„Aids entstand vor 100 Jahren“, so oder ähnlich geht es gerade mal wieder durch die Medien. Bei der Spurensuche, wann und wo Aids entstand, wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.
Juni 1980. Der Wissenschaftler Michael Gottlieb von der UCLA, informiert in einem Bericht, publiziert im Mitteilungsblatt der us-amerikanischen CDC Centers for Disease Control and Prevention (dem “Morbidity and Mortality Weekly Report”, MMWR) vom 5. Juni 1981, über eine ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen (PcP) bei fünf ansonsten scheinbar völlig gesunden jungen schwulen Männern aus Los Angeles. Offenbar ist das Immunsystem bei den Männern zusammengebrochen.
Gottlieb beschreibt damit erstmals in einer Fachpublikation ein Krankheitsbild, das bald darauf (nach einem Intermezzo namens ‚GRID‘) den Namen AIDS erhalten wird: das Acquired Immune Deficiency Syndrome.
Schon bald nach den ersten Berichten, erst recht nach der Identifikation des auslösenden Virus HIV durch die späteren Nobelpreisträger Montaignier und Barré-Sinoussi, kommt die Frage auf, woher denn diese neue Erkrankung stamme – die Suche nach dem ‚wann entstand Aids‘ beginnt.
1998, auf der Fifth Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, stellen Forscher aus einer Arbeitsgruppe um David Ho (Aaron Diamond Aids Research Center, New York) Ergebnisse vor, aus denen sie schließen, dass HIV erstmals im Kongo 1959 auftrat (abstract 280). Sie hatten in einer Blutprobe eines Mannes aus Kinshasa aus diesem Jahr HIV-Virus-Partikel identifizieren können. Publiziert wurden die Ergebnisse erstmals bereits kurz zuvor in einem Leserbrief an die Zeitschrift Nature.
Bisher gilt die von ihnen analysierte Probe als die älteste zweifelsfrei als HIV-infiziert korrekt datierte Probe.
Nun jedoch kommen Forscher um Michael Worobey (University of Tuscon, Arizona) zu dem Ergebnis, HIV sei vermutlich deutlich früher entstanden. Sie publizierten in der Zeitschrift Nature (Ausgabe vom 2. Oktober 2008) ihre Forschungsergebnisse.
Die Forscher analysierten 27 Gewebeproben aus der Republik Kongo aus den Jahren 1958 bis 1960. In einer Probe aus dem Jahr 1960 wurden sie fündig – in in Paraffin konserviertem Gewebe aus dem Lymphknoten einer Frau konnten sie HIV-Partikel zweifelsfrei identifizieren.
Ein Nachweis des Auftretens von HIV für das Jahr 1960 allein wäre nicht wesentlich bemerkenswert – würde er doch ’nur‘ den Nachweis des zweitältesten bisher belegten Auftretens von HIV bedeuten.
Doch die Forscher gingen einen Schritt weiter. Sie vergleichen die Probe der Frau mit der bisher bekanntesten ältesten HIV-Probe aus dem Jahr 1959. Und stellten dabei zahlreiche deutliche Unterschiede in der HIV-Erbinformation fest. Je größer die Unterschiede zwischen den Viren, desto länger zurück in der Zeit müsse ein gemeinsamer Vorgänger liegen, so ihre Überlegung. Aus dieser Überlegung sowie der Art und Vielzahl der genetischen Unterschiede kamen sie mithilfe einer Art ‚Stammbaum‘ aufgrund evolutionsbiologischer Gesetzmäßigkeiten zu der Einschätzung, dass ein gemeinsamer Vorgänger beider Proben zwischen 1884 und 1924, vermutlich ’nahe dem Anfang des 20. Jahrhunderts‘ existiert haben müsse.
Und warum Aids dennoch erst in den 1980er Jahren als Epidemie begann? Die Forscher bieten mehrere Erklärungsansätze an. Anfang des 20. Jahrhunderts habe es in Afrika nahezu keine städtischen Strukturen gegeben. Menschen seien zwar auch damals an Aids erkrankt und gestorben, es habe aber kaum eine Chance bestanden, das Virus weiterzugeben.
Doch auch politische Hintergründe werden als mögliche Hintergründe angeführt, so der Zusammenbruch des Kolonialismus mit seinen Strukturen. Oder, ein wenig mehr in der Tradition beliebter Verschwörungs-Theorien, das Aufkommen von Einwegspritzen – die in Afrika anfangs, in den 1950er Jahren oft mehrfach verwendet wurden.
Die Suche nach dem Ursprung von Aids begann schon mit jenem ominösen „Patienten 0“ (patient zero), zu dem der kanadische Flugbegleiter Gaetan Dugas fälschlicherweise erklärt wurde. Dass die Herkunft von HIV eher in Afrika zu suchen ist, ist bereits länger deutlich. Durch die neue Arbeit ist nun auch eine neue Zeitspanne zu vermuten, in der HIV entstanden sein könnte.
Dennoch bleibt -bei allem wissenschaftlichen Interesse- die Frage, worin der große Erkenntnisgewinn liegt, nun zu wissen dass HIV eventuell schon 50 Jahre früher als bisher angenommen aufgetreten ist. Wo sind die Nutzen für Prävention und Therapie? Und warum für dieses Thema so viel mediale Aufmerksamkeit?
…
Warum das immer wieder so eine große mediale Aufmerksamkeit bekommt? Nicht nur dort: Auf vielen Veranstaltungen, die ich beruflich zu HIV durchführe, wird die gleiche Frage gestellt, sowohl von Erwachsenen wie von Jugendlichen.
Ich glaube, es nicht nur die natürlich-lebendige Neugier . Hinter dem „Wissen wollen“ spiegelt sich sowohl eine tiefe Lebensverunsicherung und das „Wissen wollen“ ist auch ein Ausdruck des Menschen als rationalen Wesen: Wenn ich etwas weiss – oder glaube, zu wissen.. – erlebe ich das als Orientierung, Kontrolle und damit Sicherheit: die Welt ist doch nicht so chaotisch, wie man befürchtet. Alles hat eine Erklärung. Dann ist es ja gut…
Kontrolle über das Leben gibt es aber nicht. Unser Leben ist zerbrechlich, ob uns das passt oder nicht. Menschen, die diese Tatsache angenommen haben, gehen in der Regel häufiger humaner, sozialer und achtsamer miteinander um.
Die ewige Frage nach dem „Warum?“ lenkt ab vom „SEIN“ ab.
Bekomme Lust, mit anderen Kommentatoren hierüber zu philosophieren, aber ich bin jetzt nach Diktat verreist.. 😉
Selbstverständich ist es unerheblich zu wissen, ob das Virus bereits um die Jahrhundertwende existierte, oder erst in den 50 zigern, doch hilft diese Veröffentlichung den Verschwörungstheorien entgegenzuwirken, bei denen meist Amerika als Übeltäter angeklagt wird. Mit der Entdeckung werden sämtliche Schuldzuweisungen (z.B. Virus sei aus amerikanischen Laboren entwischt, egal ob absichtlich oder nicht) überflüssig, auch bezüglich der Untätigkeit der Pharmaindustrie nach Heilungsmethoden zu forschen. Deswegen könnte es überall medial breitgetreten werden….
Unter wissenschaftlichem – historischen Aspekt betrachtet ist die Antwort nach dem „Ursprung“ interessant. Das war s dann auch schon. An dem Ist – Zustand – das es Menschen gibt die HIV Positiv sind , das ich HIV Positiv bin ändert es nicht die Bohne.
Was ich – ähnlich wie Termabox wahrnehme – ist der Aspekt der „Schuld“ die mit der Infektion oft verbunden wird. „Es ist deine Schuld“ – „Ich bin selbst dran schuld“ oder was auch nicht selten vorkommt „man hat es verdient“ als Folge eines Verhaltens das nicht der Norm entspricht, finde ich erschreckend – „Danke Instituition Kirche“. Vor allen Dinge ist die Auseindersetzung – die Energie wenn man sich über Gebühr mit solchen Fragen auseinandersetzt Fragen kontraproduktiv. Zum einen was die Aussenwahrnehmung von uns durch die Geselschaft betrifft, zum anderen das man die Energie die man für solch eine Auseinadersetzung für seine „geistige und seelische Genesung“ positiv einsetzen kann.
Die Verunsicherng – die Suche nach einer Sicherhet bzw der Glaube das „Leben sicher zu sein hat“ verwundert mich nicht da wir täglich mit dem Thema “ Sicherheit und Kontrolle im Leben ist möglich“ bombardiert werden.
Von der Rente die (100%) sicher ist, Alterabsicherung, über (100%) Schutz durch Kondome bis hin zu Herrn Kaiser von der Versicherung etc. alle versuchen uns glauben zu machen das Leben 100% sicher sein muß – sein kann. PITA – Pain in the Ass. 🙂
Doch selbst solche scheinbaren ins nichts führenden Fragen können Menschen irgendwann an einen Punkt bringen an dem sie sich mit Fragen beschäftgien die sie letztendlich zu sich selbst hinführt.
vllt bin ich ja offtopic: es hat sich ein kleiner fehler eingeschlichen.
„In einer Probe aus dem Jahr 10960 wurden sie fündig …“ das jahr stimmt nicht ganz würde ich sagen. 😉
@ manu:
danke für den hinweis!
ist korrigiert 😉