Bundesregierung: EKAF hat „keine Auswirkungen auf HIV-Prävention“

‚Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern“ hat sich namens der Bundesregierung Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder geäußert. Anlass war eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Höll, Klaus Ernst, Karin Binder, Katja Kipping, Monika Knoche, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion ‚Die Linke‘ vom 22.09.2008 (Bundestagsdrucksache 16/10304, als pdf hier).

In ihrer Antwort formuliert die Bundesregierung ihre Unterstützung für die neue bundesweite Präventionskampagne der DAH „ich weiss, was ich tu!„:

Die Bundesregierung befürwortet die Ausarbeitung und Durchführung der zielgruppenspezifischen Kampagne für die Zielgruppe der MSM durch die DAH.

Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)
Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)

Wichtiger (auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen darüber, wie szene-nahe Kampagnen zu gestalten sind) ist die Antwort auf die Frage „Wie beurteilt die Bundesregierung den Gebrauch von szenetypischen Gegriffen für den sexuellen Kontakt in der Gruppe der MSM im Rahmen einer Präventionskampagne?„. Dr. Schröder antwortet:

„Die Bundesregierung hält die zielgruppenspezifische Ansprache und den Gebrauch von zielgruppenspezifischen Begriffen in der HIV-Prävention weiterhin für richtig und notwendig.“

Auf die Frage, „welche HIV-Präventionsmöglichkeiten gibt es neben dem Kondom und wie könnten diese im Sinne der HIV-Prävention vermittelt werden?“ bemerkt die Bundesregierung u.a.:

„Das Kondom gilt weltweit und auch in der HIV-Prävention in Deutschland als wirksamster Schutz vor der HIV-Infektion. Darüber hinaus gelten die Safer Sex-Regeln …“

… um in Sachen des EKAF-Statements und seiner Beurteilung durch die Bundesregierung zu ergänzen

„Die Stellungnahme der … EKAF und insbesondere ihre Gültigkeit für homosexuelle Sexualkontakte wird weltweit wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert.
Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statement deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Auswirkungen auf die HIV-Prävention, insbesondere auch nicht für homosexuelle Männer. …“

Immerhin, die Bundesregierung sieht Forschungsbedarf:

Untersuchungen sind daher erforderlich zu den Unterschieden zwischen dem Transmissionsrisiko über vaginale Schleimhaut und dem über rektale Schleimhaut unter einer effektiven antiretroviralen Therapie.

… hüllt sich aber hinsichtlich ihrer Ambitionen diese Forschungen auch zu fördern ein wenig im Nebel. Sie verweist auf ein Düsseldorfer Forschungsprojekt zum sexuellen Risikoverhalten sowie RKI-Studien zur Rolle anderer sexuell übertragbarer Infektionen bei HIV. Keine Aussagen zu Forschungen hinsichtlich des EKAF-Statements, stattdessen belanglose Allgemeinplätze:

Sollten Forscherinnen und Forscher darüber hinaus erfolgversprechende Anträge für Forschungsvorhaben einreichen, wird die Bundesregierung die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung sorgfältig prüfen.

Das EKAF-Statement hat keine Bedeutung für die HIV-Prävention, wohl aber die Positiven, meint die Bundesregierung:

„… HIV-Positive können mit ihrem Verhalten zur Nichtübertragung des Virus entscheidend beitragen. Hierfür wird auch ein Klima benötigt, das es HIV-Positiven ermöglicht, offen über ihre Infektion zu sprechen. Dies ist … bis heute nicht ausreichend gewährleistet.

Wie sie dieses bisher ihrer eigenen Ansicht nach nicht ausreichend gewährleistete Klima zu schaffen oder befördern gedenkt (über die iwwit-Kampagne hinaus), dazu äußert sich die Bundesregierung nicht.
Immerhin, der Bundesregierung scheint bekannt, dass es nicht „die homosexuelle Lebensweise“ gibt: Auf die Frage „Wie haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Lebensweisen schwuler Männer verändert?“ antwortet Staatssekretät Dr. Klaus Theo Schröder namens der Bundesregierung

„Die Lebensweisen homosexueller Männer haben sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert. Es handelt sich zudem um eine sehr heterogene Gruppe, die unterschiedliche Lebensweisen führt  …“

Barbara Höll, eine der Initiatorinnen der Kleinen Anfrage, kommentierte in einer Stellungnahme „Erfreut nehme ich die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zur Kenntnis, dass die Bundesregierung das Konzept der strukturellen Prävention (hier: Emanzipation und Akzeptanz schwuler Männer als Voraussetzung für eine erfolgreiche HIV-Prävention) unterstützt und befürwortet. Aber dies steht im Widerspruch zu ihrer eigenen Politik. Die völlige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen wäre umgehend umzusetzen, insbesondere durch das Gleichstellen der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Nur dann wären Schwule, wie auch Lesben, auch rechtlich gleichgestellt und ihre Lebensweisen stärker akzeptiert. Wer die HIV-Prävention bei schwulen Männern stärken will, muss die Akzeptanz schwuler Lebensweisen fördern. Nur ein selbstbewusst schwuler Mann, der gesellschaftlich akzeptiert wird, kann auch erfolgreich HIV-Prävention umsetzen.“

Die vollständige Antwort der Bundesregierung steht hier auf ondamaris als pdf zur Verfügung.

Kurz nach Vorlage ihres Berichts (pdf hier) über den ‚Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften‘ (den TheGayDissenter liebevoll ‚Homophobiebericht‘ betitelt) äußert sich die Bundesregierung auch zur Zukunft der HIV-Prävention bei schwulen Männern.
Zunächst ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung -nachdem sie in der Vergangenheit selbst für einige Stolpersteine gesorgt hatte-
die erste bundesweite HIV-Präventionskampagne der DAH für schwule Männer („ich wiess, was ich tu!“) unterstützt, und dass sie auch zilegruppengerechte Sprache begrüßt.

Erstaunlich, wenn auch nach dem Verhalten in den letzten Monaten zu erwarten, ist dass die Bundesregierung im Statement der EKAF keinerlei Auswirkungen auf die HIV-Prävention sieht. Man könnte den Eindruck bekommen, die Lebensrealitäten schwuler Männer sind hier teilweise weiter als die Einsichtsfähigkeit der Bundesregierung.

Zu begrüßen ist, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass das gesellschaftliche Klima für HIV-Positive bisher alles andere als diskriminierungsarm ist. Auch wenn die Bundesregierung dies leider ausschließlich unter dem Präventions-Aspekt sieht, die Lebensrealitäten von Positiven in der Allgemeinbevölkerung wie auch in den eigenen Szenen ist häufig von Verstecken, Stigmatisierung und Diskriminierung beeinträchtigt (wie gerade wieder das gestern bekannt gewordene Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts zeigt(siehe ‚HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung‘)).
Wenn der Bundesregierung diese Tatsache (des ’nicht ausreichend‘ diskriminierungsarmen gesellschaftlichen Klimas) bekannt ist, ist es allerdings umso erstaunlicher, dass nach dieser Feststellung keinerlei über iwwit hinausreichende Ansätze erkennbar sind, wie denn die Situation von Menschen mit HIV  zum Besseren verändert werden könnte. Möglichkeiten hierzu hätte die Bundesregierung vermutlich genug …

10 Gedanken zu „Bundesregierung: EKAF hat „keine Auswirkungen auf HIV-Prävention““

  1. Mein Fazit und Kommentar zu den recht luftleeren Bemerkungen der Bundesregierung zur Diskriminierungssituation von HIV.Positiven:

    Gesellschaftlich scheint eine Entstigmatisierung und Entdiskriminierung von HIV-Positiven nicht gewollt. Angesichts steigender Lebenserwartung und dank einer durch wirksame Therapie gebannten Infektiosität sehen sich HIV-Positive nicht mehr als „Gefahrenträger“ oder „Todgeweihte“, sondern wollen mit wieder gleichen Chancen wieder ins gesellschaftliche Kollektiv zurückzukehren, und fordern ein, wieder unter den Lebenden „eingeladen“ zu werden. Die alten Bilder über AIDS und die Zuschreibungen der Gesellschaft über sie als HIV-Positive passen nicht mehr zu ihren Lebensrealitäten und potenziellen Lebensmöglichkeiten.

  2. Gott sei Dank hat die Deutsche Aids-Hilfe schon im März erklärt, dass durch das EKAF-Statement „unsere bisherigen Präventionsbotschaften sinnvoll und wirksam ergänzt“ werden.
    Sie hat daher folgerichtig die EKAF-Veröffentlichung auch ausdrücklich begrüßt, und zu Recht als einen „Paradigmenwechsel“ für „die bisherige Risikoeinschätzung in der Gesellschaft“ charakterisiert.
    Damit hat sie sich nicht nur gegen die politisch motivierte Blindheit der Politik („keine Auswirkung auf die Prävention“) gewandt, sondern auch gegen ein wirklichkeitsfremdes und unsachlich verkürztes Verständnis von Prävention.

    Zu wünschen ist freilich, dass die Aidshilfe das künftig deutlicher und selbstbewußter auch gegenüber „der Politik“ vertritt…

  3. @ Matthias
    Die Äusserungen der EKAF sind doch eigentlich ein alter Hut und schon längst im Kalkül der Prävention. Sie werden auch in die Botschaften der Deutschen Aids-Hilfe einfliessen. Das tun sie auch schon. Man muss die Leute da oben halt mitnehmen, einige muss man mitziehen, andere hinstossen.
    „Hinstossen“ mit Kondom natürlich!
    Wenn die Regierung allerdings nur die Homos domestizieren möchte, dann Gute Nacht! Wir wissen doch warum Sie die Prävention so reduziert verstehen. Sie wurden doch jahrelang informationstechnisch klein gehalten.
    Diese „Düsseldorfer Untersuchung“ ist doch eine Bochumer Untersuchung, oder?

  4. @ alf

    „mit Kondom natürlich“ ? – also, ich find´s immer noch „unnatürlich“ mit Kondom ;-))

    Du hast völlig recht, nur sollte das „Ziehen und Stossen“ endlich etwas intensiver werden (das macht schließlich doch auch allen mehr Spaß, oder?)

  5. Zur „Domestizierung der Homos durch die Regierung“:

    im letzten RKI-Bericht findet sich im Kleingedruckten die interessante Empfehlung an die Regierung, „monogame Lebensweisen“ unter Homosexuellen zu fördern, meinst Du das mit „domestizieren?!?…

  6. Ich weiss was Du letzten Sommer gemacht hast, mein Lieber!
    Manches möchte man aber wirklich nur mit Kondom penetrieren, glaub´s mir! Auch wenn´s unnatürlich ist…. ;-))

  7. @ Matthias 5
    Das Kleingedruckte habe ich gar nicht gelesen, ist ja auch Schwachsinn. Die „monogame Lebensform“ – so hätte es ein bekannter Protagonist gesagt – ist doch „ein heterosexuelles Auslaufmodell“ :-))
    Mit Domestizierung meine ich den unnötigen Kondomzwang. Früher haben wir das ja noch als fast allgemeingültigen Schutz beim Ficken akkzeptiert, wegen sinnvoll. Jetzt unter den neuen Bedingungen nimmt der Homo sich aber immer mehr raus, und will ohne Kondom. Das darf der nicht. Selbst wenn das „Risiko“ im Safer-Sex-Bereich ist.

  8. Wenn ich die Richtung der momentanen Diskussion richtig deute, geht es aber grade wieder dahin, neben dem Kondom besonders die Monogamie wieder als Instrument einer zur „Domestizierung“ mißbrauchten Prävention in Stellung zu bringen. Und nicht wenige in der schwulen „community“ fallen darauf rein: „EKAF gilt doch nur für monogame Beziehungen!“ und was dergleichen Mißverständnisse mehr getsreut werden…

  9. Was das EKAF Papier und die noch ausstehende Stellungnahme der DAH betrifft wird diese (die Stellungnahme) durch diese Vorgabe durch die Bundesregierung

    „Die Stellungnahme der … EKAF und insbesondere ihre Gültigkeit für homosexuelle Sexualkontakte wird weltweit wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert.
    Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statement deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Auswirkungen auf die HIV-Prävention, insbesondere auch nicht für homosexuelle Männer. …

    wohl kaum inhaltlich anders ausfallen – auch oder gerade mit dem neu gewählten Vorstand. Wes Brot ich eß, des Lied ich sing.

  10. Die Propagierung von Monogamie (gemeint ist „Treue“) führt zu nix wie wir in den Staaten sehen. Im Gegenteil.
    Da war übrigens auch ein putziger Hasenfuß im EKAF-Papier: Wo soll denn eine andere sti (sexuell-übertragbar!) herkommen bei einem mongam lebenden Paar?

Kommentare sind geschlossen.