„Alles wird gut“ – unter diesem Zitat beschreibt eine neue Biographie das bewegte Leben von Nadja Benaissa.
‚HIV-positive Pop-Sängerin vor Gericht‘ – selbst wer sich nicht für Pop-Musik interessiert, kam in den vergangenen Monaten kaum an ihrem Namen, ihrer Geschichte vorbei: Nadja Benaissa, Sängerin der ‚No Angels‘. Nun hat die Journalistin (u.a. ‚Brigitte‘) und freie Autorin Tinka Dippel eine Biographie Benaissas vorgelegt, von ihren Jugendjahren bis zur Urteilsverkündung Ende August 2010.
Dippel berichtet von einem jungen Mädchen, 1982 in Frankfurt geboren, in einer nahe gelegenen Kleinstadt aufgewachsen. Ersten Schritten als Sängerin in einer Schul-Band, dem ersten öffentlichen Auftritt mit 12. Mit 13 die erste Crack-Pfeiffe, jene Droge, die bald „ihr erstes Gefängnis“ wird.
Ein Sommer in Berlin, 1997, ohne Crack, mit neuen Gesangs-Schritten. Zurück in Frankfurt, mit 16, tiefer Absturz, „innerlich abgehakt, den Kampf verloren“, wie Benaissa selbst sagt. Dann die Wendung, sie ist schwanger. „Ich hatte nur diese eine Motivation: Ich muss dieses Kind gesund auf die Welt bringen.“
Während ihrer Schwangerschaft muss ein Abszess entfernt werden. Blutuntersuchungen werden gemacht. Mitten in der Nacht ruft ein offensichtlich erregter Arzt bei Benaissas Mutter an, schreit diese an, warum ihre Tochter „das“ nicht gesagt habe. Jenes „das“ erläutert er auf die irritierte Nachfrage der Mutter hin als „dass Ihre Tochter AIDS hat“. Beim Verbandswechsel am nächsten Tag erfährt auch Nadja Benaissa selbst dann von ihrer Infektion, lapidar, unvorbereitet: „Wir haben ihr Blut untersuchen lassen, sie sind HIV-positiv.“
Ihre HIV-Infektion und der Umgang damit sind – neben dem Karriere-Weg der Sängerin und der Band ‚No Angels‘ – durchgehend immer wieder das Thema der Biographie, schon gleich zu Beginn als Einstieg. Dippel bezeichnet Benaissa als „das bekannteste weibliche Gesicht von HIV/AIDS“, und schon die Pressemitteilung zum Buch betont
„Einfühlsam erzählt und mit vielen O-Tönen von Nadja Benaissa versehen, gibt die Biografie Einblicke in das Leben einer in der Öffentlichkeit stehenden HIV-infizierten, die von sich sagt: „Alles wird gut“.“
Dippel berichtet vom zunächst schwierigen Umgang mit der HIV-Infektion, von Schutzhüllen, Ignorieren und Verdrängen, von guten und weniger guten Erfahrungen mit Männern, Freunden. Spricht von den „inneren Klippen, die mit jedem Stück Verdrängen ein wenig höher gewachsen sind“. „Nadja hat einen Fehler gemacht und sich diesem Fehler lange nicht gestellt“, formuliert Dippel im Kontext der Verhaftung. Und Nadja Benaissa erklärt:
„Ich hatte immer die Befürchtung, dass irgendwann herauskommt, dass ich HIV-positiv bin – und dass herauskommt, dass ich vielleicht jemanden angesteckt habe. Aber dass es so schlimm werden würde, das hätte ich nie gedacht.“
Und Dippel berichtet über das Zwangs-Outing Benaissas durch die Staatsanwaltschaft (sowie die Kritik der DAH an der Verhaftung) und die Folgen des Zwangs-Outings, für Nadja Benaissa wie auch ihre Tochter, die bis zur Verhaftung nichts von der HIV-Infektion ihrer Mutter weiß. Über die Medienwelle, die „Geschichte, an der jeder teilhaben will“. Kommt damit zwangsläufig zu Fragen wie der nach dem Wert der Unschuldsvermutung, und der, „wie viel Öffentlichkeit sich eine Prominente gefallen lassen muss“.
Was das Zwangs-Outing für Benaissa bedeutet?
„“Einfach nur outen“, das habe ich so oft gehört, und die Wörter „einfach“ und „nur“ sind dabei so lächerlich.“
Ob sie eigentlich überhaupt noch zu jemandem Vertrauen fassen könne, fragt Dippel Benaissa gleich zu Beginn. „Ich tue es einfach“, antwortet Benaissa, „wenn ich nicht vertrauen könnte, wäre mein Leben vorbei.“
Tinka Dippel: Nadja Benaissa – Alles wird gut
Edel Verlag
241 Seiten
erschienen 27.09.2010
Video-Spot zur Biographie hier
„Alles wird gut“ ist auf überraschende Weise anders, keine übliche ‚Star-Biographie‘. Auf ungewöhnliche, erschreckende, aber wohl auch kaum vermeidbare Weise steht HIV im Mittelpunkt des Buches.
„Alles wird gut“ ist eine bemerkenswerte Biographie über einen bewegenden Lebensweg. Und ganz nebenbei (oder auch: ganz bewußt?) ist das Buch auch die Beschreibung des Lebenswegs einer HIV-positiven Frau, ihres Umgangs mit ihrer HIV-Infektion und dessen erzwungener und geplanter Veränderungen und Entwicklungen.
Dies macht die Biographie Benaissas besonders auch für HIV-Positive interessant und lesenswert – und es lässt die Frage in den Hintergrund rücken, ob die Biographie ein weiterer Baustein der Medienarbeit einer Popsängerin, Schritt einer Ikonisierung ist – oder weitgehend offener, aufrichtiger Lebensbericht.
Eine Randnotiz: wünschenswert wäre eine winzige Klarstellung gewesen. Beim Besuch eines weiteren Anwalts bei Benaissa im Untersuchungsgefängnis dürfte es sich bei der begleitenden Dame (S. 27/30) vermutlich nicht um eine „Frau von der Deutschen AIDS-Hilfe in Frankfurt“ gehandelt haben, sondern eine Dame eines anderen Vereins …
„Plaudereien einer ‚Aids-Betreuerin“ sind vermutlich eher nicht Sache der Deutschen Aidshilfe, die für ihre Beratungsarbeit hohe Qualitätsstäbe hat.
siehe auch: DAH 01.10.2010: „„Alles wird gut“ – Nadja Benaissa stellt ihre Autobiografie vor“