„Möge das Goldene Zeitalter wiederkehren!“

„Muss HIV eigentlich immer noch für Horror-Gemälde herhalten? Die doch nur der Unterdrückung von schwulem Sex, schwuler Lust dienen?“ Ich spreche mit einer Kneipen-Bekanntschaft, nach kurzer Zeit landen wir bei Aids und schwulem Sex-Leben, welche Einschränkungen HIV schwulem Sex heute auferlegt. Er findet ‚eigentlich keine mehr‘. So schlimm sei das mit HIV ja nicht mehr. Immer wieder höre ich diese Äußerungen – und habe sie im folgenden in einer fiktiven Meinungs-Äußerung verdichtet, um sie zur Diskussion zu stellen:

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Möge das Goldene Zeitalter zurückkehren !

Ich höre von Schwulen, die noch vor Aids ihr Coming-Out hatten. Die von ihrem damaligen Sex-Leben berichten. Vom großer Freiheit, von Experimentieren und sich Ausprobieren, von Lust, von ‚alles geht‘. Denn – das höre ich dann oft als ‚Hintergrund-Musik‘ – das Schlimmste was passieren konnte waren ja Tripper und Syphilis. Und dagegen gab es ja Penicillin.

Dann kam Aids.
Und der Horror.

Euer Horror.
Aber auch unserer?

Der Schrecken hieß HIV, hieß Aids, hieß gnadenloses Krepieren.

Hieß.

Heißt so heute nicht mehr.

Heute gibt es gut wirksame Pillen.

Haben dann wir jungen Schwulen von heute nicht jedes erdenkliche Recht, auch wieder zu sagen „Ich will Spaß!“ ? Recht, unser Sex-Leben zu genießen, unbefangen, lustvoll, – hemmungslos? Und frei von Angst?

Das schlimmste, was uns heute passieren knn, ist HIV. Und dagegen gibt es Pillen.

Also: lasst uns in Ruhe mit der Lust-killenden Aids-Kacke von gestern.
Euer Penicillin von gestern sind uns die wirksamen HIV-Pillen von heute.

Wir wollen Lust, wollen Spaß.
Nicht mehr – und nicht weniger.

Sex? Outing?

Ein Versuch mich zu dem Artikel „HIV und Sex, soll ich es sagen oder schweigen? Gedanken einer HIV-positiven Frau“ partiell zu äussern.

Ich hatte – als Frau – mit oder ohne HIV/AIDS – immer ein erfülltes Sexualleben, auch vor meiner jetzigen Liebesbeziehung.

Wenn ich Lust auf Sex hatte, habe ich gesucht und gefunden. Das war zumindest wenn es um Sex mit Männern ging, nie ein Schwierigkeit.  (Ich habe öfters mal grinsen müssen, wenn ich mir die Klagen von Heteromännern diesbezüglich anhörte. Allerdings glaube ich nicht daran, dass es an HIV/AIDS scheiterte, als vielmehr an ungeschicktem Werben und Freien! )

Zugegeben, einen Partner zu finden war etwas schwieriger, aber Sex?

Nun, am Anfang meiner Infektion hatte ich öfters Sex mit anderen Menschen mit HIV/AIDS als mit Ungetesteten oder HIV-Negativen. Allerdings orientiert sich mein Begehren nicht an einem Virus.

Ich wollte weiterhin frei wählen können. Und das tat ich.

Das Outing fand ich nie nicht besonders spannend, brachte es doch immer eine vorübergehende Ablenkung vom Knistern und Funkeln mit sich. Es hat übrigens selten jemanden von gemeinsam erlebter Lust abgehalten. Ich glaube gesamthaft genau zweimal begehrte ich und wurde (angeblich) wegen HIV/AIDS abgewiesen. Das war schmerzhaft, weil es nicht Begehren alleine war, sondern Verliebtheit und Zukunftswünsche im Spiel waren.

Drei weitere Male habe ich jemanden von der Bettkante gestoßen, weil er dem Kondom trotzen wollte. Sprich ich habe nach erfolgreicher Suche nach Sexualpartner dreimal selbst entschieden auf  Sex zu verzichten. Einmal mittendrin, ja, weil der Idiot meinte er müsse heimlich das Kondom entfernen (ich hoffe er liest mit und errötet nochmals!).

Natürlich will ich damit nicht sagen, HIV/AIDS mache sexy, bestimmt nicht. Das Virus hatte einfach nie diese Macht über mich, dass ich aus Scham und Angst meine Libido zurückstellen wollte oder musste.

Wahrscheinlich hatte die Infektion meine Sexualität und Körperlichkeit nicht einschneidend verletzt. Dafür gab es anderes, vor meiner Infektion, das mir einiges abverlangte. Aber ich glaube tatsächlich, dass ich, was meine Sexualität angeht, ein hohes Mass an ( körperlicher und seelischer?) Freiheit genieße.

Für mich ist das Outing eine Selbstverständlichkeit. Vielleicht auch, weil ich selbst – seit es die HIV-Antikörpertests gibt – informiert war, über den HIV-Status meiner (Sexual-)Partner, gerade auch vor meiner eigenen Infektion. Zudem kommuniziere ich prinzipiell gerne über einiges vor dem Sex.

Ich sage ja auch, hey ich habe gerade die Menstruation … oder ich will auch wissen, ob mein Gegenüber gerade Pilz oder andere „nette Käfer“ hat!

Was mich allerdings seit meiner Infektion lernen musste, ist, dass die Kommunikation nicht einseitig wird, nur wegen meiner Infektion!  Irgendwann habe ich mir angewöhnt zumindest mündich Auskunft zu verlangen, darüber, was das Gegenüber über seinen eigenen Serostatus weiß. Denn  der Umstand, dass doch einige meiner Sexualpartner und Sexualpartnerinnen, sowie einige meiner Ex-en, es fertig gebracht haben nach dem Sex oder nach der Liebelei tatsächlich hinzugehen und sich auf HIV testen zu lassen, hat mich wütend gemacht.  Oft war’s dann zum ersten (!) Mal in ihrem Leben oder zumindest das erste Mal seit langem. Ich hatte schlicht keine Lust die Gesamtverantwortung für ihr Handeln in sexuellen Begegnungen zu übernehme und mir was anhängen zu lassen, mit dem ich nichts zu tun habe!

Abgesehen davon, ich will mich schützen können vor weiteren Infektionen und möglichen Komplikationen bei Verlauf und Behandlung.

Seit langem stehe ich in der Öffentlichkeit dazu kondomlosen Sex zu haben, in gegenseitiger Absprache und unter den von der EKAF (eidgenössische Kommission für AIDS Fragen) formulierten Bedingungen. In der Schweiz mache ich mich dennoch strafbar, jedenfalls so lange, bis der Artikel 231 des StGb im Epidemiengesetz nicht tatsächlich geändert wird. Ich hoffte dadurch ein Bundesgerichtsurteil zu provozieren, was bisher aber nicht gelungen ist.

Was mich immer wieder erstaunt ist, wie viele Menschen mit HIV/AIDS davon überzeugt sind, dass sie ihren HIV-Status verschweigen müssen.

Ich verstehe sehr gut, dass der Status verschwiegen wird aus Angst vor Ablehung im intimen Setting, oder aus Angst vor Ausgrenzung und Arbeitsplatzverlust, und ja, schlussendlich auch aus Angst vor Kriminalisierung.  Und ich weiß wohl wie machtvoll Angst ist.

Aber, ich bin überzeugt, dass Mensch durchaus lernen kann damit umzugehen. Nur Mut! Wenn sich was ändern soll, dann müssen wir das schon selber bzw. gemeinsam an die Hand nehmen. Ich glaube nicht, dass schweigen und abwarten der Weg ist. Trotzdem bin ich überzeugt, dass es nicht der einfachste Weg ist und ich erwarte auch nicht, dass sich alle outen.

Aber, mich kann das Versteckspiel samt der Klagerei mitunter auch mal gehörig ärgern. Wie soll denn die Stigmatisierung bitte ändern, ( falls das überhaupt möglich ist?!) wenn Versteckspiel die Norm ist?

Aber vor allem, wie ehrlich wird mit der Motivation hinter dem Schweigen umgegangen? Manchmal habe ich den Verdacht, dass der Weg des geringsten Widerstandes gewählt wird um sich vermeintlich selbst zu schützen.

Nun, wer seinen Status verschweigen will – Betonung auf will – der kann das doch tun, meiner Meinung nach, kein Problem. Und wer dabei safer sex pflegt, braucht sich ja auch null Gewissen zu machen, oder? Unverständnis empfinde ich erst, wenn darüber dann geklagt wird, ohne dass Mensch andere Wege sucht, die ihn befreien oder erleichtern. Es gibt genug Menschen, die offen leben und auch bereit sind ihre Erfahrungen (mit-) zu teilen. Bestimmt fehlt es an gezielter Unterstützung und Begleitung beim Outing und die Beratungen lassen da öfters zu wünschen übrig. Aber den eigenen Prozess muss JedeR selbst an die Hand nehmen und wer sich unfrei fühlt in seinem Schweigen, ist oftmals durchaus frei genug sich Gedanken über andere Möglichkeiten im Umgang mit dem persönlichen Outing zu machen. Sich hinter der Angst zu verstecken, empfinde ich als etwas bequem.

Was anderes ist es bei Einigen, die politisch, juristisch oder medizinisch im Bereich HIV/AIDS unterwegs sind. Ich weiß dass ihre Professionalität und die ihrer Arbeit abgewertet würden, weil der Nimbus der Parteilichkeit oder Befangenheit dabei plötzlich ins Feld geführt würde. Ihr Schweigen bedeutet groteskerweise auch ein Einstehen für die Sache!

Und „Gopferdeggel“, einige unter uns leben mit HIV/AIDS, weil nicht geredet wurde, vor dem Sex, weil die Angst vor Ablehnung zu groß war …

Keine Bange, ich stehe weiterhin für mich, und für jene ein, die selbst nicht hinstehen können oder wollen, das ist keine Frage. Und ich bin weit davon entfernt jemanden zu verurteilen der sich über seinen HIV-Status ausschweigt, in welchem Setting auch immer.  Nur wünsche ich mir, dass manch EineR auch mal genauer hinschaut und seine Motivationen und Möglichkeiten prüft, anstatt zu sich „nur“ als Opfer zu fühlen und zu klagen. Nur Mut!

30 Jahre Aids – how to have sex in an epidemic

Am 5. Juni 1981, heute vor 30 Jahren, erschien die erste wissenschaftliche Publikation über das, was später (im Juli 1982) den Namen ‚Aids‘ bekam.

Etwa zur gleichen Zeit, 1982/83, erschien in San Francisco die erste Broschüre, mit der schwule Männer auf die neue Epidemie reagierten – und begannen, das später unter dem Namen ’safer sex‘ bekannt gewordene Konzept zu entwickeln:

how to have sex in an epidemic (Ausgabe Mai 1983)
how to have sex in an epidemic (Ausgabe Mai 1983)

Was können schwule Männer unternehmen, um eine Infektion mit HIV zu vermeiden – und dennoch versuchen ein erfülltes Sexleben zu haben?

„How to have sex in an epidemic: one approach“ wurde geschrieben von Richard Berkowitz (portraitiert in dem Dokumentarfilm ‚Sex positive‘) und dem 1993 verstorbenen Schriftsteller und Musiker Michael Callen, unter Anleitung ihres Arztes Joseph Sonnabend – und war die erste Sex bejahende Anleitung für risikomindernde Praktiken für schwule Männer.

Vorläufer der Broschüre war ein Artikel, den beide im November 1982 im ‚New York Native‘ veröffentlichten: „We Know Who We Are: Two Gay Men Declare War on Promiscuity“.

Callen und Berkowitz:

„the single greatest risk factor for contracting AIDS is a history of multiple sexual contacts with partners who are having multiple sexual contacts – that is, sex on the circuit. . . . We believe that it is the accumulation of risk through leading a promiscuous gay urban lifestyle, which has led to the breakdown of immune responses that we are seeing now.“

Sie zeigten sich damit damals als Vertreter der ‚multifaktoriellen Hypothese‘ zum Entstehen von Aids. Die ’single factor theory‘ setzte sich letztlich mit dem Entfdecken von HIV und der Erkenntnis, dass HIV die Ursache von Aids ist durch – doch Berkowitz ist sich noch heute sicher, dass es nur den Anhängern der Multi-Faktoren-Theorie möglich war. das Konzept des safer sex zu entwickeln:

„Safe sex was never – and could never – have been proposed in the terrifying early years by those who believed that if you had one broken condom you were dead. It was therefore left to the multifactorialists to invent safe sex.“

Eine weitere, ebenfalls zu dieser Zeit erschienene Broschüre, gilt ebenfalls als weiterer ‚Urvater‘ des Safer Sex Konzepts: das Flugblatt ‚Play Fair!‘ der Sisters of Perpetual Indulgence San Francisco (unter Leitung der ausgebildeten Krankenpfleger Sr. Florence Nightmare und Sr. Roz Erection).

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weitere Informationen:
Richard Berkowitz: How to have sex in an epidemic (may 1983) (mit Bildern des kompletten Textes der Ausgabe Mai 1983)
International gay & Lesbian Review 2003: Stayin‘ Alive: The Invention of Safe Sex
Michael H Merson, Jeffrey O’Malley, David Serwadda, Chantawipa Apisuk (6 August 2007). „The history and challenge of HIV prevention“ (pdf)
Sisters of Perpetual Indulgence: Play Fair! (1982)
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HIV und Sex: soll ich es sagen oder schweigen? – Gedanken einer HIV-positiven Frau

„Wie können wir HIV-positive Frauen mit dem Geheimnis „HIV-positiv“ umgehen, ohne auf Sex zu verzichten?“, fragt Saskia Schreiner, und ergänzt „Unser Leben ist stressig genug, daher sollte etwas, das Spaß und Befriedung bereitet nicht noch zusätzlich kompliziert sein.“

Doch – unkompliziert ist das Leben mit HIV nicht …

Der Text erschien zuerst im „Rainbow Magazin“ der Aids-Hilfe Stuttgart (Ausgabe 66 Frühjahr 2011).

HIV und Sex: soll ich es sagen oder schweigen? – Gedanken einer HIV-positiven Frau

Saskia Schreiner (Pseudonym)

Ich weiß nicht, wie es anderen ging. Als ich im sonnigen Monat August 2010 auf dem Weg zur Arbeit am Kiosk vorbeikam und bei einem flüchtigen Blick auf die Zeitungsständer die Schlagzeilen der Bild-Zeitung zum Prozess gegen die No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa las „HIV – Sex – Haft“, hat mich das nicht unberührt gelassen. Beim Lesen der Schlagzeilen oder der ausführlichen Berichte in der Stuttgarter Zeitung über die Details des Sexuallebens von Nadja Benaissa kam in mir eine bedrückte Stimmung auf, mehr noch, ich solidarisierte mich mit der Angeklagten und fühlte mich ebenfalls kriminalisiert. Warum ist das so?

Soll ich es sagen oder lieber schweigen?

HIV ist ein Tabu-Thema und wer als HIV-Infizierte ein sexuell erfülltes Leben lebt, hat gleich mehrere Probleme, vor allem dann, wenn man sich bewusst dafür entscheidet, die HIV-Infektion nicht öffentlich zu machen. Mir hat man vor 24 Jahren, im Alter von 28, die Diagnose HIV mitgeteilt. Ich habe mich dafür entschieden, meine Infektion nicht öffentlich zu machen. Die Hauptbeweggründe waren und sind vor allem beruflich bedingt, die Angst vor Diskriminierung am Arbeitsplatz und bei der Arbeitssuche, aber auch Angst vor Diskriminierung im alltäglichen Leben. Das Geheimnis für sich zu behalten, ist einfacher gesagt als getan, vor allem im Privatleben und in Partnerschaften. Nadjas Leben, zumindest wie es in der Presse wiedergegeben wurde, zeigt, wie schwierig es ist, als HIV-Infizierte etwas Normalität ins Leben zu bringen. Nicht nur ihr geht es so, sondern auch den vielen Infizierten hier in Deutschland und in aller Welt.

Ich frage mich: Was können wir HIV-positive Hetero-Frauen aus dem Prozess lernen? Wie können wir mit dem Geheimnis „HIV-positiv“ umgehen, ohne auf Sex zu verzichten? Unser Leben ist stressig genug, daher sollte etwas, das Spaß und Befriedung bereitet nicht noch zusätzlich kompliziert sein. Das ist es aber, denn HIV und Sex sind nicht voneinander zu trennen. Das zeigt der Prozess gegen Nadja sehr deutlich; die Bild-Zeitung hat das Tabu-Thema im Sommerloch schonungslos medial umgesetzt.

Ich finde es sehr mutig und authentisch, wie Nadja ihre Beziehungen und ihr Sexualleben beschreibt. Sie beschreibt damit erst mal nichts Ungewöhnliches. Ungewöhnlich wird der Sachverhalt dadurch, dass sie weiß, dass sie HIV-positiv ist.

Nadja macht Mut über ein tabuisiertes Thema zu sprechen

Nach meiner HIV-Diagnose – das war in den 1980er Jahren, als Politiker wie Herr Gauweiler kundtaten, dass man HIV-Positive „wegschließen“ müsste – habe ich mir natürlich die Frage gestellt, ob Sexualität in einem Leben mit HIV überhaupt Platz hat. Ich habe mich dafür entschieden.

In den zurückliegenden 24 Jahren meines Lebens mit HIV und Sex gab es viele Situationen, die für mich und meine Partner nicht problemfrei waren. Ähnlich wie Nadja musste auch ich lernen, was es heißt, HIV und Sex als Normalität des eigenen Lebens zu akzeptieren. Ein Entkommen gibt es nicht. Bei diesem Thema ist man völlig auf sich selbst gestellt. Ich selbst habe lange gebraucht, für mich einen ’gehbaren’ Weg zu finden. Auch heute muss ich mir immer wieder Zeit für das Thema „HIV und Sex“ nehmen, denn Vorbilder gibt es hierzu kaum. Hinzu kommt, dass auch ich in einer Familie aufgewachsen bin, die nicht über Sex redet und über HIV schon gar nicht.

Meine Reaktion auf die Prozessschlagzeilen um Nadja hat mir gezeigt, wie verletzlich ich bin. Die Schwäche, die ich empfinde, die Opferhaltung, in die ich hineinrutsche, versuche ich in Stärke umzuwandeln, indem ich darüber schreibe. Schreiben ist für mich umso wichtiger, weil ich meine Krankheit geheimhalte und nicht über HIV sprechen kann – bis auf wenige Ausnahmen. Vor kurzem habe ich einer Freundin erzählt, dass ich HIV-positiv bin, denn sie fragte immer wieder nach: „Da ist doch irgendetwas, das dich belastet?“ Irgendwann, als wir zusammen im Auto saßen, habe ich es ihr gesagt. Ich weiß, dass mein Geheimnis bei ihr gut aufgehoben ist.

Als ’Nebenwirkung’ meiner allgemeinen Geheimhaltung habe ich eine gewisse Sprachlosigkeit zum Thema HIV und AIDS entwickelt. Hinzu kommt meine Erfahrung, dass es nicht einfach ist, mit Partnern über dieses Thema zu sprechen. In der Regel wird es kurz angesprochen, dann wird schnell das Thema gewechselt.

Der Medienrummel um Nadja hat mich bewogen, einige Erfahrungen aus meinem Leben mit HIV und Sex zu Papier zu bringen. Wichtig ist mir, daß wir den Mut haben, darüber außerhalb der Gerichtsräume zu sprechen und dabei eine Kultur entwickeln, die das Thema enttabuisiert. Das hilft uns selbst und darüber hinaus auch anderen.

Kurz zusammengefasst die Kerngedanken, die mir im Umgang mit HIV und Sex wichtig sind:

– Jede Beziehung und partnerschaftliche Situation ist anders. Daher gibt es keine Vorgehensweise, über HIV und Sex zu sprechen, die für alle und grundlegend richtig ist.

– Das Thema „HIV und Sex“ hat bei mir auch nach über 20 Jahren immer noch eine Stress-Komponente. Es liegt an mir, den Stress möglichst gering zu halten. Nur ich kann dafür sorgen. Nicht zu übersehen ist, dass Beziehungen – egal welcher Art – auch ohne HIV nicht stressfrei sind. In vielen Partnerschaften existiert eine gewisse Sprachlosigkeit beim Thema Sex; es fällt schwer, eigene sexuelle Wünsche zu äußern. Daher mag es hilfreich sein, wenn wir als Frauen mit HIV uns austauschen und gegenseitig unterstützen.
Da ich nicht bei der ersten sexuellen Begegnung weiß, ob dies der Partner fürs Leben ist, ob die sexuelle Beziehung ein „one-night-stand“ bleibt oder sich mehr aus dem Abend zu zweit entwickelt, liegt es an der Situation und der Person, ob ich es über die Lippen bringe und mich entscheide zu sagen „Ich bin HIV-positiv“.
Wenn ich es nicht sage, erwächst es häufig aus dem Gedanken „Was geschieht, wenn mein Partner mein Geheimnis kennt? Was ist, wenn er es anderen erzählt?“ Diese Angst ist real, denn vor Diskriminierung im Freundeskreis, in der Verwandtschaft und am Arbeitsplatz ist keine/r sicher.

Ein weiterer Gedanke, der dazu führt, es zu verschweigen, ist: „Was tue ich, wenn die Person, mit der ich Sex haben möchte, sich von mir abwendet, wenn ich ihr sage, dass ich HIV-positiv bin?“ Das tut weh und in einer Stimmung emotionaler Nähe und Sehnsucht kann es passieren, dass man das existierende Risiko verdrängt. Was passiert dann? Spätestens am nächsten Morgen beim Aufwachen beginnt ein Tag voller Sorge und Panik. Es kostet sehr viel Kraft, diese belastenden Situationen auszuhalten.

Ein weiterer Gedanke bestimmt manchmal das Vorgehen: „Meine Viruslast ist so gering, da bin ich als Frau auf der sicheren Seite und werde wohl kaum den Partner anstecken.“ So kann ungeschützter Geschlechtsverkehr begründet werden, jedoch mit den gleichen Sorgen und Ängsten am nächsten Tag.

– Manchmal denke ich auch: „Warum muss ich die ganze Verantwortung und Belastung tragen, mich und den anderen zu schützen? Ist nicht die andere Person für das eigene Tun verantwortlich, wenn sie nicht auf ein Kondom besteht?“

– Wenn möglichst wenig Personen von meiner Infektion erfahren sollen und ich mir das belastende Für und Wider beim kuscheligen Beisammensein ersparen möchte, dann genieße ich Sex, vor allem Schmusen, oralen Sex, lecken, knutschen etc. – und da können locker mal zwei Stunden tollster Zweisamkeit vergehen. Wenn es zum Geschlechtsverkehr kommt, habe ich das Kondom bei der Hand. Wenn ich hier proaktiv vorgehe, habe ich bisher keinen Mann erlebt, der das nicht akzeptiert, wenn auch zähneknirschend. Das ist für mich die einfachste und stressärmste Variante von Sex mit HIV, denn sie verhindert – so die aktuelle Gesetzeslage -, dass ich mich wegen Körperverletzung und Ansteckung strafbar mache.

– Meine Erfahrung ist, dass es auch in mehrjährigen eheähnlichen Partnerschaften nicht einfach ist, mit Männern über das Thema HIV und Sex zu sprechen. Immer muss ich das Thema vorbringen, muss ich einschätzen, wann eine Situation passt, um etwas, das mich bewegt oder bedrückt, anzusprechen.

Solange HIV und AIDS tabuisiert und kriminalisiert wird, wird sich zu diesem Thema wohl kaum jemand offen äußern – auch ich werde es nicht tun. Wie Nadja habe auch ich über Sex und das Risiko einer Infektion mit meinem Arzt immer wieder besprochen, nicht aber mit allen meinen Partnern. Ich habe medizinische Studien gelesen, bin zu Vorträgen zu diesem Thema gegangen und bin froh um die Angebote der AIDS-Hilfe und AIDS-Stiftung. Die Verantwortung für mein eigenes Handeln nimmt mir aber niemand ab und die Gesellschaft, in der ich lebe, ist, wie sie ist.

Für HIV-Positive ist das Thema „HIV und Sex“ Teil ihres Lebens. Wie der Prozess gegen Nadja zeigt, ist dies für Nichtbetroffene beziehungsweise diejenigen, die ihren HIV-Status nicht kennen, keineswegs der Fall.

Ich habe einige Wünsche an alle Beteiligten und die Gesellschaft:

  • Ich wünsche mir, dass Betroffene – einschließlich der Ärzte, Selbsthilfeorganisationen etc. – offener und unverkrampfter über HIV und Sex reden, sich austauschen und wenn möglich auch gegenseitig unterstützen. Dadurch gewinnen wir an Selbstbewusstsein und Lebensqualität.
  • Um dem Thema die Irrationalität zu nehmen, ist mehr Forschung, Aufklärung und Öffentlichkeitsarbeit erforderlich.
  • Eine HIV-Infektion führt aufgrund vieler Vorurteile eher zu Schweigen und zur Isolation als zu Offenheit. Unsere Gesellschaft braucht mehr Offenheit im Umgang mit HIV-Infizierten und tabuisierten Themen wie Sex und HIV. Darüber zu reden und zu schreiben ist eine Möglichkeit das Schweigen und die Isolation aufzubrechen.
  • Ich wünsche mir, irgendwann einmal nicht mehr den Druck zu verspüren, über ein Thema wie dieses unter einem Pseudonym zu schreiben.

Vielen Dank an ‚Saskia Schreiner‘ für den Text sowie an die Aids-Hilfe Stuttgart für die Genehmigung der Übernahme!

Sicher im Sexgeschäft

Ein vergleichsweise kleiner Teil der HIV-positiven Menschen in Deutschland sind Frauen. Damit das auch in Zukunft so bleibt, geht die Deutsche AIDS-Hilfe bald auch ins Bordell. Warum das viel bringt, erklärt DAH-Frauenreferentin Marianne Rademacher.

Frau Rademacher, in Deutschland entfallen nur 16 Prozent der HIV-Neudiagnosen auf Frauen – warum gibt es bei der Deutschen AIDS-Hilfe trotzdem ein eigenes Referat für sie?
Das ist die Gretchenfrage [lacht]. Natürlich ist ihr Anteil an den Neuinfektionen hier in Deutschland im Vergleich zu anderen Zielgruppen relativ gering. Weltweit sind jedoch 50 Prozent der Menschen, die mit HIV leben, weiblich. Schon vor unserer Haustür in Osteuropa ist die Lage ganz anders.

Warum ist die Lage hier vergleichsweise rosig?
Unsere HIV-Prävention scheint erfolgreich zu sein. Da sollten wir unbedingt dranbleiben. In der großen und sehr inhomogenen Zielgruppe der Frauen setzen wir aber Schwerpunkte, zum Beispiel beim Thema Prostitution.

Wieso gerade da?
Seit Öffnung der Grenzen in Europa sind Sexarbeiterinnen noch viel mobiler als früher. Daher sind nun auch in Deutschland viele Frauen in der kommerziellen Sexarbeit tätig, die aus Ländern kommen, wo die HIV-Prävention noch nicht so erfolgreich war. Sie entsprechen nicht dem Bild professioneller Sexarbeiterinnen, die diese Arbeit gut informiert und selbstbestimmt ausüben. Auf lange Sicht könnte sich das negativ auf die bisherigen Erfolge in der Prävention auswirken – und damit auf die Verbreitung von HIV und anderen sexuell übertragbaren Infektionen (STIs). Hier wollen wir mit Aufklärung gegensteuern.

Seit einigen Jahren ist Prostitution in Deutschland legal. Ist das eine Hilfe für Ihre Arbeit?
Grundsätzlich ja, aber das Gesetz muss unbedingt nachgebessert werden. Denn in den einzelnen Bundesländern wird es sehr unterschiedlich und zum Teil sehr restriktiv ausgelegt. Den Sexarbeiterinnen werden noch immer viele Knüppel zwischen die Beine geworfen. Das verunsichert sie sehr. Umso wichtiger ist es, sie über ihre Rechte aufzuklären. Das ist neben der HIV- und STI-Prävention ein wichtiger Teil unseres Fortbildungsangebots in Clubs und Bordellen.

Die Deutsche AIDS-Hilfe bildet Sexarbeiterinnen in Bordellen fort?
Ja, in diesem Jahr wird es nach den ersten 20 erfolgreichen Pilotschulungen bundesweit 30 Angebote in Clubs und Bordellen geben. Die bisherigen Ergebnisse sind sehr ermutigend. Wir erreichen die Sexarbeiterinnen mit unseren Angeboten direkt vor Ort – vor allem solche, die bisher kaum Zugang zu HIV- und STI-Prävention hatten. Sie haben ein enormes Informationsbedürfnis. Mit dem Geld, das wir sonst in ein Seminar für 20, 25 Frauen stecken, erreichen wir in den Clubs auf Anhieb um die 100 Personen. Und die tragen dann unsere Präventionsbotschaft weiter auch in andere Segmente der kommerziellen Sexarbeit.

Warum gehen die Frauen nicht einfach zur nächsten AIDS-Hilfe?
Die Angst, sich an Institutionen zu wenden, besteht nach wie vor. Die einen sorgen sich, dass ihr Doppelleben auffliegt, die anderen fürchten Diskriminierungen und Benachteiligungen aufgrund ihres Berufes. Bei Migrantinnen kommt häufig hinzu, dass sie keinen geregelten Aufenthaltsstatus haben.

Was lernt man während so einer Schulung?
Wir informieren die Sexarbeiterinnen über HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen – alles im Kontext sexueller Dienstleistungen, verknüpft mit Strategien zur professionellen Umsetzung. Aber es geht auch um ganz praktische Lebenshilfe, um Steuerrecht und Schuldenmanagement. Damit können wir den Frauen viele Sorgen nehmen. Und nur wenn sie sich in ihren Lebensumständen sicher fühlen, können sie auch sicher im Sexgeschäft arbeiten!

(Pressemitteilung der DAH)

Dildoschach für die Deutsche Aids-Hilfe (akt.)

Ein ausgefallenes Weihnachtsgeschenk gesucht? Wir wär’s mit einem „Dildoschach“ – zugunsten der Deutschen Aids-Hilfe?

Noch bis Sonntag 13.12.2009 läuft eine Internet-Auktion, bei der ein „Dildo-Schach“ zugunsten der Deutschen Aids-Hilfe versteigert wird. Das besondere: das Schachspiel wurde zusätzlich von zahlreichen ‚Erotik-Stars‘ signiert.

Der Veranstalter der Auktion teilt mit

„Zur Versteigerung steht ein komplettes und frivoles Schachspiel mit dem Namen „Dildoschach“, das im Rahmen der diesjährigen Erotikmesse Venus von vielen Prominenten und Erotikstars zu Gunsten der DAH signiert wurde. Auf dem Spieltisch dieses sehr großen und außergewöhnlichen Schachsets haben folgende Promis und Erotikstars unterzeichnet: Eve Deluxe, Rolf Eden, Happy Hausfrau Candy, Harry S. Morgan, Bert Wollersheim, Sarah Rose, Sexy Cora, Ron Jeremy, Maria Mia, Conny Dachs, Vivien Schmitt, Kyra Shade, Trinity Smith, Donna Sommer, Leonie Saint, Evil Jared Hasselhoff (Bloodhound Gang) und Jana Bach.“

Keine Vorstellung, wie ‚Dildo-Schach‘ aussieht? Bis Samstag, 12.12.2009 kann das zur Versteigerung stehende Spiel nach Angaben des Veranstalters bei der Deutschen Aids-Hilfe (Wilhelmstrasse 138, 10963 Berlin) besichtigt werden …

hier geht‘ zur Charity-Auktion Dildo-Schach für die DAH

Nachtrag 14.12.2009: das Dildoschach wurde für 246€ versteigert

Sexualität im Wandel

Über den Workshop „Sexualität im Wandel“, der am Samstag, 31. Januar 2009 auf den ‚Positiven Begegnungen 2009‘ stattfand, heute ein Gastbeitrag von Bernd Aretz und Corinna Gekeler:

Sexualität im Wandel
Unter diesem Titel trafen sich sic h in einem Workshop der Positiven Begegnungen in Stuttgart mehr als 50 Männer und Frauen, darunter auch Jugendliche, aus der Schweiz, Österreich, den Niederlanden und Deutschland, um sich über ihre Schutzstrategien in der Sexualität auszutauschen. Ein Königsweg war natürlich nicht zu erwarten, aber es gab vielfältige Hinweise, wo die Ängste liegen und was zu ihrem Abbau hilfreich sein kann. In der Eröffnungsrunde wies Corinna Gekeler darauf hin, dass sie als HIV-Negative Safer Sex im herkömmlichen Sinn für sich auch dann für eine Selbstverständlichkeit hält, wenn sie weiß, dass der Partner gut therapiert ist und lediglich eine sehr geringe HIV-Übertragungsgefahr besteht. Sie möchte in intime Beziehungen nicht die Vor- und Nachteile von Laborwerten einbrechen lassen und schon gar nicht dem Partner, der vielleicht mit einer gestiegenen Viruslast Therapieversagen konfrontiert sein könnte, obendrein mit dann auftauchenden Sorgen über erhöhte Risiken zumuten. Aber die Therapien lassen sie beruhigt an „Kondomunfälle“ und Grauzonen im Umgang mit Safer Sex denken. Auch für Bernd Aretz, den Comoderator, stellen die Therapien – nicht erst seit der Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids Fragen – eine deutliche Erleichterung dar, die bei ihm durchaus auch zur Kondomverzicht führen kann. Er nimmt sich selbst nicht mehr als gefährlich war, wies aber darauf hin, dass sich das für Partner anders darstellen kann. Ängste sind nun mal real – wenn auch nicht nimmer wissenschaftlich begründet – und der Respekt gebietet es, sie zu akzeptieren. Es kann und darf lange dauern, bis sie sich verlieren. Bis dahin gilt es, sich in Gelassenheit zu üben.

Das Absprechen von Feldern der Sexualität, die angstfrei von den allen Beteiligten erlebt werden können, war ebenso Thema, wie die plötzlich auftauchenden Erektionsschwierigkeiten der Männer. Es ist ein verschlungener und weiter Weg vom Kopf zum Bauchgefühl. Da kann es für manche hilfreich sein, den Schwanz mit den Rechten eines eigenständigen Dritten auszustatten, der zu nicht mehr verpflichtet ist, als sich, wenn er am Spiel teilnimmt, an die ausgehandelten Regeln zu halten. Offenheit war ein Thema, das sich durch den Workshop zog. Von einigen negativ Getesteten kam der Hinweis, dass es für sie einen Unterschied mache, wenn sie wüssten dass der Mensch gegenüber positiv sei. Ob sie sich dann auf eine sexuelle Begegnung einließen, wüssten sie nicht, um dann aber aus ihrer Erinnerung doch Erlebnisse auftauchen zu lassen, die sie mit offen Positiven hatten und als sehr nah und bewegend beschrieben. In Kleingruppen tauchte das Thema auf, wie damit umzugehen ist, wenn nicht gleich zu Beginn klare Verhältnisse geschaffen wurden. Kann man dem Partner nach sechs Monaten oder zwei Jahren noch zumuten, zu erklären, dass man vergaß, die eigene Infektion mitzuteilen? Ängste vor Ausgrenzung wurden sichtbar. Dazu gab es ein paar nützliche Hinweise, wie etwa in einer fremden Großstadt sich bei Gelegenheitsbegegnungen in der Offenheit zu üben, ohne gleich vor Ort in der Kleinstadt das Leben als Aussätziger befürchten zu müssen. Das Internet als Möglichkeit mit einem Zweitprofil eine Sprache für den Umgang mit HIV zu finden, ohne sich gleich in größerem Rahmen zu den Viren zu bekennen tauchte in den Beschreibungen der individuellen Wege auf.

Es wurde von den Erfahrungen mit der Angabe „Safer Sex nach Absprache“ im Chatprofil berichtet. Von den HIV-Positiven wurde das als ernsthaftes Gesprächsangebot über die konkreten Bedingungen der Sexualität verstanden, wenn es auch durchaus vorkommt, dass User mit dieser Selbstbeschreibung HIV-Positive als Sexualpartner ablehnen. Immerhin erspart man sich unliebsame Begegnungen und frustrierende Erlebnisse auf der Bettkante. Zur Klärung der wechselseitigen Wünsche und Erwartungen trägt es jedenfalls oft bei. Als Mythos entpuppte sich die oft zu hörende Klage, bei einem Wunsch nach Kondom werde man als Sexualpartner zurückgewiesen. Das mag ja im Einzelfall mal vorkommen, bei der Verabredung von kondomfreien Events sicher häufiger, aber die Grundstimmung war, dass es konkrete eigene Erlebnisse kaum zu berichten gab. Auf diese Begegnung könne aber auch gut verzichtet werden.

Durch den ganzen Workshop zog sich die Einsicht, dass es mit der Entängstigung der Positiven , die ihm Rahmen der Behandlung gut informiert werden und den Negativen, die in Masse mit den entlastenden Faktoren weniger vertraut sind, durch die Entwicklungen der Medizin nicht getan ist. So wurde vielfach der zögerliche Umgang mit der bis zur Unkenntlichkeit verschwindenden Infektiosität durch erfolgreiche Therapien verurteilt. Er verstärkt die Stigmatisierung HIV-positiver Menschen, sei es durch sich selbst oder durch die Umwelt, und erschwert den Positiven das Coming Out. Die vielfach geäußerte Befürchtung, die breite Kommunikation würde zu einer Gleichgültigkeit führen, fand in den Beiträgen der WorkshopteilnehmerInnen keine Nahrung. Im Gegenteil. Es wird noch lange dauern, bis ein gelassenerer Umgang mit der eigenen Infektion sich durchsetzt und den Blick auf die Ängste der Partner öffnet.

Interessant waren die unterschiedlichen Sichtweisen auf die Bedeutung des Einbringens eines Verlangen nach Safer Sex. Aus der Sicht der HIV Negativen war es kein Problem, aus der Sicht der Positiven ging es einher mit der Überlegungen vom Schutz vor allen möglichen zusätzlichen Infektionen bis hin zur Befürchtung, dass damit ein Nachfragen provoziert werde, „Bist Du eigentlich positiv?“. Was man natürlich mit der Gegenfrage beantwortet könnte, ob denn der andere seit drei Monaten vor seinem letzten negativen Testergebnis gesichert keine ungeschützten Kontakte hatte, wenn er so auf den Wunsch nach Kondomgebrauch reagiert.
Der Wunsch nach einverständlichen Handlungen auf der Basis gut kommunizierter Schutzbedürfnisse (auch vor STIs) stand für alle TN im Vordergrund. Nicht Angst sei immer der wichtigste Motor, sondern vielmehr Achtsamkeit oft das passende Wort.

Es wurde von der Strategie berichtet, sich als HIV-infizierter Mensch auf positive PartnerInnen zu beschränken, wobei die Wege der Liebe und der Anziehung jedoch häufig andere Optionen wünschenswert erscheinen lassen. Die vielen serodifferenten Partnerschaften legen davon Zeugnis ab und auch davon, dass es eben keine durchgängige Ausgrenzung HIV-positiver Menschen gibt.

Kommunikation und Respekt sind für alle Beteiligten gute Ratgeber. Das Sprechen über Sexualität ist möglich. Es steht zu vermuten, dass die TeilnehmerInnen gestärkt aus dem Workshop herausgegangen sind. Dass dies im Sinne der Kampagne der Deutschen Aids Hilfe „Ich weiss was ich tu“ beispielhaft war, steht außer Frage.

10 Tipps für ein gesünderes Leben als HIV-Positiver

Pfleglich mit seinem Körper umzugehen, zusätzliche Gesundheitsrisiken oder Belastungen des Immunsystems wo möglich zu reduzieren oder vermeiden kann für Menschen mit HIV eine sinnvolle Strategie sein.
Manche ‚Vorsorge‘ lässt sich sehr einfach realisieren. Einige Vorschläge:

1. Tipp: regelmäßiger Gesundheits-Check
HIV-Positive sollten überlegen, regelmäßig ihre Gesundheit untersuchen zu lassen. Dies gilt nicht nur HIV-spezifisch, sondern auch z.B. hinsichtlich sexuell übertragbarer Infektionen wie Tripper, Syphilis, Chlamydien, Feigwarzen etc.
Wenn du ein sexuell aktives Leben hast, hast du auch ein gewisses Risiko, dich mit sexuell übertragbaren Erkrankungen anzustecken. Einige dieser Erkrankungen belasten nicht nur dein eigenes Immunsystem, sondern können auch das Risiko erhöhen, HIV bei ungeschütztem vaginalem, analem oder oralem Sex an deine Sexpartner weiterzugeben.
Nicht alle dieser sexuell übertragbaren Erkrankungen sind auch mit Symptomen verbunden, die du in jedem Fall selbst bemerkst. Zudem sind Erkrankungen nicht nur im direkten Genitalbereich (Penis, Vagina) möglich, sondern z.B. auch im Rachen oder am Arsch.
Ein Grund mehr also, sich auf sie untersuchen zu lassen – am besten im Rahmen eines regelmäßigen Gesundheits-Checks.

2. Tipp: auf Hepatitis C checken lassen
Lass dich regelmäßig auf Hepatitis C testen. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass der Erreger der Hepatitis C, das Hepatits-C-Virus, bei Menschen mit HIV leichter auch sexuell weitergegeben wird.
Ein regelmäßiger Check auf Hepatitis C ist für sexuell ‚umtriebige‘ Menschen schon deswegen sinnvoll, weil eine frühzeitig erkannte Hepatitis-C-Infektion mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit erfolgreich behandelt werden kann, je später die Infektion entdeckt wird, desto schlechter jedoch auch die Therapieergebnisse sind.
Gegen Hepatitis C sind bisher keine Impfungen möglich.

3. Tipp: Impfung gegen Hepatitis B
Das Hepatits-B-Virus wird u.a. sexuell übertragen. Eine Infektion mit Hepatits B ist wesentlich leichter möglich als eine Infektion mit HIV. Im Gegensatz zur Hepatitis C (s.o.) sind sowohl gegen Hepatitis A als auch gegen Hepatitis B Impfungen möglich.
Da das Immunsystem HIV-Infizierter u.U. geschwächt sein kann, schlägt die Impfung möglicherweise nicht sofort an. In diesen Fällen ist aber eine Wiederholung wie auch eine Erhöhung der Impfdosis möglich.
Die Impfung gegen Hepatitis B ist für HIV-Positive eine Kassenleistung. Sie wird von der StIKO (Ständige Impfkommission) empfohlen (Indikations-Impfung, siehe StIKO-Empfehlungen S. 8).

extra Tipp: besser – die Kombi-Impfung gegen Hepatitis A und B
Tipp: Eine kombinierte Impfung gegen Hepatits A und Hepatitis B mit einem kombinierten Impfstoff schützt mit einer Impfung doppelt. Bei HIV-Positiven werden sowohl die Hepatits-A- als auch die Hepatitis-B-Impfung von den Krankenkassen bezahlt.
Und wer schon Impfschutz (oder aufgrund einer schon durchgemachten Hepatitis B Antikörper) gegen Hepatitis B hat, sollte eine Impfung gegen Hepatitis A überlegen. Die Kosten hierfür sollten von der Krankenkasse übernommen werden (Indikation StIKO / „Personen mit einem Sexualverhalten mit hoher Infektionsgefährdung“).

4. Tipp: die Grippeimpfung
Eine echte Grippe (Influenza) ist nicht zu verwechseln mit dem, was umgangssprachlich gern mit dem ‚grippalen Infekt‘ verwechselt wird. Eine Influenza kann bei HIV-Positiven leichter auftreten und einen schwereren Verlauf nehmen. Eine Grippeschutzimpfung ist ein einfacher Weg, das Infektionsrisiko zu senken.
Die Impfung gegen Influenza (Grippe) ist ebenfalls wie die Impfungen gegen Hepatitis A und B ein Totimpfstoff und für Menschen mit HIV unbedenklich.

5. Tipp: Impfung gegen Pneumokokken
Trotz wirksamer antiretroviraler Therapie tritt die Pneumokokken-Pneumonie (eine von Bakterien verursachte potenziell lebensbedrohliche Lungenentzündung) bei Menschen mit HIV immer noch häufiger auf. HIV-Infizierte haben ein 10- bis 100fach erhöhtes Risiko, an Pneumokokken-Pneumonie zu erkranken.
Doch ein einfacher Schutz ist möglich – mit einer Impfung. Diese Impfung gegen Pneumokokken-Pneumonie ist auch bei HIV-Positiven wirksam, wie erst jüngst wieder eine Studie zeigte.
Die Kosten einer Impfung gegen Pneumokokken-Pneumonie werden bei HIV-Infektion von der Gesetzlichen Krankenversicherung getragen (StIKO-Empfehlungen (S.12, Indikation HIV).

6. Tipp: auf die Haut achten
DAH Broschüre Haut + HaarDas größte -und dennoch oft vernachlässigte- Organ des Menschen ist die Haut. Hauterkrankungern wie z.B. Pilzerkrankungen von Haut und Nägeln können bei Positiven leichter / häufiger auftreten oder (wie Gürtelrose) unter Umständen auf eine HIV-Infektion hinweisen, einige (wie das heute seltener auftretende Kaposi-Sarkom) gehören zu den Aids-definierenden Erkrankungen.
Ein pfleglicher Umgang mit der Haut kann sehr zu Gesunderhaltung und Wohlbefinden beitragen.
Gute Tipps zum Thema Haut von Wellness und Pflege bis Beschneidung gibt u.a. eine Broschüre der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) mit dem Titel „Haut und Haar“ (Direktlink zur online-Bestellung hier) sowie das MedInfo Nr. 41 „HIV und Haut“ (pdf zum Download hier).
PS – zum Thema ‚Pflege deine Haut‘ gehört natürlich auch ‚pflege deinen Schwanz‚ …

7. Tipp: regelmäßig zum Augenarzt
Bei Menschen mit HIV können Veränderungen am Auge auftreten. Ein Augenarzt-Check einmal jährlich hilft, etwaige Probleme frühzeitig zu erkennen. Insbesondere bei einer CD4-Zellzahl unter 200 ist das Risiko einer Erkrankung der Augen (CMV, Toxoplasmose) deutlich erhöht – in diesem Fall sollte ein Besuch des Augenarztes alle sechs Monate erwogen werden.

8. Tipp: Vorsorge Gebärmutterhalskrebs
Bei HIV-positive Frauen ist das Risiko eines Zervix-Karzinoms (Gebärmutterhals-Krebs) deutlich erhöht. Deswegen ist ein regelmäßiger Besuch beim Frauenarzt ratsam. Einmal jährlich sollte (wie auch bei Frauen ohne HIV) eine Vorsorgeuntersuchung (PAP-Abstrich) durchgeführt werden.

9. Tipp: Vorsorge Analkrebs
Ein Analkarzinom ist eine sehr selten auftretende Krebserkrankung des Bereichs des Darmausgangs. HIV-Positive Männer, insbesondere (aber nicht nur) wenn sie Analverkehr haben /hatten, haben ein erhöhtes Risiko für Analkarzinom (Krebs am Darmausgang). Möglichkeiten zur Früherkennung (Rektoskopie, Analabstrich) sollten genutzt werden. Sie sind bisher leider keine Kassenleistung, werden von einigen Ärzten jedoch im Rahmen von Studien angeboten.

10. Tipp: Mund- und Zahnhygiene
Probleme an den Zähnen und im Mundbereich treten bei HIV-Positiven häufiger auf. Mindestens einmal im Jahr sollte ein (möglichst mit HIV erfahrener) Zahnarzt besucht werden.

PS.
Viele dieser Tipps dürften auch für den schwulen Mann an sich (ob nicht HIV-infiziert oder ungetestet) hilfreich sein, um gesünder zu leben … vielleicht ergänzt um den Tipp, doch mal über einen HIV-Test nachzudenken …

diese Zeiten sind für immer vorbei?

In den (nein, in wenigen, leider) Kinos läuft derzeit ein bemerkenswerter Film. „Johan„, ein schon im Sommer 1975 entstandener quasidokumentarischer Spielfilm, 1996 im französischen Filmarchiv wiederentdeckt, und erst 2008 in deutschen Kinos.

Regisseur Philippe Valois erzählt die Geschichte von Johan, der Hauptfigur des Films. Nur, Johan sitzt im Knast – und bleibt den gesamten Film lang unsichtbar. Stattdessen sucht der Regisseur Ersatz, an allen Orten die das schwule Leben im Paris Mitte der siebziger Jahre zu bieten hatte, in Saunen und Bars, bei Freunden und Feinden von Johan.

Entstanden ungefähr zeitgleich mit ‚La cage aux folles‘ (‚Ein Käfig voller Narren‘), ist dieser Film doch das ganze Gegenteil – ein Paradebeispiel eines schwulen Lebensstils noch vor der Industrialisierung des Sex, vor geklonten Pseudo-Freiheiten.
Und er zeigt dabei ein Leben weit in Zeiten vor Aids, ein Leben, das sich so mancher meiner Freunde und Bekannten, die ihr Coming Out erst später, erst in den Jahren schon mit HIV hatten, kaum vorstellen kann.

Ein Film voll, so die Besprechung im Berliner schwulen Stadtmagazin ‚Siegessäule‘ (Ausgabe März 2008), voll „offen und schuldlos gelebter Sexualität“.
Der Rezensent schließt an, dieser Film sei ein Dokument, wohl wahr.
Ein Dokument, so der gleiche Rezensent weiter, „aus einer Welt, die keine zehn Jahre später durch Aids unwiederbringlich verloren war, für immer.“

Ich stutzte, irgend etwas rebelliert spontan in mir. Noch einmal lesen. Genau.

Ja, diese Welt war nur wenige Jahre später verloren, diese Welt einer unschuldigen, naiven und hemmungslosen Sexualität. In diesem Punkt empfinde ich ähnlich wie der Rezensent.

Aber – warum dieses apodiktische „für immer“?

Warum diese Schere im Kopf? Warum diese freiwillige Kastrierung eigener Hoffnungen?

Ist es nicht vorstellbar, dass es auch wieder eine Zeit ohne HIV, ohne Aids gibt? Oder eine Zeit, in der HIV ’nur‘ irgendeine weitere dieser lästigen, aber letztlich behandelbaren sexuell übertragbaren Infektionen ist? Und nicht mehr die potenziell tödliche Bedrohung?

Warum keine Visionen? Und wenn sie derzeit vielleicht auch als Utopien erscheinen mögen?

Ich will diese Hoffnung nicht aufgeben …
… diese Hoffnung auf eine Heilung
… diese Hoffnung auf eine neue Zeit ohne HIV und Aids

„Wer keinen Mit zu träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen“

Bist du gesund?

‚Bist du gesund‘ – ‚Und dann?‘ ‚Lassen wir die Kondome weg …‘ Viele (nicht nur schwule) Menschen suchen sich möglichst Sexpartner mit gleichem HIV-Status, um Risiken zu vermindern. Eine wirksame Strategie? Oder eher eine gefährliche, die Risiken erhöhen kann?

‚Bist du gesund?‘
‚Bist du sauber?‘
‚Gesundheit gewünscht und geboten‘
Solche Formulierungen hört man oft, wenn es darum geht, (nicht nur Sex-) Partner zu suchen, oder liest sie in Profilen auf diversen Portalen.

Manchmal muss ich dann schmunzeln.
Mir juckt es in den Fingern.
Einfach mal sagen ‚Ja, ich hab heut morgen geduscht, klar!‘.
Oder ‚Klar, meine Erkältung ist schon seit Tagen wieder weg.‘

Nein, keine Angst, das sind nur Gedankenspiele. Natürlich ist mir klar, dass hinter diesen Formulierungen ein notdürftig verdecktes Schutz-Interesse steht. Aber leider manchmal auch seltsame Vorstellungen über das HIV-Infektionsrisiko. Hofft der Fragende, mit dieser Frage oder Ankündigung etwaige Risiken von sich fern zu halten? Sozusagen verbales Sagrotan?

Selbst viele Dating-Sites wie auch die blauen Seiten bieten ja eine Auswahl, in der man Angaben zu seinem HIV-Status machen kann (z.B. ‚Vorlieben beim Safer Sex‘: Immer, Nie, nach Absprache, keine Angabe). Und erleichtern so die Suche nach Partnern mit einem ‚passenden‘ Serostatus. Nach einem Weg, einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Kondomfreiheit zu finden. Tatsächlich?

Klar, für Positive ist die Frage nach HIV ganz praktisch. Viele Positive suchen sich als Partner möglichst Menschen, die ebenfalls positiv sind. Wer schon positiv ist, den kann man (zumindest wenn man ein etwaiges Risiko einer Superinfektion vernachlässigen will) nicht nochmal mit HIV infizieren. Man spart meist sich die ständige Rederei über HIV und Aids, Infektionsrisiken, und die Kondome oftmals (das Risiko anderer sexuell übertragbarer Infektionen vernachlässigend) gleich auch.
Eine Strategie des Risiko-Managements, die für viele HIV-Positive funktioniert und eine Balance ermöglicht.

Aber funktioniert diese Strategie auch für HIV-Negative? Sich nur HIV-Negative zu suchen, um mit denen dann Sex ohne Kondom haben zu können?

Ich überlege, ob es nicht eigentlich ein wenig naiv ist für einen HIV-negativen Mann, jemanden nach seinem Serostatus zu fragen.

Zunächst einmal, erwartet er von jemandem, den er kaum kennt, eine ehrliche Antwort auf die Frage ‚Bist du positiv‘?
Würde er selbst sie geben? Dass jeder Partner die Wahrheit in Bezug auf seinen HIV-Status sagt, ist zumindest eine mutige Annahme.
Und wenn der potenzielle Partner dann ehrlich ist und sagt er sei HIV-positiv, was dann? Lehnt man ihn dann (höflich, na klar …) als Partner ab? Und erwartet dennoch, dass der beim nächsten mal weiterhin ehrlich antwortet?

Aber selbst, wenn der Partner auch ehrlich sagt, er sei HIV-negativ – was heißt das? Maximal, dass er bis einige Wochen vor seinem letzten HIV-Antikörper-Test nicht HIV-infiziert war.
Und die Zeit danach? Wenn er/sie sich in den letzten Wochen oder Monaten infiziert hat, nach dem letzten Test? Gerade in den ersten Monaten der Infektion, der akuten Phase, ist die Infektiosität am höchsten …

Für HIV-Negative kann die Strategie, sich ebenfalls nur HIV-negative Sex-Partner zu suchen (Serosorting), zu einem gefährlichen Vabanque-Spiel vorgegaukelter falscher Sicherheit werden.
Erst recht, wenn man/frau nicht den Mut aufbringt, offen zu fragen, sondern schwiemelig fragt „bist du gesund?“ Und dann mit der Antwort auf eine ungewisse Frage Annahmen macht, Konsequenzen zieht in Sachen safer sex.

Klar, es ist gut, wenn HIV-Negative auch HIV-negativ bleiben, sich nicht mit HIV infizieren wollen. Aber die Strategie, die manche dazu benutzen, dürften wenig zielführend sein. Falsche Annahmen und Irrtümer produzieren, die sich als riskant erweisen könnten.

Und was dann?
Davon ausgehen, dass jeder potentielle Partner HIV-infiziert sein könnte – und sich entsprechend schützen.
Eine manchmal ungeliebte, unbequeme, aber schützende Alternative. Eine Alternative, die zumindest wirksamer sein dürfte als verbales Sagrotan …

Präventionsgedanken 2: weniger Patentrezepte

Abstinenz, Repression – alles keine zweckdienlichen Wege in der HIV-Prävention. Aber – wohin könnte sich Prävention weiter entwickeln? Welche Fragen stehen im Raum?

Weniger Patentrezepte

Heutige Präventionsbotschaften haben oft einen universellen Ansatz – eine auf alle Situationen und Zielgruppen anwendbare ‚Patentlösung‘ (von „Aids geht alle an“ über „immer mit“ bis „raus bevor’s kommt“).
In der persönlichen Situation und Einschätzung von potentiellen Gefährdungen und Risiken hilft das oftmals wenig, wird praxisfremd. Und nicht (effizient) in eigenes Handeln umgesetzt.

Können Präventionsbotschaften noch mehr als bisher auf die individuelle Situation abgestellt werden, auch um ein persönliches Risikomanagement zu ermöglichen? Wie weit können dabei unterschiedliche Infektionsrisiken und ihre Wahrnehmung deutlicher thematisiert werden?
Dies reicht von
Fehleinschätzungen von Infektionsrisiken (Beispiel Analverkehr / Risiko Darmschleimhaut) bis zur deutlich gesenkten Infektiosität bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie, und sollte Verharmlosungen wie Übertreibungen vermeiden, aber auch konkrete lebbare Handlungsmöglichkeiten (z.B. für serodiskordante Paare) umfassen.
Nicht nur sagen, was nicht geht, sondern auch was (und unter welchen Umständen) geht.


Eine Veränderung der Botschaften in der Prävention könnte auch beinhalten, dass häufigere / regelmäßige Untersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen auch der eigenen Gesunderhaltung dienen.
Der früher in Großstadt-Szenen teilweise selbstverständliche „schwule
Gesundheits-Check“ ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Gesundheitsvorsorge, einschließlich Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten, sollten dabei auch kostengünstig und niedrigschwellig möglich sein. Hierbei dürften sich Reduzierungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (z.B. bei Beratung und Untersuchung in Gesundheitsämtern) eher als schädlich erweisen.

HIV ist nicht überall gleich
Wenn, wie das RKI feststellt, großstädtische Ballungsräume den Schwerpunkt der HIV-Epidemie in Deutschland bilden – brauchen wir dann auch eine stärkere Fokussierung der Mittel auf diese Räume? Und vielleicht in diesen Ballungsräumen auch neue Ansätze wie den in San Francisco geplanten ‚HIV-Präventions- Direktor‚?
Muss sich Prävention stärker den jeweiligen Gegebenheiten des jeweiligen Ballungsraums anpassen (was in München funktioniert, muss in Berlin noch lange nicht ebenso funktionieren)?

Die Sichtbarkeit von HIV
HIV und Aids sind heute aus den verschiedensten Gründen wesentlich weniger sichtbar als noch vor einigen Jahren.
Statt im (auch eigenen) Alltag, auf der Straße (Aids- Aktivismus) und in den eigenen Subkulturen (positive und erkrankte Bekannte etc) findet die Auseinandersetzung mit Aids heute weitgehend in der Arztpraxis statt.

Diese geringere Sichtbarkeit ist nicht nur ein Phänomen äußerer Wahrnehmbarkeit, sondern hat auch Wirkungen auf Verhalten.
Ein Beispiel ist das Serosorting (das in der Realität wohl doch oft eher ‚Seroguessing‚ ist – ein Vermuten (nicht Wissen) des HIV-Status des momentanen Partners): neuere Studien zeigen, dass besonders Schwule, die keine oder nur geringe Nähe zu HIV-Positiven haben, mit einer wohl naiv zu nennenden Arglosigkeit erwarten, dass alle Positiven ihren Serostatus vor sexuellen Handlungen offen legen (während Schwule, die größere Nähe zu Positiven haben, der Mitteilung des Serostatus keine besondere Bedeutung beimessen).
Wenn ein Partner nichts sagt, wird der eigene Serostatus auch bei ihm vermutet, entsprechendes (oft unsafes) Verhalten für möglich gehalten.

Die mangelnde Sichtbarkeit von HIV und HIV-Positiven berührt auch einen weiteren Punkt. Etwa ein Drittel aller Aids-Todesfälle seien heutzutage evtl. auf ein zu spätes Erkennen der eigenen HIV-Infektion zurückzuführen, schreibt das RKI. Todesfälle, die bei rechtzeitigem Erkennen der eigenen Infektion und entsprechender Behandlung evtl. vermeidbar wären.

Können in einer wieder stärkeren Sichtbarkeit von HIV und Aids neue Ansatzpunkte für die Prävention liegen? Z.B. in einer stärkeren Fokussierung? Oder in stärkerer Sichtbarkeit, Wahrnehmbarkeit HIV-positiver Menschen?
Und sind zusätzliche, klarere Informationen erforderlich, gerichtet sowohl an Ärzte als auch in die jeweiligen Szenen (z.B. über das eventuelle Erkennen einer eigenen Infektion)?

Überhaupt, die Ärzteschaft. Immer mehr rückt sie in den Mittelpunkt des Geschehens, der Arzt wird zum zentralen Ansprechpartner. Sollte er dann auch vermehrt Präventionsbotschaften vermitteln, informieren und beraten?
Oder führt die zunehmende Medikalisierung nicht gerade jetzt schon zu zusätzlichen Problemen?

Die HIV-Prävention muss und wird sich angesichts veränderter Rahmenbedingungen weiter entwickeln. Können und wollen neben Präventions-Experten, Politikern, Medizinern auch Menschen mit HIV und Aids sich als ‚Experten in eigener Sache‘ in die weitere Entwicklung einbringen?



Masturbathon

Masturbieren um die Wette, und für einen guten Zweck … in den USA ist das morgen wieder angesagt beim Masturbate-A-Thon.

Masturbation sei immer noch eines der großen Tabus unserer Zeit, so die Veranstalter vom Center for Sex and Culture. Und, es sei die safeste Form von Sex. Und dann noch ‚für einen guten Zweck‘, unter dem Motto „wank for the greater good“.

Ihren Anfang nahm die ‚Bewegung‘ bereist vor zwölf Jahren, als erstmals ein ‚National Masturbation Month‘ stattfand. 1998 folgte dann der erste Masturbate- A-Thon, und 2006 schwappte die ‚Bewegung‘ erstmals über den Atlantik, mit einem Wettkampf in London.

Wir lernen: man / frau kann also aus allem ein öffentliches Event machen. Und als Leistungsschau gestalten. Die Website des Wettbewerbs jedenfalls verzeichnet schon Rekorde der meisten weiblichen Orgasmen, der längsten männlichen Masturbation etc.

Also – dann mal anstrengen morgen, und viel Spaß beim Masturbate-A-Thon

Zu Grabe getragen

In Sachen der Darkroom-Schließungen reagiert die Züricher Szene – der dortige CSD wird statt einer Spaß-Party wieder politischer … mit einem hübschen T-Shirt gegen die dortige Polizei-Cheffin, auf dem symbolisch das (nicht nur homosexuelle) Nightlife der Stadt zu Grabe getragen wird.

Nachtrag 09.12.2008: ‚Zürich: Darkrooms doch legal‘, meldet queer.de über ein urteil des Obergerichts Zürich.