Homophobe Überfälle: Maneo Umfrage manipuliert?

Logo von ManeoWurden die Fragebögen des Berliner Überfalltelefons zu antischwuler Gewalt mehrfach mit falschen Angaben ausgefüllt, um Stimmung gegen Ausländer zu machen?

Ein Artikel von Norbert Blech führt in den Userkommentaren bei queer.de zu teilweise sehr heftigen Reaktionen. Nach anonymen Hinweisen wird die zweite große Onlineumfrage von Maneo – einem Berliner Antigewaltprojekt – in dem Artikel hinterfragt. Diese Umfrage von 2007/2008 kam zu dem Ergebnis, dass die Gewalt von nichtdeutschen Tätern im Verhältnis zu einer ähnlichen Umfrage aus dem Jahr 2006/2007 stark zugenommen hatte. „Einwände von Kritikern, dass etwa die Zahlen des schwulen Überfalltelefons Maneo wenig Aussagekraft besitzen, konnten sich gegen diese Mischung aus Angst und Vorurteil selten durchsetzen.“ schreibt der Autor zu damals kritischen Reaktionen auf die Umfrageergebnisse.

Gezielte Manipulation und Mitmach-Aufrufe aus dem Islamkritischen Spektrum?

Ein Anlass für den aktuellen Artikel war eine anonyme Email: „Von gezielten Manipulationen spricht ein anonymer „Frank“, der sich bei der Queer.de-Redaktion gemeldet hat und sich als „Aussteiger“ bezeichnet. Aussteiger aus einem Subbereich der schwulen Szene, der sich vom Islam bedroht fühlt und Muslime generell als Feindbild bekämpft. Frank schreibt in einer anonymen eMail, er habe den Fragebogen „bestimmt 10 Mal mit unterschiedlichen Angaben ausgefüllt“ und Türken als Täter angegeben. Es sei ihm darum gegangen, das Szenario einer „realen Bedrohung“ aufzubauen. Er kenne „mindestens fünf“ Bekannte, die ähnliches getan hätten. Auch habe er dem Überfalltelefon telefonisch zwei erfundene Übergriffe gemeldet: „Das war unglaublich leicht, die sind so unglaublich dumm und sind einfach zu instrumentalisieren“ – da auf diesem Weg jährlich nur rund 200 Fälle homophober Gewalt gemeldet werden, haben diese Anrufe noch größere Auswirkungen auf die Statistik als bei der Online-Umfrage. Mittlerweile schäme er sich für den „eigenen Rassismus“, den er auch in zahlreichen Forenbeiträgen auf den unterschiedlichsten Webseiten, darunter queer.de, verbreitet hätte. Einen Beweis für die Manipulation der Maneo-Studie liefert die anonyme Quelle nicht, Rückfragen sind nicht möglich.“

Bei der weiteren Recherche stieß Norbert Blech auf Aufrufe der islamkritischen Szene, bei der zur intensiven Teilnahme an der Umfage aufgerufen wird gleich unter der Prämisse einen bestimmten Täterkreis zu benennen. Auf den von Norbert Blech gefundenen Seiten bei www.gruene-pest.de wird in den Foren offen dazu aufgerufen Umfragen und Kommentare auf schwullesbischen Seiten zu veröffentlichen um Angst und Vorurteile gegen Muslime in die schwule Szene zu bringen. Veröffentlichte islamfeindliche Kommentare werden in den einzelnen Forumsthreads als Erfolg gefeiert. Beschwichtigende oder relativierende Presseberichte dem entsprechend böse kommentiert und gleich noch mit homofeindlichen Kommentaren gespickt.

Wird die „nicht-repräsentative“ Umfrage bewusst medial ausgeschlachtet?

Der Artikel endet mit folgendem Resumee: „Wie einige andere in der Berliner Szene hatte er in den letzten Jahren verbal aufgerüstet und etwa von „No-Show-Areas“ für Schwule in der Hauptstadt gesprochen. Ein anderes Mal hatte er gewarnt, es solle keine „falsch verstandene Rücksicht auf scheinbar folkloristische Religionselemente“ geben. Zu den Ergebnissen der ersten Umfrage hatte Finke in einer Pressemitteilung geschrieben: „Viele haben bisher die Augen vor einer bestimmten Tätergruppe verschlossen. Ohne, dass wir danach gefragt haben, haben uns 16 Prozent von Tätern nichtdeutscher Herkunft berichtet. Hätten wir nach dieser Tätergruppe gefragt, hätten wir noch mehr Nennungen gehabt.“ Die Geister, die er rief, hat er in der zweiten Umfrage offenbar bekommen.“

Diskredition oder Warnung?

Maneo“ ist in Berlin eine anerkannte aber nicht unumstrittene Institution.
In den vielen Jahren des Aufbaus, der bereits Anfang der 90er Jahre durch eine Wirteaktion in Berlin Kreuzberg begann und über das schwule Überfalltelefon bis hin zu Maneo fortgesetzt wurde, hat das Antigewaltprojekt eine Menge geleistet: Der Kontakt zur Polizei hat sich für lesbische und schwule Gewaltopfer erleichtert. Gewalt gegen Schwule und Lesben ist sichtbar geworden und in der Politik angekommen.

Aber Maneo hat auch viele Fehler gemacht. So war der Demoaufruf gegen homophobe Gewalt durch vermutlich osteuropäische Täter die sich dann als eine Auseinandersetzung im Strichermilieu herausstellte vom Januar diesen Jahres mehr als ein Fauxpas. 500 Demonstranten kamen zur Mahnwache und mussten ziemlich irritiert nachlesen, dass sie wohl falsch informiert waren. Auch wurde die Problematik von antischwuler Gewalt oftmals in entsprechende Bahnen gelenkt. die den Eindruck vermittelten, bestimmte Bezirke oder Gegenden in Berlin seinen für Schwule und Lesben tabu. Fragt man Schwule und Lesben, die aus genau diesen Bezirken kommen, entsteht ein sehr viel differenzierteres Bild und widerlegt die Aussagen oft genug. Die mediale Gewalt solcher Aussagen und die Anfang 2009 stakkatohaften Berichte von Maneo über Übergriffe hatten zur Folge, dass die Szene sehr verunsichert war und sich schnell auf Jugendliche mit Migrationshintergund als Haupttäter einschwor. Gerade in den schwullesbischen Szenebezirken Berlins haben sich Angst und Vorurteile breit gemacht, die sich in offen ausländerfeindlichen Äußerungen manifestieren.

Dabei kann Berlin auch anders. Als es im Juni 2008 bei einem Drag Festival in Kreuzberg zu einem Übergriff auf Dragkings kam, war vom Antigewaltprojekt Maneo nichts zu hören. Trotzdem wurde binnen 24 Stunden eine Demonstration gegen homophobe Gewalt auf die Beine gestellt, an der sich 2000 Demonstranten zusammen fanden um in Kreuzberg aufzurütteln. Das Kreuzberger Netzwerk funktioniert. Bei Übergriffen und auch präventiv finden sich lesbische und schwule Geschäftsleute, „Kiezgrößen“, Anwohner und Vereine zusammen und versuchen zwischen den Parteien zu vermitteln – sicherlich nicht immer mit einem bestmöglichen Ergebnis, meist aber viel leiser und effektiver, als so manche Mahnwache, die aus Solidarität bei vermeintlicher Homophobie gestartet wird. Nicht anders ist es zu erklären, dass sich zahlreiche Geschäfte in der Oranienstraße sowie den angrenzenden Straßen beim transgenialen CSD offen solidarisch zeigen, auch wenn dies bei einigen konservativen Kunden vielleicht nicht so gut ankommt. Zweisprachige Fahnen gegen Sexismus, Homophobie und Rassismus mit Pumps tragendem Hirsch und Kamel oder ein türkisches Fotogeschäft mit Bildern von Verpartnerungen im Schaufenster seien hier exemplarisch genannt und haben sicherlich eine größere Reichweite als ein Regenbogenaufkleber an der Eingangstüre.

Wenn sich dann Bastian Finke von Maneo darüber echauffiert, dass eine Zusammenarbeit mit Gruppen, die sich mit der Migrationsproblematik auseinandersetzen, schwierig sei, muss er sich wohl fragen lassen, ob dies nicht vielleicht in der Arbeit von Maneo und einem sich daraus resultierenden Misstrauen gegenüber Maneo begründet sein kann, zumindest wenn man wie Bastian Finke bereits seit fast 20 Jahren in diesem Umfeld arbeitet.

Man darf homophobe Gewalt sicherlich nicht bagatellisieren. Auch müssen die Hintergründe für verbale wie körperliche Gewalt gegen Lesben und Schwule aufgeklärt werden.

Der von Maneo in den letzten Jahren eingeschlagene Weg ist dabei kontraproduktiv, wenn diese in der lesbisch-schwulen Szene zu neuen Hassbildern führt. Homophobe Gewalt muss wertfrei und ohne Vorurteile aufgeklärt werden. Notwendige gesellschaftliche Veränderungen müssen schrittweise erarbeitet werden. Dabei helfen keine Schwarzweiß-Malerei, keine einseitigen Wertungen, keine Schönfärberei und keine voreiligen Aktionen.

weitere Informationen:
queer.de 15.08.2009: Maneo-Umfrage gezielt manipuliert?
GGG.at 17.08.2009: Haben Islam-Kritiker Überfälle in Berlin erfunden?
blu 18.08.2009: Nachgefragt – Umfrage manipuliert?
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Fußball-EM in Kreuzberg 36

Fußball-EM in Kreuzberg 36

– ein Gast-Beitrag von Stefan Reck –

EM am KottiWer in Kreuzberg 36 bei der Europameisterschaft Fußball schaut, ist manchmal etwas irritiert. Fußballfans in dem Bezirk Kreuzberg, der gemeinhin als Klein-Istanbul bekannt ist, werden oftmals überrascht, wenn sie die Verhältnisse vor Ort nicht kennen.
Im türkischen Kiosk fällt ein Tor für die Deutschen, was man aber gar nicht vermutet, denn gejubelt wird trotzdem. Der Verkäufer entschuldigt sich sogar für das vermeintliche Tor der Türken, was sich im nächsten Moment als falsche Vermutung herausstellt. Es kann aber auch passieren, dass die Deutschen mit türkischen Fahnen herumlaufen und in vermeintlich türkische Kneipen gehen um dann irritiert festzustellen, dass die dort versammelten Zuschauer zwar alle die türkische Nationalität haben, aber frenetische Deutschlandfans sind. Geradezu irrwitzig wird es dann am Kottbusser Tor, eher einem sozialen Brennpunkt in Kreuzberg. Das in den 70er Jahren gebaute Kreuzberger Zentrum hat eine klare Aufteilung. Auf Straßenniveau schauen sich die türkischen Fans zusammen mit deutschen Freunden das Spiel an, wobei beide Seiten jubeln, auf der Galerie im ersten Stock feierten währenddessen türkische Jungs jedes Tor der Deutschen lauthals.

EM am KottiHintergrund für diese etwas verkehrte Welt ist der seit Jahrzehnten bestehende Kampf zwischen Türken und Kurden, der sich an diesem Ort entlädt. Während die meisten Türken mit Hingabe das Spiel ihrer Mannschaft verfolgen, sind die kurdischen Jungs immer auf der Seite der Gegner und da ist es zwar egal, wer da gegen die türkische Mannschaft spielt, bei der Deutschen Mannschaft ist der Jubel nur noch etwas lauter. Leider wird daraus dann schnell ein ziemlich nationalistisches und politisches Hick-Hack, was bei dem Halbfinalspiel doch noch zu einem kleinen Polizeieinsatz führte. Kurz nach dem Anpfiff rannten die Kurden skandierend auf die Straße und provozierten so die türkischen Fans. Schnell standen sich zwei Gruppen gegenüber, jede auf einer Straßenseite, und riefen ihre Parolen, die nun gar nichts mehr mit Fußball zu tun hatten.

Die Kurden riefen den Namen ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan und lauthals Deutschland, die Türken hielten mit Rufen wie Bastarde, Türkiye und nationalistischen sowie faschistischen Gesten (dem Zeichen der Grauen Wölfe) dagegen. Ein kurdischer Vater sah sichtlich aufgebracht seinen Sohn auf der Galerie grölen. Ein kurzer Blick genügte und der Sohn wurde ruhig „Er hatte mir versprochen keinen Unsinn zu machen“ so der O-Ton zu dieser Situation.
Die Polizei tat ihren Job – sie trennte die Straße mit den Berliner Wannen und versperrten beiden die Sicht. Nach einer halben Stunde war die obskure Situation vorbei, die so manche Kreuzberger, die diese Aktion beobachteten, etwas irritierte.

Die meisten Türken waren jedenfalls traurig, ließen sich das Feiern aber nicht nehmen. So sah man in den Hauptstraßen Kreuzbergs viele Autos mit deutschen und türkischen Fahnen, überfüllt mit Menschen, die teilweise im Kofferraum der Fahrzeuge standen und mit einem ohrenbetäubenden Hupkonzert durch die Nacht fuhren. Auf der anderen Seite konnte man den einen oder anderen Deutschen mit türkischen Fahnen sehen, die das Ausscheiden der türkischen Mannschaft bedauerten. Verkehrte schöne und bizarre Welt in Kreuzberg.