WDR verhängt ein faktisches Aufführungsverbot für den Film „ Der Aids-Krieg “

WDR verhängt ein faktisches Aufführungsverbot für den Film „ Der Aids-Krieg “

ein empörter Zwischenruf von Bernd Aretz

Neulich bekam ich eine Anfrage der Marburger Aidshilfe, ob ich denn bereit sei, nach einer Aufführung des Films „ Der Aids-Krieg “ von Jobst Knigge rund um den Welt Aids Tag an einer Diskussion mit dem Publikum teilzunehmen. Natürlich habe ich sofort zugesagt, wie ich auch auf die Anfrage des Filmemachers seinerzeit meine Unterstützung angeboten habe. Ich habe ihm Bücher, Broschüren und Zeitungsartikel zur Verfügung gestellt und hielt es für eine Selbstverständlichkeit, auch meine Zeit für ein Interview zu opfern. Schließlich ist Jobst Knigge ein brillianter empathischer Dokumentarfilmer, von dem manches auf Youtube eingestellt ist. Der Beitrag „Der Truppenunterhalter“, den ich für eine Mußestunde ans Herz lege, überzeugte mich davon, dass er eine vertrauensvolle Zusammenarbeit verdient. Porto- oder Reisekosten wurden nicht erstattet, Honorarfragen erst gar nicht erörtet. Das spielte für mich keine Rolle, weil ich zu Recht davon ausging, dass ein Film entstehen würde, der seriös die aidspolitischen Auseinandersetzungen der achtziger und neunziger Jahre aufarbeiten würde.
Der Film lief über mehrere Monate immer wieder in den öffentlichrechtlichen Fernsehkanälen, die damit einen Teil ihres Bildungsauftrags erfüllten.

Nun teilte mir die Aidshilfe mit, sie könne es sich leider nicht leisten, den Film aufzuführen, da der WDR die einmalige Aufführung im nicht kommerziellen Rahmen von der Zahlung einer Gebühr in Höhe von Euro 225,00 zuzüglich Mehrwertsteuer abhängig gemacht habe. Das befremdet mich sehr. Der WDR sah sich nicht einmal zu einem Dankeschön an die Mitwirkenden in der Lage und belegt mit seiner Gebührenpolitik einen aufklärerischen Film, dessen Herstellung wir mit unseren Gebühren finanziert haben, faktisch mit einem Aufführungsverbot. Das ist schäbig und mit dem Bildungsauftrag nicht vereinbar.

Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 2

Die Situation HIV-Infizierter war beklemmend. Auch ich habe noch 1988 mein erstes größeres Interview für den Marburger Express noch unter Pseudonym gegeben, mein erster Fernsehauftritt kostete mich ein Drittel meiner Kanzlei. Im Beirat der Deutschen Aidshilfe brach ich 1988 das Tabu, öffentlich über die eigne Infektion zu sprechen und andere danach zu fragen. Über allem hing damals noch die Drohung, wir würden alle schnell dahinsiechen. Schulungen zu Sterbebegleitungen und Sterbemeditationen fanden bundesweit reichlich statt. Für den Ernstfall wollte man gerüstet sein. Die Bilder stimmten damals scheinbar. Sie waren geprägt von Menschen, deren Krankheit erst im Spätstadium diagnostiziert werden konnte und in deren Behandlung die Medizin noch im der Phase des Try and Error war. Den einfach nur Infizierten mit einer langen gesundheitlich stabilen Phase konnte man erst ab Herbst 1984, der Einführung des ersten HIV-Antikörpertests, entdecken, und den lange symptomarm oder symptomlos lebenden behandelten Infizierten erst ab den pharmazeutischen Fortschritten Mitte der neunziger Jahre. Ich habe mir in Marburg extra noch im September 1999 in einem ansonsten sehr sensiblen Portrait die Schlagzeile eingefangen: „Den Tod seit fünfzehn Jahren überlebt“. Diese Bilder waren immer sehr mächtig. Und unser Kampf ging darum, ihnen die Macht dadurch zu nehmen, dass wir ein Gesicht zeigten, das wahre Leben.

Obwohl die Beratungsgruppe, die seit 1984 tätig war, in erster Linie Testberatung machte, führte die allgemeine politische Kultur Marburgs, die uns geprägt hat, dazu, HIV auch als eine gesellschaftspolitische Herausforderung zu begreifen. 1987 stand dann die offizielle Gründung der Marburger Aids-Hilfe e.V. an. Zu den Finanzierungsverhandlungen in der Stadt reiste auf unseren Wunsch der inzwischen habilitierte Reinhard Brodt von der Frankfurter Infektionsambulanz an, um erfolgreich der Marburger Uniklinik Paroli zu bieten. Überhaupt bekamen wir in der Anfangszeit viel Unterstützung aus Frankfurt. Rafael Lewental und Peter Josefiok von der AHF halfen bei Veranstaltungen mit eigenen Erfahrungen aus. Die Teilhabemöglichkeit an Ausbildung und Diskussion in der Frankfurter und in der Hessischen Aids-Hilfe haben uns wichtige Unterstützung gegeben. Und dann war die Aidshilfe Marburg ziemlich nah am Leben dran. Während an vielen Orten nur streng geheime Positiventreffen unter dem Dach der Aids-Hilfe erfolgten, eine Mitarbeit aber unerwünscht war, bestimmten sie in Marburg die Diskussionen mit. Wenn ich damals auch beklagte, wie übrigens auch heute noch, dass zu wenige Menschen mit ihrem HIV Status offen umgehen, so zwingt die historische Perspektive mich doch, anzuerkennen, es war in Marburg eine Menge sichtbar los. Und das wurde vom Unfeld der Aids-Hilfe, der Tuntonia und häufig auch aus dem Schwulenreferat des Asta mitgetragen. Vor allem Florian, Wilfried, Reinhild und auch ich brachten offensiv, manchmal penetrant und nervend, die positive Sicht des Lebens ein. Heiße öffentliche Diskussionen der Marburger Positiven mit der Schwulengruppe und der Aids-Hilfe im Cafe am Grün verursachten einen erhöhten Supervisionsbedarf bei den MitarbeiterInnen des Vereins. Andrerseits bekam ich, als es meinem Freund Jörg ganz dreckig ging, unaufgefordert das Angebot eines schwulen Altenpflegers, er habe mit ein paar Freunden aus dem Pflegebereich gesprochen. Eine vierundzwanzig Stundenpflege könnten sie ehrenamtlich leisten, wenn wir Bedarf daran hätten. Das rührt mich auch heute noch zu Tränen. Im Arbeitskreis Aids beim Gesundheitsamt der Stadt Marburg, waren die Aids-Hilfe und Dr. Hornung lange Zeit die einzigen, die mehrere Kranke und Infizierte vor Ort kannten. Dort wurde für den ersten Spritzenautomaten gestritten, gegen heimliche Tests im Uniklinikum, um Methadonvergabe. Es gab Veranstaltungen zu Aids und Ethik u.a. mit Hans-Peter Hauschild, Sophinette Becker und dem Katholischen Stadtdekan im Buchladencafe am Grün. Die Strömungen, der Verein zur Förderung der Debattenkultur, angesiedelt beim roten Stern, veranstalteten für uns eine ganze Drogenreihe. Die schwule Kultur bescherte uns unvergessliche Benefizkleinkunstabende. Ich selbst durfte zusammen mit Uwe Kerkmann und Klaus Stehling unter anderem mit den Programmen „Sturzbetroffen“, „Pilze zum Lunch“ und „ich will nicht nur Schokolade“ beitragen. Die Waggonhalle, das Theater neben dem Turm, die Pfarrkirche, das KFZ, das Cafe am Grün, die Ortenberggemeinde und natürlich die Stadt Marburg gaben uns für die schrill künstlerische Facette der Arbeit bereitwillig ihre Räume. Klar, ein traditionsreiches Cafe in der Oberstadt, wollte Charlotte von Mahlsdorf nicht lesend in ihren Räumen haben. Das war aber dann für Tuntonia, das Schwulenreferat und die Urninge der Aids-Hilfe immer ein Fest, wenn man von einer Demo gegen Dyba noch im Fummel gewandet gleich zum Konditern gehen konnte.

Trotz allem war die Marburger Aidshilfe nie wirklich mein Ort, Ich habe da nie irgendwelche Funktionen vereinsrechtlicher Natur erfüllt. Räume waren für mich eher die Frankfurter und die Deutsche Aids-Hilfe und das Haus 68 in Frankfurt. Der Verein konnte und kann immer auf meine solidarische Unterstützung zählen, aber mein Ort war er nicht, weil seine Größe nicht zuließ, übergreifend politisch zu agieren. Klar, Gespräche in der Anfangszeit mit Uta Bednarz, Harald Jaekel, Peter von der Forst und Behruz Foroutan waren zu ihrer Zeit hilfreich, so wie heute Gespräche mit den engagierten Menschen in Offenbach und in Marburg mit Mario. Aber ich suchte damals keine Gruppe, in der man sein Elend gemeinsam bearbeitet, verarbeitet, trägt, die aber im übrigen völlig asexuell war. Oder anders, ich war auf der Suche nach Arbeitsfeldern, in denen ich eine Chance hat, nicht nur das vereinsinterne Klima zu verändern, sondern das leichtere Sprechen über HIV zu befördern. Dafür gab es geeignetere Rahmen als den Marburger Verein, der mich bei der Suche danach immer tatkräftig unterstützt hat, froh war, wenn ich meinen unersättlichen Diskussionsbedarf im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, Im nationalen Aids Beirat, in Frankfurt oder bei Kongressen und Tagungen deckte. Marburg habe ich immer wieder als Zaungast mitbekommen. Fein war der denkwürdige Gottesdienst für die Drogentoten der Stadt in der vollen Pfarrkirche mit Frau Bundesmann-Lotz. Für die Trauer gibt es inzwischen auf der Homepage einen virtuellen Friedhof für Drogentote. Die Schwierigkeiten, dass akzeptierender Drogengebrauch bei aller Grundüberzeugung des Vereins bei hauptamtlichen Mitarbeitern an Grenzen stößt, die zum Handeln zwingen, habe ich mitbekommen wie auch die Hürden, die die Verantwortlichen überspringen mussten. Wir haben viele Verluste erleben müssen. Florian und Ziggy leben nicht mehr. Sie haben dazu beigetragen, dass sich die Marburger Aids-Hilfe offensiv der Überlebensbedingungen von iv DrogenuserInnen angenommen hat. Der dringend benötigte Kontaktladen legt davon ebenso Zeugnis ab, wie jetzt das längst schon überfällige Streiten für einen Konsumraum.

Marburgs schwules Leben sehe ich seit geraumer Zeit nur noch aus der Ferne und mit Wehmut. Da scheinen mir mal wieder sieben dürre Jahre angesagt zu sein. Bleibt nur zu hoffen, dass die Akteure das Porzellan nicht endgültig zerdeppern sondern für zukünftige Aktivisten nur verstauben lassen. Meine Sicht von Marburgs schwulem Leben, meist mit der Aids-Hilfe als Mitveranstalter, ist geprägt von zwei Abenden im Rathaus zur Eröffnung des schwulen Herbstes. Einer davon waren die „Rosa Spuren im braunen Dickicht“, an dem mehr als ein Dutzend Männer und eine Frau gestaltend teilgenommen haben. Es gab unzählige Kleinkunst- und Trash-Abende im KFZ, Großveranstaltungen wie Hella von Sinnen in der ausverkauften Stadthalle, 1978 eine schwule Hardcore-Filmreihe im KFZ, die selbst mir teilweise zu heftig war. Sommerfeste im Schülerpark, Vortragsabende und Lesungen, Theater, es war schon eine bunte Mischung, an der beitragen zu können auch meine Entwicklung geprägt hat. Diese Facette schwulen Lebens vermisse ich in Offenbach. Es war einfach schön, sich von Manfred Schmidt, der inzwischen in Nürnberg Leiter des Beratungsteams der dortigen Aids-Hilfe ist, über den Einfluss der Bundeswehr auf die Reformbestrebungen des § 175 in den sechziger Jahren informieren zu lassen, manches über Geschlechtsidentitätenverwirrungen bei Indianern zu erfahren, kurz jede Menge Individualisten zu erleben, die an ihren Vorlieben und Themen partizipieren ließen.

In den Diskussionen, die ich inzwischen auf Hessischer Ebene mit der Marburger Aids-Hilfe erlebe, nehme ich immer erfreut wahr, dass dort die Begeisterung für die Buntheit des Lebens noch lebendig ist. Das hat richtig Spaß gemacht, mit Daniela Wais und Mario Ferranti bei der Erarbeitung des Leitbildes der Hessischen Aidshilfen über das Leben und die Notwendigkeiten der Arbeit von Aids-Hilfe zu diskutieren. Und ich weiß auch sehr zu schätzen, dass sich die Marburger Aids-Hilfe politisch dafür stark gemacht hat, die posT, das Magazin der Hessischen und der hannöverschen Aids-Hilfen, zu ermöglichen. Sie ist inzwischen eingestellt aber immer noch runterzuladen von www.ondamaris.de. Dort wird der Diskurs über das Leben mit HIV ernsthaft gepflegt. Dazu gehört, auch das Gespräch über Risikomanagement von Infizierten unter Therapien, zu pflegen. Das war lange ein Tabuthema, weil offensichtlich befürchtet wurde, die bloße Bekanntgabe wissenschaftlicher Ergebnisse, bedeute das Ende des Kondomgebrauchs und sei gesellschaftlich nicht zu vermitteln. Das ist natürlich Humbug, denn sexuelle Gesundheit bedeutet mehr und nicht zwangsläufig die Abwesenheit von HIV. Es zeichnet sich ab, dass erfolgreich behandelte HIV-Infizierte nicht mehr infektiös sind. Man soll also nicht ihre angebliche aber real nicht vorhandene Gefährlichkeit heranziehen, um rigide im gesamten schwulen Sex das Kondomgebot durchzusetzen. Es gibt viele Gelegenheiten, in denen es sinnvoll oder geboten ist. Aber wenn man Prävention gegen die Hepatitis machen will, bieten sich die von Gießen und Marburg durchgeführten Impfkampagnen an, Syphilis, Tripper und Co verlangen andere Strategien und letztlich muss der einzelne Mensch alles noch in seine Trieb- und Sehnsuchtsstrukturen einbauen können. Es ist ohnehin ein schwieriges Feld. Darin öffentlich nicht anzuerkennen, dass es neben dem Kondom auch zu respektierende andere Wege und Wünsche gibt, macht krank und wird unter anderem auf meinem Rücken ausgetragen. Da tut es gut, Mitstreiter auch in Marburg zu haben, die diese Bürde wegräumen wollen.

An die Marburger Kultur, Presse und Politik, an die soziale Szene der Stadt vom Betreuungsverein über den fib, die Lebenshilfe bis zur Bürgerinitiative Sozialpsychiatrienpie, an Teile der Justiz und an viele Marburgerinnen und Marburger geht mein Dank. Dass ich meine Art von Offenheit von vielen solidarisch unterstützt leben konnte, war in den Achtzigern und Anfang der Neunziger keine Selbstverständlichkeit. Danke für die Einbindung in der Stadt.

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(Bernd Aretz: ‚Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 1‚ erschien am 03.09.2012)

Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 1

Zum inzwischen ja sattsam abgefeierten dreißigjährigen Jubiläum von HIV und Aids gibt es von Bernd Aretz noch im Nachhinein einen Text aus dem Frühjahr 2007, also etwa ein Jahr vor der EKAF Erklärung über die Nichtinfektiösität der gut therapierten HIV-Infizierten. In diesem Rücklick anläßlich des 20 jährigen Jubiläums der Marburger Aidshilfe gibt er einen sehr persönlichen Eindruck von dem Leben als positiver schwuler Mann in der Provinz und der Bedeutung der Aidshilfe Marburg, für ihn.Der Text war dann für die Festbroschüre gar zu opulent, so dass er hier erstmalig in voller Länge veröffentlicht wird. Die Aidshilfe ist inzwischen fünf Jahre älter. Schenken wir also die Veröffentlichung der Aidshilfe Marburg zum Fünfungzwanzigsten (in zwei Teilen, Teil 1 heute, Teil 2 am 5.9.2012):

Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe

Fünf mal Pommes rot/weiß war die Standardbestellung in der Gerichtsschänke gegenüber der Profamilia, wenn das Team der Aidshilfe nach getaner Beratung sich zum Diskutieren und Pläneschmieden am großen Tisch versammelte. Die Köpfe rauchten, die Aschenbecher quollen über, man bediente sich großzügig am immer wieder nachbestellten Standardgericht der Gruppe. Derweil wurden die Aktionen geplant. Das Klima war grauenhaft. Die Liste der anzugehenden Aufgaben lang. Prof. Krause von der Hautklinik bestritt, dass Marburg ein Problem mit HIV und Aids habe, im übrigen könnten die Patienten, die man ohnehin am liebsten von hinten sehe, doch nach Frankfurt gehen, da seien sie doch gut aufgehoben. Eine Aids-Hilfe brauche man hier wirklich nicht. Das war 1987. Da war ein kleiner Kreis um Uta Bednarz, Cristoph Gutenbrunner, Harald Jaekel und Behruz Foroutan schon seit drei Jahren beratend zu Gange gewesen. Ich hatte schon 1984 auf der Aids-Station 68 in Frankfurt die Testamente zweier sterbender Marburger Männer beurkundet. Das war zwar standesrechtlich nicht zulässig, weil ich dazu meinen Amtsbezirk verlassen musste, aber der Klinik war es nicht gelungen, in Frankfurt einen Notar zu finden, der sich ganz kurzfristig dieser Aufgabe gestellt hätte. Meine Dienstaufsicht hat auf meine sofort erfolgte Selbstanzeige das Verfahren gleich eingestellt. Im Klinikum wurde heimlich getestet und der einzige, der dort das Fähnlein einer vorurteilsfreien Lehre aufrecht hielt, war der Psychosomatiker Wolfram Schüffel, der einmal im Semester HIV und ethische Fragen auf dem Lehrplan hatte und dazu – auch betroffene – ExpertInnen von außen zum vortragen einlud.

Der Test war heiß umstritten, die deutsche Aids-Hilfe lehnte ihn, ab, die Marburger und Frankfurter boten ihn an. Harald Jaekel verfasste im Juni 1987 ein Papier „Kann die Mitgliedschaft regionaler Aids-Hilfen in der Deutschen Aids-Hilfe von einer strikten Ablehnung des HIV Tests abhängig gemacht werden?“ Er bestand auf dem Recht auf Wissen, auch wenn es noch keine therapeutischen Interventionsmöglichkeiten gab, und fand es unethisch, wie die meisten Mitarbeiter von Aids-Hilfen bundesweit, zwar selbst gestestet zu sein, Ratsuchenden dieses Recht übervorsorglich aber abzusprechen.

Die schwule Szene war ein zu bearbeitendes Feld. Erwünscht war da in Marburg die Aids-Hilfe nicht. Man könne doch den Kindern im Coming out, deren Leben ohnehin schwer genug sei, nicht auch noch die Angst vor HIV aufladen. Widerstand erregte der Plan, sich mit einem Button „Aids-Hilfe Marburg“ unter das feiernde Volk zu mischen und sich so als Anzusprechender anzubieten. Die Veranstalter, die mich als Redner zu einer schwulen Demo in Marburg eingeladen hatten, versuchten vergeblich, mir HIV und Aids als Thema auszureden.

Ganze Bevölkerungsgruppen waren abgeschrieben. Die repressive Drogenpolitik war offensichtlich gescheitert und forderte täglich mehrere Opfer in der Bundesrepublik. Alles was man zur Entschärfung der Situation forderte, nämlich saubere Spritzen, Methadon, Notschlafplätze, Anlaufstellen, Druckräume und – damals eigentlich noch völlig undenkbar – Originalstoffvergabe, insgesamt eine die Menschen akzeptierende Politik war dem Vorwurf ausgesetzt, wir bestärkten die Menschen in ihrer Abhängigkeit. Lange mussten sich Abhängige erst eine HIV-Infektion zuziehen, um sich die Gnade zu erkaufen, die Aufnahmekriterien für ein Substitutionsprogramm zu erfüllen. Und auf Gegenliebe für eine rationale Drogenpolitik konnte man bei dem zuständigen Vertreter der Marburger Staatsanwaltschaft wahrlich nicht hoffen. Er sah es nicht als sein Recht, schon gar nicht als seine Pflicht an, seine Stimme gegen die verfehlte Repressionspolitik zu erheben. In unseligster Tradition ging er davon aus, er habe die Gesetze anzuwenden und nicht zu beurteilen. Kein Wort von ihm zu dem Skandal, dass trotz bekannten Drogengebrauchs in den Vollzugsanstalten abhängige Gefangene keinen Zugang zu sauberen Spritzbestecken haben. Dazu gehört dann, bei jeder neuen Statistik des Robert Koch Institutes Tränen zu vergießen und Unverständnis dafür zu heucheln, dass immer noch Infektionen stattfinden. Im Drogenbereich ist eine Teilerklärung dafür ganz einfach. Der Staat schafft in den Vollzugsbedingungen für abhängige Gefangene eine Situation, in der sie sich infizieren müssen, auch mit Hepatitis C.

Für Migranten gab es nichts und die Unterstützung der dritten Welt – und sei es nur durch die Skandalisierung von Zuständen – war nun auch nicht jedermanns Anliegen. Aber die Aidshilfe war mittendrin im Thema.

Broschüren in persisch und türkisch und japanisch wurden von den Marburgern erstellt, die Zusammenarbeit mit der Blindenstudienanstalt, mit der Interessensgemeinschaft der mit Ausländern verheirateten Frauen gesucht, die ganzen Netzwerke der Stadt immer wieder aktiviert und umgekehrt solidarisch unterstützt. Bundesweit wird es erst jetzt wieder Thema, wie man denn Migranten muttersprachliche Informationsbroschüren zukommen lassen kann. Eine einzelne Aids-Hilfe ist damit überfordert, es wird aber zurzeit gibt es Anstrengungen, eine vernünftige Linkliste zum Download zu erstellen. In der alltäglichen Betreuungsarbeit begegnet Aids-Hilfe inzwischen ohnehin Menschen aus allen Kontinenten.

Die Situation infizierter Frauen wollte bedacht sein. Infizierte Frauen wurden ungeniert zur Abtreibung gedrängt, die Perspektive von infizierten Müttern, die erleben, dass ihre Kinder erwachsen werden, war noch undenkbar. Heute liegt die Übertragungsrate während der Geburt von Müttern auf ihre Kinder in Deutschland unter zwei Prozent. Und wir freuen uns, dass eine unserer früh infizierten Frauen inzwischen gewollt und bewusst Mutter geworden ist.

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(Bernd Aretz: ‚Geburtstagsgrüße für die Aidshilfe – Teil 2‘ erscheint am 5.9.2012)

Bernd Aretz ist traurig.

Mir fehlt meine Freundin Moni. Ich hatte sie beruflich kennengelernt. Sie war Sozialarbeiterin bei einem Verein zur Integration Behinderter und wir hatten gemeinsam einige Verfahren, die uns sehr berührten. Da ging es um Assistenz und Pflegeleistungen in Prozessen, in denen das verklagte Sozialamt zu Recht einräumte, die Hilfen seien völlig unzureichend, aber falsch behauptete, es sei an die Zeitvorgaben der Pflegeversicherung gebunden. Sie selber wollte das Sozialamt, trotz einer Arbeitsstelle auf dem ersten Arbeitsmarkt in ein bestimmtes Heim auf dem Lande abschieben. Im Laufe des Gerichtsverfahrens fragte ich bei dem benannten Heim nach, ob man dort überhaupt in der Lage sei, eine berufstätige Frau mit hohem Assistenzbedarf angemessen zu versorgen. Es stellte sich heraus, dass das Heim auf bettlägrige Pflegefälle und für Demenzkranke ausgerichtet war. Moni war, als es ihr noch besser ging, in der Welt herumgereist, hatte chinesisch gelernt, pflegte über das Internet eine reiche Korrespondenz. Unser Umgang war freundlich. Natürlich tranken wir auch schon mal in unserer Freizeit einen Kaffee im Café de Gass und schickten ihren Assistenten zum Eisessen, aber wir siezten uns, wir waren auf der selben Seite der Interessenvertretung von wechselseitiger Wertschätzung getragen professionell auf der selben Seite. Ich vertrat Menschen, die die Dienste der Lebenshilfe in Anspruch nahmen, wie auch Bewohner der Bürgerinitiative Sozialpsychiatrie oder Schüler der Blindenstudienanstalt. Und sie organisierte Assistenzen und Pflege für Menschen die mit ihren seelischen oder körperlichen Besonderheiten nicht mehr im Heim und nicht mehr in der Herkunftsfamilie leben wollten.

Das Aidsgeschehen der ersten Jahre hatte mir nichts erspart. Die Begleitung des Dahinsiechens und Sterbens meiner engsten Freunde auch im häuslichen Umfeld, eigene Erkrankungen , massive wirtschaftliche Einbrüche aufgrund oder auch trotz meiner öffentlichen Präsenz hatten mich so gebeutelt, dass nichts mehr ging. Vor der Verrentung ( Das libri Korrekturprogramm bietet als Alternativen dazu an: Verrenkung Verrechnung oder Verrottung) war ich ein ganzes Jahr nur krank, am Ende, erschöpft und kaputt. Da wurde mir von Moni ein Päckchen zugespielt mit einem ausgedruckten Brief. Sie habe gehört, mir gehe es nicht gut. Das tue ihr sehr leid und da könne sie mir leider auch gar nicht helfen, aber vielleicht könnten mich die beiliegenden Kräuter, die üblicherweise in kleiner Tütenform geraucht werden, auf etwas andere Gedanken bringen. Es dauerte sicher zwei Monate, bis ich soviel Energie aufbringen konnte, mich für ein Geschenk zu bedanken, das mich zu Tränen gerührt hat. Sie hatte schon Angst, sie könnte mich irgendwie verärgert haben. Aber wieso denn. Es wurde einfach der Beginn einer der wesentlichsten Freundschaften meines Lebens.

Wir sprachen über die Liebe, bei ihr in den letzten Jahren sexuell eher über die Sehnsüchte. Sie verliebte sich natürlich immer wieder mal in ihre reizenden männlichen Assistenten. Aber bei einer Einschränkung die selbst das Halten einer Zigarette zum Gegenstand einer Hilfe macht, befindet man sich bei den ganzen Abhängigkeiten im Sumpfgebiet bis zum Hals im Morast. Darf ein Pfleger etwa als Assistent einen Dildo in die Hand nehmen? Ich konnte es gleichzeitig nachempfinden und streng konstatieren, dass das überhaupt nicht in Frage kommt, was sie ja auch selber wusste, nur nicht so gerne sehen wollte. Wir überlegten, die Männer kennenend, ob nicht vielleicht ein schwuler Callboy am ehesten für sie in Frage käme. Ich bin lange genug im schwulen Leben um zu wissen, dass da auch genügend hoch professionelle sensible Männer gibt. Aber irgendwie ist dann doch leider nichts daraus geworden. Aber wenigsten konnte ich mit ein paar sehr erotischen Plakaten der Deutschen Aids Hilfe aus der Ära Rainer Schilling die Phantasien beflügeln.

Moni hatte immer ein offenes Ohr für die sich häufenden körperlichen und seelischen Wehwehchen, für den Kampf schon wieder mal die nächste Einschränkung in das Selbstbild zu integrieren. Sie konnte natürlich die Schwierigkeiten nachempfinden, sich immer wieder auf neuen Ebenen auf Zeit einzurichten. Und wir hatten viel Spaß, gemeinsame Anteile von Familiengeschichte mit kriegsgeschädigten Vater, was nicht ohne Folgen auf die gesamten familiäre Systeme blieb. Wir sprachen über Literatur, natürlich über die Vorstellungen zum Sterben. Während ich mir am Liebsten vorsichtshalber auf die Brust tätowieren ließe: „keine Reamination“, kämpfte sie bis zum letzten dahingehauchten Atemenzug. Und wir haben gegessen, gelacht, ich habe ihr vorgelesen und sie versorgte mich immer wieder mal mit feinstem Räucherwerk. Ich vermisse das Mädel. Einen schönen Text von ihr gibt es unter http://www.ondamaris.de/wp-content/uploads/2011/12/posT200801.pdf (pdf) unter dem Titel „Richard oder die Liebe zu Bob Dylan.“

Kondome – ein verblassender Mythos?

„Kondome sind nicht die niedlich geredeten „flutschigen Dinger“ aus den frühen Anzeigen der Deutschen Aids Hilfe. Sie sind nicht „in“, schick, schrill oder der letzte Schrei. Soviel Spaß kann das gegenseitige Überstreifen nicht machen, wir wären sonst früher darauf gekommen“ wettert der leider an den Folgen von Aids früh gestorbene Detlev Meyer 1988 in einem Leporello für die Deutsche Aids Hilfe, um dann allerdings zu konstatieren, dass es aber zu ihnen keine Alternative gibt.

Auch wenn das Kondom lange als Goldstandard der Prävention galt, sind, wie Martin Dannecker immer wieder feststellt, die Vorbehalte gegen das Kondom geblieben, sei es aus der Sicht der Positiven die Erinnerung an die eigene Infektion, sei es allgemein in der Behinderung sich im Akt unkontrolliert treiben zu lassen, den Impulsen des Augenblicks zu folgen, sich zu verschmelzen, zu verströmen, den anderen aufzunehmen.

Daneben gab es immer die ideologischen Vorbehalte etwa der katholischen Kirche. Der Münchener Aids Hilfe wurde untersagt, Kondome in Kneipen zu verteilen, weil dies gegen das Ladenschlussgesetz verstoßen sollte, Saunen für schwule Männer wurde wegen der Bereitstellung von Kondomen die Schließung angedroht. Die Zerschlagung der schwulen Szene wurde gefordert.

Als nächstes erlebten wir einen Diskurs, schwule Kneipen und Saunen zu belangen, wenn sie keine Kondome zur Verfügung stellen. Gebots- und Verbotsphantasien sind für das schwule Leben und für den Bereich der gewerblichen Sexarbeit ständiger Begleiter seit den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts.

Der Bundes Zentrale für gesundheitliche Aufklärung und der Deutschen Aids Hilfe verdanken wir, dass Kondome heute nicht mehr nur im Zwielicht der Herrentoiletten aus dem Automaten zu beziehen sind sondern als ganz alltägliche Gebrauchsartikel angesehen werden, die neben der Schwangerschaftsverhütung vor allem ihre Bedeutung in der Verhütung sexuell übertragbarer Krankheiten haben.

Dabei ist für das schwule Leben das Kondom erst einmal auf die Vermeidung der HIV-Übertragung fokussiert worden und so getan worden, als könne man jede Infektion vermeiden, als sei das mit dem Safer Sex doch ganz einfach. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt postulierte dann auch, dass man von 50 Jährigen doch wohl erwarten könne, dass sie wissen, wie es geht. Merkwürdigerweise richteten sich diese Erwartungen der Politik nur an die schwulen. Männer.

Es gibt ja ein Paradox. Auf dem Hintergrund der unterschiedlichen Prävalenz infizieren sich mehr schwule als heterosexuelle Männer mit HIV, obwohl sie sich im Schnitt wesentlich besser schützen als die heterosexuellen. Von Kondomquoten von etwa 70 % bei insertivem Sex im Rahmen flüchtiger Begegnungen kann man für das heterosexuelle Leben doch nur träumen. Würden schwule Männer das heterosexuelle Verhalten übernehmen, hätten wir deutlich höhere Infektionsraten. Dennoch wurde bei jeder Veröffentlichung des RKI darüber spekuliert, was denn schon wieder mit den schwulen Männern los ist. So entdeckte man – darauf bezog sich der Kommentar der Ministerin – die besonders riskierten Älteren. Bei genauerem Hinsehen stellte sich heraus, dass lediglich geburtenstarke Jahrgänge aufgerückt waren.

Martin Dannecker erkennt hinter der Frage, wie man sich heute noch infizieren kann, einen gewissen Pathologieverdacht, eine Schuldzuweisung, das Konstatieren eines Scheiterns. Dabei wird übersehen, dass es sich bei kondomfreier Sexualität im Grunde um ein völlig natürliches Verhalten handelt, das den Heterosexuellen ganz selbstverständlich zugestanden wird. Trotzdem wird das Kondom von schwulen Männern, wie Michael Bochows Studien belegen, in breitem Maße angewendet. Es ist für Dannecker eines der beeindruckendsten Ergebnisse der Präventionspolitik und der Individuen, wie sehr Verhalten geändert wurde.

Als schwuler Mann ist man im Austarieren von Nähe und Distanz gut beraten, sich die Auswirkungen der unterschiedlichen Prävalenzen klar zu machen, was bei flüchtigen Kontakten zur Sinnhaftigkeit des Kondomgebrauches führen kann. Aber man muss doch auch verstehen können, dass Individuen sich situativ oder habituell anders entscheiden, andere Bedürfnisse nach Nähe, Verschmelzung und Verströmen haben.

In diese seelische Gemengelage, die mit dem Kondom jedenfalls nicht wirklich für alle befriedigend aufzulösen war, geriet nun die Erkenntnis, dass der gut therapierte HIV infizierte Mann das ideale Gegenüber für völlig ungeschützten Sex ist. Sie wurde aber durch Bilder überdeckt, die immer noch die Gefahren an einer epidemiologisch völlig unbedeutenden Ecke theoretischer Restrisiken auch beim gut Therapierten betonte und damit auch verortete. Und dann gibt es unterschiedliche Wissensstände, Vertrautheiten, Bilder von HIV, Aids und seiner Übertragung. Das macht die Sehnsucht nach einfachen Lösungen erklärlich. Das Leben hält nur keine einfachen Lösungen bereit und ungefährlich, seelisch oder körperlich, war Sexualität noch nie.

Getrieben war der Diskurs nicht etwa von dem Bemühen, den Menschen mehr Handlungsoptionen zu geben sondern von der Angst, jetzt nehme niemand mehr ein Kondom. Alle sexuell übertragbaren Krankheiten würden nun fröhliche Urstände feiern. Und weiss nicht jede Schwerpunktpraxis von den wiederholten Syphilis und Hepatitis C Infektionen ihrer positiven Patienten zu berichten? Und war nicht vor Jahren eine Barebackdebatte im Gang, die mal wieder zu übelsten Verbotsphantasien führte? Dabei geht es im Kern darum, dass im wesentlichen Positive in relativ geschlossenen Zirkeln untereinander wegen HIV keinen Schutz mehr brauchen und den Rest als tolerierbar für ihr Leben ansehen, jedenfalls als den geringeren Preis gegenüber dem Triebverzicht. Anders ist die statistische Verteilung, die die Syphilis und Hepatitis C -Infektionen im wesentlichen bei den positiven Männern zeigt, nicht zu erklären.

Vielen Menschen gelingt es, eine Kompromisslösung zwischen dem Gesundheitsdiktat, mit dem sie ständig auf Risiken hingewiesen werden und dem, was sie individuell wollen, zu finden. Das Aushandeln der Rahmenbedingungen der Sexualität im Rahmen der negotiated Safety ist eine Antwort der Seelen. Da hat sich erfreulicherweise etwas Bahn gebrochen, worauf die Seele nicht ohne Schaden verzichten konnte. Die strikten Ge- und Verbote vorher haben den Menschen individuell nicht gut getan.

Nach der CROI 2012 in Seattle erwartet uns ein neuer Diskurs. Pietro Vernazza stellt auf Infekt.ch eine Studie vor, die belegt, dass die PrEP mit 4 x wöchentlich Truvada sicher ist. Wir lassen jetzt mal die ethischen Fragen beiseite, ob es vertretbar ist, HIV Medikamente zur Prävention einzusetzen, solange weltweit – und übrigens auch in Deutschland für Nicht Krankenversicherte – der Zugang zu medizinisch notwendigen Therapien nicht gesichert ist. Wir lassen beiseite das alte Phänomen, dass Gesundheitsschutz auch eine Frage des Geldes ist. Mit etwa 400 € im Monat ist die pharmazeutische Prophylaxe nicht gerade billig. Aber vielleicht wird sich erweisen, dass die Pille davor und danach, oder vielleicht nur davor, oder vielleicht mit billigeren Substanzen auch reicht.

Interessant daran ist zweierlei. Es verweist darauf, dass Schutz vor HIV eine ganz egoistische Triebfeder hat. Die Verantwortungsdebatte der letzten Jahre, die die Gefahr beim wissenden Positiven verortete, ging an dem Problem vorbei, dass die weitaus überwiegende Mehrzahl der HIV Infektionen zwischen Menschen stattfindet, die mehr oder weniger guten Gewissens davon ausgehen, nicht positiv zu sein. Ebenso wie die schädlichen Strafverfahren verstärkte die falsche Zuschreibung der Verantwortung an die Positiven die Möglichkeit, HIV als etwas zu betrachten, dass nicht mit dem eigenen Lebensstil verbunden ist sondern als etwas Außenstehendes.

Zum zweiten ist schon bemerkenswert, dass dieselben Forscher, die sich vehement auf die Restrisiken bei der Erklärung der EKAF zur Nichtinfektiosität unter Therapie gestürzt haben und sie nicht laut genug und wider besseres Wissen verkünden konnten, jetzt erhebliche Energien in die Erforschung der doch eher elitären PREP investieren.

Wenn jetzt endlich in diesem Zusammenhang breit öffentlich kommuniziert wird, dass die Therapien hoch wirksam sind, nicht nur in der Verhinderung der Progression der Krankheit sondern auch im Liebesleben, soll es mir recht sein. Denn nur eine wahrhaftige und realistische Schilderung dessen was HIV und Aids heute in unseren Breiten sind, bereitet den Boden für einen unaufgeregten Umgang.

Und der beinhaltet für Paarungen im Rahmen eines vertrauensvollen Umgangs möglicherweise die ART als Schutz vor der Übertragung von HIV, für den Selbstschutz für einige wenige die PrEP, für viele das Praktizieren nicht HIV-relevanter Praktiken und für die vielen flüchtigen Begegnungen das Kondom oder das Femindom. Mancher entscheidet sich habituell oder situativ dafür mit dem Risiko einer Infektion zu leben. Das darf er auch, so wie andere das Risiko von Sportverletzungen eingehen oder sich überhaupt den Gefahren des Alltags aussetzen.

Es kann einem aber auch in der Berliner Scheune passieren, dass ein Mann erklärt: „Hier muss man es ja extra sagen. Ich bin negativ und möchte es auch bleiben“. Da ist es doch sehr komfortabel antworten zu können. „Das ist doch kein Problem. Es gibt Gummis und Handschuhe. Ich bin positiv, seit langem unter der Nachweisgrenze. Da wäre es noch nicht mal tragisch, wenn irgendetwas mit einem Pariser schief geht.“ Die Verkaufszahlen für Kondome steigen übrigens immer noch an. Es ist halt ein bewährtes Hilfsmittel gegen sexuell übertragbare Infektionen und gegen die Ängste.

Ich jedenfalls bin der Forschung, der Pharmaindustrie und den Ärzten dankbar, dass die Bandbreite der Verhaltensmöglichkeiten erweitert wurde und dies inzwischen auch endlich offen kommuniziert wird.

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(Bernd Aretz)

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Auch 2015 kann ‚Safer Sex ohne Kondom‚ noch Aufregungen verursachen …

Wieviel Betroffenheit braucht es für die Arbeit in Aidshilfe

Mein politischer Ziehvater in Aidshilfe war Hans Hengelein, der erste HIV-Referent der Deutschen Aids Hilfe. Beschwerden darüber, dass ich mich nicht in die Opferrolle begeben habe, mich von Aidshilfen nicht klientelisieren ließ und dem sozialarbeiterischen Blick oder den angeblichen Präventionsnotwendigkeiten meine Erfahrungen und die Teilnahme an Diskursen entgegengesetzt habe, sind an ihn zu richten. Seine Erfahrungen aus der Krüppelbewegung, die im Alltag mit Widrigkeiten zu leben hat, von denen der gewöhnliche Homosexuelle sich keine Vorstellung macht, waren für mich ebenso hilfreich, wie Gespräche mit meinen schwerstbehinderten Freundinnen und Freunden aus meinem beruflichen Alltag als Fachanwalt für Sozialrecht.
Für meinen aidspolitischen Werdegang waren die Aidshilfen in Frankfurt und Marburg entscheidend mit ihrem unbedingten Anspruch auf Selbstbestimmung, sei es nun bei Drogengebrauch, Sexarbeit, schwulem oder positivem Leben oder aber auch bei der einfachen Frage, ob man dem gemeinen Homosexuellen, wie übrigens damals schon bundesweit vielen Mitarbeitern der Aidshilfe, den Zugang zum Test ermöglichen sollte oder dem Bundeskonsens entsprechend ihm die Mündigkeit dafür absprechen und tunlichst ein Testverbot verhängen sollte.
Unser Herzblut galt nicht nur den Szenen, denen wir individuell zugehörten sondern denjenigen, denen es in der Aidskrise am Dreckigsten ging. Sie zu ermutigen, unter dem Dach der Aidshilfe Selbsthilfe zu betreiben, wie das bei J.E.S. sehr schön gelungen ist, war uns allen ein gemeinsames Anliegen, Frauen und Männern, schwul, heterosexuell und vereinzelte Transgender.

Gegen die Stellenbesetzung des HIV Referates mit einer HIV-positiven Frau gab es es aus Reihen der Aidshilfen Kritik. Diese Stelle müsse der Epidemiologie folgend von einem schwulen Mann besetzt werden. Anmerkung dazu: auch das wäre keine Repräsentanz des schwulen Lebens in Form eines Abbildes sondern ein winziger Ausschnitt aus einer Vielfalt schwuler Lebensstile.
Bei einer Stellenbesetzung spielen Fragen der fachlichen und sozialen Kompetenz eine zentrale Rolle. Deren Beurteilung unterliegt dem Einstellungsgremium und ist als Personalentscheidung nicht zu erörtern.

Interessant für den Verband ist die Frage, stimmt der Einwand, in das Positivenreferat gehöre eine schwule Leitung?   Die Fragen, die dort zu bearbeiten sind, sind erst einmal nichts Geschlechtsspezifisches. Kriminalisierung der HIV -Infektion, Arbeiten und Altern mit HIV, sexuelle Umgangsformen, soziale Not. In den großen Themen sind es dann die Differenzierungen, die bedeutsam werden. Sexuell stellt sich die Welt für einen schwulen positiven Mann völlig anders dar als für eine heterosexuelle Frau. Gay Romeo, eine Szene mit einem großen Anteil von Männern, die sich auch auf positive Partner einlassen, können heterosexuell infizierten Menschen auf ihrer einsamen Insel nur vorkommen wie der erste Besuch des selbstversorgenden Einsiedlers im Berliner KaDeWe. Fragen des Coming out und going public stellen sich für Frauen mit kleinen Kindern anders dar, als für den allein lebenden schwulen Mann. Auch wenn scheinbar der Betreungsalltag der Aidshilfen mit einem hohen Anteil infizierter Frauen das zu widerlegen scheint, finden Frauen nur schwer den Weg zur Aidshilfe. Sie wird immer noch als schwul und drogenaffin wahrgenommen, wobei man den der schwulen Aidshilfe heute wenigstens zugesteht, sie könnte ihren Job auch für eine heterosexuelle Welt gut erbringen. Auch wenn ich in Aidshilfe, nicht nur der Epidemiologie folgend, dem Schwulen und dem Drogengebrauch eine zentrale Bedeutung zuerkenne und das auch will, ändert das nichts daran, dass im infizierten Leben, die Rahmenbedingungen für Heterosexuelle für einen selbstbewussten und selbstverständlichen Umgang mit der Infektion deutlich schlechter sind. Das liegt an der epidemiologischen Verteilung, die die Vereinzelung fördert.
Welche Betroffenheit braucht es in Aidshilfe?
Macht es einen Unterschied, ob man nun schwul, lesbisch oder im scheinbaren Niemandsland des Transgender groß geworden ist,. Erfahrungen psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt zu verarbeiten hat? Der Möglichkeiten der Schädigungen oder Biografien mit erhöhter Verletzungsgefahr bestehen viele. Sie eint der Bruch in den Biografien. Dazu gehört der Zwang, Wertesysteme zu überprüfen und teils zu verwerfen, das Selbstbild zu verändern, zu erweitern, Genauso wie ich von einem guten Psychologen erwarte, dass er nachfühlen kann, was Schmerz, Wut und Trauer sein können, erwarte ich in der Aidshilfe das Nachfühlen können des Andersseins. Auch wenn dies auf der Oberfläche sozialen Handelns nicht immer sichtbar ist, ist Empathie doch immer spürbar, leider auch die fehlende. In Bereichen, die in das Leben anderer Menschen hineinwirken, wünsche ich mir Menschen, die Brüche für sich bearbeitet und kreativ genutzt haben, die Leben als etwas Dynamisches betrachten und eher ein halb volles als ein halb leeres Glas vor sich sehen. .

Wie viel Selbsthilfe braucht es darin?
Anfang der neunziger während meiner Mitarbeit im ersten mehrheitlich offen positiv lebenden Vorstand der DAH war das Positivenreferat neu zu besetzen.Wir hatten damals konzeptionellen Diskussionsbedarf und dies auch mit den Verteter_innen einer Gruppe eines Tagungshauses tief in den Wäldern kommuniziert – auch um sie in den Diskurs einzubinden. Kurz danach setzte eine kleine Kampagne ein, in der uns vorgeworfen wurde, wir mäßen der Stelle keine Bedeutung bei, wollten sie vielleicht sogar abschaffen, sie müsse sofort besetzt werden. Da meldete sich eine Selbsthilfe zu Wort, die nicht sehen wollte, dass auch wir Selbsthilfe waren. Nach der Erfahrung müsste man die Frage vielleicht anders stellen? Welche Selbsthilfe braucht es darin? Und da gibt es für mich heute nur eine Antwort drauf, wir brauchen eine Vielfalt von Menschen und Erfahrungen, die respektvoll an den Diskursen teilnehmen, von der Selbsterfahrungsgruppe , bis zu den öffentlich exponierten Gestalten.

Wie viel Epidemiologie braucht es darin?
Bei Fachstellen wünsche ich mir eine besondere Nähe zum Arbeitsfeld. Das Schwulenreferat und die Ich Weiss Was ich Tu Kampagnenabteilung sind zu Recht mit Männern besetzt, die das schwule Leben kennen. Vom Drogenreferat erwartet man billigerweise Erfahrungen im Umgang mit berauschenden Substanzen, in der Migration die Erfahrung damit, wie es sich anfühlt, als zugewandert und fremd etikettiert zu werden und auch das Positivenreferat darf nicht beliebig besetzt sein. Erfahrung in Selbsthilfe ist unverzichtbar. Ob dies in positiver, schwuler Selbsthilfe, in Krüppelbewegung oder Migrationszusammenhängen ist, halte ich nicht für entscheidend. Die Erfahrung des Behindert- Werdens ist das Prägende.

Auch wenn Personalentscheidungen der öffentlichen Diskussion entzogen sein sollten, so sei doch eine kleine Lobhudelei gestattet. Ich begrüße ausdrücklich, dass es der Deutschen Aids Hilfe gelungen ist, mit Heike Gronski eine seit vielen Jahren durch einen sexuellen Kontakt infizierte Frau für die Stelle der Positivenreferentin zu gewinnen. Damit wird gegen manches lange gehegte falsche Urteil deutlich, dass die Aidshilfen auch für Hetereosexuelle mit Fragen und Unterstützungsbedarf beim Leben mit HIV und Aids offen stehen. Heike hat weitreichende Erfahrungen in Selbsthilfe, Aidshilfe auf lokaler und Landesebene und im Knüpfen von Netzwerken. Bei ihrer beruflichen Biografie befürchte ich nicht, dass beim Detailblick auf die großen Themen schwule Männer, Migranten oder Drogen gebrauchende Menschen nun zu kurz kommen, erhoffe mir aber, dass die Situation infizierter Frauen und heterosexueller Männer stärker in den Blick gerät.

Ich wünsche ihr viel Erfolg und eine konstruktive Zusammenarbeit mit den Aidshilfen und der Selbsthilfe darin.

Ein Albumblatt für Carsten Schatz

Kurt Hiller verdanken wir folgende Betrachtung in seinem „Eros – Leben gegen die Zeit“:

„Ich bin auf fast keine Hindernisse gestoßen. Das lag möglicherweise in der Hauptsache daran, dass ich ohne Spur von Symbolismus und Metaphorik, Indirektheit und Verschleierungstaktik, Ausweicherei und Zimperlichkeit als Jurist, Logiker und Kritiker das Kind beim Namen genannt habe. Das wurde mir honoriert. Gerade unter den Philistern dachten wahrscheinlich viele: wer so offen und unverschnörkelt spricht, meint die Sache, nicht sich. Solche Deutung meines Stils war natürlich naiv; ich meinte mich und die Sache; es existierte zwischen beiden für mein Denken kein Unterschied. Nur jenes peinlich duftende Egozentrikertum war mir fremd, das, wo das Ich interessiert ist, zu übersehen geruht, dass es ein identisch interessiertes Wir gibt. Je reicher ein Homoerotischer war, desto leichter pflegte er dieser Egozentrik zu verfallen. Ich kannte Anno Weimar und schon vorher einen etwas älteren Juristen vom Kurfürstendamm, der mit jungen Leutnants aus echt goldenen Kaffeetassen schlürfte; er verfehlte, sooft wir uns trafen, nie, mich vor der Aktivität in der Strafrechtssache zu warnen; „Nur keine Propaganda!“ lispelte er; „je mehr wir in der Öffentlichkeit von der Sache reden, desto mehr schaden wir uns!“ Ein eleganter, auch liebenswürdiger Herr, bloß doof. Hätten alle Betroffenen samt den unbetroffenen Gerechtdenkenden gehandelt, wie er verlangte, dann würde der brutale und sinnlose Paragraph noch heute in Schweden und der Schweiz, in Polen und der Techeslowakei, in England, Österreich, Deutschland gelten, genau wie er dort damals galt.“

Carsten Schatz ist der erste offen positive schwule Mann im Berliner Abgeordneten Haus. Das gibt es weder in einem anderen Landesparlament, noch im Bundestag. Erst einmal herzlichen Glückwunsch an ihn, aber auch die Stadt Berlin, selbst wenn es ihm bei den konkreten Wahlergebnissen nicht vergönnt ist, an der Regierung teil zu haben. Da hätte er bei seinen breit gefächerten politischen Interessen und Aktivitäten manchen Diskurs beleben können. Seine Tätigkeit als Abgeordneter soll und wird sicher nicht daran gemessen werden, dass er schwul und positiv ist. Aus den Erfahrungen, die wir mit ihm im Vorstand der DAH gemacht haben, wissen wir, dass er bereit ist, Verantwortung zu übernehmen und bei allem Pragmatismus im Einzelfall Haltung zeigt und mit dem gesamten Vorstandsteam Veränderungen bewirkt. Das fängt bei dem für Besucher wieder spürbaren guten Betriebsklima in der DAH an, und endet dabei, dass der Verband wieder politisch sichtbar ist. An seinen politischen Fähigkeiten mangelt es nicht, so dass er auch in der Opposition ein Gewinn für die Hauptstadt-Politik sein wird.

Veränderungen geschehen in der persönlichen Begegnung. Und hier wird HIV interessant. Das hat nämlich mehrere Aspekte.

Als Antwort auf das Motto des Welt-Aids-Tages 1991 hat die DAH ein Plakat aufgesetzt: „AIDS hat ein Gesicht: Die Herausforderung sind wir“. Und auch selber waren wir vielfältig herausgefordert. Das war in einer Zeit, in der die Medizin die großen Hoffnungen nicht aufkommen ließ. Seitdem hat sich unglaublich viel verändert. Nur die alten Bilder sind noch in viel zu vielen Köpfen fest verankert. Bei jeder Wiederholung von „Philadelphia“ werden sie reaktiviert. Und auch am 16. November, wenn in der ARD die Dokumentation „Der Aids-Krieg“ von Jobst Knigge gezeigt werden wird, werden viele nicht wahrnehmen, dass die Protagonisten der Dokumentation über die Vergangenheit berichten, aber heute noch putzmunter leben. Die Rückblenden werden bei einem Bericht über vergangene Zeiten unvermeidlich diesen wichtigen Umstand überlagern. Wir brauchen neue Sichtweisen. Deswegen ist es wichtig, im pivaten und im öffentlichen Leben Gesicht zu zeigen. Heute sind nicht mehr wir die Herausforderung, sondern das Demontieren längst nicht mehr zutreffender Bilder. Und da kann die konkrete Begegnung mit einem gutaussehenden, engagierten, arbeitsfähigen Mann Einiges bewirken. Wenn er dann auch noch öffentlich exponiert ist, besteht die Chance, dass sich ein Stück Normalität in der medialen Welt wiederfindet, obwohl das Gewöhnliche eigentlich keine Nachricht wert wäre.

Neben den Bildern, die die Gesellschaft von HIV hat, haben viele HIV-Infizierte Befürchtungen, man könne in unserer Gesellschaft nicht offen positiv leben. Das innere Stigma löst sich schlecht gegen ein äußeres auf. Und natürlich ist es Fakt, dass es einen Bodensatz an Homophobie immer geben wird, an Zuschreibungen, die an Menschen mit HIV erfolgen. Aber Fakt ist ebenso, dass es einen gesellschaftlichen Konsens gibt, der Diskriminierung nicht zulassen sollte. Ein offenes Leben kann also mit Widrigkeiten durchaus verbunden sein, eröffnet aber auch Freiheiten und gibt die Luft zum Atmen. Manchmal braucht es ein breites Kreuz dafür. Aber mit jedem, der HIV in seiner ganzen medizinischen Banalität sichtbar macht, wird es leichter. Manch einer wird sich gegen das „banal“ verwehren. Rheuma, Diabetes, viele Krankheiten haben größere Einschränkungen und Beschwerlichkeiten im Gepäck. Sichtbar zu machen, dass HIV weder die Arbeitsfähigkeit beschränkt, noch zum sozialen Tod führt, macht denjenigen Mut, die an der Schwelle des Going Public stehen. Deswegen ist es ein wichtiges Politikum, dass wir einen offen positiven Abgeordneten haben, der nicht auf einem Behindertenticket sondern durch politische Arbeit auf seinem Posten gelandet ist.

Als Abgeordneter ist man ja allerlei Begehrlichkeiten ausgesetzt. Und so habe auch ich eine in eigener Sache. Der Berichterstattung über die Piraten habe ich mit Freude entnommen, dass sie sich für die Legalisierung weicher Drogen einsetzen. Wenn dies sicher auch drogenpolitisch eine viel zu kurz gegriffene Forderung ist, so könnte das ja immerhin schon mal ein Anfang sein. Sicher ist das Betäubungsmittelrecht eine Bundesangelegenheit. Aber in vielen Städten ist es bei dem Kampf um Methadon und Originalstoffvergabe in der Vergangenheit zu tragfähigen kommunalen Absprachen über Toleranz an den runden Tischen zwischen Staatsanwaltschaft, Polizei, Gesundheitsämtern, Drogenhilfe und Politik gekommen. Berlin mag zwar arm sein, aber sexy. Vielleicht kann es ja auch lustvoller Vorreiter in der Aufweichung einer völlig verfehlten Prohibition sein. Es könnte mir meine Berlinbesuche noch weiter verschönern.

Carsten, es ist gut, dass es Dich gibt

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Anmerkung der Redaktion:
Dieser Kommentar wurde geschrieben zu einer Zeit als es nahezu sicher schien, das Carsten Schatz ein Mandat als Abgeordneter errungen hat. Inzwischen (21.9.2011) sieht es eher so aus ist es weiterhin unklar, als ob Schatz doch kein Mandat errungen hat (näheres im aktualisierten Artikel „Berlin: offen HIV-positiver Kandidat bei Wahl zum Abgeordnetenhaus 2011 erfolgreich ?„).
Wir brauchen neue Sichtweisen“, schriebt Bernd Artez ins einem ‚Kalenderblatt‘. Und begründet, warum. Dies ist nach wie vor aktuell. Ein Grund  mehr, dass der Text weiterhin online steht.

Bernd Aretz

Hans-Peter Hauschild zum Gedenken

Am 3. August 2003 starb Dr. Hans-Peter Hauschild in Berlin. Hauschild, 1954 geboren, war u.a. Geschäftsführer der Frankfurter Aids-Hilfe und Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Aids-Hilfe. Hans Peter Hauschild gilt u.a. als “Mit-Erfinder” des Konzepts der strukturellen Prävention, das bis heute tragender Gedanke der Aids-Prävention in Deutschland ist.
Hans-Peter Hauschild ist in Berlin auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof beigesetzt
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Die Deutsche Aids-Hilfe hat am 15. Juli 2011 den Hans-Peter-Hauschild-Preis für besondere Verdienste um die strukturelle Prävention ausgelobt.

Als Dokumentation und Hintergrund die Rede, die Bernd Aretz am 16. November 2003 bei der Frankfurter Trauerfeier für Hans-Peter Hauschild hielt:

Frankfurt Trauerfeier Hans-Peter Hauschild

Als wenn das beliebig wäre, was wir sexuell geworden sind! Das, worauf wir abfahren, ist die Handschrift unserer Seele. Bei jedem ist das eine ausgesprochen persönliche Sache. Nichts davon ist zufällig oder marottenhaft, wetterte Hans Peter in der Frankfurter Regenbogenpost gegen eine Safersex Party, auf der selbst das Küssen verboten war, von Anderem ganz zu schweigen. Hans Peter war mit der Positivengruppe zu einer Jack Off Party nach Amsterdam gereist, zu Fortbildungszwecken. Das sollte später noch Ärger bereiten, weil ein hiesiger schwuler Mann meinte, der finanzierenden Behörde anzeigen zu müssen, dass weder der Antrag noch die Reiseabrechnung dem Anlass entsprochen hätten.

Wir erinnern HPH: Kurzgeschoren, Schnurbart, enge Lederjeans, einen Mann, der offensichtlich und selbstverständlich schwul lebte, nicht nur nach Feierabend. Man musste ihn schon so nehmen, wie er war, ganz und kompromisslos. Wenn die Verhältnisse nicht so waren, wie sie seinem Erkenntnisstand als notwendig erschienen, mussten sie halt geändert werden. Da mochte der Rest der Welt denken, was er wollte, HIV durfte nicht verhindern, dass der Einzelne das Glück und seine sexuellen Grenzerfahrungen und Überschreitungen in Würde und Respekt suchen und möglichst auch finden konnte. Das Klima war nicht gut dafür.

Tätowierung Infizierter wurde gefordert, Internierung uneinsichtiger Prostituierter, die ihren Beruf nicht aufgeben wollten, eine harte Verelendungs- und Vertreibungspolitik gegenüber Junkies und Ausländern geführt. Infizierten Frauen wurde das Recht auf Schwangerschaft abgesprochen. Nicht nur Heterosexuelle suchten das Heil in der Phantasie der Zerschlagung schwuler Szene und Schließung der Orte der Lust.
Hans Peter war berufen, als eine der Leitfiguren dagegen anzukämpfen. Er kommt aus der Tradition der Flüchtlinge, die ihre bisherigen engen räumlichen Grenzen und emotionalen Bindungen verließen, um in Würde und selbstbestimmt leben zu können – ungewiss ob sie ihr Ziel erreichen, aber ohne eine andere Alternative als die der Selbstaufgabe. Ein widriger Weg, auf dem man lernt, dass ein Treck nicht an jeder roten Ampel halt machen darf. Der Anführer eines solchen Zugs muss die Zauberkunst beherrschen, das unmöglich Scheinende in erreichbare Nähe zu rücken, den Transport der Schwachen und Kranken sichern, die Mitziehenden ermutigen und mit den jeweiligen Landesherren um lebbare Bedingungen und um Räume feilschen. Da darf man keine Angst vor Tod und Teufel haben, vor Gott schon eher. So ein Weg ist nicht ohne Auseinandersetzungen, Missverständnisse, Brüche aber auch nicht ohne Halt in der Gemeinschaft und nicht ohne Charisma zu gehen.

Mein Blut bekommt Frau Helm nicht, verkündete er und wandte sich damit gegen den Alleinvertretungsanspruch der Medizin, die er damals durch die universitäre Einladung Michael Kochs, des Gauweiler Intimus in Sachen Zwangsmaßnahmen nach Frankfurt in der seuchenrechtlichen Ecke sah. Dem setzte er das Gesundheitskonzept der Weltgesundheitsorganisation entgegen, das Gesundung in engem Zusammenhang mit würdigen Lebensbedingungen und Selbstbestimmung der Betroffenen sieht.

Mitgründung der Aids-Hilfe Frankfurt, Aufbau einer Infrastruktur wie Beratungszentrum und Switchboard, Kochen auf der Station 68, Regenbogenpost und Radio, Veranstaltungen zu sachlichen Fragen wie auch die ethische Auseinandersetzung um Aids, Räume der Trauer aber auch des Feierns, politische Aktionen und Demonstrationen gehörten zum Alltag.
Wir haben hier gemeinsam in der Nikolai Kirche die erste von vielen Trauerfeiern erlebt. Ihm war wichtig, dass viele auch an der Gestaltung beteiligt waren, das Gemeinschaftserleben gegen die Vereinzelung zu fördern.
Gemeinsames Plakatmalen gegen das Gefühl der Ohnmacht. Und Papiere wurden produziert, Bündnisse geschlossen, Aktionen geplant. Mit obdachlosen Jugendlichen gemeinsam wurde ihrem Anliegen, eine Bleibe zu erhalten, dem der Aids-Hilfe für eine Krankenwohnung und dem der Schwulenbewegung nach einem Kulturhaus durch eine halbstündige Sperrung der Hauptwache Donnerstags zum Berufsverkehr Nachdruck verliehen. Genehmigt war das Ganze nicht, aber die Absprache mit der Polizei, dass wir das Krankenbett und die Rollstühle wieder beiseite schieben, sobald der freundliche Fotograf der Rundschau mit seinen Aufnahmen fertig sei, funktionierte.

Das Switchboard, dessen Realisierung er bei ungesicherter Finanzierung durchsetzte, obwohl er wusste, dass ihn das seine Stellung als Geschäftsführer der Aids-Hilfe kosten könne- und auch hat – war ihm ein besonderes Anliegen. Hier wurde heiß diskutiert. Seine Feststellung, der Infizierte sei nicht dafür verantwortlich, dass die Infektion nicht weitergegeben werde, wurde als Freibrief missverstanden. Er wollte die gemeinsame bewusste und informierte Entscheidung. Für Bedingungen, in denen die möglich war, kämpfte er. Nach Frankfurt in Berlin im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe.
Er preschte immer wieder vor, mit einer ungeheuren Präsenz in den Medien, auch mit vorher nicht abgestimmten Plänen und Projekten. Wenn es gar nicht anders ging, schaffte er einfach Fakten. Heiße Diskussionen waren unvermeidlich. Sie wurden immer wieder mal unterbrochen, wenn er seine Stundengebete verrichtete. Und er litt, wenn wir seinen Visionen nicht folgten, andere; bescheidenere, angepasstere Vorstellungen von Grenzüberschreitungen und Glück hatten. Aushaltbar war das nur durch den Respekt gegenüber seiner Ernsthaftigkeit, seiner Glaubwürdigkeit, und durch seine Begeisterungsfähigkeit. Er besuchte die Aidshilfen, kirchliche Veranstaltungen, pflegte Kontakte zu Wissenschaft und Politik, diskutierte, versuchte zu überzeugen und zu verführen. Er trieb seinen Verband, sich der persönlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu stellen, Gesicht zu zeigen, Farbe zu bekennen und die Seele bloßzulegen. Ohne ihn, seine Ideen, seine Triebhaftigkeit und seinen Fleiß wäre die Bewegung nicht geworden, was sie ist. Sie ist untrennbar mit seinem Gesicht verbunden, dass auch folgerichtig auf einem der Plakate der Deutschen Aids-Hilfe Schwule Vielfalt / Schwule Solidarität abgebildet ist.

Er beschreibt, dass seine Entfremdung zur Deutschen Aids-Hilfe begann, da sie sich nicht ernsthaft in die Diskussion über die Veränderungen im Gesundheitswesen einmischte. Mir hat er mal erzählt, daneben sei es aber auch so, dass er das verbreitete egoistische Beharren darauf, dass es kein größeres Elend gebe, als in der Bundesrepublik als schwuler Mann mit Hiv infiziert zu sein, nicht mehr ertrage.

Vor zehn Jahren schrieb er: Weil die soziale Not weltweit zunimmt, muss Aids-Hilfe eine Anwältin der Schwachen sein. Sie soll aufzeigen, dass speziell die Homo-„Gemeinde“ in eine reiche Manageretage und einen Kartoffelkeller verarmender Schamexistenzen zerfällt. Sie muss die Verfolgung von Junkies wirksamer bekämpfen als bisher.

Denn wenn schwulen Männern nur ein Bruchteil dessen angetan würde, was auf den Bahnhofsklos als schaurige Spitze eines Eisbergs juristisch zugefrorener Behördenherzen sichtbar wird, hätten wir längst die Rathäuser gestürmt.

Zu Situation von Flüchtlingen schrieb er vor fünf Jahren: Nur wenige MigrantInnen sind Hiv-infiziert, und mit Aids schafft niemand die Tort(o)ur einer Einreise aus der armen Welt nach Deutschland. Fast alle dieser wenigen erfahren erst nach ihrer Flucht oder Einreise in Deutschland von ihrer HIV-Infektion. Die Anzeichen häufen sich, dass auch viele erst hier krank werden, weil die Duldungsbedingungen so würdelos sind , weil der tägliche Stress durch Kontrollen und Absagen den Alltag perspektivlos macht und Angst zur Grundstimmung wird. Wer verbessert die Strukturen des Strandens, des Ankommens in dieser Gesellschaft, damit sie nicht das Aids-Vollbild auslösen?

Wie wird sich die „Positivenbewegung“ verhalten? Und dies nicht nur in Sonntagsreden auf Bundesversammlungen von Menschen mit Hiv und Aids, sondern als gelebter Widerstand, der eben darum effektiv sein könnte, weil in Deutschland so viele Betroffene aus gutem Haus kommen und gehobene Positionen einnehmen. Oder zucken letztlich alle mit den Achseln angesichts dessen, dass die gesellschaftlichen Strukturen heute Aids-Prävention zu einem Kastenprivileg machen?

Hans Peter fehlt.

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Zahlreiche Texte von Hans-Peter Hauschild sowie weitere Informationen sind auf seiner Internetseite zu finden.

„Es waren wohl nicht nur gute Feen … “ – Ladi Di: eine Würdigung zum 50. Geburtstag

Lady Di

* 1. Juli 1961 Sandringham, † 31. August 1997 Paris

eine Würdigung von Bernd Aretz

Es waren wohl nicht nur gute Feen, die sich an der Wiege von Diana Spencer versammelten. Eine gescheiterte Ehe der Eltern, abgeschoben Sein in Internate begleiteten ihre Kindheit und Jugend. Die bösen Zauberinnen packten dann noch in die Wiege Essstörungen und Magersucht. Und ob die Fee besser war, die als Ausgleich bestimmte, „aber Prinzessin sollst Du werden“, darf bezweifelt werden. Diana hätte gewarnt sein können, ist doch die Märchenliteratur voll von bösen Königinnen und Schwiegermüttern. Aber wenigstens ließen die Erzählungen einen verliebten Prinzen erhoffen. Zu Recht, dumm nur, dass die Liebe sich nicht auf die Prinzessin sondern die scheinbar unerreichbare Geliebte bezog. Umgeben von schlechten Beratern wurde das junge Mädel mit dem ebenso unglücklichen Königssohn verkuppelt und wurde Her Royal Highness The Princess Charles Philip Arthur George, Princess of Wales & Countess of Chester, Duchess of Cornwall, Duchess of Rothesay, Countess of Carrick, Baroness of Renfrew, Lady of the Isles, Princess of Scotland. Nach ihrer Scheidung entfiel das königliche, aber Hoheit und Prinzessin blieb sie. Das Ausscheiden aus der Königsfamilie machte nach ihrem Undalltod noch einmal Ärger, weil zwar die Bestattung nach den schon ausgearbeiteten Plänen für die Beisetzung ihrer Schwiegergroßmutter Queen Elisabeth, The Queen Mother logistisch bewältigt werden konnte, das strenge Hofzeremoniell aber das Hissen einer Flagge auf Halbmast auf dem Palast verbot. Wären in dieser Frage nicht die Sitten gelockert worden, hätte darüber die Monarchie stürzen können.

Prinzessin Diana am 22. Mai 1987 bei der Eröffnung des Community Centers in Bristol (Foto: wikimedia / Rick)
Prinzessin Diana am 22. Mai 1987 bei der Eröffnung des Community Centers in Bristol (Foto: wikimedia / Rick)

Zig Millionen Einträge im Internet, Bücher und Filme, zeichnen viele Details ihres Lebensweges und Wirkens nach. Ihr Konterfei ist auf Tellern, Tassen, Dosen T-Shirts und einer Handtasche im Besitz des Deutschen Ledermuseums in Offenbach verewigt. Warum ein weiterer Beitrag zu Lady Di, die am 1. Juli 2011 Fünfzig geworden wäre?

Es gibt eine Facette ihrer Arbeit, die auf ondamaris interessiert und die beispielhaft ist. Von Mitgliedern des englischen Königshauses wird erwartet, dass sie sich aus Politik raushalten und ihr wohltätiges Wirken auf nicht anstößiges Engagement beschränken.

1987 regierte Margaret Thatcher. Englische Freunde beschreiben das soziale Klima als Eiszeit gegen die Hartz IV eine Wärmedecke sei. Die Prävention gegen HIV setzte auf Angst. Die Michael Stich Kindersargbilder erinnerten mich an die frühen Grabsteinbilder der englischen Kampagnen. Die homosexuellen Männer wurden als Motor der Seuche ausgemacht. 1988 wurde Section 28 in den Local Government Act eingefügt. Er verbot öffentlichen Stellen oder öffentlich geförderten Stellen für Homosexualität zu werben. Das galt auch für Schulen, Erziehungsberatungstellen etc. Es war letztlich eine Aufforderung, mindestens aber Rechtfertigung Schwule zu diskriminieren. Es hat zwar nur ein einziges Gerichtsverfahren aus dieser Vorschrift im Jahre 2000 gegeben, als das Christian Intitute vergeblich versuchte, die Stadt Glasgow an der Beteiligung an einem Aids Charity Event zu hindern, weil es die Homosexualität bewerbe, aber diese Bestimmung hat nachhaltig das Klima in England beieinflusst.

Am 9. April 1987 besuchte The Princess of Wales die neueröffnete Broderip Station, Englands erste Aids Station am Middlesex Hospital, London. Den Fernsehnachrichten hoben hervor, dass sie keine Handschuhe trug und dass sie neun Aidskranken die Hand geschüttelt hat. Dietmar Bolle, einer der Mitorganisatoren der 5. internationalen Positivenkonferenz 1991 in London war damals Krankenpfleger auf der Station und erzählte mir hinterher, er habe leider während des königlichen Besuches keinen Dienst gehabt. Aber die schwulen Patienten hätten berichtet, dass sie Händchen haltend auf den Betten sitzend Trost gespendet habe. Dieser Besuch und die Positionierung der Prinzessin hätten das Klima verändert. Er wertete dies auch als einen Mosaikstein für die Bereitschaft der Westminster Abbey 1991 einen ungewöhnlichen Gottesdienst anläßlich der Konferenz zu zelebrieren.

Die Königin der Herzen ist dem Thema treu geblieben und hat Schirmherrschaften übernommen, Kongresse eröffnet, Einrichtungen besucht, mit Betroffenen gesprochen. Das reihte sich ein in ihr weiteres soziales Engagement, in dem sie zum Thema Essstörungen auch ihre eigenen Erfahrungen öffentlich einbrachte, sich gegen Landminen engagierte, als diese noch nicht international geächtet waren. Kurz, sie hat jede Möglichkeit genutzt, randständige Themen aufzugreifen, sie mit Ihrer Person zu verknüpfen und ohne dies ausdrücklich zu benennen durch ihr Handeln Stellung in gesellschaftspolitischen Konflikten zu beziehen.

Ihr ist häufig vorgeworfen worden, sie sei verschwendungssüchtig, investiere gar zu viel in Kleidung. Einspruch, Euer Ehren! Dadurch, dass sie von ihr öffentlich getragen wurde, wurden sie nach dem Grundprinzip der katholischen Berührungsreliquien veredelt und erzielten auf Auktionen zu wohltätigen Zwecken Höchstpreise.

Man hätte ihr schon gewünscht, dass sie ihren fünfzigsten Geburtstag im Kreise befreundeter Künstlerinnen und Künstler, heterosexuellen, schwulen und lesbischen hätte feiern und sich auf das zukünftige Leben einer Oma vorbereiten können.

Annäherungen – ein Frankfurter Bilderbogen

Im Folgenden als Dokumentation die Rede, die Bernd Aretz am 1. Dezember 2003 in der Frankfurter Paulskirche gehalten hat:

Annäherungen – ein Frankfurter Bilderbogen

Die Regenbogenfahne flatterte im Sturm unter den dahinjagenden Wolken des kommenden Gewitters. 7 ½ Minuten läutete die Stadtglocke der Paulskirche, während auf dem Römerberg Namen verlesen wurden. Das war im Februar 1990. Es war eine öffentliche Trauerfeier für unsere schwulen Freunde, vereinzelte heterosexuelle Frauen und Männer, darunter vor allem Menschen, die in der herrschenden Drogenpolitik keine Chance hatten, zu überleben.

Wir erinnerten an Flüchtlinge vor Hunger und Gewalt in ihren Heimatländern, die hier gestrandet waren. Die feine Glocke läutet nur zu wesentlichen Ereignissen im Leben unseres Gemeinwesens. Darüber muss der Rat der Stadt stellvertretend für die Bürgerschaft entscheiden. Trauer und Angst der im Bann von Aids stehenden Menschen wertete er über alle politischen Grenzen hinaus als so bedeutend, dass dem laut vernehmlich die Anteilnahme bekundet wurde.

Gar zu große Angst lähmt. Sie auszusprechen und darin im Kreise der Freunde und all der unterstützenden Menschen aufgefangen zu werden, konnte sie beherrschbar machen, die Handlungsfähigkeit zurückgeben. Sprechen half dabei. Wenn es auch nicht zum Nulltarif zu kriegen war. Die Angst vor Tratscherei, Verlust der sexuellen Attraktivität, beruflichen Schwierigkeiten wog schwer. Mein Einsatz war der einer gutgehenden Anwaltskanzlei. Ich habe ihn eingebüßt, aber ich kann leben, manchmal sogar identisch mit mir.

Und wenn ich mich frage, welche Einsätze die Generation meiner Eltern oder Großeltern hätte leisten müssen, wenn sie gegen Tätowierungen und Internierungen protestiert hätte, dann kann ich nur sagen, ich bin gut davon gekommen. Mein Einsatz war nicht zu hoch. Schließlich ging es um meine Unversehrtheit.

Diejenigen, die in den Anfangstagen ihr Gesicht zeigten, waren getrieben, weil sie die Sprachlosigkeit und das Überschüttetwerden mit düsteren Bildern nicht mehr ertrugen.
Wandelnde Mörderbomben sollten wir sein, schlimm wie Pest, Cholera und die Präventionsbotschaften der katholischen Kirche zusammen. Endlich hatten die allseits kursierenden diffusen Lebensängste einen Namen. Was kümmerte Tschernobyl, das verhungernde und verdurstende Afrika, näher lag doch die Frage, ob der bundesdeutsche Durchschnittsbürger sich an grünen Meerkatzen infizieren konnte. Dies war eine beliebte Frage an den Beratungstelefonen.

Und unsere Freunde starben. Und wie klein wurde das alles auf einmal, wenn der Kollege aus Afrika trocken anmerkte: Wir wären froh, wenn wir sauberes Wasser hätten, wenn eine infizierte schwangere Frau von der öffentlichen Meinung und weiten Teilen des Gesundheitssystems zum Abbruch gedrängt wurde, eine alleinerziehende Mutter vor der Frage stand, wann sage ich es meiner fünfjährigen Tochter?

Und dann gibt es unendlich viel Bilder, die dagegen stehen,
– das erste Gespräch mit Traudel Böker auf dem Balkon der 68, sie war das erste Mal ungeschminkt mit der Farbigkeit der Lebenswelt Ihres schwerkranken schwulen Sohnes konfrontiert. Und sie nahm sie ganz selbstverständlich an. Das war einfach so.
– Rüdiger Anhalt auf den Barrikaden.
– Elfriede, die Rentnerin, kochte auf der 68 und stellte immer wieder ihren mütterlichen Busen zum Ausheulen bereit.
– Gerlinde, Wolfgang, Madleine, Astrid Kober, Bernhard Knupp und Schwester Helga, sie sind nicht alle aufzuzählen, die in schweren Momenten unspektakulär und warm Hilfe geleistet haben.
– Hans Peter Hauschild versuchte nicht nur die Lust und ihre Orte konzeptionell und politisch zu verteidigen, sondern stritt fröhlich lachend auch mit selbstverfassten Liedern Seite an Seite mit Huren, Strichern, Junkies, und Bürgertum bei kreativen Aktionen um würdige Bedingungen für das Leben in dieser Gesellschaft.
– Beim Lauf für mehr Zeit laufen das Altenheim traulich vereint mit dem Kindergarten während das latelounge Team des HR gezielt die Faulen anlockt.

Und dann kommen immer mal wieder angstvolle Bilder hoch, wenn ich Freunde auf der Station 68 treffe, und die Galle, wenn ich den Kitsch und die Verlogenheit in der Werbung der Pharmaindustrie sehe.

Es sind immer wieder die Bilder die im Wege stehen. Die tragische Aura, die den Blickwinkel auf Aids in seinen düsteren Anteilen verengt und Respekt vermissen lässt vor anderen Gewichtungen, die das Leben bieten kann oder auch vor anderen Schicksalen, diese tragische Aura ist ebenso falsch wie die angebliche Leichtigkeit, die nach den Erfolgen der Medizin Einzug gehalten haben soll. Glaubt man der Werbung, ist sie gepaart mit einer besonderen Empfänglichkeit für die kleinen Vergnügungen wie das Betrachten der Marienkäfer, die der Normale achtlos zertrampeln würde. Diese Suggestion in einer Anzeige, der Infizierte habe außergewöhnliche spirituelle Erfahrungen, verschleiert die richtige Tatsache, dass niemand unverändert aus einem schmerzhaften Prozess hervorgeht, der bisher fast zwanzig Jahre Teile des schwulen Lebens, denen auch ich angehöre, beherrscht hat.

Meine Haut wurde dabei dünn. Und ich lernte, wie verletzt die Haut des anderen sein kann, beileibe nicht nur wegen Aids, sondern einfach, weil das Leben seine Spuren hinterlässt.

Sie wird dabei aber auch empfänglicher für behutsame Berührungen. Nein, nein, ich propagiere jetzt nicht den Kuschelsex. Aber vielleicht lernt man, ehrlicher mit sich und seinen Wünschen und dem Partner umzugehen. Da liegen auch Chancen drin. Ich bin entschlossen sie in meiner jetzigen Beziehung mit meinem Mann Kalle zu nutzen. Mir ist nämlich in Hannover ein zweibeiniger Hund zugelaufen, der jetzt damit leben muss, dass sein Meister eine Tunte ist. Und so hat mich die Leichtigkeit des Lebens im Kleid der Liebe wieder erreicht, wenigstens als eine der Möglichkeiten des Standhaltens.

Die Kehrseite der Medaille, auch die Fragen tauchen wieder auf, wie man denn die Sexualität so lebt. Hier erlebe ich einen öffentlichen Diskurs, der an meinen Gefühlen und Erfahrungen vorbeigeht. Da wird von Verantwortung geredet aber etwas ganz anderes gemeint. Da wird so getan, als könne und müsse jede Infektion vermieden werden, als fänden die Infektionen in der Regel durch unverantwortliches Verhalten statt. Die Sexualität müsse dem Gesundheitsschutz ja wohl untergeordnet werden. Ich weise die Versuche zurück, uns infizierte Menschen als Kern des Übels zu betrachten. Das Übel liegt in einer viralen Erkrankung. Manch ein Lebensentwurf erhöht das Risiko, in ihren Bann zu geraten, und zwar unabhängig vom konkret vorhandenen Sexualkontakt.

Der Gesellschaft gegenüber nicht zu verantworten? Gesundheit spielt gemeinhin weder bei Arbeitsbedingungen noch den seelischen Kosten der Arbeitslosigkeit, oder Wahl der Sportarten eine zentrale Rolle. Wie ist es mit der Weigerung, die Null Promille Grenze auf Deutschlands Strassen einzuführen, mit herzinfarktfördernden Häufungen von Aufsichtsratsposten, falschen Reisezielen? Wer schon einmal versucht hat in einfach überschaubaren Bereichen wie des Rauchens, Trinkens und Essens sein Leben radikal zu verändern, weiß, dass es keine einfachen Wege gibt. Und er wird allemal verstehen, wie viel schwieriger ein so vielschichtiges Feld wie die Sexualität ist.

„Als wenn das beliebig wäre, was wir sexuell geworden sind! Das, worauf wir abfahren, ist die Handschrift unserer Seele. Bei jedem ist das eine ausgesprochen persönliche Sache. Nichts davon ist zufällig oder marottenhaft“, schrieb Hans Peter Hauschild. Mit dazu gehört die Erkenntnis, dass es unendlich viele Sichtweisen und Lebensentwürfe gibt. Dafür forderte er Respekt ein, auch als eine wechselseitige Verpflichtung.

Man soll doch da nichts hineinphantasieren. Natürlich ist jeder für sein Handeln verantwortlich. Verantwortung ist zwar gemeinsam zu tragen aber nicht teilbar. Da entschuldet auch nicht der mutwillige Gebrauch berauschender oder enthemmender Drogen, um diesem Gefühl zu entkommen. Der Beginn der Pirsch nach Wärme, Ekstase, Frustabfuhr, kurz nach der als Heilmittel phantasierten Sexualität ist doch wohl nicht erst im bedröhnten Zustand anzunehmen. Niemand darf unausgesprochen darauf vertrauen, der andere nehme sie fürsorglich für beide wahr, der infizierte Partner werde es schon richten. Dafür sind die Vorstellungen von den Risiken, die Bereitschaft sie einzugehen und die Bedürfnisse des Bauches zu unterschiedlich. Deshalb sollten wir nicht über Verantwortung reden, sondern über die Klarheit in den Abstimmungsprozessen.

Hans-Peter Hauschild würde uns heute zu Recht vorwerfen, wir machten in unserem Alltag einen Bogen um die großen Probleme in der Welt, die nur mit einem entschiedenen „Teilen jetzt“ gemildert werden können, wir machten einen Bogen um die Probleme hier im Land, zum Beispiel die fehlende Krankenversorgung illegal Lebender in einem von Ausbeutung und Angst vor Abschiebung geprägten Lebensgefühl. Dessen sollten wir uns bewusst sein, wenn wir unser Leben leben. Auch wenn jeder seinen je eigenen Weg mit all seinen Notwendigkeiten hat.
Danke

Sans papiers darf nicht heißen sans sanitaire

Etwa 30.0000 Bundesbürger leben ohne Krankenversicherungsschutz. Dazu gehören Selbständige, die ihre Beiträge nicht mehr zahlen konnten, Studenten, die wegen Alters oder zu langer Studiendauer aus der studentischen Krankenversicherung hinausfallen und Menschen, die mit den ganzen Formalia der Bürokratie nicht klarkommen. Für Asylbewerber sieht das Asylbewerber Leistungs Gesetz im Grunde nur eine Notversorgung vor. Dazu kommen hunderttausende bis zu einer Million Menschen, die sich im Sinne des Ausländergesetzes illegal im der BRD aufhalten und Touristen ohne Versicherungsschutz.

Alle in der Flüchtlingsarbeit Tätigen, also auch die Aidshilfen, wissen, wie schwierig es ist, im Einzelfall die Versorgung Kranker sicherzustellen. Klar die Schwerpunktpraxen und viele engagierte Ärztinnen und Ärzte versorgen auch mal einen Menschen kostenfrei, aber Laboruntersuchungen, Gerätemedizin und gar Krankenhausaufenthalte werfen immer wieder Finanzierungsprobleme auf. Anders als zum Beispiel in Frankreich, wo es staatliche Zentren zur Versorgung nicht Versicherter gibt, steht in der BRD die immerwährende Suche nach Lösungen im Einzelfall an. In einigen Städten haben die Flüchtlingsorganisationen Notambulanzen eingerichtet, die Obdachlosenhilfe engagiert sich und der Malteserorden unterhält im mehreren Städten überwiegend einmal wöchentlich geöffnete Ambulanzen, in denen Menschen untersucht betreut und mit gespendeten Medikamenten versorgt werden.

Die Aidshilfe Offenbach hat im Rahmen der interkulturellen Wochen Herrn Dr. Kauder aus Darmstadt eingeladen, der sich vorstellte, er stehe nach dreißig Jahren internistischer Tätigkeit, zuletzt als leitender Klinikarzt auf der Rentnerliste der KV Hessen. „Das war für mich aber kein Schlussstrich, sondern die Gelegenheit, jetzt meinen Traum verwirklichen, nach jahrzehntelanger strukturierter Kassenarzttätigkeit endlich einmal humanitäre Medizin zu betreiben. Auf diese Art und Weise ist zunächst als Plan und dann als Realität die Anlaufstelle Malteser Migranten Medizin MMM am Marienhospital Darmstadt entstanden.“ Getragen ist das Projekt von seiner „felsenfesten Überzeugung aller Beteiligten, dass jeder Mensch Zugang zu medizinischer Versorgung haben sollte“. Dazu benötigt man als zentrale Funktionseinheit einen Träger der Einrichtung, geeignetes ärztliches und Assistenzpersonal sowie Praxisräume. Erforderlich sind medizintechnische Infrastruktur, ein Netzwerk von Konsiliarärzten und eine Personalreserve ist erforderlich. Es werden quasi als Schutzschicht Förderer und Gönner benötigt. Für einen reibungslosen Betrieb muss der Kontakt zu Behörden und Einrichtungen hergestellt werden. Und dann bedarf es einer Öffentlichkeitsarbeit, mit der sowohl die Bevölkerung als natürlich auch die Patienten über die Existenz des Projektes informiert werden. Er schildert: „Von Anfang an bestand Klarheit, dass wir eine qualifizierte, zeitgemäße Versorgung unserer Patienten gewährleisten und nicht nur eine Barfußmedizin betreiben wollten. Dankenswerterweise erklärte sich das Krankenhaus bereit, seine Infrastruktur kostenfrei zur Verfügung zu stellen. Ich kann also bei Bedarf und das sogar sofort vor Ort Labor-, Röntgen- und Endoskopiediagnostik betreiben. Blutzucker- und Harnuntersuchungen machen wir in der Praxis selbst, außerdem verfügen wir dort über ein eigenes, jeweils gespendetes EKG, Spirometer und Sonographiegerät.“

„Um den Betrieb der Ambulanz rechtlich und organisatorisch abzusichern, muss sie nicht nur öffentlich akzeptiert, sondern institutionell und behördlich abgesichert sein. Nur so ist zu erreichen, dass sie später nicht mehr angegriffen oder infrage gestellt wird. Wir haben deswegen zu zahlreichen Stellen Kontakt aufgenommen und dort sowohl uns persönlich als auch unser Projekt vorgestellt. Die übliche Praxis-Eröffnungsanzeige in der Tageszeitung oder im Radio schied a priori aus, da wir einerseits keine Trittbrettfahrer anziehen wollten, andererseits unsere Botschaft kaum unsere Zielgruppe erreicht hätte. Welcher illegale Migrant liest schon das Darmstädter Echo oder hört den Hessischen Rundfunk? Die Information musste also durch Mund zu Mund Propaganda weitergegeben werden. Wichtigster Multiplikator war für uns hierbei das Interkulturelle Büro beim Sozialamt der Stadt Darmstadt, das regelmäßigen Kontakt zu fast 140 strukturierten Migrantenvereinigungen in Darmstadt hält. Glücklicherweise wurden wir dort mit offenen Armen empfangen, unser Vorhaben sogar materiell unterstützt und unsere Flyer an die Zielgruppen verteilt.“

Nach Anlaufschwierigkeiten, in denen mehr deutsche nicht Versicherte die Hilfe der Ambulanz in Anspruch nahmen sind inzwischen etwa zwei Drittel der bis zu zwanzig Patienten wöchentlich Ausländer. Das Arbeitsspektrum ist weit. Es geht von der Begleitung Schwangerer bis hin zur Sterbebegleitung krebskranker Menschen. In der dem Vortrag sich anschließenden regen Diskussion berichtete die Ärztin der MMM Frankfurt am Bürgerhospital von ihren Schwierigkeiten, Urlaubsvertretungen zu finden, von der Angst der Patienten, wenn vor der Klinik ein Polizeiauto steht. Es kam zur Sprache die Angst mancher Ärzte, sie machten sich ausländerechtlich strafbar, wenn sie Hilfe leisten. Dazu hat der Berliner Innensenator Körting klargestellt: „Ich bin der Meinung, dass die Verpflichtung zur Datenübermittlung in Fällen unerlaubten Aufenthalts gern. § 76 Abs 2 Nr. 1 AuslG abschließend und hinreichend in der bundesweit verbindlichen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz vom 28. Juni 2000 geregelt ist. Unabhängig davon, ob es sich um die Gewährleistung medizinischer Versorgung, vorschulische oder schulische Bildung, soziale Betreuung oder ähnliches handelt, sind öffentliche Stellen im Sinne des § 2 Abs. 1-3 und 4 S.2 BDSG übermittlungspflichtig. Diese Pflicht trifft hier – also in allen Einrichtungen in städtischer Trägerschaft oder Behörden – die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die über die Aufnahme und Gewährung von Leistungen entscheiden und sich in diesem Zusammenhang über die Anschrift und damit auch den Aufenthaltsstatus des Betroffenen unterrichten müssen. Sonstiges Personal, das lediglich im Rahmen der Tätigkeit von dem illegalen Aufenthalt erfährt (etwa Ärzte, Erzieherinnen, Lehrer, Sozialarbeiter etc.) sind nicht übermittlungspflichtig. Nicht öffentliche Stellen – Einrichtungen in privater Trägerschaft, in Trägerschaft der Wohlfahrtsverbände und der Kirchen – sind nicht zur Datenübermittlung gem. § 76 Abs. 2 AuslG verpflichtet. Das gilt auch, wenn sie aus öffentlichen Mitteln finanziert oder bezuschusst werden.“

Mitteilen kann man nur was man weiß. Und das hängt davon ab, was man fragt. Ein lebenspraktisch leicht lösbares Problem. Dennoch, die Ängste gibt es. Dies wird auch deutlich aus einer Entschließung des 108. Deutsche Ärztetages im Jahre 2005, in der festgestellt wird, dass Deutschland nicht den erforderlichen medizinischen Standards entspricht, die Versorgung durch gesetzliche Regelungen behindert. wird. Die Entschließung fordert, die politisch Verantwortlichen auf, „die medizinische Behandlung von in Deutschland lebenden Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus zu gewährleisten. Dazu gehört die Rechtssicherheit für Behandelnde, es muss klargestellt werden, dass ärztliche Hilfe nicht die Tatbestandsmerkmale der Beihilfe für illegalen Aufenthalt erfüllen. Die Gleichsetzung von Ärzten mit z. B. Schleppern, Schleusern und Menschenhändlern, wie aus § 96 AufenthG gefolgert werden kann, ist nicht akzeptabel. Aufzuheben ist die „Übermittlungspflicht“ für öffentliche Krankenhäuser an die Ausländerbehörden. Die Übermittlung von Daten gemäß § 87 AufenthG hat in der Regel die Abschiebung zur Folge. Die Verpflichtung zur ärztlichen Verschwiegenheit wird damit unterlaufen. Oft wird eine lebensnotwendige stationäre Behandlung aus Angst vor Abschiebung vermieden. Erforderlich ist eine Kostenregelung für die Behandlung von Menschen ohne Papiere. Die bisher übliche Praxis, die auf der kostenlosen Hilfe einzelner Ärztinnen und Ärzte oder von Krankenhäusern beruht, ist nicht ausreichend und auf Dauer finanziell nicht durchführbar. Eine Kostenübernahme durch die Sozialämter, die dann aber die Abschiebung zur Folge hat, ist keine realistische Lösung. Es ist vielmehr eine staatliche Aufgabe, allen hier lebenden Menschen eine angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen. “

Das fordert nicht nur die Humanität sondern ergibt sich schon daraus, dass es sträflich ist, Menschen mit zum Teil ansteckenden Krankheiten unversorgt zu lassen.

Daher die Bitte, unterstützen Sie im Rahmen Ihrer Möglichkeiten die Ambulanzen und machen Sie ihren Einfluss geltend, dass Kranke in Deutschland fachgerecht versorgt werden, ohne aus diesem Grunde eine Abschiebung befürchten zu müssen.

(Erst-Veröffentlichung dieses Textes in der ‚posT‘ Januar 2008)

Göttinger Laudationes: Karl Heinrich Ulrichs, Jurist

Ohne Karl Heinrich Ulrichs und seine Überlegungen zum dritten Geschlecht, dem der Homosexuellen oder Urninge, wäre Magnus Hirschfeld, der bekannteste Sexualwissenschaftler der Jahrhundertwende, wäre  kaum denkbar gewesen, betont Bernd Aretz in einer Laudatio auf Ulrichs.

Karl Heinrich Ulrichs braucht eine Straße – findet die Initiative Schwule Juristen, und wird von vielen Personen dabei unterstützt. An zahlreichen Orten wird bereits dem frühen Pionier einer Emanzipation „mann-männlicher Liebe“ gedacht, bisher nicht in Berlin.

1997 wurde in Göttingen am Haus Markt 5 eine Gedenktafel für Karl Heinrich Ulrichs angebracht. Für die Einweihung der Göttinger Tafel hielt der Jurist Bernd Aretz 1997 folgende Laudatio:

Göttinger Laudationes: Karl Heinrich Ulrichs, Jurist

Rede anläßlich der Enthüllung einer Gedenktafel am 17.1.1997, Markt 5

„Karl Heinrich Ulrichs war von mittlerer Statur, von hoher Stirn, von der wenige, aber ziemlich lange Haare herabhingen, von ernstem und ausgeprägtem Gesichtsschnitt, mit perfekten Zügen, beschmückt mit einem kurzen und dünnen Bart, eher nüchtern, mit geringen Bedürfnissen und geistig angestrengt, gekleidet mit eher ärmlicher als bescheidener Kleidung, mit ruhigem würdevollen Gang, ohne Geziertheit, gestützt auf einen Stock, immer mit einigen Büchern, die er unter den Arm geklemmt hatte.“ So begann 1895 Marchese Nicolo Persichetti in Aquila in den Abruzzen seine Grabrede für den am 14. Juli gestorbenen geschätzten Freund.

Die Daten, der äußere Weg: Karl Heinrich Ulrichs wurde am 28. August 1825 in Aurich in Ostfriesland in eine bürgerliche, von Beamten und Pfarrern geprägte Familie geboren. Der frühe Tod des Vaters führte dazu, daß Ulrichs in einem Internat in der Nähe von Hildesheim und, von Verwandten aufgenommen, die Gymnasien in Detmold und in Celle besuchte. Das Studium führte ihn nach Göttingen. Die Universität bescheinigte 1846 unter anderem. „Der Studierende Ulrichs, welcher schon seit 5 Semestern nach der Aussage seiner Lehrer sehr fleißig seine Vorlesungen besucht, auch sonst Zeichen eines nicht gewöhnlichen Fleißes gegeben hat, steht in dem Rufe ein ordentlicher Mensch zu sein, hat auch von Seiten der Disziplin niemals Veranlassung zu Klagen gegeben“.

Er betrieb als Schwerpunkt die Juristerei, studierte aber als Mann von breitgefächerten Interessen auch Archäologie und Literaturwissenschaft. Wer darum weiß, wieviel Energien es heute immer noch jugendliche im coming out kostet, ihre Homosexualität zu entdecken und zuzulassen, wird erahnen können, welche Qualen ein Mann durchlitten haben muß, für den es keinerlei öffentliche Vorbilder oder Orte der umfassenden sozialen Begegnung gab. In einer gesellschaftlichen Situation, die manche von Ulrichs Freunden in den Selbstmord trieb, blieb Karl Heinrich Ulrichs handelndes Subjekt.

Wissenschaftliche Veröffentlichungen, insbesondere im öffentlichen Recht, wurden preisgekrönt, auch von der Universität Göttingen. Literarische und politische Texte von ihm sind erhalten, wie zum Beispiel das „Großdeutsche Programm“, in dem er zu Recht darauf hinwies, daß die deutsche Einheit nicht so gezimmert werden dürfe, daß einzelne sich darin nicht wohl fühlten. Er kämpfte für einen wechselseitigen Respekt gegenüber den kulturellen Leistungen der unterschiedlichen Volksgruppen.

In Göttingen konnte er auch dem geselligen Leben durchaus etwas abgewinnen. Er gab, teils selbstgeschriebene, Studentenlieder heraus. Und er tastete sich zu dem vor, was sein Hauptwerk werden sollte: die zwölfbändige Schrift „Forschungen über das Räthsel der mann‑männlichen Liebe“. Ulrichs wagte es als erster, das Unaussprechliche auszusprechen, den Sehnsüchten einen nicht negativ besetzten Namen zu geben, die mann‑männliche Liebe. Und er legte so zwischen 1864 und 1879 den Grundstein für eine nicht diskriminierende Forschung zu sexuellen Identitäten.

Magnus Hirschfeld, der bekannteste Sexualwissenschaftler der Jahrhundertwende, wäre ohne Ulrichs und seine Überlegungen zum dritten Geschlecht, dem der Homosexuellen oder Urninge, kaum denkbar gewesen. Ulrichs war ein radikaler Kämpfer für die Gleichberechtigung. Er korrespondierte mit Menschen in der ganzen Welt über das Empfinden und Leben homosexueller Männer, stand mit allen Größen der beginnenden Sexualwissenschaft in Kontakt. Er konzipierte die erste schwule Zeitschrift und entwarf schon die Satzungen für den Urningsbund. Eine Hülfskasse sollte eingerichtet werden, die großen politischen Entwürfe sollten mit der Politik des Machbaren vereint werden. Und diese Forderungen erhob er öffentlich.

Daß seine Karriere im Staatsdienst trotz der herausragenden fachlichen Qualitäten nur von kurzer Dauer war, versteht sich fast von selbst. Auch daß das freie deutsche Hochstift in Frankfurt, das auch heute noch das Goethe‑Haus betreibt, ihn wegen seiner Homosexualität hinauswarf, verwundert kaum. Verblüffender ist da eher schon, daß die beiden Haftstrafen in der Festungshaft zu Minden nicht seiner Homosexualität galten, sondern seinem öffentlichen Protest gegen die Annektionspolitik Preußens.

Ulrichs schlug sich nunmehr als Privatgelehrter, Journalist, Autor, Privatsekretär und Hauslehrer durch. Sein Lebensweg führte ihn über verschiedene deutsche Städte nach Italien, wo er in den letzten Jahren eine in aller Welt verbreitete Zeitschrift zur Wiederbelebung der lateinischen Sprache, Alaudae, herausgab. Göttingen darf sich glücklich schätzen, einen Mann aus seinen Reihen ehren zu dürfen, auf dessen Ehrentafel nicht nur Jurist hätte stehen können, sondern mit gleicher Berechtigung schwuler Bürgerrechtler oder Sexualwissenschaftler.
Wir verdanken ihm folgendes Bekenntnis zur Solidarität: „Die Vergewaltigten und Geschmähten kennen kein Recht der Vergewaltigung durch nackte Gewalt, noch ein Recht der Schmähung. Darum ist unsere Stellung überall auf Seite der Vergewaltigten oder Geschmähten: mögen sie heißen Pole, Jude, Hannoveraner, Katholik, oder sei es ein unschuldiges Geschöpf, das den Leuten anrüchig ist, weil es so sittenlos war, außerehelich geboren zu werd en, wie wir ja so unsittlich waren, mit der Urningsnatur ausgestattet zu werden, oder mag es eine arme „Gefallene“ sein, die der hochsittliche Barbarismus des 19. Jahrhunderts zu Akten der Verzweiflung treibt, zu Kindsmord, Fruchtabtreibung, wohl gar zu Selbstmord. Wir, die wir wissen, wie es tut, vergewaltigt und gemartert zu werden: Wir können so recht von Herzen die Partei jener ergreifen, die wir in ähnlicher Lage erblicken. Neben dem Juden stehen wir, sobald ein übermüthiger Katholik ihn beschimpft, neben dem Katholiken, sobald ein intoleranter Liberaler ihn um seines Glaubens willen schmäht. Wir verteidigen nicht heuchlerisches Augenverdrehen, wohl aber das Recht, Katholik zu sein, das Menschrecht für Glauben und Nichtglauben sich zu verantworten vor dem eigenen Gewissen und nicht vor schmähsüchtigen Parteien. Mit Charakteren sympathisieren wir, mit jedem freien Menschen, nie mit Parteisklaven. Wir bekämpfen die Arroganz despotischer Majoritäten. Unter allen Umständen verachten wir daher den herrschenden Liberalismus, welcher hohler ist als taube Nüsse, welcher uns statt Brotes Steine beut; welcher Freiheit nur für Majoritäten fordert, die bereits am Ruder sind, sobald es sich dagegen um unterdrückte Minoritäten handelt, die seinem Geschmack nicht zusagen, nie und nirgend für Freiheit eintritt, der ohne Ende die selbe fälscht durch den ihm innewohnenden Despotismus, der ohne zu erröten alle Tage Menschenrecht verhöhnt und Menschenwürde zertritt.“
Auf seinem Grabstein steht unter anderem zu lesen: „Er eignete sich alle Bereiche der humanistischen Bildung in einem solchen Maße an, daß er von berühmten Gelehrten in Göttingen und Berlin zu ihresgleichen gerechnet wurde, warf in Antropologie und der Jurisprudenz neue Fragestellungen auf, wurde mit hohen Ämtern
geehrt und wurde in günstigen Urnständen nie übermütig und in widrigen nie verzagt. Schwierige Ereignisse vertrieben ihn aus dem Land Hannover und als armer Mann
wanderte er durch einen großen Teil Europas. Überall erwies er sich als Mann von Geist, Gelehrsamkeit und Tugend.“
Ich danke den Göttinger Schwulen, daß sie durch die Wiederherstellung des Grabsteins von Ulrichs einen Beitrag gegen das Vergessen geleistet haben. Ich danke der Stadt Göttingen, daß sie mit der Tafel eine der Facetten Ulrichs ehrt, wenn auch zweifellos nicht die wichtigste. Im Verschweigen dessen, was sein Hauptwerk war, wird deutlich, wie weit Ulrichs seiner Zeit voraus war.

Literatur:
Karl Heinrich ULRICHS:Forschungen über das Räthsel der mannmännlichen Liebe“, hg. von Hubert Kennedy, Berlin 1994, Reprint der Ausgabe von 1864‑1879.
Hubert KENNEDY: „Karl Heinrich Ulrichs ‑ Sein Leben und sein Werk“, Stuttgart 1990, Beiträge zur Sexualforschung 65.

(vielen Dank an Bernd Aretz für die Erlaubnis, den Text (der bereits auch in der ‚posT‘ publiziert wurde) hier zu übernehmen!)

Die Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Prävention einbeziehen

Im Folgenden ein Gastbeitrag von Bernd Aretz.
Auf dem Abschlussplenum der Positiven Begegnungen 2009 in Stuttgart hatten die Teilnehmer Arbeitsaufträge erteilt.
Die bei den Positiven Begegnungen 2009 erteilten Arbeitsaufträge sollen in die Programm-Gestaltung der Positiven Begegnungen 2010 einfließen.

Einer der Arbeitsaufträge lautete, die „Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Präventions-Botschaften und -Kampagnen mit einbeziehen“.

Die Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Prävention einbeziehen
Die Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Prävention einbeziehen

Bernd Aretz wirft in seinem Gastbeitrag viele Fragen zu diesem Themenbereich auf, und bittet um rege Diskussion- also: Chance nutzen und zahlreich und rege kommentieren!

Die Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Prävention einbeziehen

Die Positiven Begegnungen in Stuttgart haben unter anderem den Auftrag erteilt, dafür Sorge zu tragen, dass die Perspektiven betroffener Frauen und Männer in die Prävention einbezogen werden. Aber was ist die Perspektive? Es gibt Frauen, die aus Angst um ihre Kinder, die eigene Infektion geheim halten. Es gibt aber auch die Eltern, die fragen, wie sollen wir unsere Kinde dahin erziehen, zu sich zu stehen, wenn lebensprägende Umstände von den uns verschwiegen werden? Da gibt es die Schweizer Jugendlichen, die über die Zeitschrift Bravo an die Öffentlichkeit gegangen sind. Deutsche Jugendliche waren in Stuttgart leider nicht anwesend, wie sie überhaupt in den Diskurszusammenhängen fehlen. Ist deren Perspektive die der BetreuerInnen, wie das bei der Leitbilddiskussion der DAH so schön erkennbar wurde durch den Antrag, die DAH solle für nicht nur für Menschen sondern auch für Kinder und Jugendliche zuständig sein. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ist die Sicht desjenigen maßgebend, der Angst hat, tagsüber durch das Treppenhaus zu gehen, weil er die Frage der Nachbarin fürchtet, warum ein so junger Mann eigentlich nicht arbeitet? Ist es die Sicht desjenigen, der sofort nach dem Einzug in ein Haus mit hundert Parteien über den Grund seiner Verrentung plaudert, um klare Verhältnisse zu haben? Da gibt es Menschen, die in beruflichen Zusammenhängen Rücksicht nehmen (müssen), die realen Erfahrungen der Ausgrenzung – auch im Medizinsystem. Aber manche Firmen erteilen jeglicher Form von Ausgrenzung eine klare Absage. Schwule Männer machen auf der sexuellen Pirsch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Viele serodifferente Partnerschaften scheinen zu belegen, dass eine große Bereitschaft da ist, positive Partner zu akzeptieren. Andrerseits haben viele erlebt, wegen der HIV-Infektion als Sexualsubjekt abgelehnt zu werden. Es gibt die Berufspositiven ebenso wie diejenigen, die sich allenfalls bei Positiventreffen fern der Heimat zu ihren Viren bekennen. Von der Phantasie das größtmögliche Elend schultern zu müssen bis zur Haltung, man wolle mit keinem Rheumakranken tauschen, ist alles vertreten. Es gibt Menschen, die seit 20 Jahren jeden Laborbericht sammeln und die Haltung, mein Arzt soll mich nur dann informieren, wenn etwas Behandlungsbedürftiges oder sexuell Bedeutsames vorliegt. Bei den Nebenwirkungen der Therapien gibt es von großen Leiden über die Einordnung als Bagatellproblem bis zum Gutverträglichen alles.

Lässt sich ein Konsens zu den Zielen herstellen? Möchten wir, dass im gesellschaftlichen Umgang HIV wie jede andere Infektionskrankheit behandelt wird? Das heißt aber auch, diskrimierungsärmere Verhältnisse vorausgesetzt, die Abschaffung aller Besonderheiten des Umgangs.

Das setzt voraus, dass die Positiven nicht als Drohkulisse gebraucht werden, dass sie bei der Mitwirkung in der Prävention säuberlich unterscheiden zwischen eigenen Schwierigkeiten und Dramatik und den Erfahrungen anderer. Dazu gehört eben, dass viele mit der Infektion ohne große Probleme – außer den Zuschreibungen – leben. Wie ist dann der Umstand einzuordnen, dass viele Positive in der EKAF Debatte erklärt haben, es sei zwar richtig, dass durch die Therapien die Infektiösität gegen null sinken könne, das dürfe man aber nicht laut sagen, es schützte sich dann doch niemand mehr? Das heißt dann aber auch, dass der oft angetragenen Forderung die Probleme in den Vordergrund der Prävention zu stellen, widerstanden werden muss.

Besteht Einigkeit darüber, dass es für (noch) nicht Infizierte Sinn macht, sich zu schützen? Besteht Einigkeit darüber, dass auch mit HIV ein erfülltes (auch Sexual-)Leben möglich ist? Kann man von Positiven erwarten, dass sie unabhängig von der Viruslast Kondome benutzen, wenn sie nicht sprachlich über diese Frage kommunizieren? Kann man von Negativen erwarten, dass sie das gleiche tun oder über unsafe Begegnungen informieren? Ist das ganze von Orten der Begegnung abhängig? Kann man erwarten, dass in Beziehungen offen kommuniziert wird und wann ist der Zeitpunkt, ab dem eine Beziehung anzunehmen ist?

Ist es Aufgabe der Prävention, all die verschiedenen Bilder zu vermitteln oder klar zu sagen, dass man nichts erwarten sollte? Erwarten wir, dass Risikobewertungen gewichtet werden, also der Lusttropfen beim Blasen anders bewertet wird, als das Sperma im Darm, und der Koitus interruptus noch anders, oder spielt das keine Rolle, weil es keinen Unterschied macht, wenn sich ein hohes oder ein geringes Risiko tatsächlich verwirklicht? Ratsuchende lechzen immer nach solchen Angaben, am liebsten in Prozentangaben. Aber kann man diesem Wunsch überhaupt entsprechen?

Welchen Stellenwert haben die unsäglichen Strafverfahren? Offensichtlich ist in den Köpfen mancher Staatsanwälte fest verankert, dass HIV unabhängig von Therapien hoch gefährlich sein soll und dass es eine klare Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern geben soll. Welcher Unterstützung bedarf es, das umzusetzen, was man wichtig und richtig findet und zwar auf der Basis interessenlos offengelegter Informationen.

Wie kann die Perspektive überhaupt eingebracht werden? Ist für schwule Männer IWWIT eine Plattform, braucht es Resolutionen, Mitarbeit in den örtlichen Aidshilfen, um von unten Inhalte einzubringen? Das EKAF Statement kann nur diejenigen überrascht haben, die vorher nicht die von der AH Offenbach veröffentlichte Haltung des Schweizer Bundesgesundheitsamtes zur Kenntnis genommen haben. Und auch der Diskurs um EKAF musste in den Aidshilfen von unten her organisiert werden, weil der Dachverband und seine Gremien in dieser Frage versagt haben und sich viele Mitarbeiter von Aids-Hilfen schwer taten und tun, die entlastende Botschaft zu verkünden. Wer bringt die positive Perspektive ein – und wie? Wäre es ein erster Schritt, die MitarbeiterInnen der DAH und das Vorbereitungsteam für die Positiven Begegnungen in Stuttgart zu loben? Sie haben es jedenfalls verdient. Sollten wir uns vom Feindbild Aidshilfe nicht verabschieden und sie lieber als Ort begreifen, in den an einvernehmlicher Sexualität Interessierte, seinen sie nun positiv oder nicht sich einbringen können? Sollten wir mehr Leserbriefe schreiben? Ist es mal wieder an der Zeit öffentliche Diskussionsveranstaltungen loszutreten.

Ich bitte dringend um Diskussionsbeiträge.
Bernd Aretz

siehe auch:
koww 27.04.2009: Aufruf zur Diskussion
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Sexualität im Wandel

Über den Workshop „Sexualität im Wandel“, der am Samstag, 31. Januar 2009 auf den ‚Positiven Begegnungen 2009‘ stattfand, heute ein Gastbeitrag von Bernd Aretz und Corinna Gekeler:

Sexualität im Wandel
Unter diesem Titel trafen sich sic h in einem Workshop der Positiven Begegnungen in Stuttgart mehr als 50 Männer und Frauen, darunter auch Jugendliche, aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Deutschland, um sich über ihre Schutzstrategien in der Sexualität auszutauschen. Ein Königsweg war natürlich nicht zu erwarten, aber es gab vielfältige Hinweise, wo die Ängste liegen und was zu ihrem Abbau hilfreich sein kann. In der Eröffnungsrunde wies Corinna Gekeler darauf hin, dass sie als HIV-Negative Safer Sex im herkömmlichen Sinn für sich auch dann für eine Selbstverständlichkeit hält, wenn sie weiß, dass der Partner gut therapiert ist und lediglich eine sehr geringe HIV-Übertragungsgefahr besteht. Sie möchte in intime Beziehungen nicht die Vor- und Nachteile von Laborwerten einbrechen lassen und schon gar nicht dem Partner, der vielleicht mit einer gestiegenen Viruslast Therapieversagen konfrontiert sein könnte, obendrein mit dann auftauchenden Sorgen über erhöhte Risiken zumuten. Aber die Therapien lassen sie beruhigt an „Kondomunfälle“ und Grauzonen im Umgang mit Safer Sex denken. Auch für Bernd Aretz, den Comoderator, stellen die Therapien – nicht erst seit der Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids Fragen – eine deutliche Erleichterung dar, die bei ihm durchaus auch zur Kondomverzicht führen kann. Er nimmt sich selbst nicht mehr als gefährlich war, wies aber darauf hin, dass sich das für Partner anders darstellen kann. Ängste sind nun mal real – wenn auch nicht nimmer wissenschaftlich begründet – und der Respekt gebietet es, sie zu akzeptieren. Es kann und darf lange dauern, bis sie sich verlieren. Bis dahin gilt es, sich in Gelassenheit zu üben.

Das Absprechen von Feldern der Sexualität, die angstfrei von den allen Beteiligten erlebt werden können, war ebenso Thema, wie die plötzlich auftauchenden Erektionsschwierigkeiten der Männer. Es ist ein verschlungener und weiter Weg vom Kopf zum Bauchgefühl. Da kann es für manche hilfreich sein, den Schwanz mit den Rechten eines eigenständigen Dritten auszustatten, der zu nicht mehr verpflichtet ist, als sich, wenn er am Spiel teilnimmt, an die ausgehandelten Regeln zu halten. Offenheit war ein Thema, das sich durch den Workshop zog. Von einigen negativ Getesteten kam der Hinweis, dass es für sie einen Unterschied mache, wenn sie wüssten dass der Mensch gegenüber positiv sei. Ob sie sich dann auf eine sexuelle Begegnung einließen, wüssten sie nicht, um dann aber aus ihrer Erinnerung doch Erlebnisse auftauchen zu lassen, die sie mit offen Positiven hatten und als sehr nah und bewegend beschrieben. In Kleingruppen tauchte das Thema auf, wie damit umzugehen ist, wenn nicht gleich zu Beginn klare Verhältnisse geschaffen wurden. Kann man dem Partner nach sechs Monaten oder zwei Jahren noch zumuten, zu erklären, dass man vergaß, die eigene Infektion mitzuteilen? Ängste vor Ausgrenzung wurden sichtbar. Dazu gab es ein paar nützliche Hinweise, wie etwa in einer fremden Großstadt sich bei Gelegenheitsbegegnungen in der Offenheit zu üben, ohne gleich vor Ort in der Kleinstadt das Leben als Aussätziger befürchten zu müssen. Das Internet als Möglichkeit mit einem Zweitprofil eine Sprache für den Umgang mit HIV zu finden, ohne sich gleich in größerem Rahmen zu den Viren zu bekennen tauchte in den Beschreibungen der individuellen Wege auf.

Es wurde von den Erfahrungen mit der Angabe „Safer Sex nach Absprache“ im Chatprofil berichtet. Von den HIV-Positiven wurde das als ernsthaftes Gesprächsangebot über die konkreten Bedingungen der Sexualität verstanden, wenn es auch durchaus vorkommt, dass User mit dieser Selbstbeschreibung HIV-Positive als Sexualpartner ablehnen. Immerhin erspart man sich unliebsame Begegnungen und frustrierende Erlebnisse auf der Bettkante. Zur Klärung der wechselseitigen Wünsche und Erwartungen trägt es jedenfalls oft bei. Als Mythos entpuppte sich die oft zu hörende Klage, bei einem Wunsch nach Kondom werde man als Sexualpartner zurückgewiesen. Das mag ja im Einzelfall mal vorkommen, bei der Verabredung von kondomfreien Events sicher häufiger, aber die Grundstimmung war, dass es konkrete eigene Erlebnisse kaum zu berichten gab. Auf diese Begegnung könne aber auch gut verzichtet werden.

Durch den ganzen Workshop zog sich die Einsicht, dass es mit der Entängstigung der Positiven , die ihm Rahmen der Behandlung gut informiert werden und den Negativen, die in Masse mit den entlastenden Faktoren weniger vertraut sind, durch die Entwicklungen der Medizin nicht getan ist. So wurde vielfach der zögerliche Umgang mit der bis zur Unkenntlichkeit verschwindenden Infektiosität durch erfolgreiche Therapien verurteilt. Er verstärkt die Stigmatisierung HIV-positiver Menschen, sei es durch sich selbst oder durch die Umwelt, und erschwert den Positiven das Coming Out. Die vielfach geäußerte Befürchtung, die breite Kommunikation würde zu einer Gleichgültigkeit führen, fand in den Beiträgen der WorkshopteilnehmerInnen keine Nahrung. Im Gegenteil. Es wird noch lange dauern, bis ein gelassenerer Umgang mit der eigenen Infektion sich durchsetzt und den Blick auf die Ängste der Partner öffnet.

Interessant waren die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Bedeutung des Einbringens eines Verlangen nach Safer Sex. Aus der Sicht der HIV Negativen war es kein Problem, aus der Sicht der Positiven ging es einher mit der Überlegungen vom Schutz vor allen möglichen zusätzlichen Infektionen bis hin zur Befürchtung, dass damit ein Nachfragen provoziert werde, „Bist Du eigentlich positiv?“. Was man natürlich mit der Gegenfrage beantwortet könnte, ob denn der andere seit drei Monaten vor seinem letzten negativen Testergebnis gesichert keine ungeschützten Kontakte hatte, wenn er so auf den Wunsch nach Kondomgebrauch reagiert.
Der Wunsch nach einverständlichen Handlungen auf der Basis gut kommunizierter Schutzbedürfnisse (auch vor STIs) stand für alle TN im Vordergrund. Nicht Angst sei immer der wichtigste Motor, sondern vielmehr Achtsamkeit oft das passende Wort.

Es wurde von der Strategie berichtet, sich als HIV-infizierter Mensch auf positive PartnerInnen zu beschränken, wobei die Wege der Liebe und der Anziehung jedoch häufig andere Optionen wünschenswert erscheinen lassen. Die vielen serodifferenten Partnerschaften legen davon Zeugnis ab und auch davon, dass es eben keine durchgängige Ausgrenzung HIV-positiver Menschen gibt.

Kommunikation und Respekt sind für alle Beteiligten gute Ratgeber. Das Sprechen über Sexualität ist möglich. Es steht zu vermuten, dass die TeilnehmerInnen gestärkt aus dem Workshop herausgegangen sind. Dass dies im Sinne der Kampagne der Deutschen Aids Hilfe „Ich weiss was ich tu“ beispielhaft war, steht außer Frage.

Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz