Ein Mitte 2008 an den Folgen von Aids verstorbener HIV-Infizierter ist jahrelang mit der Krankenversicherungs-Karte seines Bruders behandelt worden. Dieser wurde vom Vorwurf des Betrugs nun freigesprochen – eine wissentliche Beteiligung war ihm nicht nachzuweisen.
Sie lebten bis 2008 nahe Düsseldorf zusammen – vier Geschwister, drei Brüder und eine Schwester. Mitte 2008 stirbt der jüngste der drei Brüder an den Folgen von Aids. Erst nun fällt plötzlich auf, dass der 1955 geborene Mann bereits seit 2005 zwar medizinische Behandlung und Medikamente erhielt – jedoch über die Krankenversicherungskarte eines seiner Brüder.
Das Amtsgericht Düsseldorf beschrieb den Tatvorwurf der Anklage (Strafsache 127 Ds 30 Js 8046/08 – 668/09) in einer Pressevorschau wie folgt:
„Der Angeklagte übergab in der Zeit vom 31.10.2003 bis 31.05.2008 seinem am 05.06.2008 an HIV verstorbenen Bruder seine Krankenversichertenkarte. Er meldete sodann die Karte gegenüber der Krankenkasse als verloren und beantragte für selbst eine Zweitkarte. Dies geschah, um seinem Bruder die Nutzung und den Bezug ärztlicher Leistungen und Medikamente bzgl. seiner HIV-Erkrankung und Begleichung der damit einhergehenden Rechnungen durch die Krankenkasse zu ermöglichen. Insgesamt entstand der Krankenkasse ein Schaden in Höhe von 67.663,62 Euro.“
Der 60-jährige Bruder des Verstorbenen wird angeklagt, wegen Betrugs in 99 Fällen.
Am 8. Dezember 2010 wurde der Staplerfahrer vom Amtsgericht Düsseldorf freigesprochen – wie vom Staatsanwalt beantragt. Der Vorwurfs des Betrugs war nach dem Verlauf der Verhandlung nicht mehr aufrecht zu erhalten. Er habe von der Erkrankung seines Bruders nicht gewusst, erst recht nicht, dass dieser mit seiner damals verloren gegangenen Versicherungskarte behandelt wurde. Vielleicht habe der Lebensgefährte seines verstorbenen Bruders den Betrug eingefädelt.
Eine Beteiligung war dem Bruder nicht nachweisbar. Ob gegen den Lebensgefährten des Verstorbenen ermittelt wird, ist noch unklar.
Bei allen vier Geschwistern liegt einem Gutachten zufolge intellektuelle Schwäche vor, der Angeklagte ist als geistig behindert anerkannt.
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Das Urteil macht wieder einmal aufmerksam auf ein immer noch nicht befriedigend gelöstes Problem: Auch in Deutschland gibt es aus verschiedensten Gründen (z.B. illegaler Aufenthaltsstatus, ökonomische Probleme) Menschen, die keine Krankenversicherung haben. Wie kann diesen Menschen ohne Krankenversicherung dennoch ein Zugang zum Medizin-System ermöglicht werden? Und wie können HIV-Positive, die keine Krankenversicherung haben, dennoch ärztliche Behandlung und antiretrovirale Therapie erhalten?
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weitere Informationen:
Amtsgericht Düsseldorf: Pressevorschau Dezember 2010
RP 09.12.2010: Krankenkassen-Betrug: Freispruch für Bruder
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Hinweis: Auch Menschen ohne einen legalen Aufenthaltsstatus haben Anspruch auf Behandlung, darauf weist die Bundesärztekammer hin (”Patientinnen und Patienten ohne legalen Aufenthaltsstatus in Krankenhaus und Praxis”, pdf)
»Mitte 1988 stirbt der jüngste der drei Brüder an den Folgen von Aids.« – stimmt die Jahresangabe? Muss es nicht »Mitte 2008« heißen?
@ Achim B.:
klar, das war ein fehler … 2008 stimmt, sorry. ist im text korrigiert
danke für den hinweis!
Gibt es in Deutschland keine Hilfe in solchen Fällen wie hier die „Couverture maladie universelle“ – „Universelle Krankenkassen Unterstützung“?
http://www.cmu.fr/site/index.php4
Hat sich in vielen Fällen sehr bewährt.