Antwort auf Kleine Anfrage zur Strafbarkeit von Sex unter HIV-Therapie verweist auf Gerichte. Deutsche AIDS-Hilfe: Wissenschaftliche Fakten endlich anerkennen!
Die Bundesregierung will keine grundsätzliche Aussage darüber treffen, ob HIV-positive Menschen unter gut wirksamer antiretroviraler Therapie für ungeschützten Sex strafrechtlich belangt werden sollten. „Die Beantwortung dieser Frage hängt von diversen Einzelumständen ab, deren Bewertung den unabhängigen Gerichten überlassen bleibt“, erklärt im Namen der Bundesregierung Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Barbara Höll (Die Linke).
Höll hatte sich in ihrer Anfrage vom 3. September auf das österreichische Ministerium für Justiz bezogen. Das Ministerium sehe es „als mit dem Strafrecht nicht vereinbar an, therapierte HIV-Positive strafrechtlich zu belangen“, sofern die so genannten EKAF-Kriterien erfüllt seien (zur Erläuterung von EKAF siehe die Links unter diesem Text). Höll fragte die Bundesregierung, ob sie sich dieser Rechtsauffassung mit Blick auf das deutsche Recht anschließe.
Zu einer solchen klaren Aussage wollte sich die Bundesregierung aber offenbar nicht durchringen. Auszug aus der Antwort: „Nach derzeitiger Kenntnis muss davon ausgegangen werden, dass von einem effektiv antiretroviral behandelten HIV-Infizierten in der Regel kein medizinisch relevantes Infektionsrisiko für seine Sexualpartner ausgeht. Ein Restrisiko bleibt – wie auch beim Gebrauch von Kondomen – bestehen.“
Dieses Restrisiko könne nicht genau beziffert werden und das Übertragungsrisiko sei nur unter bestimmten Voraussetzungen erheblich herabgesetzt, heißt es weiter, darum könne nur im Einzelfall entschieden werden, ob eine Strafbarkeit nach Paragraf 224 des Strafgesetzbuches („Gefährliche Körperverletzung“) gegeben sei.
Höll kritisierte die Antwort der Bundesregierung heute in einer Pressemitteilung: „Leider positioniert sich die Bundesregierung nicht zu möglichen Strafverfahren. Und dies im Wissen, dass viele Staatsanwaltschaften weiterhin in Verkennung der Sachlage therapierte HIV-Positive anklagen und diese von unwissenden Richterinnen und Richtern verurteilt werden. Dies ist widersprüchlich und bitter für die Betroffenen.“
Höll hat in ihrer Anfrage außerdem gefragt, ob Anklagen und Verurteilungen von HIV-Positiven, die HIV möglicherweise weitergegeben haben, nach Meinung der Bundesregierung andere Menschen von einem HIV-Test abhalten könnten. Die Bundesregierung sieht dafür keine Anzeichen. In den vergangenen Jahren sei die Testbereitschaft kontinuierlich gestiegen.
Die Deutsche AIDS-Hilfe teilt diese optimistische Einschätzung nicht. Wenn Menschen mit HIV vor Gericht gestellt werden, kann das andere vor einem Test zurückschrecken lassen. Vor allem aber verringert es die Bereitschaft, über die eigene HIV-Infektion zu sprechen. Gerade Prozesse, die mit großer öffentlicher Aufmerksamkeit einhergehen, wie der gegen Nadja Benaissa, gefährden so die Erfolge der Präventionsarbeit.
Zur Frage der Übertragungswahrscheinlichkeit sagt Winfried Holz, Mitglied im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe: „Wenn Menschen mit HIV Sex mit Kondom haben, hat das in Deutschland zurecht keine strafrechtlichen Konsequenzen, auch wenn sie keine HIV-Medikamente nehmen. Verglichen damit ist die Übertragungswahrscheinlichkeit beim Sex ohne Kondom unter gut funktionierender HIV-Therapie sogar noch geringer. Staatsanwaltschaften und Gerichte müssen das endlich berücksichtigen. Hier sollte auch die Bundesregierung eindeutig Stellung beziehen.“
(Holger Wicht / DAH)