Wissenschaftskrimi um den Aids-Erreger

Die Nobelpreise für Medizin 2008 gehen an drei Forscher, die sich um die Entdeckung von Viren verdient gemacht haben – Harald zur Hausen für die Entdeckung, dass Papilloma-Viren Gebärmutterhalskrebs auslösen, sowie Francoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für die Entdeckung von HIV. Hinter der Auszeichnung der HIV-Entdecker verbirgt sich ein Wissenschafts-Krimi um Intrigen, Prozesse und Profite.

Luc Montagnier und Francois Barré-Sinoussi (Foto: Institut Pasteur)
Luc Montagnier und Francois Barré-Sinoussi (Foto: Institut Pasteur)

Anfang der 1980er Jahre. Zunächst ohne erkennbare Ursachen erkranken junge Männer an einer seltene Form von Lungenentzündung. Die Zahl der Erkrankten wächst ab 1981, vor allem Homosexuelle erkranken. Bald wird eine Immunschwäche als hinter den Erkrankungen liegende Konstellation erkannt. Sie wird mit „GRID“ benannt – „gay related immune deficiency“. Ihre Ursache bleibt zunächst im Dunkel.

1983 – am Institut Pasteur, an dem Luc Montagnier die von ihm 1972 gegründete „Unité d’oncologie virale“ leitet, kann Francoise Barré-Sinoussi nach bereits im Dezember 1982 begonnenen Arbeiten in Zellen, die aus den Lymphknoten von Erkrankten stammen, ein Virus nachweisen. Bald schon vermuten sie, dass dieses Virus der Auslöser der seltsamen Immunschwäche sein könnte. Sie zeigen auf, wie das von ihnen entdeckte Virus in menschlichen Zellen wirkt und legen damit den Grundstein für die Entwicklung von Therapien. Beide beantragen ein Patent – auf einen von ihnen am Institut Pasteur entwickelten Test zum Nachweis dieses Virus. Sie benennen dieses Virus LAV (Lymphadenopathie-assoziiertes Virus).

Ebenfalls 1983 – in den USA. Der Italo-Amerikaner Robert Gallo ist Wissenschaftler der National Institutes of Health (NIH), nach der Entdeckung von HTLV I und II bereits sehr bekannt und nicht minder ehrgeizig als Montagnier. Auch in seiner Forschergruppe wird untersucht, warum manche Menschen plötzlich eine Immunschwäche aufweisen. Gallos Gruppe findet bald – ein Virus, das auch diese Gruppe als Ursache der Immunschwäche erkennt. Gallos Gruppe bezeichnet dieses Virus als HTLVIII, da es der Gruppe der bereits bekannten Humanen T-Zell-Leukämie verursachenden Viren verwandt ist. Auch Gallo beantragt ein Patent – sechs Monate, nachdem dies die französische Gruppe beantragt hat.

1984 – auf einer Pressekonferenz in Washington am 23. April 1984 erklärt Margaret Heckler, Leiterin des HHS (US-Gesundheitsbehörde), Robert Gallo publicityträchtig zum Entdecker des Aids-Erregers, die Arbeiten der französischen Kollegen völlig ignorierend. Gallo wird schon bald ein US-Patent zugesprochen – noch vor den Franzosen.

Montagnier und seine Gruppe waren wohl mehr als irritiert – zumal gerade dieser Herr Gallo im Jahr 1983 eine Probe zu Forschungszwecken aus eben dem Labor des Herrn Montagnier erhalten hat. Hat Gallos Gruppe also nur entdeckt, was Montagniers Gruppe längst gefunden hatte?
Alles purer Zufall, rechtfertigt sich Gallo. Auch als offenbar wird, dass das Virus, mit dem seine Gruppe arbeitet, aus dem Pariser Labor stammte, rechtfertigt er sich, die Pariser Probe habe nur seine Probe verunreinigt.

Bis weit ins Jahr 1987 streiten beide Seiten vor Gericht und in den Medien heftigst um die Frage, wer von ihnen den Aids-Erreger entdeckt hat. Erst Frankreichs Präsident Chirac und US-Präsident Reagan finden im März 1987 zu einer Einigung des Streits – beide werden zu Ko-Entdeckern erklärt, Montagnier in Gallos Patent mit eingetragen und die Patent-Einnahmen geteilt.

Doch Zweifel bleiben, immer wieder wird vermutet, Montagniers Gruppe sei mit ihrem LAV der eigentliche Entdecker des Aids-Erregers, nicht Gallos Gruppe mit ihrem HTLVIII.

Inzwischen gilt in Wissenschaftskreisen längst als weitgehend unbestritten, dass Montagniers Gruppe das alleinige Verdienst zustehe, 1983 den Erreger der Immunschwäche Aids entdeckt zu haben.

Insofern bringt die Verleihung des Nobelpreises für Medizin auch ein Stück Wissenschafts-Krimi zum Abschluss. Montagnier und Barré-Sinoussi werden geehrt, Gallo erhält eine öffentliche Ohrfeige.
Nicht vergessen werden sollte bei den vergangenen wechselseitigen Auseinandersetzungen allerdings, dass es neben einem bedeutenden Preis für eine bedeutende praxisnahe medizinische Forschung, neben viel Ruhm und Ehre auch um finanzielle Interessen, um viel Geld geht – die Patentrechte aus HIV-Antikörper-Tests.

Und der Name? HIV? Nicht LAV oder HTLVIII?
Ja, HIV – das Humane Immundefizienz Virus. Die Namensverwirrung um zwei Namen für ein identisches Virus hält nicht lange an. Eine einheitliche Benennung des Aids auslösenden Virus wird im Mai 1986 beschlossen. Das Internationale Kommittee für Virus-Taxonomie (ICTV) benennt LAV und HTLV III während eines AIDS-Kongresses in Paris um in “Human Immuno Deficiency Virus” (HIV) [siehe auch Rubrik ‚AidsZeiten‚ hier].

Nachtrag:
12.12.2008: Eine Verleihung, die Unruhe auslöst. Hätte auch Gallo dern Preis bekommen sollen? ‚Brauchen wir eine Reform bei den Nobelpreisen?‘, fragt die FAZ im Gespräch mit Reinhard Kurth..

15 Gedanken zu „Wissenschaftskrimi um den Aids-Erreger“

  1. ich kann mich noch sehr gut an diesen „krieg“ diese auseinandersetzung erinnern. sie ging zu der zeit auch durch einigemedien. mit dem entdecken war – ist ja nicht nur prestige und ehre sondern auch umfangreiche finanzielle förderung verbunden gewesen. insofern könnt ic mir lebhaft vorstellen das Gallo not amused ist an dem diesjährigen nobelpreis der medizin nicht zu partizipieren bzw mit einbezogen zu werden. das auch eine frau an der entdeckung mit beteiligt war wußte ich allerdings auch nicht. :machogedöns . insofern geht es mir wie termabox – ich finds klasse das ihr auch der preis zugedacht wird.

  2. Danke für die Hintergründe. Diffus war mir bewusst, „dass da noch was war“, weil Montagnier und Gallo immer in einem Atemzug genannt wurden und mir war auch bewusst, dass es da ein Hick-Hack um den Ruhm des „Ersten“ gab.
    Sehr interessant finde ich an der Nobelpreis-Ehrung nun, dass wohl vorrangig einer Frau eine, oder sogar „die“ große Bedeutung bei der Entdeckung von HIV zukommt, Francoise Barré-Sinoussi, deren Name mir bisher völlig unbekannt war. Für sie freut es mich am meisten.

  3. @ termabox:
    ja – frau barrè-sinoussi ist (als mitarbeiterin montaigniers) hierzulande tatsächlich weitgehend unbekannt geblieben. umso schöner, dass sie jetzt zu gleichen teilen geehrt wurde

    @ Dennis:
    ja — damals erinnerte das ein wenig an ‚zickenkrieg_, nicht wahr? 😉
    und – es ging nicht nur um finanzielle förderung – sondern um viel viel geld aus den patentrechten …

  4. Uli,

    Ich darf es nicht sagen (copyright) aber ein Link ist denke ich OK. Jay Levy ist den dritten Entdecker, in Wirklichkeit der zweite. Oder der Man die französische Entdekung bestätigte. In einen Oral History Project kan man seinen Version der Geschichte / Krimi nachlesen.

    Auf Englisch:
    http://www.lib.berkeley.edu/cgi-bin/roho_disclaimer_cgi.pl?target=http://ark.cdlib.org/ark:/13030/kt0r29n43f/

    Joep Lange ist froh dass Françoise Barré-Sinoussi die Preise bekommen hat.
    Für Gallo denkt er dass es ein Tragödie ist. Dank sein Diebstal. Er suggeriert das Gallo auch HTLV-I geklaut hat. Aber Gallo hat auch viel gutes gemacht ausser sein Klauereien.
    Und Montagnier? Er hat nichts sinvolles gemacht nach das Entdecken des virus. Er hat es nicht verdient. Dan hat man die Preise besser an dem Artzt geben könen, die aufs Moterrad ein Lymphnode eines Aidspatiënt zum Institut Pasteur brachte und sagte dass man dort nach Retroviren suchen musste.

    Auf Niederländisch:
    http://www.trouw.nl/achtergrond/Wetenschap/article1873112.ece/Hoogmoed_wordt_afgestraft_.html
    http://noorderlicht.vpro.nl/artikelen/40127615/

    IAS nent Montagnier nicht:
    http://www.iasociety.org/Web/WebContent/File/IAS_Press_Release_Nobel%20Prize%2006-10-08.pdf

    LG, Kees

  5. Wenn gestattet, zwei kleine Berichtigungen:
    Prof. Montagnier war nicht ab 1972 Director des „Institut Pasteur“, sondern der von ihm im gleichen Jahr ins Leben gerufene „Unité d’oncologie virale“ im Institut, in der dann 1983 VIH 1 und 1 985 VIH 2 entdeckt wurden.
    Der Arzt auf dem Motorrad von dem Kees Rümke spricht war (und ist) Prof. Willy Rozenbaum der, wie er selbst sagt, rein zufällig die ersten in Frankreich an HIV erkrankten behandelt hat Er, wie andere wundern sich, dass weder in der franz. noch in der intern. Presse eine dritte Person unerwähnt bleibt, die massgeblichen Anteil an der Entdeckung hatte: Jean-Claude Chermann.

  6. Man wusste im August 1981 dass es nicht nur Homosexuelle waren, die diese Krankheit hatten.
    Ulysse Kommentar No 5
    http://www.ondamaris.de/?p=3550

    Sollte das wirklich der Fall gewesen sein (Kommentar von Ulysee zu “Nobelpreis für teure Plazebos”) dann ist das wirklich ungeheuerlich. Das verschweigen dieser Tasache hat wesentlich zu der Diskriminierung und Ausgrenzung durch die Gesellschaft von Schwulen – alen HIV Positiven geführt. Da stellt sich mir schon die Frage ob das verschweigen nicht eine bewußte Entscheidung gewesen war.

  7. @ TheGayDissenter:
    Sehr gut möglich, zumal es Initiativen gibt, ihm auch den Nobelpreis zuzusprechen. Was allerdings wohl unmöglich sein wird, denn die Statuten des Nobelpreises erlauben nur drei „Gewinner“ pro Sparte.

  8. @ TheGayDissenter:
    Sehr gut möglich, zumal es Initiativen gibt die versuchen, auch ihm den Nobelpreis zuzusprechen. Was allerdings wohl unmöglich sein wird, denn die Statuten des Nobelpreises erlauben nur drei „Gewinner“ pro Sparte.

Kommentare sind geschlossen.