Menschen, die eine späte HIV-Diagnose haben (‚late diagnosis‘), tragen entgegen anderslautenden Vermutungen nur marginal zur HIV-Epidemie bei. Zu diesem Schluss kommt eine dänische Untersuchung.
Menschen mit einer ‚late diagnosis‘, einer erst spät im Infektionsverlauf erfolgenden HIV-Diagnose seien ein wesentlicher Faktor, womöglich gar der ‚Motor‘ der HIV-Ausbreitung, diese These wuird oft aufgestellt. Eine dänische Untersuchung stellt diese These nun in Frage – mit potentiell weitreichenden Folgen für die HIV-Prävention.
Die Forscher untersuchten mit Hilfe phylogenetischerAnalysen (Untersuchungen der ‚Abstammung‘ verschiedener HIV-Proben, bzw. ihrer ‚Verwandtschaft‘ untereinander) HIV von 1.515 Menschen in Dänemark (davon 696 schwule Männer), bei denen ab 2001 jüngst eine HIV-Infektion neu diagnostiziert worden war. Sie suchten nach Netzwerken und Gruppen (Cluster) von HIV-Übertragungen, um herauszufinden, welche Faktoren zu einer HIV-Ausbreitung beitragen.
Unter den 1.515 HIV-Positiven befanden sich 260 mit einer primären (‚frischen‘) HIV-Infektion, sowie 460 mit einer späten Diagnose. Die Forscher konnten 46 HIV-Übertragungs-Cluster identifizieren, an denen insgesamt 502 Personen beteiligt waren.
Überraschende Ergebnisse:
- die Hälfte aller HIV-Positiven (in dieser Studie) mit primärer HIV-Infektion bewegten sich in diesen Clustern,
- doch nur 20% der HIV-Positiven mit einer späten HIV-Diagnose bewegten sich in diesen Clustern.
An den zwei größten Clustern von HIV-Übertragungen waren insgesamt die Hälfte aller Personen mit primärer HIV-Infektion beteiligt.
Die Forscher stellten fest, dass Personen mit niedrigen CD4-Werten weniger zur HIV-Epidemie beitragen als Personen mit hohen CD4-Werten:
„Individuals presenting with low CD4 T-cell counts contribute less to the epidemic than individuals with higher CD4 T-cell counts.“
Die Tatsache, in einem der Cluster von HIV-Übertragungen zu sein, war deutlich assoziiert mit einem Lebensalter unter 30 Jahren, injizierendem Drogengebrauch, primärer HIV-Infektion sowie Sex mit Männern.
Resumee der Forscher:
„Danish HIV epidemic is driven mainly by younger homosexual men diagnosed during primary HIV infection. VLP’s [very late presenters, d.Hg.] appear more frequently in smaller clusters or as single branches in the phylogeny. The VLP contribution is not of significant importance from a transmission standpoint.“
Sie schlußfolgern, HIV-Prävention solle sich gezielt an junge schwule Männer wenden, besonders an jene mit hohem Risiko einer primären HIV-Infektion.
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weitere Informationen:
Audelin AM et al. Phylogenetics of the Danish HIV epidemic: the role of very late presenters in sustaining the epidemic. J Acquir Immune Defic Syndr, online edition, DOI: 10.1097/QAI.0b013e318276becc, 2012. (abstract auf PubMed)
aidsmap 05.11.2012: Denmark: Late HIV diagnosis not a major factor in continued spread of HIV
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Ist das wirklich so neu?
Ich erinnere mich an Gespräche aus den Anfängen in denen genau darüber gesprochen wurde. Je höher die Virenlast desto höher das Übertragungsrisiko. EKAF bestätigt letztendlich nur die Tatsache.
Die Frage die sich daraus ergibt ist doch wie erreicht man die frisch Infizierten, die wie bestätigt in der Infektionskette das größere Risiko sind, Personen die meist davon ausgehen noch ganz gesund zu sein? Selbst Leute die 1/4 Jährlich freiwillig zum Test rennen fallen darunter.
@ Diego:
nein, so neu ist die Erkenntnis generell nicht, sie deckt sich mit cder Einschätzung vieler ‚Präventionisten‘.
Aber m.W. gibt diese Studie erstmals ‚harte Daten‘ im epidemiologischen Kontext.
die Schlussfolgerung könnte zB lauten, dass ‚late diagnosis‘ auf individueller Ebvene ein wichtiges Thema ist, das Azufmerksamkeit braucht – dass es aber hinsichtlich der Dynamik der HIV-Infektion keine große Relevanz hat.