HIV Zwangstest in Sachsen-Anhalt – bald Realität, falls die geplante Novellierung des Landesssicherheitsgesetzes unverändert umgesetzt wird? Wie stehen die im Landtag von Sachsen-Anhalt vertretenen Parteien dazu?
Aktualisiert mit Stellungnahme der CDU-Fraktion
Das Innenministerium Sachsen-Anhalt plant derzeit, das ‘Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung’ Sachsen-Anhalt (SOG LSA) zu novellieren. Mit einer hierin enthaltenen Ergänzung des §41 würde auch die Möglichkeit zum HIV Zwangstest (sowie auf Hepatitis B oder Hepatitis C) geschaffen, wenn der Verdacht besteht dass eine Person eine dieser Infektionen hat (siehe ondamaris 13.07.2012: Bald HIV Zwangstest in Sachsen-Anhalt möglich?). Nach erster Lesung im Landtag von Sachsen-Anhalt wird die Novellierung nun im Innenausschuß weiter behandelt (u.a. Anhörung am 29.11.2012).
Die Deutsche Aids-Hilfe hatte in einer Stellungnahme betont, HIV-Test müssen freiwillig bleiben. Das geplante Gesetz setze Grundrechte außer Kraft. Die Entscheidung über einen HIV-Test müsse ausschließlich beim Individuum liegen.
Das Gesundheitsministerium Sachsen-Anhalt reagierte auf die Kritik am HIV Zwangstest mit Unverständnis. „Die angestrebte Neuregelung gilt dem Gesundheitsschutz. Hier wird nicht willkürlich agiert, die rechtlichen Rahmenbedingungen sind konkret beschrieben“, bemerkte Holger Paech, Sprecher des Gesundheitsministeriums, gegenüber der Presse. Die geplante Nezuregelung gelte dem Gesundheitsschutz.
Wie stehen das Innenministerium und die Fraktionen der im Landtag von Sachsen-Anhalt vertretenen Parteien hierzu? Halten sie die geplanten Änderungen für angemessen, oder sehen sie Änderungsbedarf? Halten Sie die Möglichkeit einer Anordnung von HIV-Tests ohne vorherige Information, Beratung und Einwilligung des Betreffenden für erforderlich? Worin sehen Sie das besondere Gefährdungspotential, das die erwogenen Eingriffe / Zwangstests erforderlich macht? Und wird die jeweilige Fraktion Schritte unternehmen, um die Einschränkung von Menschen- und Bürgerrechten von einer HIV-Infektion verdächtigten Menschen zu beenden?
ondamaris hat am 14. Juli 2012 (und danach wiederholt) nachgefragt – hier die bisher eingegangenen Antworten (weitere Reaktionen werden aktualisiert nachgetragen):
Innenministerium von Sachsen-Anhalt: HIV-Test ohne Information, Beratung, Einwilligung
Das Innenministerium Sachsen-Anhalt hatte gegenüber ondamaris bestätigt, dass der HIV-Zwangstest der geplanten Novellierung zufolge in bestimmten Fällen auch ohne richterliche Anordnung möglich sein soll. „Die körperliche Untersuchung darf – außer bei Gefahr im Verzuge – nur durch einen Richter angeordnet werden.“ Die Möglichkeit der ‚körperlichen Untersuchung‘ solle der „Polizei des Landes Sachsen-Anhalt“ eingeräumt werden (andere Behörden wurden nicht genannt). Eine vorherige Information, Beratung oder Einwilligung des Betroffenen sei nicht vorgesehen.
CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Das Sekretariat des Vorsitzenden der CDU-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt verwies auf die Parlamentspause, nach deren Beendigung eine Antwort erfolge inzwischen erfolgte:
Jens Kolze, Vorsitzender der Arbeitsgruppe für Inneres der CDU-Landtagsfraktion, betonte in einer Stellungnahme gegenüber ondamaris am 14.8.2012, die Polizei solle
„die Möglichkeit erhalten, eine Blutentnahme oder andere geeignete körperliche Untersuchungen auch gegen den Willen des Verursachers zu veranlassen, wenn dies zur Abwehr einer Gefahr für Leib oder Leben eines Dritten erforderlich ist.
Eine solche Regelung wird von der CDU-Fraktion ausdrücklich begrüßt und gewünscht. Wir halten es nicht für hinnehmbar, dass unter anderem auch ein Vergewaltigungsopfer, das möglicherweise infektiösen Körperflüssigkeiten des Täters ausgesetzt war, eine Einwilligung des Täters für seine körperliche Untersuchung einholen muss, um Risiken für die Gesundheit des Opfers abzuklären.“
Der Eingriff in die Grundrechte sei verhältnismäßig:
„Die Kenntnis über eine bestehende Infektion beim Verursacher bringt für die weitere Behandlung des Betroffenen erhebliche Vorteile und vermeidet unnötige Gesundheitsbelastungen und -risiken beim Betroffenen. Angesichts dieser Vorteile sind die mit körperlicher Untersuchung, Blutentnahme und -untersuchung und Weitergabe der Befunde verbundenen Eingriffe in die Grundrechte des Verursachers auf körperliche Unversehrtheit und informationelle Selbstbestimmung verhältnismäßig. Die Interessen der von dieser Ermächtigung betroffenen Person werden hinreichend durch den Richtervorbehalt, durch die Einbeziehung von Ärzten, durch die Normierung von Verwendungsverboten, durch eine zu veranlassende Löschung der Untersuchungsdaten und durch das Recht des Betroffenen auf Nichtwissen der Ergebnisse der Untersuchung geschützt.“
Opferschutz müsse Vorrang haben vor Täterschutz, so Kolze:
„Unserer Auffassung nach gebietet die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes vordergründig einen Schutz des Opfers von Straftaten. Der Schutz und die Not der Opfer und die ihnen zu Teil werdende Hilfe haben Vorrang vor dem Schutz der Täter. Der Opferschutz erfasst dabei auch präventive Maßnahmen.“
Die Linke Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt
Die innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Landtag von Sachsen-Anhalt, Gudrun Tiedge betont, sie stelle sich zunächst die Frage „warum nunmehr diese Veränderung ins Gesetz aufgenommen werden muss„. Eine plausible Begründung für die geplante Änderung sei nicht ersichtlich, auch nicht in der Gesetzesbegründung.
Sie frage sich, wie die geplante Änderung in der Praxis umgesetzt werden solle, insbesondere woran ein Polizeibeamter den Verdacht festmachen wolle, dass eine Persion mit HIV infiziert sei. „Werden da wieder alte Vorurteile und Verunglimpfungen bedient?“
Dass ein HIV Zwangstest auch ohne richterliche Anordnung möglich sein sollen, sei nicht hinnehmbar, so Tiedge. „Jeder Eingriff in Grundrechte darf nur mit richterlicher Anordnung passieren, und das nach Information und Beratung des Betroffenen.“
Die Fraktion teile die „Grundintentionen“ des Offenen Briefes der Aids-Hilfe Sachsen-Anhalt.
SPD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt
Die Geschäftsstelle der SPD-Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt teilte mit „Wir haben Ihr Anliegen an den hier zuständigen Arbeitskreis mit der Bitte um Bearbeitung weitergeleitet und werden auf Ihr Anliegen zurückkommen.“ Dies werde im September geschehen.
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Bündnis 90 Die Grünen Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt
Der Pressesprecher der Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt von Bündnis 90 Die Grünen verweist zunächst auf die Pressemitteilung der Fraktion zur SOG-Novellierung (vom 13.7.2012), derzufolge die Fraktion den Entwurf für „indiskutabel“ hält. „Die Landesregierung unterlässt es in ihrem Gesetzentwurf darzulegen, auf welche neuen Gefahrenlagen sie konkret mit dem Gesetz reagiert und wie die Eingriffe tatsächlich helfen sollen, die Sicherheit von Bürgerinnen und Bürgern zu verbessern. Die Regierungskoalition aus CDU und SPD entkernt mit ihrem Gesetzentwurf die Bürgerrechte. Sie opfert die Freiheit auf dem Götzenaltar vermeintlicher Sicherheit.“ Auf das Thema HIV-Tests geht die Pressemitteilung nicht ein.
Der innenpolitischen Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, Sebastian Striegel, betont gegenüber ondamaris, die Fraktion lehne den Entwurf insgesamt ab, da sie in ihm eine „massive Entkernung von Bürger- und Freiheitsrechten“ sehe. In diesem Zusammenhhang werde auch die Novelle des §41 Abs. 6 (‚Zwangstests‘) abgelehnt. Striegel: „Wir sehen darin eine Stigmatisierung von Personengruppen, die auch nicht durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gedeckt ist. Vielmehr werden so irrationale Ängste geschürt.“ Die Landesregierung habe eine Erforderlichkeit einer Neuregelung in keiner Weise belegt.
Die Grünen halten, so Striegel, eine Schulung der Beamten für sinnvoller, „um schon durch ihre eigene Handlungsweise eine Infektion vermeiden zu können„.
Striegler betont zur geplanten Novelle und den HIV-Zwangstests: „Der Gewinn an Sicherheit, den die Einführung eines HIV-Zwangstest im Entwurf des SOG suggeriert, ist rein theoretischer Natur und steht nicht im Verhältnis zum Grundrechtsschutz auf körperlicher Unversehrtheit.“
In den weiteren parlamentarischen Behandlungen der Novelle würden die Grünen auf Entschärfungen, u.a. auch des §41 (6) drängen. Einer weiteren Entkernung von Bürgerrechten werde man nicht zustimmen.
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