Vier Tage in der Kaschubei mit HIV – 16. Treffen der polnischen PLWHA in Szarlotta

Es wird viel polnisch gesprochen und man kennt sich – oftmals seit vielen Jahren. Ich besuche erstmals das nationale Treffen der Positiven in Polen. Von Berlin aus ist Polen eigentümlich weit weg und ich wundere mich gelegentlich etwas über unser kollektives Desinteresse an unserem nächsten Nachbarn. Durchaus freudig empfangen wir zwar die Wochenendtouristen aus allerlei polnischen Städten, aber einen richtigen wechselseitigen Austausch gibt es eher selten.

Um so mehr freute ich mich über die Einladung von Woitek, doch mal am „polnischen Waldschlößchen“ teilzunehmen und sagte spontan freudig zu.

Anders als in Deutschland kann man sich in Polen nicht verschiedene Termine für die Treffen aussuchen – es gibt nur ein Treffen im Jahr. Trotzdem gibt es einige Parallelen zum Waldschlößchen. Der Ort Szarlota ist etwas abgelegen und man muß sich während des Treffens auf die Teilnehmer und das Programm vor Ort konzentrieren, da man keine anderen Ablenkungen außerhalb der Tagungsstätte hat (wenn man mal von der schönen Natur absieht.). Man hat aber das auch beim Schlösschen bekannte Bus-Anreise-Problem dadurch gelöst, das man einfach einen Charterbus ab Danzig fahren läßt.

Es gab auch in Szarlota ein straffes Programm, welches von morgens bis abends durchstrukturiert war. Meist gab es einen Hauptprogrammstrang, an dem man teilnehmen mußte. Man hatte also nicht so viele Wahlmöglichkeiten wie bei den Positiventreffen in Deutschland.

Auffällig fand ich die Teilnehmerstruktur. „HIV“ ist in Polen heterosexueller als bei uns und es sind deutlich mehr Drogengebraucher betroffen.

Der Veranstalter setzt bei seinen Treffen regelmäßig auf eine Teilnahme von internationalen Gästen aus den benachbarten Ländern. So hat man gleich die gute Gelegenheit, auch noch einen ordentlichen Erfahrungsaustausch mit Ukrainern und Tschechen pflegen zu können. Für die Verständigung mit den polnischen Teilnehmern wurde uns ein charmanter, fachkundiger Dolmetscher zur Seite gestellt.

Auch in Polen teilt sich HIV ähnlich wie bei uns zwischenzeitlich in ein „altes“ und ein „neues“ HIV auf. Die medizinische Versorgung ist nach Auskunft mehrerer Teilnehmer in den letzten Jahren besser geworden. Das Arzt-Patientinnen-Verhältnis scheint sich aber anders zu gestalten als man es aus Deutschland im Durchschnitt gewöhnt ist. Ärzte sind in Polen noch weiße Halbgötter und nehmen auch mal eine aus unserer Sicht autoritäre Haltung gegenüber den Patienten ein.

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Offenlegung möglihcer Interessenkonflikte des Autors:
– Einladung und volle Kostenübernahme für die Veranstaltung durch SIECI
– Reisekostenübernahme durch die DAH
– Dolmetscherkosten durch DAH

Haben Sie Kondom-losen Sex ? – Akltion bei den ‚Positiven Begegnungen‘ in Wolfsburg

„Haben Sie Kondom-losen Sex ?“ wurden Passanten in der Innenstadt von Wolfsburg am Samstag gefragt – im Rahmen einer Aktion von HIV-Positiven gegen die Kriminalisierung von HIV, die in der Innenstadt von Wolfsburg anlässlich der Positiven Begegnungen 2012 stattfand:

Mit vier Motiven wurde dem Anliegen Ausdruck gegeben:

  • Sex mit mir kann nicht strafbar sein !
  • Ich benutze seit 7 Jahren kein Kondom mehr
  • Ohne Kondom? Machen wir doch alle mal …
  • Ich bin nicht kriminell !

Fotos: Stephan Gellrich
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Mit HIV vor Gericht : 49% der HIV-Positiven in den USA glauben nicht an faire Behandlung vor Gericht

Mit HIV vor Gericht – 49% der HIV-Positiven in den USA vertrauen nicht darauf, dass sie vor Gericht eine faire Behandlung erhalten für den Fall, dass sie strafrechtlich verfolgt werden, weil sie ihre HIV-Infektion gegenüber Sexpartnern nicht offen gelegt haben. Dies ist eines der vorläufigen Ergebnisse einer Befragung von 2.076 HIV-Positiven in den USA, die im Juni und Juli 2012 stattfand.

30% der Befragten waren sich nicht sicher, wie sie vor Gericht behandelt werden würden. Nur 21% hatten volles Vertrauen in die Gerichte.

29% der Befragten hatten zudem geäußert, sie hätten sich bereits mehrfach Sorgen gemacht, ‚fälschlicherweise beschuldigt‘ zu werden.

Laurel Sprague, die die Studie durchführte, betonte gegenüber Medien, die Stigmatisierung HIV-Positiver habe ein Ausmaß angenommen, dass Menschen mit HIV vor Gericht oftmals Voreingenommenheit befürchten, dass sie die Gefahr sehen selbst wenn sie unschuldig seien im Gefängnis zu landen:

„People felt that because stigma against people with HIV is so great, that the minute they walk into a courtroom as a positive person that there is already a bias against them as not reliable or not trustworthy. And so, even if they are falsely accused, they fear they can still end up in prison.“

Die Befragung wurde durchgeführt vom ‚Sero Project‚, einer Gruppierung die sich der Bekämpfung von HIV-Stigma widmet. Direktor ist Sean Strub, Langzeit – Aids-Aktivist und Gründer des US – Magazins ‚POZ‘.

32 der US-Bundesstaaten haben den US-Gesundheitsbehörden CDC zufolge HIV-spezifische Strafgesetze.

Die vorläufigen Ergebnisse der Befragung von ‚Sero Project‘ wurden erstmals auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington 2012 vorgestellt.

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American Independant 09.08.2012: People with HIV fear unfair treatment in courts
Sero Preliminary Data Report Final (pdf)

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Bareback / Sex ohne Kondom kann verantwortungsvoller Sex sein – Kunstkampagne wendet sich gegen Kriminalisierung

Es ist für viele immer noch ein Reizwort, das Wort ‚ bareback ‚ … Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‘ thematisiert auch in Washington Sex ohne Kondom, und die Frage nach Verantwortung sowie die Kriminalisierung von HIV-Positiven.

„Würdest du bitte etwas tiefer blicken?“ – eine Kunst-Kampagne von ‚Aids Action Now!‘ rückt Stereotype und Tabus in den Mittelpunkt, darunter auch die Frage „ist nur Sex mit Kondom verantwortungsvioller Sex?“. Das Motto der Aktion von ‚Aids Action Now!‘, auch zu lesen auf Unterwäsche und Transparenten:

„I party. I bareback. I’m positive. I’m responsible.“
(etwa: Ich feiere. Ich habe Sex ohne Kondom. Ich bin HIV-positiv. Ich verhalte mich verantwortunsgbewusst.)

"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party bareback. I'm positive. I'm responsible."
"I party. I bareback. I'm positive. I'm responsible."

Photos aufgenommen von Olivier beim ‚Aids Walk to the White House‘ am 3. Konferenztag (siehe ondamaris 25.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag 3: Aids 2012: die grosse Demo – Bring it back, Robin Hood!).

Mikiki, Koordinator bei der ‚Toronto People Living with AIDS Foundation‘ und derjenige Künstler, der das „I Bareback“ – Plakat gemeinsam mit Scott Donald entwickelte, betont, das gegenwärtige legale und daraus sich ergebend soziale Klima in Kanada, das durch die Kriminalisierung der Nicht-Offenlegung des HIV-Status geprägt sei, beeinträchtige aktiv seine Gesundheit als HIV-Positiver:

„The current legal climate and subsequent cultural climate that is constructed through the criminalization of HIV nondisclosure actively impedes my ability to manage my health as a person living with HIV.“

HIV-Negative würden als verantwortungsvoll wahrgenommen, egal ob sie Sex ohne Kondom haben oder nicht – HIV-Positive hingegen würden als verantwortungslos angesehen weil sie sich haben testen lassen. Das stelle er auf den Kopf: er habe sich testen lassen, gerade weil er sich um seine Gesundheit und die seines Partners kümmere. Sie beide würden ihr Sexleben aktiv managen – und das wolle er mit dem Poster thematisieren:

„Negative people are seen as responsible whether they participate in these behaviours or not, but we’re seen as inherently irresponsible because we have tested positive for HIV. But I flip it on its head: I got tested because I care about my health and care about my partners’ health. We are active agents managing our sex lives, and the poster wants to speak to that.“

Die Aktionsgruppe ‚Aids Action Now!‚ (AAN) wurde bereits 1988 auf Initiative und mit aktiver Beteiligung von HIV-Positiven gegründet. Die jetzige Kampagne zu Stereotyopen und Tabus (u.a. mit dem Bareback-Motto) läuft bereits seit 2011 und sorgte u.a. in Toronto im Umfeld des Welt-Aids-Tags 2011 für Aufmerksamkeit.

Im Januar 2012 war die Gruppe Mitveranstalter der Kampagne „We’re not criminals„, die sich angesichts einer anstehenden Entscheidung des Obersten Gerichtshofs Kanadas (siehe ondamaris 09.02.2012: „Kanada: Oberster Gerichtshof entscheidet voraussichtlich im Sommer über Pflicht zur Offenlegung der HIV-Infektion“) gegen die Kriminalisierung HIV-Positiver wandte.

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siehe auch
Xtra 25.11.2011: Dare you to look deeper

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Merci à Olivier pour les photos !

Rolands Washington-Tagebuch, Tag -1: Aids 2012 – Indigenious Youth is the Present … weil sie schon angefangen haben die Welt zu verändern

Heute morgen bin ich erst mal ins Delegationshotel umgezogen. Liegt gut zum Kongresszentrum der ‚Aids 2012‘ und hat wohl auch etwas Urbanität um sich herum.

Dann husch durch den Regen wieder zur den Indigenen (International Indigenious Conference). Für die American Indians wurden unter anderem folgende Fakten präsentiert:

  • Höchste Selbstmordrate unter Jugendlichen
  • Über 27% ohne Krankenversicherung
  • 4 mal mehr Fälle von AIDS bei Frauen im Vergleich zu Non-Indianer-Frauen

Der Gesundheitszustand der ganzen Gruppe ist unterdurchschnittlich. HIV ist nur eines unter vielen Problemen.

Dann ein schneller, verschwitzter Wechsel zum Gay Men´s Health Summit. Auch hier der zweite Tag.

Der Titel klang wieder einmal sehr vielversprechend: „ It´s Not Racism, It´s a Preference“ – Ein Dialog über Rasse und Klasse. Das interessiert mich auch persönlich und ich habe bereits schon einige Gespräche dazu geführt.

Leider erfüllte auch dieser Block nicht meine Erwartungen. Einer der Trainer forderte uns langatmig auf frei und offen zureden, woraufhin sein Kollege lange Geschichten erzählte und dann die beiden miteinander redeten und 2 Vielredner auch noch dauernd zu Wort kamen. Der Erkenntniswert der Beiträge blieb überschaubar. Meist redeten Weiße miteinander über Farbige – selbst nachdem ein Teilnehmer auf dieses Problem hingewiesen hat. Auch der Chef der Veranstaltung redete immer engagiert mit … was nicht richtig besprochen wurde waren heikle Fragen zum Rassismus.

In den USA ist die Situation nach meinem Eindruck sehr festgefahren. Die Parteien stehen sich unversöhnlicher gegenüber als anderswo. Das führt möglicherweise zu einem für einen Europäer merkwürdigen Diskussionsstil und –inhalt.

Danach habe ich den Gay Men´s Health Summit einfach und unbemerkt verlassen… der Begriff „Summit“ wird wohl in den USA (wie auch in Deutschland) derzeit für alles mögliche verwendet.
Ich wollte meine Zeit nun nicht weiter in dieser Veranstaltung vertun und sauste entgegen meiner ursprünglichen Tagesplanung wieder zurück zu den Indigenen.

Nachmittags gab es dort in einem Panel Präsentationen von frisch und stark inhaltlich orientierten Jugendlichen. Diese 4 flotten Menschen wurden dabei durch die Moderatorin einer straffen Befragung zu u.a. Präventionsansätzen, Heilung, Community und eigenen Vorstellungen zur Arbeit unterzogen. Zu hören gab es tolle Antworten und Statements.

Zur Frage nach einer Arbeit über die eigene Zielgruppe hinaus fielen Sätze wie:

  • “Do not create an agenda for us … we need to be included …. Listen to us!”
  • „Lass uns eine Diskussion zu Sex über alle Altersgruppen hinweg führen“
Aids 2012: Indigenious Preconference
Aids 2012: Indigenious Preconference

Im letzten Block wurden dann Arbeitsgruppen gebildet. Ich habe mich für „Inklusion“ entschieden und spitzte fleißig meine Ohren.

Aids 2012: Indigenious Preconference
Aids 2012: Indigenious Preconference

Am Ender der Veranstaltung stand eine lange Verabschiedung. Es wurden sehr viele Geschenke verteilt. Als ich kurz überlegte schon mal zu gehen, wurde dann ein „Representative from Germany“ aufgerufen – Blick links, Blick rechts … keiner da – also bin ich dann auf die Bühne und habe stellvertretend für die Deutschen (hier kam ich mir ungerechtfertigt vor wie der Präsident) von Elton Naswood von den Navajo Indianern ein Geschenk entgegengenommen. Das hat mich zusammen mit den anderen Zeremonien wie Abschiedsgesängen und Gebeten sehr bewegt. Ich finde es lohnt sich zukünftig auf diese Gruppe mehr zu achten – hier kann man was lernen.

Abends gab es dann noch eine wilde Feier nahe dem Eastern Market mit Trommeln und Tanz.

Aids 2012: Indigenious Preconference
Aids 2012: Indigenious Preconference

Da konnte ich aber nur kurz bleiben, weil dann unsere erste große Zusammenkunft der ganzen Delegation rief. Beim Mexikaner an der Ecke trafen sich das Team der DAH und die meisten Scholarshipperinnen, um den Einsatz für den morgigen ersten offiziellen Konferenztag abzustimmen.

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht
ondamaris 21.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei
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Rolands Washington-Tagebuch, Tag -2: Kriminalisierung der HIV-Infektion … und … der Präsident … rauscht vorbei

Heute morgen um 08:00 Uhr begann dann meine erste Pre-Konferenz. Aus mir noch unbekannten Gründen veranstalten alle möglichen Gruppen vorab eine PreC – also so was wie ne PreP, bei der man schon mal sagt, was man dann in wenigen Tagen im Global Forum noch mal sagen wird?

Ich hatte mich für den Gay Men´s Health Summit entschieden. Ich finde es ein spannendens Konzept sich 2 Tage intensiv in einer großen Zahl von Veranstaltungen über GLBTQ … Gesundheit Gedanken zu machen. Die Veranstaltung ist sehr USA orientiert, aber Gäste aus aller Welt sind gern gesehen. Es waren sicher 80% der Teilnehmer aus den USA, eine starke Gruppe aus Belgien, Franzosen und ein Haufen Neuseeländer. Ich war der einzige aus Deutschland dort.

Gay Men's Health Summit 2012
Gay Men's Health Summit 2012

Die Veranstaltung hatte etwas mit Organisationsproblemen zu kämpfen, aber die Workshops selbst waren davon nicht betroffen. Ich bin mir nicht sicher, ob die Gesamtzahl der Teilnehmer den Erwartungen der Veranstalter entspricht. Ich fand auch die Programmteile, an denen ich teilnahm – „3o Jahre HIV“ und „LGBTQ … Moral“ganz nett, aber in der Programmankündigung klang das alles irgendwie fetziger. Daher will ich den Leser nicht mit Details langweilen.

Zur Ergänzung habe ich auch noch eine Anmeldung „To See and Be Seen“ ausgefüllt – für so einen Kongreßtitel habe ich einfach eine Schwäche.

Und das zum Glück! Das war mit Abstand der freundlichste, most sexy und perfekteste Check-In den es bisher gab. Die ‚International Indigenious Conference‘ war ein tolles Highlight am Nachmittag. Tolle Dressings und ein gute Atmosphäre zusammen mit einem ordentlich vorbereiteten Programm. Eine echte Überraschung für mich.

Ich hatte mich für den Teil zur Kriminalisierung entschieden. Das Thema war zwar nur mäßig gut besucht, aber die Referenten boten einen verständlichen Einblick in die erschreckende Problematik der Kriminalisierung von HIV Positiven. Erstaunlicherweise sind im weltweiten Vergleich nicht die bekannten „Schurkenstaaten“ und 3. Welt Länder am schlimmsten, sondern die entwickelten Industrieländer weisen eine sehr hohe Zahl von Verurteilungen wegen „HIV“ auf. Das liegt nun nicht daran, dass dort besonders übertragungswütige Positive leben und ihr Unwesen treiben, sondern an sehr ausgebildeten Ermittlungs- und Rechtssprechungssystemen, die in den letzten 10 Jahren nicht mit dem wissenschaftlichen Fortschritt mitgegangen sind und daher mit abstrusen Sofort-Gesetzen aus der Panik-Frühzeit der Epidemie arbeiten. Verschärft wird diese Situation noch durch eine unberechenbare, widersprüchliche Auslegung der mangelhaften Gesetze und drakonische Strafen für unklare Tatbestände. Die Oslo- Deklaration hat das ja schon aufgegriffen, aber es ist noch ein langer, steiniger Weg zu gehen ehe die USA, Kanada und Europa eine angemessene und vernünftige Rechtsprechung – wie es sich für ein zivilisiertes Industrieland gehört! – zu diesem Thema umsetzen.

Ungeklärt vom heutigen Tag bleibt: Was ist (k)ein Aktivist? Bin ich ein Aktivist?

Dann bin ich noch schnell ums Weiße Haus gelaufen … und denke an nix böses, latsche dösig rum – freue mich noch am großen Autochaos zur Rush Hour …. und werde von eine Polizistin zusammengefaltet, daß ich SOFORT!! und UMKEHREN !!!! soll…. erst da merke ich, daß der Stau eine Sperrung ist und dann rauscht auch schon der Präsident mit seiner ganzen 17 Autos und 6 Motorräder umfassenden Entourage aus seiner White House Ausfahrt raus und an mir vorbei. Das gab natürlich nur noch schlechte Fotos. (ich hatte ja auch etwas Angst präventiv erschossen zu werden)

... der Präsident rauscht vorbei ...
... der Präsident rauscht vorbei ...

Ich bin gespannt was es morgen auf beiden Konferenzen zu lernen gibt.

Der flotte Präsident wird ja nun nicht noch mal Thema werden wollen – auch wenn er im Wahlkampf ist.

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
ondamaris 20.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht

HIV und Ramadan – was geht, und wie?

HIV und Ramadan – HIV-positiv, Medikamente, und die Fastenzeit für Muslime, der Ramadan. Verträgt sich das? Und wie regele ich’s am praktischsten? Ratschläge gibt ein (französischsprachiges) Interview mit einer Ärztin.

Am 20. Juli 2012 beginnt in Deutschland für gläubige Muslime der Ramadan (Ende: 18. August; beide Daten laut Festlegung des Koordinationsrates der Muslime KRM).

Ramadan – das bedeutet bis Sonnenuntergang nicht essen, nicht trinken, nicht rauchen. Als ‚Fastenmonat‘ bringt der Ramadan somit auch für Menschen mit HIV, die muslimischen Glaubens sind, einige Fragen mit sich. HIV und Ramadan – geht das? Und wie?

Aids-Medikamente müssen eingenommen werden, vielleicht nicht nur einmal, sondern zweimal täglich – geht das? Und wie? Und was ist mit Medikamenten, die nicht ohne Nahrung eingenommen werden dürfen? Gibt es Konstellationen als HIV-Positive/r, die sich mit dem Ramadan definitiv nicht vertragen? Und was dann?

Dr. Assia Djender hat dazu dem französichen Sida Info Service (bzw. deren ‚SIS radio) ein Interview mit vielen praktischen Tipps gegeben:

Sida Info Service: Séropositivité et ramadan 2012 : mode d’emploi

Sida Info Service
Sida Info Service

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Die “Praxistipps‘ zum Thema „HIV-positiv und Ramdan“, die Dr. Djender gibt, sind in französischer Sprache. Leider ist mir kein Pendant in deutscher Sprache bekannt – für Hinwiese bin ich dankbar!

Rolands Washington-Tagebuch, Tag -3: Obama spricht nicht

Obama wird die Konferenz nicht eröffnen. Das ist schade. Es ist sicherlich auch eine politische Entscheidung. Ich lebe aber gut mit dieser Entscheidung. Derzeit kämpft der Präsident für seine Wiederwahl im Herbst. Eine noch größere Nähe zu HIV ist dafür nicht hilfreich. Die derzeitigen Umfragewerte sehen ohnehin den Herausforderer Romney als Sieger. Das wäre laut Barbara (aus dem Flugzeug) dann noch schlimmer als Bush.

Lieber verzichte ich auf einige sicher beeindruckende Worte des bestaussehenden regierenden Staatsführer der westlichen Welt. Wenn er dadurch dann doch noch die Wahl gewinnt, dann ist mir damit als HIV Positivem viel mehr gedient. Das Opfer das die Wahlkampfstrategen hier für uns ersonnen haben gebe ich gern.

Zur Vorbereitung auf meine kurze Teilnahme an der Pre-Konferenz für Indianische Völker habe ich mich dann heute noch mal im Indianermuseum umgetan.

Tolle Museumsdidaktik haben die Amerikaner in vielen Museen in denen ich zwischenzeitlich war. Neben guten Denkanstößen zur amerikanischen Geschichte lernte ich auch noch etwas über die „Nation auf dem Pferderücken“. Winnetou war also Fußgänger ehe er den Spaniern 1680 über 1500 Pferde abnahmen und damit das Monopol auf Pferdereiten brach.

Nachmittags habe ich dann erste richtige Aktivisten der Konferenz getroffen und mich über „Black AIDS“ kurz während einer Taxifahrt briefen lassen und mir anschließend das wirklich spartanische Quartier für die Prekonferenz des Black AIDS Instituts angesehen. Das Waldschlösschen ist eben ein wirklich schöner Ort für uns in Deutschland.

Am Abend sollte es noch schnell zur Registrierung für den Gay Men´s Health Summit gehen, das hat aber irgendwie mit der Ortsbeschreibung nicht geklappt. Ich habe mich dann sogar noch in der dunkelsten Metro der Welt verfahren und bin dabei mit einem reifen, dunkelhäutigen Herrn zusammengestoßen der einfach unsichtbar war – (warum denke ich das ich mit der Sonnenbrille in der U-Bahn cool aussehe??)

Die dunkelste U-Bahn der Welt
Die dunkelste U-Bahn der Welt

Ich bin da noch in eine Art Gottesdienst meiner Glaubensgemeinschaft gegangen. Ich hatte mich vorher artig angekündigt und wurde somit erwartet. Man traf sich mit 7 bürgerlichen, jüngeren Leuten und ich wurde gefragt was ich in DC mache? Lügen ist ja im Glauben nicht so prickelnd … also nach der guten Erfahrung in der Einwanderung hab ich dann lieber gleich gesagt „Ich bin hier für die Welt AIDS Konferenz“ – uiiii … das war nicht so gut – fremder Glaubensbruder aus Lotter-Berlin der sich hier unbekannt einfindet und dann evt. mit HIV ankommt?? …. Erst mal fragte keiner etwas und dann erbarmte sich eine Frau und wollte wissen wann die Konferenz losgeht? Ab Sonntag würde es offiziell losgehen aber es würden nun schon viele Vorabkonferenzen starten. Es hat dann aber keiner mehr so richtig etwas zu dem Thema gesagt…. aber wir waren ja auch zum Ausführen kultischer Handlungen zusammengekommen und nicht für meinen nächsten Coming out Schritt.

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In ‘Rolands Washington-Tagebuch’ ist bisher erschienen:
ondamaris 18.07.2012: XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
ondamaris 18.07.2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama
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Rolands Washington-Tagebuch, Tag -4: Einladung bei Barack Obama

Der superfreundliche, angenehme, hilfsbereite, gutaussehende L. ist seit 1980 HIV positiv. Er ist der letzte Überlebende von seinen Freunden und Bekannten von damals. Während er mich in meine Zwischenunterkunft am anderen Ende der Stadt fährt, unterhalten wir uns über die Gesundheitsreform. Anders als Barbara aus dem Flugzeug ist er kein Freund richtiger von Obama. Er findet aber das zänkische Verhalten vom Obama Herausforderer Romney mit seiner Drohung nach der Wahl alles rückgängig machen zu wollen falsch.

Die rein ablehnende Haltung der Republikaner ist nach seiner Ansicht nicht produktiv für die politische Weiterentwicklung der Krankenversicherung in den USA. Nur eine Haltung „wir sind dagegen und werden es wieder abschaffen“ wird er den Anforderungen die zukünftig auf die kranken und gesunden US Bürger zukommen nicht gerecht meint L.

Während er mich durch ein Autobahngewirr steuert denke ich darüber nach, was so ein Politikverständnis für Deutschland bedeuten würde.

Am Nachmittag geht es erst mal auf Entdeckungstour in die City.

14:36 Uhr das erste sichtbare Zeichen der nahenden Konferenz begegnet mir!

.. und das tolle daran: Es ist keine Pharmawerbung sondern eine Begrüßungswerbung von der Ford Foundation und Greater than AIDS.

Einen U-Bahnhof weiter gibt es dann aber schon massiv Pharmawerbung! Das geht hier ja anders als in Deutschland.

Ich lese mir dann die textlastige Tafel durch und stelle verwundert fest, dass der Text zum größten Teil aus Warnungen und Anwendungsverboten besteht.

Das Medikament ist sicher sehr begehrt bei Positiven, wenn es seine versprochene Wirkung (Abbau der von mir sehr gefürchteten Fettverteilungsstörung) hat. Es ist aber unklar, welche Risiken man eingeht bei der Anwendung.

Am Abend lädt mich dann die First Lady des Landes mit einer flotten E-Mail zur Teilnahme an der Geburtstagsparty für ihren Mann in ihrem Haus in Chicago ein …. da war ich dann schon etwas gerührt.

Meine Ehrlichkeit bei der Einreise zahlt sich wohl wirklich aus in diesem Land…

Washington 2012: Barack Obama lädt ein zur Geburtstags-Party
Washington 2012: Barack Obama lädt ein zur Geburtstags-Party

… ab 3,-$ ist man dabei!

… das ist dann deutlich einfacher als beim Sommerfest der deutschen Regierungschefin.

… oder gar bei einer dieser mittelmäßigen deutschen Kinofilmpremieren.

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In ‚Rolands Washington-Tagebuch‘ ist bisher erschienen:
XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise
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XIX. International Aids Conference 2012: Rolands Washington-Tagebuch, Tag -5: Flug und Einreise

Die XIX. International Aids Conference 2012 findet vom 22. bis 27. Juli 2012 in Washington, USA statt. Roland, ein HIV-positiver Mann, nimmt (durch ein Scholarship der Deutschen Aids-Hilfe) zum ersten Mal an einer Welt-Aids-Konferenz teil. Für ondamaris berichtet Roland in den kommenden Tagen über die XIX. International Aids Conference 2012 und seine Reiseeindrücke täglich live aus Washington.

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Tag 1: XIX. International Aids Conference 2012 – Flug und Einreise

Die Anreise verläuft gut. In Berlin bin ich 40 Minuten verspätet abgeflogen – aber das verkürzt einem die Wartezeit in Amsterdam. KLM hat auf dem Flug nach Washington ein sehr schräg anmutendes Kabinenteam im Einsatz … irgendwie Trans – irgendwie in vielen Programmpunkten in DC enthalten. Alle arbeiten fleißig und dann ist es auch nicht schlimm, daß wir 2 Stunden später abfliegen als geplant.

Im Flugzeug sitze ich neben Barbara und wir nutzen die Zeit und die Ruhe des Wartens zum ausführlichen Gespräch. Sie wohnt auf dem „Land“ nahe der Hauptstadt, liest gern Bücher, ist Rentnerin und arbeitet zur Aufbesserung der Rente noch in einer Bibliothek … Sie befürchtet, das Obama im Herbst die Wahl verliert und ist etwas erstaunt, als ich erkläre, daß viele Ausländer ihren Präsidenten einen prima Kerl finden, den man als Präsidenten behalten sollte. Ich glaube der würde auch die Merkel ablösen können – wenn der ab Herbst dann wirklich arbeitslos ist, sollte man ihm ein entsprechendes Angebot als Kanzlerkandidat machen … das würde vermutlich vielen „Menschen“ (wem auch sonst?) im Land viel mehr Spaß machen.

Wir sitzen für unseren Plausch im Flugzeug das den Namen „Dam – Amsterdam“ trägt. Es handelt sich beim Dam um einen zentralen Platz in der besagten Stadt, an dem zu Beginn der Ausbreitung von HIV noch stark mit Drogen gehandelt wurde. Nun fliege ich zu meiner ersten Welt-AIDS-Konferenz mit einem Vogel der nach einer alten Ikone der Drogenszene benannt ist. (Ich liebe symbolische Deutungen).

Viel später am Abend dann Einreise in die USA. Lange Zeit durfte man als HIV Positiver nicht in Gods own Country einreisen. Wer es trotzdem gemacht hat, beging ein Einreisedelikt, auch wenn es nicht aufgeflogen ist. Damit ist dann aber mit einer legalen Einreise in die USA ein für alle Mal vorbei.

Ich war nie getestet und bin seit meinem Testergebnis noch nicht wieder in die USA gereist und kann daher nun seit der Gesetzesreform wieder legal einreisen. Diese Politikänderung unter dem von mir sehr geschätzten Nachfolger von Herrn Bush hat dann ja auch mit dazu geführt, daß die Welt AIDS Konferenz endlich mal wieder in den USA stattfindet.

Eine solche Veranstaltung geht ja nicht gut ohne richtige Positive!

Sexworker (egal ob positiv oder negativ) dürfen übrigens immer noch nicht einreisen …. deshalb tagen die dann auch dieses Mal nicht in Washington sondern in Kalkutta wo man scheinbar mit solch einem Beruf lockerer einreisen darf.

Ich wollte bei der Paßkontrolle aber mal ausprobieren was passiert wenn man einfach die Wahrheit sagt – meine junge neue Liebe zu dem Land (Barbara sei Dank) sollte nicht gleich durch eine billige Lüge Schaden nehmen. Auf die Frage des Beamten was ich im Land wolle, habe ich gesagt, dass ich ein Scholarship für die XIX. International Aids Conference 2012 habe und mich auf die Teilnahme sehr freue.

Ein kleiner Schritt für die meisten Positiven – ein großer Schritt in meinem Coming Out.

Der Beamte hat dann wieder viele geheimnisvolle Computereingaben gemacht und sicherheitshalber auch noch gleich Fingerabdrücke und Gesichtsfoto abgenommen. Da das aber auch das eher biedere Paar vor mir mitmachen mußte, denke ich war das nicht praktizierte HIV-Diskriminierung.

Trotzdem ist man ja nun als potentieller Täter beim Berühren von HIV-negativen Sexpartnern mit nackten Händen viel leichter zu überführen.

An der Zollkontrolle wollte niemand mehr meine Medikamente sehen – diese muss man nach offizieller Lesart bei der Einreise deklarieren und sie müssen in der Originalverpackung eingeführt werden. Vorsichtshalber habe ich da dann gleich die ungeöffneten Monatspackungen Viramune und Truvada und eine Rezeptkopie eingesteckt … aber der Mann war freundlich, interessierte sich nicht für meine Details und es dauerte für den ganzen Zoll dann nicht länger als wenn man in der EU unterwegs ist. (Bei meiner letzten Einreise mußte ich noch einen richtigen Schnüffeldackel durch meinen Koffer spazieren lassen – der dort nach versteckten Lebensmitteln suchte).

Positiventreffen mit Schwerpunkt: Frisch getestet

„Frisch getestet“ – das kommende 153. Bundesweite Positiventreffen wendet sich gezielt an Menschen, die ihr HIV-positives Testergebnis in den vergangenen ein oder zwei Jahren erhalten haben.

Auf dem Treffen, das vom 29.07.2012 bis 2.8.2012 im Waldschlößchen (bei Göttingen) stattfindet, werden u.a. Workshops zu folgenden Themen angeboten:

  • Late Presenter
  • Muss ich schon eine Therapie machen?
  • HIV und mein soziales Umfeld
  • Perspektiven nach der HIV-Diagnose
  • Medizin Basics
  • Medizin: komplementäre Medizin
  • Sozialrecht Basics
  • kunsttherapeutischer Workshop
  • Outdoor Sport

Die Bundesweiten Positiventreffen werden organisiert von positiv e.V. in Zusammenarbeit mit der Akademie Waldschlößchen  und mit Unterstützung der Deutschen Aids-Hilfe.

Anmeldung online direkt über die Internetseite der Akademie Waldschlößchen

München: 40-jährige HIV-Positive angeklagt (akt.2)

Eine 40-jährige HIV-positive aus Nigeria stammende Frau steht sei Mittwoch, 30. Mai 2012 vor dem Landgericht München I. Sie wird wegen fahrlässiger und vorsätzlicher Körperverletzung angeklagt. Sie soll ohne Benutzung von Kondomen mit einem Mann Sex gehabt haben.

Zudem, so wird ihr vorgeworfen, soll sie einem Arbeitskollegen bei einem Streit in einer Schulküche im September 2011 die halbe Unterlippe weg gebissen haben.

Die Frau bedauerte die Tat vor Gericht, sie schäme sich. Sie habe aus Notwehr gehandelt. Auch ihr Verhalten gegenüber ihrem Freund bezeichnete sie als Fehler; damals habe sie auf Gott vertraut. Mit ihrem Freund habe sie nicht über HIV gesprochen, weil sie sich nicht sicher gewesen sei, ob er bei ihr bleiben würde.

Das Urteil soll ist am Donnerstag, 31. Mai 2012 ergehen ergangen: ondamaris 31.05.2012: Vier Jahre Haft für HIV-positive Frau in München

Die Deutsche Aids-Hilfe fordert “Keine Kriminalisierung von Menschen mit HIV!“, ebenso die “Deklaration von Oslo über die Kriminalisierung von HIV“. Diese betont

“Es gibt immer mehr Belege dafür, dass die Kriminalisierung der Nichtoffenlegung der HIV-Infektion, der potenziellen Exposition und der nicht vorsätzlichen Übertragung von HIV mehr Schaden anrichtet, als dass sie der öffentlichen Gesundheit und den Menschenrechten nutzt.”

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Aktualisierung
31.05.2012, 10:30: Presseberichten zufolge ist der Mann nicht mit HIV infiziert. Ob die Frau antiretrovirale Medikamente nimmt, ist aus den Berichten nicht ersichtlich.

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weitere Informationen:
SZ München 30.05.2012: HIV-infizierte Frau nach Attacke vor Gericht
Welt online 30.05.2011: HIV-positive Frau beißt Kollegen die Lippe ab
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Dank an A. für den Hinweis!

Belgien wählt „Mr. HIV“ – für mehr Sichtbarkeit HIV-Positiver

Während des Belgischen CSD am 12. Mai 2012 wählt Brüssel den „Mr. HIV“ – als Initiative für mehr Sichtbarkeit HIV-Positiver in der Schwulen-Szene wie auch in öffentlichen Debatten.

Aus der Ankündigung der Veranstalter DUQ und der Positivengruppe ‚The Warning‘ unter dem Titel ‚Sero – Was?‘ [abgeleitet von séropositif = HIV-positiv]:

„Auch dreißig Jahre nach Beginn der Aids-Epidemie gibt es in Brüssel, der Hauptstadt Europas, keinen Ort für Gespräche und Initiativen HIV-Positiver. … Wir bleiben unsichtbar in der Schwulen-Szene, in den Informations-Kampagnen, in den Gruppen. Mit dieser Wahl wollen wir die Sichtbarkeit von Menschen mit HIV in den öffentlichen medizinischen, politischen, sozialen Debatten die uns betreffen verteidigen.“ [Übersetzung ondamaris]

Mr. HIV
Mr. HIVMr. HIV

Jubiläum: 150 Bundesweite Positiventreffen

Ein besonderes Jubiläum HIV-positiver Selbsthilfe ist zu feiern: 150 Bundesweite Positiventreffen. Das 150. Treffen beginnt in wenigen Tagen  im Waldschlößchen.

Mai 1986: 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau, alle HIV-positiv, treffen sich vom 8. bis 11. Mai 1986 im Waldschlößchen. Das erste Treffen, auf dem schon bald klar wird, man will mehr: die Bundesweiten Positiventreffen entstehen.

März 2012: Die Bundesweiten Positiventreffen feiern ein denkwürdiges Jubiläum: das 150. Bundesweite Positiventreffen findet vom 29. März bis 1. April 2012 im Waldschlößchen statt.

Zwischen ersten und einhundertfünfzigstem Treffe liegen 148 weitere Bundesweite Positiventreffen, 26 Jahre und ungezählt viele Tausende Teilnehmerinnen und Teilnehmer, Hunderte Referenten und Referentinnen.

Alles begann im Mai 1986. Es ist die Zeit der Aids-Hysterie, Gauweiler und Süßmuth (und mit ihnen viele andere) streiten um die Richtung der Aids-Politik. Begriffe wie Absonderung, Ausmerzen oder der ‚Bayrische Maßnahmenkatalog‚ kennzeichnen die aufgeregten Debatten. Unterdessen erkranken immer mehr Menschen an Aids. Medikamente gibt es bisher nicht. In dieser Situation laden Jörg Sauer und Bernd Flury, die beide das „Waldschlößchen‘ bereits als schwules Tagungshaus kannten, ein zu einem Treffen HIV-Positiver. 37 schwule Männer und eine heterosexuelle Frau folgten ihrem Aufruf, nahmen am ersten „Bundesweiten Positiventreffen“ (das diesen Namen damals noch nicht trug) teil.

Der ‚Spiegel‘ berichtete damals (HIV hatte noch nicht seinen heutigen Namen, wurde HTLV III genannt)):

„Im Mai will der Münsteraner Student Bernd Flury die „HTLV-III-Antikörper-Positiven“ zu einem ersten bundesweiten Treffen versammeln. Es soll, unter anderem, über „Tod und humanes Sterben“ geredet werden.“

Ab dem vierten Treffen (6. bis 8. März 1987) übernahm die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) die Finanzierung der Treffen. Aus einer kleinen Gruppe HIV-Positiver und Nicht-Getesteter, die sich aus diesem 4. Treffen heraus 1987 zur Vorbereitung der Treffen gründete, entstand am 20. Juli 1988 der Verein „positiv e.V.“ – der noch heute die Bundesweiten Treffen gemeinsam mit der Deutschen Aids-Hilfe sowie der Akademie Waldschlößchen veranstaltet.

Wolfgang Vorhagen, von Anfang an „mit dabei“, betont in einem Bericht für das DAH-Blog im November 2011.

„Die bundesweiten Positiventreffen sind ein gutes Beispiel für ein gelingendes Miteinander von Selbsthilfe, Erwachsenenbildung und Deutscher AIDS-Hilfe. Ohne die schon seit 1987 währende Zusammenarbeit von Positiv e.V und Akademie Waldschlösschen mit der DAH (und die Unterstützung durch Bundesmittel) wäre ein Projekt wie dieses nicht möglich – teilnehmen können so auch Menschen, die nur wenig Geld haben, was vor allem bei Langzeitpositiven häufig der Fall ist.“

Die DAH beschreibt die Treffen nüchtern

„Die Bundesweiten Positiventreffen wenden sich an Menschen, die Lust haben, an aktuellen Themen rund um das Leben mit HIV und Aids zu arbeiten. Neben Diskussionen, Fortbildungs- und Informationsangeboten zu den jeweiligen Schwerpunktthemen gibt es genügend Raum für Begegnung und Austausch. Mit diesen Treffen wollen wir die Selbsthilfearbeit fördern und Multiplikator(inn)en vernetzen. Um den Kreis der Engagierten zu erweitern, achten wir darauf, dass sich bei den Treffen eine gute Mischung aus „alten“ und neuen Teilnehmer(inne)n ergibt.“

Jörg Sauer und Bernd Flury, die beiden ‚Ur-Ahnen der Bundesweiten Positiventreffen‘, sind beide inzwischen verstorben. An beide erinnern Steine im Rahmen der Installation ‚Namen und Steine‘ – am Waldschlößchen. Die Bundesweiten Positiventreffen erfreuen sich großer Beliebtheit – so großer, dass die Treffen meist bereits Wochen vorher ausgebucht sind. Rechtzeitig informieren und über die ‚Akademie Waldschlößchen‘ anmelden – zum Beispiel hier:

positiv e.V.
Waldschlößchen
Deutsche Aids-Hilfe

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siehe auch „150 Bundesweite Positiventreffen – eine Chronologie

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Spiegel 28.04.1986: Aids: Es geht alles schon schön schnell
ondamaris 27.11.2008: Positiventreffen – Freiraum solidarischen Miteinanders
DAH-Blog 18.11.2011: Wolfgang Vorhagen: Gelebte Vielfalt, gelebte Selbsthilfe Gelebte Vielfalt, gelebte Selbsthilfe
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Chemielaborant: Kündigung wegen HIV bleibt bestehen – Berufung erfolglos (akt.5)

Niederlage in der Berufungsverhandlung: die Kündigung eines Chemielaboranten wegen seiner HIV-Infektion bleibt bestehen. Eine Diskriminierung bestehe nicht.

Sebastian F. konnte sich auch in zweiter Instanz nicht durchsetzen. Vor dem Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg wurde am 13. Januar 2012 in der Berufungsverhandlung  seine Kündigung wegen HIV-Infektion verhandelt – das Urteil: die Kündigung war rechtens, sie bleibt bestehen, eine Diskriminierung wegen seiner HIV-Infektion sei nicht feststellbar. Auch eine Entschädigung stehe ihm nicht zu, unabhängig von der Frage der Anwendbarkeit des AGG. Es müsse dem Arbeitgeber möglich sein, für die Herstellung von Medikamenten allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen.
Eine Revision beim Bundesarbeitsgericht ist allerdings zugelassen.

Im Mittelpunkt der Argumentation: das „mögliche Restrisiko“, das eine Kündigung rechtfertige. Die Frage, ob das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz AGG hier Anwendung finde, wurde nicht konkret thematisiert – auch weil eine HIV-Infektion im AGG nicht explizit genannt wird.

Dies erfuhr ondamaris von einem Prozessbeobachter.

Der 24-jähriger Chemielaborant wurde von seinem Arbeitgeber fristlos gekündigt, wegen seiner HIV-Infektion. Zudem erhielt er ein sofortiges Hausverbot. Man habe das Wohl der eigenen Kunden zu berücksichtigen, so damals der Arbeitgeber, ein Pharmaunternehmen. In erster Instanz verlor der Chemielaborant vor dem Berliner Arbeitsgericht im Juli 2011 – dies erklärte die Kündigung für rechtens. Das Arbeitsgericht stellte damals u.a. fest:

„Der Arbeitgeber habe den Kläger zudem nicht wegen einer Behinderung diskriminiert und müsse daher auch eine Entschädigung nicht zahlen. Die bloße HIV-Infektion führe nicht zu einer Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit und stelle daher keine Behinderung im Rechtssinne dar.“
„Die Tatbestandsvoraussetzung für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG“ sei „nicht erfüllt“.

Tino Henn, Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, betonte hingegen im Vorfeld der heutigen Verhandlung

„Die Deutsche AIDS-Hilfe unterstützt Sebastian F. dabei. Dazu sagt Vorstandsmitglied Tino Henn: „Menschen mit HIV wegen ihrer Infektion zu entlassen ist ein schwerer Fall von Diskriminierung. Wir hoffen sehr, dass das Gericht in der zweiten Instanz klarstellt: HIV ist kein Kündigungsgrund! Da das Kündigungsschutzgesetz in der Probezeit nicht greift, brauchen wir hier die klare Aussage des Gerichts, dass Menschen mit HIV durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz geschützt sind. Ansonsten könnten sich skandalöse Urteile wie dieses wiederholen.“

Am heutigen Freitag, 13.1.2012 erfolgte nun die Verhandlung in der Berufungsverhandlung vor dem Landesarbeitsgericht Berlin. Vertreten wurde Sebastian F. darin wie in der ersten Instanz durch Rechtsanwalt Jörg-André Harnisch und das ‚Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V.‘ (BUG), das als Beistand auftrat (Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Aktenzeichen 6 Sa 2159/11).

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Aktualisierungen
13.01.2012, 14:20: In der Pressemitteilung des Landesarbeitsgerichts heißt es

„Das Landesarbeitsgericht hat die Kündigung für rechtswirksam gehalten. Die Kündigung sei nicht willkürlich und verstoße deshalb nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Dem Arbeitgeber könne nicht verwehrt werden, für die Medikamentenherstellung allgemein den Einsatz erkrankter Arbeitnehmer auszuschließen. Die Entscheidung, einen dauerhaft mit dem HI-Virus infizierten Arbeitnehmer zu entlassen, sei auf dieser Grundlage nicht zu beanstanden. Da das Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung finde, komme es auf die soziale Rechtfertigung der Kündigung nicht an.
Dem Arbeitnehmer stehe auch eine Entschädigung nach dem AGG nicht zu. Dabei könne dahinstehen, ob die bloße HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG darstelle und ob der Arbeitnehmer im Vergleich zu anderen erkrankten Arbeitnehmern ungleich behandelt worden sei. Denn eine – einmal angenommene – Ungleichbehandlung des Arbeitnehmers sei wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt.“

13.01.2012, 17:00: Die deutsche Aids-Hilfe (DAH) bedauert das Urteil und betont, sie wolle erreichen, „dass künftig auch Menschen mit chronischen Erkrankungen durch das AGG vor Diskriminierung geschützt werden.“

14.01.2012, 09:40: der Berliner Fachanwalt für Arbeitsrecht Wolf Reuter kommentiert in seinem Blog

„Das LAG hat dem Bundesarbeitsgericht (Revision zugelassen) eine harte Nuss mit auf den Weg gegeben. Nach der Pressemitteilung kann man eigentlich dahinstehen lassen, ob die HI-Infektion als Behinderung anzusehen wäre (anders vielleicht als die Hepatitis oder Herpesinfektion). Denn das LAG hat in einer intellektuell wirklich scharfen Weise scheinbar darauf abgestellt, ob die angenommene Diskriminierungssituation wirklich eine „andere“ Behandlung des Betroffenen darstellt – verglichen mit (unterstellt) nicht behinderten Arbeitnehmern. Der Arbeitgeber schließt nämlich jede Person von der spezifischen Arbeit aus, die einen Infekt hat, ohne Rücksicht darauf, ob er die Qualität einer Behinderung hat. Übersetzt könnte man auch sagen: Der Laborrauswurf trifft behinderte und nichtbehinderte Mitarbeiter mit einer Infektion gleichermaßen.
Dann liegt auch keine Diskriminierung vor.
Ob das eine geniale Lösung ist und der Realität gerecht wird, soll nun natürlich noch Erfurt entscheiden.“

15.01.2012, 12:00: Arbeitsrechts-Experte Prof. Markus Stoffels von der Universität Osnabrück weist im ‚beck-blog‘ darauf hin, es sei

„nicht sicher, ob die bloße (symptomlose) HIV-Infektion eine Behinderung im Sinne des AGG darstellt. Für eine ausgebrochene AIDS-Erkrankung wird man das wohl bejahen können. Das LAG lässt diese Frage sowie diejenige, ob der im Vergleich zu anderen erkrankten Arbeitnehmern ungleich behandelt worden ist, dahingestellt. Denn eine – einmal angenommene – Ungleichbehandlung des Arbeitnehmers sei wegen des Interesses des Arbeitgebers, jedwede Beeinträchtigung der Medikamentenherstellung durch erkrankte Arbeitnehmer auszuschließen, gerechtfertigt.“

Und Rechtsanwalt A. Martin weist in seinem Blog trotz der „Besonderheit des Falles“ darauf hin

„Zumindest ist eine Kündigung wegen HIV innerhalb der Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes (hier findet es aber wegen der Probezeit keine Anwendung) als personenbedingte Kündigung in der Regel nicht zulässig, da im Grunde von der HIV – Infektion kein Risiko für Dritte ausgeht und auch die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers nicht eingeschränkt ist.“

17.01.2012, 09:00: Juraforum zieht den ( verkürzten ? ) Schluss „Pharmaunternehmen müssen HIV-Infizierte Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen“.

18.01.2012, 09:00: haufe.de titelt zu dem Urteil „Kündigung von Assistent mit Aids-Infektion in der Probezeit = rechtens“, kommentiert dazu allerdings

„Die Frage, ob eine HIV-Infektion (ohne dass die Krankheit ausgebrochen ist) einen personenbedingten Kündigungsgrund darstellen kann, hat das BAG bisher noch nicht entschieden. Dies wird man grundsätzlich verneinen müssen, es sei denn, aus der Tätigkeit des Arbeitnehmers ergibt sich – wie im obigen Fall – eine Gefahr der Infektion anderer Arbeitnehmer oder Dritter (z. B. HIV-infizierte Krankenschwester).“

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weitere Informationen:
Berliner Morgenpost 13.01.2012: Diskriminierung – Chemielaborant klagt gegen Entlassung wegen HIV
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg
Arbeistgericht Berlin 05.08.2011: Arbeitsgericht Berlin weist Klage gegen Kündigung wegen HIV-Infektion ab
Deutsche Aids-Hilfe 29.11.2011: Kündigung wegen HIV – Berliner Chemielaborant muss in der Berufung Recht bekommen!
Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung e.V. (BUG): Hintergrundinformationen Berufung Sebastian F. (pdf)
Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg: Pressemitteilung Nr. 05/12 vom 13.01.2012 – „Kündigung eines Arbeitnehmers mit HIV-Infektion“
queer.de 13.01.2012: Urteil in Berlin: HIV-Infektion ist Kündigungsgrund
DAH 13.01.2012: Menschen mit HIV brauchen einen gesetzlichen Schutz vor Diskriminierung!
Reuter Arbeitsrecht 13.01.2012: HIV ist kein Kündigungsschutz
beck-blog Prof. Markus Stoffels 14.01.2012: Kündigung eines Arbeitnehmers mit HIV-Infektion
RA A. Martin 14.01.2012: LAG Berlin-Brandenburg: Kündigung wegen HIV-Infektion in Probezeit zulässig!
Juraforum 16.01.2012: Pharmaunternehmen müssen HIV-Infizierte Arbeitnehmer nicht weiter beschäftigen
haufe.de 17.01.2012: LAG-Urteil: Kündigung von Assistent mit Aids-Infektion in der Probezeit = rechtens
Financial Times 24.01.2012: Urteil der Woche: Kündigung wegen HIV-Infektion
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