Kriminalisierung der HIV-Infektion – neue Fälle international (akt.)

International steigt die Zahl der Ermittlungsverfahren und Urteile gegen HIV-Positive. In jüngster Zeit hat es international zahlreiche Urteile und Prozesseröffnungen gegen HIV-Positive gegeben. Eine Übersicht über einige der Urteile und Ermittlungsverfahren der letzten Monate:

Justitia
Justitia

Besondere mediale Aufmerksamkeit erfuhr seit seinem Bekanntwerden im Mai 2007 ein recht spezieller Fall in den Niederlanden. In Groningen wurde im Oktober 2008 das Verfahren gegen drei 39, 48 und 49 Jahre alte Männer eröffnet. Ihnen wird vorgeworfen, zwischen 2005 und 2007 mindestens 14 junge schwule Männer bei über Dating-Portalen organisierten Parties mit GHB betäubt und ohne Kondom vergewaltigt zu haben. Anschließend sollen sie ihnen ihr Blut injiziert haben. 12 der 14 Männer sind inzwischen HIV-positiv. Der Staatsanwalt forderte Haftstrafen zwischen acht und fünfzehn Jahren. Die Verteidiger einiger der Betroffenen kündigten für den Fall einer Verurteilung bereits Zivilklagen auf Schadenersatz an.

In Finnland wurde ein 25jähriger Mann zu 10 Jahren Haft sowie 330.000€ finanzieller Entschädigung verurteilt. Ihm wurde zur Last gelegt, 5 Frauen vorsätzlich mit HIV infiziert und mit mindestens 14 weiteren Frauen Sex ohne Kondom gehabt zu haben. Die Verurteilung erfolgte bereits im April 2008, die Bekanntgabe des Strafmasses erst im Spätsommer.

In Australien wurde im Juli 2008 ein 49jähriger Australier mit der Begründung verurteilt, wissentlich andere Männer mit HIV infiziert zu haben. Er wurde in 15 Fällen für schuldig befunden, darunter auch mindestens ein Fall von Vergewaltigung.
Ein 42jähriger Mann wurde in Canberra zu 10 Wochen Haft verurteilt, weil er als Callboy tätig war, obwohl er mit HIV und Hepatitis C infiziert ist. Es gab keine Beweise für ungeschützten Sex. In der australischen Hauptstadt (bzw. im ACT Australian Capital Territory) ist schon die Arbeit als Callboy verboten, wenn eine sexuell übertragbare Infektion vorliegt.

In Kanada steht ein 52jähriger Mann vor Gericht, dem Mord vorgeworfen wird. Zwei Frauen, die durch ihn mit HIV infiziert worden sein sollen, sind inzwischen verstorben.  Es ist der erste Prozess in Kanada mit Mord-Vorwurf aufgrund HIV-Infektion. Gegen den Angeklagten wird bereits seit fünf Jahren ermittelt, diese Zeit hat der Angeklagte bereits in Untersuchungshaft verbracht.
Bereits im Februar 2007 war ein kanadischer Mann verurteilt worden, dem vorgeworfen wurde, wissentlich zwei Frauen einem HIV-Infektionsrisiko ausgesetzt zu haben.

In den USA wurde ein schwuler DJ unter Hausarrest gestellt. Er habe seinen HIV-positiven Status nicht offen gelegt und mit drei Personen ungeschützten Sex gehabt. Anfang Oktober wurde ihm von Gesundheitsamts-Bediensteten in Raleigh, North Carolina vorgeworfen, trotz einer ‚Bewährungsauflage‘ (nicht mehr unsafen Sex zu haben) erneut Sex ohne Kondom gehabt zu haben. Er hatte sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Krankheit infiziert. Statt zu einer vierzigtägigen Haftstrafe wurde er zu sechs Monaten elektronisch überwachtem Hausarrest verurteilt. Zudem muss er sich einer psychologischen Bewertung unterziehen. Für den Fall eines erneuten Verstoßes gegen die Auflagen drohen ihm 25 Tage Haft sowie eine zweijährige ‚Quarantäne‘ in der Krankenabteilung einer Justizvollzugsanstalt. Die Gesetzgebung von North Carolina lässt rigide Maßnahmen zur Kontrolle von Infektionskrankheiten zu.

Und auch in Frankreich werden Menschen wegen HIV-Infektion verurteilt – so Anfang Juni 2008 ein heterosexueller Mann in Marseille zu drei Jahren Haft (angeblich mit dem staatsanwaltlichen Kommentar „sie sind ein Saukerl“).
Die strafrechtliche Verfolgung von HIV-Transmissionen war inzwischen in Frankreich sogar Thema in Homo-Magazinen:

pref01.jpgpref02.jpg

Derweil gehen auch die politischen Auseinandersetzungen weiter. Wer muss wem Daten liefern, bei Ermittlungen unterstützen? Und reicht Fahrlässigkeit alleine schon für eine Verurteilung aus?

In Schweden z.B. geriet die Frage in die Diskussion, in wie weit ein epidemiologisches Institut sich zum Handlanger der Strafverfolgungsbehörden machen muss – und ob Kriminalisierung eine wirksame HIV-Prävention beeinträchtigt.
Das Schwedische Institut für Infektions-Krankheiten geriet in die öffentliche Kritik, als es sich zeitweise weigerte, die Polizei des Landes bei Ermittlungen wegen wissentlicher HIV-Infektion zu unterstützen. In einer medizinischen Zeitschrift (Dagens Medicin) hatten Vertreter des Instituts zuvor mitgeteilt, sie würden die Zusammenarbeit mit den Strafverfolgungsbehörden einstellen, da sie die gegenwärtige Gesetzgebung für falsch hielten, die die HIV-Übertragung kriminalisiere. Die Strafandrohung beeinträchtige eine wirksame Prävention. Menschen, die vermuteten HIV-infiziert zu sein, würden aus Angst vor Strafverfolgung keinen HIV-Test machen.
HIV gehört auch in Schweden zu den meldepflichtigen Infektionen (anonyme Meldepflicht durch Ärzte). Der behandelnde Arzt ist zur nichtnamentlichen Meldung (per sog. klinischer Meldung) verpflichtet, unabhängig vom Erregernachweis im Labor (schwedisches Infektionsschutzgesetz von 1989/1997). Zudem muss der Arzt Fehlverhalten des Patienten melden, wenn dies zur Verbreitung der Infektion beiträgt (1). Wissentliche HIV-Übertragung kann in Schweden mit bis zu zehn Jahren Haft bestraft werden.

In der Schweiz wurde im Juni in einem bemerkenswerte Urteil ein Mann wegen fahrlässiger HIV-Infektion verurteilt, obwohl er selbst nicht von seiner HIV-Infektion wusste (Urteil 6B_235/2007 vom 13. Juni 2008).
Es war der erste Fall, bei dem zuvor das Bundesgericht zur Frage der HIV-Infektion durch Fahrlässigkeit Stellung genommen und dann den Fall an das Obergericht zurückverweisen hat. Das Bundesgericht hat dabei festgestellt: „Wer die Möglichkeit der eigenen HIV-Infektion ignoriert und den Partner ansteckt, kann wegen fahrlässiger schwerer Körperverletzung verurteilt werden.“
Die Diskussion, in wie weit das Statement der EKAF (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapier ohne weitere STDs‘) auch im juristischen Raum zu einer neuen Lage für die Rechtsprechung führen müsste, verläuft unterdessen eher verhalten.

(1) Gerlinde Klöckner „Infektionskrankheiten – Aspekte der Meldepflicht“, Inauguraldissertation an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, 2005 (pdf)

Nachtrag
13.11.2008: Urteile im Fall in den Niederlanden: ‚Prozess: Niederländer für vorsätzliche HIV-Infektion verurteilt‘, schreibt die Zeit und 365gay.com erwähnt in seinem Bericht, in dem Urteil sei berücksichtigt worden, dass die HIV-Infektion als chronische Krankheit betrachtet wurde, nicht als tödlich (dank an TheGayDissenter für den Hinweis).

3 Gedanken zu „Kriminalisierung der HIV-Infektion – neue Fälle international (akt.)“

  1. Die „Kriminalisierung“ geht sogar soweit, dass man bei uns – bzw. in Bayern – von einem „HIV-Milieu“ spricht….*fg

  2. @ Kalle:
    die meldung hab ich heute auch im feed gehabt, mit gruseln gelesen … und hab gedacht, mensch das müsste man dem presserat als unwort des jahres melden.
    hast du zufällig einen leserbrief geschrieben?
    aber – vielleicht könnte die dah ja auch einen preis ausloben für „die stigmatisierung des jahres“? dann wäre das hier ein preiswürdiger kandidat …

  3. Hi Ulli,

    nein; ich habe den Bericht allerdings kurz vor deinem Blog gelesen, und gedacht, nach all diesen Meldungen von dir, gehört dieser Artikel unbedingt hier erwähnt. Aber man sollte wirklich einen Leserbrief wegen dieser Headline schreiben,

    lg Kalle

Kommentare sind geschlossen.