Bernd Aretz ist traurig.

Mir fehlt meine Freundin Moni. Ich hatte sie beruflich kennengelernt. Sie war Sozialarbeiterin bei einem Verein zur Integration Behinderter und wir hatten gemeinsam einige Verfahren, die uns sehr berührten. Da ging es um Assistenz und Pflegeleistungen in Prozessen, in denen das verklagte Sozialamt zu Recht einräumte, die Hilfen seien völlig unzureichend, aber falsch behauptete, es sei an die Zeitvorgaben der Pflegeversicherung gebunden. Sie selber wollte das Sozialamt, trotz einer Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt in ein bestimmtes Heim auf dem Lande abschieben. Im Laufe des Gerichtsverfahrens fragte ich bei dem benannten Heim nach, ob man dort überhaupt in der Lage sei, eine berufstätige Frau mit hohem Assistenzbedarf angemessen zu versorgen. Es stellte sich heraus, dass das Heim auf bettlägrige Pflegefälle und für Demenzkranke ausgerichtet war. Moni war, als es ihr noch besser ging, in der Welt herumgereist, hatte chinesisch gelernt, pflegte über das Internet eine reiche Korrespondenz. Unser Umgang war freundlich. Natürlich tranken wir auch schon mal in unserer Freizeit einen Kaffee im Café de Gass und schickten ihren Assistenten zum Eisessen, aber wir siezten uns, wir waren auf der selben Seite der Interessenvertretung von wechselseitiger Wertschätzung getragen professionell auf der selben Seite. Ich vertrat Menschen, die die Dienste der Lebenshilfe in Anspruch nahmen, wie auch Bewohner der Bürgerinitiative Sozialpsychiatrie oder Schüler der Blindenstudienanstalt. Und sie organisierte Assistenzen und Pflege für Menschen die mit ihren seelischen oder körperlichen Besonderheiten nicht mehr im Heim und nicht mehr in der Herkunftsfamilie leben wollten.

Das Aidsgeschehen der ersten Jahre hatte mir nichts erspart. Die Begleitung des Dahinsiechens und Sterbens meiner engsten Freunde auch im häuslichen Umfeld, eigene Erkrankungen , massive wirtschaftliche Einbrüche aufgrund oder auch trotz meiner öffentlichen Präsenz hatten mich so gebeutelt, dass nichts mehr ging. Vor der Verrentung ( Das libri Korrekturprogramm bietet als Alternativen dazu an: Verrenkung Verrechnung oder Verrottung) war ich ein ganzes Jahr nur krank, am Ende, erschöpft und kaputt. Da wurde mir von Moni ein Päckchen zugespielt mit einem ausgedruckten Brief. Sie habe gehört, mir gehe es nicht gut. Das tue ihr sehr leid und da könne sie mir leider auch gar nicht helfen, aber vielleicht könnten mich die beiliegenden Kräuter, die üblicherweise in kleiner Tütenform geraucht werden, auf etwas andere Gedanken bringen. Es dauerte sicher zwei Monate, bis ich soviel Energie aufbringen konnte, mich für ein Geschenk zu bedanken, das mich zu Tränen gerührt hat. Sie hatte schon Angst, sie könnte mich irgendwie verärgert haben. Aber wieso denn. Es wurde einfach der Beginn einer der wesentlichsten Freundschaften meines Lebens.

Wir sprachen über die Liebe, bei ihr in den letzten Jahren sexuell eher über die Sehnsüchte. Sie verliebte sich natürlich immer wieder mal in ihre reizenden männlichen Assistenten. Aber bei einer Einschränkung die selbst das Halten einer Zigarette zum Gegenstand einer Hilfe macht, befindet man sich bei den ganzen Abhängigkeiten im Sumpfgebiet bis zum Hals im Morast. Darf ein Pfleger etwa als Assistent einen Dildo in die Hand nehmen? Ich konnte es gleichzeitig nachempfinden und streng konstatieren, dass das überhaupt nicht in Frage kommt, was sie ja auch selber wusste, nur nicht so gerne sehen wollte. Wir überlegten, die Männer kennenend, ob nicht vielleicht ein schwuler Callboy am ehesten für sie in Frage käme. Ich bin lange genug im schwulen Leben um zu wissen, dass da auch genügend hoch professionelle sensible Männer gibt. Aber irgendwie ist dann doch leider nichts daraus geworden. Aber wenigsten konnte ich mit ein paar sehr erotischen Plakaten der Deutschen Aids Hilfe aus der Ära Rainer Schilling die Phantasien beflügeln.

Moni hatte immer ein offenes Ohr für die sich häufenden körperlichen und seelischen Wehwehchen, für den Kampf schon wieder mal die nächste Einschränkung in das Selbstbild zu integrieren. Sie konnte natürlich die Schwierigkeiten nachempfinden, sich immer wieder auf neuen Ebenen auf Zeit einzurichten. Und wir hatten viel Spaß, gemeinsame Anteile von Familiengeschichte mit kriegsgeschädigten Vater, was nicht ohne Folgen auf die gesamten familiäre Systeme blieb. Wir sprachen über Literatur, natürlich über die Vorstellungen zum Sterben. Während ich mir am Liebsten vorsichtshalber auf die Brust tätowieren ließe: „keine Reamination“, kämpfte sie bis zum letzten dahingehauchten Atemenzug. Und wir haben gegessen, gelacht, ich habe ihr vorgelesen und sie versorgte mich immer wieder mal mit feinstem Räucherwerk. Ich vermisse das Mädel. Einen schönen Text von ihr gibt es unter http://www.ondamaris.de/wp-content/uploads/2011/12/posT200801.pdf (pdf) unter dem Titel „Richard oder die Liebe zu Bob Dylan.“

Ein Gedanke zu „Bernd Aretz ist traurig.“

  1. da kannst du ganz beruhigt sein, lieber bernd. das dildo-problem hatten wir gelöst und es gab auch mal ein kurzes intermezzo mit diesem wiesbadener verein, „wo sich ein krüppelchen auch mal ein paar streicheleinheiten holen konnte“ (zitat moni). aber irgendwie warte ich noch drauf, dass jörgs grab um monis stein bereichert wird. oder hab ich das verpasst?!

    ich vermisse sie auch!!

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