Über den Workshop „Sexualität im Wandel“, der am Samstag, 31. Januar 2009 auf den ‚Positiven Begegnungen 2009‘ stattfand, heute ein Gastbeitrag von Bernd Aretz und Corinna Gekeler:
Sexualität im Wandel
Unter diesem Titel trafen sich sic h in einem Workshop der Positiven Begegnungen in Stuttgart mehr als 50 Männer und Frauen, darunter auch Jugendliche, aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Deutschland, um sich über ihre Schutzstrategien in der Sexualität auszutauschen. Ein Königsweg war natürlich nicht zu erwarten, aber es gab vielfältige Hinweise, wo die Ängste liegen und was zu ihrem Abbau hilfreich sein kann. In der Eröffnungsrunde wies Corinna Gekeler darauf hin, dass sie als HIV-Negative Safer Sex im herkömmlichen Sinn für sich auch dann für eine Selbstverständlichkeit hält, wenn sie weiß, dass der Partner gut therapiert ist und lediglich eine sehr geringe HIV-Übertragungsgefahr besteht. Sie möchte in intime Beziehungen nicht die Vor- und Nachteile von Laborwerten einbrechen lassen und schon gar nicht dem Partner, der vielleicht mit einer gestiegenen Viruslast Therapieversagen konfrontiert sein könnte, obendrein mit dann auftauchenden Sorgen über erhöhte Risiken zumuten. Aber die Therapien lassen sie beruhigt an „Kondomunfälle“ und Grauzonen im Umgang mit Safer Sex denken. Auch für Bernd Aretz, den Comoderator, stellen die Therapien – nicht erst seit der Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids Fragen – eine deutliche Erleichterung dar, die bei ihm durchaus auch zur Kondomverzicht führen kann. Er nimmt sich selbst nicht mehr als gefährlich war, wies aber darauf hin, dass sich das für Partner anders darstellen kann. Ängste sind nun mal real – wenn auch nicht nimmer wissenschaftlich begründet – und der Respekt gebietet es, sie zu akzeptieren. Es kann und darf lange dauern, bis sie sich verlieren. Bis dahin gilt es, sich in Gelassenheit zu üben.
Das Absprechen von Feldern der Sexualität, die angstfrei von den allen Beteiligten erlebt werden können, war ebenso Thema, wie die plötzlich auftauchenden Erektionsschwierigkeiten der Männer. Es ist ein verschlungener und weiter Weg vom Kopf zum Bauchgefühl. Da kann es für manche hilfreich sein, den Schwanz mit den Rechten eines eigenständigen Dritten auszustatten, der zu nicht mehr verpflichtet ist, als sich, wenn er am Spiel teilnimmt, an die ausgehandelten Regeln zu halten. Offenheit war ein Thema, das sich durch den Workshop zog. Von einigen negativ Getesteten kam der Hinweis, dass es für sie einen Unterschied mache, wenn sie wüssten dass der Mensch gegenüber positiv sei. Ob sie sich dann auf eine sexuelle Begegnung einließen, wüssten sie nicht, um dann aber aus ihrer Erinnerung doch Erlebnisse auftauchen zu lassen, die sie mit offen Positiven hatten und als sehr nah und bewegend beschrieben. In Kleingruppen tauchte das Thema auf, wie damit umzugehen ist, wenn nicht gleich zu Beginn klare Verhältnisse geschaffen wurden. Kann man dem Partner nach sechs Monaten oder zwei Jahren noch zumuten, zu erklären, dass man vergaß, die eigene Infektion mitzuteilen? Ängste vor Ausgrenzung wurden sichtbar. Dazu gab es ein paar nützliche Hinweise, wie etwa in einer fremden Großstadt sich bei Gelegenheitsbegegnungen in der Offenheit zu üben, ohne gleich vor Ort in der Kleinstadt das Leben als Aussätziger befürchten zu müssen. Das Internet als Möglichkeit mit einem Zweitprofil eine Sprache für den Umgang mit HIV zu finden, ohne sich gleich in größerem Rahmen zu den Viren zu bekennen tauchte in den Beschreibungen der individuellen Wege auf.
Es wurde von den Erfahrungen mit der Angabe „Safer Sex nach Absprache“ im Chatprofil berichtet. Von den HIV-Positiven wurde das als ernsthaftes Gesprächsangebot über die konkreten Bedingungen der Sexualität verstanden, wenn es auch durchaus vorkommt, dass User mit dieser Selbstbeschreibung HIV-Positive als Sexualpartner ablehnen. Immerhin erspart man sich unliebsame Begegnungen und frustrierende Erlebnisse auf der Bettkante. Zur Klärung der wechselseitigen Wünsche und Erwartungen trägt es jedenfalls oft bei. Als Mythos entpuppte sich die oft zu hörende Klage, bei einem Wunsch nach Kondom werde man als Sexualpartner zurückgewiesen. Das mag ja im Einzelfall mal vorkommen, bei der Verabredung von kondomfreien Events sicher häufiger, aber die Grundstimmung war, dass es konkrete eigene Erlebnisse kaum zu berichten gab. Auf diese Begegnung könne aber auch gut verzichtet werden.
Durch den ganzen Workshop zog sich die Einsicht, dass es mit der Entängstigung der Positiven , die ihm Rahmen der Behandlung gut informiert werden und den Negativen, die in Masse mit den entlastenden Faktoren weniger vertraut sind, durch die Entwicklungen der Medizin nicht getan ist. So wurde vielfach der zögerliche Umgang mit der bis zur Unkenntlichkeit verschwindenden Infektiosität durch erfolgreiche Therapien verurteilt. Er verstärkt die Stigmatisierung HIV-positiver Menschen, sei es durch sich selbst oder durch die Umwelt, und erschwert den Positiven das Coming Out. Die vielfach geäußerte Befürchtung, die breite Kommunikation würde zu einer Gleichgültigkeit führen, fand in den Beiträgen der WorkshopteilnehmerInnen keine Nahrung. Im Gegenteil. Es wird noch lange dauern, bis ein gelassenerer Umgang mit der eigenen Infektion sich durchsetzt und den Blick auf die Ängste der Partner öffnet.
Interessant waren die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Bedeutung des Einbringens eines Verlangen nach Safer Sex. Aus der Sicht der HIV Negativen war es kein Problem, aus der Sicht der Positiven ging es einher mit der Überlegungen vom Schutz vor allen möglichen zusätzlichen Infektionen bis hin zur Befürchtung, dass damit ein Nachfragen provoziert werde, „Bist Du eigentlich positiv?“. Was man natürlich mit der Gegenfrage beantwortet könnte, ob denn der andere seit drei Monaten vor seinem letzten negativen Testergebnis gesichert keine ungeschützten Kontakte hatte, wenn er so auf den Wunsch nach Kondomgebrauch reagiert.
Der Wunsch nach einverständlichen Handlungen auf der Basis gut kommunizierter Schutzbedürfnisse (auch vor STIs) stand für alle TN im Vordergrund. Nicht Angst sei immer der wichtigste Motor, sondern vielmehr Achtsamkeit oft das passende Wort.
Es wurde von der Strategie berichtet, sich als HIV-infizierter Mensch auf positive PartnerInnen zu beschränken, wobei die Wege der Liebe und der Anziehung jedoch häufig andere Optionen wünschenswert erscheinen lassen. Die vielen serodifferenten Partnerschaften legen davon Zeugnis ab und auch davon, dass es eben keine durchgängige Ausgrenzung HIV-positiver Menschen gibt.
Kommunikation und Respekt sind für alle Beteiligten gute Ratgeber. Das Sprechen über Sexualität ist möglich. Es steht zu vermuten, dass die TeilnehmerInnen gestärkt aus dem Workshop herausgegangen sind. Dass dies im Sinne der Kampagne der Deutschen Aids Hilfe „Ich weiss was ich tu“ beispielhaft war, steht außer Frage.
Gratuliere!
Es wird so viel Blödsinn im Internet über das Thema geschrieben, sodass es richtig eine Wohltat war wieder einmal etwas sachliches über den Umgang mit dem Thema zu lesen. Ausserdem war wirklich interessant wie sich die verschiedenen Meinungen und Probleme der Betroffenen (darunter auch ich) decken und jeder irgendwie sich mit den selben Gedanken herumschlägt, sodass es wirklich gut tut, die Satements von diesem Workshop zu lesen. Danke!
@ Ondamaris
Wenn ich heute so zurückschaue dann komme ich nicht umhin festzustellen das sich meine Wahrnehmung – mein Verständnis zu meiner Sexualität einem Wandel unterzogen hat das sich mit vielem in dem – was Ihr auf der Bupo festgestellt habt, deckt.
Der größte Brick in the Wall – die größte Mauer die meinem „mit mir im Einklang leben“ im Wege stand war dieses „Mit Kondom ficken ist unnatürlich“. Bis zu dem Moment als ich erfuhr das ich HIV + bin, das war 1986, war vögeln ohne Kondom für mich „Normal“. Std´s wie Tripper oder ähnliches machten mir kein Kopfzerbrechen. Brannte der Dödel dann ging man zum Hautarzt – bekam Penicillin und gut war´s. Ob – das ein solches Verhalten was Verantwortung betrifft unreflektiert war sei jetzt mal dahingestellt. Es war schlicht und einfach so.
Einen nicht unerheblichen Einfluß auf das leben meiner Sexualität hatten die 70 ger Jahre. In den Kreisen in denen ich mich bewegte war Vögeln so normal wie das Atmen. Man muß sich die Zeit vor Augen halten. Bis zu dem vermehrtem Auftauchen von HIV in Deutschland hatte sich was Sexualität leben betrifft in Deutschland ein Umdenken vollzogen. Kolle und die wilden 70ger – „Wer zweimal mit der Selben pennt gehört schon zum Establishment“ – haben den Umgang mit der Sexualität verändert. Noch Mitte der 60ger Jahre war Sex etwas das im Dunkeln unter der Bettdecke stattfand und das die Frau über sich ergehen ließ. Frauen und ein Bedürfniss ihre Sexualität zu entdecken . . .davon träumte zu dieser Zeit noch nicht mal Alice Schwarzer. Das änderte sich erst durch die 68ger Bewegung. Zu diesem Zeitpunkt war ich 18 und alle traditionell vermittelten Verklemmungen, verstaubten Ansichten und Werte waren mir von meinen Altvorderen und der Schule aufoktruiert – in mir implementiert. Die Hippie Zeit und die 68 ger haben dieses Eis gebrochen. Abends ging man in seine Disco machte die Mädels an oder die Mädels machten einen an. „He ich hab Bock mit Dir zu pennen“ oder wie Zappa es sagte „You´re place or mine“ war auf einmal normal geworden.
Dies änderte sich von dem Moment meiner HIV Infizierung. Man wußte ziemlich schnell das HIV über ungeschützen GV am häufigsten übertragen wurde. Nur bedingte das nicht geichzeitig ein Paradigmenwechsel im Verhalten.
Vom Kopf her war es mir klar – doch bis ich es umsetzen – praktizieren konnte, bis ich all diese Mauern die in meinem Denken vorhanden waren überwinden konnte und anfing Verantwortung zu praktizieren, das brauchte seine Zeit. Meine Vorurteile und Vorstellungen die ich mit Sex mit Kondom verband zu überwinden – das war ein langer, schmerzhafter, von inneren Kämpfen geprägter Weg.
Mein Sein in bezug auf meine Sexualität und meine HIV Infektion war geprägt von der Angst abgelehnt und als Monster – als ein Mensch von dem eine potentielle Gefahr ausgeht – gesehen zu werden. Von der Gesellschaft war kein Verständnis zu erhoffen und Recht auf Sexualität zu leben wenn man HIV + war, davon war man in den Anfangsjahren von HIV meilenweit entfernt. Nicht wenige haben auf Grund der Diagnose „Sie sind HIV +“ Selbstmord begangen.
Heute – 25 Jahre nach HIV – weiß man daß sich Sexualgewohnheiten Erwachsener oft nur schwer ändern lassen, ohne daß es dadurch zu Störungen im sexuellen oder seelischen Bereich kommt. Damals war man ein Gefangener dieser Störungen. Man lebte sie bzw. sie lebten dich. Das Bedürfnis seine Sexualität zu leben war geprägt von Angst und Schuldgefühlen. Teilweise lebte man das klassische Jekill und Hyde Syndrom. Und man war sich dessen bewußt. Das war das schlimmste daran.
Es dauerte Jahre bis ich für mich meinen Weg fand – bis ich für mich Klarheit fand. Irgendwann war das Benutzen eines Kondoms kein Problem mehr für mich. Nach dem Beginn meiner Kombi 1997 war meine VL recht schnell unter der Nachweisgrenze. Hin und wieder passierte es das ich vom Gebrauch des Kondoms abwich. Die Folge war aber jedesmal immer wieder ein „Was wäre wenn“. Das Gefühl das ich mich jedesmal „schlecht fühlte“ war für mich irgendwann nicht mehr akzeptabel.
Mit der Zeit wurde mir meine körperliche und seelische Gesundheit immer wichtiger wurde. Das EKAF Papier war für mich ein weiterer Meilenstein. Dennoch was mir immer gegenwärtig war und heute ist – das ist die vorhandene Angst bei dem anderen Menschen wenn ich im sage das ich HIV + bin. Auch wenn ich – wir wissen das wir wenn wir unsere Medikamente regelmäßig nehmen, uns regelmäßig checken lassen und frei von allen STD´s sind, die Angst die dem anderen sehr oft im Gesicht geschrieben steht, dieser Respekt vor der Angst des Anderen – dieser Respekt vor dem Menschen – bedingt den Griff zum Kondom.