Am 3. August 2003 starb Dr. Hans-Peter Hauschild in Berlin. Hauschild, 1954 geboren, war u.a. Geschäftsführer der Frankfurter Aids-Hilfe und Mitglied im Bundesvorstand der Deutschen Aids-Hilfe. Hans Peter Hauschild gilt u.a. als “Mit-Erfinder” des Konzepts der strukturellen Prävention, das bis heute tragender Gedanke der Aids-Prävention in Deutschland ist.
Hans-Peter Hauschild ist in Berlin auf dem Alten St. Matthäus Kirchhof beigesetzt .
Als Dokumentation und Hintergrund die Rede, die Bernd Aretz am 16. November 2003 bei der Frankfurter Trauerfeier für Hans-Peter Hauschild hielt:
Frankfurt Trauerfeier Hans-Peter Hauschild
Als wenn das beliebig wäre, was wir sexuell geworden sind! Das, worauf wir abfahren, ist die Handschrift unserer Seele. Bei jedem ist das eine ausgesprochen persönliche Sache. Nichts davon ist zufällig oder marottenhaft, wetterte Hans Peter in der Frankfurter Regenbogenpost gegen eine Safersex Party, auf der selbst das Küssen verboten war, von Anderem ganz zu schweigen. Hans Peter war mit der Positivengruppe zu einer Jack Off Party nach Amsterdam gereist, zu Fortbildungszwecken. Das sollte später noch Ärger bereiten, weil ein hiesiger schwuler Mann meinte, der finanzierenden Behörde anzeigen zu müssen, dass weder der Antrag noch die Reiseabrechnung dem Anlass entsprochen hätten.
Wir erinnern HPH: Kurzgeschoren, Schnurbart, enge Lederjeans, einen Mann, der offensichtlich und selbstverständlich schwul lebte, nicht nur nach Feierabend. Man musste ihn schon so nehmen, wie er war, ganz und kompromisslos. Wenn die Verhältnisse nicht so waren, wie sie seinem Erkenntnisstand als notwendig erschienen, mussten sie halt geändert werden. Da mochte der Rest der Welt denken, was er wollte, HIV durfte nicht verhindern, dass der Einzelne das Glück und seine sexuellen Grenzerfahrungen und Überschreitungen in Würde und Respekt suchen und möglichst auch finden konnte. Das Klima war nicht gut dafür.
Tätowierung Infizierter wurde gefordert, Internierung uneinsichtiger Prostituierter, die ihren Beruf nicht aufgeben wollten, eine harte Verelendungs- und Vertreibungspolitik gegenüber Junkies und Ausländern geführt. Infizierten Frauen wurde das Recht auf Schwangerschaft abgesprochen. Nicht nur Heterosexuelle suchten das Heil in der Phantasie der Zerschlagung schwuler Szene und Schließung der Orte der Lust.
Hans Peter war berufen, als eine der Leitfiguren dagegen anzukämpfen. Er kommt aus der Tradition der Flüchtlinge, die ihre bisherigen engen räumlichen Grenzen und emotionalen Bindungen verließen, um in Würde und selbstbestimmt leben zu können – ungewiss ob sie ihr Ziel erreichen, aber ohne eine andere Alternative als die der Selbstaufgabe. Ein widriger Weg, auf dem man lernt, dass ein Treck nicht an jeder roten Ampel halt machen darf. Der Anführer eines solchen Zugs muss die Zauberkunst beherrschen, das unmöglich Scheinende in erreichbare Nähe zu rücken, den Transport der Schwachen und Kranken sichern, die Mitziehenden ermutigen und mit den jeweiligen Landesherren um lebbare Bedingungen und um Räume feilschen. Da darf man keine Angst vor Tod und Teufel haben, vor Gott schon eher. So ein Weg ist nicht ohne Auseinandersetzungen, Missverständnisse, Brüche aber auch nicht ohne Halt in der Gemeinschaft und nicht ohne Charisma zu gehen.
Mein Blut bekommt Frau Helm nicht, verkündete er und wandte sich damit gegen den Alleinvertretungsanspruch der Medizin, die er damals durch die universitäre Einladung Michael Kochs, des Gauweiler Intimus in Sachen Zwangsmaßnahmen nach Frankfurt in der seuchenrechtlichen Ecke sah. Dem setzte er das Gesundheitskonzept der Weltgesundheitsorganisation entgegen, das Gesundung in engem Zusammenhang mit würdigen Lebensbedingungen und Selbstbestimmung der Betroffenen sieht.
Mitgründung der Aids-Hilfe Frankfurt, Aufbau einer Infrastruktur wie Beratungszentrum und Switchboard, Kochen auf der Station 68, Regenbogenpost und Radio, Veranstaltungen zu sachlichen Fragen wie auch die ethische Auseinandersetzung um Aids, Räume der Trauer aber auch des Feierns, politische Aktionen und Demonstrationen gehörten zum Alltag.
Wir haben hier gemeinsam in der Nikolai Kirche die erste von vielen Trauerfeiern erlebt. Ihm war wichtig, dass viele auch an der Gestaltung beteiligt waren, das Gemeinschaftserleben gegen die Vereinzelung zu fördern.
Gemeinsames Plakatmalen gegen das Gefühl der Ohnmacht. Und Papiere wurden produziert, Bündnisse geschlossen, Aktionen geplant. Mit obdachlosen Jugendlichen gemeinsam wurde ihrem Anliegen, eine Bleibe zu erhalten, dem der Aids-Hilfe für eine Krankenwohnung und dem der Schwulenbewegung nach einem Kulturhaus durch eine halbstündige Sperrung der Hauptwache Donnerstags zum Berufsverkehr Nachdruck verliehen. Genehmigt war das Ganze nicht, aber die Absprache mit der Polizei, dass wir das Krankenbett und die Rollstühle wieder beiseite schieben, sobald der freundliche Fotograf der Rundschau mit seinen Aufnahmen fertig sei, funktionierte.
Das Switchboard, dessen Realisierung er bei ungesicherter Finanzierung durchsetzte, obwohl er wusste, dass ihn das seine Stellung als Geschäftsführer der Aids-Hilfe kosten könne- und auch hat – war ihm ein besonderes Anliegen. Hier wurde heiß diskutiert. Seine Feststellung, der Infizierte sei nicht dafür verantwortlich, dass die Infektion nicht weitergegeben werde, wurde als Freibrief missverstanden. Er wollte die gemeinsame bewusste und informierte Entscheidung. Für Bedingungen, in denen die möglich war, kämpfte er. Nach Frankfurt in Berlin im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe.
Er preschte immer wieder vor, mit einer ungeheuren Präsenz in den Medien, auch mit vorher nicht abgestimmten Plänen und Projekten. Wenn es gar nicht anders ging, schaffte er einfach Fakten. Heiße Diskussionen waren unvermeidlich. Sie wurden immer wieder mal unterbrochen, wenn er seine Stundengebete verrichtete. Und er litt, wenn wir seinen Visionen nicht folgten, andere; bescheidenere, angepasstere Vorstellungen von Grenzüberschreitungen und Glück hatten. Aushaltbar war das nur durch den Respekt gegenüber seiner Ernsthaftigkeit, seiner Glaubwürdigkeit, und durch seine Begeisterungsfähigkeit. Er besuchte die Aidshilfen, kirchliche Veranstaltungen, pflegte Kontakte zu Wissenschaft und Politik, diskutierte, versuchte zu überzeugen und zu verführen. Er trieb seinen Verband, sich der persönlichen und gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu stellen, Gesicht zu zeigen, Farbe zu bekennen und die Seele bloßzulegen. Ohne ihn, seine Ideen, seine Triebhaftigkeit und seinen Fleiß wäre die Bewegung nicht geworden, was sie ist. Sie ist untrennbar mit seinem Gesicht verbunden, dass auch folgerichtig auf einem der Plakate der Deutschen Aids-Hilfe Schwule Vielfalt / Schwule Solidarität abgebildet ist.
Er beschreibt, dass seine Entfremdung zur Deutschen Aids-Hilfe begann, da sie sich nicht ernsthaft in die Diskussion über die Veränderungen im Gesundheitswesen einmischte. Mir hat er mal erzählt, daneben sei es aber auch so, dass er das verbreitete egoistische Beharren darauf, dass es kein größeres Elend gebe, als in der Bundesrepublik als schwuler Mann mit Hiv infiziert zu sein, nicht mehr ertrage.
Vor zehn Jahren schrieb er: Weil die soziale Not weltweit zunimmt, muss Aids-Hilfe eine Anwältin der Schwachen sein. Sie soll aufzeigen, dass speziell die Homo-„Gemeinde“ in eine reiche Manageretage und einen Kartoffelkeller verarmender Schamexistenzen zerfällt. Sie muss die Verfolgung von Junkies wirksamer bekämpfen als bisher.
Denn wenn schwulen Männern nur ein Bruchteil dessen angetan würde, was auf den Bahnhofsklos als schaurige Spitze eines Eisbergs juristisch zugefrorener Behördenherzen sichtbar wird, hätten wir längst die Rathäuser gestürmt.
Zu Situation von Flüchtlingen schrieb er vor fünf Jahren: Nur wenige MigrantInnen sind Hiv-infiziert, und mit Aids schafft niemand die Tort(o)ur einer Einreise aus der armen Welt nach Deutschland. Fast alle dieser wenigen erfahren erst nach ihrer Flucht oder Einreise in Deutschland von ihrer HIV-Infektion. Die Anzeichen häufen sich, dass auch viele erst hier krank werden, weil die Duldungsbedingungen so würdelos sind , weil der tägliche Stress durch Kontrollen und Absagen den Alltag perspektivlos macht und Angst zur Grundstimmung wird. Wer verbessert die Strukturen des Strandens, des Ankommens in dieser Gesellschaft, damit sie nicht das Aids-Vollbild auslösen?
Wie wird sich die „Positivenbewegung“ verhalten? Und dies nicht nur in Sonntagsreden auf Bundesversammlungen von Menschen mit Hiv und Aids, sondern als gelebter Widerstand, der eben darum effektiv sein könnte, weil in Deutschland so viele Betroffene aus gutem Haus kommen und gehobene Positionen einnehmen. Oder zucken letztlich alle mit den Achseln angesichts dessen, dass die gesellschaftlichen Strukturen heute Aids-Prävention zu einem Kastenprivileg machen?
Hans Peter fehlt.
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Zahlreiche Texte von Hans-Peter Hauschild sowie weitere Informationen sind auf seiner Internetseite zu finden.