Der Dokumentarfilm ‚United in Anger : A history of ACT UP‘ hatte am 26. Juni 2012 in Berlin europäische Erstaufführung.
Zu diesem Film eine Kritk als Gastbeitrag von Manuel Schubert / Filmanzeiger:
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UNITED IN ANGER: A HISTORY OF ACT-UP
Im ersten Entwurf dieses Textes gab es einen längeren Prolog, der allgemeine zeitgeschichtliche Informationen zu HIV/AIDS in unseren Gesellschaften beinhaltete, konkretisiert am Beispiel der sozialen Bewegung „Act-Up„. Es ist einigermaßen Unfug in einer Rezension über eine Geschichts-Dokumentation, um nichts Anderes handelt es sich bei Jim Hubbards UNITED IN ANGER: A HISTORY OF ACT-UP, eine historische Abhandlung voran zustellen. Entweder leistet der Film diese Aufgabe oder eben nicht. Geht man mit keinem oder wenig Wissen über die Gruppe „Act-Up“ in diesen Film, so kommt man relativ umfassend wieder heraus. Jim Hubbards Werk erfüllt so gesehen seinen Zweck. Dies muss es auch, schließlich hat er es im Rahmen eines größeren Projekts zur Geschichtsschreibung der „Act-Up“-Bewegung realisiert.
„Act-Up“ – das waren Mitte der 80er Jahre wenige Dutzend Aktivisten in New York und San Francisco, die im Angesicht des Massensterbens ihrer Freunde, Bekannten und Angehörigen an den Folgen der AIDS-Krankheit, etwas tun wollten. Schnell wuchs die kleine Gruppe zu einer ganze Bewegung mit Hunderten Aktivisten überall in den USA. Es ging um Aufmerksamkeit und öffentlichen Druck auf Verantwortliche, damit das Leiden der Kranken wenn schon nicht beendet, so doch wenigstens gelindert werden konnte.
Chronologisch arbeitet Jim Hubbard wegweisende Höhepunkte in der Geschichte von „Act-Up“ heraus. Sei es die Besetzung der Wall Street oder der Sturm auf die US-Pharmabehörde FDA, mit dem Zweck die jahrelangen Verfahren der Medikamentenzulassung massiv zu beschleunigen. Wir sehen Found-Footage, wir hören Protagonisten der Zeit bei ihren Erzählungen des Erlebten. Um es freundlich zu formulieren, dieser Film ist … Nein, hier möchte ich nicht mehr freundlich sein. Dafür umso deutlicher.
Werke wie UNITED IN ANGER haben an Orten, die auch nur ansatzweise einem Kino ähnlich sehen, nichts zu suchen! Es ist leider eine schlechte Angewohnheit im zeitgenössischen US-Dokumentarfilm, sich den dramaturgischen und formalen Prämissen des Fernsehens allzu sehr zu unterwerfen. Hat man eines dieser Werke gesehen, hat man sie alle gesehen. Die Themen kommen und gehen, die Form bleibt stets dieselbe: Found-Footage, gezoomte Fotos und Veteranen irgendeiner Zeit, die, vor mehr oder weniger abstraktem Hintergrund sitzend, ihre Berichte abliefern. Angesichts dieser unsäglich platten, uninspirierten und enervierend drögen Uniformität ist es fast unvorstellbar, daß die USA die Heimat des „Direct Cinema“ sind. Dass in diesem Land einmal großartige Filmemacher wie Robert Drew, die Gebrüder Maysles, D.A. Pennebaker oder Richard Leacock tätig waren, und heute noch James Benning und Frederick Wiseman ihre Filme drehen. Alle hier genannten haben ihre Arbeiten mit geringsten Mitteln und auf einfachste Weise realisiert, dabei aber eine dokumentarische Form entwickelt, die an Unmittelbarkeit, Glaubwürdigkeit, Respekt vor dem Intellekt des Publikums und an kinematografischem Verständnis nichts zu wünschen übrig ließ und lässt.
Sowohl die Geschichtsschreibung der Schwulenbewegung als auch die Aufarbeitung der Geschichte der Anti-AIDS-Bewegung finden nachwievor im Kino keine auch nur ansatzweise brauchbare Form, es regieren der History-Channel und die HBO-Doku von der Stange; schmerzhaft mit anzusehen.
Besonders negativ stößt hierbei im HIV/AIDS-Kontext die „Veteranisierung“ auf. Alles, was noch lebt, wird vor die Kamera gezerrt. Um des tragischen Eindrucks willen sind die Schreckensbilder abgemergelter und siechender junger Männer in ihren Betten dazwischen geschnitten. Seht, wir haben gelitten aber überlebt! Seht, unsere Freunde sind so grauslich gestorben. Unwillkürlich fragt man sich, was da für ein Andenken gepflegt wird? Das an die Verstorbenen oder das an das Glück, vom Schicksal verschont geblieben zu sein?Wenn alles, was die AIDS-Krise übrig gelassen hat, aus wenigen Handvoll verheulter und erinnerungsschwerer Veteranen besteht, dann hat das Virus nicht nur Tausende Menschen umgebracht. Geist und Intellekt der schwulen Bewegungen wurden durch HIV ebenfalls ausgerottet. Oder wie es die Autorin Fran Lebowitz sinngemäß formulierte, „hat AIDS eben nicht jene getötet, die brav und an die Norm angepasst vor sich hinlebten. Dem Virus sind die Freigeister, die Intellektuellen, die Künstler und ihr Publikum zum Opfer gefallen. Beinahe über Nacht verschwanden diese Menschen von der Bildfläche, was selbst in Städten wie New York einen nachhaltigen kulturellen Wandel verursachte.“
Freilich, „Act-Up“ hatte nachhaltigen Erfolg, von dem selbst die heutige „Occupy“-Bewegung“ zehrt. Gerechterweise muss man Jim Hubbard zugestehen, dass sein Film UNITED IN ANGER dies anklingen lässt. Darüber hinaus findet sich nicht viel in diesem Werk. Erst recht nichts, was nicht auch ein Wikipedia-Artikel leisten könnte. Dem Kino bleibt eine adäquate dokumentarische Auseinandersetzung mit dem Virus weiterhin versagt.