Lebensqualität leben. Viele Betroffene – etwa 70% ? stehen im Berufsleben, weitere würden gerne arbeiten. Bei der Jobsuche und im Arbeitsalltag zeigt sich jedoch, dass die gesellschaftliche Entwicklung der medizinischen hinterher hinkt.

Feuern Sie Ihren unproduktivsten Mitarbeiter: das Vorurteil
Feuern Sie Ihren unproduktivsten Mitarbeiter: das Vorurteil

Philipp Dirnberger, MSc, Geschäftsführer der Aids Hilfe Wien:

„In Österreich ist es für HIV-infizierte Menschen nach wie vor schwer, Arbeit zu bekommen beziehungsweise zu behalten, wenn sie offen mit ihrer Infektion leben. Die Infektion aus Angst vor Ausgrenzung geheim halten zu müssen, stellt aber eine enorme Belastung dar.“

Zu den Hauptzielen der AIDS-Hilfen Österreichs zählen seit jeher die Enttabuisierung des Themas und der Kampf gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung von Menschen mit HIV/AIDS. Rund um den Welt AIDS Tag wurde im November und Dezember 2011 unter dem Motto „Informieren statt diskriminieren“ in österreichischen Zeitungen und Magazinen ein Inserat geschalten. Die von der Agentur Schüller & Heise entwickelte Kampagne sollte UnternehmerInnen auf die Situation HIV-positiver ArbeitnehmerInnen aufmerksam machen. Dirnger:

„Vorurteile gegenüber Betroffenen basieren meist auf falschen Vorstellungen bezüglich des HI-Virus und seiner Übertragbarkeit. Je besser Menschen informiert sind, desto leichter lassen sich unbegründete Ängste ausräumen.”

Informationen zu HIV/AIDS erhält man bei den sieben lokalen Vereinen der AIDS-Hilfen Österreichs:

AIDS-Hilfen Österreich

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Gastbeitrag von thinkoutsideyourbox

Chemielaborant: Kündigung wegen HIV bleibt bestehen – Berufung erfolglos (akt.5)

Niederlage in der Berufungsverhandlung: die Kündigung eines Chemielaboranten wegen seiner HIV-Infektion bleibt bestehen. Eine Diskriminierung bestehe nicht.

Sebastian F. konnte sich auch in zweiter Instanz nicht durchsetzen. Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wurde am 13. Januar 2012 in der Berufungsverhandlung  seine Kündigung wegen HIV-Infektion verhandelt – das Urteil: die Kündigung war rechtens, sie bleibt bestehen, eine Diskriminierung wegen seiner HIV-Infektion sei nicht feststellbar. Auch eine Entschädigung stehe ihm nicht zu, unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des AGG. Es müsse dem Arbeitgeber möglich sein, für die Herstellung von Medikamenten allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen.
Eine Revision beim Bundesarbeitsgericht ist allerdings zugelassen.

Im Mittelpunkt der Argumentation: das „mögliche Restrisiko“, das eine Kündigung rechtfertige. Die Frage, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG hier Anwendung finde, wurde nicht konkret thematisiert – auch weil eine HIV-Infektion im AGG nicht explizit genannt wird.

Dies erfuhr ondamaris von einem Prozessbeobachter.

Der 24-jähriger Chemielaborant wurde von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt, wegen seiner HIV-Infektion. Zudem erhielt er ein sofortiges Hausverbot. Man habe das Wohl der eigenen Kunden zu berücksichtigen, so damals der Arbeitgeber, ein Pharmaunternehmen. In erster Instanz verlor der Chemielaborant vor dem Berliner Arbeitsgericht im Juli 2011 – dies erklärte die Kündigung für rechtens. Das Arbeitsgericht stellte damals u.a. fest:

„Der Arbeitgeber habe den Kläger zudem nicht wegen einer Behinderung diskriminiert und müsse daher auch eine Entschädigung nicht zahlen. Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar.“
„Die Tatbestandsvoraussetzung für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG“ sei „nicht erfüllt“.

Tino Henn, Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, betonte hingegen im Vorfeld der heutigen Verhandlung

„Die Deutsche AIDS-Hilfe unterstützt Sebastian F. dabei. Dazu sagt Vorstandsmitglied Tino Henn: „Menschen mit HIV wegen ihrer Infektion zu entlassen ist ein schwerer Fall von Diskriminierung. Wir hoffen sehr, dass das Gericht in der zweiten Instanz klarstellt: HIV ist kein Kündigungsgrund! Da das Kündigungsschutzgesetz in der Probezeit nicht greift, brauchen wir hier die klare Aussage des Gerichts, dass Menschen mit HIV durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt sind. Ansonsten könnten sich skandalöse Urteile wie dieses wiederholen.“

Am heutigen Freitag, 13.1.2012 erfolgte nun die Verhandlung in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin. Vertreten wurde Sebastian F. darin wie in der ersten Instanz durch Rechtsanwalt Jörg-André Harnisch und das ‚Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V.‘ (BUG), das als Beistand auftrat (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Aktenzeichen 6 Sa 2159/11).

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Aktualisierungen
13.01.2012, 14:20: In der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts heißt es

„Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung für rechtswirksam gehalten. Die Kündigung sei nicht willkürlich und verstoße deshalb nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Dem Arbeitgeber könne nicht verwehrt werden, für die Medikamentenherstellung allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen. Die Entscheidung, einen dauerhaft mit dem HI-Virus infizierten Arbeitnehmer zu entlassen, sei auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden. Da das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, komme es auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung nicht an.
Dem Arbeitnehmer stehe auch eine Entschädigung nach dem AGG nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob die bloße HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG darstelle und ob der Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen erkrankten Arbeitnehmern ungleich behandelt worden sei. Denn eine – einmal angenommene – Ungleichbehandlung des Arbeitnehmers sei wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt.“

13.01.2012, 17:00: Die deutsche Aids-Hilfe (DAH) bedauert das Urteil und betont, sie wolle erreichen, „dass künftig auch Menschen mit chronischen Erkrankungen durch das AGG vor Diskriminierung geschützt werden.“

14.01.2012, 09:40: der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht Wolf Reuter kommentiert in seinem Blog

„Das LAG hat dem Bundesarbeitsgericht (Revision zugelassen) eine harte Nuss mit auf den Weg gegeben. Nach der Pressemitteilung kann man eigentlich dahinstehen lassen, ob die HI-Infektion als Behinderung anzusehen wäre (anders vielleicht als die Hepatitis oder Herpesinfektion). Denn das LAG hat in einer intellektuell wirklich scharfen Weise scheinbar darauf abgestellt, ob die angenommene Diskriminierungssituation wirklich eine „andere“ Behandlung des Betroffenen darstellt – verglichen mit (unterstellt) nicht behinderten Arbeitnehmern. Der Arbeitgeber schließt nämlich jede Person von der spezifischen Arbeit aus, die einen Infekt hat, ohne Rücksicht darauf, ob er die Qualität einer Behinderung hat. Übersetzt könnte man auch sagen: Der Laborrauswurf trifft behinderte und nichtbehinderte Mitarbeiter mit einer Infektion gleichermaßen.
Dann liegt auch keine Diskriminierung vor.
Ob das eine geniale Lösung ist und der Realität gerecht wird, soll nun natürlich noch Erfurt entscheiden.“

15.01.2012, 12:00: Arbeitsrechts-Experte Prof. Markus Stoffels von der Universität Osnabrück weist im ‚beck-blog‘ darauf hin, es sei

„nicht sicher, ob die bloße (symptomlose) HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG darstellt. Für eine ausgebrochene AIDS-Erkrankung wird man das wohl bejahen können. Das LAG lässt diese Frage sowie diejenige, ob der im Vergleich zu anderen erkrankten Arbeitnehmern ungleich behandelt worden ist, dahingestellt. Denn eine – einmal angenommene – Ungleichbehandlung des Arbeitnehmers sei wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt.“

Und Rechtsanwalt A. Martin weist in seinem Blog trotz der „Besonderheit des Falles“ darauf hin

„Zumindest ist eine Kündigung wegen HIV innerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (hier findet es aber wegen der Probezeit keine Anwendung) als personenbedingte Kündigung in der Regel nicht zulässig, da im Grunde von der HIV – Infektion kein Risiko für Dritte ausgeht und auch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht eingeschränkt ist.“

17.01.2012, 09:00: Juraforum zieht den ( verkürzten ? ) Schluss „Pharmaunternehmen müssen HIV-Infizierte Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen“.

18.01.2012, 09:00: haufe.de titelt zu dem Urteil „Kündigung von Assistent mit Aids-Infektion in der Probezeit = rechtens“, kommentiert dazu allerdings

„Die Frage, ob eine HIV-Infektion (ohne dass die Krankheit ausgebrochen ist) einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellen kann, hat das BAG bisher noch nicht entschieden. Dies wird man grundsätzlich verneinen müssen, es sei denn, aus der Tätigkeit des Arbeitnehmers ergibt sich – wie im obigen Fall – eine Gefahr der Infektion anderer Arbeitnehmer oder Dritter (z. B. HIV-infizierte Krankenschwester).“

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weitere Informationen:
Berliner Morgenpost 13.01.2012: Diskriminierung – Chemielaborant klagt gegen Entlassung wegen HIV
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Arbeistgericht Berlin 05.08.2011: Arbeitsgericht Berlin weist Klage gegen Kündigung wegen HIV-Infektion ab
Deutsche Aids-Hilfe 29.11.2011: Kündigung wegen HIV – Berliner Chemielaborant muss in der Berufung Recht bekommen!
Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG): Hintergrundinformationen Berufung Sebastian F. (pdf)
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Pressemitteilung Nr. 05/12 vom 13.01.2012 – „Kündigung eines Arbeitnehmers mit HIV-Infektion“
queer.de 13.01.2012: Urteil in Berlin: HIV-Infektion ist Kündigungsgrund
DAH 13.01.2012: Menschen mit HIV brauchen einen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung!
Reuter Arbeitsrecht 13.01.2012: HIV ist kein Kündigungsschutz
beck-blog Prof. Markus Stoffels 14.01.2012: Kündigung eines Arbeitnehmers mit HIV-Infektion
RA A. Martin 14.01.2012: LAG Berlin-Brandenburg: Kündigung wegen HIV-Infektion in Probezeit zulässig!
Juraforum 16.01.2012: Pharmaunternehmen müssen HIV-Infizierte Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen
haufe.de 17.01.2012: LAG-Urteil: Kündigung von Assistent mit Aids-Infektion in der Probezeit = rechtens
Financial Times 24.01.2012: Urteil der Woche: Kündigung wegen HIV-Infektion
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„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Am 1. Dezember 2011 lud der Senat der Freien und Hansestadt Hamburg in die Handelskammer Hamburg zum Welt-Aids-Tags-Empfang. Dieses Jahr war der Empfang dem Schwerpunkt-Thema „HIV und Arbeit“ gewidmet. Im Folgenden als Dokumentation die Ansprache von Rechtsanwalt Jacob Hösl, Köln:

„Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen“

Sehr geehrte Frau Senatorin Prüfer-Storcks,
sehr geehrter Herr Hanck, liebe Gaby Wirtz,
sehr geehrte Damen und Herren,

ganz herzlichen Dank für die Einladung zum Senatsempfang der Freien und Hansestadt Hamburg anlässlich des Welt-Aids-Tages 2011 und, was in diesem Jahr besonders bedeutsam ist, hier in der Handelskammer Hamburg. Ich habe noch nie anlässlich eines Welt-Aids-Tages eine Ansprache gehalten und betrachte dies somit auch als besondere Ehre. Eine Ansprache zum Anlass des Welt-Aids-Tages zum Thema HIV und Arbeit ist sehr zeitgemäß und ich hoffe, ich werde dem Thema gerecht.

Der Welt-Aids-Tag ist traditionell der Tag des Gedächtnisses an die an Aids Verstorbenen. Vielerorts wird dieser Tag mit Gedenkfeierlichkeiten begangen. Der Welt-Aids-Tag ist der Tag des Mitgefühls der Menschen hier in Deutschland und in der Welt mit den Menschen mit HIV und Aids. Die Menschen zeigen durch ihre Spenden an die verschiedensten Aids-Hilfe-Organisationen ihre Anteilnahme und Solidarität. Auch ich denke an diesem Tag – mehr als sonst – an meine verstorbenen Freunde, meine verstorbenen drei Mitbewohner in meiner früheren WG, und besonders an meinen besten Freund Claus Gillmann, der sich an einem wunderschönen sonnigen Augustmorgen 1994 von uns verabschiedet hat und der mir die Ehre hat zuteil werden lassen, diesen sich tief in meiner Erinnerung eingegrabenen intimsten Moment seines Lebens mit ihm teilen zu dürfen. Der Welt-Aids-Tag ist – jedenfalls bislang – der Tag des „Alten Aids“.

Der Welt-Aids-Tag ist Jahr für Jahr auch der Tag, an dem wir an diese Zeit durch Bilder erinnert werden.

Fast Jahr für Jahr sehen wir – nahezu gebetsmühlenartig – den Film „Philadelphia“ am 1.12. im Fernsehprogramm. Und: ich sehe ihn mir auch immer wieder an. So sehr ich versuche, mich gegen die durch die dramatische Inszenierung geschickt gesteuerten Emotionen zu wehren, so sehr haben sie immer wieder auch bei mir ihre Wirkung. Auch in mir werden die Bilder von damals wachgerufen. Sie bewegen und erschüttern mich alljährlich aufs Neue zutiefst. Gleichzeitig merke ich, so eigenartig das klingen mag, wie mich doch die Sehnsucht nach diesen Gefühlen der Intimität und Solidarität in der damaligen Schicksalsgemeinschaft nach wie vor in zahlreichen Momenten immer wieder einfängt. Und ich denke, dass dies auch seine Bedeutung hat und wir diese Emotionen nicht verleugnen sollten, denn sie sind ein wichtiger Motor für das was wir tun und sie zeigen uns ein Verständnis für unsere heutige Situation, die Schwierigkeiten beim Übergang zum „neuen Aids“.

Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich ausgerechnet diesen Film erwähne, der ja alles andere als unumstritten ist. Ich erwähne diesen Film, weil ich auf der UNAIDS-Konferenz zur Kriminalisierung der HIV-Exposition im August dieses Jahres den Rechtsanwalt und Professor Scott Burris aus Philadelphia kennen lernen durfte. Anlässlich eines abendlichen Hotel-Bar-Gesprächs stellte sich heraus, dass er seinerzeit der juristische Berater der Filmproduktion gewesen ist und er hat ein wenig hierüber erzählt. Es handelt sich nämlich neben dem Umstand, dass es ein „Tränen-Drama“ ist auch um einen Film über HIV und Arbeit und über HIV und Diskriminierung in der Arbeitswelt. Und dies zu der Zeit des „Alten Aids“. Er erzählte, dass damals das zentrale Anliegen der Produktion war, eine Antidiskriminierungsbotschaft zugunsten der Menschen mit HIV und Aids auszusenden. Eine Botschaft an die Gesellschaft, an uns, Menschen mit HIV nicht auszuschließen, und dass der geeignetste „Trägerstoff“ einer solchen Botschaft der Bereich „Arbeit“ war. Arbeit und Beschäftigung sind und waren schon immer die zentralen, die Existenz sichernden Bereiche unseres Zusammenlebens. Hier sollte es hin, hier sollte die Botschaft platziert werden. Im Kern der menschlichen Überlebensbedingung.
Am Ende des Films spricht die Jury des Gerichts gewissermaßen als Verkörperung von uns allen ihren Richtspruch, der nichts anderes sagt, als: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“ In diesem Bekenntnis liegt für mich die eigentliche – von dem Hollywood-Sentiment der Inszenierung etwas distanzierte – Aussage des Films.

Von den in Deutschland mit HIV lebenden Menschen befinden sich ca. 80 % in Beschäftigung und Arbeit. Dies ist ein durchaus zufriedenstellender Zahlen-Befund. Was ist es also, was uns beim Thema HIV und Arbeit umtreibt? Weshalb betrachten die Fachorganisationen dies als ein zentrales gesellschaftpolitisches Anliegen bei der Unterstützung von Menschen mit HIV in unserer Gesellschaft?

Vielleicht dienen ein paar wenige reale Geschichten, die ich nur beispielhaft anführen will, sich der Problematik von Menschen mit HIV im Arbeitsleben zu nähern.

Da ist zum Beispiel die des jungen Mannes, der als Late-Presenter schwer krank ins Krankenhaus kam, dann mehrere Monate krank war und darüber seinen alten Job verloren hatte. Als er nach einigen Monaten wieder gesund war, bewarb er sich für einen Büro-Job bei der GEZ, der Gebührenbeinzugszentrale des öffentlich-rechtlichen Fernsehens – dies sei betont. Im Zuge seiner HIV-bedingten Erkrankung hatte er den Schwerbehindertenstatus erlangt. Nach Unterschrift der Arbeitsverträge – man suchte als öffentlich-rechtlicher Arbeitgeber Schwerbehinderte – hierauf angesprochen, teilte der junge, selbstbewusste schwule Mann, der in der Zeit des „neuen Aids“ seine HIV-Infektion mit rationaler Gelassenheit trug, seinem zukünftigen Arbeitgeber mit, dass die Schwerbehinderung sich auf seine HIV-Infektion beziehe. Der junge Mann erhielt die Kündigung des Arbeitsvertrages in der Probezeit, noch bevor er überhaupt das erste Mal an seinem Schreibtisch saß. Später sagte er mir, dass er niemals mehr in seinem Leben an seinem Arbeitsplatz oder in einem Bewerbungsverfahren irgendjemandem von seiner HIV-Infektion etwas erzählen werde. Ich hatte auch das Gefühl, dass dieses Erlebnis nach langer Zeit schwerer und lebensbedrohlicher Krankheit ihr Übriges getan hat, um aus dem jungen heiteren Rheinländer einen tief verletzten Mann zu machen, der HIV in seiner ganzen gesundheitlichen und sozialen Brutalität innerhalb weniger Wochen hat kennen lernen müssen.

Die meisten der Beratungen, die ich in meiner beruflichen Praxis in diesem Zusammenhang durchführe, ranken sich um die Frage des Umgangs mit der HIV-Infektion im Arbeitsverhältnis, insbesondere bei der Bewerbung und betriebsärztlichen Untersuchung und der Verbeamtung.

Erst letzte Woche war ein junger Rettungsassistent mit seinem Freund bei mir, dessen existenzielles Anliegen es war, zu klären, ob der BG-Arzt, der die HIV-Infektion kurz zuvor diagnostizierte, diese seinem Arbeitgeber mitteilen würde bzw. ob dieser auf anderem Wege hiervon erfahren könnte. So existenziell dies für ihn war, so auffällig gelassen waren er und sein Freund im Umgang der HIV-Infektion selbst und beide sahen sehr klar die medizinischen Normalitäten bei HIV. Sie empfanden dieses Ereignis zwar als „ärgerlich“, weil es ein Sex-Unfall gewesen sein musste, aber keinesfalls als Weltuntergang. Allerdings wäre diese Information beim Arbeitgeber in den Augen beider sehr wohl ein „Weltuntergang“. Ich weiß aber auch von einem HIV-infizierten Chef einer Firma, dass er existenziell fürchtet, dass seine Mitarbeiter erfahren könnten, dass er HIV-positiv ist.

Natürlich höre ich auch immer wieder gute Geschichten. Tolle Erlebnisse der Solidarität von Arbeitgebern und Vorgesetzten. Dies hat auch sein Gewicht und bildet unsere Gesellschaft ebenso ab, wie die abschreckenden Geschichten und Alpträume für die Betroffenen. Der aus meiner Sicht bedeutendste Fall spielt in Süddeutschland, wo ein Unfall-Chirurg trotz HIV-Infektion und zusätzlich einer Hepatitis-C-Infektion weiterhin seinen Dienst versehen konnte. Unter Einbeziehung verschiedener Fachleute, so auch von Jens Jarke hier aus Hamburg, unter Beteiligung der örtlichen Gesundheitsbehörden und des Gesundheitsministeriums des Landes konnte erreicht werden, dass ein HIV- und HCV-positiver Arzt seinen Beruf weiter ausüben kann. Dies war möglich, weil rationale Betrachtung und Besonnenheit dazu geführt hat, dass alle Beteiligten Risiken für Patienten ausschließen konnten. Erwähnen muss man allerdings, dass der Betriebsarzt auf ausdrücklichen und inständigen Wunsch des Betreffenden in die Klärung nicht einbezogen wurde, weil er auf jeden Fall vermeiden wollte, dass sein Arbeitgeber oder auch nur irgendjemand am Arbeitsplatz hiervon erfährt.

Was haben aber diese Fälle gemeinsam? Es geht immer um Geheimnis und Heimlichkeit. Jeder Mensch, der HIV-infiziert ist, und im Arbeitsleben steht, setzt sich mit der Frage auseinander, ob er seine HIV-Infektion offenbaren muss oder kann und welche Folgen dies für ihn haben würde. Nahezu alle Menschen mit HIV gehen mit ihrer Infektion im Rahmen des Beschäftigungsverhältnisses als Geheimnis um.

Was HIV im Arbeitsleben so schwierig macht, wie natürlich in anderen Lebensbereichen auch, ist die diffuse irrationale Angst zu vieler Menschen vor einer HIV-Infektion – und allem Abgründigen, was man hiermit noch verbindet. Um diese Angst für sich greifbar zu machen, projezieren und personalisieren sie sie in Menschen mit HIV hinein. Dieser Bedrohung wollen sich HIV-Positive verständlicherweise nicht aussetzen. Gemessen an den vielen 1000 Beschäftigungsverhältnissen, in denen Menschen mit HIV arbeiten, gibt es natürlich nicht viele „Fälle“, wie ich sie oben beschrieben habe. Aber die wenigen bekannten Geschichten wirken neben zahlreichen anderen Faktoren, die das Leben von Menschen mit HIV erschweren, tief im Inneren aller Menschen mit HIV. Und natürlich spüren auch alle Menschen mit HIV, dass „die anderen Angst vor ihnen haben“. Sie können sich ja auch an ihre eigenen Ängste erinnern, bevor sie selbst infiziert waren.

Es scheint aber so, dass auch die anderen gar nichts hiervon wissen wollen, damit der Arbeitsalltag reibungslos und effizient funktioniert. Sanktioniert wird also derjenige, der ohne irgendeine Gefahr für Dritte darzustellen, die Unverfrorenheit besitzt, den anderen diese diffuse Angst vor Augen zu halten und sie damit in ihrer „heilen Welt“ zu „stören“.

Es verwundert also nicht, wenn in der Patientenzeitschaft HIV-Life der Fa. Abbot für Menschen mit HIV in einem Beitrag mit dem Titel: „Ganz schön knifflig – HIV am Arbeitsplatz aus Arbeitgebersicht“ im Ergebnis zwar Solidarität für Menschen mit HIV eingefordert wird, aber andererseits ausgiebig und ausschließlich die Problematik des offenen Umgangs mit der HIV-Infektion am Arbeitsplatz aus Sicht der Arbeitgeber betrachtet wird und für Verständnis des Arbeitgebers geworben wird, wenn er zwar kein Problem hat, jemanden mit HIV zu beschäftigen, aber es doch nicht sein müsse, das vor Kollegen oder – noch schlimmer – vor Kunden an die große Glocke zu hängen, weil die könnten ja schlecht informiert sein und dann Angst haben oder Kunden könnten gar weg bleiben.

Es ist schwierig, zu orten, was mich oder uns an diesen Geschichten irritiert und aufmerksam werden lässt. Ich muss kaum erwähnen, dass bis auf ganz wenige sehr spezielle Tätigkeiten HIV im Arbeitsleben völlig irrelevant ist. Man könnte sich begnügen mit der Aussage des Juristen, arbeitsrechtlich gelte für Menschen mit HIV nicht anderes als für die ohne HIV und dies könnte gerichtlich auch durchgesetzt werden. Ich könnte Ihnen sagen, dass gesundheitliche Probleme eines Mitarbeiters solange uninteressant für den Arbeitgeber zu bleiben haben, solange sie seine Leistungsfähigkeit nicht betreffen und andere nicht in Gefahr bringen. Ich könnte Ihnen auch sagen, dass der Arzt, der Untersuchungen im Zusammenhang mit dem Beschäftigungsverhältnis durchführt, sich bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit an der konkreten Ausübung des Beschäftigungsverhältnisses zu orientieren hat und dass er darüber hinaus auch gegenüber dem Arbeitgeber zur Verschwiegenheit verpflichtet ist.

Dies scheint mir allerdings nicht den Kern des Problems zu treffen. Das umso mehr, als ich mich des Eindrucks nicht erwehren kann, dass heute im Vergleich zu früher zur Zeit des „alten Aids“ Angst und die Abstoßung von Menschen mit HIV stärker ist als zuvor. Oder vielleicht bringen sie mich einfach nur mehr auf als früher, weil alles was wir über heute über HIV wissen, rechtfertigt Situationen und Gefühle, wie ich sie beschrieben habe unter keinem einzigen rationalen Gesichtspunkt.

Der Kern des Problems von Menschen mit HIV im Arbeitsleben liegt, so scheint es mir, in eben besagtem Geheimnis, das diese um ihre Infektion gleichsam machen müssen. Wer ein Geheimnis um etwas macht, was ihn betrifft und was für ihn gleichzeitig so lebenswichtig und existenziell ist, fürchtet also, wie gesehen, berechtigterweise Nachteile, wenn er dies offenbart. Dieser Befund, der möglicherweise etwas banal daherkommt, hat indes eine bedeutsame Dimension, wenn es um HIV geht. Nicht nur, dass Menschen mit HIV ab dem Zeitpunkt, ab dem sie ihre Infektion kennen, von vormals offenen und aufrichtigen Menschen gleichsam in einer existenziellen Notlage zu lebenslangen „Lügnern“ werden müssen, die sie zuvor nie waren und auch nie sein wollten. Und fast noch beunruhigender erscheint mir, dass wir in dieser Gesellschaft sogar wünschen, dass sie Lügner und Geheimnisträger bleiben. Wir scheinen uns nicht mit diffusen – real nicht existierenden – Gefahren auseinandersetzen zu wollen und stoßen diejenigen ab, die uns mit unserer Angst konfrontieren. Und, was es besonders schlimm macht, richtet sich dies gegen Menschen, mit denen wir zusammen leben.

Neben den Einschränkungen in der Sexualität, die bei HIV natürlich augenfällig sind, besteht gerade in der gesellschaftlich und vor allem im Arbeitsleben erforderlichen „Diskretion“ und ständigen Achtsamkeit, das Geheimnis nicht lüften zu müssen oder von dritter Seite nicht lüften zu lassen, die nahezu neurotische Lebenssituation, in der sich Menschen mit HIV fortwährend befinden. Das ist weder ein guter Zustand für die Menschen mit HIV, sondern auch nicht gut für den Zustand unserer zivilen und eigentlich aufgeklärten Gesellschaft.

Es war auch kein gutes Zeichen, als die Bundesregierung, obwohl ihr eigenes Gesundheitsministerium befürwortete, die HIV-Infektion als Diskriminierungsmerkmal in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen, hier keinen Handlungsbedarf sah. Es wird dem deklaratorischen Charakter gerade dieses Gesetzes nicht gerecht, wenn Menschen mit HIV, die zu denjenigen gehören, vor denen die Allgemeinbevölkerung am meisten Angst hat und sich ihnen gegenüber das meiste herausnimmt, nicht unter den Schutz dieses Gesetzes gestellt werden.

Hilfreich ist, dass nunmehr, nach gut 25 Jahren HIV und Aids, sich die medizinischen Aids-Fachorganisationen und der Nationale Aids-Beirat entschlossen haben, sich fachlich zu HIV im Arbeitsleben in medizinischen Empfehlungen zu äußern. Ich hoffe, dies wird Menschen mit HIV helfen, sich selbstbewusster gegen irrationale und ablehnende Haltungen in ihrem Arbeitsumfeld zur Wehr zu setzen. Außerdem müssten wir die Arbeitsrichter entsprechend weiterbilden, damit in Entscheidungen, wie erst jüngst beim Arbeitsgericht Berlin, sich ein Arbeitgeber bei einer Kündigung nicht mehr erfolgreich auf ein diffuses Restrisiko berufen kann, das sich weltweit noch nie verwirklicht hat und deshalb in Wahrheit gar nicht existiert.

Wir sind in den letzten 25 Jahren medizinisch im Bereich HIV sehr weit gekommen. Menschen mit HIV können ein nahezu beschwerdefreies Leben führen und erreichen nach heutigen Erkenntnissen wohl ein nahezu normales Lebensalter. Das bedeutet aber auch, dass alle diese Menschen, wie alle anderen Menschen auch, ein normales Arbeitsleben bis zum gesetzlichen Rentenalter oder möglicherweise darüber hinaus, haben werden und auch haben müssen, denn natürlich müssen auch Menschen mit HIV, wie auch alle anderen, arbeiten und ihren Lebensunterhalt verdienen. Das ist eine lange, und für Menschen mit HIV auch eine wegen des Geheimnisses, das sie hüten müssen, dauerhaft schwierige Zeit.

Solange dies so ist und solange wir solche Fälle wie ich sie beschrieben habe, immer wieder und auch heute noch erleben müssen, solange haben wir die Aids-Krise, wenn auch heute medizinisch „gut im Griff“, alles andere als überwunden. Ich wünsche mir eine durch Handlungen begründete Erneuerung des Bekenntnisses: „Menschen mit HIV, Menschen mit Aids, gehören zu uns. Wir alle schützen sie und wir sorgen dafür, dass sie arbeiten und somit leben können!“

Lassen Sie mich zum Abschluss noch eine kleine Geschichte erzählen: Mir erzählte neulich jemand von einer Begebenheit in der Universitätsklinik, wo er behandelt wurde. Er hatte ein wahrscheinlich mit seiner HIV-Infektion zusammenhängendes Non-Hodgkin-Lymphom, eine Art Lymphdrüsenkrebs, das sich durch eine ganz beträchtliche Lymphknotenschwellung in der Achsel sogar äußerlich zeigte. Bei der Voruntersuchung zur Entnahme einer Gewebeprobe in der Achsel trug ein junger Arzt in der Facharztausbildung zum Chirurgen doppelte Gummihandschuhe. Ich betone, es ging ausschließlich um das äußere Abtasten der Schwellung. Der Patient wies sodann den Oberarzt darauf hin, er möge seinem jungen Kollegen doch bitte erläutern, dass er sich beim äußeren Abtasten einer Schwellung unter keinen erdenklichen Gesichtspunkten mit HIV infizieren könne und es hätte doch zu hygienischen Zwecken weiß Gott gereicht, ein einfaches Paar Handschuhe zu tragen. Dieser hielt dem Patienten entgegen, er müsse doch für die Ängste seiner jungen Kollegen Verständnis haben. Hierauf erwiderte der Patient, nein, das habe er nicht und das wolle er auch nicht mehr. Er wolle nicht mehr, nur weil er selbst HIV-infiziert ist, Verständnis für die irrationalen und unbegründeten Ängste aller Anderen haben. Er sei es leid. Es sei deren Aufgabe, sich damit zu beschäftigen.

Meine Damen und Herren, er hat recht. Menschen mit HIV dürfen nicht haftbar gemacht werden für die Ängste der nicht Betroffenen. Unabhängig von HIV dürfen Kranke nicht verantwortlich gemacht werden für die unbegründete Furcht der Gesunden. Eigentlich, so meine ich, müssten wir diesen Gesellschaftzustand überwunden haben.

Denn, meine sehr verehrten Damen und Herren, mich beunruhigt eines wirklich sehr: Wenn HIV und Aids eines Tages kein medizinisches Problem mehr sein werden, die Zeit in der wir heute leben als diejenige gelten wird, in der die aufgeklärte und zivile Gesellschaft von den Menschen mit HIV beschämt wurde.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Großbritannien: bald Aufhebung der Einschränkungen für HIV-positive Beschäftigte im Gesundheitswesen ?

Die britische Regierung überlegt, bisher bestehende Beschränkungen für HIV-positive Beschäftigte im Gesundheitswesen aufzuheben, sofern die Viruslast unter der Nachweisgrenze ist.

Das britische Gesundheitsministerium hat Beratungen darüber eröffnet, ob es bisher bestehende Regelungen für die Beschäftigung HIV-Positiver ändern soll. Derzeit dürfen HIV-Positive bestimmte („expositionsträchtige“) Tätigkeiten in der Chirurgie, in der Zahnmedizin sowie in der Gynäkologie nicht durchführen. Dies führt dazu, dass einige Berufe derzeit für HIV-Positive in Großbritannien de facto unerreichbar sind.

Dieses Verbot könnte, so ein nun zur Diskussion gestellter Vorschlag, aufgehoben werden. HIV-Positive könnten dann in Großbritannien im National Health Service ohne diese bisherigen Beschränkungen arbeiten, sofern sie antiretrovirale Therapie erhalten und die Viruslast bei ihnen unter 200 Kopien liegt.

Der nun begonnene Konsultations-Prozess soll bis zum 9. März 2012 dauern. Vom Ausgang dieser Diskussionen hängt mit ab, ob der Vorschlag umgesetzt und die bisherigen Beschränkungen abgeschafft bzw. modifiziert werden.

Nur wenige Staaten haben derzeit eine dermaßen restriktive Politik für HIV-Positive im Gesundheitswesen wie Großbritannien (unter anderem Irland, Italien und Australien). In zahlreichen Staaten wird statt starrer allgemeiner Regelungen eher fallweise entschieden; dies ist z.B. in Frankreich und Österreich derzeit der Fall.

Experten fordern auch in Deutschland seit einiger Zeit eine Anpassung an die veränderte Situation aufgrund hochwirksamer Therapien und rufen nach mehr Normalität: „HIV und Arbeit: Normalität auch im Gesundheitswesen„. Die Deutsche Aids-Gesellschaft DAIG arbeitet allerdings einem Bericht des Ärztezeitung zufolge in Abstimmung mit anderen virologischen Fachgesellschaften bereits an einer Stellungnahme, die sich mit der Frage HIV-Infizierter im Gesundheitswesen beschäftigt.

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weitere Informationen:
aidsmap 01.12.2011: UK considering lifting restrictions on health workers with HIV – as long as viral load is undetectable
aidsmap Informationen zu der derzeit geltenden Regelung für HIV-positive Beschäftigte im britischen Gesundheitswesen
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