mit HIV vogelfrei für die Medien? – Fragen an den Staatsanwalt (akt.)

Eine junge Frau wird unvermittelt verhaftet – und die Medien geraten in Aufruhr, die Schlagzeilen der Titelseiten glühen rot. Aids, Schuld, Gefängnis schreien sie uns an. Als habe es keine jahrelange Aids-Prävention gegeben, werden alte Klischees bemüht – und Präventionserfolge riskiert.

Rufen wir uns zunächst den Sachverhalt in Erinnerung. Einer jungen Frau wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, Sexpartner mit HIV infiziert zu haben. Sie wird verhaftet, mit dem Vorwurf gefährlicher Körperverletzung. Dabei geht es bisher um staatsanwaltliche Ermittlungen – nicht um eine Anklage, geschweige denn um eine Verurteilung. Sondern um einen Verdacht.

Die Medien erfahren von diesen Ermittlungen – von der ermittelnden Staatsanwaltschaft.
Und nicht nur das, der zuständige Pressesprecher der Staatsanwaltschaft gibt darüber hinaus gerade Boulevard-Medien bereitwillig Interviews (Quelle: (1)).

Eine Pressearbeit der Staatsanwaltschaft, die Fragen aufwirft, hier z.B.:
– War es überhaupt erforderlich, die Person festzunehmen?
– Und war es erforderlich, angesichts einer eventuellen Tat, die schon vor Jahren (2004 und 2005) stattgefunden haben soll?

Aber neben dem konkreten Ermittlungs-Verhalten stellen sich erst recht Fragen an die freudige Auskunftsbereitschaft der Staatsanwaltschaft:
– Was macht erforderlich, dass die Staatsanwaltschaft sich in diesem Fall von sich aus aktiv an die Presse wendet?
– Warum war es notwendig, den vollen Namen der betreffenden Person zu nennen?
– War es tatsächlich zwingend notwendig, den HIV-Status dieser Person offen zu legen, und dann gegenüber den Medien? Ist der HIV-Status der beschuldigten Person als Faktum bekannt, oder wurde auch hier nur ein Verdacht an die Medien gegeben?
– Worin besteht der „dringende Tatverdacht“ verbunden mit „Wiederholungsgefahr„, die als Begründung für die plötzliche Festnahme angeführt werden?
– Was hat die Staatsanwaltschaft veranlasst, die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen so völlig hintan zu stellen gegenüber dem Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit?
– Besteht die Unschuldsvermutung nicht mehr?

Fragen über Fragen, denen sich weitere hinzu gesellen, wie die, ob aktuelle Erkenntnisse in Sachen Infektiosität (EKAF-Statement) überhaupt berücksichtigt wurden, oder die, warum -wenn die Gesundheit der Bevölkerung so wichtig ist- derart lange mit Reaktionen gewartet wurde.

Für die Medien wurde der ‚Fall‘ durch das Verhalten der Staatsanwaltschaft, durch Pressemitteilung und bereitwillige Interviews erst recht zum ‚gefundenen Fressen‘ – und mit zusätzlicher Attraktivität versehen, gab es doch gar Staatsanwälte als Quelle zu zitieren.
Entsprechend gerieren sich Medienvertreter auch, als die Anwälte der Verhafteten sich mit einer einstweiligen Verfügung zur Wehr setzen. Und sich auf die Pressefreiheit berufen.

Der Sprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, Ger Neuber, kommentierte Kritik am Verhalten der Staatsanwaltschaft kühl mit den Worten „Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat.“
Ganz im Gegenteil, man wolle weiter machen: „“In der konkreten Situation sehen wir uns nach wie vor verpflichtet, den äußeren Tatbestand der Vorwürfe den Medien mitzuteilen.“ (laut taz)

Geraten so Staatsanwaltschaften in Gefahr, sich bewusst oder unbewusst zum Helfer der Medien zu machen – und die Belange, insbesondere die Schutzinteressen der betroffenen Personen, gegen die sie ermitteln, aus den Augen zu verlieren?
Und – beschwören Staatsanwaltschaften nicht so geradezu die Gefahr herauf, dass jegliches faire Verfahren unmöglich oder zumindest erschwert wird, die Unschuldsvermutung ausgehöhlt, der Beklagte in seinen Rechtspositionen beeinträchtigt und das Verfahren vorgeprägt wird?

Oder ist die Staatsanwaltschaft gar nur ganz modern, setzt sich auf den Zug der „litigation PR“ (dem Managen der Kommunikation in rechtlichen Auseinandersetzungen)? Und die Anwälte spielen gar mit, mit ihrer einstweiligen Verfügung, die gerade Boulevard-Journalisten nur noch mehr herausfordern muss?

Der bzw. hier die Dumme im ganzen Vorgang: die Verhaftete mit ihren Persönlichkeitsrechten – und indirekt HIV-Positive und ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit, sowie die Aids-Prävention.
Oder ist der Staatsanwaltschaft, die kühl sagt “Wir kriminalisieren nicht, wir verfolgen eine Straftat” nicht bewusst, welche Folgen ihr Handeln für das Bild von HIV-Positiven und für HIV-Prävention haben kann? Wie sehr sie Diskriminierung und Stigmatisierung Tür und Tor öffnet?

Ist der Staatsanwaltschaft nicht bewusst, dass sie hier -wie selbst die Deutsche Aids-Stiftung beklagt und die TV-Nachrichten (2) bemerken – potenziell Präventionserfolge gefährdet?

Über Unschuldsvermutung und Persönlichkeitsrechte hinaus – die eigentliche, über den konkreten Fall hinaus weisende Kernfrage lautet deswegen m.E.: seit wann betreiben Staatsanwaltschaften Aids-Prävention?

Was (und wer) legitimiert, vor allem auch was qualifiziert eine Staatsanwaltschaft, sich als Player auf dem Gebiet der Aids-Prävention zu gerieren?

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(1) Schertz Bergmann Rechtsanwälte: „Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall X“, online auf presseecho.de
(2) ZDF heute journal 16.04.2009
Litigation-PR-Blog 16.04.2009: PR-Periskop I: Bärendienst für X
3A 16.04.2009: HIV-Behandlerinnen fordern sofortige Freilassung von Nadja Benaissa – Inhaftierung unverhältnismäßig
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auch lesen:
koww 17.04.2005: Keine Gelegenheit auslassen …
Antiteilchen 17.04.2009: Manchmal fragt man sich wer in Bwerlin alles Richter werden darf
alivenkickin 17.04.2009: Der Spießrutenlauf
taz 17.04.2009: Ende der Unschuldsvermutung
SZ 16.04.2009: Intimes, inszeniert und vorgeführt
SZ 16.04.2009: Auf das Wie kommt es an
„Medien können sich doch bei der Entscheidung, was und wie sie berichten, nicht nur von der Frage leiten lassen, was erlaubt ist. Sie müssen sich die Frage stellen, was richtig ist. Und was notwendig ist. Ich weiß nicht, ob es erlaubt war, über den Verdacht gegen eine Sängerin, über ihr Intimleben und ihre HIV-Infektion zu berichten. Aber ich bin überzeugt davon, dass es nicht notwendig war.“ Stefan Niggemeier
Steven Milverton 18.04.2009: HIV in der öffentlichen Wahrnehmung
FAZ 19.04.2009: Der Staatsanwalt in meinem Bett
DAH-Blog 15.05.2009: Deutschland disst den Superstar
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15 Gedanken zu „mit HIV vogelfrei für die Medien? – Fragen an den Staatsanwalt (akt.)“

  1. Was ich mich frage ist welches Menschenbild die Staatsanwaltschaft von Menschen mit HIV hat.
    Ger Neuber der Sprecher Staatsanwaltschaft sagte in einem gespräch mit Stern.de, das die Staatsanwaltschaft der Aufassung ist, den äußeren Tatbestand nicht verschweigen zu können. Und gleichzeitig arguentierte sie mit der möglichkeit der „Wiederholungsgefahr“. Wenn die Staatsanwaltschaft per Pressemitteilung den gesundheitlichen Status einer Person bekanntgibt, dann wird sich wohl kaum jemand finden, die mit einem slchen Menschen ungeschützten Sex haben wollen.

    Was heißt das aber ganz konkret? In diesem Fall handelt es sich um einen Menschen – der BEKANNT ist. D.H Man kennt diesen Menschen Namentlich, weiß wie er aussieht. Dank der Vorgehensweise der Staatsanwaltschaft und der daraufhin erfolgten Berichterstattung der Medien (Print, TV, Radio etc) weiß mitterweile ganz Deutschland um wen es sich handelt.

    Jeder Gang zum Bäcker, jeder Gang zum Lebensmittelhändler, jedesmal wenn sie den Fuß vor ihre Tür setzt beginnt ein Spießrutenlauf. Welche mit welchen Äusserungen und Spürchen sie konfrontiert wird kann sich jeder ausmalen. Der Tenor der Kommentare in den Foren, Blogs etc läßt erahnen was da auf sie zukommt.

    Um auf meine Ausgangsfrage zurückzukommen“Welches Bild hat die Staatsanwaltschft von Menschen mit HIV“?

    Die Assoziationen die mir u.a. in den Sinn kommen sind „Menschenverachtend“, „Wertlos“, „So jemand hat nichts anderes verdient“.

  2. @ Ondamaris: Du hast ganz recht mit der Frage, seit wann Staatsanwälte Aids-Prävention betreiben. Meines Wissens sind dazu eigentlich Legislative und Exekutive gedacht. Aber auch bei letzteren ist ja „das Vorbeugende“ seit geraumer Zeit (etwa im „Kampf gegen Terror“) ein beliebtes Argument sich über Grundrechte von Menschen hinwegzusetzen.
    @ Dennis: Ich dachte als erstes, dass die No-Angels-Sängerin geradezu idealtypisch das Klischee des „männermordenden Vamps“ erfüllt und schon deshalb entsprechende Reaktionen einer männlichen Justiz hervorruft.

  3. „Die Staatsanwälte und Richter sollen aus unseren Betten bleiben, es sei denn, wir wollen mit ihnen poppen!“ So habe ich es mal in einem entzückenden kleinen Büchlein eines großen Rechtsgelehrten gelesen.
    Es scheint mir hier so zu sein, dass ein Provinz-Staatsanwalt seine große Chance gewittert hat. Der letzte Dussel will ja heute ein Star sein! Aber: Auch ein Strafrechtler hat abzuwägen, wenn es um die Menschenwürde geht. Ich hoffe jedenfalls, dass soviel Inkompetenz und Masslosigkeit recht bald privatwirtschaftlich weiter wirken darf, oder noch umfassender freigesetzt wird!

  4. @ Dennis schon wieder

    In dem FAZ-Artikel, den Du verlinkt hast, steht: „Immer wieder ist zu beobachten, dass Staatsanwälte vor Kameras den großen Auftritt suchen, dass sie, mitunter, geltungssüchtig oder überfordert sind.“
    Na, das sag´ ich doch, oder? Und viele von denen trifft man auch im Nachmittagsprogramm bei RTL und Konsorten. Da machen Sie ja nur Spass, aber das hier ist ernst. Also stellt sich die Frage, wie man mit solch hoffnungslos „überforderten“ (= inkompetenten) Anwälten, die sich auf unsere Kosten einen schönen Tag machen, umgeht. Vielleicht reichts ja für Gartenarbeit, Rosenzucht etc. im heimischen Garten? Da ist wenigstens, „mitunter“, die Menschenwürde nicht in Gefahr! Bei der Rosenzucht kann man sich wunderbar in Demut üben, und – wenn man etwas Ehrgeiz entwickelt – in institutionalisierten Rosenzüchterkreisen allerlei Geltung auch erlangen. Wie wär´s z.B. mit der wunderbaren prächtigen „Sorry Angel of Darmstadt“? Schön das!

    http://www.sueddeutsche.de/panorama/723/465315/text/5/

  5. @ alf:
    positiv gewendet stellt sich m.e. auch die frage, vielleicht wissen sie’s tatsächlich nicht besser – woher auch?
    und daraus: in wie weit sollten vielleicht auch aidshilfen mehr auf staatsanwaltschaften zugehen, von sich aus aktiv informieren oder informationen anbieten. nicht nur vor dem aktuellen hintergrund, auch zb hinsichtlich ekaf und konsequenzen …

  6. Sicher das! Kleines Rechtsseminar für Staatsanwälte? Ich kann da nach einer Woche auch nix positiv wenden. Ignoranz ist für sowas nicht zugänglich. Hier geht es um ein Exempel, dass selbstherrlich statuiert wird.
    Bei der langen Vorbereitung dieser Inszenierung hätte man was anderes erwartet. Werden Staatsanwälte nicht dazu angehalten, sich umfassend zu informieren bevor sie in dieser drastischen Art die Menschenwürde vergessen? Es liegt alles bereit. Dummheit, Ignoranz darf die Justiz nicht schützen. Wo das hinführen kann, ist hinlänglich bekannt. Wer klagt die Ankläger an? Der europäische Gerichtshof? Wie ich gerade auf Spiegel online lese, wird bestimmt „noch einige Zeit“ ins Land ziehen, bis die Sängerin freigelassen wird. Angeblich beten die Bischöfe auch schon für sie, aber wie so oft: Vergeblich!

  7. Und weisst Du, was richtig zum Kotzen ist? Jetzt wird noch selbstgefällig und dumpfbackig konstruiert, dass die Debatten der Prävention dienen. Zitat: „Dennoch dienten öffentliche Debatten – wie jetzt über die No-Angels- Sängerin – der Aids-Prävention und damit einer breiten und intensiven Aufklärung.“ So jedenfalls sieht es die Sprecherin der BZgA! Also das heisst doch, dass die staatliche Anstalt (!) diese moderne Hexenjagd tatsächlich mehr oder weniger heimlich („unverhohlen“ würde Prof. Dr. M. D. sagen) als „leibhaftige“ (sic!) Prävention befürwortet, oder? Und von denen kommt garantiert niemand zu DAH-Seminaren! Jede Wette! Lieber Gott, schick Grips!

    http://www.faz.net/s/Rub501F42F1AA064C4CB17DF1C38AC00196/Doc~E5EDB87355BDD40B0A964AC063857DDDE~ATpl~Ecommon~Scontent.html

  8. Es ist eine Sache das ausgelöst durch die Verhaftung in der Tat die Telefone bei div Organisationen und Aihds Hilefen nicht stillstehen und das die letzten Tage mehr Tests durchgeführt worden sind als die ganze Zeit vorher. gestern abend gab es auf Focus TV einen Bericht dazu und ein Interview mit Michael Tappe von der AH München. Es war sehr sachlich und sehr lebensnah. Er sprach auch diesen Aspekt an und sagte das
    die Verantwortung für Safer Sex immer bei beiden Partnern liegt. Dies wurde von dem JournalistenIn nicht kommentiert – in Frage gestellt. Fand ich schon mal gut
    Ich war erst skeptisch bzgl des Formats aber im großen und ganzen war die Sendung „akzeptabel“.

    Insofern hat die Pressesprecherin imo schon recht. Jede noch so bescheidene (Lebens)Situation beinhaltet auch immer eine Chance.

    Was Sie hätte aber sagen müssen ist das die Ursache dieser „öffentliche Debatte, der Anfragen und Tests in dem inakzeptablen Verhalten der Staatsanwaltschaft resultiert, in der Hexenjagd der Medien den sie die Staatsanwaltschaft ausgelöst hat.

    @ Uli

    Ja diese Gedanken kamen mir sehr oft. Die Judikative sollte man mit in die Aufklärung einbeziehen. Im Rahmen eines Workshops, einer Tagung etc. Der Kongreß – HIV/AIDS Ethische Perspektiven in Frankfurt 2008 wären da das richtige Format gewesen.

  9. Sängering aus Haft der U Haft entlassen

    Das Pikante an diesem Procedere ist die Tatsache das nicht wie sonst üblich der Anwalt einen Antrag auf Haftverschonung gestellt hat sondern die Staatsanwaltschaft in Darmstadt. Der ermittelnde Staatsanwalt Ger Neuber (der auch die Funktion des Pressestaatsanwaltes inne hat) habe diesem Antrag zugestimmt und die Sängerin unter Auflagen von dem weiterne Verbleib in U-Haft verschont teilte der der Vizepräsident das AG Darmstadt Albrecht Simon mit. 😉

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