Gewalt ist kein ethnisches Problem, sondern ein soziales

Welche Ursachen hat Jugendgewalt? Ist sie ein ethnisches oder ein soziales Problem? Und wie damit, wie mit homophober Gewalt umgehen? Gedanken des Sozialforschers Bernd Holthusen sowie der Künstler Elmgreen/Dragset, Schöpfer des ‚Homo-Mahnmals‘.

Der Sozialforscher Bernd Holthusen (Deutsches Jugendinstitut München) äußerte sich Ende Dezember 2008 zur Frage der Jugendgewalt.

Auf die Frage „Sind vor allem junge Ausländer gewalttätig, wie viele behaupten?“ antwortet Holthusen der SZ:

„So pauschal ist diese Aussage nicht richtig. Es gibt ja nicht ‚die jungen Ausländer‘, sondern vielmehr unterschiedliche Gruppen von Jugendlichen mit sehr unterschiedlichen Migrationshintergründen. Hier gilt es, sehr genau zu differenzieren. Sowohl in den Hellfeldstatistiken, als auch in verschiedenen empirischen Dunkelfeldstudien zeigen sich stärkere Gewaltbelastungen in bestimmten Gruppen. Zunächst muss konstatiert werden, dass Jungen häufiger mit Gewalt auffallen als Mädchen. Auch zeigen sich Jugendliche mit türkischem Migrationshintergrund in einer Studie des kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen wesentlich stärker belastet als Jugendliche ohne Migrationshintergrund. Diese Jugendlichen haben auch häufiger selbst Gewalt in der Familie erfahren oder beobachten müssen, und sie stimmen gewaltlegitimierenden Männlichkeitsnormen eher zu. Gleichzeitig zeigen die Studien aber auch, dass diese Jugendlichen häufiger an Hauptschulen sind und aus sozial belasteten Familien stammen. Werden diese Faktoren berücksichtigt, also Jugendliche mit und ohne Migrationshintergrund aus ähnlichen sozialen Verhältnissen, relativieren sich die Unterschiede. Verkürzt könnte man sagen: Gewalt ist kein ethnisches Problem, sondern eines der sozialen Lage.“

Bernd Holthusen, Sozialforscher, im Interview in der SZ (Teil ‚München/Bayern‘) am 29.12.2008 im Artikel „Vor einem Jahr wurde ein Pensionär in der U-Bahn halbtot geprügelt – ‚Jugendgewalt ist kein ethnisches Problem‘ – Sozialforscher Bernd Holthusen über Schläger wie Serkan A. und die schwierige Rolle der Hauptschulen“.

Michael Elmgreen und Ingar Dragset, Schöpfer des bereits mehrfach beschädigten Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen,  äußern sich in ‚Cicero online‘ zur Frage homophober Gewalt.

„Für die Angriffe der letzten Zeit wurden häufig Jugendliche mit Migrantenhintergrund verantwortlich gemacht…
Dragset: Ich finde es sehr gefährlich, das so auf eine Gruppe zu beschränken. Man kann auf keinen Fall sagen, dass Homophobie nur mit Herkunft oder Religion zu tun hat.
Elmgreen: Ich glaube, Berlin hat in den letzten Jahren einige soziale Umwälzungen erlebt. … Ich glaube, dass das ein soziales Problem ist, das vor allem mit Arbeitslosigkeit und niedriger Bildung zu tun hat, vielleicht auch mit religiösen Überzeugungen, aber sicherlich nicht in erster Linie.“

Und weiter:

„Was war Ihr erster Gedanke, als Sie erfahren haben, dass das Mahnmal beschädigt worden ist?
Dragset: Wir waren nicht überrascht.
Elmgreen: Das Video in dem Mahnmal zeigt zwei Männer, die sich leidenschaftlich küssen. Das Mahnmal wird – zum Glück! – nicht bewacht. Es hat eine Menge mediale Aufmerksamkeit erfahren, als es eröffnet wurde. Und es ist ein akzeptierter Teil der Stadt geworden. Natürlich wird sich irgendjemand davon provoziert fühlen, der dann glaubt, er müsste irgendwie zeigen, dass er anders denkt. Aber natürlich war dieser Angriff auf das Mahnmal ziemlich dämlich: denn danach wurde es noch mehr beachtet, es wurde noch mehr darüber geschrieben und noch mehr Leute wurden so darauf aufmerksam gemacht. Der Effekt war also kontraproduktiv. Und ich finde es sowieso besser, wenn diese Leute das Mahnmal kaputtmachen, als wenn sie schwule Männer angreifen.
Dragset: An dem Montag nach dem Angriff gab es eine große Demo, und es waren sogar mehr Politiker da als bei der Eröffnung. Und bisher ist ja auch nichts weiter passiert. Wir nehmen das mit Gelassenheit, wir kennen das auch von anderen Aktionen: Dinge passieren, es wird immer Leute geben, die etwas gegen Kunst im öffentlichen Raum haben, diese Werke sind einfach exponierter und damit auch verletzlicher.“

Auch wenn Holthusen sich in dem SZ-Interview allgemein zu Jugendgewalt, nicht explizit zu homophoben Gewaltattacken äußert – der Hinweis, dass nicht ethnische Fragen sondern die soziale Lage im Vordergrund stehen, könnte (statt manches Mal nur mühsam verborgener Ausländerfeindlichkeit) auch in der Debatte um Gewalt gegen Schwule und Lesben stärker berücksichtigt werden – auch von homosexuellen Mit-Diskutanten.

Elmgreen/Dragsets Appell zu einer gewissen Gelassenheit überzeugt – Angriffe gegen das ‚Homo-Mahnmal‘ rein als ethnisches Problem zu betrachten könnte sich nur zu schnell als Sackgasse erweisen. Zudem – Gewalt-Akte gegen das Denkmal machen auch sichtbar, dass homophobe Gewalt immer noch Realität, Handeln erforderlich ist.