Ein internationaler Pharmakonzern senkt den Preis für ein Aids-Medikament. Nicht etwa in Afrika, wie es gelegentlich vorkommt, um mehr Menschen den Zugang zu wirksamen Aids-Therapien zu erleichtern. Nein, der Preis für das Medikament (es geht nicht um Hersteller oder Produkt, also nennen wir es hier „Contra-Vira“) wurde in Europa, genauer in Deutschland gesenkt,und um immerhin rund 15 Prozent.
Der Hersteller des Medikaments kommentiert die „freiwillige Preissenkung“ sich selbst lobend in einer Pressemitteilung wie folgt:
„Mit der Preissenkung zeigen wir soziale Verantwortung, denn wir leisten unseren Teil innerhalb des Gesundheitssystems. Wir entlasten die Krankenkassen finanziell und nehmen den Ärzten ein Stück weit die Angst vor Arzneimittelregessen, wenn Sie XXX als Behandlungsoption einsetzen möchten.“
Verwundert reiben wir uns die Augen. Die Pharma-Industrie – doch ein Hort von Altruismus, ein Freund der Krankenversicherung und der armen Aids-Kranken? Hat die vereinte Lobbyismus-Maschinerie der Pharmawirtschaft von Y bis Z doch recht? Die Pharmaindustrie – eine altruistische Veranstaltung voller sozialer Verantwortung, einzig für den Nutzen von uns Patienten (nun gut, und der Krankenkassen, und der Ärzte, und … ach ja, der Aktionäre)?
Die (prinzipiell begrüßenswerte) Preissenkung, dies vorweg, sie war, obwohl verkündet am 30. März, wohl kein vorgezogener April-Scherz. Und trotz nahender Feiertage auch kein Akt österlichen Erbarmens.
Doch was mag einen Pharma-Konzern bewegen, den Preis für ein Medikament freiwillig zu senken? Wo er doch in Deutschland in der komfortablen, ja geradezu luxuriösen Situation ist, den Preis für Medikamente völlig frei, allein nach eigenem Gusto festsetzen zu können?
Schauen wir uns die Situation an.
Zunächst fällt auf: Contra-Vira ist nur eines unter vielen Medikamenten. Und wenn es auch aus einer neuen Klasse von Medikamenten stammt, so sind ihm doch in ihrer Wirksamkeit die besten Medikamenten anderer Klassen durchaus ebenbürtig. Zudem, schon bald könnten weitere Substanzen eben dieser neuen Wirkstoff-Klasse zugelassen werden.
Contra-Vira hat zudem eine Eigenschaft, die zumindest von Marketing-Strategen den Konsumenten, also uns Patienten, als Nachteil verkauft wird: es muss zweimal täglich eingenommen werden. Bei Produkten mancher Wettbewerber hingegen reicht eine einmal tägliche Einnahme.
Contra-Vira war zunächst nur für Patienten zugelassen, die bereits einige „Therapie-Erfahrung“ haben, wie die beschönigende Umschreibung des Medizinbetriebs für die Situation lautet, dass bereits eine oder mehrere Medikamente gegen HIV beim Patienten versagt haben, seine/ihre Ängste angesichts der Frage noch verfügbarer wirksamer Therapien gestiegen sind.
Der lukrative Markt hingegen sind weniger diese „therapieerfahrenen“ HIV-Positiven, sondern die derzeit in Deutschland noch große Zahl der so genannten „therapienaiven“ Patienten (wobei hier nicht diskutiert werden soll, wie viel Naivität tatsächlich darin liege, etwa nicht in jeder Situation sofort mit einer dann lebenslangen Medikamenteneinnahme zu beginnen).
Nun fügt es sich, dass zufällig gerade erst, am Rande einer Konferenz, wenige Wochen vor der bemerkenswerten Preissenkung, die Therapie-Richtlinien für diese „therapienaiven“ Patienten aktualisiert wurden. Und siehe da, da Contra-Vira ein wirksames und meist gut verträgliches Medikament ist, findet es sich nun auch auf der Liste der empfohlenen Medikamente für „therapienaive“ HIV-Positive.
Einzig, die Liste allein macht noch keinen Umsatz. Und es bleibt ja immer noch das Problem mit der zweimal täglichen Einnahme. Zudem, Contra-Vira ist bisher deutlich höher im Preis angesiedelt (die Hausfrau übersetzt: teurer) als Produkte der Wettbewerber. Das mag die Mehrzahl der Patienten in Deutschland wenig interessieren – den Arzt betrifft es schon. Ist er doch zu wirtschaftlicher Therapie angehalten, müsste abweichende Verordnungen begründen. Und wie begründet er es, ein Medikament zu verschreiben, das zwar nicht besser, wohl aber deutlich teurer ist? „Regress“ (sprich: die Kasse lässt sich den vermeintlichen Schaden vom Arzt erstatten), diese Wort mag ihm drohend in den Ohren klingeln – und ihn vom Verordnen von Contra-Vira potentiell abhalten.
Hinzu kommt, der Gesundheitsminister möchte – wie nahezu alle seine Vorgängerinnen und Vorgänger – die Kosten im Gesundheitswesen senken. Und hat als einen der Kostentreiber die Ausgaben für Medikamente identifiziert. Er hat auch ein Werkzeug entdeckt, der steigenden Medikamenten-Kosten Herr zu werden (oder: es zu versuchen): die Möglichkeit der Kosten-Nutzen-Betrachtung. Medikamente, wenn höher im Preis, müssen auch wirksamer sein, so vereinfacht der Grundgedanke dieses Prinzips. Wie mag Contra-Vira sich bei diesen Kosten-Nutzen-Überlegungen positionieren, mit seinem höheren Preis?
Zudem: wer heutzutage als HIV-Positiver zum ersten mal eine Therapie gegen HIV beginnt, der hat die Auswahl unter mehreren Alternativen an Kombinationen von Wirkstoffen. Und unter diesen Alternativen sind attraktive Angebote, zum Beispiel „drei Wirkstoffe in einer Pille, einmal am Tag einzunehmen“ oder „zwei Pillen, einmal am Tag einzunehmen“, oder ganz banal „Pillen, günstiger im Preis als Contra-Vira“. Ein Quattro soll zudem gar vor der Tür stehen, vier auf einen Streich, einmal am Tag.
Selbst wenn die Empfehlungen, welche Kombinationen für die erste Therapie gegen HIV eingesetzt werden sollten, nun so sind, dass auch Contra-Vira zum Zuge kommen könnte (und dem Hersteller entsprechende Umsätze generieren könnte), die Wettbewerbs-Position von Contra-Vira scheint schwierig. Wirkung vergleichbar, dabei aber teuer, und dann zweimal am Tag einzunehmen? Das macht ein Medikament trotz geänderter Empfehlungen nicht eben attraktiv. Sparsame Kassen, ein nachdenklicher Gesundheitsminister? Das klingt nicht nach guten Rahmenbedingungen. „Da müssen wir was tun …“
Und so erklärt sich die wundersame vor-österliche Preissenkung, von der eigenen Öffentlichkeitsarbeit des Pharmakonzerns verbrämt als Ausdruck „sozialer Verantwortung“, als ganz simpler Schritt des Marketings, der Markt-Erschließung, der Stärkung der Wettbewerbs-Position, des Eingehens auf gesundheitspolitische Fragen. Senken wir den Preis auf den des Wettbewerbs, und ein ‚Nachteil‘ und potentielles Risiko von Contra-Vira ist schon mal entschwunden. Zudem ist einem drohenden gesundheitspolitischen Argument, der Kosten-Nutzen-Problematik, halbwegs begegnet.
Oh Patienten, kommet – oh Umsätze, steiget. Nicht mehr. Und nicht weniger. Es geht um Umsatz, und nicht soziale Verantwortung.
Ein Gedanke zu „Das österliche Preis-Wunder – ein Akt „sozialer Verantwortung“?“
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