Die Patientenakte und der Staatsanwalt (akt.2)

Wie sicher sind Patientenakten beim Arzt, in der Klinik? Hat der Staatsanwalt Zugriff auf Patientendaten, wenn er will? Im Fall der verhafteten Sängerin scheint es so …

Am 11. April wurde eine Sängerin verhaftet, mit dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Infektion. „Sicherungshaft“, wegen „des dringenden Verdachts, weiterhin ungeschützten Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern zu haben“.

Ein unappetitlicher Vorgang. Einer, der bald auch die handelnde Staatsanwaltschaft und den hessischen Justizminister in Erklärungsnöte bringt.

Ein Vorgang allerdings auch, der am Rande auf eines hinweist: Patientenakten sind nicht so sicher, wie manche es glauben.

Der ‚Spiegel‘ berichtet in einem Artikel über den Fall (Ausgabe 17/2009, S. 93):

„Am 25. März ordnet ein Darmstädter Amtsrichter ein immunologische Gutachten an, das klären soll, ob die Sängerin den Künstlerbetreuer angesteckt hat. Eine Woche später lässt er ein Frankfurter Klinikum durchsuchen und X‘ Krankenakte kopieren.“

Der Staatsanwalt (der laut FAZ „diese Angaben nicht kommentieren“ wollte) „lässt die Krankenakte kopieren“ – einfach so?

Wer hat denn das Recht, meine Daten als Patient einzusehen?

Unterliegen diese Daten nicht der ärztlichen Schweigepflicht?

Besteht nicht zwischen Arzt und Patient ein besonderes Vertrauensverhältnis?

Das Bundesministerium für Gesundheit erläutert die Rechtslage (in der Broschüre „Patientenrechte in Deutschland“, 5. Auflage September 2007, pdf):

„Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten, Pflegepersonal, Krankenhäusern und Krankenversicherern vertraulich zu behandeln. Sie dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen weitergegeben werden.“

Zudem haben Ärzte (wie Zahnärzte, Apotheker und Hebammen) nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 Strafprozeßordnung (StPO) das Recht, das Zeugnis über das, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden ist, zu verweigern. § 97 Abs. 1 und 2 StPO ergänzt dies um ein Beschlagnahmeverbot:

§97 (1) 2.: „Der Beschlagnahme unterliegen nicht … Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt; …“, und

§97 (2) Satz 2: „Der Beschlagnahme unterliegen auch nicht Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt oder eines Dienstleisters, der für die Genannten personenbezogene Daten erhebt, verarbeitet oder nutzt, sind, sowie Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und 3b genannten Personen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam der in dieser Vorschrift bezeichneten Beratungsstelle sind.“

Entsprechend kommt z.B. der Landesbeauftragte für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern zu dem Schluß

„Den Mitarbeitern sollte durch einen entsprechenden Hinweis in der Dienstanweisung bewusst werden, dass Beschlagnahmen von Patientenunterlagen durch die Staatsanwaltschaft in der Regel unzulässig sind und Akten nicht heraus gegeben werden dürfen …“ (Der Landesbeauftragte für Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern: „Datenschutz im Krankenhaus“,S.74, pdf)

Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Frage der Patientenakten geäußert:

„Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt.“ (BVerfGE 32, 373, 380)

Das BVerfG ergänzt sogar explizit

„Andererseits läßt sich ein solcher Eingriff [Einblick in die Patientenkartei, d.Verf.] nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten rechtfertigen, die allein dem Patienten zur Last gelegt werden. Wird bei einem Arzt die Karteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen beschlagnahmt, so liegt darin in aller Regel eine Verletzung des dem Einzelnen zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs.“ (ebenda)

Wie also kommt ein Darmstädter Amtsrichter an die Krankenakte aus dem Klinikum?

Laut Aussage des Frankfurter Fachanwalts für Medienrecht Felix Damm („Beckmann“, 27.04.2009) ist es „zu einer Beschlagnahme gekommen“.

Was erst recht viele Fragen aufwirft, z.B. die nach der Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses.

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weitere Informationen:

Unabhängiges Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein: Datenschutzrechte der Patienten

Deutsches Ärzteblatt 2008: Krankenunterlagen: Wer darf Einsicht nehmen?

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23 Gedanken zu „Die Patientenakte und der Staatsanwalt (akt.2)“

  1. Das klingt alles in allem wirklich so, als sollte man rechtliche Schritte gegen die Staatsanwaltschaft prüfen. Wie schön wäre es denn, wenn man an den „Exempelstatuierenden“ ein Exempel statuieren könnte. Darüber hinaus stellt sich auch die Frage, ab man mit gut platzierten Aussagen die öffentliche Meinung von der Hexenjagd in Richtung Fakten lenken könnte. Also HIV nicht gleich Aids, Ansteckungsrisiken bei Behandelten Patienten, Risiko der „Nichtwissenden“, Verantwortung beider Sexpartner usw.

  2. @ steven & all:
    bisher gibt es meines wissens nur die (unwidersprochene) spiegel-meldung als quelle.

    ich denke es ist zunächst wichtig, die rechtslage aufzuzeigen

    und parallel die fakten weiter zu eruiren: was tatsächlich stattgefunden hat – war es eine durchsuchung? wurde beschlagnahmt? mit oder ohne widerspruch der klinik? wurde freiwillig herausgegeben?
    bisher ist das (zumindest mir) unklar

    ich werd versuchen, mehr in erfahrung zu bringen, und ggf. den artikel zu aktualisieren

  3. „Wie also kommt ein Darmstädter Amtsrichter an die Krankenakte aus dem Klinikum?“

    Ganz einfach: Offenbar hat das Klinikum die Akte anstandslos herausgegeben.

    Die Kritik muss sich hier in erster Linie an Ärzte und Kliniken richten, die offenbar bedenkenlos Unterlagen herausgeben und es der Staatsanwaltschaft ermöglicht haben, die Krankenakte in aller Seelenruhe auszuwerten. Das Vorliegen einer richterlichen Anordnung sollte eine Klinik, die sicher einen sachkundigen Datenschutzbeauftragten beschäftigt, nicht weiter beeindrucken. Hier wäre im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes durch ein höherinstanzliches Gericht klären zu lassen gewesen, ob die Beschlagnahme und Auswertung der Patientenakte rechtmäßig ist.

  4. Die Wahrscheinlichkeit das die Staatsanwaltschaft Darmstadt scheint nicht von der Hand zu wiesen sein. Andernfalls sollte es doch kein Problem für wen auch immer sein eine solche Frage mit einem klaren Nein zu benantworten.

    Nein wir (die Staatsanwaltschaft) haben die Patientenakten nicht fotokopiert
    Nein wir (Infektionsambulanz Stat 68) haben die Patientenakte nicht der Staatsanwaltschaft ausgehändigt.

    Das sieht mir ao aus also haben da mindestens zwei ganz laut „Ich steh auf Ärger“ gerufen. Diesem Ruf sollte man Folge leisten. Wenn möglich auf der gleichen Ebene mit einer Vermutung – einem Verdacht und der medial aufbereitet. Öffernlicher Druck kann einiges bewirken.

  5. Als ob es das erste Mal wäre, dass aufgrund einer richterliche Anordnung Patientenakten beschlagnahmt worden wären.

    Vor einigen wenigen Jahren sind im, Rahmen eines Ermittungsverfahren wegen Verdachts auf Abrechnungsbetrug in einer großen Berliner HIV-Schwerpunktpraxis Patientenakten beschlagnahmt worden und über 100 HIV-Patienten sind zur polizeilichen Vernehmung geladen worden, um abzuklären, ob die abgerechneten Leistungen auch tatsächlich erbracht worden sind.

    Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz sind vor mehreren Jahren auch mal Akten einer AIDS-Hilfe beschlagnahmt worden.

    Wieso hat das eigentlich niemanden interessiert?

  6. @ Bernd:
    ich denke, vielen Positiven ist nicht klar, dass ihre Krankenakte beim Arzt oder in der Klinik beschlagnahmt werden könnte. Deswegen gehört es immer wieder thematisiert …
    nebenbei – je mehr sich die ärzteschaft in präventionsbemühungen einbringen möchte, desto brisanter wird dieses thema zusätzlich …
    (ein vermerk à la „hat probleme mit safer sex“ in der krankenakte könnte evtl enorme folgen haben …)

  7. @ Steven #3:
    nein, offensichtlich nicht, das klinikum hat wohl nicht „anstandslos heraus gegeben“, wie du schreibst.
    es soll zu einer beschlagnahme gekommen sein. siehe ergänzung im text oben.

  8. @Ulli #8
    „nebenbei – je mehr sich die ärzteschaft in präventionsbemühungen einbringen möchte, desto brisanter wird dieses thema zusätzlich …“

    Naja, dann ist das ganze Fall vielleicht zumindest dafür gut, dass die dumme DAH endlich aufhört zu glauben, dass die Kollegen Ärzte was in der Prävention zu suchen haben. Man muss sich ja nur mal die Stellungnahme der DAIG zur EKAF anschauen und kann gar nicht so schnell kotzen, wie man möchte. (Guckst du hier: http://www.presseportal.de/meldung/1392660/)

    Die Uniklinik hat sich übrigens NICHT heldenhaft verhalten, sondern „nur“ gesetzeskonform. Und das darf man ja wohl erwarten.

  9. @ Bernd:
    nun, ich empfinde die dah nicht als dumm – aber bei der rolle von ärzten in der prävention teile ich deine skepsis 😉
    daigs stellungnahme habe ich auch mit würgereflexen gelesen …

  10. Bzgl Stellungnahme DAIG – Ärzte betrifft . . . Schuster bleib bei Deinen Leisten. Ärzte sind dazu zu zu eilen wenn man krank ist . . . .

    Was die Beschlagnahmung der Krankenakte durch die Staatsanwaltschaft betrifft . . . . da muß nachgehakt werden. Nach den von Dir Uli zitierten Urteilen des BVerfG ist es nicht koscher.

  11. @Ulli #11

    Ach jeh, nein, ich bezog mich mit dumm dezidiert auf diesen Kontext und damit auch auf das Engagement der DAH im Projekt Prävention in der Arztpraxis (wie auch immer der genaue Titel ist) im Kompetenznetz.

    @Dennis #12

    Das Urteil hat ja nicht generell und grundsätzlich die Beschlagnahme von Patientenakten ausgeschlossen.
    Wäre aber schon von Interesse, den genauen Wortlaut (und damit auch die Begründung) für den Beschlagnahmebeschluß zu bekommen. Vielleicht lassen sich die schwulen Juristen anspitzen.

  12. Das ist alles furchtbar. Man muss das restlos aufklären und ggf. die Leute zur Verantwortung ziehen. Die Studie, die mit Unterstützung der DAH durchgeführt wurde, hat vor allem bestätigt, dass es psychosoziale Beratung nur durch entsprechend geschulte (auf Wunsch anonym agierende) Beraterinnen und Berater braucht. Die einzelnen Ergebnisse werden ja sicher bald veröffentlicht. Die Definitionen von „Prävention“ sind ja ganz unterschiedliche, wie man auch an dem statement der DAIG sehen kann.

  13. @ ondamaris (9.):

    Damit ist die Klinik nicht aus dem Schneider.

    Da vermutlich zum Zeitpunkt der Beschlagnahme die Einleitung des Strafverfahrens der Beschuldigten noch nicht eröffnet worden war, konnte sie ihre Rechtsposition nicht selbst schützen. Die Klinik ist also in diesem Fall nicht nur Sachwalterin ihrer eigenen Interessen gewesen (eine Klinik muss doch ein vitales Interesse daran haben, dass die Herausgabe von Patientendaten aufgrund einer ‚wasserdichten‘ rechtlichen Verpflichtung erfolgt!), sondern auch der Interessen der Patientin.

    Angenommen, es war nicht möglich gegen die Beschlagnahme einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, so wäre es auf jeden Fall erforderlich gewesen, wiederum im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, ein Auswertungsverbot hinsichtlich des Inhalts der Patientenakte zu erwirken.

    Nach meinen Dafürhalten ist ein solches Vorgehen nicht ins Belieben der Klinik gestellt; sie ist vielmehr zum Handeln verpflichtet. Denn: Mit der Beschlagnahmeanordnung ist der Klinik vermutlich verboten worden, die Patientin über die Beschlagnahme zu informieren. Das heißt, die Klinik war zum Zeitpunkt der Beschlagnahme bis zur Bekanntgabe der Einleitung des Strafverfahrens an die Patientin die einzige Stelle, die die Rechtsschutzinteressen der Patientin wahrnehmen konnte. Da aber eine Klinik den Interessen der Patienten, die sich ihr anvertraut haben, mehr verpflichtet ist als den Interessen der Staatsanwaltschaft, hätte die Klinik handeln müssen.

    Meiner Einschätzung nach ist hinsichtlich der Frage, unter welchen Umständen die Patientenakte den Besitzer gewechselt hat, es ergiebiger, die Rolle der Klinik zu beleuchten, als die der Justizverwaltung.

  14. @ steven #16:
    zustimmung.
    hinzu: wichtiger als der konkrete fall ist letztlich, generell zu klären, unter welchen bedingungen krankenakten beschlagnahmt und damit das vertrauensverhältnis und dessen schutz gebrochen werden dürfen.
    wenn dies klar ist, könnten wir überlegen (auch mit den beteiligten parteien), wie die wahrung von patientenrechten sowie eines vertrauensvollen arzt-patient-verhältnisses machbar sein könnte. und welcher informationsbedarf sich ggf. für patienten ergibt. nebenbei, nicht nur für hiv-patienten …

  15. Kann ein Staatsanwalt bzw. ein Justizminister wegen (wenn man einige Medienreaktionen anschaut: „Anstiftung zur“) Volksverhetzung belangt werden? Gabs das historisch schon mal? Eine hetzerische Justiz und Ankläger dagegen?

  16. Wer klagt an? Das muss gut vorbereitet werden. Gibts was neues von SPD und Grünen in Hessen?

  17. wäre ne frage, die zu stellen wäre …
    neues von spd und grünen über die pms hinaus ist mir nicht bekannt. auf mails kamen leider bisher keine reaktionen.

  18. @ bernd:
    nebenbei, die meisten beschlagnahmen von krankenakten (auch die von dir genannten fälle) ergaben sich m.w. bisher aus ermittlungsverfahren, die gegen den arzt gerichtet waren, nicht gegen den/die patient/in (wie in diesem fall).

  19. In einem der „berühmtesten“ Verfahren (Memmingen – ca. 1985), in dem es um Abtreibungen ging, richteten sich die Ermittlungen sowohl gegen Arzt als auch gegen die Patientinnen. Die Entscheidungen gegen die Patientinnen sind mit Strafbefehlen erledigt worden, so dass es insoweit zu keinen grundlegenden Entscheidungen kam.

    Der BGH hatte die Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren gegen den Arzt für rechtmäßig erachtet (BGH, Urt. v. 3.12.1991, NJW 1992, 763 ff. – z.B. hier in der Druckansicht ab Rn. 39: http://www.hrr-strafrecht.de/hrr/1/90/1-120-90.php?view=print). Die Entscheidung ist etwas aktueller als der o.g. Beschluss des BVerfG v. 1972 und in Teilen ganz aufschlussreich, obwohl es hier nicht zur Kernfrage kam, weil es zur Frage von Schweigepflichtentbindungen zumindest in Teilen unpräzisen Revisionsvortrag gab.

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