Betreuung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis: Faltblatt der BÄK

Eine Person ohne legalen Aufenthaltsstatus benötigt medizinische Behandlung oder Betreuung – immer wieder führt diese Situation zu Fragen und Problemen, auch bei HIV-positiven Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus.

Ein 8-seitiges Infoblatt der Bundesärztekammer BÄK betont die Verpflichtung, jeden Menschen medizinisch zu behandeln, und gibt Ärztinnen und Ärzten Informationen zu praktischen Problemen wie juristischer Situation oder Abrechnung.

„Ärzte haben die Pflicht, einem Patienten unabhängig von seinem zivilen oder politischen Status angemessene medizinische Versorgung zukommen zu lassen, und Regierungen dürfen weder das Recht des Patienten auf eine derartige Versorgung, noch die Pflicht des Arztes zur Behandlung allein auf der Grundlage des klinischen Bedarfs einschränken.“
WMA Resolution on Medical Care for Refugees and Internally Displaced Persons – beschlossen von der Generalversammlung des Weltärztebundes, Oktober 1998 / 2008 / 2010

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Bundesärztekammer: Patientinnen und ­ Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in ­Krankenhaus und Praxis (pdf)

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Danke an Dirk für den Hinweis!

Schweiz: Zugang von Sans Papier zur Gesundheitsversorgung ist eine Notwendigkeit!

Ab Oktober wird in England der Zugang zur HIV-Therapie kostenlos für Sans Papiers. Gesundheitsexperten rechtfertigen diesen Entschluss mit Vorteilen der öffentlichen Gesundheit. In der Schweiz unterstehen Sans Papier dem Krankenversicherungsobligatorium. Wie ein Bericht des Bundesrates nun aber festhält, gibt es Probleme.

Da Sans Papiers dem in der Schweiz geltenden Obligatorium des Krankenversicherungsschutzes unterstehen, haben auch sie Zugang zur Schweizerischen Gesundheitsversorgung und somit zu HIV-Therapien. Erhebungen deuten aber darauf hin, dass ein grosser Teil der Sans Papiers über keinen Versicherungsschutz verfügt. Dies stellt nun auch ein Bericht des Bundesrates fest. Hauptgrund für die fehlende Krankenversicherung ist neben fehlender finanzieller Mittel zur Bezahlung der Prämien die Angst vor Entdeckung des illegalen Aufenthalts.

Die Konsequenzen für die öffentliche Gesundheit sind klar: Arztbesuche werden aufgeschoben, bis sie aus gesundheitlichen Gründen unumgänglich sind und aufwändige Behandlungen nach sich ziehen. Das ist sowohl für die betroffenen Personen wie für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung vor übertragbaren Krankheiten wie HIV oder TB bedeutsam.

Diese Diskrepanz zwischen gesetzlichem Anspruch und Realität hat der Bundesrat in seinem Bericht erkannt und fordert unter anderem, dass der Grad der Versicherungsdeckung von Sans Papiers erhöht und dass Sans Papiers und andere Versicherte durch die Krankenversicherer gleichbehandelt werden. Die Aids-Hilfe Schweiz begrüsst das Engagement des Bundesrates und fordert nun Massnahmen.

In einem wegweisenden Entscheid hat die englische Regierung diesen Schritt unternommen: Ab Oktober erhalten Sans Papiers kostenlosen Zugang zu HIV-Therapien. Im Unterschied zum Schweizerischen System müssen Versicherte in England keine Prämien bezahlen. Die Präsidentin der Aids-Hilfe Schweiz und Nationalrätin Doris Fiala ist letzte Woche als Berichterstatterin in der Kommission Migration und Flüchtlingswesen des Europarates gewählt worden und wird in ihrer Funktion einen Bericht zur Situation von HIV und Migranten in Europa erstellen. HIV und Migration sind Themen, die die europäische Gemeinschaft gemeinsam anpacken müssen.

(Medienmitteilung der Aids-Hilfe Schweiz)

Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 1

Zum inzwischen ja sattsam abgefeierten dreißigjährigen Jubiläum von HIV und Aids gibt es von Bernd Aretz noch im Nachhinein einen Text aus dem Frühjahr 2007, also etwa ein Jahr vor der EKAF Erklärung über die Nichtinfektiösität der gut therapierten HIV-Infizierten. In diesem Rücklick anläßlich des 20 jährigen Jubiläums der Marburger Aidshilfe gibt er einen sehr persönlichen Eindruck von dem Leben als positiver schwuler Mann in der Provinz und der Bedeutung der Aidshilfe Marburg, für ihn.Der Text war dann für die Festbroschüre gar zu opulent, so dass er hier erstmalig in voller Länge veröffentlicht wird. Die Aidshilfe ist inzwischen fünf Jahre älter. Schenken wir also die Veröffentlichung der Aidshilfe Marburg zum Fünfungzwanzigsten (in zwei Teilen, Teil 1 heute, Teil 2 am 5.9.2012):

Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe

Fünf mal Pommes rot/weiß war die Standardbestellung in der Gerichtsschänke gegenüber der Profamilia, wenn das Team der Aidshilfe nach getaner Beratung sich zum Diskutieren und Pläneschmieden am großen Tisch versammelte. Die Köpfe rauchten, die Aschenbecher quollen über, man bediente sich großzügig am immer wieder nachbestellten Standardgericht der Gruppe. Derweil wurden die Aktionen geplant. Das Klima war grauenhaft. Die Liste der anzugehenden Aufgaben lang. Prof. Krause von der Hautklinik bestritt, dass Marburg ein Problem mit HIV und Aids habe, im übrigen könnten die Patienten, die man ohnehin am liebsten von hinten sehe, doch nach Frankfurt gehen, da seien sie doch gut aufgehoben. Eine Aids-Hilfe brauche man hier wirklich nicht. Das war 1987. Da war ein kleiner Kreis um Uta Bednarz, Cristoph Gutenbrunner, Harald Jaekel und Behruz Foroutan schon seit drei Jahren beratend zu Gange gewesen. Ich hatte schon 1984 auf der Aids-Station 68 in Frankfurt die Testamente zweier sterbender Marburger Männer beurkundet. Das war zwar standesrechtlich nicht zulässig, weil ich dazu meinen Amtsbezirk verlassen musste, aber der Klinik war es nicht gelungen, in Frankfurt einen Notar zu finden, der sich ganz kurzfristig dieser Aufgabe gestellt hätte. Meine Dienstaufsicht hat auf meine sofort erfolgte Selbstanzeige das Verfahren gleich eingestellt. Im Klinikum wurde heimlich getestet und der einzige, der dort das Fähnlein einer vorurteilsfreien Lehre aufrecht hielt, war der Psychosomatiker Wolfram Schüffel, der einmal im Semester HIV und ethische Fragen auf dem Lehrplan hatte und dazu – auch betroffene – ExpertInnen von außen zum vortragen einlud.

Der Test war heiß umstritten, die deutsche Aids-Hilfe lehnte ihn, ab, die Marburger und Frankfurter boten ihn an. Harald Jaekel verfasste im Juni 1987 ein Papier „Kann die Mitgliedschaft regionaler Aids-Hilfen in der Deutschen Aids-Hilfe von einer strikten Ablehnung des HIV Tests abhängig gemacht werden?“ Er bestand auf dem Recht auf Wissen, auch wenn es noch keine therapeutischen Interventionsmöglichkeiten gab, und fand es unethisch, wie die meisten Mitarbeiter von Aids-Hilfen bundesweit, zwar selbst gestestet zu sein, Ratsuchenden dieses Recht übervorsorglich aber abzusprechen.

Die schwule Szene war ein zu bearbeitendes Feld. Erwünscht war da in Marburg die Aids-Hilfe nicht. Man könne doch den Kindern im Coming out, deren Leben ohnehin schwer genug sei, nicht auch noch die Angst vor HIV aufladen. Widerstand erregte der Plan, sich mit einem Button „Aids-Hilfe Marburg“ unter das feiernde Volk zu mischen und sich so als Anzusprechender anzubieten. Die Veranstalter, die mich als Redner zu einer schwulen Demo in Marburg eingeladen hatten, versuchten vergeblich, mir HIV und Aids als Thema auszureden.

Ganze Bevölkerungsgruppen waren abgeschrieben. Die repressive Drogenpolitik war offensichtlich gescheitert und forderte täglich mehrere Opfer in der Bundesrepublik. Alles was man zur Entschärfung der Situation forderte, nämlich saubere Spritzen, Methadon, Notschlafplätze, Anlaufstellen, Druckräume und – damals eigentlich noch völlig undenkbar – Originalstoffvergabe, insgesamt eine die Menschen akzeptierende Politik war dem Vorwurf ausgesetzt, wir bestärkten die Menschen in ihrer Abhängigkeit. Lange mussten sich Abhängige erst eine HIV-Infektion zuziehen, um sich die Gnade zu erkaufen, die Aufnahmekriterien für ein Substitutionsprogramm zu erfüllen. Und auf Gegenliebe für eine rationale Drogenpolitik konnte man bei dem zuständigen Vertreter der Marburger Staatsanwaltschaft wahrlich nicht hoffen. Er sah es nicht als sein Recht, schon gar nicht als seine Pflicht an, seine Stimme gegen die verfehlte Repressionspolitik zu erheben. In unseligster Tradition ging er davon aus, er habe die Gesetze anzuwenden und nicht zu beurteilen. Kein Wort von ihm zu dem Skandal, dass trotz bekannten Drogengebrauchs in den Vollzugsanstalten abhängige Gefangene keinen Zugang zu sauberen Spritzbestecken haben. Dazu gehört dann, bei jeder neuen Statistik des Robert Koch Institutes Tränen zu vergießen und Unverständnis dafür zu heucheln, dass immer noch Infektionen stattfinden. Im Drogenbereich ist eine Teilerklärung dafür ganz einfach. Der Staat schafft in den Vollzugsbedingungen für abhängige Gefangene eine Situation, in der sie sich infizieren müssen, auch mit Hepatitis C.

Für Migranten gab es nichts und die Unterstützung der dritten Welt – und sei es nur durch die Skandalisierung von Zuständen – war nun auch nicht jedermanns Anliegen. Aber die Aidshilfe war mittendrin im Thema.

Broschüren in persisch und türkisch und japanisch wurden von den Marburgern erstellt, die Zusammenarbeit mit der Blindenstudienanstalt, mit der Interessensgemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen gesucht, die ganzen Netzwerke der Stadt immer wieder aktiviert und umgekehrt solidarisch unterstützt. Bundesweit wird es erst jetzt wieder Thema, wie man denn Migranten muttersprachliche Informationsbroschüren zukommen lassen kann. Eine einzelne Aids-Hilfe ist damit überfordert, es wird aber zurzeit gibt es Anstrengungen, eine vernünftige Linkliste zum Download zu erstellen. In der alltäglichen Betreuungsarbeit begegnet Aids-Hilfe inzwischen ohnehin Menschen aus allen Kontinenten.

Die Situation infizierter Frauen wollte bedacht sein. Infizierte Frauen wurden ungeniert zur Abtreibung gedrängt, die Perspektive von infizierten Müttern, die erleben, dass ihre Kinder erwachsen werden, war noch undenkbar. Heute liegt die Übertragungsrate während der Geburt von Müttern auf ihre Kinder in Deutschland unter zwei Prozent. Und wir freuen uns, dass eine unserer früh infizierten Frauen inzwischen gewollt und bewusst Mutter geworden ist.

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(Bernd Aretz: ‚Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 2‘ erscheint am 5.9.2012)

GNP+: Griechische Polizei und Gesundheitsbehörden verletzen Menschenrechte und medizinische Vertraulichkeit

Als Teil eines von der Regierung autorisierten Vorgehens gegen Hunderte von nicht lizenzierten Bordellen in ganz Griechenland sind Prostituierte verhaftet und gezwungen worden zu HIV-Tests, und sehen sich nun Strafanzeigen ohne Rückgriff auf ein ordnungsgemäßes Verfahren ausgesetzt, zudem wurden sie öffentlich in den Medien identifiziert.

Als Ergebnis dieser Maßnahmen werden Frauen angeklagt unter dem Vorwurf vorsätzlicher schwerer oder gefährlicher Körperverletzung, nur weil sie HIV-positiv sind. Es gibt keinen Beweis für Gefährdung oder Übertragung auf andere, noch ist es klar, ob auch nur eine dieser Frauen ihren HIV-Status vor diesem Test kannte. Sie stehen vor weiteren Anklagen für Vergehen im Zusammenhang mit angeblicher illegaler Prostitution.

Diese Aktionen der griechischen Polizei und des Ministeriums für Gesundheit und KEELPNO [1] verletzen die grundlegenden Menschenrechte. Sie stehen auch im Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien der öffentlichen Gesundheit der informierten Zustimmung und des freiwilligen Zugangs zu Dienstleistungen.

Wir schließen uns der UNAIDS-Presseerklärung und dem offenen Brief der EATG an in ihre Forderung an die griechischen Behörden, ihre Maßnahmen im Hinblick auf evidenzbasierte Programme zu überprüfen und ein günstiges rechtliches Umfeld zu schaffen, das für alle Menschen einschließlich SexarbeiterInnen und ihre Kunden, Menschen, die Drogen nehmen, Migranten und Asylbewerber den Zugriff auf freiwillige und vertrauliche HIV-Prävention, Behandlung, Pflege und Support-Services ermöglicht, so dass sie HIV-Infektionen vermeiden können oder ein gesünderes Leben führen können, falls sie HIV-positiv sind.

Das Global Network of Sex Work Projects (NSWP) hat sich für die Achtung der Rechte von Frauen, Männer und Transgender SexarbeiterInnen seit 1992 eingesetzt, darunter gegen die obligatorische Registrierung und Prüfung von Sexarbeiterinnen. „Wir fordern, dass die griechische Regierung die nicht gerechtfertigte Verfolgung dieser Frauen stoppt und das erzwungene Testen von Sexarbeiterinnen beendet, die aufgrund des Vorwurfs der Sexarbeit verhaftet wurden“, sagt Ruth Morgan Thomas, Global Coordinator von NSWP. „Es ist Zeit, derartige diskriminierende Strafverfolgung und medizinische Verhaltensweise, welche die grundlegenden Menschenrechte von SexarbeiterInnen verletzen, zu beenden.“

GNP + hat seit langem für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte aller Menschen mit HIV und die Beseitigung von rechtlichen und politischen Hindernisse für die HIV-Pflege befürwortet. „Solche diskriminierenden Anwendung des Strafrechts und der Polizeibehörde sind kontraproduktiv und ineffizient für die HIV-Prävention und stigmatisiert zusätzlich eine bereits marginalisierte Gruppe“, sagt Kevin Moody, GNP + Internationaler Koordinator und CEO. „Wir fordern für die griechische Regierung und die Polizeibehörden, die obligatorische HIV-Tests und die Verletzung der Geheimhaltungspflicht zu stoppen und wirksamere Maßnahmen zu erwägen, um die Gesundheit, Würde und das Wohlbefinden von Menschen mit HIV zu fördern.“

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[Presseerklärung von GNP+ und NSWP; Übersetzung ondamaris; Original-Text siehe unten]

siehe auch:
ondamaris 08.05.2012: Griechenland: HIV-Zwangstests bei Prostituierten

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Violation of human rights and breaches of medical confidentiality by the Greek Police and Health Authorities

The Global Network of People living with HIV (GNP+) and the Global Network of Sex Work Projects (NSWP)

As part of a Government authorised crackdown on hundreds of unlicensed brothels around Greece, sex workers are being arrested, submitted to forced HIV testing and facing criminal charges without recourse to due process, as well as being publically identified in the media.

As a result of these actions women are to face prosecution on charges of intentionally causing grievous bodily harm merely because they are HIV positive. There is no proof of exposure or transmission to others nor is it clear that any of these women knew their HIV status prior to this test. They are facing further charges for misdemeanours related to alleged illegal prostitution.

These actions of the Greek Police and the Ministry of Health and KEELPNO[1]violate fundamental human rights. They also contravene fundamental public health principles of informed consent and voluntary access to services.

We join UNAIDS (press statement) and others (EATG open letter ) in urging the Greek authorities to review their actions with a view to adopting evidence-based programmes and an enabling legal environment that supports all people—including sex workers and their clients, people who use drugs, migrants and asylum-seekers—to access voluntary and confidential HIV prevention, treatment, care and support services so that they can avoid HIV infection or live a healthier life if HIV-positive.

The Global Network of Sex Work Projects (NSWP) has campaigned for the respect of female, male and transgender sex workers rights since 1992, including opposing the mandatory registration and testing of sex workers. /“We demand that the Greek government stop the unjust prosecution of these women and end the forced testing of sex workers arrested on sex work related charges,“/ says Global Coordinator of NSWP, Ruth Morgan Thomas. /“It is time to end such discriminatory law enforcement and medical practices, which violate the fundamental human rights of sex workers.“/

GNP+ has long advocated for the promotion and protection of human rights of all people living with HIV and for the removal of legal and policy barriers to HIV care. /“Such discriminatory use of the criminal law and police authority is counterproductive and ineffective to HIV prevention efforts and further stigmatizes an already marginalized group,“/ says GNP+ International Coordinator and CEO, Kevin Moody. /“We call for the Greek government and police authorities to stop mandatory HIV testing and breaches of confidentiality, and consider more effective measures that promote the health, dignity and well being of those living with HIV/.“
[1]
*Hellenic Centre for Disease Control and Prevention *

Mittelalter à la grecque ? – griechische Polizei stellt HIV-positive Frauen öffentlich an den Pranger

Hat Athen mitten in der Krise nun den Pranger wieder entdeckt? Diesmal in der ‚modernen‘ Kombination Aids, Prostitution – und Internet und Polizei?

Elf Frauen, jede mit Namen, Geburtsdaten und Photos – öffentlich als an Aids erkrankt bezeichnet, im Internet, auf einer offiziellen Seite, einer Seite der griechischen Polizei …

Was ist geschehen?

„Aids-Angst in Athen“ oder „Aids: Behörden suchen Freier“ titeln die Medien. Den Hintergrund, ja Anlass für aktuelle Berichte liefert – die griechische Polizei und Staatsanwaltschaft.

Etwa einhundert nicht registrierte Prostituierte haben die Behörden in Athen festgenommen, auf dem Straßenstrich und in illegalen Bordellen. Sie wurden auf  Veranlassung der griechischen Gesundheitsbehörden (KEEL.PNO) mit mobilen Tests auf HIV untersucht – ob freiwillig, darüber sagen die Medienberichte nichts. Elf von ihnen wurden HIV-positiv getestet.

Und  nun sucht die Staatsanwaltschaft Athen nach Freiern, die Sex mit diesen Frauen hatten. Dazu ordnete sie an (!), Bilder dieser Frauen zu veröffentlichen (!) – im Internet (!).

Um ‚die Kunden zu warnen‘, wie es heißt – und vielleicht auch, um etwaige Kunden nicht nur zu einem HIV-Test zu bewegen, sondern auch zu einer Anzeige zu motivieren. Die Frauen hatten den Berichten zufolge gestanden, Sex ohne Kondome gehabt zu haben.

So finden sich seit dem 1. Mai 2012 nun auf einer offiziellen Internetseite der Athener Polizei (hier; ergänzt um eine Pressemitteilung) 22 Fotos – jede der elf Frauen ist in einer Ganzaufnahme sowie einer Gesichts-Aufnahme zu sehen. Alle elf Frauen werden nicht nur in je 2 Photos gezeigt, auch ihr voller Name sowie Geburtsort und Geburtsdatum werden genannt. Das Ganze unter dem Titel „Bekanntmachung der Veröffentlichung von Photos von elf Frauen, die einer Gesundheitskontrolle zufolge AIDS haben“.

Griechische Medien berichten seit einigen Tagen breit über die Verhaftungen und HIV-Tests – und auch deutsche Medien greifen das Thema inzwischen auf.

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Erschüttert sehe ich erste Meldungen. Recherchiere ein wenig [danke, A.!]. Stoße bald auf die Internetseite der griechischen Polizei, die die Photos von elf Personen mit Namen und Geburtsdaten veröffentlicht.

Bin erschüttert, fassungslos.

Geht’s noch?

Mittelalter in Zeichen des Internets?

Pranger à la grecque?

Haben die Frauen keinerlei Persönlichkeitsrechte?

Gibt es keinen Datenschutz?

Oder waren sie etwa mit der Veröffentlichung ihrer Photos  und Daten einverstanden?

Hat irgend jemand die Freier gezwungen, beim Sex auf die Benutzung von Kondomen zu verzichten?

Oder haben die Freier – und nicht die Prostituierten – vielleicht eher selbst nach „Sex ohne“ (Kondom) verlangt?

Werden die Freier jetzt eigentlich auch öffentlich an den Pranger gestellt? Mit Foto und Geburtsdaten? Weil sie ohne Kondome zu benutzen Sex mit Prostituierten hatten?

Niemand darf wegen seiner HIV-Infektion an den Pranger gestellt werden.

Dies gilt für jeden Menschen – unabhängig u.a. auch von seiner Tätigkeit, unabhängig von seinem Aufenthaltsstatus.

Im Umgang mit Medien erleben Menschen mit HIV schon seit Jahren oft genug keinen Respekt – und erwarten ihn doch, selbstverständlich.

Respekt, Sensibilität –  gerade von staatlichen Stellen sollte ihn jeder Mensch  mit HIV erwarten dürfen. Und nicht das Gegenteil – öffentlich an den Pranger gestellt zu werden.

Oder rechtfertigt Aids hier – wieder einmal – jedes Mittel?

Wenn wir dies ohne Protest hinnehmen – befinden wir uns bald wieder im Mittelalter.

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Pranger im Folter-Museum Freiburg (Foto: Flominator)
Pranger im Folter-Museum Freiburg (Foto: Flominator)

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siehe auch
The Times That Belong To Us 03.05.2012: Greek brothel arrests
DAH 06.05.2012: Hilflos gefangen in den Netzen der Huren?

Reaktionen auf ‚Migranten‘-Clip der Aids-Hilfe Köln – ist Kritik ‚böswillig‘, oder der Clip rassistisch und ‚grottenschlecht‘? (akt.2)

Die Aids-Hilfe Köln ist wegen eines umstrittenene Migrations-Spots in der Kritik. Der Journalist Norbert Blech fragt auf queer.de „Humorvoller Gligée oder rassistisches Klischee?“ Inzwischen haben auch die Aids-Hilfe Köln sowie die Macher des Spots reagiert (siehe Aktualisierung des Artikels auf queer.de). Sie erläutern ihre Intention mit dem Clip („Öffentliche Beratungsgelder werden durch immer atomisiertere Zielgruppenbetreuung nach Ansicht der Kölner Aidshilfe sinnlos verbraten“) – und bezeichnen Kritiker als „böswillig“ oder „unverschämt“.

„Ist der Spot von René Gligée zur Kölner AIDS-Gala 2011 rassistisch?“, hat die Readktion von queer.de in einer Abstimmung zum Artikel gefragt. „Ja, das geht gar nicht!“, finden derzeit knapp 57%, knapp 20% sagen „Er ist zumindest missverständlich“. 23,5% meinen „Nein, er ist lustig und macht Sinn.“ (Stand 25.4., 14:45 Uhr, 136 Teilnehmer/innen).

Auf queer.de, ondamaris, Facebook und Google+ löste der Spot Diskussionen aus. Die Aids-Hilfe habe „den Bezug zur Realität verloren“ vermutet ein Leser, andere finden den Clip einfach „grottendämlich“, „humorlos“, „peinlich“ oder „grauenhaft schlecht“. Andere hingegen finden den Spot „lustig“ oder „eher harmlos“ – oder stören sich an als überzogen empfundener Kritik

„Irgendwie werden Begriffe wie „menschenverachtend, verletzt religöse Gefühle, Frauen erniedrigend und rassistisch“ heutzutage ziemlich inflationär gehandhabt!“

Zur Frage, wie rassistisch der Spot sei, bemerkt ein Leser trocken

„Warum sollten die Aids-Hilfen in der Rassismus-Diskusssion weiter sein als der Rest des Landes?“

und ein queer.de-Leser merkt an

„Ich habe noch keinen gesehen der es geschafft hätte, komisch und intelligent daher zukommen, wenn er sich braune Schmiere ins Gesicht kletscht. Im besten Fall wird es peinlich und unangenehm – meistens kommt nur Mist dabei herum.“ (#2)

Ein Kommentator auf queer.de (#17) stellt fest

„Der Spott macht sich halt nicht nur über Beratungsarbeit lustig, sondern hauptsächlich über deren Klienten! Und das mit eindeutigem Rassismus!“

und bemerkt trocken

„Einfach mal überlegen, die CDU hätte einen ähnlichen Spott mit Schwulen in der Beratung gedreht, mit Nasalstimme, Fummel und allem, um dann zu sagen, eine solche Arbeit wäre eine finanzielle Verschwendung.“

Zudem verweist er auf mögliche Folgen:

„Die Aids-Hilfe hätte das nicht abnehmen dürfen, der Spott geht gegen die eigenen Prinzipien und wird die Arbeit mit Migranten erschweren.“

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Aktualisierung
25.04.2012, 14:30: Unter dem Tilel „Verteilungskämpfe um Fördermittel dürfen nicht auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten ausgetragen werden“ bemerkt ‚Die Linke NRW‘ in einer Presseerklärung:

„Ganz offenbar spielt die Verteilung von Fördergeldern eine Rolle für die Entstehung des Videoclips.
Dieses Video ist zutiefst rassistisch und politisch abscheulich. Gerade in Köln agiert seit Jahren die extrem rechte Initiative „pro Köln“, die sich gegen die angebliche Islamisierung der Stadt und den Bau von Moscheen wendet. Selbst wer nicht in Köln lebt, hat diese Debatte verfolgen können. Wer in Köln lebt, weiß erst recht, in welchen Dunstkreis er sich begibt, wenn er sich parallel zu den „pro Köln“-Kampagnen gegen Islamisierung und Moscheen gegen ein „Mekka“ an Beratung für MigrantInnen wendet. …
Mit der klischeehaften Darstellung unterschiedlicher MigrantInnen in der Videoproduktion dürfte die AIDS-Hilfe Köln e.V. sich zudem um den Ruf gebracht haben, auch eine kompetente Anlaufstelle für Migrantinnen und Migranten zu sein. …
Die Lesben- und Schwulenbewegung hat richtigerweise und oftmals erfolgreich dagegen gesetzt, dass die Kenntnis spezifischer Lebenssituation notwendige Voraussetzung für angemessene Beratungsangebote ist und dabei immer auf die Selbstorganisation von Betroffenen gesetzt werden muss. Auch AIDS-Hilfe ist als Selbstorganisation insbesondere schwuler Männer entstanden. Auch vor diesem Hintergrund sind die völlig undifferenzierten Angriffe der AIDS-Hilfe Köln e.V. auf ein angeblich drohendes „Migrationshintergrundberatungsmekka” vollkommen absurd.“

25.04.2012, 15:15: Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, äußert kurz und knapp zu dem Clip ‚Migrationshintergrundberatungsmekka‘ :

„Ich bin fassungslos.“

25.04.2012, 16:30: Leser-Kommentar auf queer.de (#32):

„Dieses Video würde auf der Seite „Politcal Incorrect“ in keiner Weise auffallen. Und das sollte zu denken geben.“

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Aids-Hilfe Köln wegen umstrittenem Migrations-Spot in der Kritik

Billige Klischees, Verletzung religiöser Gefühle, Stammtisch-Niveau – die Aids-Hilfe Köln sieht sich für einen Video-Spot heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Der Spot diskreditiere insbesondere die jahrelange erfolgreiche Präventionsarbeit in Migranten-Communities.

Ein Spot der Aids-Hilfe Köln spricht von „Beratung, koste es was es wolle“ und „bis die Fördertöpfe leer sind“. „Spätestens die Betonung der Kosten vermittelt den Eindruck, die Intention des Videos sei es, zielgruppenspezifische Prävention als teuren Unsinn zu erklären“, bemerkt Norbert Blech auf queer.de.

Der Spot wurde auf der Aids-Gala 2011 vorgestellt. Entstanden ist er im Kontext Kölner Planungen für spezielle Beratungszentren für Menschen mit Migrationshintergrund – Bemühungen, die die Aids-Hilfe Köln mit dem Spot als „Migrationshintergrundberatungsmekka“ zu konterkarieren versuche, das dann drohende Chaos darstellen wolle.

Darf alles getan werden, um „das eigene Stück von Kuchen“ zu sichern?, fragen sich Beobachter nun.

In ihrem Projekt ‚PaKoMi‚ hat die Deutsche Aids-Hilfe unter wissenschaftlicher Begleitung durch das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) Empfehlungen und Handbücher zu partizipativer und kooperativer Entwicklung von zielgruppenspezifischer HIV-Prävention mit Migrant(inn)en entwickelt. Diese sind in jeder Aids-Hilfe vorhanden.

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queer.de 24.04.2012: Humorvoller Gligée oder rassistisches Klischee?
DAH: Das PaKoMi-Handbuch ist da! (dort Link zu PaKoMi-Handbuch als pdf)

Bremen: Aids-Projekt wegen Geldmangel eingestellt

Das Afrika-Projekt zur Prävention von HIV und Aids des Gesundheitsamts Bremen wurde nach sieben Jahren erfolgreicher Arbeit Ende 2011 eingestellt, wegen Geldmangels. Dies berichtet der lokale ‚Weser-Kurier‘.

Fachleute reagierten bestürzt auf die Einstellung des bundesweit gelobten Projekts der HIV-Prävention mit Migranten. Für 2012 fehlten 30.000 €, die das Land Bremen hätte übernehmen müssen (15.000€ der insgesamt 45.0000€ Kosten hätte wie in den vergangenen Jahren die Deutsche Aids-Stiftung übernommen).

Weser-Kurier 12.04.2012: Aus für ein Vorzeigeprojekt – Gesundheitsamt beendet Aids-Beratungsangebot

RKI zu HIV bei Migranten in Deutschland

Das Robert-Koch-Institut RKI gibt im heute neu erschienenen Epidemiologischen Bulletin (03/12) einen Überblick zur Situation von HIV bei Migranten in Deutschland.

Die Auswertung de RKI basiert auf den RKI-Statistiken zu denjenigen Personen, bei denen ein anderes Herkunftsland als Deutschland angegeben wurde.

„Unter den 697 Personen, die ein anderes Herkunftsland als Deutschland angegeben haben, lagen bei 86 % (n = 622) Angaben zum Infektionsrisiko vor. Bei den Männern dominierte als Übertragungsweg Sex mit Männern (MSM), bei den Frauen heterosexuelle Kontakte (Hetero, s.Abb. 3). Unter den Frauen mit heterosexuellem Infektionsrisiko wurde bei 66,3 % (n = 132) Subsahara-Afrika als Herkunftsregion vermerkt. Unter den MSM, die aus anderen Herkunftsländern als Deutschland stammen (n = 217), wurden am häufigsten Zentral- und Westeuropa als Herkunftsregion angegeben (26 % bzw. 24 %).“

Das RKI verzichtet in der Auswirkung auf den Begriff  „Infektionsrisiko HPL (Hochprävalenzland)“:

„Der Grund dafür ist, dass sich alle anderen potenziellen Übertragungswege auf ein Verhalten beziehen und dass die Herkunft eines Menschen an sich kein Infektionsrisiko darstellt.“

In der Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins findet sich zudem die „Ausschreibung eines Nationalen Referenzzentrums für Retroviren“.

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weitere Informationen:
Robert-Koch-Institut:
HIV bei Migranten in Deutschland
in: Epidemiologisches Bulletin Nr. 03/2012

Österreich: Rückgaberecht, wenn die Ehefrau HIV-positiv ist?

Stellt die nachträglich festgestellte HIV-Infektion der Ehefrau eine Art ‚Mangel‘ dar, der zur ‚Rückgabe‘, zur Aufhebung der Ehe berechtigt?
Über einen für viele eher befremdlich anmutenden Fall aus Österreich berichtet in einem Gast-Beitrag D Dr. Elisabeth Müllner, seit 1999 Leiterin der Aids-Hilfe Oberösterreich:

Im Jahr 2008 entschied der Oberste Gerichtshof (3 Ob 91/08s), eine Ehe als ungültig aufzuheben, weil der Ehemann und Kläger sich über die Gesundheit seiner Ehefrau im Irrtum befand. Die Vorgeschichte in Kurzfassung: ein Österreicher heiratet in Kenia eine Kenianerin, ihr letzter gemeinsamer Wohnort ist in Österreich. In einem österreichischen Krankenhaus wird bei der Frau eine HIV-Infektion festgestellt. Für beide Eheleute ist es die erste Ehe. Die HIV-Infektion wird nach etwas mehr als einem Jahr Ehe diagnostiziert. Festgestellt wurde vom Gericht, dass die Ehefrau während aufrechter Ehe keinem Ansteckungsrisiko ausgesetzt war, woraufhin das Gericht schlussfolgerte, dass die Ansteckung mit HIV zu einem unbekannten Zeitpunkt vor der Eheschließung erfolgt sein musste. Dem Ehemann, der die Aufhebung der Ehe verlangte, wurde in dritter und letzter Instanz endgültig Recht gegeben. In der Begründung führte der Oberste Gerichtshof aus, dass der Ehemann, hätte er zum Zeitpunkt der Heirat von der HIV-Infektion der Frau gewusst, die Ehe nicht geschlossen hätte. Er hat sich also in einem wesentlichen Irrtum über die Frau befunden, der ihn „bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe“ von deren Eingehung abgehalten hätte. Und ungeachtet des möglichen Zusammenlebens bei entsprechenden Schutzmaßnahmen seien eben wegen dieser und wegen der weiterhin für den Kläger bestehenden Ansteckungsgefahr die Umstände gegeben, die eine Aufhebung der Ehe rechtfertigten. So die Entscheidung des OGH.

Aus Sicht der AIDS-Hilfen Österreichs stellt dies eine unzeitgemäße, diskriminierende und inhumane Entscheidung dar. In der Folge bemühten die AIDS-Hilfen Österreichs sich um eine rechtliche Expertise zu dieser Entscheidung. Dankenswerterweise nahm sich Frau Univ.-Prof.in Dr.in Marianne Roth der Thematik an.
Aus dem Ergebnis ihrer Arbeit werden nun einige wichtige Aspekte wiedergegeben:
Vorweg sei angemerkt, dass der Kläger ursprünglich eine Scheidung auf Grund des Vorliegens einer „ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit“ nach § 52 EheG begehrte. Entsprechend der österreichischen Rechtslage konnte nicht geschieden werden, da die „ansteckende oder ekelerregende Krankheit“ erst nach der Eheschließung hätte entstehen dürfen. Im gegenständlichen Fall stellte das Gericht jedoch fest, dass die HIV-Infektion der Ehefrau bereits vor der Eheschließung bestand. Eine Scheidung gegen den Willen des beklagten Ehepartners ist gemäß österreichischem Recht erst 3 Jahren nach Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft wegen unheilbarer Zerrüttung möglich (würde die Scheidung den beklagten Ehepartner besonders hart treffen, dann erst nach 6 Jahren). (1)

Daraufhin brachte der Ehemann die Aufhebungsklage ein. Den juristischen Laien mag es erstaunen, dass die zuständigen Gerichte der Argumentation des Klägers, er habe sich über den HIV-Status der Beklagten im Irrtum befunden, folgten. Könnte man nicht doch erwarten, dass der Kläger das Vorliegen einer HIV-Infektion zumindest in Erwägung gezogen haben muss? Dies vor dem Hintergrund, dass seine Frau aus einem Land kommt, welches für seine hohe Anzahl von Menschen mit HIV bekannt ist. Der zivilrechtliche Irrtumsbegriff zielt aber nicht darauf ab, ob ein durchschnittlicher Mensch diesem Irrtum auch erlegen wäre, sondern es wird stets auf die subjektive Meinung, als eine unrichtige oder fehlende Vorstellung von der Wirklichkeit, abgestellt. Allerdings kann nicht jede unrichtige Vorstellung, die man sich über seinen zukünftigen Ehepartner macht, zu einer Aufhebung der Ehe führen. Der Irrtum muss sich zentral auf die gesetzlichen Wertvorstellungen über die Ehe beziehen. Der OGH vergleicht nun die HIV-Infektion mit der Beischlafunfähigkeit oder dem Ausbruch von schweren psychischen Krankheiten, die in früheren Fällen zur Aufhebung der Ehe geführt haben. Die Vergleichbarkeit mit der Beischlafunfähigkeit wird bejaht, jene mit dem Ausbruch von Geisteskrankheiten verneint. Hier setzt die Kritik von Roth an. Die Gleichsetzung einer HIV-Infektion mit der Beischlafunfähigkeit sei verfehlt, lässt sie doch die modernen HIV-Therapiemöglichkeiten, wie sie in hoch entwickelten Industrieländern wie Österreich gegeben sind, völlig außer Acht. Bei genauer Einhaltung der HIV-Medikation, wenn über mindestens 6 Monate kein HI-Virus im Blut nachgewiesen werden kann und keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen vorliegen, ist davon auszugehen, dass HIV-infizierte Patienten nicht infektiös sind. (2)

Ebenso spricht – bei kompetenter medizinischer Begleitung – nichts gegen eine Zeugung, auch ohne künstliche Insemination (3) bzw. Schwangerschaft. Der OGH weiß allerdings in seiner Begründung lediglich von einer allgemein bekannte Infektionsgefahr bei HIV. Die Situation hat sich jedoch seit den 1980er bzw. auch den frühen 1990er Jahren, als zwischen der Diagnose einer Aids-Erkrankung und dem Tod meist nur wenige Jahre lagen, wesentlich verändert. So kommt Roth zu dem Schluss, dass nach heutigem Stand der Medizin eine HIV-Infektion bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe nicht mehr als Ehehindernis gewertet werden kann. Dies führt sie auch zu der grundsätzlichen Fragestellung, inwieweit der Aufhebungstatbestand des Irrtums über Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen, aber auch die Möglichkeit einer Scheidung aufgrund einer „ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit“ gemäß § 52 EheG noch notwendig bzw. zeitgemäß sind.

Weder in Deutschland noch in der Schweiz existiert der veraltete Tatbestand des Irrtums über Umstände, welche die Person des anderen Ehegatten betreffen. Die Regelungen über die Scheidung scheinen diesen Ländern ausreichend. So meint Roth, dass auch der österreichische Gesetzgeber gut daran täte, das geltende Recht der Eheauflösung auf seine gesellschaftspolitische Aktualität hin zu überprüfen. Insbesondere erscheint auch der Scheidungstatbestand der sich auf Krankheiten bezieht entbehrlich. Ein Scheidungsrecht, welches auf den Tatbestand der Zerrüttung einer Ehe abstellt, wäre ausreichend, wenngleich hier die Trennungsfristen, die das österreichische Recht verlangt, im internationalen wie auch europäischen Vergleich als zu lang bewertet werden.

Und so schließt Roth ihren Kommentar: „Bis zu einer solchen Scheidungsrechtsreform ist jedoch an die Judikatur zu appellieren, vom Aufhebungstatbestand des Irrtums über Umstände, die die Person des anderen Ehegatten betreffen (§ 37 EheG), nur äußerst zurückhaltend Gebrauch zu machen, und nur dann einem Aufhebungsverfahren statt zu geben, wenn der Irrtum tatsächlich Umstände betrifft, die objektiv für eine eheliche Lebensgemeinschaft bedeutsam sind. Nach dem aktuellen Stand der Medizin stellt eine HIV-Infektion im Allgemeinen keinen solchen Umstand dar. Sie ist unter den gegenwärtig verfügbaren Therapiemöglichkeiten auch nicht mehr als ein Scheidungsgrund im Sinn einer ‚ansteckenden oder ekelerregenden Krankheit‘ gemäß § 52 EheG zu qualifizieren. Es bleibt zu hoffen, dass diese medizinischen Entwicklungen bei der Behandlung von HIV-Infektionen auch in der Rechtsprechung Berücksichtigung finden werden.“ (4,  5)

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Fußnoten:
(1) Die Möglichkeit der Scheidung wegen Verschuldens wird hier außer Acht gelassen.
(2) Vernazza/Hirchel/Bernsconi/Flepp, HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös, SÄZ 2008, 165 ff
(3) vgl. http://www.aids.ch/d/hivpositiv/pdf/ordner/Ordner_komplett_d.pdf (30. 4. 2010); Vernazza, Die HIV-Schwangerschaft ist heute kein Problem mehr, Swiss Aids News, Juni 2009, 16,16
(4) (noch) unveröffentlicht: Roth, Aufhebung der Ehe aufgrund einer bereits vor der Ehe vorliegenden HIV-Infektion eines Ehegatten – Eine kritische Reflexion der österreichischen Rechtslage
(5) bei Interesse am kompletten Kommentar von Univ.-Prof.in Dr.in Marianne Roth, LL.M.(Harvard) wenden Sie sich an: elisabeth.muelllner@aidshilfe-ooe.at

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(Der Artikel erschien zuerst in ‚PlusMinus‘ 2/2011 – ondamaris dankt für die Genehmigung zur Übernahme des Artikels!)

RKI: HIV-Neudiagnosen 2010 annähernd konstant, Anstieg der HIV-Inzidenz bei jungen Schwulen

Die Zahl der neu diagnostizierten HIV-Infektionen ist in Deutschland auch 2010 annähernd konstant geblieben. Dies berichtet das Robert-Koch-Institut. Eine Zunahme gibt es allerdings bei jungen Schwulen.

Im aktuell veröffentlichten Epidemiologischen Bulletin Nr. 21/2011 berichtet das Robert-Koch-Institut über die Entwicklung der HIV-Neudiagnosen in Deutschland. 2010 gab es insgesamt im Vergleich zum Vorjahr keine wesentliche Veränderung – 2.918 HIV-Neudiagnosen wurden 2010 gemeldet, 2.885 im Jahr zuvor.

Unterschiede gab es allerdings, betrachtet man die einzelnen Gruppen. Bei Menschen mit heterosexuellem Risiko (2010: 411 HIV-Neudiagnosen), iv-Drogengebraucher/innen (93) sowie Menschen aus Hochprävalenz-Ländern (273)  sank von 2009 auf 2010 die Zahl der HIV-Neudiagnosen geringfügig. Bei Männern, die Sex mit Männern haben, stieg sie hingegen geringfügig an (um 2% von 1.646 im Jahr 2009 auf 1.684 im Jahr 2010).

„So kleine Veränderungen bei den gemeldeten Diagnosen sind aber kein Hinweis auf einen Anstieg der Neuinfektionen in dieser Gruppe“, kommentiert Axel J. Schmidt vom RKI laut DAH-Blog.
2010 stellten Männer, die Sex mit Männern haben, einen Anteil von 67% der HIV-Neudiagnosen.

Besonders weist das RKI auf die Entwicklung bei jungen Schwulen bis 25 Jahre hin. Zwar machen HIV-Neudiagnosen in absoluten Zahlen hier nur einen geringen Teil der Gesamt-Neudiagnosen aus. Die Mehrzahl der HIV-Neudiagnosen erfolgte bei den Altersgruppen 30 bis 39 sowie 40 bis 49 Jahre.

Dies sind allerdings die beiden Altersgruppen mit „geburtenstarken Jahrgängen“.  Berechnet man die Inzidenz bezogen auf 100.000 Männer jeweils der gleichen Altersgruppe, erhält man einen Wert (‚Diagnoseinzidenz‘), der etwas aussagt über das spezifische Risiko Angehöriger jeweils dieser Altersgruppe, sich mit HIV zu infizieren. Diese ‚altersgruppen-spezifische Inzidenz‘ zeigt: in der Gruppe der jungen Schwulen bis 25 Jahre steig die Inzidenz sowohl 2009 als auch 2010 im Vergleich der Altersgruppen am stärksten an.

Das RKI diskutiert im aktuellen Epidemiologischen Bulletin Hintergründe und mögliche Ursachen dieser Entwicklung und nennt dabei mögliche Gründe für den Anstieg:

  • erhöhte Testbereitschaft in dieser Altersgruppe
  • ein erhöhter Anteil (noch) nicht antiretroviral behandelter HIV-Positiver in dieser Altersgruppe (mit der damit verbunden höheren „Wahrscheinlichkeit, dass ein infizierter Partner auch infektiös ist“)
  • eine höhere Inzidenz bakterieller sexuell übertragbarer Erkrankungen in dieser Altersgruppe (und deren Auswirkungen auf die HIV-Übertragbarkeit).

Dirk Sander, Schwulen-Referent der Deutschen Aids-Hilfe, nennt einen weiteren möglichen Grund:

„Jüngere sind noch nicht so erfahren im Umgang mit Kondomen und sexuellen Situationen. Es kann sein, dass es ihnen schwerer fällt als Älteren, ihr Schutzbedürfnis erfolgreich in die Tat umzusetzen.“

Das RKI kommentiert den Anstieg

„Es ist daher davon auszugehen, dass es sich um einen realen Anstieg handelt. …
Zusammenfassend sprechen die im Rahmen der EMIS-Studie erhobenen Verhaltensbefunde nicht dafür, dass der beschleunigte Anstieg der Inzidenz neudiagnostizierter HIV-Infektionen bei jungen MSM in den letzten Jahren auf einer spezifischen Zunahme von Risikoverhalten in dieser Altersgruppe beruht. …
Allerdings zeigt die unter jungen MSM stärker verbreitete Annahme, dass ihre Sexualpartner nicht infiziert seien, verbunden mit einer geringeren HIVTesthäufigkeit auch, dass sie verstärkt gezielte  und Aufklärung zu Infektionen mit HIV und anderen sexuell übertragbaren Erregern benötigen.“

Das RKI macht im Bericht 2010 auch detailliertere Angaben zu Schwulen und Männern die Sex mit Männern haben und einen Migrations-Hintergrund haben:

„Der Anteil der MSM, bei denen eine andere Herkunftsregion als Deutschland angegeben wurde, lag 2010 bei 15 % (216/1.486). Bei 12 % der Meldungen lagen keine Angaben über die Herkunft vor. Wichtigste ausländische Herkunftsregionen für in Deutschland neu mit HIV diagnostizierte MSM sind in der Reihenfolge ihrer Bedeutung Zentraleuropa (3,8 %), Westeuropa (3,5 %), Lateinamerika (2,2 %), Südostasien (1,5 %) und Osteuropa (0,8 %). Erworben wurde die HIV-Infektion in mehr als 90 % der Fälle in Deutschland.“

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(Zu Neu-Diagnosen – Neu-Infektionen – Prävalenz – Inzidenz siehe „HIV-Neuinfektionen – Hintergrund-Informationen„).

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weitere Informationen:

Robert-Koch-Institut: HIV-Infektionen und Aids-Erkrankungen in Deutschland – Bericht zur Entwicklung im Jahr 2010 aus dem Robert-Koch-Institut, in: Epidemiologisches Bulletin 21/2011

DAH-Blog 30.05.2011: Zahl der HIV-Neudiagnosen weiterhin fast konstant

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Kurz notiert … Februar 2011

27. Februar 2011: Der deutsche Zahlungsstopp bedroht nach internen Berechnungen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mindestens 43.000 Leben.

25. Februar 2011: Die US-Medikamentenbehörde FDA hat die Packungsbeilage von Kaletra® hinsichtlich Frühgeborener überarbeitet. Die Packungsbeilage für Viracept® (Nelfinavir) wurde um Wechselwirkungs-Angaben für Warfarin ergänzt.

23. Februar 2011: Pharmaunternehmen entschädigen Bluter mit Hepatitis C.

21. Februar 2011: Nur gut ein Fünftel der HIV-Positiven in der Ukraine erhält antiretrovirale Therapie – und selbst sie sehen sich jetzt massiven Versorgungsproblemen ausgesetzt.

19. Februar 2011: Die bisher detaillierteste dreidimensionale Darstellung von HIV durch ein Team des russischen Unternehmens Visual Science gewann in der Kategorie ‚Illustration‘ den Preis der ‚International Science and Engineering Visualization Challenge 2010‘.

18. Februar 2011: Die Bestimmung von CD4-Zellzahlen ist elementar, u.a. für Therapieentscheidungen. Für Positive in nicht oder weniger industrialisierten Staaten sind kostengünstige Tests besonders wichtig. Doch ein Medizintechnik-Konzern macht Probleme.

16. Februar 2011: Der Impfstoff Silgard/Gardasil kann bei jungen Männern das Entstehen von Feigwarzen deutlich vermindern.

15. Februar 2011: ACT UP Paris demonstriert vor dem französischen Pharma-Verband LEEM dafür, dass zwei neue Substanzen gegen Hepatitis C auch an Menschen getestet werden, die mit HIV und Hepatitis C koinfiziert sind.

In Südafrika beginnt eine Phase-IIb-Studie mit Sutherlandia frutescens (Ballonerbse). Sutherlandia wird in Südafrika als traditionelle Medizin eingesetzt (und ist auch einigen Positiven hierzulande seit langem bekannt). Die Studie des ‚South African Herbal Science and Medicine Institute‘ (SAHSMI) soll die Pflanze auf ihr Potential zur Behandlung von Begleiteffekten der HIV-Infektion untersuchen.

14. Februar 2011: Auf der Berlinale, die vom 10. bis 20. Februar 2011 in Berlin stattfindet, laufen auch Filme zu HIV / Aids: u.a. „We were here“ sowie der erste chinesische Dokumentarfilm zu HIV „Be together“.

11. Februar 2011: ‚Würden die (US-amerikanischen Medikamentenbehörden) FDA ein Verhütungsmittel zulassen, dass zu 44% wirkt?‘, weist Aids Healthcare Foundation auf viele Fragen zur derzeitigen Situation bei PrEP hin.

10. Februar 2011: Cornelia Yzer, bisher Cheffin des Verbands forschender Pharmaunternehmen (VfA), beendet ihre Tätigkeit Ende Juni 2011 – nach Medienberichten ’nicht ganz freiwillig‘.

HIV kann die Immunabwehr von Neugeborenen auch schwächen, ohne dass diese mit HIV infiziert werden, stellt eine US-Studie fest.

In Los Angeles sollen mit einer städtischen Vorschrift Porno-Produzenten zur Kondom-Verwendung bei Porno-Dreharbeiten gezwungen werden.

08. Februar 2011: Jugendliche in der Schweiz schützen sich besser vor einer HIV-Infektion. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit.

Eine kleine Studie in den USA untersucht, ob Disulfiram (Handelsname Antabuse®) geeignet ist HIV aus viralen Reservoirs auszuwaschen.

07. Februar 2010: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Lopinavir / Ritonavir (Handelsname Kaletra®) in eine ‚watch list‘ wegen möglicher Sicherheitsprobleme bei Neugeborenen aufgenommen.

Tesamorelin (Handelsname Egrifta®) soll zukünftig in Europa nach Unterzeichnung eines entsprechenden Lizenzabkommens vom spanischen Unternehmen Ferrer International vermarktet werden.

Mord wegen HIV? Brachte ein 55 Jahre alter Frührentner zwei Cruiser um, weil er nach einer HIV-Infektion Schwule hasste?

06. Februar 2011: Kürzungen bei Krankenversicherungs-Programmen in den USA – laufen immer mehr US-Amerikaner mit geringem Einkommen Gefahr, keine wirksame HIV-Therapie mehr zu bekommen? Regan Hofmann sorgt sich in der Huffington Post über „The Alarming State of AIDS in America„.

Ein HIV-positiver Ugander befürchtet, aus Großbritannien nach Uganda abgeschoben zu werden – und dort um sein Leben fürchten zu müssen.

04. Februar 2011: Nach Vorwürfen der Zweckentfremdung von Mittel kündigt der Präsident des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose Michel Kazatchkine, an, die Zahl seiner Mitarbeiter, die für die Abwicklung der Hilfszahlungen zuständig sind, zu erhöhen

03. Februar2011: Erstmals seit Beginn der Aids-Krise ist in San Francisco die Mehrzahl der Menschen, die mit einer Aids-Diagnose leben, über 50 Jahre alt. 53% aller Menschen, bei denen im Jahr 2010 Aids diagnostiziert wurde, seien 50 Jahre oder älter gewesen, berichtet der Bay Area Reporter.

01. Februar 2011: Der Pharmakonzern Gilead hat die Laufzeit einer Phase-III-Studie seines experimentellen Integrasehemmers Elvitegravir auf Empfehlung der US-Medikamentenbehörde FDA von 48 auf 96 Wochen verlängert.

Frankreich: kaum Missbrauch der kostenlosen Gesundheitsversorgung durch ‚Illegale‘

Die kostenlose Gesundheitsversorgung für Menschen mit ungeklärtem Aufenthaltsstatus in Frankreich wird kaum missbraucht. Dies ist das Ergebnis eines offiziellen Berichts der französischen Regierung.

Ein französischer Regierungsbericht kann keine Hinweise darauf feststellen, dass dem französischen Gesundheitssystem durch Betrug oder Missbrauch durch Menschen mit illegal(isiert)em Aufenthaltsstatus nennenswerter Schaden entsteht. Entsprechende Vorwürfe rechtsgerichteter französischer Politiker erweisen sich damit als weitestgehend substanzlos.

Die Berichterstatter wiesen im Gegenteil darauf hin, dass vorgeschlagene Einschränkungen in der Gesundheitsversorgung Illegaler sich bald als kontraproduktiv erweisen würden. Der Bericht war bereits Ende November 2010 dem Parlament vorgestellt worden, war zunächst jedoch nicht öffentlich verfügbar (um die Debatte um eine Reform nicht zu beeinflussen, wie Beobachter vermuteten).

Analyse de l'évolution des dépenses au titre de l'aide médicale d'Etat
Analyse de l'évolution des dépenses au titre de l'aide médicale d'Etat

Frankreich hat im Gegensatz zu den meisten anderen Staaten weltweit ein klar festgelegtes und kodifiziertes System, mit dem Menschen mit illegal(isiert)em Aufenthaltsstatus (in Frankreich: „sans-papiers“, ‚Papier-lose‘) Zugang zu Gesundheitsversorgung erhalten. Dieses System (Aide Médicale d’Etat) greift für Menschen, die nachweisen, dass sie sich seit mindestens drei Monaten im Land befinden und dort leben, und deren Einkommen sehr niedrig ist (unter 634€ monatlich).

Sind diese Minimal-Bedingungen erfüllt, bekommt er/sie (sowie etwaige Familienangehörige) für ein Jahr Zugang zum französischen Gesundheitssystem; nach Ablauf des Jahres kann ein erneuter Antrag gestellt werden. Ärzte und Krankenhäuser bekommen die Behandlungs-Kosten direkt vom französischen Staat erstattet.
Etwa 220.000 Personen nutzen pro Jahr die ‚Aide Médicale d’Etat‘ (AME); dem Französischen Staat entstehen hierdurch jährlich Kosten in Höhe von ca. 546 Mio. € (Wert für 2009). Auch für viele Menschen mit HIV in Frankreich, die einen ungeklärten Aufenthaltsstatus haben, ist die AME von existentieller Bedeutung.

Die AME war unter Lionel Jospin 2000 eingeführt worden, vorher galt eine Regelung auf Departement-Ebene. Der derzeitige Staatspräsident Sarkozy hatte im Januar 2007 während des Präsidentschafts-Wahlkampfes versprochen, die unentgeltliche AME beizubehalten. Allerdings wurden vom französischen Parlament im November 2010 umfangreiche Änderungen debattiert, darunter eine jährliche Eigenleistung von 30 €.

Seit Jahren wird das System AME von rechtsgerichteten Politikern angegriffen. Sie weisen auf steigende Nutzerzahlen und steigende Ausgaben hin. Sie führten dies auf weitgehenden Missbrauch und fehlende Kontrollen zurück. Hierfür konnte der Regierungsbericht keine Anzeichen finden.

Aids-Organisationen wie Aides oder ACT UP Paris kritisierten den Regierungsbericht. ACT UP Paris veranstaltete am 11. Januar 2011 eine Email-Protest-Aktion. Der Bericht sei nur ein Feigenblatt, um von einer verheerenden Reform abzulenken, die letztlich das bestehende System demontiere.

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siehe auch: ondamaris / Bernd Aretz: Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

weitere Informationen:
Informationen zu Bedingungen zur Aide Médicale d’Etat
Sida Info Service: L’Aide Médicale d’Etat (AME) – Rappels et nouveauté
Alain Cordier & Frédéric Salas: Analyse de l’évolution des dépenses au titre de l’aide médicale d’Etat (pdf)
ACT UP Paris 05.01.2011: Aide Médicale d’Etat : un rapport dissimulé pour une réforme dévastatrice
aidsmap 12.01.2011: France: minimal abuse of free healthcare for undocumented migrants; reforms will undermine public health
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Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

Etwa 30.0000 Bundesbürger leben ohne Krankenversicherungsschutz. Dazu gehören Selbständige, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten, Studenten, die wegen Alters oder zu langer Studiendauer aus der studentischen Krankenversicherung hinausfallen und Menschen, die mit den ganzen Formalia der Bürokratie nicht klarkommen. Für Asylbewerber sieht das Asylbewerber Leistungs Gesetz im Grunde nur eine Notversorgung vor. Dazu kommen hunderttausende bis zu einer Million Menschen, die sich im Sinne des Ausländergesetzes illegal im der BRD aufhalten und Touristen ohne Versicherungsschutz.

Alle in der Flüchtlingsarbeit Tätigen, also auch die Aidshilfen, wissen, wie schwierig es ist, im Einzelfall die Versorgung Kranker sicherzustellen. Klar die Schwerpunktpraxen und viele engagierte Ärztinnen und Ärzte versorgen auch mal einen Menschen kostenfrei, aber Laboruntersuchungen, Gerätemedizin und gar Krankenhausaufenthalte werfen immer wieder Finanzierungsprobleme auf. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es staatliche Zentren zur Versorgung nicht Versicherter gibt, steht in der BRD die immerwährende Suche nach Lösungen im Einzelfall an. In einigen Städten haben die Flüchtlingsorganisationen Notambulanzen eingerichtet, die Obdachlosenhilfe engagiert sich und der Malteserorden unterhält im mehreren Städten überwiegend einmal wöchentlich geöffnete Ambulanzen, in denen Menschen untersucht betreut und mit gespendeten Medikamenten versorgt werden.

Die Aidshilfe Offenbach hat im Rahmen der interkulturellen Wochen Herrn Dr. Kauder aus Darmstadt eingeladen, der sich vorstellte, er stehe nach dreißig Jahren internistischer Tätigkeit, zuletzt als leitender Klinikarzt auf der Rentnerliste der KV Hessen. „Das war für mich aber kein Schlussstrich, sondern die Gelegenheit, jetzt meinen Traum verwirklichen, nach jahrzehntelanger strukturierter Kassenarzttätigkeit endlich einmal humanitäre Medizin zu betreiben. Auf diese Art und Weise ist zunächst als Plan und dann als Realität die Anlaufstelle Malteser Migranten Medizin MMM am Marienhospital Darmstadt entstanden.“ Getragen ist das Projekt von seiner „felsenfesten Überzeugung aller Beteiligten, dass jeder Mensch Zugang zu medizinischer Versorgung haben sollte“. Dazu benötigt man als zentrale Funktionseinheit einen Träger der Einrichtung, geeignetes ärztliches und Assistenzpersonal sowie Praxisräume. Erforderlich sind medizintechnische Infrastruktur, ein Netzwerk von Konsiliarärzten und eine Personalreserve ist erforderlich. Es werden quasi als Schutzschicht Förderer und Gönner benötigt. Für einen reibungslosen Betrieb muss der Kontakt zu Behörden und Einrichtungen hergestellt werden. Und dann bedarf es einer Öffentlichkeitsarbeit, mit der sowohl die Bevölkerung als natürlich auch die Patienten über die Existenz des Projektes informiert werden. Er schildert: „Von Anfang an bestand Klarheit, dass wir eine qualifizierte, zeitgemäße Versorgung unserer Patienten gewährleisten und nicht nur eine Barfußmedizin betreiben wollten. Dankenswerterweise erklärte sich das Krankenhaus bereit, seine Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ich kann also bei Bedarf und das sogar sofort vor Ort Labor-, Röntgen- und Endoskopiediagnostik betreiben. Blutzucker- und Harnuntersuchungen machen wir in der Praxis selbst, außerdem verfügen wir dort über ein eigenes, jeweils gespendetes EKG, Spirometer und Sonographiegerät.“

„Um den Betrieb der Ambulanz rechtlich und organisatorisch abzusichern, muss sie nicht nur öffentlich akzeptiert, sondern institutionell und behördlich abgesichert sein. Nur so ist zu erreichen, dass sie später nicht mehr angegriffen oder infrage gestellt wird. Wir haben deswegen zu zahlreichen Stellen Kontakt aufgenommen und dort sowohl uns persönlich als auch unser Projekt vorgestellt. Die übliche Praxis-Eröffnungsanzeige in der Tageszeitung oder im Radio schied a priori aus, da wir einerseits keine Trittbrettfahrer anziehen wollten, andererseits unsere Botschaft kaum unsere Zielgruppe erreicht hätte. Welcher illegale Migrant liest schon das Darmstädter Echo oder hört den Hessischen Rundfunk? Die Information musste also durch Mund zu Mund Propaganda weitergegeben werden. Wichtigster Multiplikator war für uns hierbei das Interkulturelle Büro beim Sozialamt der Stadt Darmstadt, das regelmäßigen Kontakt zu fast 140 strukturierten Migrantenvereinigungen in Darmstadt hält. Glücklicherweise wurden wir dort mit offenen Armen empfangen, unser Vorhaben sogar materiell unterstützt und unsere Flyer an die Zielgruppen verteilt.“

Nach Anlaufschwierigkeiten, in denen mehr deutsche nicht Versicherte die Hilfe der Ambulanz in Anspruch nahmen sind inzwischen etwa zwei Drittel der bis zu zwanzig Patienten wöchentlich Ausländer. Das Arbeitsspektrum ist weit. Es geht von der Begleitung Schwangerer bis hin zur Sterbebegleitung krebskranker Menschen. In der dem Vortrag sich anschließenden regen Diskussion berichtete die Ärztin der MMM Frankfurt am Bürgerhospital von ihren Schwierigkeiten, Urlaubsvertretungen zu finden, von der Angst der Patienten, wenn vor der Klinik ein Polizeiauto steht. Es kam zur Sprache die Angst mancher Ärzte, sie machten sich ausländerechtlich strafbar, wenn sie Hilfe leisten. Dazu hat der Berliner Innensenator Körting klargestellt: „Ich bin der Meinung, dass die Verpflichtung zur Datenübermittlung in Fällen unerlaubten Aufenthalts gern. § 76 Abs 2 Nr. 1 AuslG abschließend und hinreichend in der bundesweit verbindlichen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 geregelt ist. Unabhängig davon, ob es sich um die Gewährleistung medizinischer Versorgung, vorschulische oder schulische Bildung, soziale Betreuung oder ähnliches handelt, sind öffentliche Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1-3 und 4 S.2 BDSG übermittlungspflichtig. Diese Pflicht trifft hier – also in allen Einrichtungen in städtischer Trägerschaft oder Behörden – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über die Aufnahme und Gewährung von Leistungen entscheiden und sich in diesem Zusammenhang über die Anschrift und damit auch den Aufenthaltsstatus des Betroffenen unterrichten müssen. Sonstiges Personal, das lediglich im Rahmen der Tätigkeit von dem illegalen Aufenthalt erfährt (etwa Ärzte, Erzieherinnen, Lehrer, Sozialarbeiter etc.) sind nicht übermittlungspflichtig. Nicht öffentliche Stellen – Einrichtungen in privater Trägerschaft, in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen – sind nicht zur Datenübermittlung gem. § 76 Abs. 2 AuslG verpflichtet. Das gilt auch, wenn sie aus öffentlichen Mitteln finanziert oder bezuschusst werden.“

Mitteilen kann man nur was man weiß. Und das hängt davon ab, was man fragt. Ein lebenspraktisch leicht lösbares Problem. Dennoch, die Ängste gibt es. Dies wird auch deutlich aus einer Entschließung des 108. Deutsche Ärztetages im Jahre 2005, in der festgestellt wird, dass Deutschland nicht den erforderlichen medizinischen Standards entspricht, die Versorgung durch gesetzliche Regelungen behindert. wird. Die Entschließung fordert, die politisch Verantwortlichen auf, „die medizinische Behandlung von in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Dazu gehört die Rechtssicherheit für Behandelnde, es muss klargestellt werden, dass ärztliche Hilfe nicht die Tatbestandsmerkmale der Beihilfe für illegalen Aufenthalt erfüllen. Die Gleichsetzung von Ärzten mit z. B. Schleppern, Schleusern und Menschenhändlern, wie aus § 96 AufenthG gefolgert werden kann, ist nicht akzeptabel. Aufzuheben ist die „Übermittlungspflicht“ für öffentliche Krankenhäuser an die Ausländerbehörden. Die Übermittlung von Daten gemäß § 87 AufenthG hat in der Regel die Abschiebung zur Folge. Die Verpflichtung zur ärztlichen Verschwiegenheit wird damit unterlaufen. Oft wird eine lebensnotwendige stationäre Behandlung aus Angst vor Abschiebung vermieden. Erforderlich ist eine Kostenregelung für die Behandlung von Menschen ohne Papiere. Die bisher übliche Praxis, die auf der kostenlosen Hilfe einzelner Ärztinnen und Ärzte oder von Krankenhäusern beruht, ist nicht ausreichend und auf Dauer finanziell nicht durchführbar. Eine Kostenübernahme durch die Sozialämter, die dann aber die Abschiebung zur Folge hat, ist keine realistische Lösung. Es ist vielmehr eine staatliche Aufgabe, allen hier lebenden Menschen eine angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen. “

Das fordert nicht nur die Humanität sondern ergibt sich schon daraus, dass es sträflich ist, Menschen mit zum Teil ansteckenden Krankheiten unversorgt zu lassen.

Daher die Bitte, unterstützen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten die Ambulanzen und machen Sie ihren Einfluss geltend, dass Kranke in Deutschland fachgerecht versorgt werden, ohne aus diesem Grunde eine Abschiebung befürchten zu müssen.

(Erst-Veröffentlichung dieses Textes in der ‚posT‘ Januar 2008)

Kurz notiert … Dezember 2010

22. Dezember 2010: Eine in Kenia geborene 28-jährige Frau wurde in Finnland zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt. Der Frau, die als ‚Erotik-Tänzerin‘ arbeitete, wurde vorgeworfen, zwischen 2005 und 2010 kondomlosen Sex mit 16 Männern gehabt zu haben, ohne ihren HIV-Status mitzuteilen.

Die US-Medikamentenbehörde FDA hat für die USA eine 200mg-Tablette von Etravirine (Handelsname Intellence®) zugelassen.

Die US-Medikamentenbehörde FDA hat erstmals einen Impfstoff auch zur Prävention von Anal-Karzinomen zugelassen (zur Anwendung bei Männern und Frauen im Alter von 9 bis 26 Jahren).

21. Dezember 2010: Der Pharmakonzern BMS erwirbt vom japanischen Unternehmen Oncolys BioPharma die Lizenz für den NRTI Festinavir. Die Substanz ist ein Derivat von d4T (Stavudin, Handelsname Zerit®). Festinavir soll Phase-I-Studien-Daten zufolge auch wirksam sein bei Resistenzen gegen Abacavir und Tenofovir. Für die weiteren Entwicklungsrechte zahlt BMS bis zu 286 Millionen US-$.

20. Dezember 2010: In den Vorgängen um die Verhaftung von Wikilekas-Gründer Julian Assange rückt immer mehr die Frage von Kondom-Benutzung und HIV-Test in den Vordergrund.

Ein Angeklagter vor dem Strafgericht Lüttich drohte dem Vorsitzenden, er werde den Richter mit HIV infizieren. Bevor er den Richter erreichte, überwältigten ihn Sicherheitsbeamte.

17. Dezember 2010: Auf den Zusammenhang zwischen der Verhaftung von Wikileaks-Gründer Julian Assange und den sehr repressiven HIV-Gesetzen in Schweden weist Edwin J. Bernard in seinem Artikel auf ‚Criminal HIV Transmission‘ hin.

In San Francisco hat am 10. Dezember 2010 das GLBT History Museum eröffnet. Betrieben wird es von der GLBT Historical Society.

16. Dezember 2010: Die USA und Südafrika haben eine auf fünf Jahren angelegte Partnerschaft zur Bekämpfung von Aids vereinbart.

15. Dezember 2010: Ein HIV-infizierter Amerikaner, der mit mehreren Frauen Sex ohne Kondom gehabt haben soll, wurde vom Landgericht Nürnberg-Fürth zu einem Jahr und sechs Monaten Haft verurteilt. Damit wurde das Urteil erster Instanz des Amtsgerichts Neumarkt bestätigt. Das Urteil ist rechtskräftig.

14. Dezember 2010: Richard Holbrooke stirbt im Alter von 69 Jahren. Der US-Star-Diplomat war neben vielen anderen Aktivitäten auch gegen Aids engagiert, war z.B. maßgeblich am Zustandekommen der Sitzung (wie der daraus folgenden Resolution) des Welt-Sicherheitsrates zu Aids im Jahr 2000 beteiligt.

HIV-Positive mit erhöhten Triglyzerid-Werten haben auch ein erhöhtes Risiko für Neuropathien, so eine (online auf AIDS publizierte) Studie.

9. Dezember 2010: In Südafrika startet 2011 ein „real life“ – test der ‚test-and-treat‚-Strategie (möglichst viele Menschen auf HIV testen, als HIV-positiv diagnostizierte Menschen direkt antiretroviral behandeln). Die Studie wird von der französischen ANRS durchgeführt.

8. Dezember 2010: In London solle ein Aids-Memorial errichtet werden, dass an diejenigen erinnert, die an den Folgen von HIV-Infektion und Aids verstorben sind, fordert eine neue Kampagne.

6. Dezember 2010: Tabu, Scham & Co. – eine im Auftrag der DAH erstellte Studie untersucht, warum viele HIV-Infektionen spät erkannt werden.

„Großer Erfolg“ – die DAH berichtet über erste Ergebnisse der EMIS-Befragung.

4. Dezember 2010: Die European Medicines Agency (EMA) weitet die Zugangsmöglichkeiten der Öffentlichkeit zu Unterlagen über Medikamente aus.

3. Dezember 2010: Die US-Medikamentenbehörde FDA erteilt einem „1-Minute – HIV-Schnelltest für die USA die Zulassung.

Schweiz: R. Staub, im Bundesamt für Gesundheit zuständig für Prävention und Promotion im BAG, benennt den gewünschten „kulturellen Wandel“ in der HIV-Prävention: Menschen mit neuer HIV-Diagnose sollen sich per SMS bekennen und Sexpartner zu informieren.

In New York wurden am Rand eines Benefiz-Events mehrere Aids-Aktivisten verhaftet. Sie hatten gegen die Aids-Politik von New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg protestiert.

2. Dezember 2010: Die Polizei in Russland hat am Welt-Aids-Tag zehn HIV-Positive festgenommen, die gegen die Politik des Gesundheitsministeriums protestiert hatten.

Das Pharmaunternehmen Vertex hat in den USA einen Zulassungsantrag für den Hepatitis-C – Proteasehemmer Telaprevir gestellt.

1. Dezember 2010:Auch Menschen ohne einen legalen Aufenthaltsstatus haben Anspruch auf Behandlung, darauf weist die Bundesärztekammer hin („Patientinnen und Patienten ohne legalen
Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis“, pdf)

Der Pharmakonzern MSD hat nach Empfehlung des Sicherheits-Komitees eine Phase-III-Studie zur einmal täglichen Anwendung von Raltegravir (Isentress®) vorzeitig abgebrochen. Insbesondere bei HIV-Infizierten mit hoher Viruslast sei die virologische Antwort weniger gut gewesen als bei der zweimal täglichen Dosierung.

Pünktlich zum Welt-Aids-Tag startet auf Kuba eine neue Kampagne für Sexual-Aufklärung und Aids-Prävention.

In China wird ein Erstklässler wegen seiner HIV-Infektion nach Protesten anderer Eltern der Schule verwiesen.

Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurz-Berichte 23.07.2010 (akt.)

In Wien findet vom 18. bis 23. Juli 2010 die XVIII. Welt-Aids-Konferenz statt. Im Folgenden Kurzberichte über einige wichtige Themen, die auf der Konferenz behandelt wurden. Diese Übersicht wird im Verlauf der Konferenz fortlaufend aktualisiert – Tag 5, 23. Juli 2010:

Elly Katabira aus Uganda neuer IAS-Chef

Zwei Jahre war der Kanadier Julio Montaner Chef der International Aids Society, der Veranstalterin der Welt-Aids-Konferenzen. Nun wird er im August 2010 abgelöst von Prof. Elly Katabira aus Uganda. Katabira ist derzeit Associate Professor of Medicine an der Makerere University / College of Health Sciences in Kampala, Uganda.
Nachfolgerin Katabiras wird mit Beendigung der Welt-Aids-Konferenz 2012 in Washington dann die Nobelpreisträgerin Prof. Barré-Sinoussi werden.

IAS: Biographie Elly Katabira (pdf)
IAS 23.07.2010: Elly Katabira Becomes IAS President Francoise Barre-Sinoussi Becomes IAS President Elect

Homophobie erhöht HIV-Risiko – zeigt Studie aus Uganda

In Kampala (Uganda) haben Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), und die homophobe Gewalt oder Missbrauch erlebten, ein fünffach erhöhtes Risiko, HIV-positiv zu sein. Dies berichteten Forscher über eine (um die Zielgruppe besser zu erreichen nach dem Schneeball-Prinzip aufgebaute) Studie, die zwischen Mai 2008 und April 2009 in Kampala stattfand. 3030 Männer, die in den vergangenen drei Monaten Analverkehr mit anderen Männern hatten, nahmen an der Studie teil. Die HIV-Prävalenz lag bei 13,7% (Kampala erwachsene Männer 4,5%). Von allen Studienteilnehmern waren 37% bisher schon einmal körperlich missbraucht worden, 26% waren zum Sex gezwungen worden. Männer, die jemals Gewalt oder Missbrauch erlebt hatten, hatten ein nahezu fünffach höheres Risiko, mit HIV infiziert zu sein.

aidsmap 22.07.2010: Ugandan study shows why human rights are central to HIV prevention with African men who have sex with men

Hirschel: Pillen in Afrika wirksamer als Kondome zur Prävention

Vor drei Jahren versetzte Prof. Bernard Hirschel mit dem EKAF-Statement die Welt in Aufregung. Die Aufregung hat sich gelegt, inzwischen ist das EKAF-Statement in Form der Viruslast-Methode längst in der Praxis angekommen. Hirschel aber hat schon die nächste Provokation bereit: „AIDS-Medikamente sind [zur Prävention] in Afrika wirksamer als Kondome“, sagte er am 21. Juli auf der XVIII. Welt-Aids-Konferenz („Aujourd’hui, le traitement est plus efficace que le préservatif en Afrique“). Mit einer Serie von Studien untermauerte er seine Aussage …

Libération 22.07.2010: Vienne 2010: « En Afrique, le traitement contre le sida est plus efficace que le préservatif »

Weltbank: Geld schützt vor HIV

Reduzieren kleine Geldbeträge das Risiko, sich mit HIV zu infizieren? Zu bemerkenswerten Resultaten und Erkenntnissen kommt die Weltbank:
In Malawi erhielten im Rahmen einer Studie an 3.769 jungen Frauen eine Gruppe junger Mädchen zwischen 13 und 22 monatlich umgerechnet 15 US-Dollar, wenn sie regelmäßig zur Schule kamen. Eine Kontrollgruppe erhielt keine Geldbeträge für regelmäßigen Schulbesuch.  18 Monate nach beginn de Programms im Januar 2008 zeigte sich ein überraschendes Ergebnis: in der Gruppe der Mädchen, die Geld als Belohnung für regelmäßigen Schulbesuch erhielten, lag die HIV-Infektionsrate bei 1,2%, in der Kontrollgruppe (ohne ‚Belohnungsgeld‘) hingegen bei 3%, eine um 60% niedrigere Prävalenz. Noch deutlicher war der Unterschied bei Herpes-Infektionen. Die Weltbank vermutet als Ursache einen „Einkommens-Effekt auf das Sexualverhalten“: The key seems to be an “income effect” on the sexual behaviors of young women receiving cash payments. A year after the program started, girls who received payments not only had less sex, but when they did, they tended to choose safer partners … In fact, the infection rate among those partners is estimated to be half of that of partners of the control group.“

Worldbank 19.07.2010: Malawi and Tanzania Research Shows Promise in Preventing HIV and Sexually-Transmitted Infections

Migranten: im Gastland höheres HIV-Risiko als im Heimatland

Niederländische Epidemiologen haben mit einem mathematischen Modell  herausgefunden, dass in den Niederlanden lebende heterosexuelle Migranten aus Afrika und der Karibik ein höheres Risiko haben, sich mit HIV zu infizieren, als sie es in ihrem Heimatland hätten. Als Ursache sehen sie an, dass Migranten bei Einreise in ihr Gastland in sehr eng begrenzten sexuellen Netzwerken von Menschen gleicher Herkunft leben und sich kaum mit der lokalen Bevölkerung vermischen.
In den Niederlanden liegt die HIV-Inzidenz bei 1 HIV-Infektion auf 47.000 Menschen im Jahr, bei in den Niederlanden lebenden Migranten aus Afrika liegt dieser Wert hingegen deutlich höher bei 1 : 1.170, aus der Karibik bei 1 : 4.600.

aidsmap 22.07.2010: Immigrants are more risk of HIV in their host country than back at home

Die Zukunft des Aids-Aktivismus

In zwei Sessions befasste sich die XVIII. Welt-Aids-Konferenz mit der Zukunft des Aids-Aktivismus. Beide Sessions befassten sich schwerpunktmäßig mit der Geschichte von TAC, der Treatment Action Campaign, die sich lange mit einer vergleichsweise untätigen Regierung Südafrikas auseinander setzen musste. Eine Auseinandersetzung, die von großen erfolgen gekrönt war. Doch Aktivisten befürchten, dass nach diesen Erfolgen eine Zeit des weniger engagierten Aktivismus folgen könnte. Es sei schwierig, die Energie der letzten Jahre auch die nächsten zehn Jahre aufrecht zu erhalten. Eine Gefahr liege zudem darin, wenn man für politische Ziele kämpfe zu glauben mit deren erreichen sei alles getan. Die eigentliche Arbeit beginne erst danach.

aidsmap 22.07.2010: The future of AIDS activism: looking for sustained energy and new tactics 10 years after Durban

Junge Menschen verändern ihr Sexualverhalten

Weltweit, besonders aber in Subsahara-Afrika veränderten junge Menschen ihr Sexualverhalten. Sie würden später sexuell aktiv, hätten weniger Partner und benutzten zunehmend Kondome. Dies betont ein neuer Report von UNAIDS.  Dr. Peter Ghys, Chefepidemiologe von UNAIDS, stellte die Daten auf der XVIII. Welt-Aidskonferenz in Wien vor. In zahlreichen Staaten der Region gehe zudem die HIV-Prävalenz deutlich zurück. Zwischen beiden Entwicklungen, der Veränderung des Sexualverhaltens und dem Rückgang der HIV-Prävalenz, gebe es eine deutliche Übereinstimmung.

UNAIDS: reductions in HIV prevalence among young people have coincided with a change ins exual behaviour patterns among people (pdf)
UNAIDS 22.07.2010: Young people interpret new UNAIDS data

Aids-Medikamente knapp – in Frankreich …

Schon seit einigen Wochen erscheinen gelegentlich Berichte über Probleme mit der Versorgung mit Aids-Medikamenten in Frankreich. Inzwischen thematisiert ACT UP die Versorgungskrise deutlicher – und kritisiert u.a. das französische Gesundheitsministerium.
Es scheint in Frankreich den Berichten zufolge Unterbrechungen in den Lagerbeständen zu geben, so dass nicht jedes Rezept sofort eingelöst werden kann, es manchmal zu Wartezeiten von mehreren Tagen kommt. Die Versorgungsengpässe seine schon früher gelegentlich aufgetreten, häuften sich dieses Jahr aber besonders. Die Quotierung sowie Re-Exporte seien Ursache des Problems, so die Hersteller. Konkreter Auslöser dr aktuellen Situation scheint auch ein Streik beim Hersteller GlaxoSmithKline (GSK) zu sein.

ACT UP Paris 22.07.2010: C’est l’été, il n’y a plus d’ARV !
Le Figaro 24.07.2010: Sida : certains médicaments difficiles à trouver en France

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siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 22.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 21.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 20.07.2010
siehe auch XVIII. Welt-Aids-Konferenz Wien: Kurzberichte 19.07.2010