Strafvollzugs-Bedienstete fordern Kennzeichnung von HIV-Positiven

Der Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands protestiert dagegen, dass HIV-positive Insassen von Strafvollzugsanstalten auch in Mecklenburg-Vorpommern nicht mehr mit mit dem Vermerk „Blutkontakt vermeiden“ in Akten und Computersystemen gekennzeichnet werden.

Der ‚Nordkurier‘ zitiert Anton Bachl, Bundesvorsitzenden des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands – Gewerkschaft Strafvollzug (BSBD) mit den Worten

„Das ist eine Entscheidung gegen die Interessen und die Sicherheit der Bediensteten, die täglich mit Gefangenen in Berührung kommen.“

Das Wachpersonal werde zukünftig anders reagieren, so Bachl.

Anton Bachl, Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands
Anton Bachl, Bundesvorsitzender des Bundes der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands

Die ‚Schweriner Volkszeitung‘ spricht von Empörung unter den Bediensteten; der erlass führe zu Verunsicherung unter den Bediensteten.

Matthias Nicolai vom BSBD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern bemerkte, der Vermerk „Blutkontakt vermeiden“ sei sinnvoll gewesen für die Sicherheit der Bediensteten.

Der Bund der Strafvollzugsbediensteten Deutschlands e. V. (BSBD) ist die Fach-Gewerkschaft der Strafvollzugsbediensteten in Deutschland. In ihm sind etwa 80% der im Strafvollzug Beschäftigten organisiert.

Das Justizministerium Mecklenburg-Vorpommern hat eine Anweisung (Erlass vom 07. Februar 2012) herausgegeben, im Justizvollzug die Kennzeichnung ‘Blutkontakt vermeiden’ zukünftig nicht mehr zu verwenden. Die bisher praktizierte Kennzeichnung sei datenschutzrechtlich bedenklich, zudem bestehe „keine durchgreifenden medizinischen Gründe für diesen Vermerk“.

„Der Vermerk täuscht eine Sicherheit vor, die es tatsächlich nicht gibt“,

darauf wies eine Sprecherin des Justizministeriums hin. Nur ein geringer Teil der Gefangenen werde auf HIV oder andere übertragbare Infektionskrankheiten untersucht. Bedienstete müssten sich also allen Gefangenen gegenüber die gleichen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen.

Datenschützer sowie die Deutsche Aids-Hilfe hatten die Justizministerin Mecklenburg-Vorpommerns für diese Entscheidung gelobt. Die Landesbehörde für Datenschutz kommentierte, mit der Entscheidung werde dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung entsprochen.

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weitere Informationen:
Nordkurier 06.03.2012: Kein „Blutkontakt vermeiden“ mehr auf Gefängnisakten – Protest: Kuder stoppt HIV-Kennzeichnung
DAH 17.02.2012: Mecklenburg-Vorpommern: Keine Kennzeichnung HIV-positiver Gefangener mehr
Schweriner Volkszeitung 07.03.2012: Kein HIV-Vermerk bei Gefangenen
NNN 07.03.2012: Kein HIV-Vermerk bei Gefangenen
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Kompetenznetz HIV/AIDS: Raus bevor’s ganz dicke kommt!

Seit Ende April 2011 ist das Kompetenznetz HIV/Aids Geschichte – was aber geschieht mit den Daten und Bio-Materialien der Tausenden HIV-Positiven, die an der HIV-Kohorte des Kompetenznetzes teilgenommen haben?

Dazu ein Gast-Kommentar von Carsten Schatz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe und bald vielleicht erster offen HIV-positiver Landtags-Abgeordneter:

Kompetenznetz HIV/AIDS: Raus bevor’s ganz dicke kommt!

Alle Bemühungen um eine Fortführung der staatlichen Förderung des Kompetenznetzes HIV/AIDS und damit das Kompetenznetz selbst sind gescheitert. Mit dem Ende der Förderung Ende April dieses Jahres endet auch die Begleitung des Netzes durch die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH). Damit fällt ein wichtiger Ansprechpartner für die Studienteilnehmer/innen weg. Der Patientennewsletter, für viele die einzige Informationsquelle, ist eingestellt. Alle Informationen für Teilnehmende sind nur noch über die Schwerpunktpraxis zu bekommen. Der Patientenbeirat wird seine Arbeit lediglich ehrenamtlich weiterführen. (Wer zahlt dann eigentlich für Treffen und Arbeit des Gremiums?) Soweit der unerfreuliche Stand der Dinge.

Informationen für die Teilnehmenden gibt es nur noch über die Schwerpunktpraxen

Die Mitgliederversammlung des Kompetenznetzes hat beschlossen, die Arbeit vorerst trotz allem weiterzuführen, weil noch wichtige Studien laufen. Ich bin kein Wissenschaftler und möchte daher keine Aussagen zur Wichtigkeit dieser Studien treffen. Allerdings hat auch niemand versucht, mir diese Wichtigkeit nahe zu bringen. Fakt ist: Bis 2016 sollen Daten und Bio-Material der Teilnehmenden zentral an der Uni Bochum gelagert werden.

Der Patientenbeirat und die DAH haben an alle Teilnehmenden einen Brief geschrieben und in neutralem Ton die Möglichkeiten des Umgangs mit der Situation dargestellt:

– Nichts unternehmen. Die Daten und Proben stehen dann der Forschung bis zur Vernichtung 2016 zur Verfügung.

– Aussteigen. Die DAH bietet dazu ein Formular zum Download an, dies dem Arzt aushändigen. Die Daten werden gelöscht, das Bio-Material sofort vernichtet.

Ich persönlich plädiere ganz klar für Variante zwei. Raus, bevor’s ganz dicke kommt!

Carsten Schatz (Foto: DAH)
Carsten Schatz (Foto: DAH)

In der Gründungsphase des Kompetenznetzes habe ich im Vertrauen auf die Teilnahme der Deutschen AIDS-Hilfe im Patientenbeirat und auf die unabhängige Förderung des Staates für diese Arbeit vielen Menschen mit HIV/Aids zugeraten, sich zu beteiligen.

Schon Ende 2006 wurde der erste Skandal bekannt, Daten von Teilnehmenden waren ohne deren Einverständnis ins Ausland übermittelt worden. Dort unterliegen sie nicht dem Datenschutzstandard, den wir aus Deutschland gewohnt sind.

Schlampige Dateneingabe, mangelnde Kommunikation, falsches Vertrauen ins Arzt-Patient-Verhältnis

Mitte 2007 die nächste Hiobsbotschaft: Rund die Hälfte der ursprünglich „in die Kohorte Eingeschleusten“ (immer diese Fachwörter) fiel aus dem Netz heraus, weil bei der Dateneingabe grobe Fehler passiert waren. Informationen an die Teilnehmenden? Fehlanzeige!

Viele haben mich damals gefragt, warum sie nicht benachrichtig würden. Leider konnte ich ihnen ad hoc keine Antwort geben. Erst nach mühevoller Netzrecherche konnte ich mir das Informations-Desaster erklären: Der Patientenbeirat hatte keinen direkten Kontakt zu den Teilnehmenden – der lief im Wesentlichen über die beteiligten Arztpraxen und Behandlungszentren. Welches Interesse aber hat eine Praxis, den Patienten im Wartezimmer mitzuteilen: „Übrigens, wegen schlampiger Dateneingabe sind wir bei diesem wichtigen Forschungsprojekt nicht mehr dabei.“

An noch einem weiteren Punkt führt uns das Kompetenznetz zur Frage nach dem Arzt-Patienten-Verhältnis. Wir sollten unser Wissen ernst nehmen und nicht so tun, als ob hier alles im Lot wäre. Auf der einen Seite schulen und trainieren wir zurecht Patientinnen und Patienten, weil es für die meisten Menschen mit HIV/Aids schwierig ist, beim Arzt Probleme und Fragen loszuwerden. Da können wir doch nicht auf der anderen Seite den Leuten sagen: Bezüglich des Kompetenznetzes klärt mal einfach alles mit eurem Arzt!

Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, während mancher Staatsanwalt “Virenschleudern” verfolgen möchte

Hier hatte das Netz von Beginn an einen Konstruktionsfehler. Ich habe mich damit beruhigt, dass die Leute sich an die DAH und den Patientenbeirat wenden konnten. Da das jetzt weitgehend wegfällt, sage ich ganz klar: Schluss. Jetzt raus!

Punkt zwei: Die Daten sind nicht vor Beschlagnahmung geschützt, zum Beispiel im Zuge von Strafverfahren. Das hat sowohl eine von uns in Auftrag gegebene Studie als auch eine Stellungnahme des Deutschen Ethikrates zur Sicherheit von Human-Bio-Banken deutlich gemacht. Solange Staatsanwälte in Deutschland herumlaufen, die meinen, über die juristische Verfolgung von „Virenschleudern“ Prävention betreiben zu können, halte ich bereits die Sammlung dieser Daten für hoch prekär – aus welchem Grund auch immer sie erfolgt.

Und wieder: Wir haben damals den Beteiligten Wissenschaftler/innen und Ärzt/inn/en gesagt: Kämpft mit uns für eine Änderung dieser Situation. Ich habe bislang aus dieser Richtung nichts vernommen, meine Hoffnung auf mehr hält sich in Grenzen. Dass die Daten nun an einem Ort gelagert werden sollen statt wie bisher dezentral, macht sie in ihrer Gesamtheit sogar noch leichter zugänglich.

Wir müssen die Dinge nun also selbst in die Hand nehmen. Die Daten und das Biomaterial müssen nachweisbar vernichtet werden. Mit anderen Worten: Schluss. Jetzt raus!

Die Aids-Hilfe hat sich überschätzt, als sie beschloss, den Tiger zu reiten

Punkt drei ist ein Punkt der Selbstkritik. Ich glaube, die Aids-Hilfe und ihr Umfeld haben sich überschätzt, als sie beschlossen, den Tiger zu reiten. Wie im Beitrag von Bernd Vielhaber angedeutet, hat das Kompetenznetz immer mit unterschiedlichen Interessen zu ringen gehabt, Spannungen gab es zum Beispiel zwischen klinischen Forschern und niedergelassenen Ärzten. Die einen haben hier gezogen, die anderen dort, von unten wurde geschoben und oben sind die Leute weggerannt.

Wir hatten in dieser Situation oft das Gefühl, fast die einzige Akteurin zu sein, die noch am Erfolg des Gesamtprojektes interessiert ist. Während es anderen oft um Kohle und Einfluss ging, haben wir versucht, die Interessen von Menschen mit HIV/Aids zu vertreten. Diesen Auftrag haben wir aber zu oft auf dem Altar der Abwägung und der Diplomatie geopfert.

In Zukunft würde uns in diesem Spiel unser wichtigster Mitspieler fehlen: die Bundesregierung. Als Finanzier ist sie der Öffentlichkeit Rechenschaft schuldig und durch politischen Druck beeinflussbar. Dieses Korrektiv steht nicht mehr zur Verfügung. Die Interessen der Menschen mit HIV/Aids klar und deutlich zu vertreten bedeutet darum abermals: Schluss. Jetzt raus!

Wir brauchen in Zukunft eine offene Diskussion, vorher aber eine klare Botschaft: Jetzt aussteigen!

Das Kompetenznetz ist ein wichtiges Kapitel in der Geschichte von HIV in Deutschland, daran ändert auch sein Scheitern nichts. Durch die Verschickung von Daten ins Ausland sind Fragen des Datenschutzes immerhin in den Fokus der Debatte gerückt. Es wurden Diskussionen über den Sinn von Studien geführt und Diskussionen über Interessenvertretung von Menschen mit HIV/Aids geführt.

Ich hoffe, dieser Prozess ist noch nicht beendet, denn wir brauchen diese Lektionen für die nächsten Auseinandersetzungen. Dazu gehört für mich auch, nicht hinter verschlossenen Türen zu kungeln, sondern Debatten in der Öffentlichkeit zu führen – zum Beispiel auf den Internetseiten der DAH.

Bevor wir aber weiter historisieren und diskutieren, brauchen wir eine klare Botschaft an die Menschen mit HIV/Aids in Deutschland, die den Aids-Hilfen vertrauen. Die lautet meines Erachtens: Nehmt die Dinge in die eigene Hand. Druckt den Antrag auf Löschung der Daten und Vernichtung des Biomaterials aus, und wenn ihr Fragen habt, wendet euch an Vertraute oder eure Aids-Hilfe. Legt die ausgefüllte Erklärung eurem Arzt/eurer Ärztin vor. Steigt aus!

bleiben oder gehen? Datenschutz nach dem Ende des Kompetenznetz HIV/Aids (akt.)

Seit Ende April 2011 ist es Geschichte, das ‚Kompetenznetz HIV/Aids‘, und mit ihm letztlich auch die HIV-Kohorte. Oder doch nicht? Was geschieht mit all den gespeicherten Daten der Tausenden Studien-Teilnehmerinnen und -Teilnehmer? Und was mit den Tausenden Bio-Materialien (z.B. Gewebe- und Blut-Proben)?

Schon zu Zeiten seines Bestehens waren immer wieder Vorwürfe nicht ausreichenden Datenschutzes oder laxen Umgangs mit Teilnehmer-Daten laut geworden. Wie geht es nun weiter, nach dem offiziellen ‚Aus‘?

Das ‚Aus‘ des Kompetenznetzes ist keineswegs, wie vermutet werden könnte, das ‚Aus‘ für Speicherung der seit über sieben Jahren gesammelten Daten und Bio-Materialien Tausender HIV-Positiver. Denn, so informiert die Deutsche Aids-Hilfe:

„Die Mitgliederversammlung [des Kompetentznetzes HIV/Aids; d.Verf.] beschloss deshalb, die Daten und das Biomaterial vorerst nicht zu vernichten, sondern weiterhin zugänglich zu halten.

Auf Betreiben des Patientenbeirates und der Deutschen AIDS-Hilfe hat das Steering Committee ein verbindliches Schlussdatum festgelegt, das sich streng an der Einwilligungserklärung der Studienteilnehmer orientiert: Spätestens zum 30.06.2016 werden alle Daten und das gesamte Biomaterial vernichtet.“

Alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten inzwischen über das Ende des Kompetenznetzes HIV/Aids informiert worden sein, müssten die „Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte“ erhalten haben (Link siehe unten).

In dieser „Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte“ von Kompetenznetz HIV/Aids und Deutscher Aids-Hilfe (offiziell datiert auf den 28. April 2011), der allen Teilnehmern zugehen sollte, heißt es u.a.

„Sofern Sie Ihrem Arzt nichts anderes mitteilen, werden ihre Daten und ihr Biomaterial jetzt noch bis Juni 2016 aufbewahrt. …
Unberührt davon bleibt Ihr Recht, auch jetzt schon eine Vernichtung Ihrer Daten und des Biomaterials zu verlangen.“

Für Teilnehmer, die eine Löschung ihrer Daten / Vernichtung ihrer Bio-Materialien wünschen, informiert der Brief

„teilen Sie Ihrem Arzt mit, dass Sie die Vernichtung Ihrer Daten und Ihres Biomaterials wünschen. Einen entsprechenden Vordruck können Sie ab Mitte Mai 2011 [geplant: hier ab 20. Mai 2011; d.Verf.] auf der Website www.aidshilfe.de herunterladen. Den ausgefüllten Vordruck händigen Sie Ihrem Arzt/Ihrer Ärztin aus. Auf Wunsch erhalten Sie eine Löschungsbestätigung.“

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Aktualisierung 25. Mai 2011, 07:30 Uhr: Die Deutsche Aids-Hilfe hat inzwischen das ‚Formular zum Ausstieg‘ veröffentlicht.
In einer Reihe von Beiträgen setzen sich auf dem DAH-Blog Autoren mit dem Für und Wider eines Ausstiegs oder Verbleibens in der Kohorte auseinander – die Beiträge sind unter „weitere Informationen“ verlinkt.

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Die umfangreichen Daten Tausender HIV-positiver Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kompetenznetzes ebenso wie Tausende Proben von Bio-Materialien sollen weiterhin gespeichert werden. Obwohl das Kompetentznetz nicht mehr existiert, obwohl es keine Förderung für irgendwelche Arbeiten mehr gibt.

Daten und Bio-Materialien, die nicht einmal anonymisiert, sondern nur pseudonymisiert sind. Dies bedeutet, sie sind mit einer Nummer codiert, über die letztlich eine Re-Identifikation des konkreten Teilnehmers möglich ist.

Die Speicherung nach dem ‚Aus‘ soll zudem in Strukturen erfolgen, in denen die Deutsche Aids-Hilfe als mögliche Vertreterin der Interessen HIV-Positiver seit 1. Mai 2011 nicht mehr beteiligt ist.

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Kompetenznetzes sollen sich eindringlich überlegen, ob sie in diesen Strukturen weiterhin noch ihre Daten und Bio-Materialen gespeichert haben wollen – oder ob sie eine Löschung verlangen.

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weitere Informationen:
DAH-Blog 17.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 1 | Das Ende nach 18,6 Millionen Euro
Information an alle Studienteilnehmenden des Kompetenznetzes HIV/AIDS über das Ende der Förderung der HIV-Kohorte (pdf)
DAH-Blog 18.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 2 – Die Hoffnung stirbt zuletzt
DAH-Blog 19.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 3 – Kohorte der Kohorte wegen?
DAH-Blog 20.05.2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 4 – Setzen, sechs!
Kompetenznetz HIV/AIDS 5: Raus bevor’s ganz dicke kommt!
DAH-Blog 24. Mai 2011: Kompetenznetz HIV/AIDS 6 – Was nun?
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Zivilgesellschaft fordert Stopp des europaweiten Zwangs zur Vorratsdatenspeicherung

In einem gemeinsamen Brief haben über 100 Organisationen aus 23 europäischen Ländern die EU-Kommission letzte Woche aufgefordert, „die Aufhebung der EU-Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung zugunsten eines Systems zur schnellen Sicherstellung und gezielten Aufzeichnung von Verkehrsdaten vorzuschlagen“. Unter den Unterzeichnern befinden sich Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, Verbraucherzentralen und auch Wirtschaftsverbände wie der deutsche eco-Verband.

Die 2006 beschlossene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung zwingt in ihrer gegenwärtigen Fassung alle Telekommunikations- und Internetanbieter, Daten über die Kommunikation sämtlicher ihrer Kunden zu sammeln. Die Unterzeichner des Briefes warnen, dass eine solche allgemeine Verbindungsdatenaufzeichnung vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte etwa zu Journalisten, Beratungsstellen und Geschäftspartnern dem ständigen Risiko eines Bekanntwerdens durch Datenpannen und -missbrauch aussetzt, unvertretbare Kosten nach sich zieht und die Kommunikationsfreiheit Unschuldiger unzumutbar behindert. „Eine generelle Verbindungsdatenspeicherung hat sich in vielen Staaten Europas als überflüssig, schädlich oder sogar verfassungswidrig herausgestellt“, so die Organisationen weiter.

In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht im März einer von 30.000 Menschen unterstützten Verfassungsbeschwerde stattgegeben und die Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung aufgehoben. Unter Berufung auf die fortbestehende EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung fordern CDU und CSU jedoch ihre Wiedereinführung in Deutschland. Im Mai entschied der irische High Court in Dublin, dem Europäischen Gerichtshof die Frage vorzulegen, ob die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit der EU-Grundrechtecharta vereinbar ist. Die EU-Kommission prüft zurzeit eine Überarbeitung der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung.

(Deutsche Aidshilfe, dort auch Brief im Volltext)

HIV-Kohorte: Datenschutz bei Weiterführung im Zentrum für Infektionsforschung gewährleistet? (akt. 2)

Wird die Patienten-Kohorte des Kompetenznetz Aids am neu einzurichtenden Zentrum für Infektionsforschung weitergeführt? Was bedeutet dies für die Wahrung der Patienten-Interessen?

Seit 2002 existiert das Deutsche Kompetenznetz HIV/Aids. Zur Durchführung seiner Forschungen hat das Kompetenznetz eine umfangreiche Patienten-Kohorte. In dieser werden zu 8.200 HIV-positiven Patienten pseudonymisiert Daten zu Infektionsverlauf, Medikamenten, Erkrankungen etc. gespeichert, aber auch Biomaterialien wie Blut- und Gewebeproben.

Die Zukunft des Kompetenznetz HIV ist nach Auslaufen der Bundesförderung gefährdet – und damit auch die HIV-Kohorte mit ihrer umfangreichen Daten- und Biomaterial-Sammlung (siehe Gast-Kommentare „Deutsche HIV-Kohorte bald bei der Seuchenkontroll-Behörde?“ und „Die Hoffnung stirbt zuletzt: Das Kompetenznetz HIV/Aids und die Politik„).

Um eine Weiterführung der HIV-Kohorte zu sichern, sind entsprechende Maßnahmen erforderlich. Das Kompetenznetz plant nun, sich -um die Kohorte zu sichern- als Partner im neu zu errichtenden ‚Deutschen Zentrum für Infektionsforschung‘ DZI zu bewerben.

Das Forschungsministerium (das das Zentrum für Infektionsforschung initiiert) spricht in seiner Öffentlichkeitsarbeit ausschließlich von einer Zusammenarbeit von Universitätsklinika bzw. Wissenschaftlern. Patienten sind einzig Subjekte der Forschung, Patienten-Organisationen werden als Beteiligte des Zentrums nicht genannt.

Entsprechend werden Sorgen geäußert, ob für den Fall einer Integration der HIV-Kohorte in das Deutsche Zentrum für Infektionsforschung die Interessen von Menschen mit HIV/Aids, insbesondere der Schutz von Daten und Biomaterial der beteiligten Patient/innen weiterhin gewährleistet sind.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung BMBF hatte erst am 5. Mai 2010 die Bildung eines ‚Deutschen Zentrums für Infektionsforschung‘ bekannt gegeben. Es soll eine „langfristig angelegte, gleichberechtigte Partnerschaften von außeruniversitären Forschungseinrichtungen und Universitäten mit Universitätsklinika“ sein. Es soll „vorhandene Kompetenzen [bündeln] und … so einen maßgeblichen Beitrag zur Schließung von Wissenslücken und zur Verbesserung von Prävention, Diagnose und Therapie“ leisten.

„Berechtigt zur Teilnahme am Wettbewerb als Partner im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung sind staatliche und nicht-staatliche Universitäten mit Universitätsklinika, außeruniversitäre Forschungseinrichtungen sowie mit diesen verbundene Dritte. Die Partner können sich einzeln oder als regionaler Verbund bewerben.“

„Anträge zur Teilnahme am Wettbewerb [sind] bis 31. August 2010 … vorzulegen.“ Standorte und Themen des DZI sollen Ende 2010 nach einer Begutachtung durch unabhängige Experten feststehen, die Gründung soll in der ersten Hälfte 2011 erfolgen. Projektträger des Zentrums für Infektionsforschung ist für das BMBF das DLR Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt.

Die Finanzierung des Kompetenznetz HIV ist derzeit bis zum Auslaufen der Förderung per 31.08.2010 gesichert. Eine kostenneutrale Laufzeitverlängerung bis Ende April 2011 wird beantragt.
Das Kompetenznetz und die HIV-Kohorte waren immer in der Kritik, insbesondere auch wegen Datenschutz-Bedenken. Erst jüngst hatte ein von der Deutschen Aids-Hilfe in Auftrag gegebenes Gutachten gezeigt, dass eine Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen ist.

Update 10.07.2010: Das Kompetenznetz kann kostenneutral bis April 2010 weitergeführt werden. Die eigentlich bis August 2010 bewilligten Mittel dürfen nun bis April 2011 verwendet werden.
Das Kompetenznetzt HIV beteiligt sich an der Ausschreibung zum Deutschen Zentrum für Infektionsforschung. Auch die Installierung und Finanzierung einer Patientenvertretung sei dabei berücksichtigt.

weitere Informationen:
Kompetenznetz HIV/Aids
5. Mai 2010: Bekanntmachung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung zur Errichtung eines Deutschen Zentrums für Infektionsforschung
BMBF Faktenblatt „Deutsches Zentrum für Infektionsforschung (DZI)“ (pdf)
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Datenschutz bei Google Analytics

Viele Internetseiten verwenden Tools für Statistiken zur Nutzung des Internetangebots. Google Analytics bietet nun ein ‚opt out‘ an, mit dem Internetnutzer die Datenübermittlung unterbinden können.

Eines der weltweit meist benutzten und auch auf ondamaris eingesetzten Tools zur Webanalyse ist Google Analytics. Ein für mehrere Internet-Browser verfügbares Add-on ermöglicht es Internetnutzern nun, die Datenübermittlung an Google Analytics zu unterbinden.

Das Add-on wurde von Google selbst erstellt und wird aktuell in einer Betaversion zum Download angeboten. Google teilt selbst zum Add-on mit:

„Das Opt-Out bietet dem Nutzer die Wahlmöglichkeit, ob Informationen zu den von ihm besuchten Websites von Google Analytics erfasst werden. Das Add-on unterbindet die Übermittlung von Daten, wenn Websites besucht werden, die den JavaScript-Tracking-Code (ga.js) von Google Analytics zur Datenerfassung verwenden. Die heute veröffentlichte Beta-Version des Opt-Out Add-ons ist für die Browser Internet Explorer, Firefox und Google Chrome verfügbar. Unter folgendem Link können Sie das Add-on herunterladen: http://tools.google.com/dlpage/gaoptout?hl=de.“

weitere Informationen:
Google Conversion Room Blog 25.05.2010: Größere Auswahl und Transparenz für Google Analytics
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Kurz notiert … Mai 2010

31. Mai 2010: Im Jahr 2011 soll nach 24 Jahren erstmals wieder eine Volkszählung stattfinden. Die Vorbereitungen laufen bisher eher im Stillen. „Aktivisten planen Verfassungsbeschwerde gegen Volkszählung 2011,“, berichtet Spreeblick.

28. Mai: Kommen EKAF-Statement und die Viruslast-Methode langsam auch international in der Forscher-Realität an? „Antiretroviral Treatment Cuts HIV Transmission Rate by 92 Percent„, berichtet POZ über eine US-Studie (Original-Publikation auf The Lancet).

27. Mai 2010: Tesamorelin: Zulassung empfohlen. Das zuständige Beratungs-Gremium „Endocrinologic and Metabolic Drugs Advisory Committee“ der FDA hat am 27. Mai 2010 die Zulassung von Tesamorelin empfohlen. Die Entscheidung der FDA wird innerhalb der nächsten 2 Monate erwartet. POZ berichtet am 27.05.2010: FDA Committee Unanimously Recommends Egrifta for Lipodystrophy

27. Mai 2010: Frauen-Kondom: „Kampf gegen Aids: Washington fördert Frauenkondome“, berichtet SpON.

26. Mai 2010: Kann anal verwendetes Gleitgel das Risiko für sexuell übertragbare Erkrankungen erhöhen? aidsmap berichtet „Rectal lubricants may enhance the risk of STIs

20. Mai 2010: Usbekistan – Maskerade: Präsident Karimow regiert ein Land, in dem jüngst der Aids-Aktivist Maxim Popov zu 7 Jahren Haft verurteilt wurde – und seine Tochter gibt bei einer Aids-Gala in Cannes die Wohltäterin.  Die taz berichtet über „Die Tochter des Despoten“.
Ex-Boygroup bei CSD:  „Backstreet Boys to Perform at S.F. Pride“ meldet advocate.

18. Mai 2010: Denkmal-Debatte: den aktuellen Streit um die Wahl des nächsten Films (und de facto um die Rolle überhaupt) des im Mai 2008 eingeweihten ‚Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ kommentiert Stephan Speicher in der SZ als „Wendepunkt in unserem Verhältnis zum Nationalsozialismus“ und „Entwertung der Geschichte“: „Homosexuellen-Denkmal: Entwertung der Geschichte

18. Mai 2010: Verhandlung N. B. in Darmstadt – das Amtsgericht Darmstadt teilt mit „In der Strafsache gegen die Sängerin N. B. wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung hat der zuständige Richter des Amtsgerichts Darmstadt mit Beschluss vom 17.05.2010 die von der Staatsanwaltschaft Darmstadt erhobene Anklage vom 04.02.2010 zugelassen und das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht – Jugendschöffengericht – Darmstadt eröffnet.“ Als Termine für die Hauptverhandlung wurden bestimmt: 16.08., 19.08., 23.08., 25.08. und 26.08.2010, jeweils um 09.00 Uhr bestimmt.

18. Mai 2010: Liegt’s an den Pocken? „Ende der Pockenimpfung könnte HIV-Ausbreitung ermöglicht haben“, berichtet SpON (Originalmeldung: BMC Immunology: Significantly reduced CCR5-tropic HIV-1 replication in vitro in cells from subjects previously immunized with Vaccinia Virus)

17. Mai 2010: Wie geht es Nadja Benaissa? ‚No Angels‘ – Sängerin Nadja Benaissa muss aus gesundheitlichen Gründen alle Termine plötzlich absagen, Tour-Auftakt geplatzt, berichten viele Medien (u.a. die Salzburger Nachrichten)

16. Mai 2010: Gedenken an Magnus Hirschfeld: Tetu berichtet über eine Gedenkveranstaltung am Grab von Magnus Hirschfeld in Nizza anlässlich des 75. Todestags von Magnus Hirschfeld

14. Mai 2010: „ultra-schwul und einzigartig“ – Tetu berichtet über das „erste Zentrum für sexuelle Gesundheit“ in Paris

13. Mai 2010: „He HAS manipulated us into invisibility.“ Larry Kramer kritisiert mit deutlichen Worten die Aids-Politik von US-Präsident Obama.

7. Mai 2010: Ärger um den GMHC-Umzug:  In New York tobt eine Auseinandersetzung um eine der ältesten und wichtigsten Aids-Organisationen der USA: GMHC Gay Mens Health Crisis, Debatten um Bunkermentalität, Betroffenennähe und Ignoranz. Meinungsstark wie immer äußert sich Larry Kramer zum anstehenden Umzug von GMHC

Datenschutz im Gesundheitswesen – wer darf was?

Geht es im Gesundheitswesen um Qualitätssicherung oder um Einladungsprogramme für Früherkennungsuntersuchungen, dann stellt sich stets auch die Frage nach dem Datenschutz für die Patientinnen und Patienten. Zusammen mit anderen Patientenorganisationen hat die ‚BAG Selbsthilfe‘ ein Rechtsgutachten hierzu eingeholt.

Der 88seitige Bericht geht u.a. detailliert auf gesetzlich zulässige Datenverarbeitung bei den Kostenträgern (Krankenkassen) und Leistungserbringern (Ärzte, Krankenhäuser) sowie Rechte der Patienten ein.

ULD Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein
Datenschutzrechtliches Gutachten
im Auftrag der Patientenvertretung nach § 140f Abs. 2 SGB V
Datenschutz bei der Qualitätskontrolle und bei Früherkennungsuntersuchungen nach dem SGB V
Endbericht, 30.06.2009 (pdf)

Im Bett mit dem Staatsanwalt?

Über eine beunruhigende Entwicklung in Sachen Kriminalisierung von HIV-Positiven informiert die aktuelle Ausgabe des HIV-Reports der Deutschen Aids-Hilfe.

Schweizer Forscher hatten ermitteln wollen, in welchem Umfang HIV-Übertragungen in der frühen oder in der chronischen Phase der HIV-Infektion stattfinden. Grundgedanke war dabei die derzeit viel diskutierte These, dass besonders in der Phase der frischen HIV-Infektion HIV-Übertragungen stattfinden.

Für ihre Studie verwendeten die Schweizer Forscher Daten aus zwei Schweizer Studien, der Züricher Primoinfektionsstudie (Zurich Primary HIV Infection Study, kurz ZPHI) sowie der Schweizer HIV-Kohortenstudie (SHCS). Die Daten der Studienteilnehmer wurden verglichen, um anhand von Infektionsverläufen zu errechnen (!), wann eine Infektion stattgefunden haben könnte.

Die Forscher konnten mehrere Cluster identifizieren, in denen errechnet (!) wurde, wer wann wen infiziert haben könnte.

Armin Schafberger, Medizin-Referent der DAH, kommentiert im HIV-Report dieses Vorgehen:

„Die Ermittlung von Infektionsketten mittels Kohortendaten erscheint beunruhigend, wenn man weiß, dass die Kriminalisierung der HIV-Übertragung in vielen Ländern eher zunimmt. Staatsanwälte könnten ein Interesse an einer solchen Forschung haben. Die Pseudonymisierung der Kohortenteilnehmer bietet vor staatsanwaltlichen Eingriffen zwar einen guten, aber keinen kompletten Schutz. Die Deutsche AIDS-Hilfe hat 2009 ein Rechtsgutachten zum „Beschlagnahmeschutz von Patientenakten (insbes. im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen) eingeholt. Steffen Taubert berichtete im Kompl@t 4/2009 des Kompetenznetzes zusammenfassend über die Ergebnisse“

Das fragwürdige Verhalten der Schweizer Forscher schockiert. Der Staatsanwalt dürfte sich schon die Hände reiben und prüfen, auf welchem Weg er an die Daten kommen kann. Selbst wenn es sich nur um errechnete Infektionswege und wahrscheinliche Infektionsketten handelt, für einen Ermittlungen begründenden Anfangsverdacht dürften diese Daten vielleicht schon genügen.Ganz abgesehen davon, dass das Vorgehen in der Studie vermutlich geradezu eine Handreichung für interessierte Ermittler sein dürfte …

Mit derartigen Studien und Vorgehensweisen bestärken derartige Forscher einmal mehr Vorbehalte gegen Studien und insbesondere Kohorten, besonders wenn diese nicht völlig anonymisiert (sondern wie im vorliegenden Fall nur pseudonymisiert, also prinzipiell rück-identifizierbar) sind.

HIV-Positiven kann -nicht nur angesichts dieser aktuellen Studie – nur geraten werden, sich äußerst gründlich zu informieren und bedacht zu entscheiden, ob sie an Studien teilnehmen, und wenn ja welche Daten und erst recht welche Bio-Materialien sie von sich zur Verfügung stellen.

Weitere Informationen:
Armin Schafberger: „HIV-Übertragungen in der akuten und chronischen Phase der Infektion„, in: HIV-Report Nr. 01/2010, 30. April 2010
Rieder P et al. (2010) HIV-1 transmission after cessation of early antiretroviral therapy among men having sex with men. AIDS 24(8):1177-1183, May 15, 2010 (abstract)
DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen
Kompl@t 4/2009 (pdf)
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Brief an Bundesjustizministerin: endgültiger Stopp der Vorratsdatenspeicherung!

Die Deutsche Aids-Hilfe sowie über 40 weitere Organisationen und Verbände haben Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, „sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen“.
Im folgenden als Dokumentation der Brief der Organisationen an Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger:

Sehr geehrte Frau Bundesministerin,
kaum hat das Bundesverfassungsgericht am 2. März 2010 die deutschen Vorschriften zur Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig und nichtig erklärt, wird von nicht Wenigen die Wiedereinführung einer Vorratsdatenspeicherung gefordert.

Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 sieht vor, dass Telekommunikationsunternehmen verpflichtet werden sollen, Daten über die Kommunikation ihrer Kunden auf Vorrat zu speichern.
Zur verbesserten Strafverfolgung soll nachvollziehbar sein, wer mit wem in den letzten sechs Monaten per Telefon, Handy oder E-Mail in Verbindung gestanden hat. Bei Handy-Telefonaten und SMS soll auch der jeweilige Standort des Benutzers festgehalten werden. In Verbindung mit anderen Informationen soll zudem die Nutzung des Internet nachvollziehbar sein.

Eine derart weitreichende Registrierung des Verhaltens der Menschen in Deutschland halten wir für inakzeptabel. Im Zuge einer Vorratsdatenspeicherung werden ohne jeden Verdacht einer Straftat sensible Informationen über die sozialen Beziehungen (einschließlich Geschäftsbeziehungen), die Bewegungen und die individuelle Lebenssituation (z.B. Kontakte mit Ärzten, Rechtsanwälten, Betriebsräten, Psychologen, Beratungsstellen) von über 80 Millionen Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern gesammelt. Damit höhlt eine Vorratsdatenspeicherung Anwalts-, Arzt-, Seelsorge-, Beratungs- und andere Berufsgeheimnisse aus und begünstigt Datenpannen und -missbrauch. Sie untergräbt den Schutz journalistischer Quellen und beschädigt damit die Pressefreiheit im Kern. Sie beeinträchtigt insgesamt die Funktionsbedingungen unseres freiheitlichen demokratischen Gemeinwesens. Die enormen Kosten einer Vorratsdatenspeicherung unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben steigen gegenüber den bisherigen Schätzungen deutlich und sind ohne Erstattungsregelung von den über 6.000 betroffenen Telekommunikationsunternehmen in Deutschland zu tragen. Dies zieht Preiserhöhungen nach sich, führt zur Einstellung von Angeboten und belastet mittelbar auch die Verbraucher.

Untersuchungen belegen, dass bereits die gegenwärtig verfügbaren Kommunikationsdaten ganz regelmäßig zur effektiven Aufklärung von Straftaten ausreichen. Es ist nicht nachgewiesen, dass eine Vorratsdatenspeicherung besser vor Kriminalität schützte. Dagegen kostet sie Millionen von Euro, gefährdet die Privatsphäre Unschuldiger, beeinträchtigt vertrauliche Kommunikation und ebnet den Weg in eine immer weiter reichende Massenansammlung von Informationen über die gesamte Bevölkerung.

Rechtsexperten erwarten, dass der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Anschluss an den Verfassungsgerichtshof Rumäniens eine Pflicht zur verdachtslosen Vorratsspeicherung von Kommunikationsdaten für unvereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention erklären wird. EU-Justizkommissarin Viviane Reding und EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström haben bereits eine Überprüfung der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung auf ihre
Übereinstimmung mit der EU-Grundrechtecharta angekündigt.

Als Vertreter der Bürgerinnen und Bürger, der Medien, der Berufstätigen und der Wirtschaft lehnen wir die Forderungen nach einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung geschlossen ab. Wir appellieren an Sie, sich ungeachtet eines möglichen Vertragsverletzungsverfahrens grundsätzlich von der Forderung nach einer neuerlichen umfassenden und verdachtsunabhängigen Speicherung von Telekommunikationsdaten zu distanzieren. Stattdessen rufen wir Sie auf, sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen, damit jeder europäische Staat wieder selbst über die Gewährleistung des Kommunikationsgeheimnisses seiner Bürgerinnen und Bürger entscheiden kann. Seien Sie sich unserer Unterstützung dabei versichert.

Mit freundlichen Grüßen,
1. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung
2. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Aktion Freiheit statt Angst e.V.
3. xxxxxxxxxxxx für Attac Deutschland
4. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. (BDP)
5. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Bund demokratischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler e.V.
6. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Bundesarbeitsgemeinschaft Kritischer Polizistinnen und Polizisten (Hamburger Signal) e.V.
7. xxxxxxxxxxxxx für den Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe – Frauen gegen Gewalt e.V.
8. xxxxxxxxxxxxxx für den Chaos Computer Club e.V.
9. xxxxxxxxxxx für die Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
10. xxxxxxxxxxxxx für die Deutsche Journalistinnen- und Journalisten-Union dju in ver.di
11. xxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Deutscher Journalisten-Verband e. V.
12. xxxxxxxxxxxxxx für den Deutscher Presserat
13. xxxxxxxxxxxxxxxx für den DFJV Deutscher Fachjournalisten-Verband AG
14. xxxxxxxxxxxx für den DPV Deutscher Presse Verband – Verband für Journalisten e.V.
15. xxxxxxxxxxxx für die DVD – Deutsche Vereinigung für Datenschutz e.V.
16. xxxxxxxxxxxxx für den eco – Verband der deutschen Internetwirtschaft e.V.
17. xxxxxxxxxxxxxx für die Ev. Konferenz für Telefonseelsorge und Offene Tür e.V.
18. xxxxxxxxxxxx für das FIfF – Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche
Verantwortung e.V.
19. xxxxxxxx für den FoeBuD e.V.
20. xxxxxxxxxxxxxxxx für den Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft (FITUG) e.V.
21. xxxxxxxxxxxxx für das Forum Menschenrechte e.V.
22. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Free Software Foundation Europe e.V.
23. xxxxxxxxxxxxxx für den FREELENS e.V.
24. xxxxxxxxxxxxxxxxx für die Freie Ärzteschaft e.V.
25. xxxxxxxxxxxxxx für die Gesellschaft für Datenschutz und Datensicherheit e. V. (GDD)
26. xxxxxxxxxxxx für IALANA
27. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die IG Bauen-Agrar-Umwelt
28. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Internationale Liga für Menschenrechte e.V.
29. xxxxxxxxxxx für das Komitee für Grundrechte und Demokratie e.V.
30. xxxxxxxxxx für den Lesben- und Schwulenverband in Deutschland (LSVD) e.V.
31. xxxxxxxxxxxx für die Magistrats européens pour la Démocratie et les Libertés – MEDEL
32. xxxxxxxxxxxxxxxx für den naiin – no abuse in internet e.V.
33. xxxxxxxxxxxxxxx für den NAV-Virchow-Bund – Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands e.V.
34. xxxxxxxxxxxxx für das Netzwerk Neue Medien e.V.
35. xxxxxxxxxxxx für das netzwerk recherche e.V.
36. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Neue Richtervereinigung e.V.
37. xxxxxxxxxxx für das Organisationsbüro der Strafverteidigervereinigungen
38. xxxxxxxxxxxx für PRO ASYL e.V.
39. xxxxxxxxxxxxxxxxxx für die Reporter ohne Grenzen e.V.
40. xxxxxxxxxxxx für den Republikanischer Anwältinnen- und Anwälteverein e.V.
41. xxxxxxxxxxxxxxx für den Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren VFLL e.V.
42. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Verband Freier Psychotherapeuten, Heilpraktiker für Psychotherapie und Psychologischer Berater e.V.
43. xxxxxxxxxxxxxxx für den Verbraucherzentrale Bundesverband e.V.
44. xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx für den Verein demokratischer Ärztinnen und Ärzte
45. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e.V.
46. xxxxxxxxxxxxxxxx für die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di)

Zivilgesellschaft fordert Ministerin zum endgültigen Stopp der Vorratsdatenspeicherung auf

Über 40 Organisationen und Verbände haben Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger in einem gemeinsamen Brief aufgefordert, „sich auf europäischer Ebene klar für eine Abschaffung der EU-Mindestvorgaben zur Vorratsdatenspeicherung einzusetzen“. Zur Begründung schreiben die Verbände, der EU-Zwang zur Speicherung aller Verbindungsdaten setze vertrauliche Tätigkeiten und Kontakte etwa zu Journalisten, Beratungsstellen und Geschäftspartnern dem ständigen Risiko eines Bekanntwerdens durch Datenpannen und -missbrauch aus, ziehe unvertretbare Kosten nach sich und behindere die Kommunikationsfreiheit unzumutbar. Zu den 48 Unterzeichnern des Schreibens zählen Bürgerrechts-, Datenschutz- und Menschenrechtsorganisationen ebenso wie Telefonseelsorge- und Notrufvereine, Berufsverbände etwa von Journalisten, Juristen und Ärzten, Gewerkschaften wie ver.di, der Verbraucherzentrale- Bundesverband und der Wirtschaftsverband eco sowie die Deutsche AIDS-Hilfe e.V.

Am 2. März 2010 hat das Bundesverfassungsgericht auf die Beschwerden von über 34.000 Bürgerinnen und Bürgern die deutschen Vorschriften zur Vorratsspeicherung aller Verbindungsdaten für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2006 schreibt jedoch europaweit eine Vorratsdatenspeicherung vor und zwingt Deutschland dadurch zur Wiedereinführung der verdachtslosen Vorratsdatensammlung. Die EU-Kommission prüft derzeit eine Änderung dieser Richtlinie. Die Bundesjustizministerin als Vertreterin Deutschlands im EU-Rat hat sich bislang noch nicht klar für ein Ende des EU-Speicherzwangs eingesetzt.
„Der 2005 beschlossene EU-weite Zwang zur flächendeckenden Verbindungsdatenspeicherung hat sich überlebt“, kommentiert Patrick Breyer vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Eine Vorratsdatenspeicherung hat sich in vielen Staaten in und außerhalb Europas als überflüssig, schädlich und verfassungswidrig erwiesen, so in Deutschland, Österreich, Belgien, Griechenland, Rumänien und Schweden. Diese Staaten verfolgen Straftaten ebenso effektiv mit gezielten Verfahren, wie sie etwa in der internationalen Cybercrime- Konvention vereinbart sind. Wo eine Vorratsdatenspeicherung eingeführt wurde, hat sie die Zahl der aufgeklärten Straftaten nicht erhöht. Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen etwa wurden 2007 84%, nach Einführung einer Vorratsdatenspeicherung im Jahr 2008 77% und 2009 ebenfalls 77% der bekannt gewordenen Internetdelikte aufgeklärt. Nützlichkeit ist nicht gleich Notwendigkeit. Die EU-Vorgaben müssen jetzt flexibler gestaltet werden und intelligentere Alternativen als eine ungezielte Datenanhäufung zulassen.“

„Rund 70% der Bundesbürgerinnen und -bürger lehnen eine verdachtslose Protokollierung ihrer Kontakte und Aufenthaltsorte ab“, erklärt Florian Altherr vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung. „Sie wollen sicher sein, dass ihre privaten und geschäftlichen Kontakte etwa zu Eheberatungsstellen, Rechtsanwälten oder Journalisten nicht in die falschen Hände geraten oder zu einem falschen Verdacht gegen sie führen können. Die vielen Datenskandale, etwa bei der Deutschen Telekom, haben uns gelehrt, dass nur nicht gespeicherte Daten sichere Daten sind. Deswegen erwartet die Zivilgesellschaft von der Bundesjustizministerin jetzt, dass sie ihre abwartende Haltung aufgibt und in Europa für ein Ende des Zwangs zur Erfassung aller Verbindungsdaten kämpft!“

(Pressemitteilung Deutsche Aids-Hilfe)

siehe auch: Dokumentation: Brief an Bundesjustizministerin: endgültiger Stopp der Vorratsdatenspeicherung!
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Bundesverfassungsgericht stellt Vertraulichkeit der Aidsberatung wieder her

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) begrüßt das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung. Das Gericht sieht in der umstrittenen Vorratsdatenspeicherung einen Verstoß gegen das Telekommunikationsgeheimnis und erklärte diese Praxis für verfassungswidrig. Bisher gespeicherte Verbindungs-Daten müssen gelöscht werden.

Dazu erklärt Winfried Holz, Mitglied im Vorstand der DAH: „Die Deutsche AIDS-Hilfe kämpft seit Jahren gegen die anlasslose Speicherung der Telefon- und Internetdaten, da sie dadurch die Vertraulichkeit der HIV- und Aids-Beratung gefährdet sah. Der Erste Senat des Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass diese Regelung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar ist, da sie das Grundrecht auf den Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses verletzt.“

Das Bundesverfassungsgericht greift in der Begründung seines heutigen Urteils die Argumente auf, die die Deutsche AIDS-Hilfe von Anbeginn an gegen die Vorratsdatenspeicherung angeführt hat:

„Auch wenn sich die Speicherung nicht auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus den Daten bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen. Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.“ (Urteil vom 2. März 2010 – 1BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1BvR 586/08).“

Die Aidshilfen in Deutschland sind als monothematische Beratungsstellen besonders auf einen Schutz der persönlichen Kontaktdaten der Ratsuchenden angewiesen: Mit der bisherigen Speicherung der von bis sechs Monaten wurde de facto der Anlass „festgehalten“.

(Pressemitteilung der Deutschen Aidshilfe)

Förderung durch die Aids-Stiftung – künftig nur noch mit öffentlichem ‚Foto-Beweis‘? (akt.2)

Die Deutsche Aids-Stiftung unterstützt eine Berliner Gruppe HIV-positiver Schwimmer – doch diese fürchten nun um ihre Anonymität und Vertraulichkeit. Die Stiftung verlangt neuerdings Fotos – auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung.

20 Jahre wird sie dieses Jahr alt, die Schwimmgruppe ‚Positeidon‘ der Berliner Aidshilfe. Was Ende der 1980er Jahre als reine Selbsthilfe gegen zunehmende Probleme HIV-Positiver und Aids-Kranker beim Besuch öffentlicher Bäder begann, entwickelte sich zur heute mit über 70 Mitgliedern größten Selbsthilfegruppe der Berliner Aidshilfe. Der Schwimmgruppe steht die historische Halle des Stadtbades Berlin – Charlottenburg mit ihrem 25-m-Becken zur alleinigen Nutzung zur Verfügung.

Logo der Schwimmgruppe der Berliner Aidshilfe 'Positeidon' (c) BAH
Logo der Schwimmgruppe der Berliner Aidshilfe 'Positeidon' (c) BAH

Positeidon schreibt selbst:

„Ende der achtziger Jahre gab es für HIV-positive und an Aids erkrankten Menschen zunehmend Probleme bei der Benutzung von öffentlichen Bädern; entweder wurden sie von anderen Badegästen wegen begleitender, äußerlich sichtbarer Erkrankungen gemieden oder sie trauten sich selbst damit nicht in die Öffentlichkeit. Vom Berliner Senat wurde daher seit dem Jahr 1990 auf Initiative der Berliner Aids-Hilfe einer Gruppe von SchwimmerInnen die kleine Halle des Stadtbades Charlottenburg jeweils für eine Stunde in der Woche zur alleinigen Nutzung zur Verfügung gestellt. Dieses Angebot der BAH wurde von Anfang an gern und rege in Anspruch genommen. Hieraus hat sich bis heute unter dem Namen Positeidon die größte Selbsthilfegruppe der Berliner Aids-Hilfe entwickelt, die eine Möglichkeit zur ungezwungenen und diskriminierungsfreien Begegnung für Menschen mit HIV und Aids bietet. Auch heute noch bietet die körperliche Bewegung im Wasser eine gute Möglichkeit zur ganzheitlichen Gesundheitsvorsorge.“

Während der Berliner Senat die Halle ursprünglich ohne zusätzliche Kosten zur Verfügung stellte, war damit einige Jahre nach der Privatisierung der Bäderbetriebe Schluss.  Inzwischen muss die Berliner Aidshilfe für die Nutzung des Bades durch ‚Positeidon‘ zahlen, jährlich ungefähr 2.000€ an Eintrittsgeldern plus seit März 2009 eine ‚Wassergebühr‘ pro Nutzungs-Tag von 100€.

Die Berliner Aidshilfe, die die Gelder zunächst aus eigenem Spendenaufkommen aufbrachte, wandte sich an die Deutsche Aids-Stiftung DAS mit der Bitte um Unterstützung, und diese erklärte sich dankenswerterweise auch bereit das Projekt finanziell zu unterstützen. Doch – die Stiftung hat ihre Bewilligungs-Bedingungen scheinbar geändert.

Die Deutsche Aids-Stiftung benötigt für ihre Unterlagen Nachweise darüber, dass ihre finanziellen Leistungen zweckgemäß eingesetzt werden. Dafür fordert sie nun von der Berliner Aidshilfe BAH nicht nur schriftliche Nachweise und Belege ein, sondern auch eine namentliche (!) Liste der Teilnehmer sowie Fotos, die die teilnehmenden (HIV-positiven) Schwimmerinnen und Schwimmer das geförderte Projekt zeigen sollen. Diese Fotos sollen nicht nur zur internen Dokumentation verwendet werden, sondern auch für die Öffentlichkeitsarbeit der Stiftung.

Mitglieder der Schwimmgruppe reagierten zunächst überrascht und schockiert. Mit Unmut und Unverständnis wurde die Forderung nach Fotos zur Kenntnis genommen. Die Ängste von Teilnehmern rühren auch daher, dass bei weitem nicht alle offen mit ihrer HIV-Infektion umgehen. Sie erwarten, dass  ihre Anonymität auch weiterhin gewahrt werden kann – und dass Aidshilfe und vor allem auch Aids-Stiftung dieses Schutzbedürfnis respektieren. Einige Teilnehmer äußerten die Befürchtung, nun nicht mehr an der Schwimmgruppe teilnehmen zu können – da dies nun anonym nicht mehr möglich sei, sie sich mit den Fotos als HIV-Positive ‚outen‘ müssten.

Die Berliner Aidshilfe AH konnte die Forderung der Namensliste zunächst abwenden – die Fotos werden von der Stiftung jedoch weiterhin gefordert. Die BAH ist weiterhin in Kontakt mit der Deutschen Aids-Stiftung, um eine für die HIV-positiven Teilnehmer tragbare Lösung für das ‚Foto-Problem‘ zu finden.

Auf ihrer Internetseite, im Bereich "Hilfen in Deutschland", fordert die Deutsche Aids-Stiftung zum online-Spenden auf - u.a. mit diesem 'Schwimm-Foto' ... (Screenshot Ausschnitt Site DAS)
Auf ihrer Internetseite, im Bereich "Hilfen in Deutschland", fordert die Deutsche Aids-Stiftung zum online-Spenden auf - u.a. mit diesem 'Schwimm-Foto' ... (Screenshot Ausschnitt Site DAS)

Update
(1) 12.02.2010 14:00 : Die Stiftung verlangt nach Aussage der BAH keine namentliche Teilnehmerliste – hier wurden von Personen, mit denen ich gesprochen habe, zwei verschiedene Sachverhalte vermischt. Die Stiftung fordere allerdings auch weiterhin nachdrücklich „Bildmaterial“, jedoch nicht explizit mit identifizierbarer Abbildung aller Teilnehmer. Siehe dazu auch Kommentar #3 von Jens Ahrens, HIV-Referent der BAH.

(2) 12.02.2010 15:45 : Die Stiftung hat inzwischen u.a. wie folgt Stellung genommen: „Um Fotos bitten wir bei nahezu jeder Projektbewilligung. Dass wir uns hier im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch der Teilnehmer nach Anonymität und den Erfordernissen für eine erfolgreiche Spendenakquise bewegen, ist uns bewusst. Dem tragen wir jedoch Rechnung, indem wir die Übersendung von Fotos immer als Bitte und nicht als Auflage formulieren. Wir akzeptieren, wenn einzelne Teilnehmer oder die gesamte Gruppe keine Fotos von sich machen lassen wollen oder nur zu solchen bereit sind, bei denen die Person/die Personen nicht zu erkennen ist/sind.“
Die Fotos hält die Stiftung für gerechtfertigt: „Von Ihrer Kritik an unserer aktuellen Vergabepraxis bleibt allenfalls die Frage, ob schon die Bitte um Fotos den Teilnehmern solcher Projekte zuviel abverlangt. Wir meinen nein.“

Hinweis: Die Deutscher Aids-Stiftung wurde am 11.02. um Stellungnahme angefragt, die bisher nicht eingegangen ist. Nach Vorliegen werde ich den Text entsprechend aktualisieren. erl., siehe Update 2

Outing als HIV-Positiver – unfreiwillig, für den Mittelnachweis, gar für die Öffentlichkeitsarbeit der Aids-Stiftung? Das Vorgehen der Deutschen Aids-Stiftung bestürzt. Ob ein HIV-Positiver mit seinem Serostatus offen umgeht oder nicht, sollte ausschließlich ihm allein überlasen bleiben. Das Recht auf Anonymität ist zu wahren, gerade auch in und von Aids-Organisationen. Ein offener Umgang kann nicht aus verwaltungstechnischen Gründen oder gar für das eigene Marketing erzwungen werden.

So sehr ein wirtschaftlicher Umgang mit Spendengeldern sinnvoll und begrüßenswert, das Bemühen um Akquisition neuer Spenden verständlich ist – eine Sensibilität im Umgang mit dem für viele HIV-Positive wichtigen Thema Diskretion und Datenschutz scheint hier seitens der Deutschen Aids-Stiftung nicht gerade deutlich ausgeprägt zu sein. Schon für den internen Nachweis scheint das Verlangen von Namenslisten und Fotos davon zu zeugen, dass in der Stiftung Mitarbeitern die Lebenssituation von Menschen mit HIV vielleicht nicht recht vertraut ist. Diese Fotos auch noch für die Öffentlichkeitsarbeit zu verwenden, und dies zur Bedingung für eine Unterstützung zu machen, scheint inakzepatbel.

Dies gilt umso mehr, als dieser Vorfall nicht der einzige dieser Art zu sein scheint – die Stiftung scheint generell ihre Bewilligungs-Bedingungen geändert zu haben. Auch von einem von der Aids-Stiftung unterstützten Bowling-Projekt wurden Fotos zur Dokumentation verlangt. Die Bowler konnten sich behelfen, indem sie für die Fotos (die bisher noch nicht an die Stiftung weitergegeben wurden) Bowling-Kugeln vor ihre Gesichter hielten – eine Alternative, die den Schwimmerinnen und Schwimmern mangels ‚Hilfsmitteln‘ kaum bleibt.

Da die Änderung der Bewilligungs-Bedingungen der Aids-Stiftung wohl bundesweit gelten dürfte, ist zudem auch von der Stiftung geförderten Projekten in anderen Städten zu empfehlen, aufmerksam zu prüfen, welche Nachweise verlangt werden, und wofür diese verwendet werden sollen.

Der Vorgang zeigt darüber hinaus wieder einmal deutlich, dass die Deutsche Aids-Stiftung gut beraten wäre, offen HIV-Positive Menschen in ihre Strukturen beratend einzubinden – auch um die Sensibilität für Themen wie Datenschutz zu erhöhen und eine größere Nähe der Stiftungsarbeit zu Alltagsproblemen von Menschen mit HIV zu gewährleisten. Ganz im Sinn der Satzung der Stiftung – dort ist zu lesen „Die Deutsche Aids-Stiftung will die Lebensbedingungen von HIV-positiven und an Aids erkrankten Menschen verbessern …“.

weitere Informationen:
Berliner Aidshilfe: 20 Jahre Positeidon
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Für eine neue Daten-Askese

Gerhart Baum, ehemaliger Bundesminister des Inneren, Rechtsanwalt und Politiker, fordert in einem Kommentar zu einem bewussteren, asketischeren Umgang mit den eigenen Daten auf – und zu einer neuen Datenschutzbewegung.

„Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen – auch durch Datensparsamkeit und Datenaskese“ – Gerhart Baum findet deutliche Worte in seinem Gast-Kommentar zum Thema Datenschutz, den er der Organisation FoeBuD gegeben hat.

Gerhart Baum beim Bundeskongress des DAV 2008 (Foto: Prof. A. Fritsch / wikipedia)
Gerhart Baum beim Bundeskongress des DAV 2008 (Foto: Prof. A. Fritsch / wikipedia)

FoeBud, der 1987 in Bielefeld gegründete Verein für Bürgerrechte und Datenschutz, ist u.a. mit der Theodor-Heuss-Medaille ausgezeichnet und engagiert sich gegen die Vorratsdatenspeicherung. Der ehemalige Bundesminister des Inneren (1978 bis 1982) Gerhart Baum hat sich in einem Gast-Kommentar für den FoeBuD e.V. mit dem Datenschutz und dem derzeitigen Stand der Datenschutz-Diskussion beschäftigt.

„Alles in Allem: Ich plädiere seit langem für eine Bürgerbewegung zum Schutze der durch Art. 1 des Grundgesetzes geschützten Privatheit. Ich plädiere für eine Datenschutzbewegung nach dem Vorbild der erfolgreichen Umweltbewegung. In der letzten Zeit hat sich gezeigt, dass doch zahlreiche vor allem auch jüngere Menschen sich gegen Elemente des Überwachungsstaates und der Überwachungsgesellschaft wenden. Diese Chance sollte jetzt genutzt werden.“

unbedingt lesen:

Gerhart Baum: Wir müssen zur Selbstverteidigung übergehen. Gastkommentar für FoeBuD, 21.01.2010
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Hinweis:
wer mit aktivem Datenschutz surfen möchte, findet beim FoeBuD viele nürtzliche Hinweise – u.a. auch ein Paket zum sicheren und anonymen Surfen, bis hin zum fertigen ‚Privacy Dongle‘ (als Stick oder Software-Paket)

DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen

„Patientenakten können unter Umständen auch vor Gericht verwertet werden“ – zu diesem Schluss kommt ein von der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Zu diesem Rechtsgutachten und seinen wesentlichen Aussagen ein Gastbeitrag von Steffen Taubert. Der Autor ist Wissenschaftlicher Projektkoordinator bei der Deutschen AIDS-Hilfe.

Als im April dieses Jahres No-Angels-Sängerin Nadia Benaissa verhaftet wurde, war der Schock in der HIV-Community und den Aidshilfen groß. Der vage Vorwurf, sie habe mindestens einen ihrer Partner mit HIV-infiziert, löste eine öffentliche Hetzjagd aus.

Mehr als ein halbes Jahr danach sind drängende Fragen noch immer unbeantwortet: Wie war es möglich, dass die Medien so unverblümt den HIV-Status einer Person veröffentlichten? Musste die Sängerin tatsächlich zur Klärung der genauen Zusammenhänge medienwirksam in einem Nachtclub verhaftet werden? Und vor allem: Wurden im Ermittlungsverfahren Krankenunterlagen beschlagnahmt, die doch gesetzlich besonders geschützt sind? Oder haben Ärzte diese Unterlagen freiwillig herausgegeben?

Die letzten beiden Frage beunruhigen vor allem Menschen mit HIV. Die meisten gingen bislang davon aus, dass ihre Daten beim Arzt auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht vor Beschlagnahmung und „freiwilliger Herausgabe“ geschützt seien. Um zu klären, wie sicher Patientenakten tatsächlich vor staatlichen Zugriff sind, hat die Deutsche AIDS-Hilfe beim Juristen und Kriminologen Kai Bammann ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis liegt nun vor.

Bammann kommt in seiner Expertise zu dem Urteil, dass Patientenakten zwar grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden dürfen, es aber einige Ausnahmesituationen gibt, in denen Staatsanwälte oder Polizei durchaus Zugriff auf die enthaltenen Informationen nehmen können.

Rechtliche Grundlage des Zeugnisverweigerungsrechtes ist der Paragraf 53 der Strafprozessordnung (StPO). Es gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für Psychotherapeuten, Anwälte und einige andere Berufsgruppen. Zudem regelt der Paragrafen 203 des Strafgesetzbuches (StGB) die Verschwiegenheitspflicht von Berufsgruppen, die im Rahmen ihrer Arbeit Kenntnis von schützenswerten personenbezogenen Daten erhalten. Neben Ärzten, Psychologen und Juristen sind hier unter anderem Ehe- und Jugendberater, Berater für Suchtfragen, staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen genannt. Dazu gehören auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Aidshilfen.

Staatsanwaltschaft und Polizei können nicht ohne gewichtigen Grund auf Patientenakten zugreifen. Auch die neue Möglichkeit der Onlinedurchsuchung hat diesen Grundsatz offenbar nicht aufgeweicht. Wird allerdings ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt geführt, dürfen auch Patientenakten oder elektronische Patientendateien beschlagnahmt werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn gegen den Arzt ein Verdacht auf Abrechnungsbetrug vorliegt.

Finden die Ermittler in diesen Akten nun Hinweise auf Rechtsverletzungen wie Drogenhandel, illegalen Aufenthaltsstatus oder – bei HIV-Positiven – ungeschützten Sex, könnten diese Informationen eventuell zu Ermittlungsverfahren gegen die Patienten genutzt werden.

Ein anderes Szenario besteht, wenn ein Arzt oder Berater Kenntnis von einer (geplanten) Straftat erhält. Hier kann der Arzt selbst tätig werden, wenn er im Rahmen von Nothilfe beziehungsweise Notstand (§§ 32 ff. StGB) den Eindruck hat, dadurch Schaden von einem anderen Menschen abzuwenden. Ob das Nothilfeverhalten eines Arztes tatsächlich gerechtfertigt ist, muss im Streitfall im Nachhinein ein Gericht klären.

Eine weitere Problematik ergibt sich in Bezug auf Forschungsdaten. Werden Daten für Studien oder Befragungen außerhalb der normalen Behandlung erhoben, unterliegen diese Informationen keinem besonderen Schutz, insbesondere keinem Zeugnisverweigerungsrecht. Aus diesem Grund forderte der nationale Ethikrat schon vor Jahren die Einführung eines „Forschungsgeheimnisses“. Die Deutsche AIDS-Hilfe schloss sich dieser Forderung an und kommunizierte diese im Vorfeld der letzten beiden Bundestagswahlen an die politischen Parteien. Ähnliche Forderungen erheben auch Datenschutzbeauftragte. Leider gibt es hier jedoch noch keine positive Entwicklung.

Und noch ein weiteres juristisches Problem beschreibt Bammann in seinem Gutachten: Es dreht sich um die Frage, ob Beweise aus unrechtmäßig durchgeführten Beschlagnahmen von Gerichten verwendet werden dürfen. Der Paragraf 160a der StPO scheint hier Möglichkeiten zu eröffnen. Bammann beschreibt die Lage so: „Kurz gefasst lässt sich festhalten: ein Verstoß gegen das Beschlagnahmeverbot hat zunächst einmal ein Verwertungsverbot zur Folge. […] Dieses Verwertungsverbot kann [aber] entfallen, wenn nachträglich das Beschlagnahmeverbot wegfällt – dann dürfen die Unterlagen verwendet werden, auch wenn die Beschlagnahme zunächst unzulässig war.“

Laut Paragrafen 160a StPO gibt es außerdem bei unzulässigerweise beschlagnahmten Unterlagen kein absolutes Verwertungsverbot mehr. Das Gericht muss sich mit der Frage auseinandersetzen, was höher wiegt: das staatliche Interesse an der Aufklärung einer Straftat oder das Recht des Einzelnen auf umfassenden Schutz seiner Daten. Nur dort, wo höchstpersönliche Lebensbereiche betroffen sind, gilt auch weiterhin ein absoluter Schutz. Wie dies anzuwenden und auszulegen ist, wird aber erst die Zukunft zeigen, da Paragraf 160a StPO noch relativ neu und nicht unumstritten ist.

Bammann befragte für das Gutachten auch Landesärztekammern über bisherige Fälle. Das Ergebnis: Beschlagnahmen kommen zwar vor, scheinen aber nach wie vor eher selten zu sein. Der Rechtsexperte weist allerdings darauf hin, dass die Landesärztekammern möglicherweise nicht über alle Vorgänge informiert sind.

Wie können sich Ärzte verhalten, wenn die Polizei in ihrer Praxis auftaucht? Wichtig ist vor allem, Ruhe zu bewahren und die Schweigepflicht auch tatsächlich einzuhalten, soweit das möglich ist.
Erfahren Patienten, dass sensible, medizinische Informationen ohne ihre Zustimmung an Polizei, Staatsanwaltschaft oder Presse weitergeben wurden, können sie Strafanzeige gemäß Paragraf 203 StGB stellen. Hier können regionale Aidshilfen Unterstützung bieten.

Letztlich sollte es jedoch darum gehen, dass Ärzte und Patienten sich gemeinsam gegen Strömungen stellen, den Schutz der Privatsphäre auszuhöhlen. Ein vertrauensvolles Arzt-Patientenverhältnis, das Grundlage jeder guten HIV-Therapie ist, baut sich nur dann auf, wenn keine Informationen aus solchen Gesprächen an Dritte gelangen.

In diesem Zusammenhang gilt es von Politik zu fordern, Unklarheiten bei der Umsetzung des Paragrafen 160 StPO schnellstmöglich zu ändern, Regelungen eines umfassend Forschungsgeheimnisses einzuführen.

Der Fall Nadja Benaissa zeigt außerdem: Nicht zuletzt kommt es darauf an, eine Kultur der Anwendung bestehenden Rechts einzufordern.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht im DAH-Blog DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen. Vielen Dank an Steffen Taubert für das Einverständnis zur Veröffentlichung auf ondamaris!

weitere Informationen:
Beschlagnahme und Beschlagnahmeschutz von Patientenakten insbesondere im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen. Rechtsgutachten Dr. Kai Bammann, Berlin, November 2009 (pdf)
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Abgestempelt auf dem Arbeitsamt

„Abgestempelt“ fühlen sich viele Menschen mit HIV auf dem Arbeitsamt – auch in Österreich, wie aktuelle Berichte wieder zeigen und zudem Datenschutz-Probleme offenbaren.

„Woher weiß das Arbeitsamt über meinen HIV-Status Bescheid?“, diese Frage stellen sich österreichische Positive. Immer wieder, so Presseberichte, würden Klienten des ‚Arbeitsmarktservice‘ AMS (so die österreichische Version der ‚Agentur für Arbeit‘) auf ihre HIV-Infektion angesprochen – ohne diese dem Amt vorher mitgeteilt zu haben.

Wiltrut Stefanek vom österreichischen Verein PulsHIV: „Es gibt immer wieder die Situation, dass das Arbeitsamt Bescheid weiß über eine Infektion. Wir haben auch Fälle, in denen Personen darauf angesprochen werden. Wir wissen nicht, woher das Arbeitsamt das hat.“

PulsHIV hat keine Informationen, wie viele dieser Fälle in der österreichischen Arbeitsverwaltung vorkommen. Die Aids-Hilfe Wien hingegen spricht von Einzelfällen.

Der Arbeitsmarktservice AMS bestreitet, unzulässig Informationen über den HIV-Status einer Person zu erheben. Allerdings könne es sein, dass Amtsärzte die Information über den HIV-Status im Zusammenhang mit der Begutachtung der Arbeitsfähigkeit der AMS mitteilten. Zudem werde selbstverständlich gespeichert, wenn jemand freiwillig seinen HIV-Status mitteile.

Wiltrut Stefanek hat selbst Erfahrungen mit dem AMS. Sie hörte einst, als sie wegen Arbeitsvermittlung vorsprach, als Antwort „Kommen Sie wieder, wenn Sie gesund sind.“ Gesagt hatte sie dem AMS nichts von ihrer HIV-Infektion – wohl aber wusste das Jugendamt davon.

siehe auch:
die Presse 26.11.2009: Vertrauliche Daten: HIV-Tests gelangen zum AMS
der standard 27.11.2009: HIV-positiv und in der Jobwelt „abgestempelt“
Wiener Zeitung 27.11.2009: Wenn Ämter über HIV Bescheid wissen
DAH: HIV und Arbeit – Die Fakten (pdf)
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