Die Reisefreiheit von HIV-positiven Menschen wird noch immer stark eingeschränkt. 66 Länder erschweren ihnen Einreise und Aufenthalt. In 31 droht Einwanderern die Abschiebung, sobald ihr HIV-Status bekannt wird. Das verstößt gegen grundlegende Menschenrechte und behindert die HIV-Prävention. Der Sozialwissenschaftler Peter Wiessner erklärt warum.
Herr Wiessner, noch immer schränken 66 Länder die Reisefreiheit von Menschen mit HIV ein, um die Ausbreitung von HIV zu verhindern…
…da hoffen die 66 Länder vergeblich. Ursache dieser Maßnahmen sind überholte Vorstellungen von HIV und Aids. Die meisten dieser Gesetze wurden geschaffen, als man wenig über die Übertragungswege von HIV wusste. Zwangstests und Isolation der Infizierten sind Strategien, die bei HIV ins Leere laufen. HIV hat vollkommen andere Übertragungswege als zum Beispiel Tuberkulose oder SARS.
Was versprechen sich diese Staaten dann davon?
Das Problem ist, dass diese Restriktionen eine einfache Lösung für ein sehr umfassendes Problem anbieten. Die Staaten versprechen sich einen Schutz, und sie wollen die Kosten für ihre Gesundheitsbudgets niedrig halten. Beides ist ein Mythos: Länder ohne HIV-spezifische Einreisebestimmungen beobachten weder einen „Behandlungstourismus“, noch steigen die Infektionszahlen. Safer-Sex- oder auch Safer-Use-Regeln gelten für Touristen genauso wie für Gesetzgeber, Einheimische und Menschen mit Migrationshintergrund.
In vielen dieser Staaten müssen Migranten zwangsweise einen HIV-Test machen lassen.
Das ist kontraproduktiv. Ein internationaler Standard lautet: HIV-Tests nur freiwillig und nach einer Beratung durchführen! Dass gilt besonders dann, wenn das Testergebnis negative Auswirkungen haben kann. Wenn das Ergebnis eines Tests Abschiebung bedeutet, dann erhöht das nicht die Motivation, die Gesundheitsbehörden aufzusuchen.
Migranten, die von ihrer HIV-Infektion bereits wissen, werden diese so lange wie möglich verborgen halten. Dadurch befinden sie sich in doppelter Gefahr: Sie können möglicherweise erpresst werden, und sie nehmen ein erhebliches gesundheitliches Risiko auf sich. Mit den Belastungen eines HIV-positiven Testergebnisses muss jeder individuell umzugehen lernen. Auch das spricht dafür, dass die Entscheidung für einen Test nicht durch andere Personen getroffen werden sollte.
Auch in Bayern sind Zwangstests für bestimmte Gruppen möglich. Wie kann das sein? Muss sich das Land nicht an Bundesgesetze halten?
Wenn ich mich nicht irre, sind die Voraussetzungen für Aufenthalte, die länger als drei Monate dauern, auf der Ebene der Bundesländer geregelt. Deshalb kann Bayern „den starken Staat“ markieren und Zwangstests für Asylbewerber durchsetzen. Das sind meines Erachtens noch die letzten Überbleibsel aus der Zeit des „Bayerischen Maßnahmenkatalogs“ der 80iger Jahre. Es wäre gut, wenn man in Bayern endlich erkennen würde, wie sehr man dadurch international im Abseits steht.
Sie werden auf der Konferenz in Wien über die Abschiebung von HIV-positiven Migranten referieren. Worüber berichten Sie?
Derzeit gibt es 31 Länder, die Menschen mit HIV aufgrund ihrer HIV Infektionen deportieren. Beispiele belegen, dass sich Menschen nach dem Test unter fragwürdigen Umständen in Abschiebehaft befanden – ohne Medikamente, ohne Information über ihre Erkrankung. Die Menschenrechte dieser Personen werden mit Füßen getreten, und ihre Ausgrenzung sendet ein falsches Signal. Jeder Mensch muss einen universellen Zugang zum Gesundheitssystem haben, unabhängig von seiner Nationalität und seinem Aufenthaltsstatus.
Was meinen Sie: Werden die Einreiseverbote in den nächsten Jahren fallen, oder werden die Kontrollen für HIV-positive Menschen eher noch verschärft?
Ich kann natürlich nicht in die Zukunft schauen. Aber gerade das Jahr 2010 hat mit positiven Entwicklungen in den USA, in China, Namibia, Bulgarien und Georgien gut begonnen. Noch vor einem Jahr hätte das keiner geglaubt. Die Frage ist, ob sich eine Politik durchsetzt, die von rationalen Erwägungen oder von Angst und Fehlinformation bestimmt ist. Bei den 66 Ländern mit Restriktionen fällt es mir schwer, allzu optimistisch zu sein. Vielleicht schaffen wir es ja, dass zumindest Bayern nicht mehr auf Zwangstestung setzt. Dass wäre ja schon mal ein deutscher Anfang.
Peter Wiessner (49) ist freiberuflicher Sozialwissenschaftler und lebt in Köln. Für die Deutsche AIDS-Hilfe bearbeitet er seit 1999 das Thema HIV-bedingter Einreisebestimmungen. Die gesammelten Daten über 200 Länder sind auf der Internetseite www.hivrestrictions.org zusammengestellt. In gedruckter Form liegen sie in zehn Sprachen vor: http://www.aidshilfe.de/de/shop/schnellfinder-2010.
(Pressemitteilung der DAH)