Im Folgenden ein Gastbeitrag von Bernd Aretz.
Auf dem Abschlussplenum der Positiven Begegnungen 2009 in Stuttgart hatten die Teilnehmer Arbeitsaufträge erteilt. Die bei den Positiven Begegnungen 2009 erteilten Arbeitsaufträge sollen in die Programm-Gestaltung der Positiven Begegnungen 2010 einfließen.
Einer der Arbeitsaufträge lautete, die „Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Präventions-Botschaften und -Kampagnen mit einbeziehen“.
Bernd Aretz wirft in seinem Gastbeitrag viele Fragen zu diesem Themenbereich auf, und bittet um rege Diskussion- also: Chance nutzen und zahlreich und rege kommentieren!
Die Perspektiven von Menschen mit HIV/Aids in die Planung von Prävention einbeziehen
Die Positiven Begegnungen in Stuttgart haben unter anderem den Auftrag erteilt, dafür Sorge zu tragen, dass die Perspektiven betroffener Frauen und Männer in die Prävention einbezogen werden. Aber was ist die Perspektive? Es gibt Frauen, die aus Angst um ihre Kinder, die eigene Infektion geheim halten. Es gibt aber auch die Eltern, die fragen, wie sollen wir unsere Kinde dahin erziehen, zu sich zu stehen, wenn lebensprägende Umstände von den uns verschwiegen werden? Da gibt es die Schweizer Jugendlichen, die über die Zeitschrift Bravo an die Öffentlichkeit gegangen sind. Deutsche Jugendliche waren in Stuttgart leider nicht anwesend, wie sie überhaupt in den Diskurszusammenhängen fehlen. Ist deren Perspektive die der BetreuerInnen, wie das bei der Leitbilddiskussion der DAH so schön erkennbar wurde durch den Antrag, die DAH solle für nicht nur für Menschen sondern auch für Kinder und Jugendliche zuständig sein. Das muss man sich auf der Zunge zergehen lassen. Ist die Sicht desjenigen maßgebend, der Angst hat, tagsüber durch das Treppenhaus zu gehen, weil er die Frage der Nachbarin fürchtet, warum ein so junger Mann eigentlich nicht arbeitet? Ist es die Sicht desjenigen, der sofort nach dem Einzug in ein Haus mit hundert Parteien über den Grund seiner Verrentung plaudert, um klare Verhältnisse zu haben? Da gibt es Menschen, die in beruflichen Zusammenhängen Rücksicht nehmen (müssen), die realen Erfahrungen der Ausgrenzung – auch im Medizinsystem. Aber manche Firmen erteilen jeglicher Form von Ausgrenzung eine klare Absage. Schwule Männer machen auf der sexuellen Pirsch ganz unterschiedliche Erfahrungen. Viele serodifferente Partnerschaften scheinen zu belegen, dass eine große Bereitschaft da ist, positive Partner zu akzeptieren. Andrerseits haben viele erlebt, wegen der HIV-Infektion als Sexualsubjekt abgelehnt zu werden. Es gibt die Berufspositiven ebenso wie diejenigen, die sich allenfalls bei Positiventreffen fern der Heimat zu ihren Viren bekennen. Von der Phantasie das größtmögliche Elend schultern zu müssen bis zur Haltung, man wolle mit keinem Rheumakranken tauschen, ist alles vertreten. Es gibt Menschen, die seit 20 Jahren jeden Laborbericht sammeln und die Haltung, mein Arzt soll mich nur dann informieren, wenn etwas Behandlungsbedürftiges oder sexuell Bedeutsames vorliegt. Bei den Nebenwirkungen der Therapien gibt es von großen Leiden über die Einordnung als Bagatellproblem bis zum Gutverträglichen alles.
Lässt sich ein Konsens zu den Zielen herstellen? Möchten wir, dass im gesellschaftlichen Umgang HIV wie jede andere Infektionskrankheit behandelt wird? Das heißt aber auch, diskrimierungsärmere Verhältnisse vorausgesetzt, die Abschaffung aller Besonderheiten des Umgangs.
Das setzt voraus, dass die Positiven nicht als Drohkulisse gebraucht werden, dass sie bei der Mitwirkung in der Prävention säuberlich unterscheiden zwischen eigenen Schwierigkeiten und Dramatik und den Erfahrungen anderer. Dazu gehört eben, dass viele mit der Infektion ohne große Probleme – außer den Zuschreibungen – leben. Wie ist dann der Umstand einzuordnen, dass viele Positive in der EKAF Debatte erklärt haben, es sei zwar richtig, dass durch die Therapien die Infektiösität gegen null sinken könne, das dürfe man aber nicht laut sagen, es schützte sich dann doch niemand mehr? Das heißt dann aber auch, dass der oft angetragenen Forderung die Probleme in den Vordergrund der Prävention zu stellen, widerstanden werden muss.
Besteht Einigkeit darüber, dass es für (noch) nicht Infizierte Sinn macht, sich zu schützen? Besteht Einigkeit darüber, dass auch mit HIV ein erfülltes (auch Sexual-)Leben möglich ist? Kann man von Positiven erwarten, dass sie unabhängig von der Viruslast Kondome benutzen, wenn sie nicht sprachlich über diese Frage kommunizieren? Kann man von Negativen erwarten, dass sie das gleiche tun oder über unsafe Begegnungen informieren? Ist das ganze von Orten der Begegnung abhängig? Kann man erwarten, dass in Beziehungen offen kommuniziert wird und wann ist der Zeitpunkt, ab dem eine Beziehung anzunehmen ist?
Ist es Aufgabe der Prävention, all die verschiedenen Bilder zu vermitteln oder klar zu sagen, dass man nichts erwarten sollte? Erwarten wir, dass Risikobewertungen gewichtet werden, also der Lusttropfen beim Blasen anders bewertet wird, als das Sperma im Darm, und der Koitus interruptus noch anders, oder spielt das keine Rolle, weil es keinen Unterschied macht, wenn sich ein hohes oder ein geringes Risiko tatsächlich verwirklicht? Ratsuchende lechzen immer nach solchen Angaben, am liebsten in Prozentangaben. Aber kann man diesem Wunsch überhaupt entsprechen?
Welchen Stellenwert haben die unsäglichen Strafverfahren? Offensichtlich ist in den Köpfen mancher Staatsanwälte fest verankert, dass HIV unabhängig von Therapien hoch gefährlich sein soll und dass es eine klare Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern geben soll. Welcher Unterstützung bedarf es, das umzusetzen, was man wichtig und richtig findet und zwar auf der Basis interessenlos offengelegter Informationen.
Wie kann die Perspektive überhaupt eingebracht werden? Ist für schwule Männer IWWIT eine Plattform, braucht es Resolutionen, Mitarbeit in den örtlichen Aidshilfen, um von unten Inhalte einzubringen? Das EKAF Statement kann nur diejenigen überrascht haben, die vorher nicht die von der AH Offenbach veröffentlichte Haltung des Schweizer Bundesgesundheitsamtes zur Kenntnis genommen haben. Und auch der Diskurs um EKAF musste in den Aidshilfen von unten her organisiert werden, weil der Dachverband und seine Gremien in dieser Frage versagt haben und sich viele Mitarbeiter von Aids-Hilfen schwer taten und tun, die entlastende Botschaft zu verkünden. Wer bringt die positive Perspektive ein – und wie? Wäre es ein erster Schritt, die MitarbeiterInnen der DAH und das Vorbereitungsteam für die Positiven Begegnungen in Stuttgart zu loben? Sie haben es jedenfalls verdient. Sollten wir uns vom Feindbild Aidshilfe nicht verabschieden und sie lieber als Ort begreifen, in den an einvernehmlicher Sexualität Interessierte, seinen sie nun positiv oder nicht sich einbringen können? Sollten wir mehr Leserbriefe schreiben? Ist es mal wieder an der Zeit öffentliche Diskussionsveranstaltungen loszutreten.
Ich bitte dringend um Diskussionsbeiträge.
Bernd Aretz
siehe auch:
koww 27.04.2009: Aufruf zur Diskussion
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Das erste was mir schon beim durchlesen der Überschrift durch den Kopf schoß war:
Der Sturm und die teilweisen heftigen Gauweileristischen Reaktionen nicht Weniger der durch die U Haft der Sängerin durch den bundesdeutschen Medienwald rauschte hat imo gezeigt das die Bemühungen von Prävention und Aufklärung über HIV sich nicht in dem Maß erfüllt haben, ist nicht in der Gesellschaft angekommen wie man es erwartet bzw erhofft hatte.
Mein Fazit: Inhaltlich – besonders was die Aufklärung über das „Leben von Menschen mit HIV“ betrifft – wurde am Empfänger vorbei kommuniziert. Die Frage die sich mir da stellt ist. Was sind die Ursachen dafür?
In einem Forum in dem die meisten Mitglieder HIV + sind habe ich den Artikel „Darf man HIV-Positive als “Bio-Waffe” bezeichnen?“ verlinkt. Die Reaktionen die teilweise von HIV Positiven da zum Besten gegeben wurden sprechen für sich:
„Niemand bezeichnet HIV-Positive als Bio-Waffe“
„was nicht immer alles geschrieben und gesagt wird…… da könnte man sich ja ständig aufregen“
„man braucht ja wohl kein Abitur um zu verstehen wie die Aussage gemeint war. Mir persönlich ist völlig schleierhaft wie sich Menschen so darüber aufregen können. Da wird die HIV Infektion aus lauter Langerweile zweckentfremdet um sich wichtig zu machen!…OK…wenn das Leben sonst nichts mehr her gibt“
„als selbst- oder mitbetroffener fühlt man sich natürlich schnell persönlich angesprochen, unterdrückt, beleidigt. zu meiner schande muss ich aber gestehen, dass ich manchmal – bei ähnlichen „kleinigkeitskrämereien“ anderer randgruppen – dass ich manchmal etwas genervt bin. klar haben sie das recht gegen ihre diskriminierung zu kämpfen….
hypersensibilität kann ganz schön nerven…. und letzten endes stigmatisiert man sich dadurch doch auch selbst – aber nicht durch das EIGENTLICHE problem sondern durch „spitzfindigkeiten“
bei einem bevölkerungsanteil von weniger als 0,1% der gesamtbevölkerung eines landes (und der anteil von hiv-positiven in deutschland ist weniger!!!) redet man von einer randgruppe…..alles andere ist bullshit!!!“
„Einigen unter uns bekommt der vorzeitige Ruhestand offensichtlich nicht.“
Stimmt, ich der den Artikel von Ondamaris in dieses Forum zur Diskussion eingestellt hat – bin auf Grund meiner HIV Erkrankung seit 1997 in EU Rente.
Ja HIV bekommt mir gesundheitlich in der Tat nicht . . . . .
Nicht alle HIV Positiven haben diese Haltung von „Duck and Cover“ inne, ein sehr großer Teile allerdings schon.
Das fatale daran ist das die Medien und die Öffetnlichkeit die Zerrissenheit die unter uns den HIV + und im weiteren Sinn der „Community“ herrscht nicht nur mitbekommt sondern wir ihnen geradezu „zuspielen“.
Wobei . . . wenn man von „Zerissenheit spricht“ stellt sich die Frage ob je Einigkeit herrschte. Allerdings . . . als es noch keine HIV Medikamente gab und die HIV Positiven wie die Fliegen starben herrschte Einigkeit: WIR WOLLEN NICHT STERBEN – . . . . . . mit den Möglichkeiten der Kombi´s wars dann auch schon vorbei mit der „Einigkeit“.
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Um auf den Inhalt des Artikels zurückzukommen.
Thema Eltern – Kinder.
In dem Moment wo eine aufgeklärte informierte Leiterin einer KIGA den übrigen Eltern bei einem der üblichen Elterntreffen davon erzählen würde das ein Kind in ihrer Kiga HIV + ist . . . dieses 1 Kind würde am nächsten Tag von 6 ErziehernInnen betreut werden.
In der Erzieherausbildung ist HIV – Krankheiten kein Thema.
Das Problem stellt sich im Alltag – in der Kiga. Mit dieser Problematik sehen sich viele LeiterInnen von Kiga´s konfrontiert.
„Möchten wir, dass im gesellschaftlichen Umgang HIV wie jede andere Infektionskrankheit behandelt wird? Das heißt aber auch, diskrimierungsärmere Verhältnisse vorausgesetzt, die Abschaffung aller Besonderheiten des Umgangs.“
Ein ganz klares Ja.
In einigen Diskussionen der letzten Tage wurden schon einige Ideen eingebracht: Gezielte Einbezeihung von Juristen, Staatsanwälten auf HIV Kongressen und Veranstaltungen. Gleiches gilt für ErzieherInnen.
Den Diskurs von unten organisieren . . . . . .“ Ich kann ein Kamel zum Brunnen führen . . . saufen muß es alleine.“ sagt ein arabischens Sprichwort.
Im Moment bin ich ratlos.
„Ist es mal wieder an der Zeit öffentliche Diskussionsveranstaltungen loszutreten.“
Das unterschreib ich blind.
Pro lostreten von öffentlichen Diskussionsveranstaltungen.