Die meisten HIV-Positiven arbeiten – so wie viele andere Menschen mit chronischen Krankheiten. Trotzdem kann eine HIV-Infektion eine soziale Abwärtsspirale in Gang setzen. Silke Eggers, DAH-Referentin für soziale Sicherung und Versorgung, erklärt warum.
Frau Eggers, macht HIV arm?
Eine HIV-Infektion macht natürlich nicht automatisch arm. Aber sie ist eine ungeheure soziale Belastung, die nicht jeder problemlos abfedern kann. Das liegt einerseits daran, dass HIV-positive Menschen noch immer diskriminiert und stigmatisiert werden. Und andererseits am generellen Abbau des Sozialsystems in Deutschland.
Aber die meisten HIV-Positiven leben und arbeiten doch relativ normal.
Die Lebenssituationen von Menschen mit HIV sind heute sehr unterschiedlich. Wie gut ein Mensch mit seiner HIV-Infektion leben kann, hängt stark von den Umständen ab: Hat er eine gute Ausbildung, einen guten Job? Ist er arbeitslos und verfügt nur über geringe Deutschkenntnisse? Gebraucht er vielleicht illegale Drogen? Bei Positiven mit solchen Doppelbelastungen kommt die soziale Abwärtsspirale oft sehr viel schneller in Gang als bei HIV-Negativen. Die Diskriminierung betrifft sie alle.
Es wird doch aber häufig gesagt, HIV sei heute eine chronische Krankheit wie andere auch?
Ganz platt zurückgefragt: Länger leben mit HIV – aber wovon? Die medizinische Versorgung verbessert sich stetig, aber die soziale Entwicklung hält dem nicht Stand.
Der Abbau des Sozialstaats betrifft manche Menschen besonders stark. Die vielen Einsparungen wirken einzeln wie Kleinigkeiten, aber bei chronisch Kranken häufen sich diese Kleinigkeiten und sind schon jetzt nicht mehr tragbar. Kommt für einen Menschen in einer sowieso schon schwierigen sozialen Situation eine HIV-Infektion hinzu, treffen ihn diese Zusatzbelastungen doppelt und dreifach.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein großer Einschnitt sind die diversen Gesundheitsreformen der letzten Jahre. Die Zuzahlung zu Medikamenten wurde deutlich erhöht, die Praxisgebühr eingeführt, diverse Leistungen aus dem Katalog der Krankenkassen ausgeschlossen. Viele Medikamente müssen inzwischen selber bezahlt werden, die Zuzahlungen für Brillen und Zahnersatz wurden gestrichen oder stark reduziert. Kurz: Kranksein ist wirklich teuer geworden. Auch immer mehr Sozialleistungen werden gestrichen. Ein großer Einschnitt für viele Menschen mit HIV war der Wegfall des Mehrbedarfs für kostenaufwendige Ernährung. Stattdessen werden nun alle dazu aufgefordert, immer mehr Risiken privat abzusichern. Das Problem ist neben den oft fehlenden finanziellen Mitteln: Menschen mit HIV können aufgrund ihrer Infektion bestimmte Versicherungen gar nicht abschließen.
Welche Versicherungen sind das?
Obwohl sich die medizinische Situation sehr verbessert hat, bekommt kein HIV-Positiver derzeit eine Berufsunfähigkeitsversicherung. Lebensversicherungen sind möglich – aber oft nur mit horrenden Zuschlägen.
Was ist, wenn man gar kein eigenes Einkommen hat?
Dann wird es besonders schwer. Generell ist der Sozialhilfe- beziehungsweise Hartz-IV-Satz in unseren Augen zu niedrig. Darüber hinaus berücksichtigt er längst nicht alle Lebenslagen von HIV-Positiven. Vor einigen Jahren sind zum Beispiel die Fahrtkosten zu ambulanten Behandlungen gestrichen worden. Besuche in einer oft weit entfernten HIV-Schwerpunktpraxis sind aus den Regelsätzen nicht zu finanzieren. Besonders in ländlichen Gegenden ist das ein großes Problem. Dabei ist man mit einer HIV-Infektion auf eine spezialisierte Behandlung angewiesen!
Früher galten Menschen mit HIV als Fall für die Rentenversicherung. Das hat sich radikal geändert, oder?
So ist es. Sie stehen an ihrem Arbeits- oder Ausbildungsplatz genauso ihren Mann oder ihre Frau wie alle anderen auch. Trotzdem ist in den Köpfen noch das Bild von schwerer Krankheit, großem Leid und baldigem Tod. Vielen ist nicht klar, dass HIV-Positive über einen langen Zeitraum leistungsfähig sind, arbeiten können und wollen.
Was sind denn die größten Probleme in der Arbeitswelt?
Nach wie vor löst das Bekanntwerden einer HIV-Infektion irrationale Ängste aus. Oft haben Kollegen Angst, sie könnten sich anstecken. Chefs machen sich Sorgen, wie Kunden reagieren könnten. Fakt ist: Im Berufsalltag ist eine HIV-Infektion in den allermeisten Fällen ausgeschlossen. Und mit Ausnahme der Pilotenausbildung gibt es keine Berufsverbote. Menschen mit HIV können alle Jobs machen – und sie machen sie auch. Es fällt nur niemandem auf, weil man es keinem Menschen ansieht, dass er HIV hat. Menschen mit HIV brauchen unsere Solidarität – und keine Ausgrenzung!
(Pressemitteilung der DAH)
AIDS und HIV sind sichtbar. Durch die Einnahme hochwirksamer Medikamente werden bei vielen Betroffenen die HIV Infektionen wieder sichtbar. Gerade durch die gefürchtete Lipoatrophie und Lipodystrophie, bekommt AIDS wieder ein „Gesicht“, ähnlich wie früher beim Karposi Sarkom.
Die Kosten für eine Gesichtsrekonstruktion wird von den Kassen bisher nicht übernommen und so wird es für die Betroffenen nicht nur schwieriger einen Job zu bekommen, sondern es besteht auch die Gefahr , zumindest in einigen Branchen, den Job zu verlieren.
@ Werner:
ja,. ich stimme dir zu, die behandlung des fettverlusts ist eine schwierige frage (und immer wieder ja auch thema hier auf ondamaris). und eine mit potentiell weitreichenden folgen.
in anderen staaten (frankreich, großbritannien, usa) werden die kosten der behandlung in bestimmten fällen übernommen – warum hier nicht? vielleicht auch, weil wir zu wenig druck machen?