HIV-Therapie und Prävention – die Deutsche Aids-Hilfe hat eine Position gefunden

Das Statement der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) hat für viele Diskussionen gesorgt. Immer wieder wurde angemahnt, was ist die Position der Deutschen Aids-Hilfe. Nun, nach 14 Monaten, hat die DAH ihre abschließende Position veröffentlicht – detailliert, begründet und zukunftsorientiert.

“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dieser Satz sorgt seit Januar 2008 für viele intensive, oft aufgeregte Diskussionen. Doch – die EKAF, die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, das ist die Schweiz. Was sagen Organisationen in Deutschland dazu, vor allem die Deutsche Aids-Hilfe (DAH)?

Eine erste Positionierung zeichnete sich bereits ab mit dem Haltungspapier des Delegiertenrats der DAH vom März 2008  („Neue Wege sehen, neue Wege gehen!„), später ergänzt durch ein erstes Positionspapier des DAH-Vorstands („HIV-Therapie und Prävention – Stellungnahme der DAH„).
Anfang April 2009 nun, lang erwartet, liegt die endgültige Position der DAH vor.

Die DAH bringt in ihrem Positionspapier (als Dokumentation auf ondamaris „HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V.„) das Statement der EKAF auf folgende zentrale Botschaft:

„Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor“

und stellt zur Bedeutung dieser zentralen Botschaft fest

„Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“

Prävention muss lebbar sein, und dies -so die DAH- bedeute

„Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen.“

Doch es geht um mehr als „nur“ darum, zielgruppengerechte Information bereitzustellen. Es geht darum, diese auch lebbar zu machen, in den Lebensalltag zu übersetzen – mittels Empfehlungen.

Empfehlungen – das bedeutet die DAH übersetzt in ihrem Positionspapier die „zentrale Botschaft“ in Ratschläge, Hinweise, Anmerkungen. Empfehlungen, die auf die spezifischen Lebenssituationen verschiedener Gruppen eingehen:
– HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
– HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, Ungetestete und HIV-Negative
– HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
– Drogengebraucher(innen)
– Menschen in Haft
– bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen

Für jede dieser Konstellationen werden konkrete, lebensnahe Empfehlungen und Anregungen gegeben und in einem eigenen Kapitel die Hintergründe erläutert – bis hin zu Fragen von Schleimhaut-Läsionen, sexuell übertragbaren Erkrankungen oder regelmäßigen Routine-Untersuchungen.

Empfehlungen, die die zentrale Botschaft des Positionspapiers in Lebensrealitäten übersetzen, für verschiedene Gruppen und Situationen anwendbar machen.

Auf diese Weise wendet sich das Positionspapier nicht nur an HIV-Positive, HIV-Negative und Ungetestete. Es stellt darüber hinaus auch eine wichtige und lebensnahe Basis für Beraterinnen und Berater in Aids-Hilfen und anderen Beratungsstellen dar, sowie für Ärzte und Ärztinnen.

Auf einer übergeordneten Ebene der öffentlichen Gesundheit (New Public Health) kommt die DAH zu dem Schluß

„Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering. Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.“

Die „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bezeichnet die DAH konsequenterweise als eine weitere Präventionsmethode.

Auf Befürchtungen von Kritikern, es könne nun zu steigenden Neu-Infektionen kommen, entgegnet die DAH selbstbewusst

„Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.“

Das „Positionspapier“ ist so weit mehr, als der Name zunächst vermuten lässt:
Das Statement der EKAF zu bewerten, eine eigene Position zu finden und zu begründen ist nur der erste Schritt. Das „Positionspapier“ geht auch den zweiten Schritt, kommt zur Umsetzung in konkrete Empfehlungen – und versucht so, sie zu nutzen, die Chancen, die sich in der Prävention neu ergeben.

Erstmals geht damit eine auch international bedeutende Aids-Organisation den Schritt, nicht nur zu kommunizieren, dass erfolgreiche antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektiosität drastisch senkt, sondern auch zu sagen, was dies konkret für den/die Einzelne(n) und seine/ihre Handlungen bedeuten kann – und wie es in Prävention übersetzt werden könnte.

HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe

weitere Informationen:
faz.net 08.04.2009: Auf’s Kondom verzichten?
queer.de 09.04.2009: Aids-Hilfe: Kondom muss nicht immer sein
aidsmap 21.04.2009: German NGO endorses treatment as prevention
thewarning 22.04.2009: L’association allemande Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse
POZ 22.04.2009: German AIDS Group Endorses HIV Treatment as Prevention
e-Ilico 27.04.2009: L’association Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse sur le traitement anti-VIH en prévention
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9 Gedanken zu „HIV-Therapie und Prävention – die Deutsche Aids-Hilfe hat eine Position gefunden“

  1. Die Wirkung der EKAF-Richtlinien auf die allgemeinen Schwulen…

    Neuer Club auf gayromeo

    „Die meisten ungetesteten und negativen Männer haben auch mal Lust auf Sex ohne Gummi — fürchten sich aber vor einer Ansteckung mit HIV. In diesem Club suchen negative und ungesteste Männer nach einer Möglichkeit, Sex ohne Gummi zu haben und dabei trotzdem ähnlich sicher vor einer Ansteckung mit HIV zu sein wie bei gewöhnlichem Safer Sex: durch Sex mit einem HIV-positiven Mann!

    Klingt verrückt?
    Laut DAH ist das Ansteckungsrisiko bei kondomfreiem Sex unter bestimmten Umständen so gering wie bei Gummi-Sex: wenn nämlich der hiv-positive Partner Medikamente nimmt, die Viruslast seit sechs Monaten unter der Nachweisgrenze liegt und keine Schleimhautdefekte vorliegen.

    Schwer festzustellen bei einem anonymen Fick. Der Club soll euch deshalb die Möglichkeit geben, solche Partner in einem Umfeld zu finden, in dem für jeden klar ist, worum es geht. Er soll aber auch ein Ort der Kommunikation und Diskussion sein, damit wir diese neue Möglichkeit verantwortungsvoll nutzen können.

    Der Club ist offen für alle, und kein Mitglied muss im Profil seinen Status veröffentlichen. Es gibt aber im Forum die Möglichkeit, gezielt nach Positiven oder Nicht-Positiven zu suchen. Obwohl unter Bareback gelistet versteht sich der Club NICHT als weiterer Bareback-Club und promotet Safer Sex mit Gummi, wann immer die Voraussetzungen für Safer Bare Sex nicht gegeben sind. Dazu gehört auch weiterhin jeder Sex unter Ungetesteten!“

    Thommen: Der Sex wird immer komplizierter, wenn er denn unsafe genossen werden soll. Die ansteigenden Infektionszahlen besagen nicht unbedingt, dass die Leute mit so komplizierten Situationen in ihren geilen Momenten umgehen können…

  2. lieber thommen,
    ja – das (auch: sex-) leben wird ab und an ein wenig komplizierter. freiheit ist nicht immer nur einfach …

    lies das positionspapier der deutschen aids-hilfe zum ekaf-statement (du findest es hier: http://www.ondamaris.de/?p=9292 )
    und du wirst unter dem punkt 2.2.1 „botschaften für gelegenheitskontakte“ die aussage finden „Beim Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n empfiehlt sich weiterhin die Verwendung von Kondomen …“

    und – zeigt ein solcher club nicht zunächst einmal, dass da real ein bedarf besteht? dass menschen bedürfnisse haben? dann ist mir doch lieber, sie informieren sich.

    ob „safer bare sex“ nun eine gelungene formulierung ist, mag jeder für sich entscheiden 😉

  3. Ich gehe davon aus, dass die meisten das Papier nicht gelesen haben, aber über den Inhalt informiert sind. Sie werden es auch nicht lesen wollen, vor allem den betreffenden Satz nicht…

    In einer Atmosphäre von 30% ungeouteten Männern auf Plattformen (das ist nur ein Teil der Wirklichkeit!) kannst Du Dein „ist mir doch lieber“ und die „gelungene formulierung“ einfach wegstecken. Bis die Bildzeitung von den „Pozzern“ (kürzlich online) zu den barebackern in den Plattformen vordringen wird, mag noch eine gewisse Zeit vergehen. Wehe aber, wenn die mal zum Halali – dann gegen alle Schwulen – rufen wird! Da werden Dir Hören und Sehen vergehen. Etwa so ähnlich wie es jetzt mit den „Pädophilen“ abgeht, wird das schon werden. Mag dannzumal „jeder für sich entscheiden“! 😉

  4. @ Thommen:
    mit kassandra-haftem nörgeln und übel-unken kann ich nichts anfangen, sorry

    sicherlich müssen die informationen und botschaften des positionspapiers jetzt auf verschiedenste weise verständlich kommuniziert werden, in die jeweiligen gruppen. ich bin mir sicher, dass zb die dah daran auch arbeitet.

    und:
    wenn du der ansicht bist, dass „die meisten das Papier nicht gelesen haben“ – wie wäre es, wenn du mit dazu beiträgst, dass mehr menschen diese informationen erhalten?

  5. Damit noch mehr solche Clubs wie auf gayromeo gegründet werden! 🙂 Tolle Aussichten. Ich denke es reicht, wenn die Wenigen die es betrifft es lesen. Und von diesen werden wohl auch nicht alle die medizinischen Bedingungen so strikt einhalten können, wie es im Papier formuliert wurde…

    Für mich haben alle HIV und ich mache mit allen safer sex. Kennst Du wirklich ein noch einfacheres Prinzip als das?? Ich nicht. Und trotzdem könnens immer weniger…

    Ich denke, eine gesellschaftspolitische Diskussion ist hier unmöglich. Und Euer Interesse ist woanders. So werkelt jeder in seiner Ecke und fühlt sich unbeobachtet, wie das gute alte Subkulturtradition in der bürgerlichen Gesellschaft ist. 🙂

    Wie war das mit den Regeln im Finanzsystem? Wenn die wichtigen Steuerorgane sich nicht mehr daran halten, wird alles an die Wand gefahren. Neben Kassandra und Nörgelhaftigkeit…

  6. @ Thommen:
    was ist denn deine alternative, statt zu informieren?
    dass menschen sich falsch verhalten, weil sie nur unvollständige oider nicht völlig zutreffende informationen haben?
    oder die information ganz verschweigen?
    beides ist für mich mit meinem gewissen nicht vereinbar

    dein einfaches prinzip kenne ich, leider. es ist so einfach, dass viele es nicht ständig, immer, für jahre leben können.
    da ist mir ein pragmatischer weg, der beim schützen hilft und für die menschen lebbar ist, lieber.

    nebenbei, wenn ich an einem nicht leide, ist es das gefühl hier unbeobachtet zu sien. ganz im gegenteil 😉

    deine ratschläge allerdings empfinde ich, je länger ich sie lese, als realitätsfremd, zynisch und …

  7. was ist denn deine alternative, statt zu informieren?

    meckern statt selbst verändernd zu wirken . . .

  8. Ich denke, eine gesellschaftspolitische Diskussion ist hier unmöglich.

    ich schätze diesen blog von ulli enorm, gerade WEIL hier gesellschaftspolitische, kritische und offene diskussionen geführt werden!

    ein grosses DANKE an ulli
    michèle

  9. @thommen

    ich finde deine haltung respektabel. allein, auch du bemerkst es, andere sehen das anders. was ist mit denen? wirfst du ihnen ihr scheitern an den regeln vor? oder versuchst du, auch ihnen einen weg zu ermöglichen, der ihrem selbstgewählten weg entgegen kommt?

    die clubs gibt es und wird es weiter geben. weil es das verhalten gibt und weil die leute merken, dass es geht.

    davor die augen nicht zu verschließen und sie in eine auseinandersetzung einzubeziehen, deren ziel es ist weitere infektionen zu vermeiden. darum geht es. auseinandersetzung und ermächtigung.

    und p.s.
    welche regeln gab es denn im finanzsystem? ich kannte nur eine: enrichisez-vous!

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