Ein 23jähriger junger Mann ist vor einer schwulen Bar in Berlin-Schöneberg zusammengeschlagen worden. Schwer verletzt, musste er u.a. wegen Schädelfraktur und massiver Gesichtsverletzungen notoperiert werden. Das Antigewaltprojekt Maneo geht von einem gezielt antischwulen Angriff aus; bei den Tätern soll es sich um Männer osteuropäischer Herkunft gehandelt haben.
Berlins Schwulen- und Lesbenszene reagiert bestürzt. Erst kürzlich war erneut das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen beschädigt worden. Nun eine weitere Eskalation homophober Gewalt? Eine ganze ‚Welle‘, wie der LSVD formuliert?
Stammtisch-Debatten auf schwulen Internetseiten faseln bereits von ‚mehr Polizei‘, ‚akuter Sicherheitsplan‘, ‚hart durchgreifen‘, ‚Elektroschockern‘, versteigen sich in Demagogie, rechtspopulistischen Parolen und Phantastereien.
Gewalt ist auch im Nollendorf-Kiez keine neue Erscheinung. Es hat sich atmosphärisch etwas verändert – ‚Heile Homo-Welt Nollendorf‘ – vielleicht bei Tage, vielleicht bei den schwul-lesbischen Hochämtern wie Ostertreffen, CSD, Straßenfest.
Aber längst schon nicht immer. Bereits seit längerem hört man von abendlichen Kneipenbesuchern Klagen über Belästigungen, Rüpeleien, verbale Gewalt auf der Motzstrasse und im umliegenden Kiez. Und so bestürzend es ist, es ist auch nicht das erste Mal, dass im Nollendorf-Kiez jemand angegriffen, verletzt, krankenhausreif zusammengeschlagen wird.
Heile Homo-Welt Nollendorfplatz – ein ‚krimineller Brennpunkt‘?
Ist ein ‚reclaim the Kiez‘ Motto der Stunde?
Erinnert sei in diesem Zusammenhang auch an die ‚Flucht‘ des ‚Café PositHiv‘ aus der Alvenslebener Straße vor einigen Jahren. Auch hier waren Gewaltattacken aus der Nachbarschaft einer der Hintergründe (es gab auch andere, Zivilcourage könnte einer gewesen sein). Gewaltattacken bei denen mir letztlich unklar blieb, ob sie serophob (gegen HIV-Positive) oder homophob (gegen Schwule) waren. Oder gar ’nur‘ allgemein xenophob? Im Sinne von ‚wir leben hier, wir verteidigen unser Viertel gegen ‚das Fremde‘, und das seid in diesem Fall ‚ihr‘?
Klaus Wowereit könnte mit seinem (über Homophobie hinausreichenden) Hinweis, Offenheit und Toleranz zu verteidigen, so verkehrt nicht liegen.
Und – ‚verteidigen‘ hat mehr Seiten als ’nur‘ nach mehr Rechtsstaat und mehr Polizeipräsenz zu rufen. Jeder kann sich fragen – was tun wir, was tue ich, was tust du, um Offenheit und Toleranz zu verteidigen? Um Stimmungsmache, neue Feindbilder, Eskalation zu verhindern? Um Toleranz und Zivilcourage selbst zu leben?
Ich denke, dass diese Gewalt ein gesellschaftliches Problem ist. Beinahe jedes Wochenende kann man im Polizeibericht lesen, dass z.B. bei uns in der Altstadt Jugendliche andere Jugendliche, Männer oder Frauen überfallen, ausgerauben oder zusammenschlagen. Dies geschieht nicht in dunklen Ecken oder Strassen, sondern offen in der Fussgängerzone bzw. auf Plätzen, weil niemand eingreift….meist aus Angst selbst zum Opfer zu werden. Dass dies auch in der Szene passiert, lässt sich nicht vermeiden, zumal Schwule für die Täter noch leichtere Opfer darstellen, weil sie sich oft scheuen, einen Übergriff bei der Polizei anzuzeigen. Mehr Zivilcourage könnte die Täter abhalten, doch muss man gleichzeitig die eskalierende Brutalität bremsen, die in den letzten Jahren solche Übergriffe erst ins Rampenlicht brachte.
Es ist bestürzend, wie diese bürgerliche Gesellschaft ihre Augen vor der Tatsache verschliesst, dass Jugendliche (und Kinder auch!) offenbar massive Probleme mit ihrer Sexualität und ihrer sexuellen Identität haben. Ich hab grad kürzlich im ollen Kinsey aus 1948 recherchiert, der damals schon die Zusammenhänge in seinen Befragungen aufgedeckt hat, inklusive dem Autorasen…
Wieso werden nur alle Erkenntnisse der letzten 100 Jahre nicht mehr rezipiert und aktualisiert? Es muss nichts neu er(ge)funden werden. Nur der politisch-korrekte Blick muss endlich verschwinden!
@ Kalle:
ja, ich stimme dir zu, dass gewalt kein rein schwulenspezifisches problem ist.
„weil niemand eingreift“ – genau! sondern im zweifelsfall sogar eher wegläuft statt zu helfen … selbst erlebt bei ner gegen einen schwulen mann gerichteten attacke …
zivilcourage!