Kriminalisierung von HIV – aus Angst und Abscheu?

Was bewegt gerade schwule Männer, eine Kriminalisierung von HIV zu fordern? Eine britische Studie kam zu aufschlussreichen Ergebnissen, bis zu „Angst und Abscheu“.

Die fahrlässige HIV-Infektion eines Sexpartners müsse auch mit Mitteln des Strafrechts verfolgt werden, diese Meinung ist immer wieder häufig zu hören. Gerade in Zeiten von Medienhypes wie jüngst nach der Verhaftung einer Sängerin sind oftmals sogar Rufe nach Verschärfungen bestehender Gesetze zu hören.

Gegen die Verbreitung von HIV müsse auch mit den Mitteln des Strafrechts vorgegangen werden, diese Haltung vertreten gerade auch Homosexuelle nicht nur gelegentlich. In Großbritannien ist sogar die Mehrzahl der Homosexuellen dieser Ansicht, wie eine britische Studie zeigte.

Experten verschiedenster Organisationen von Aidshilfe bis UNAIDS betonen seit langem, dass das Strafrecht nicht als Mittel der HIV-Prävention taugt. Woher also diese Haltung, in dieser Häufigkeit?

Der Studie „sexually charged“ zufolge befürworteten 57% der Befragten die Strafverfolgung und Inhaftierung von Menschen, die leichtsinnig einen Sexpartner mit HIV infizieren.

Sigma Reserach: Sexually Charged
Sigma Reserach: Sexually Charged

Die Studie zeigte, dass Männer, die sich noch nie auf HIV testen ließen, diese Ansicht besonders häufig vertreten (63,5%). Männer, die angaben HIV-negativ zu sein, befürworteten diese Ansicht zu 56,3%.
Besonders hoch war die Zustimmung zu Strafverfolgung bei Menschen unter 30 Jahren; bei Menschen mit höherer Bildung (Universität) war die Zustimmung zu Strafverfolgung niedriger als bei Menschen mittlerer oder schlechterer Bildung.

Hingegen zeigten sich kaum Unterschiede hinsichtlich ethnischer Kriterien. Allerdings war eine Befürwortung von Kriminalisierung häufiger als Einstellung anzutreffen bei Männern, die Sex mit Männern und Frauen haben, als bei Männern, die angaben ausschließlich homosexuell zu sein. Je mehr Sexpartner ein Mann im letzten Jahr hatte, desto eher lehnte er eine Kriminalisierung ab.

Männer, die Kriminalisierung befürworteten, waren oftmals auch der Ansicht, der HIV-Positive sei in der alleinigen Pflicht, eine HIV-Übertragung zu verhindern. Einer der Befragten brachte seine Ansicht auf den Punkt „wenn du einmal HIV hast, ist es von da an deine Pflicht dafür zu sorgen, dass du es nicht weitergibst“.

Zudem zeigten die Kriminalisierungs-Befürworter überwiegend deutlich stigmatisierende Ansichten über HIV und hatten kaum zutreffende Ansichten über die Wirksamkeit moderner antiretroviraler Therapien. Viele Befragte gaben als Grund für ihre Ansichten an, eine HIV-Infektion sei immer noch tödlich; einige bezeichneten die Übertragung von HIV als Mord.

Im Rahmen des jährlichen „Gay Men’s Sex Survey“ wurden die Teilnehmer im Jahr 2006 unter anderem auch zu ihren Einstellungen zur Strafverfolgung bei HIV-Übertragung befragt. Insgesamt 8.152 Männer beantworteten die diesbezüglichen Fragen.
Eine Mehrheit dieser Männer (57%) äußerte, es sei „a good idea to imprison people who know they have HIV [and] pass it on to sexual partners who do not know they have it“. Nur 26% lehnten diese Aussage ab, und 18% hatten keine Meinung.

Die Autoren der Studie betonten, aus der Studie ließen sich wichtige Konsequenzen für die weitere HIV-Prävention ableiten. Insbesondere wiesen sie darauf hin, dass die überwiegende Mehrheit der Männer, die eine Kriminalisierung von HIV befürworteten, der Ansicht seien, HIV sei unabwendbar tödlich.
Die Forscher äußerten die Befürchtung, dass ein Aufrechterhaltend dieses Bildes vom „tödlichen Aids“ dazu beitrage, die Stigmatisierung von HIV aufrecht zu erhalten. Dies wiederum beeinträchtige das Umfeld, in dem Prävention stattfinde.

Zudem wiesen die Forscher darauf hin, dass ein Großteil der Männer, die Kriminalisierung befürworten, auch der Ansicht seien, der HIV-Positive sei verpflichtet, dem Sexpartner seine HIV-Status offen zu legen. Angesichts der Tatsache, dass etwa ein Drittel der HIV-Infizierten nicht von ihrer eigenen Infektion wüssten, zudem viele Positive vor einem Offenlegen zurückschreckten, erweise sich diese Meinung als unrealistisches Modell.

Die Autoren der Studie kamen zu dem Schluss, die Realität des Lebens mit HIV werden vielfach immer noch falsch wahrgenommen. Angst und Abscheu, mit der Männer, die Kriminalisierung befürworten, diese „anderen Schwulen“ betrachten, seien offensichtlich. Die Veränderung von HIV und Leben mit HIV sei und bleibe eine der großen gegenwärtigen Herausforderungen.

Die Ansichten, die die Forscher in Großbritannien untersuchten, sind auch bei uns zu finden, ob bei Homo- oder Heterosexuellen. Bedeutender noch, sie sind auch bei Staatsanwälten, Richtern und Politikern zu finden, wie Ermittlungsverfahren und Gesetzesinitiativen immer wieder zeigen.

Ein Grund mehr also, dass sich auch Aids-Hilfen und HIV-Positive mit der Frage beschäftigen sollten, welche Haltungen Menschen dazu bringen, eine Kriminalisierung von HIV zu fordern.

Einen der Wege, mit dieser Situation umzugehen, sie vielleicht aufzubrechen, haben die Forscher implizit aufgezeigt: Bilder des Lebens mit HIV zeigen. Bilder eines Lebens, das inzwischen facettenreicher, vielfältiger geworden ist – und bei weitem nicht nur von Tod und Leid geprägt ist. Bilder vom Leben mit HIV – wer könnte sie treffender zeigen als HIV-Positive selbst?

weitere Informationen:
aidsmap 26.01.2009: Ignorance and stigma provide foundation for gay men’s support of criminalisation of HIV transmission
sigma research: Sexually charged: the views of gay and bisexual men on criminal prosecutions for sexual HIV transmission (pdf)
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2 Gedanken zu „Kriminalisierung von HIV – aus Angst und Abscheu?“

  1. Erschreckend das 25 Jahre nach HIV immer noch oder schon wieder eine solche Haltung in vielen Köpfen existiert. HIV zu ent-kriminalisieren und zu ent-diskriminieren gehört nicht nur zu dem Aufgabenbereich der Aidshilfen sondern ist in erster Linie ein Thema der Politk. Hier wäre die Politik gefordert vorausgesetzt es wäre der Politik – den Politikern ein tatsächliches Anliegen, Kriminalisierung, Stigmatisierung und Diskriminierung entgegegen zu wirken. Das sehe ich jedenfalls nicht. Bis auf wenige Ausnahmen haben sich ja gerade im jüngsten Fall der Sängerin nur eine wenige Politker und den damit verbunden Forderungen wie sie die DAH anführte geäußert. Bis auf Absichtserklärungen und blumigen Reden zu Jubiläen oder dem WAT kommt nichts aus der Politik. Da stellt sich mir schon die Frage welche Haltung die Politik tatsächlich einnimmt? Interessant wäre es mal zu wissen welche Haltung auf EU Ebene herrscht. Was ich wahrnehme ist da eher eschreckend als das es Hoffnung macht das es sich ändern – besser werden könnte.

    Einen der Wege, mit dieser Situation umzugehen, sie vielleicht aufzubrechen, haben die Forscher implizit aufgezeigt: Bilder des Lebens mit HIV zeigen. Bilder eines Lebens, das inzwischen facettenreicher, vielfältiger geworden ist – und bei weitem nicht nur von Tod und Leid geprägt ist. Bilder vom Leben mit HIV – wer könnte sie treffender zeigen als HIV-Positive selbst?

    Im Grunde genommen gebe ich Dir recht. Doch leider beißt sich die Katze hier in den Schwanz. Alltag mit HIV – Bilder vom Leben mit HIV heißt sich zu bekennen. Wer sich bekennt der bietet in gleichem Maße eine Angriffsfläche dar. Im Fall von HIV überwiegt immer noch bei vielen die Angst vor möglichen persönlichen Nachteilen wenn sie sich (zu sich selbst) bekennen.

    HIV im Altag – ist nach wie vor mit einer Sisyphusarbeit verbunden. Da gilt es für jeden Einzelnen sich seiner (Verlust) Ängste bewußt zu werden. Es braucht Mut zur Überwindung von Ängsten und vor allem eine gehörige Portion Selbstbewußtsein.

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