Österreich: Kriminalisierung HIV-Positiver beendet

Die Kriminalisierung HIV-Positiver in Österreich wurde mit Weisung der österreichischen Justizministerin an die Staatsanwaltschaft beendet.

In Österreich konnten Menschen mit HIV bisher besonders scharf strafrechtlich verfolgt werden. Selbst bei Befolgung der Safer Sex Regeln war eine Verurteilung möglich – und erfolgte in den 1980er und 90er Jahren auch mehrfach. Grundlage war die Regelung „Gefährdung durch übertragbare Krankheiten“ (§§ 178 & 179 Strafgesetzbuch).

Diese Kriminalisierung HIV-Positiver wurde nun im Vorfeld der XVIII. Internationalen Aids-Konferenz beendet, wie der Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner (Rechtskomitee Lambda) in einem Artikel für das österreichische Szenemagazin ‚Xtra!‘ berichtet.

Graupner erläutert:

„Hochoffiziell hat die Justizministerin in Beantwortung einer parlamentarischen Anfrage letzten Mai mitgeteilt, sie habe die Staatsanwaltschaften unterrichtet, dass Anklagen bei Befolgung der Safer Sex Regeln unzulässig sind.“

Die Entkriminalisierung HIV-Positiver in Österreich reicht aber noch weiter – das EKAF-Statement („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) ist in Östereich bei der Justiz angekommen. Graupner weiter:

„Darüber hinaus hat sie auch jüngsten wissenschaftlichen Erkenntnissen Rechnung getragen, wonach HIV-positive Personen unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie (Viruslast seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze) nicht infektiös sind. Auch in diesen Fällen besteht keine ernsthafte Ansteckungsgefahr. Sie ist weit geringer als bei Safer Sex von HIV-Positiven mit nachweisbarer Viruslast. Auch bei ungeschützten Kontakten darf es, so die Ministerin erfreulicherweise, keine Anklagen mehr geben, wenn die Viruslast der HIV-positiven Person auf Grund einer erfolgreichen Therapie Null ist.“

Das Österreichische Justizministerium erläutert in einem Schreiben an die Österreichische Aids-Gesellschaft:

„Nach den neuesten Forschungsergebnissen soll selbst mit dem ungeschützten Geschlechtsverkehr einer HIV-infizierten Person dann keine Ansteckungsgefahr verbunden sein, wenn sich die infizierte Person konsequent einer wirksamen antiretroviralen Therapie unterzieht; unter dieser Voraussetzung wäre auch mit einem ungeschützten Geschlechtsverkehr kein sozial inadäquates Risiko mehr verbunden.“

Die Österreichische Aids-Gesellschaft kommentiert

„Die Stellungnahme des Bundesministeriums für Justiz ist ein weiterer Schritt zur Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von HIV-Positiven.“

weitere Informationen:
Schreiben des Österreichischen Justizministeriums an die Österreichische Aids-Gesellschaft (pdf)
Antwort des Österreichischen Bundesministeriums für Justiz auf eine Kleine Anfrage (pdf)
Parlamentarische Anfrage (pdf)
Dr. Helmut Graupner: „Justizministerin beendet Kriminalisierung HIV-Positiver“, in: Xtra! Nr. 08/2010, S. 16
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zur Diskussion gestellt: „HIV und Strafrecht: Vier Prinzipien“

Am Montag, 16. August 2010 beginnt in Darmstadt der Prozess gegen Nadja Benaissa. HIV und der strafrechtliche Umgang mit HIV geraten wieder in den Blickpunkt von Medien und Öffentlichkeit. Gibt es sinnvolle Prinzipien, wenn „HIV vor Gericht“ steht, z.B. um eine wirksame Prävention nicht zu gefährden und Stigmatisierung von HIV-Positiven zu vermeiden?
Ein Gastbeitrag von Silke Eggers, Karl Lemmen, Marianne Rademacher, Holger Sweers und Stefan Timmermanns – verbunden mit der Bitte um intensive Diskussion und Kommentare:

Einladung zur Diskussion
HIV und Strafrecht: Vier Prinzipien

Heute, am 16. August 2010, hat vor dem Amtsgericht Darmstadt der Prozess gegen die Sängerin Nadja Benaissa begonnen. Immer wieder landen Fälle vor Gericht, in denen es um (potenzielle) HIV-Übertragungen geht. In der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH) hat eine kleine Arbeitsgruppe vier Prinzipien zu diesem Thema formuliert, die ihrer Ansicht nach gelten sollten.

Die Gruppe stellt das Papier im DAH-Blog unter blog.aidshilfe.de zur Diskussion und lädt herzlich zu Anmerkungen und konstruktiver Kritik ein.

Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung ist kein Mittel der Prävention, sondern wirkt sich kontraproduktiv aus: Sie lässt die Illusion entstehen, der Staat habe HIV unter Kontrolle und HIV-Positive trügen die alleinige Verantwortung für den Schutz vor einer HIV-Übertragung. Wenn Menschen aber glauben, dass allein die HIV-Positiven für den Schutz vor HIV verantwortlich sind, kann dies dazu führen, dass sie ihr eigenes Schutzverhalten vernachlässigen.

Hinzu kommt: Nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung führt unter Umständen dazu, dass Menschen sich nicht auf HIV testen lassen – nach dem Motto: Wer nicht getestet ist, kann strafrechtlich nicht verantwortlich gemacht werden. Darüber hinaus leistet sie der Stigmatisierung von HIV-Positiven Vorschub, was einem selbstbewussten Umgang mit der HIV-Infektion im Wege stehen kann.

Auf der anderen Seite gibt es aber durchaus Fälle, in denen die HIV-Übertragung eine strafrechtliche Bedeutung hat, zum Beispiel, wenn das Gegenüber arglistig getäuscht wurde, Vertrauen ausgenutzt wurde oder eine Ansteckung beabsichtigt war.

In jedem Fall aber sollten, wenn HIV vor Gericht eine Rolle spielt, folgende Prinzipien gelten:

1. Bei sexuellen Begegnungen gilt das Prinzip der geteilten Verantwortung.

HIV-Prävention bedeutet in unserem Verständnis, dass alle Beteiligten lernen müssen, sich nicht auf andere zu verlassen, sondern den Schutz vor HIV in die eigene Hand zu nehmen. Daraus folgt für uns zum Beispiel, dass von Menschen mit HIV bei Gelegenheitskontakten oder am Beginn neuer Beziehungen nicht gefordert werden kann, ihre Infektion offenzulegen – wohl aber, dass sie ihre Verantwortung für den Schutz vor einer HIV-Übertragung wahrnehmen wie ihre Partner/innen auch.

Wir gehen dabei vom Prinzip der geteilten Verantwortung aus. Eine einseitige Zuschreibung von Verantwortung an Menschen mit HIV ist nicht nur ethisch unhaltbar, sondern auch kontraproduktiv für die Verhütung von HIV-Übertragungen (siehe Einleitung).

Geteilte Verantwortung heißt für uns, dass wir die Partner/innen in sexuellen Begegnungen – ob HIV-positiv getestet, ungetestet oder HIV-negativ getestet – grundsätzlich „auf gleicher Augenhöhe“ sehen, als freie und gleichberechtigte Menschen, die auf der Grundlage von Informationen und Kommunikation gemeinsame Entscheidungen treffen oder den Schutz vor einer Übertragung in die eigene Hand nehmen können.

Es kann allerdings Fälle geben, wo diese gleiche Augenhöhe nicht gegeben ist, zum Beispiel, wenn ein Partner/eine Partnerin aufgrund von Alkohol- und Drogenkonsum nur noch eingeschränkt handlungsfähig ist, bei Abhängigkeiten, Zwang oder verminderten kognitiven Fähigkeiten. In solchen Fällen kommt dem Gegenüber in der überlegenen Position eine größere Verantwortung zu. Wir sehen daher die Einzelne/den Einzelnen nie allein mit ihrer/seiner Verantwortung, sondern immer auch die Mitverantwortung der anderen (bzw. für die anderen).

2. Auch HIV-Positive haben das Recht auf Unvoreingenommenheit.

Viele juristische Auseinandersetzungen um (potenzielle) HIV-Übertragungen finden im Kontext enttäuschter Beziehungswünsche statt. Richter sind auch hier gefordert, Menschen mit HIV unvoreingenommen zu begegnen, ihnen also nicht per se weniger Glaubwürdigkeit beizumessen als Nichtinfizierten. Dazu gehört gegebenenfalls auch, sich vom medial gezeichneten Bild der „verantwortungslosen Positiven“ freizumachen. Wichtig ist, dass sich Öffentlichkeit und Justiz nicht vor den Karren von „Beziehungsabrechnungen“ spannen lassen.

3. Im Spannungsfeld zwischen Recht und Prävention ist ein differenziertes und sensibles Vorgehen nötig.

Die DAH beschäftigt sich mit dem Thema Recht und HIV vor allem aus zwei Perspektiven:
• aus der Perspektive der Menschenrechte
• aus der Perspektive der Prävention.

HIV-Prävention im Sinne von „New Public Health“ will Menschen zum selbstbestimmten und verantwortungsvollen Umgang mit HIV und Aids befähigen. Die deutsche Linie der HIV- und Aidsbekämpfung ist gerade deshalb so erfolgreich, weil sie von der Mündigkeit und Verantwortung jedes einzelnen Menschen ausgeht. Und weil sie z. B. dafür sorgt, dass HIV-Positive nicht stigmatisiert werden, sondern ihre schwierige Situation im Umgang mit dem „gesellschaftlichen Makel“ HIV anerkennt.

Wenn (potenzielle) HIV-Übertragungen juristisch aufgearbeitet werden, müssen Justiz und Medien daher differenziert und sensibel vorgehen – und sollten mögliche Folgen für die Prävention beachten. „Mediale Treibjagden“ auf angeblich verantwortungslose HIV-Positive z. B. verschärfen das Stigma HIV und dürften es Menschen mit HIV eher erschweren, ihren HIV-Status offenzulegen und damit ihren Partner(inne)n einen verantwortungsvollen Umgang mit der Infektion zu ermöglichen.

4. Das veränderte Leben mit HIV erfordert eine veränderte Rechtsprechung.

Die bisherige Rechtsprechung orientierte sich an einem Bild von HIV, das mit hohen Übertragungswahrscheinlichkeiten (zum Beispiel beim Sex ohne Kondom), schnellem Siechtum und Tod verbunden war. Die HIV-Infektion ist aber inzwischen zu einer behandelbaren chronischen Erkrankung geworden. Wer sich heute mit HIV infiziert, kann bei rechtzeitiger Diagnose und Behandlung mit einer annähernd normalen Lebenserwartung rechnen.

Außerdem kann durch eine antiretrovirale Therapie die Übertragungswahrscheinlichkeit wirksam gesenkt werden. Solche Veränderungen müssen stärker in die Rechtsprechung einfließen. Galt bisher das Einbringen eines Kondoms in die sexuelle Kommunikation als ausreichender Beweis, eine HIV-Übertragung verhindern zu wollen, stellt sich die Frage, ob die korrekt angewendete „Viruslastmethode“ heute nicht gleichermaßen bewertet werden müsste, bietet sie doch eine vergleichbare Sicherheit (vgl. hierzu das DAH-Positionspapier „HIV-Therapie und Prävention“ vom April 2009).

Berlin, im August 2010

Silke Eggers, Karl Lemmen, Marianne Rademacher, Holger Sweers, Stefan Timmermanns

Freispruch oder Verurteilung – und das Schweigen der Fachgesellschaften (akt.)

Eine erfolgreiche Therapie reduziert die Infektiosität – aber welche Konsequenzen hat das? Insbesondere vor Gericht? Zwei Fachgesellschaften können nicht zu einer gemeinsamen Haltung finden. Die Leidtragenden: die Rechtssicherheit – und Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Wenn HIV-Positive vor Gericht stehen, spielt bei der Beurteilung der Frage, wie eine etwaige bzw. mögliche Übertragung von HIV juristisch zu beurteilen ist, neben vielen anderen immer wieder auch die Frage eine Rolle, ob der Positive infektiös war – oder ob aufgrund erfolgreicher Therapie ein reales Infektionsrisiko kaum gegeben war.

Gerichte haben diese Frage in Deutschland in den letzten beiden Jahren immer wieder in unterschiedlichem Umfang berücksichtigt – und sind zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Verkürzt gesagt, von Verurteilung trotz erfolgreicher Therapie bis Freispruch, eben aufgrund erfolgreicher Therapie (und fehlender Infektiosität) – das Spektrum der Urteile ist breit.

Ein Unding, findet der Blogger „diego62“, und wundert sich. Irritiert wendet er sich an die Bundesregierung, bittet um Klarheit. Wie steht es mit der Frage des EKAF-Statements, der Frage der stark reduzierten Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, und deren Einbeziehung und Bewertung vor Gericht?
Der Blogger betont in seiner Anfrage an das Bundesministerium für Gesundheit

„Nur in deutschen Gerichten vermisst man diesen Sachverhalt in den Urteilen der letzten Monate. Hier werden, je nach dem der Gutachter den Verhalt auslegt, sehr unterschiedliche Urteile [gefällt; d.Verf.].“
und erläutert seine Anfrage
„Es kann nicht sein, dass hier ein HIV-Positiver unter Nachweisgrenze wegen schwerer (versuchter) Körperverletzung verurteilt wird, weil dem Gutachter/Richter die EKAF-Studie egal oder unbekannt ist und anders wo in einem gleichen Fall ein Freispruch gefällt wird.“

Das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) betont in seiner Antwort den verfassungsmäßigen Grundsatz der  Gewaltenteilung – ein Ministerium könne keinen „Einfluss auf die rechtsprechende Gewalt nehmen“.
Zugleich betont das BMG die Bedeutung möglicher Stellungnahmen von Fachgesellschaften:

„Bei verallgemeinerungsfähigen Fragestellungen wirken sich allerdings Veröffentlichungen von juristischen Fachkreisen und insbesondere die Rechtsprechung der Obergerichte und des Bundesgerichtshofs vereinheitlichend auf die Rechtsprechung aus.“

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Das Statement der EKAF Eidgenössischen Kommission für AIDS-Fragen (keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs) hat nach seinem Erscheinen im Januar 2008 (!) bei HIV-Positiven, in Aidshilfen sowie in medizinischen Fachkreisen zu teils aufgeregten Diskussionen geführt. Diese Aufregung hat sich inzwischen gelegt, was einst umstritten war, ist längst weitgehend einhellige Meinung. Nationale und Internationale Organisationen wie UNAIDS und UNDP unterstützen EKAF-Statement und Viruslast-Methode (siehe Nachtrag 09.10.2010).

Das Potential, das in der Stellungnahme liegt, ist auf Seiten von Epidemiologen längst erkannt, bis hin zu Diskussionen über neue Strategien wie „test and treat“ (eine Viruslast unter der Nachweisgrenze senkt drastisch die Infektiosität, dadurch sinkt in Folge auch die Zahl der HIV-Neuinfektionen – möglichst viele Positive möglichst früh zu behandeln, könnte also helfen die Zahl der neuen HIV-Infektionen niedriger zu halten).

Die Deutsche Aidshilfe hat nach intensiven Diskussionen inzwischen (seit April 2009 !) längst eine Position zum EKAF-Statement (HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)). Sie kommt hierin zu der klaren Aussage

„Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Die DAH spricht in Übersetzung des EKAF-Statements in die Praxis der Aids-Arbeit von der

„Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze““

Nicht einigen hingegen können sich – auch zweieinhalb Jahre nach Vorliegen des EKAF-Statements – anscheinend die beiden in Deutschland zuständigen Fachgesellschaften, die Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG) und die Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ).

Diese Uneinigkeit der betreffenden Fachgesellschaften führt zu eben jener Rechtsunsicherheit, die der Blogger in seiner Anfrage an das BMG moniert hat. Eine Rechtsunsicherheit, die bei ihm den Eindruck erweckt, dass

„eine Verurteilung oder ein Freispruch eher vom Gutdünken oder Informationsstand eines Sachverständigen abhängt, nicht jedoch von einer wirklichen Gefährdung durch den Betroffenen.“

Der Blogger steht mit seiner Wahrnehmung nicht allein. Auch Corinna Gekeler und Karl Lemmen (Deutsche Aids-Hilfe) kommen in ihrem Beitrag „(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?“ zu dem Schluss:

„Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.“

Eine klare und soweit möglich eindeutige Haltung der beiden zuständigen Fachgesellschaften könnte hier, darauf weist das Bundesministerium für Gesundheit in seiner Antwort nochmals explizit hin, zu deutlich mehr Rechtssicherheit vor deutschen Gerichten führen.

DAGNÄ und DAIG hatten zweieinhalb Jahre Zeit, ihre Position zu finden und aus beiden Haltungen eine gemeinsame Stellungnahme zu entwickeln. Allein, eine klare und gemeinsame Haltung fehlt bisher weiterhin. Im Gegenteil, in Gesprächen könnte manchmal der Eindruck entstehen, beide Gesellschaften verträten beinahe entgegengesetzte Meinungen …

Freispruch oder Verurteilung – die Konsequenzen, die nahezu gleiche Sachverhalte aufgrund des Nicht-Berücksichtigens des EKAF-Statements sowie des Fehlens einer gemeinsamen Stellungnahmen der beteiligten Fachgesellschaften haben, sind gravierend. Zu Lasten der Rechtssicherheit, und zu Lasten derjenigen Menschen mit HIV, die mit dem Vorwurf der Körperverletzung vor Gericht stehen.

Zweieinhalb Jahre sollten genügen, seine Position zu finden und mit dem ‚Kollegen‘ abzustimmen – es wird Zeit, dass sich etwas tut, dass beide Fachgesellschaften endlich zu einer den heutigen Realitäten gerecht werdenden gemeinsamen Stellungnahme kommen.

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Nachtrag 14.8., 23:45:
(1) Man kann das Thema auch anders angehen: Prof. Pietro Vernazza, einer der Väter des EKAF-Statements: „Ein weiteres Ziel des EKAF-Statements war gewesen, die in der Schweiz bis dahin recht häufigen Verurteilungen von HIV-Positiven (wegen Gefährdung Anderer trotz Beachtung der genannten Voraussetzungen) zu reduzieren. Dies ist gelungen.“ (nach einem Bericht „EKAF-Statement: 2 Jahre danach „)
(2) Zwar gab es Anfang 2008 den Versuch einer „Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. Bekannt wurde aus dem Treffen allerdings nur eine „Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor“ vom 27.2.2008, gezeichnet damals von BZgA, RKI und DAH – nicht DAIG und DAGNÄ. Diese Stellungnahme sprach von „Gefährdungslage“ und Kondomen als entscheidendem Schutz. Zum Versuch einer gemeinsamen Stellungnahme vermeldet der HIV-Report nach einem Jahr (Ausgabe vom 25.2.2009) lakonisch „nicht miteinander vereinbare Positionen bei den Akteuren“.
(3) Die DAIG ringt sich in einer Stellungnahme vom 23.4.2009 immerhin zu der Aussage durch „Auch durch die erfolgreiche Unterdrückung der Virusvermehrung mittels wirksamer antiretroviraler Therapie wird die Übertragung von HIV deutlich reduziert“ – schließt allerdings kurz darauf an „Sie [die DAIG, d.Verf.] weist jedoch darauf hin, dass diese Annahme überwiegend auf Modellrechnungen beruht und für den einzelnen Menschen weiterhin ein fassbares Risiko der HIV-Infektion besteht.“ Sie betont „Aus Sicht der DAIG lässt sich das Problem der HIV-Übertragung nicht strafrechtlich lösen.“ Neuere Stellungnahmen der DAIG zum EKAF-Statement und der Frage der Infektiosität bei HAART, auch angesichts neuer wissenschaftlicher Publikationen, sind nicht bekannt.
(4) Von der DAGNÄ sind keine Stellungnahmen zum EKAF-Statement bekannt.

Nachtrag 09.10.2010:
UNAIDS hat sich vor dem Human Rights Council zur Reduktion der HIV-Transmission durch Therapie geäußert und auch auf das EKAF-Statement verwiesen, sich jedoch nicht zur Frage des Kondomgebrauchs geäußert.

 

 

Diego62 19.07.2010: Rechtssicherheit
Diego62 13.08.2010: Antwort vom Bundesministerium für Gesundheit
Deutsche Aids-Gesellschaft (DAIG)
Deutsche Arbeitsgemeinschaft niedergelassener Ärzte für die Versorgung HIV-Infizierter (DAGNÄ)
„HIV-Transmission und Schutzmöglichkeiten für diskordante Paare – Gemeinsame Stellungnahme von DAH, DAIG, DAGNÄ, RKI, BZgA, WZB“. in: HIV-Report 04/2008 (pdf)
BZgA, RKI, DAH 27.02.2008: Gemeinsame Stellungnahme – Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/AIDS gelten nach wie vor
„The Year After“. in: HIV Report 01/2009 (pdf)
infekt.ch 01.02.20210: EKAF-Statement: 2 Jahre danach
DAIG / presseportal 23.04.2009: Stellungnahme der Deutschen AIDS-Gesellschaft (DAIG) zur Frage der Infektiosität von Patienten unter HIV-Therapie
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Kurz notiert … August 2010

21. August 2010: In China wurde erneut ein Aids-Aktivist festgenommen. Er hatte sich für Entschädigungen für diejenigen Chinesen eingesetzt, die durch Blutkonserven mit HIV infiziert wurden.

17. August 2010: Eingetragene Lebenspartnerschaften müssen künftig bei der Erbschaftssteuer wie Ehepaare behandelt werden. Eine entsprechende Entscheidung veröffentlichte das Bundesverfassungsgericht am 17.8.2010.

14. August: Die Stadt Rotterdam hat ein Cruising-Gebiet im ‚Kralingse Bos‘ mit kleinen hölzernen Pfählen (darauf Regenbogen-Aufkleber mit Füßen) kenntlich gemacht, berichtet minorités. Drei Millionen Bürger nutzen den Park, so die verantwortlichen, und jeder solle für seine Zwecke sein Gebiet finden. Der Sinn des ganzen auch: sexuelle Aktivitäten außerhalb des markierten Gebiets werden künftig als Ordnungswidrigkeit bestraft.

12. August 2010: „The normal heart„, das semi-autbiographische Stück von US-Aktivist Larry Kramer, wird von Ryan Murphy („Glee“, „Eat Pray Love“) verfilmt. Mark Ruffalo wird die Hauptrolle spielen, einen jüdischen Schwulen-Aktivisten, der Ende der 1980er Jahre den Beginn der Aids-Epidemie erlebt.

11. August 2010: Ein 34-jähriger Hamburger wurde freigesprochen von dem Vorwurf, zwei Frauen wissentlich mit HIV infiziert zu haben. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Callboy zum fraglichen Zeitpunkt von seiner HIV-Infektion nicht wusste.

9. August 2010: „Homo-Ehe = 166 Euro, Hetero-Ehe = 40 Euro“ – SpON schreibt über das teure Ja-Wort bei Homo-Ehen in Baden-Württemberg.

6. August 2010: Guyana (Südamerika) diskutiert die Einführung eines Spezial-Gesetzes gegen HIV-Positive ‚Criminal Responsibility of HIV Infected Individuals‘.

4. August 2010: Ein HIV-positiver 34-jähriger Mann muss sich seit 4. August in Hamburg wegen gefährlicher Körperverletzung vor Gericht verantworten. Ihm wird vorgeworfen, zwei Frauen mit HIV infiziert zu haben.
Die US-Medikamentenbehörde FDA hat ihre Entscheidung über eine etwaige Zuzlassung der Substanz Tesamorelin (geplanter Handelsname Egrifta®) für die Behandlung ungewöhnlicher Fettansammlungen bei HIV-Infektion auf den Herbst verschoben.

3. August 2010: Die ‚Bettencourt-Affäre‚ um Liliane Bettencourt, L’Oréal-Erbin und reichste Frau der Welt und möglicherweise illegale Parteispenden bewegt beinahe ganz Frankreich. ‚Yagg‘ thematisiert eine etwaige ‚schwule Komponente‘ und den Umgang der Medien damit: hatte der 2007 verstorbene Ehemann und konservative Politiker André Bettencourt eine Affäre mit dem Schriftsteller und Fotografen François-Marie Banier? Und wird diese Affäre derzeit in den französischen Medien als Tabu behandelt?

1. August 2010: In Köln wurden am Abend des 31. Juli die ‚Gay Games‚ eröffnet. Eine Veranstaltung voll Events, Trubel, Aktion – sowie bemerkenswertem und  kontrovers diskutiertem Aids-Gedenken (siehe queer.de Liveblog 31.7.2010 14:22 #5). Die Aidshilfe Köln organisierte in Mitten des Gay-Games-Trubels einen Ort der Stille und des Gedenkens an Menschen, die an den Folgen von Aids gestorben sind: im ‚Spanischen Bau‘ im Rathaus Köln wird vom 30.7. bis 6.8. die Ausstellung „International Memorial Quilts“ gezeigt.

Bereits Anfang Juli wurde der Proteasehemmer Atazanavir in der Europäischen Union auch für den Einsatz bei Kindern und Heranwachsenden zwischen 6 und 18 Jahren zugelassen.

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

„Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast“ Mit dieser Frage Hatten sich Corinna Gekeler und Karl Lemmen in einem Gastbeitrag am 6. Juli 2010 beschäftigt ((Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?).
Heute behandeln beide Autoren in einem Gastbeitrag einen aktuellen Fall aus Kiel, in dem u.a. ebenfalls die Viruslast des Angeklagten ein Thema war:

Kieler Urteil gegen HIV-Positiven:
Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Das Kieler Landgericht verurteilte 28.Juni 2010 einen 47-jährigen Mann am wegen zweifacher vollendeter und fünffacher gefährlicher Körperverletzung. Der gelernte Maler wird auf Anordnung des Gerichts in der Psychiatrie untergebracht. Das Gericht billigte ihm wegen massiver Hirnschädigungen und einer schweren Persönlichkeitsstörung erheblich verminderte Schuldfähigkeit zu. Die Kammer blieb zwei Jahre unter dem Antrag der Anklage, die beiden infizierten Frauen als Nebenklägerinnen verzichteten auf Rechtsmittel. Das Urteil ist rechtskräftig.

Der Fall
Der Angeklagte gab zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Die zuerst angesteckte Frau beschuldigte er sogar wider besseres Wissen, sie habe ihn infiziert.
Der Mann saß wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft, nachdem ihn eine der beiden infizierten Frauen angezeigt hatte. Eine zweite Infizierte erlitt Nierenversagen und war sogar zeitweilig gelähmt. Beide betroffene Frauen müssten nun nicht nur eine erheblich verminderte Lebensqualität hinnehmen, sondern auch mit einer geringeren Lebenserwartung rechnen, betonte das Gericht.
Bei dem Angeklagten war die Krankheit 2004 mit schwersten Symptomen wie starkem Gewichtsverlust und einer Lungeninfektion ausgebrochen. Die HIV-Medikamente setzte er ab, als seine Viruslast unter der Nachweisgrenze war. Er ging erst wieder in die Aids-Ambulanz der Universität Lübeck, als eine der Sexpartnerinnen infiziert war. Da sei seine Viruslast „exorbitant hoch und er hochinfektiös“ gewesen, sagte Richter William. Dennoch kontaktierte er weitere Frauen, um ungeschützten Sex zu haben.
Das Gericht betonte, es wäre möglicherweise gar nicht zu den Taten gekommen, wenn die Ärzte 2004 die Hirnschädigung nicht nur festgestellt, sondern auch genauer untersucht hätten. Durch den massiven Abbau von Hirnmasse habe der Angeklagte schon damals nicht mehr richtig einsehen können, was mit ihm und anderen geschehe.

Erstes Resümee
Welches Gewicht die Viruslast letztendlich bei der Urteilsfindung spielte, kann noch nicht geklärt werden, da das Urteil noch nicht vorliegt. Sollte die gestiegene Viruslast darin ein ausschlaggebendes Argument darstellen, müsste jedoch auf die rechtlichen Konsequenzen für das Gegenteil, also die nicht nachweisbare Viruslast, diskutiert werden.
Ein Rolle scheint aber auf jeden Fall zu spielen, dass der Verurteilte seine Infektion verschwiegen bzw. verleugnet hatte und die Frauen ohne ihr Wissen einer großen Gefahr aussetzte. Unklar bleibt auch, wie es zu der vermutlich unzureichenden ärztlichen Behandlung des Mannes kommen konnte.

Quellen:
http://www.focus.de/panorama/welt/prozesse-aids-kranker-wegen-ungeschuetztem-sex-verurteilt_aid_524493.html
ln-online/lokales vom 29.06.2010 00:00: http://www.ln-online.de/news/2810203
http://www.welt.de/newsticker/dpa_nt/regioline_nt/hamburgschleswigholstein_nt/article8206865/Fuenf-Jahre-Haft-fuer-HIV-Infizierten.html

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!

(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht: Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

Immer wieder stehen auch in Deutschland Menschen vor Gericht mit dem Vorwurf, andere fahrlässig oder vorsätzlich mit HIV infiziert zu haben. ‚Bei mir ist die Viruslast unter der Nachweisgrenze‘, mag der ein oder andere denken, sich an das EKAF-Statement und die Viruslast-Methode erinnern. Doch – wie sieht es in der Realität vor Gericht aus? Welche Bedeutung haben Viruslast und EKAF-Statement vor Gericht?  In einem Gastbeitrag beleuchten Corinna Gekeler und Karl Lemmen von der Deutschen Aids-Hilfe drei aktuelle Urteile und ihre Bedeutung.

(Versuchte) HIV-Übertragungen vor Gericht – Welche Rolle spielt eine nicht nachweisbare Viruslast?

von Karl Lemmen & Corinna Gekeler, Deutsche AIDS-Hilfe

Die deutsche Rechtsprechung weist große Unterschiede auf. Insbesondere die Viruslust unter HAART wird sehr verschieden beurteilt. Würde man die „EKAF-Kriterien“ auch als rechtstaugliche Maßstäbe 1:1 umsetzen, müsste die von den Schweizern vorgesehene Herstellung eines Informed Consent zwischen den Beteiligten nämlich auch eine Rolle spielen.
Wir  dokumentieren hier aktuelle Fälle aus der Presse und ergänzt die Bewertung eines Würzburger Urteils aus 2007 durch neue Information aus einem medizinrechtlichen Fachblatt.

Urteil 1: Fulda
Das Amtsgericht Fulda verurteilte Anfang März eine 32-Jährige zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr1. Der HIV-Positiven wurde zur Last gelegt, durch ungeschützten Sex eine Infektion ihres 41-jährigen Freunds „billigend in Kauf“ genommen zu haben. Die Frau erwartet das zweite Kind von ihrem Partner, der inzwischen wieder ungeschützten Sex mit ihr habe. Weder er noch das erste Kind wurden infiziert, jedoch ein Kind aus erster Ehe. Der Ex-Mann hatte laut Berichten in der Lokalpresse ausgesagt, seinen Nachfolger von der HIV-Infektion seiner Ex-Frau informiert zu haben. Auch die Verurteilte bestritt, über ihre Infektion gelogen oder geschwiegen zu haben.
„Zudem habe ihr eine Ärztin gesagt, die Viruslast sei so gering, dass sie nicht ansteckend sei. Doch während eines Gesprächs mit dem Richter hatte die Ärztin dieser Behauptung widersprochen. Auch ein medizinischer Sachverständiger aus Fulda, bei dem die Angeklagte in Behandlung ist, gab an, dass man eine Ansteckungsgefahr nie ganz ausschließen könne“, so die Lokalpresse.

Urteil 2: Kiel
Seit April 2010 ist ein 47-Jähriger wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen (HIV-Übertragungen) und wegen versuchter Körperverletzung in fünf Fällen vor dem Kieler Landgericht angeklagt. Der HIV-Positive sitzt wegen Wiederholungsgefahr seit Oktober 2009 in U-Haft. Als Zeuginnen geladene Sexpartnerinnen sagten aus, er habe in Internetforen gezielt „Sex ohne Gummi“ gesucht.
Er gibt zu, seine HIV-Infektion trotz ausdrücklicher Nachfragen seiner Partnerinnen zum Teil verschwiegen und in einem Fall sogar geleugnet zu haben. Dies verteidigt er damit, dass er sich immer „super“ gefühlt habe und aufgrund seiner nicht nachweisbaren Viruslast davon ausgegangen war, nicht mehr ansteckend zu sein. Er hatte sogar die Medikamente einige Zeit abgesetzt, da er sich für „geheilt“ hielt. Auf Anraten seines Arztes nimmt der Angeklagte jetzt wieder HIV-Medikamente, obwohl er sich über die Notwendigkeit wundere. Die Idee, dass die Viruslast ohne die Pillen wieder steigt, sei ihm nicht gekommen. Er habe sich darüber keine Gedanken mehr gemacht. Sein Arzt sagte vor Gericht aus, er habe den Mann auf die weiterhin bestehenden Risiken hingewiesen. Weitere Experten stellten dem interessierten Richter die Bedeutung der Viruslast vor, was wohlwollend zur Kenntnis genommen wurde.
Voraussichtlich im Juni und Juli werden drei weitere Verhandlungstage folgen. Momentan wird ein psychiatrisches Gutachten über den Angeklagten erstellt.2

Urteil 3: Würzburg
INFO erfuhr neue, interessante Details zu einem Urteil vom Landesgericht Würzburg aus dem Jahr 2007 (1) aus einem Beitrag im Fachblatt für Medizinrecht (2). Darin schreibt RA Dr. Jörg Teumer, der Angeklagte wurde wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit versuchter gefährlicher Körperverletzung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 5 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aufgrund antiretroviraler Mittel sei seine Viruslast unter der Nachweisgrenze gewesen, wodurch er davon ausgegangen war, es könne keine Übertragung stattfinden. Bei einer der Partnerinnen konnte medizinisch eine auf den Angeklagten zurückgehende HIV-Infizierung nachgewiesen werden.
Das Gericht betonte, dass bei den Sexualpartnerinnen, die über die HIV-Infektion Bescheid gewusst und dennoch mit dem angeklagten sexuell verkehrt hätten, eine strafausschließende eigenverantwortliche Selbstgefährdung bzw. eine wirksame Einwilligung vorliege, aus der sich keine Strafbarkeit ergebe. Ein solcher „Informed Consent“ zur Selbstgefährdung bietet demnach weiterhin Schutz vor Klagen oder gar Verurteilungen – unabhängig von der Höhe der Viruslast. Aber natürlich nur, wenn die Absprache allen Beteiligten ‚erinnerlich‘ ist.
Was die Beurteilung der Viruslast im Infektionsgeschehen betrifft, gibt es nach wie vor unterschiedliche Expertenaussagen. Gerichte urteilen ebenfalls sehr unterschiedlich, wie dieses Würzburger Urteil und der Nürtinger Fall belegen.

Für den Autor Jörg Teumer trägt das LG Würzburg mit seinem Urteil dem aktuellen Behandlungsstand Rechnung: „Solange es keine 100 % sicheren wissenschaftlichen Belege dafür gibt, dass eine Infizierung Anderer bereits aufgrund der regelmäßigen Einnahme dieser Medikamente vollständig (!) ausgeschlossen ist, darf eine Kondombenutzung beim Sexualverkehr nicht unterbleiben und führt das Unterlassen dieser Schutzmaßnahme zur Strafbarkeit. Ärzte, Apotheker oder Mitarbeiter von Aids-Beratungsstellen etc., die dennoch einen Sexualverkehr ohne Kondombenutzung befürworten oder gar anregen, laufen daher Gefahr, sich wegen Beihilfe oder Anstiftung zu einem Körperverletzungsdelikt strafbar zu machen.“

Fazit
Die Urteile aus Fulda und Würzburg zeigen, dass das Thema Viruslast in den Gerichten angekommen ist und wie unterschiedlich es bewertet wird, nämlich meist in Abhängigkeit von der Stellungnahme der geladenen medizinischen Experten. Man kann sich hier im Moment auf nichts verlassen und ist in jedem Fall der „Willkür“ der jeweils geladenen Gutachter ausgeliefert. Zumindest so lange, wie Fachverbände wie DAIG und DAGNAE hier nicht mit einer Stimme sprechen.
Ein Ausweg für alle Fälle (unabhängig von der Viruslast) könnte die Herstellung eines „Informed Consent“ zum Kondomverzicht sein; denn wer im Wissen um die HIV-Infektion des Gegenübers in ungeschützten Sex einwilligt, der begeht eine „strafausschließende Selbstgefährdung“. Frage ist natürlich, wie realistisch eine Vereinbarung ist, und ob man bei Bedarf immer Papier und Bleistift zur Hand hat bzw. haben möchte, um sich vor Gericht vor eventuellen „Erinnerungslücken“ seiner Sexualpartner schützen zu können.

(1) Quellen: http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,679064,00.html und http://www.fuldaerzeitung.de/newsroom/regional/Fulda-amp-Region-Ungeschuetzter-Sex-HIV-Infizierte-verurteilt%3Bart25,251310
(2) Quellen: http://breaking-news.de/blog/2010/04/05/kiel211-hiv-infizierter-bestreitet-ausreichende-kenntnis-von-ansteckungsgefahr/, http://www.kiel-informativ.de/news-442.html und ein mündlicher Bericht einer Prozessbesucherin
(3) 1 Ks 901 Js 9131/2005 25
(4) RA Dr. Jörg Teumer: Neues zum Thema Aids und Strafrecht. In: MedR 2010 Heft 1

Vielen Dank an Corinna Gekeler und Karl Lemmen für diesen Beitrag!

Fortsetzung: „Kieler Urteil gegen HIV-Positiven: Fünf Jahre in Haft & Psychiatrie-Unterbringung

Promis, Staatsanwälte und die Medien – welchen Wert haben Bürgerrechte?

Bemerkenswerte Dinge spielen sich ab derzeit, bemerkenswert in Hinsicht auf die Frage, wie Medien mit Promis, Sex und Verdacht auf strafbare Handlungen umgehen. Sex sells, erst recht Sex und Promis, und wenn dann noch das Strafrecht mit ins Spiel kommt …

April 2009. Eine junge Frau mit Kind, von Beruf Sängerin, Nadja Benaissa wird verhaftet. Sie habe wissentlich riskiert, andere Menschen mit HIV zu infizieren, wird ihr vorgeworfen. Angesichts ihrer Prominenz und der Schwere der Vorwürfe fühlt sich der zuständige Staatsanwalt bemüßigt, mit detaillierten Informationen über den ‚Fall Nadja Benaissa‚ an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Medien stürzen sich auf den Fall, überschlagen sich in sensationsgeiler Berichterstattung, Schlagzeilen, Vorverurteilungen.

März 2010. Jörg Kachelmann, ein lediger Mann mittleren Alters, wird verhaftet. Von Beruf ist er Wetterfrosch und Unternehmer, hat es in seinem Metier zum Medien-Star gebracht. Nun stehe er, sagt die Staatsanwaltschaft, unter dem Verdacht, eine Frau zum sexuellen Verkehr genötigt zu haben, dies womöglich unter Verwendung eines Messers als Druckmittel. Ähnlich wie im Fall der Nadja Benaissa stürzen sich die Medien auf den Fall. Berichten, mit sich täglich überstürzenden Schlagzeilen, Spekulationen, Vorverurteilungen.

Soweit die Parallelen in zwei scheinbar recht ähnlich gelagerten Konstellationen – Promi in Untersuchungshaft, Sex im Spiel.

Doch nur wenige Wochen nach der Verhaftung Kachelmanns zeigen sich Unterschiede, bemerkenswerte Unterschiede:

Kachelmann ist nach Wochen immer noch in Haft, erst am 4. Mai beantragt einer seiner Anwälte einen Haftprüfungstermin, der in der kommenden Woche verhandelt werden soll. Und die „Chose Kachelmann“ findet in den Medien kaum noch statt.

Ganz anders damals, kaum ein Jahr zuvor, bei Nadja Benaissa. Nur wenige Tage war sie in Untersuchungshaft, wurde bald entlassen. Und dennoch, ihr „Fall“ wurde weiterhin intensiv durch Schlagzeilen und Boulevard gezogen, ohne Rücksicht auf ihre Zukunft, und insbesondere auch ohne Rücksicht auf die Situation ihrer Tochter. Der SPD-Politiker Ehrmann bezeichnet HIV-Positive als „Bio-Waffen“. Er hat damit nur sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung genutzt, sagt die Justiz dazu. Kritik am Verhalten der Staatsanwaltschaft wies der hessische Justizminister als unbegründet zurück. War ihr Zwangs-Outing durch die Staatsanwaltschaft unzulässig? Diese Frage wird nicht geklärt. Stattdessen: ein Prozess gegen ein Medienunternehmen wegen dessen Sensations-Berichterstattung platzte – die Anwälte der Sängerin zogen überraschend ihre Anträge zurück.

Schnell und weitgehend leise ist der eine ‚Fall‘ aus den Medien verschwunden – während der andere ‚Fall‘ mit viel Aufmerksamkeit, Sensationsgeilheit immer wieder seinen Weg in’s Boulevard findet.

Warum diese unterschiedliche mediale Behandlung?
Was unterscheidet den „Fall Benaissa“ vom „Fall Kachelmann“?

Eines wird schnell offenkundig: das offensichtlich unterschiedliche Agieren der beteiligten Anwälte.
Frau Benaissas Anwälte scheinen zeitweise noch mit auf den medialen Zug aufzuspringen. Beantragen beispielsweise eine Unterlassungsverfügung gegen einen Verlag, mit dem Einfluss auf die weitere Berichterstattung genommen bzw. eine Verhinderung bestimmter Berichterstattung erreicht werden soll. Und ziehen den Antrag dann zur allgemeinen Überraschung kurz vor dem Verhandlungstermin zurück. In der ganzen Zeit, sowie in der Folgezeit nach ihrer (im Vergleich zu Kachelmann zügigen) Freilassung, wird der “Fall Benaissa“ weiterhin breit in den Boulevard-Medien (sowohl Print als auch TV) behandelt. Bis sich Frau Benaissa selbst den Medien stellt, offen über sich und ihre HIV-Infektion spricht. Erst langsam, nach Wochen greller Schlagzeilen, wird die mediale Sensationsberichterstattung weniger, ruhiger.

Und die Medien im „Fall Kachelmann“? Auch nach nunmehr sieben Wochen ist Herr Kachelmann noch in Untersuchungshaft, und dennoch kaum in den Medien, erst recht kaum mit sensationsgeilen ‚Enthüllungen‘ – welch bemerkenswert unterschiedliche Situation.
Die Anwälte von Herrn Kachelmann reagieren anders, wie zu hören ist. Gegen Medien wird aktiv, mit Unterlassungsverfügungen und anderen Rechtsmitteln vorgegangen. Sensationsgeile Artikel, Spekulationen, Veröffentlichungen von SMS und anderen Details aus dem Privatleben des Herrn Kachelmann werden so weitgehend unterbunden. Das Mäntelchen des medialen Schweigens scheint sich über den Fall gelegt zu haben.

Das Mäntelchen des Schweigens muss kein schlechtes Mäntelchen sein. Das Mäntelchen des Schweigens kann auch Ausdruck des alten Rechtsgrundsatzes der Unschuldsvermutung sein Und es kann im Interesse der Beschuldigten und ihrer Privatsphäre sowie ihrer Angehörigen sein. Gerade bei einer HIV-Infektion kein unbedeutender Schutz.

Ein Mantel des Schweigens, von dem man vermuten kann, dass er auch Frau Benaissa und ihrer jungen Tochter sicher gut getan hätte. Warum es im Fall von Frau Benaissa anders gelaufen ist? Der Gedanke, ihr könne an der Publicity gelegen gewesen sein, nützlich für ihre Karriere und die ihrer Pop-Band, hat angesichts der weitreichenden persönlichen Folgen für sie und ihre Tochter einen faden Beigeschmack. Einen Beigeschmack, der diesen Gedanken nicht nur schal, sondern letztlich unglaubwürdig erscheinen lässt, mit dem Geruch der nachträglichen Legitimation versieht. Die Fragen welche Resultate welche Rechtsvertreter mit welchen Strategien erziel(t)en, könnte in (nicht nur) dieser Hinsicht eine interessante sein.

Der Vorgang zeigt darüber hinaus eines: das Festhalten an der Unschuldsvermutung, das Respektieren der Privatsphäre und die Wahrung der Menschenwürde müssen sichergestellt sein. Und sie dürfen nicht Sache teurer Spezial-Anwälte und Medien-Profis werden. Grundrechte sind zu wertvoll, als dass sie eine Frage der wirtschaftlichen Verhältnisse werden dürfen. Sie stehen jedem zu – auch jeder und jedem HIV-Positiven, ohne Ansehen der Person, und ohne Ansehen des Geldbeutels.

Cori Obst hat recht, wenn sie (in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes) betont „Bürgerrechte müssen für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion„. Bürgerrechte müssen gewahrt werden – auch unabhängig vom Geldbeutel, auch unabhängig von Medien-Anwälten, möchte man angesichts der aktuellen Vorgänge ergänzen.

Bürgerrechte stehen allen Menschen zu – auch allen HIV-Positiven.
Das Verhalten von Staatsanwälten, Medien und Politikern im ‚Fall‘ Nadja Benaissa harrt diesbezüglich weiterhin der Aufklärung und Aufarbeitung.

Haft und Sicherungsverwahrung für HIV-positiven Pädophilen

Ein 48jähriger HIV-positiver Mann wurde am 25. März in Berlin zu fünf Jahren Haft mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Er wurde schuldig gesprochen, einen 13jährigen Jungen mehrere Tage sexuell missbraucht zu haben.

Juni 2009. Der 48jährige Mann trifft sich an einem Badesee in Berlin-Hellersdorf mit einen 13jährigen Jungen, den er zuvor im Chat kennen gelernt hatte. Nimmt ihn zu sich mit in seine Wohnung in Berlin-Neukölln, hält ihn dort drei Tage fest, bis der Junge fliehen kann. Während der drei Tage hat der 48-Jährige mehrfach ungeschützten Sex mit ihm. Der Junge infizierte sich nicht mit HIV.
Im gleichen Monate spricht der 48-Jährige an einem Kaulsdorfer Baggersee auch zwei zehn- und elfjährige Jungen an, belästigt sie sexuell.

Seit 1991 wurde der 48-Jährige bereits in sechs ähnlich gelagerten Fällen wegen Missbrauchs an etwa 20 Jungen verurteilt, zuletzt 2006. Die Vorfälle im Juni 2009 ereigneten sich während einer Bewährungszeit.

Ein Gutachter bescheinigte dem Mann eine pädophile Neigung. Die Richterin am Landgericht Berlin verurteilte den 48-Jährigen wegen schweren sexuellen Missbrauchs sowie Körperverletzung zu fünf Jahren Haft. Zugleich wurde Sicherungsverwahrung ausgesprochen.

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weitere Informationen:
berlinonline 25.03.2010: Haft und Sicherungsverwahrung für Triebtäter von Badesee
Berliner Morgenpost 25.03.2010: Fünf Jahre Haft für HIV-infizierten Pädophilen
Presseübersicht des Kammergerichts (25.3.2010 abends: bisher keine PM zum Fall online)
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Rastatt: 25jähriger HIV-Positiver wegen Körperverletzung verurteilt

Ein 25jähriger HIV-positiver Mann wurde in Rastatt zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Ihm wurde vorgeworfen, seinen Partner wissentlich mit HIV infiziert zu haben.

Am 8. März 2010 wurde ein 25jähriger Mann vom Amtsgericht Rastatt zu zweieinhalb Jahren Haft wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. Er habe seinen Partner wissentlich mit HIV infiziert.

Der 25jährige Mann wusste von seiner HIV-Infektion. Mit seinem 28jährigen Partner hatte er zwischen Juni 2007 und April 2008 wiederholt ungeschützten Sex. Zudem soll der vorbestrafte 25Jährige auch mit mindestens 13 weiteren weiteren Männern ungeschützten Sex gehabt haben, wie im Verlauf des Prozess deutlich wurde.

Seinen Sexpartnern soll er auf Nachfrage jeweils angegeben haben, nicht mit HIV infiziert zu sein. Seinem Partner soll er vor Beginn der Beziehung zudem versichert haben, er habe sich mehrfach auf HIV testen lassen, immer mit negativem Ergebnis, und habe Sex ausschließlich mit seinem Partner.

Der Partner des Angeklagten erfuhr bei einer Blutspende von seiner HIV-Infektion. Eine Abstammungs-Untersuchung der Viren (‚phylogenetische Untersuchung‘) hatte gezeigt, dass die HIV-Übertragung zwischen den beiden Männern stattgefunden habe.

Man habe mit einem „außergewöhnlichen Fall“ von gefährlicher Körperverletzung zu tun, bemerkte die Richterin in der Urteilsbegründung. Die Staatsanwaltschaft forderte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten. Zwei Jahre und sechs Monate lautete das Urteil der Richterin.

Das Land Baden-Württemberg veröffentlicht Urteile auf einem eigenen Server (html). Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Artikels (09.03.2010) war das Urteil des Amtsgerichts Rastatt dort noch nicht online verfügbar.

Ein bestürzender Fall.
Bestürzend leider nicht nur wegen des Falles und des Verhaltens des Angeklagten.
Sondern auch wegen der Haltung der Staatsanwaltschaft. Diese
ist dem Bericht der Lokalpresse zufolge der Ansicht „der Angeklagte habe auch dann vorsätzlich gehandelt, wenn er nichts von seiner Infektion gewusst hat“. Was in der Prävention sinnvoll ist („es könnte ein Risiko bestehen oder bestanden haben, also schütze ich mich und den Partner“), kann damit noch lange nicht sinnvoller Maßstab des Strafrechts sein.

weitere Informationen:
Badisches Tageblatt: Mann infiziert Freund mit HI-Virus
iwwit-Blog 12.03.2010: Körperverletzung
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Kriminalisierende Gesetze gefährden Fortschritte im Kampf gegen HIV

Kriminalisierende Gesetze gefährden Fortschritte im Kampf gegen HIV – Schwerpunkt auf Präventivbehandlung setzt Achtung der Menschenrechte voraus

Bemühungen zur HIV-Prävention und viel versprechende antiretrovirale Präventionsmaßnahmen werden durch Strafgesetze erschwert, die sich gegen HIV-Positive und Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko richten, so Human Rights Watch heute zum Welt-AIDS-Tages.

Der diesjährige Welt-AIDS-Tag steht unter dem Motto „Universeller Zugang und Menschenrechte“ und verknüpft das Ziel des allgemeinen Zugangs zu HIV-Prävention, -Behandlung und -Pflege mit der Erkenntnis, dass der Achtung der Menschenrechte beim weltweiten Kampf gegen AIDS eine entscheidende Rolle zukommt. Wie sich ein allgemeiner Zugang zu medizinischer Behandlung erreichen ließe, stand im vergangenen Jahr im Mittelpunkt zahlreicher Debatten über antiretrovirale Behandlungsmethoden als Teil einer umfassenden Strategie zur HIV-Prävention. Mathematische Modellrechnungen ergaben, dass die frühe und allgemeine Anwendung antiretroviraler Behandlungsmethoden in Verbindung mit Präventionsprogrammen Neuinfektionen mit HIV endgültig ein Ende bereiten könnte.

„Es wird immer deutlicher, dass die Antiretroviraltherapie einen bedeutenden Beitrag zu umfassenden Präventionsstrategien leisten könnte“, so Joe Amon, Direktor der Abteilung Gesundheit und Menschenrechte von Human Rights Watch. „Doch wenn wir Menschenrechtsverletzungen und Strafgesetze, die sich gegen HIV-Positive und Menschen mit einem hohen Infektionsrisiko richten, nicht entgegentreten, lässt sich das Potential solcher präventiver Behandlungsmethoden nicht ausschöpfen.“

In vielen Teilen der Welt kriminalisieren Gesetze HIV-Positive und Personen mit erhöhtem Infektionsrisiko, etwa Prostituierte, Drogenkonsumenten und Homosexuelle. Solche Gesetze leisten der Stigmatisierung und Diskriminierung Vorschub, erschweren den Zugang zu HIV-Aufklärung und
Behandlung und tragen so zur Ausbreitung des Virus bei. Andernorts halten Gesetze, die die Übertragung des HI-Virus unter Strafe stellen, Menschen davon ab, sich auf HIV testen zu lassen. Denn Personen, die ihren HIV-Status kennen, drohen dann Strafen, während jene, die sich ihrer Infektion nicht bewusst sind, nichts zu befürchten haben.

Anfang November veröffentlichte Human Rights Watch eine zehnseitige Stellungnahme zum Entwurf eines neuen HIV/AIDS-Gesetzes in Uganda, der verpflichtende HIV-Tests, den Zwang zur Offenlegung der Ergebnisse sowie Strafen für die „versuchte Übertragung“ von HIV vorsieht. Das ugandische Parlament berät auch über ein Gesetz, laut dem der Einsatz für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgender mit sieben Jahren Haft bestraft werden könnte. Bis zu drei Jahre Freiheitsentzug würden jedem drohen, der es unterlässt, eine mutmaßlich schwule oder lesbische Person anzuzeigen. Für HIV-Positive, die einvernehmlichen homosexuellen Geschlechtsverkehr haben, sieht der Gesetzentwurf die Todesstrafe vor, unabhängig vom Risiko einer HIV-Übertragung und selbst wenn der Sexualpartner ebenfalls das HI-Virus trägt.

Seit 2005 haben 14 afrikanische Staaten HIV-spezifische Gesetze erlassen, die es ermöglichen, HIV-Positive für jegliche sexuelle Aktivität zu bestrafen, selbst wenn sie Kondome benutzen und ungeachtet der Meldepflicht und des tatsächlichen Infektionsrisikos. In einer Reihe von Ländern gilt die Übertragung von HIV von der Mutter zum Kind als Straftat, auch wenn antiretrovirale Behandlungsmethoden nicht verfügbar sind. Nach dem Gesetzentwurf in Uganda bleibt zwar die Übertragung von HIV vor oder bei der Geburt straffrei; Mütter können jedoch strafrechtlich verfolgt werden, wenn ihre Kinder sich über die Muttermilch mit dem HI-Virus infizieren.

„In vielen Ländern scheitert die HIV-Prävention nicht am unserer Unfähigkeit, wirksame Präventionsprogramme zu entwickeln, sondern am Unwillen der Regierungen, sie umzusetzen und dafür zu sorgen, dass diese Programme alle Betroffenen erreichen“, so Amon. „Behandlungsmethoden gegen HIV, die im Rahmen umfassender Präventionsprogramme großes Potential besitzen, könnten in ähnlicher Weise sabotiert werden, wenn Regierungen weiter kriminalisierende Gesetze erlassen und die Menschenrechte missachten.“

(Pressemitteilung Human Rights Watch)

Nadja B.: 8 Monate Ruhe nach spektakulärer Verhaftung

Spektakuläre Verhaftung, und dann acht Monate Schwiegen, Ruhe – das Verhalten der Staatsanwaltschaft im Fall Nadja Benaissa scheint mehr als fragwürdig. Ein Presseanwalt kommentiert im Interview mit der FR.

Unter spektakulären Umständen wurde ‚No-Angels‘-Sängerin Nadja Benaissa Anfang April direkt vor einem bevorstehenden Konzert verhaftet. Eine Medien-Kampagne gegen sie wurde inszeniert, die zuständige Staatsanwaltschaft war nicht gerade untätig.

Und dann? Acht Monate Ruhe seitdem. Acht Monate, in denen Nadja Benaissa den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hat, offen über ihre HIV-Infektion spricht, darüber, welche Folgen die spektakuläre Verhaftung für sie und ihre Tochter hat.

Und die Staatsanwaltschaft? Schweigen nach anfänglicher Hektik. Wurde die medienträchtige Verhaftung noch mit ‚Wiederholungsgefahr‘ begründet, scheint nun Zeit genug zu bestehen, keine Eile.

Warum dieses Verhalten, das so gar nicht zu einander zu passen scheint – erst hektische, öffentlichkeitswirksame Verhaftung, dann gemächliche Ermittlungen ohne Eile? Der Presseanwalt Felix Damm äußert sich in einem Interview der Frankfurter Rundschau.

Damm betont

„Die Art und Weise der Verhaftung, Ostersamstag gegen 21 Uhr, unmittelbar vor einem geplanten Bühnenauftritt, war sicherlich unglücklich und hätte unbedingt vermieden werden müssen.“

Er spekuliert, Nadja Benaissa könnte die Behörden haftbar machen für die ihr entstandenen persönlichen und geschäftlichen Schäden (Amtshaftung). Der Anspruch hierauf verjähre nach drei Jahren – werde deswegen das Verfahren verzögert?

Allerdings gehe er davon aus, dass es zu einer Anklage-Erhebung kommt – schon aus einem ganz banalen Grund: nach derartigem Wirbel könne sich die Staatsanwaltschaft keinen Gesichtsverlust erlauben.

Damm spricht in seine  Interview auch über Grenzüberschreitungen der Medien.

Der Medienanwalt Felix Damm ist neben Michele Meyer einer der Redner auf der Veranstaltung zum Welt-Aids-Tag in der Frankfurter Paulskirche, 2009 unter dem Motto „Die Würde des Menschen ist angetastet“.

weitere Informationen:
FR 27.11.2009: Interview zum Fall Benaissa: „Es wurde viel Wind gemacht“
beckblog 29.11.2009: Der Fall „No Angels“ – im April Untersuchungshaft und Vorverurteilung, im November immer noch keine Anklage oder Verfahrenseinstellung
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Familienministerin Köhler: 2005 noch für Strafrechtsverschärfung „gegen Bareback“

Kristina Köhler, die neue Bundesfamilienministerin, wird als Homo-freundlich gelobt. Doch forderte Köhler vor genau 5 Jahren eine Strafrechtsverschärfung – gegen das „russisch Roulette“ des „Barebacking“.

Die hessische CDU-Bundestagsabgeordnete Dr. Kristina Köhler wird am 30.11.2009 zur neuen Bundesfamilienministerin ernannt.

Kristina Köhler freut sich über schwule und lesbische Paare, berichtet samstagisteingutertag über die neue Familienministerin und ihr offensichtlich im Vergleich zu ihrer Vorgängerin in Sachen Homo-Paaren unverkrampfteres Weltbild.

Kristina Köhler
Kristina Köhler

Unverkrampft – diese Haltung hat Köhler in der Vergangenheit in Sachen Aids zeitweise eher vermissen lassen, scheint es. gay-web meldete auf den Tag genau fünf Jahre vor der geplanten Vereidigung als Familienministerin, am 30.11.2005 über Frau Köhler Folgendes:

„Angesichts der dramatischen Zunahme der HIV-Neuinfektionen unter homo- und bisexuellen Männern in Deutschland, forderten die Wiesbadener Bundestagsabgeordnete Kristina Köhler (CDU) und der Bundesvorsitzende der Lesben- und Schwulen in der Union (LSU) Roland Heintze heute ein schärferes Vorgehen gegen die so genannte „Barebacking“-Szene.“

Köhler forderte damals in ihrer eigenen Pressemitteilung (zu finden auch heute noch auf ihrer Internetseite) eine Verschärfung des Strafrechts:

„Deshalb forderte Kristina Köhler, dass „notfalls auch gesetzliche Schritte geprüft werden müssen“. Dies sei in anderen europäischen Ländern, so zum Beispiel in Österreich oder in der Schweiz, bereits geschehen. In Österreich etwa stelle der § 178 des Strafgesetzbuches die vorsätzliche Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten unter Strafe.“

Köhlers Resümee damals:

„Wir können es nicht zulassen, dass noch länger auf diese dramatische Weise russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr gespielt wird.“

Köhler hatte sich in der Vergangenheit gelegentlich auch für Aidshilfe eingesetzt – so indem sie 2005 ihre EC-Karte als „CityCard Wiesbaden zugunsten der AIDS-Hilfe“ aktivierte oder ebenfalls 2005 die Schirmherrschaft über die Ballnacht der Wiesbadener Aidshilfe übernahm.

Danke an Rainer für den Hinweis!

Es bleibt zu hoffen, dass Frau Köhler in den vergangenen 5 Jahren erkannt hat, dass das Strafrecht ein denkbar ungeeignetes Instrument der Prävention ist – auch in der Aids-Prävention. Schließlich gibt es auch nach Ansicht internationaler Experten mindestens zehn Gründe, die gegen die Kriminalisierung von HIV-Exposition oder -Übertragung sprechen.

weitere Informationen:
Kristina Köhler Pressemitteilung 30.11.2005: Russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr
gayweb.de 30.11.2005: Russisches Roulette mit der AIDS-Gefahr
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HIV-Positiver wegen Verdacht auf gefährliche Körperverletzung festgenommen (akt.)

Ein 47jähriger Mann aus Norddeutschland ist seit 2. Oktober in Haft. Ihm wird vorgeworfen, Sex ohne Kondom-Benutzung mit mehreren Frauen gehabt zu haben.

Der 47jähriger Mann aus dem Kreis Ostholstein, der in Presseberichten inzwischen als bisexuell bezeichnet wird, soll wiederholt in Internetforen Kontakte zu Frauen und Paaren geknüpft haben. Auch auf Nachfrage soll er Berichten der Staatsanwaltschaft Kiel zufolge seine ihm bekannte HIV-Infektion verschwiegen und Sex ohne Kondome gehabt haben.

Bei zwei der Frauen, mit denen der Mann Kontakt hatte, wurde inzwischen eine HIV-Infektion diagnostiziert.

Bereits am 28. September 2009 hatte die Staatsanwaltschaft Kiel wegen versuchter bzw. vollendeter gefährlicher Körperverletzung einen Haftbefehl aufgrund von Wiederholungsgefahr ausgestellt. Am Freitag, 2.10. stellte sich der Mann freiwillig der Polizei. Er befindet sich derzeit in Untersuchungshaft.

lesenswert dazu:
POZ Oktober 2009:  Sex Crime

weitere Informationen:
Ostseeblick Nienhagen 07.10.2009: Festnahme eines HIV-Infizierten wegen gefährlicher Körperverletzung
topnews.de 07.10.2009: Ungeschützter Sex: HIV-Infizierter wegen gefährlicher Körperverletzung festgenommen
Kieler Nachrichten 07.10.2009: HIV-Infizierter aus Ostholstein steckte Frauen an
Lübecker Nachrichten 08.10.2009: Frauen mit Aids infiziert: Ostholsteiner sitzt in Haft
Lübecker Nachrichten Kommentar 08.10.2009: „Niederträchtig“
shz.de 08.10.2009: „Sterben müssen wir alle mal“
Bild.de 09.10.2009: Steckte dieser HIV-Infizierte absichtlich Frauen an?
Lübecker Nachrichten 09.10.2009: Die brutale Masche des HIV-Infizierten: „Ich habe keine bösen Absichten“
hiv, aids and hope 09.10.2009: a new arrest in germany
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HIV-Daten online gestellt – ein Jahr Freiheitsstrafe

Zu einer einjährigen Gefängnisstrafe wurde in den USA eine Krankenschwester verurteilt. Sie hatte Daten zur HIV-Infektion eines Patienten auf einer Online-Community online gestellt.

Rhonda W.F. arbeitete in einer Klinik auf Hawaii. Bei ihrer Arbeit konnte sie auch vertrauliche Patientenakten einsehen. Die 22-Jährige entdeckte, dass eine ihr bekannte Frau HIV-positiv ist. Sie gab diese Informationen an ihre Schwägerin weiter.

Zwischen Ende 2007 und Anfang 2008 wurden Aussagen über den HIV-Status der Frau, die inzwischen verstorben ist, mehrfach auf dem Coommunity-Portal Myspace online gestellt, auf eine „ekelhafte, schmerzvolle und abstoßende“ Art und Weise, wie der Anwalt der Verstorbenen betonte.

Das Vorgehen der Angeklagten sei „ungeheuerlich“, erläuterte der Richter. Die Haftstrafe solle auch als Signal und Abschreckung wirken. Diese Art von Verhalten dürfe nicht toleriert werden. Auch das Internet dürfe nicht für gesetzwidriges Verhalten genutzt werden.

Zusätzlich zu ihrer Strafe wurde W.F. zu fünf Jahren Bewährung verurteilt. Zudem muss sie 200 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten.

Nach Bekanntwerden ihrer Tat war die Krankenschwester von der Klinik entlassen worden. Die Klinik betonte, man räume dem Datenschutz einen hohen Rang ein.

Ein Fall, weit weit weg.
Oder?
Ein Fall, der zeigt, dass auch auf Online-Communities wie Facebook, Myspace & Co. bewusst und sensibel mit Fragen des Datenschutzes umgegangen werden muss.
Und ein Fall, der erneut darauf hinweist, dass gerade auch für Menschen mit HIV und Aids der Datenschutz von besonderer Bedeutung ist.
Datenschutz ist wesentlich für eine erfolgreiche Behandlung, wie erst jüngst der Datenschutz-Beauftragte von Berlin betonte. Und der Bruch des Datenschutzes kann -wie auch der aktuelle Fall aus den USA zeigt- schnell Dimensionen annehmen, die in Richtung soziale Hinrichtung gehen.
Diese enorme Bedeutung des Datenschutzes, des Schutzes der Vertraulichkeit von Arzt-Patient-Verhältnis und Patientenakten sollte nicht nur HIV-Positiven, sondern allen Beteiligten bewusst sein. Auch deutschen Staatsanwälten.

weitere Informationen:
TheBody 11.06.2009: Hawaii: HIV Case — Medical Privacy Violator Gets One Year
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Großbritannien: Ratgeber bei Strafverfolgung wegen HIV-Übertragung

Wie sich richtig verhalten, wenn wegen HIV-Übertragung ermittelt wird? In Großbritannien informieren zwei britische Aids-Organisationen in einer gemeinsamen Broschüre.

In Großbritannien haben zwei HIV-Organisationen gemeinsam einen Ratgeber für HIV-Positive heraus gegeben. Die Broschüre und Internetseite „Prosecutions for HIV Transmission“ soll über Strafverfolgung von HIV-Infektionen informieren.

Prosecutions for HIV Transmission
Prosecutions for HIV Transmission

Herausgegeben wird der Ratgeber gemeinsam vom National AIDS Trust (NAT) und dem Terrence Higgins Trust (THT). Er informiert u.a. über das geltende britische Recht im Umfeld der HIV-Infektion und gibt praktische Ratschläge für Personen, gegen die wegen fahrlässiger HIV-Infektion ermittelt wird. Er gibt ebenso Ratschläge für Personen, die überlegen, eine Anzeige gegen eine andere Person wegen HIV-Übertragung zu stellen.

In Großbritannien liegt die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Positive wegen HIV-Übertragung höher als in Deutschland. Nur ein kleiner Teil der britischen Ermittlungsverfahren mündet auch in Anklagen.

Der National AIDS Trust betonte, man trete weiterhin für eine Abschaffung der Kriminalisierung der HIV-Infektion ein – da aber Ermittlingsverfahren stattfänden, wolle man allen Beteiligten zuverlässige und verständliche Informationen bieten.

Bereist im März 2008 hatte die britische Staatsanwaltschaft Crown Prosecution Service Richtlinie für Ermittlungen bei HIV-Infektion vorgelegt.

Weitere Informationen:
Terrence Higgins Trust 22.05.2009: New guide explains prosecutions for HIV transmission
Terrence Higgins Trust: Criminal prosecutions for transmitting HIV als Website oder als pdf
pinknews 22.05.2009: Charities launch guide on prosecutions for HIV transmission
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Arzt hält sich bei HIV- Infektion an Schweigepflicht – kein Rechts-Verstoß

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hatte einen schwierigen Fall zu behandeln: ein Arzt hatte die Ehefrau eines HIV-Infizierten aufgrund seiner Schweigepflicht nicht über dessen HIV-Infektion informiert. Die Frau infizierte sich und klagte gegen den Arzt. Sie verlor. Ihre Klagen, ihre Rechte seien vernachlässigt worden, wurden abgewiesen – nun auch vom ECHR.

Eine 41jährige Frau aus Wiesbaden hat sich bei ihrem Mann mit HIV infiziert. Der Arzt ihres Mannes hatte sie unter Berufung auf die ärztliche Schweigepflicht nicht über die HIV-Infektion ihres Partners informiert. Allerdings hatte er sie gleichzeitig dazu aufgefordert, sich gegen eine HIV-Infektion zu schützen.

Bereits 1999 hatte die Frau den Arzt ihres Mannes verklagt, er habe sie nicht rechtzeitig informiert. In mehreren Instanzen verlor die Frau allerdings ihre Klage vor deutschen Gerichten. Der Arzt habe sich an seine Schweigepflicht gehalten, aber die Frau adäquat informiert sich zu schützen.

Die betroffene Frau wandte sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ECHR (European Court of Human Rights). Sie war der Ansicht, ihre Rechte seien von den deutschen Gerichten nicht ausreichend gewürdigt worden.

echr

Die beteiligten deutsche Gerichte haben keine Fehler begangen und nicht gegen die Europäische Konvention für Menschenrechte verstoßen, so der ECHR. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 5. März 2009 die Klage gegen Deutschland abgewiesen.

Das Gericht teilte zum Urteil mit

„The Court considered that the domestic courts had had sufficient regard to Ms C.’s right to life and physical integrity; it further found that their assessment of the facts had not been arbitrary and that the principle of equality of arms had been complied with. Consequently, the Court held, unanimously, that there had been no violation of Article 2 of the Convention and no violation of Article 6 § 1. It further held, by six votes to one, that there had been no violation of Article 8.“

Weitere Informationen:
Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Press Release (in englischer Sprache) und Urteil (ebenfalls in englischer Sprache)
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