Sex-Schnüffler bei der EU?

Sie haben Sex?
Sie leben in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung?

Schon zwei Gründe, sich für die geplante EU-Volksbefragung zu interessieren …

Sie haben wegen Ihrer HIV-Infektion (oder auch aus anderen Gründen) einen Schwerbehinderten-Ausweis?
Sie engagieren sich freiwillig / ehrenamtlich in einer Schwulengruppe, einer Aids-Hilfe?

Schon wieder zwei Gründe, warum die EU-Volksbefragung die interessieren könnte!

Denn genau auch nach diesen Punkten möchte die EU gerne ihre Bürger befragen. Sie plant für 2011 eine EU-Volkszählung, den Zensus 2011. Und ist gerade im Begriff, dazu ein ‚EU- Volkszählungs-Gesetz‘ zu verabschieden. Darin formuliert sie umfangreiche Informations- Interessen – bis hinein in tiefste Privatsphären der Bürgerin und des Bürgers …

Zu den Punkten, die bei der Volkszählung u.a. abgefragt werden sollen, gehören laut Gesetzestext (bzw. dem hier besonders wichtigen Anhang) zum Beispiel:
– Familienstand
– Datum des Beginns der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
– ehrenamtliche Tätigkeit
– Behinderung
– Typ einer Patchwork-Familie

Derzeit wird im EU-Parlament nach zum Teil deutlicher Kritik aus mehreren Fraktionen diskutiert, ob die Plenar-Abstimmung über das EU-Volkszählungs-Gesetz wegen unklarer Fragen auf 2008 verschoben werden soll.

Früher stießen Volkszählungen auch in Lesben- und Schwulenkreisen auf massive Kritik. In Zeiten freiwilliger Selbst-Auskunfts-Wut im Internet (siehe blaue Seiten) scheinbar nicht, Probleme mit Datenschutz sind kaum noch Thema. Zumindest ist Kritik an der geplanten EU-Volkszählung aus Schwulen-, Lesben- und Aids-Kreisen bisher nur wenig zu vernehmen …

weitere Informationen:
Daniela Schröder: Gegen den gläsernen Europäer. In: Das Parlament 49/2007
derzeitiger Beratungsstand des EU-Volkszählungsgesetzes im EU-Parlament
Procedure File des EU-Parlaments zur EU-Volkszählung
Vorschlag der EU-Kommission für die EU-Volkszählung (pdf)

10 Gedanken zu „Sex-Schnüffler bei der EU?“

  1. Was die freiwillige Selbstauskunft betrifft, verlieren im Zuge von Web 2.0 insbesondere bei MySpace,Xing,Facebook,StudiVZ etc. viele Menschen jegliche Hemmungen und ermöglichen so die Erstellung von detaillierten Persönlichkeitsprofilen. Viele Fragen des Zensus 2011 sollten sich bis dahin sicherlich auch einfach online klären lassen und sind im Rahmen der Befragung fast schon wieder obsolet.

  2. @ Kalle:
    stimmt – das ist generell ein wenig beachtetes thema. allerdings gab es zeiten, da schwule und lesben für datenschutz besonders sensibilisiert waren – aber heut erinnert sich ja kaum noch jemand an ‚rosa listen’und ähnliches …
    lg ulli

  3. @ Magic M.:
    stimmt – die freiliwwilge selbstauskunft nimmt immer groteskere züge an. was man alles über so manchen im internet finden kann …
    besonders pikant kann’s dann werden, wenn all diese portale über open id oder ähnliches miteinander verknüpft werden können …

  4. Wie so oft ist auch die ‚Volksbefragung‘ ein zweischneidiges Schwert. Ich erinnere mich noch, dass sich die Freunde in London vor zwei oder drei Jahren ziemlich aufgeregt haben, weil bei einer regelmäßig stattfindenden Erhebung zur Londoner Bevölkerungsstruktur nicht das Merkmal ’sexuelle Orientierung‘ abgefragt wurde. Sie kritisierten, dass damit mal wieder den Lesben und Schwulen in der Stadt nicht die Möglichkeit gegeben werde, sich zahlenmäßig darzustellen. Ethnische und religiöse Zugehörigkeiten usw würden erfaßt und damit würde den betreffenden Bevölkerungsgruppen das statistischen Material an die Hand gegeben, um Forderungen durchzusetzen, nicht aber den gays.

    Die Sichtweise ist mir nicht fremd und ich hätte keine Problem damit, bei einer Volkszählung an entsprechender Stelle das Kreuzchen zu machen. Sorgen bereitet mir vielmehr, welche Informationen noch erhoben werden. Da können alle möglichen Dinge miteinander verknüpft und ziemliche Zerrbilder gezeichnet werden. Das Schwule eher über eine Parkplatz verfügen als andere, wäre noch eine der harmloseren Aussagen. Wir werden keinen Chance bekommen, die Rohdaten zu überprüfen, sondern werden uns mit den ‚amtlichen‘ Auswertungen zufrieden geben müssen.

  5. @ Stefan:
    klar, zweischneidiges schwert. und es muss ja durchaus auch vernünftige planungsgrundlagen geben.
    ich kritisiere ja auch weniger die tatsache einer geplanten volksbefragung sondern mehr das fehlen fast sämtlicher krititschen gedanken seitens homos/lesben dazu.

    zudem werden ja die auswerte-möglichkeiten immer genauer, und auch die verwendung der daten immer intensiver.
    wenn ich nur an die probleme denke, die viele mit einer kredit-bewilligung haben, nur weil sie in bestimmten gebieten wohnen – bekommen dann manche vielleicht in zukunft keine lebensversicherung mehr, weil sie in besonders ’schwulen gebieten wohnen?
    also – einige kritische gedanken könnt man sich dazu schon machen … und die fehlen mir bisher (im gegensatz zu ‚früher‘)

  6. @ Ulli:

    genau, die Frage ist, was man mit den erhobenen Daten macht und wie man sie auswertet. Die Befragung an sich ist nicht bedenklich, doch eine Verknüpfung und heimliche Weitergabe an andere kann zu Problemen führen,

    lg kalle

  7. @ Kalle:
    ja – insbesondere in der verknüpfung (und langzeitigen speicherung) von daten sehe ich ein problem. zudem ist der datenschutz nicht in allen eu-staaten gleich gut ausgeprägt…
    lg ulli

  8. @ Ulli

    „…sondern mehr das fehlen fast sämtlicher krititschen gedanken seitens homos/lesben dazu.“

    Aber genau dafür gibt’s ja Blogs wie diesen. Auf den LSVD ua brauchen wir nicht zu warten, die sind mit der Erbschaftssteuerreform beschäftigt.

    Vielleicht richtet sich die von der Leyen bei der Vergabe von Kindergartenfördermittel dann auch nach der Schwulenverteilung. Da, wo viele Schwule sind, braucht’s keine Kindergärten, könnte eine verrostete Denkweise dann wieder auftauchen. Oder, mit dem Erdbeerschorsch gedacht, da wo viele Schwule sind, darf es keine Kindergärten geben.

    Mit den Versicherungen waren wir ja schonmal drüber dran. Ich vermute, wenn sich aus den erhobenen Daten überhaupt entsprechende Rückschlüsse ziehen lassen, werden schnell Versicherungen da sein, die gezielt in schwulen Wohngebieten Kunden gewinnen wollen. Jedoch nicht aus altruistischen Motiven.

  9. @ Stefan:
    stimmt, dass solche ‚verrosteten gedanken‘ wieder auftauchen, könnte man (nicht nur bei den c-parteien) durchaus vermuten …
    und was die versicherungen angeht … wenn die erstmal blicken, dass bei weitem nicht alle homos zur ökonomisch gut gestellten mittelschicht gehören, sondern irgendwo zwischen 2-4-1 und hartz4 leben, wird deren interesse auch schnell wieder abebben, vermute ich …

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