Zwei Drittel der HIV-Infizierten in Deutschland arbeiten. Sie sind mit vielfältigen Problemen konfrontiert. Ein Gastbeitrag von Christian Kranich von der Münchner Aids-Hilfe:
HIV am Arbeitsplatz
oder
40.000 HIV-positive Menschen in Beschäftigung
Nur wenige Krankheiten haben sich in den letzten Jahren so rasant verändert wie Aids. Während früher – leider viel zu viele – Menschen mit HIV an Aids verstarben, hat sich seit Einführung der Kombinationstherapie im Jahr 1996 vieles verändert. Die Lebenserwartung von HIV-positiven Menschen ist mittlerweile annähernd identisch mit der von gesunden Menschen. 2/3 der ca. 63.000 HIV-infizierten Menschen in Deutschland gehen einer Arbeit nach. Dies ist annähernd der gleiche Anteil wie in der gesunden Normalbevölkerung.
Diese Entwicklung hat das Thema „Aids und Arbeit“ nachhaltig verändert. Während früher „Ausstieg aus dem Erwerbsleben“ und „Berentung“ im Vordergrund unserer Arbeit standen, gilt es heute HIV-positive Menschen über die gesamte Dauer ihres Erwerbslebens zu begleiten. Heute diskutieren wir mit den Ratsuchenden die Frage, ob man sich am Arbeitsplatz outen soll oder besser nicht? Wir begleiten beim Stellenwechsel und bei der Angst vor medizinischen Erstuntersuchungen und helfen einen individuell passenden Umgang am Arbeitsplatz mit der chronischen Erkrankung HIV zu finden. Gegebenenfalls vermitteln wir auch an Rechtsanwälte, wenn es gilt, Diskriminierung und beispielsweise eine ungerechtfertigte, rechtswidrige Kündigung abzuwehren auf Grund von HIV beziehungsweise vorgeschobener andere Gründe.
Auch Arbeitslosigkeit ist für uns ein Thema. So gibt es für Langzeitarbeitslose Menschen mit HIV seit 1997 spezielle Angebote in der Münchner Aidshilfe, um sie bei der Rückkehr in den 1. Arbeitsmarkt zu unterstützen.
Viel zu wenige Menschen wissen, dass es nahezu keine Einschränkungen für HIV-positive Menschen am Arbeitsplatz gibt. Bei dem Einhalten der selbstverständlichen Hygiene-Schutzbestimmungen besteht für niemanden eine Ansteckungsgefahr. So kann ganz normal beim Friseur, im Service oder Küche eines Restaurants und auch im Krankenhaus in der Pflege gearbeitet werden, steht einer Beschäftigung an sich nichts im Wege. Einzige Einschränkungen sind – aufgrund erhöhter Verletzungsgefahr bei invasiven Tätigkeiten an offenen Wunden – Tätigkeiten im Operationssaal und das gesetzlich festgeschriebene Berufsverbot bei Piloten.
Das größere Problem – als die real nicht vorhandene Ansteckungsgefahr – stellen die unbegründeten Ängste vor einer Infektion am Arbeitsplatz dar. Die Unaufgeklärtheit der Gesamtbevölkerung und die damit einhergehenden irrationalen Ängste vor einer Infektion sind der Motor der Diskriminierung von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz.
Da keine Ansteckungsgefahr besteht, muss in einer Bewerbungssituation niemand sagen, dass sie/er HIV-positiv ist. Auf Nachfrage kann gelogen werden. Lediglich wenn die Arbeitsfähigkeit für die verlangte Tätigkeit eingeschränkt ist besteht Mitteilungspflicht. Ein Beispiel für Mitteilungspflicht wäre die Bewerbung als Busfahrer/in und dass Nebenwirkungen eines Medikamentes Müdigkeit verursacht, so dass die Steuerung eines Fahrzeugs unmöglich ist.
Für Ärzte besteht bei der medizinischen Erstuntersuchung bei Neueinstellungen übrigens Schweigepflicht, insbesondere auch gegenüber dem Arbeitgeber! Ferner besteht für den Arzt grundsätzlich keine Notwendigkeit nach HIV zu fragen oder eine Testempfehlung abzugeben. Sollte dennoch ein HIV-Test durchgeführt worden sein und dieser positiv ausfallen, empfiehlt sich die selbstbewusste Frage, ob der Arzt gedenke, dies im Widerspruch zur gesetzlichen Regelung (Schweigepflicht) weiterzugeben. Einzige Ausnahme wäre hier eine betriebliche Vereinbarung, aber diese besteht in den allermeisten Fällen nicht, da es an sich keinen gesetzlich verwertbaren Grund gibt, warum eine Firma keinen HIV-positiven Arbeitnehmer beschäftigen sollte.
Auffällig ist, dass überraschend viele der Betroffenen ihr Testergebnis am Arbeitsplatz erfahren. Dies ist eine sehr schwierige Situation. Da der Betroffene in diesem Schockzustand meist hilfebedürftig ist, kann aus Gründen der Überforderung häufig nicht die notwendige Aufklärung unter den Kollegen geleistet werden. Dies kann dazu führen, dass die Belegschaft in ihrer eigenen Verunsicherung panisch und mit Ausgrenzung reagiert. Für einen HIV-positiven Menschen stellt sich häufig die Notwendigkeit bei einer Offenbarung des Testbefundes, steuernd mit zu agieren. Dies gilt gleichermaßen im privaten wie im beruflichen Kontext. Entfällt diese Fähigkeit zur Mit-Steuerung auf Grund der dargestellten Umstände, entsteht häufig Beratungs- und Unterstützungsbedarf bei den Betroffenen, um ihre Situation am Arbeitsplatz arrangieren zu können. Eine diesbezügliche Unterstützung hat unmittelbar und schnell zu erfolgen, um möglichen größeren Schaden schon frühzeitig abzuwenden und deeskalierend zu wirken. Hier steht die Münchner Aids-Hilfe unterstützend zur Seite.
Zentrales Thema bei HIV in der Arbeitswelt bleibt die Frage nach der besseren Lösung: Outen am Arbeitsplatz oder lieber nicht? Als Aids-Aktivist der ersten Stunde mache ich keinen Hehl daraus, wie sehr ich es politisch begrüßen würde, wenn sich mehr mutige HIV-positive Menschen zur Sichtbarkeit am Arbeitsplatz entscheiden würden. Ich bin der Überzeugung, dass wir HIV-positive Vorbilder im Erwerbsleben brauchen. Es lässt sich dennoch kein „guter Rat“ auf Grundlage der gemachten Erfahrungen von Menschen mit HIV am Arbeitsplatz generieren. Unwiderlegbar bleibt leider auch der Fakt, dass Menschen nach einem Outing – unabhängig, ob gewollt oder fremdbestimmt – rechtswidrig gekündigt werden. Selbsthilfegruppen HIV-positiver Arbeitnehmer und die Münchner Aids-Hilfe sind bei der Entscheidungsfindung gute Gesprächspartner. Umso mehr Sichtbarkeit heute bei diesem Thema erzeugt wird, umso leichter wird es für all diejenigen werden, die nachfolgen wollen. Hier bleibt das politische Selbstverständnis jedes Einzelnen gefragt.
Christian Kranich
Münchner Aids-Hilfe
Leitung Arbeit und Beschäftigung
Und wieder taucht dieser Satz auf: „Ein Beispiel für Mitteilungspflicht wäre die Bewerbung als Busfahrer/in und dass Nebenwirkungen eines Medikamentes Müdigkeit verursacht, so dass die Steuerung eines Fahrzeugs unmöglich ist.“
Ich bezweifele die als generell gültig dargestellte Richtigkeit. Die HIV-Infektion an sich ist für berufsmäßige Busfahrer doch nicht mitteilungspflichtig!
Erst wenn Medikamente eingenommen werden, die das Fahrvermögen durch Müdigkeit und/oder Konzentrationsminderung beeinträchtigen, tritt der Ausnahmefall ein und dann sind aber ALLE Medikamente gemeint (nicht nur HIV-Medis) und das hat mir HIV somit nur indirekt zu tun.