Ein fast normales Leben

Gedanken beim Fernsehkonsum, über Familie, Normalität – und HIV.

Eine Wiese, ein Mann am Grill, eine Mutter mit ihren zwei spielenden Kindern.
Ein Studio in Köln, eine Mutter, ein Vater, eine Expertin von der Aidshilfe, ein Mediziner.

Was hat die Familien-Idylle des ersten Bildes mit dem Studio-Gespräch der zweiten Szene zu tun?

Die glückliche Familien-Idylle spielt in einer besonderen Familie. Michèle Meyer ist HIV-positiv, ihr Mann Mic HIV-negativ. Ihr gemeinsames (zweites) Kind ist auf natürlichem Weg gezeugt worden.

Eine HIV-positive Mutter. Die offen mit ihrem HIV-Status umgeht. Ein HIV-negativer Partner und Vater. Und dennoch ein Kind? Und natürlich geboren? Und gar natürlich gezeugt? Ohne Kondom?

Konflikt- und Skandalisierungs-Potential genug.

Und doch: es eine fast ganz normale Familie, die in Film und Studio ruhig und souverän über ihr normales Leben berichtet.

Erzählt über die HIV-Infektion, über das Leben mit HIV, über die Kinder, über Erfolge der antiretroviralen Therapie, darüber dass aufgrund dieser Erfolge unter bestimmten Bedingungen die sexuelle Infektiosität auf ein vernachlässigbares Risiko reduziert sei.

Mein Eindruck: die eigentliche Botschaft dieser Sendung, diejenige Botschaft, die ich für die zentrale, wichtige halte, war und ist diese:

Es ist möglich, mit HIV fast ganz normal zu leben.

So „fast normal“, wie die meisten von uns wohl nur „fast“ normal sein wollen, um uns andererseits unser Stückchen Individualität zu retten. Und so „fast“ normal, wie es ein Virus, das manchmal nervt und stört, eben zulässt.

Aber um so viel normaler, als Medien, Staatsanwälte, Politiker wahrhaben wollen. Um so viel mehr, als das Bild, das sie von uns in der Öffentlichkeit zeichnen.

Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – nicht immer, nicht für jede und jeden HIV-Infizierten, aber doch für viele (in den Industriestaaten). Es ist möglich, dass die Umwelt mit unserem HIV normal lebt.
Es ist möglich, mit HIV fast normal zu leben – auch dank des Statements der EKAF, und dessen Umsetzung in reales Leben.

Und das trotz einer „spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität“, wie Michèle selbst es bezeichnet hat, einer Art von Realität wie sie erst jüngst wieder (nicht nur) bei den Medien-Kampagnen anlässlich der Verhaftung einer Sängerin erlebbar war.

Sich dem gegenüber diese „Normalität“ im eigenen Leben zurück zu erkämpfen, zu erobern, sie anderen vorzuleben und auch öffentlich zu zeigen, das ist für mich das eigentliche Verdienst, die eigentliche Leistung, nicht nur dieses Beitrags, sondern von Michèle und Mic.

Damit zeigen Michèle und Mic noch eines:
Fast normal mit HIV zu leben ist möglich – unter anderem, wenn frau und man es will, sich dafür einsetzt. Sich dafür einsetzt, die eigene Lebensrealität zu verändern, zu verbessern.

„Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen“ – genau das ist es, was wir fordern. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ein fast normales Leben mit HIV.

weitere Informationen:
Michèle Meyer im Interview auf ondamaris: „der Weg in eine Normalität
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