Ärzte auch in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen mehr einzusetzen – dieses Konzept wird nicht nur im Aidsbereich diskutiert. Es ist auch Thema einer Veranstaltung in der Deutschen Aids-Hilfe am Mittwoch, 7. Oktober 2009. Ein Kommentar.
Immer noch wird eine HIV-Infektion bei vielen Menschen sehr spät festgestellt (late diagnosis) – mit vielen möglichen oder sehr realen potentiellen negativen Folgen auch für den oder die Betroffene/n. Gerade hier Ärzte zu sensibilisieren, scheint eine gute Idee. Die schnell weiterführt zum Gedanken, Ärzte doch generell in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einzusetzen.
Untersuchungen laufen, auch zur Frage, wie weit Patienten eigentlich mit ihren Ärzten über sexuelle Fragen sprechen, sprechen wollen, sprechen können.
Und die Aids-Hilfe NRW arbeitet an einem Gesprächsleitfaden, der Ärzten helfen soll, mit ihren Patient/innen auch über Fragen des Sexualverhaltens und sexuell übertragbarer Erkrankungen ins Gespräch zu kommen.
Doch Vorsicht – was schnell plausibel scheint, muss nicht unbedingt im Interesse der Patienten sein.
Einige Gedanken …
Die Ausforschung des Sex
Das harmlos scheinende Gespräch über Fragen des Sexualverhaltens hat potentiell so seine Tücken. Möchte ich als Patient eigentlich, dass mein Arzt auch möglichst alle (Un)Tiefen und Details meines Sexlebens kennt? Wie freiwillig ist dieses Gespräch, wenn ich anschließend auch „ganz normal“ behandelt werden möchte? Was davon wird dokumentiert? Und wer erfährt davon? Oder wie ausgeforscht fühle ich mich, werde ich?
Diese potentielle Ausforschung hat Konsequenzen. Wir verhält sich der Mediziner, die Medizinerin, die erfährt, dass ihr Patient sich unter Präventions-Gesichtspunkten „kontraproduktiv“ verhält? Wie wirkt sich dieses Wissen aus, wenn der gleiche Arzt, die gleiche Ärztin dann später genau diesen Patienten behandeln muss, z.B. aufgrund einer sexuell erworbenen Erkrankung? Wir leben Ärztinnen und Ärzte mit diesem Spagat? Und wie erst Patientinnen und Patienten? Wohl wissend, ja, der Arzt hat ja gesagt dass … und trotzdem hab ich …
Was macht dieser Spagat, was machen die potentiell daraus resultierenden Konfliktlinien mit dem Arzt-Patient-Verhältnis?
Und weiter noch – ärztliche Leistungen wollen dokumentiert sein (nicht nur, aber auch aus Gründen der Abrechnung). Wie steht es um den Datenschutz? Gerade bei derart sensiblen Daten wie zu Sexualverhalten? Natürlich entgegnen Ärzte und Verbände uns, es gebe das Arztgeheimnis, den Datenschutz, die Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses. Aber – wie steht es darum in der Praxis? In Zeiten von Internet, elektronischer Gesundheitskarte oder Beschlagnahme von Patientenakten durch Staatsanwaltschaften (wie jüngst im Fall Nadja Benaissa)?
Die Reglementierung des Sex
Sexualität, Sexualverhalten ist ein Bereich, der persönlichsten, privatesten Angelegenheiten des Menschen zuzurechnen ist. Oft genug hat der Staat (aus vielfältigsten Interessen) versucht, gerade den Sex zu regulieren – über Normen, Kontrolle, Paragraphen. Gerade in den letzten Jahrzehnten ist es diversen Emanzipationsbewegungen gelungen, den Einfluss des Staates zurück zu drängen, vielfältige Ausdrucksformen menschlicher Sexualität als Bereich rein persönlicher Freiheit zu gewinnen.
In Zeiten von Aids gab es immer wieder aufscheinenden Bemühungen, Sexualität zu medikalisieren, erneut zu reglementieren. Sie konnten weitgehend abgewehrt werden. Kommen sie nun wieder, im mühsam neue verkleideten Gewand der ‚ärztlichen Prävention‘? Dies Konzept könnten sich nur zu schnell als Weg zurück, als Weg zu mehr staatlicher Reglementierung und Kontrolle des Sex erweisen.
Die Pathologisierung des Sex
Wie weit wird (dem französischen Philosophen Michèl Foucault folgend) eine stärkere Einbindung von Ärzten in die Prävention zu einer weiteren bzw. erneuten Pathologisierung von Sexualität führen?
Ist das Vorhaben, Ärzte auch in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten einzusetzen, nicht letztlich ein weiterer (zudem bedeutender) Baustein dazu, dass Sexualität immer mehr betrachtet wird als etwas zu Regulierendes? Als ein Feld von staatlichem Belang? Letztlich Sex als etwas betrachtet wird, das potentiell gefährlich ist, risikobehaftet, aufgrund z.B. sexuell übertragbarer Erkrankungen gesellschaftlich potentiell schädlich? Sex als (präventiv zu steuernder, regulierunsbedürftiger Störfaktor – statt als Lust und Privatsache?
Und nun?
Ärzte, die naturgegeben umfassende Kontakte zu einer großen Anzahl Menschen haben, in die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einzubeziehen – dieser Gedanke scheint in seiner Einfachheit und Direktheit naheliegend. Und Ärzte finden ihn geradezu bezaubernd – folgt diesem Gedanken doch direkt die Frage, welche neuen Abrechungs-Ziffer dafür eingeführt werden kann, soll, ja geradezu muss – und wieviel Geld jede ärztliche Präventionsmaßnahme bringt.
Und doch, viele Argumente lassen Fragezeichen aufscheinen, den Gedanken mehr als fragwürdig erscheinen. ‚Ärzte in die Prävention‘ – ein Vorhaben, das sich bald als Weg in die Vergangenheit und nachteilig für Patienten erweisen könnte.
Staat und Medizin haben im Sexualleben jedes einzelnen zunächst nichts zu suchen. Sexualität ist Privatsache, Sphäre der persönlichen Freiheit – und sollte dies auch bleiben. Eingriffe, zumal Eingriffe tendenziell reglementierender Art, sollten möglichst unterbleiben. Und wenn sie erfolgen, müssen sie durch starke Argumente begründet, legitimiert sein.
Im Fall von Aids und der Installierung sich im Nachhinein als sehr erfolgreich erweisender Aids-Prävention war dieser Eingriff durch die (reale oder gefühlte) Bedrohung (der Gesamtbevölkerung oder einzelner gesellschaftlicher Gruppen) zunächst legitimiert. Zudem wurde u.a. mit der beispielhaften Arbeitsteilung zwischen Staat (hier: BzgA) und Aidshilfen ein Weg gefunden, Eingriffe und Reglementierungen (auch durch Normsetzungen) weitestgehend einzugrenzen oder wo vermeintlich unabwendbar zumindest betroffenen- und lebensnah zu gestalten.
Bei den derzeitigen Planspielen, Ärzte in der Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen einzusetzen, wird der Reglementierung und Kontrolle von Sexualität Tür und Tor geöffnet. Besteht ein ausreichender Grund, der diesen Eingriff in persönliche Freiheit rechtfertigen könnte, eine Notlage, eine Gefährdung? Wurden Alternativen angedacht, alle Möglichkeiten ausgeschöpft, bevor Eingriffe des Medizinssystems erfolgen? Wohl nicht.
Das Themas „Ärzte in der Prävention“ wird diskutiert auf einer Veranstaltung der Deutschen Aids-Hilfe am 7. Oktober 2009 im Rahmen der Reihe ‚Salon Wilhelmstraße‘:
„Können Ärzte eine größere Rolle in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einnehmen? Wie weit ist HIV- und STD-Prävention in der Arztpraxis überhaupt möglich? Was wünschen sich die Patient(inn)en? Was die Aidshilfen?“
Unter der Moderation von Holger Wicht diskutieren Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Ruhr-Universität Bochum; Dr. Christoph Mayr, Vorstand DAGNÄ e.V.; Dirk Meyer, Geschäftsführer LV AIDS-Hilfe NRW e.V.; Helga Neugebauer, Ärztin in der Aidshilfe Hamburg; Stephan Jäkel, Pluspunkt e.V.; Klaus Stehling, Geschäftsführer LV AIDS-Hilfe Hessen e.V. (angefragt); Stefan, Rollenmodell der MSM-Kampagne “IWWIT” und Steffen Taubert, Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
weitere Informationen:
DAH-Blog 27.09.2009: 7.10.09: Salon Wilhelmstraße “Ärztliche Prävention”
DAH-Blog 24.10.2009: Prävention beim Arzt?
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Na ich möcht mir das verbeten haben wenn mein Arzt – Ärzte sich ermächtigt und bemüßigt fühlen würde mir nicht nur über mein sexual Verhalten Fragen zu stellen sondern sich obendrein noch erdreisten sollte mich in irgendeiner Form diesbezüglich belehren zu wollen – zu dürfen.
Der Beruf des Arztes ist nach wie vor der eines Heilers. Krankheiten zu heilen – das Wissen um die Naur einer Krankheit, deren Ursache und wie sie heilen kann, dem liegen naturwissenschaftliche, medizinische bzw med techische Erkenntnisse zu Grunde die algemeine Gültigkeit haben. Die Gefahr präventiv arbeiten zu dürfen würde sich sehr schnell mit eigenen Wert und Moralvorstelleungen vermischen. Bestehende gesellschaftliche Wert und Moralvorstellungen würden zudem sehr schnell Tür und Tore geöffnet werden und könnten auf Grund von dem was Ärzte bzgl des Verhaltens ihrer Patienten von Ihnen erfahren, unter dem Deckblatt der „Prävention“ und mir der Begründung Kosten die der Solidargemeinschaft entstehen bzw mit dem Hinweis auf die Volksgesundheit je nach politischer Couleur sehr schnell zu restriktiven Maßnahmen – Gesetzen führen.
Der Arzt nach früherem Verständnis war auch ein Seelsorger den man – ein Patient – sich sofern man das Bedürfnis hatte sich anvertrauen konnte – kann. Die ärztliche Schweigepflicht war/ist ein Band das auch der Stärkung des Vertrauenes zu seinem Arzt diente. Vertrauen zu einem Arzt zu haben ist ein wichtiger Bestandteil dafür um sich auf das Wissen um Heilung – die Möglichkeit der Besserung durch seinen Arzt einzulassen. Wenn dieses Vertrauen nicht vorhanden ist oder aufgebrochen wird, wenn man befürchten muß das die Ursache einer Krankheit im pers Verhalten liegt das möglicherweise zusätzliche restriktive Folgen durch den Gesetzgeber nach sich ziehen kann , dann Wilkommen „1984“ – Willkommen in „Brazil“.
Ärzte sind nur ihrem Fachlichen Wissen und Gewissen und der Verpflichtung Krankheiten zu heilen bzw zu lindern gegenüber verpflichtet und nicht irgendwelchen Moral und Wertvorstelleungen die ja nach Zeitalter und Geist sich verändern wie das Chamäleon seine Farbe wechselt.
Abgesehen davon: heute ist es Aids . . . was wird es morgen sein . . . . Über – Alterung der Gesellschaft – demografischer Wandel . . . Kostenfaktor Alter . . . .
Wie Ondamaris schon sagte: Sexualität ist Privatsache.
Nein, keine gute Idee!
Ziel muss es doch sein, mit seinem Arzt angstfrei über alle Gesundheitsthemen reden zu können. Dazu gehört auch das Gespräch über sexuelle Praktiken, die besondere Gesundheitsrisiken mit sich bringen können oder mit sich gebracht haben. Ich habe das – wie es scheint – seltene Glück einen Arzt zu haben, der unverblümt auch nach ungewöhnlichen Sexpraktiken fragt, wenn er den Eindruck hat, das Beschwerden daher rühren könnten. Umgekehrt kann ich ohne Scheu alle meine sexuellen Vorlieben ansprechen – auch die, die ich sonst nur bei gayromeo ausplaudere – und habe noch nie die Aufforderung oder den ‚medizinischen Rat‘ gehört, irgendetwas zu unterlassen, wohl aber instruktive Hinweise bestimmte Dinge zu beachten. Der Arzt als umfassend (es geht ja nicht nur um Sex) über meine gesundheitlichen Risiken informierter und sachkundiger Berater kann mir gesundheitliche Probleme und den Krankenversicherungen Kosten ersparen. Allerdings scheint das nur ein Idealbild eines Arztes zu sein.
Ich teile die in dem Post zum Ausdruck kommenden Bedenken, wenn die Prävention den Bereich der Aufklärung und Beratung verlässt und zwischen Vorbeugung und Leistungspflicht der Krankenkassen ein Zusammenhang hergestellt wird. Spätestens wenn ähnlich wie bei den zahnärztlichen Leistungen eine Art halbjährlicher Aufklärungsbesuch beim Arzt Pflicht, der gesundheitliche Status dokumentiert, standardisierte Sexualverhaltenshinweise gegeben und deren Einhaltung überwacht und Zuwiderhandlungen mit Leistungseinschränkungen der Krankenversicherungen bestraft werden, hört der Spaß auf.
Ein Gespräch über sexuelle Vorlieben und die Risiken derselben kann nicht angeordnet werden. Was ich mit wem im Bett mache, ist meine Sache und ich bin der einzige, der entscheidet, wem ich was offenbare. Schon gar nicht möchte ich, dass unter dem Deckmantel der Prävention Untersuchungen an mir und meinen Körperflüssigkeiten berühren, die meinen Intimbereich berühren. Geschieht derartiges unter Zwang (und die Androhung der Einschränkung von Versicherungsleistungen ist Zwang), kann nicht mehr von Prävention die Rede sein. Es handelt sich dann vielmehr vom Repression. Und es liegt in der Natur des Menschen, Repressalien auszuweichen und Abwehrtechniken zu erlernen. Repressionen, Überwachungen und Normierungen menschlichen Verhaltens haben im Gesundheitswesen jedoch nichts zu suchen.
Vielen Dank für Deine Gedanken zum Thema! Ich las das mit Gewinn.
Was mir noch Unsortiertes einfällt: Wenn Ärzte Prävention könnten, hätte AIDS-Hilfe nicht gegründet werden müssen. Haben sie es inzwischen gelernt? Ich denke nicht. Ist ein Gesprächsleitfaden zielführend, wenn wir es ihnen beibringen wollen? Auch da fürchte ich: eher nicht. Darüber hinaus: Wollen wir überhaupt den Versuch unternehmen? Ist das eine Aufgabe von AIDS-Hilfe? Könnten Ärzte Prävention, bräuchten wir dann noch AIDS-Hilfe?
Geht es vielleicht (auch) darum, einer Berufsgruppe, die ja bekanntlich am Hungertuch nagt, neue Abrechnungspositionen zu ermöglichen?
Interessant auf jeden Fall, wie sich AIDS-Hilfe-Personal dazu heute positioniert. Da gab es ja doch einige Veränderungen seit Gründung der Vereine. Schade, dass ich heute Abend keine Zeit habe, mir das anzuhören.
Mein selbstverständlich subjektiver Eindruck von der gestrigen Diskussion
Es war schon ein bemerkenswerter Abend Ich habe schon genug Kritik daran, dass die Veranstaltung so kurzfristig angekündigt wurde. Denn die Einladung ging erst letzten Donnerstag raus. So bekam ich in den letzten Tage Anrufe von einigen Freunden und Bekannten. Sie hatten von der Veranstaltung gelesen, aber wegen der Kurzfristigkeit und Terminschwierigkeiten nicht teilnehmen können. Ihre Bauchschmerzen aufgrund der Veranstaltung wollten sie aber mitteilen.
Dann fand die Veranstaltung auch noch nach der Arbeitsgruppe „ärztliche Prävention“ statt, so dass ein nicht unbeträchtlicher Teil der ZuschauerInnen eben in dieser Arbeitsgruppe waren. Und mit einer rühmlichen Ausnahme (hallo liebe Helga) auf dem Podium, und zwei Gästen im Publikum (die mir in der anschließenden Diskussion den Rücken stärkten) war ich denn auch der Einzige, der ausführlich Kritik geäußert hat. Ich fand es schon bemerkenswert, dass mir sofort Grabenkämpfe („Die wir doch nach 25 Jahren HIV/Aids längst überwindet haben sollten und einem alten Arztbild geschuldet sind“) unterstellt wurden.
Im Laufe der Diskussion kristallisierte sich heraus, dass die Arbeitsgruppe „ärztliche Prävention“ ja eigentlich gar nicht die Prävention meine, sondern es sich vielmehr um eine Schulung der Ärzte zur Verringerung ihrer Defizite in der Arzt-Patienten-Kommunikation über das Thema Sexualität handeln solle. Wenn es wirklich „nur“ darum geht, frage ich mich, warum nennt man es dann nicht auch so??? Natürlich bin ich dafür, wenn Ärzte ihre Defizite im psychosozial-kommunikativen Bereich erkennen und auch mit Hilfe emanzipatorisch- sexualpädagogischer Art oder anderer Methoden moderner und effektiver Gesprächsführung verringern wollen. Ich kann mir aber schwer vorstellen, dass nach zweijähriger Projektplanung ich der erste gewesen sein soll, der eine falsche Überschrift zum Inhalt entdeckt haben soll!!! Auch finde ich es zumindest erwähnenswert, wenn nach eben dieser Planungsphase vom Auftragnehmer gesagt wird, dass man die Bedenken ja jetzt ernst nehmen müsse und die Patientensicht stärker in die Planung einbeziehen müsse. Halloooo Aids-Hilfe, jemand da?? Die Patientensicht stärker einbeziehen müssen….. ???? Das ist ja ein nahezu revolutionärer Gedanke. Darauf muss man erst mal kommen.
Ein besonderen Nachklang in der Nacht fand bei mir der wie auch immer geplante Patientenfragebogen zur Vorbereitung des Arzt-Patient-Gespräch. Selbst für den Fall, dass der Fragebogen gänzlich in der Hand des Patienten bleibt und nur zur Vorbereitung des Gespräches dient, kann ich mir gerade keine Fragen vorstellen, die in einem Fragebogen in diesem Setting aus Patientensicht Sinn machen oder die ich politisch vertreten kann. Mit der Krankenversicherungskarte in der Hand im Wartezimmer einen Fragebogen ausfüllen, um einen Zeit effektiven Gesprächseinstieg zu finden? Und dass es um eine effektive Nutzung der stark begrenzten Ressource Zeit ging, wurde gestern Abend mehrfach deutlich. Ich habe große Bedenken für das Stilmittel Fragebogen. Für den Patienten hat der Fragebogen doch eine ähnliche Gewichtung wie der Fragebogen, den man beim ersten Zahnarztbesuch in die Hand gedrückt bekommt. Ich kann mich noch gut an die Frage nach einer vorhandenen Infektionskrankheit erinnern. Eine Sensibilität in Bezug auf das Thema Hürden abbauen beim Reden über schwierige Themen stelle ich mir deutlich anders vor.
Ich gebe gerne zu, dass ich gestern an dem einen oder anderen Punkt härter/unnachgiebiger war als ich in einem Zweiergespräch vielleicht gewesen wäre. Vielleicht war das strategisch auch nicht bis ins letzte Detail durchdacht.
Die kleinliche Diskussion darüber, ob ein Arzt nach dem fünften Tripper nicht auch eine Bemerkung über Übertragungswege machen darf oder zumindest danach fragen darf, war so nicht Ziel führend und an der Sache vorbei. Von der Struktur dieser Veranstaltung, von dem, was mir inhaltlich geboten wurde, wie mit meiner Kritik umgegangen wurde, blieb mir auch rückblickend keine andere Wahl. Meine Bedenken wurden gestern nicht ausgeräumt und ich bin mir nicht sicher, ob die Bedenken nur aus Etikettenschwindel bestehen.
lieber stephan,
danke für deinen bericht über die gestrige veranstaltung !
ich hoffe die bedenken (die ja nicht nur von dir getragen werden) finden ihren widerhall, und führen auch zu diskussionen im haus und bei den beteiligten. um mehr aus der veranstaltung zu machen, wäre sicher ein bericht darüber hilfreich (vielleicht hat die dah ja hier möglichkeiten?). wichtig scheint mir auch die frage, wer denn nun in diesem projekt patienteninteressen vertritt … und natürlich die umbenennung 😉
diskussionen, die fortzusetzen sind …
Hallo zusammen,
leider konnte ich an dieser Veranstaltung nicht teilnehmen.
Unabhängig von der Frage nach Kontrolle, Datenschutz, Privatsphäre, etc. ergeben sich aus meiner Sicht noch erheblich zentralere Aspekte (die allerdings nicht nur auf Ärzte zutreffen):
STD sind EIN (!) Aspekt der sexuellen Gesundheit. Die wiederum hat – wie die Gesundheit allgemein – verschiedene Dimensionen: Körper, Seele/Geist, öko-soziales (und Spiritualität). Sich also in im Zusammenhang mit dem Arzt-Patienten- (oder Klienten-Berater-) Verhältnis ausschließlich auf die körperliche Ebene – und dort auch noch reduktionistisch nur auf die Erregerfreiheit unterhalb der Gürtellinie – zu beschränken, ist mehr als rückständig
Dazu. kommt, dass bei STD (mit ganz wenigen Ausnahmen) die Primärprävention im Sinne der Expositionsprophylaxe nicht funktionieren kann (im Gegensatz zu dem, was die Politik und die BZgA propagieren, nutzt das Kondom nicht viel, vor allem nicht, wenn man beim Sex den Mund einsetzt).
Wird hier Primär-Prävention betrieben – und dann noch mit dem Ziel der Erregerfreiheit – endet das Ganze praktisch in einer Missionarsstellung ausschließlich zum Zweck der Reproduktion. Es gibt keine sichere Sexualität. Und STDs sind eine Folge gelebter Sexualität. Genau diese Haltung wäre zwingend notwendig, um überhaupt sinnvoll in diesem Feld arbeiten zu können.
Wenn Ärzte/Berater individuelles Risikomanagement unterstützen wollen und dabei alle Dimensionen der sexuellen Gesundheit berücksichtigen – ok. Machen sie aber nicht, können sie nicht und wollen sie nicht. Also Finger weg.
Dazu kommt, dass es Ärzten und Beratern gleichermassen schwer fällt, abweichende Formen von Sexualitäten (sei es nun eine hohe Partnerzahl oder verletzungsträchtige Praktiken) ohne jegliche Werturteile zu betrachten – was ein wie oben dargestelltes individuelles Risikomanagement unmöglich macht.
Aus meiner Sicht ist Kritik, die sich nur an Ärzte richtet zu kurz gesprungen! Sowohl die Selbsthilfe als auch die AIDS-Hilfe und etliche Beratungsstellen haben hier erheblichen Nachholbedarf.
Der jüngst in Bochum gelaufene Deutsche STD-Kongress war ein Paradabeispiel dafür.
Bernd
@ Bernd
Stimme dir zu, dass auch die Selbsthilfe, die AIDS-Hilfe und regionale Beratungsstellen hier einen erheblichen Nachholbedarf in Werte neutraler Haltung und diesbezüglicher Gesprächsführung haben. Wenn es aber im „eigenen“ Haus schon so schwer ist, Qualitätsstandards ein zu halten oder gar ein zu führen,, wie soll es dann erst bei den Ärzten klappen?
Dennoch mache ich einen strukturellen Unterschied zwischen Patient-Arzt-Verhältnis und Klient-Berater-Verhältnis. Während es beim Arzt-Patientenverhältnis aufgrund von Machtgefälle, Zeitdruck, Abrechnungsmodalitäten und anderen Interessenslagen es in diesem Gesundheitssystem nie zu einer Diskussion über ein individuelles Risikomanagement kommen wird, glaube ich, das regionale Aids-Hilfe-Beratung von der Struktur her dieses zulassen und es liegt an der Fähigkeit/Qualifizierung der einzelnen BeraterInnen, ob dies gelingt. Ob das mit allen bisherigen Beschäftigten der regionalen Beratungsstellen immer möglich ist, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht müsste in vielen Beratungsstellen auch erstmal kräftig der Besen gekehrt werden.
Warum legt AIDS-Hilfe nicht ein mindestens gleich großes Engagement auf die viel nähere Mitarbeiterschaft regionaler Aids-Hilfen und deren Qualifizierung?
Warum werden nicht Energien und Ressourcen darauf verwendet, mit diesen dann qualifizierten BeraterInnen nach Wegen zu suchen, die Menschen zu erreichen, die nie eine Aids-Hilfe betreten würden (die Frage nach den Gründen für das Nichtbetreten von AIDS-Hilfe allein wäre ja schon interessant) und die anscheinend einen Beratungsbedarf haben?
Stephan