Fußball-EM in Kreuzberg 36

Fußball-EM in Kreuzberg 36

– ein Gast-Beitrag von Stefan Reck –

EM am KottiWer in Kreuzberg 36 bei der Europameisterschaft Fußball schaut, ist manchmal etwas irritiert. Fußballfans in dem Bezirk Kreuzberg, der gemeinhin als Klein-Istanbul bekannt ist, werden oftmals überrascht, wenn sie die Verhältnisse vor Ort nicht kennen.
Im türkischen Kiosk fällt ein Tor für die Deutschen, was man aber gar nicht vermutet, denn gejubelt wird trotzdem. Der Verkäufer entschuldigt sich sogar für das vermeintliche Tor der Türken, was sich im nächsten Moment als falsche Vermutung herausstellt. Es kann aber auch passieren, dass die Deutschen mit türkischen Fahnen herumlaufen und in vermeintlich türkische Kneipen gehen um dann irritiert festzustellen, dass die dort versammelten Zuschauer zwar alle die türkische Nationalität haben, aber frenetische Deutschlandfans sind. Geradezu irrwitzig wird es dann am Kottbusser Tor, eher einem sozialen Brennpunkt in Kreuzberg. Das in den 70er Jahren gebaute Kreuzberger Zentrum hat eine klare Aufteilung. Auf Straßenniveau schauen sich die türkischen Fans zusammen mit deutschen Freunden das Spiel an, wobei beide Seiten jubeln, auf der Galerie im ersten Stock feierten währenddessen türkische Jungs jedes Tor der Deutschen lauthals.

EM am KottiHintergrund für diese etwas verkehrte Welt ist der seit Jahrzehnten bestehende Kampf zwischen Türken und Kurden, der sich an diesem Ort entlädt. Während die meisten Türken mit Hingabe das Spiel ihrer Mannschaft verfolgen, sind die kurdischen Jungs immer auf der Seite der Gegner und da ist es zwar egal, wer da gegen die türkische Mannschaft spielt, bei der Deutschen Mannschaft ist der Jubel nur noch etwas lauter. Leider wird daraus dann schnell ein ziemlich nationalistisches und politisches Hick-Hack, was bei dem Halbfinalspiel doch noch zu einem kleinen Polizeieinsatz führte. Kurz nach dem Anpfiff rannten die Kurden skandierend auf die Straße und provozierten so die türkischen Fans. Schnell standen sich zwei Gruppen gegenüber, jede auf einer Straßenseite, und riefen ihre Parolen, die nun gar nichts mehr mit Fußball zu tun hatten.

Die Kurden riefen den Namen ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan und lauthals Deutschland, die Türken hielten mit Rufen wie Bastarde, Türkiye und nationalistischen sowie faschistischen Gesten (dem Zeichen der Grauen Wölfe) dagegen. Ein kurdischer Vater sah sichtlich aufgebracht seinen Sohn auf der Galerie grölen. Ein kurzer Blick genügte und der Sohn wurde ruhig „Er hatte mir versprochen keinen Unsinn zu machen“ so der O-Ton zu dieser Situation.
Die Polizei tat ihren Job – sie trennte die Straße mit den Berliner Wannen und versperrten beiden die Sicht. Nach einer halben Stunde war die obskure Situation vorbei, die so manche Kreuzberger, die diese Aktion beobachteten, etwas irritierte.

Die meisten Türken waren jedenfalls traurig, ließen sich das Feiern aber nicht nehmen. So sah man in den Hauptstraßen Kreuzbergs viele Autos mit deutschen und türkischen Fahnen, überfüllt mit Menschen, die teilweise im Kofferraum der Fahrzeuge standen und mit einem ohrenbetäubenden Hupkonzert durch die Nacht fuhren. Auf der anderen Seite konnte man den einen oder anderen Deutschen mit türkischen Fahnen sehen, die das Ausscheiden der türkischen Mannschaft bedauerten. Verkehrte schöne und bizarre Welt in Kreuzberg.

3 Gedanken zu „Fußball-EM in Kreuzberg 36“

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  2. Nachtrag 27.6.2008:
    die heutige SZ berichtet im Feuilleton über die Situation auf der O-Strasse „Der Abend zeigte jene soziokulturelle Mischung, die Integrationsskeptiker, die das Türkenbanner nur als Menetekel für Deutschland verstehen, wohl nie sehen: Weiß-rot eingewickelte türkische Mädchen, die Bier aus der Flasche trinken, daneben lesbische Kuschelpärchen, ein Schwarzer und zwei deutsche Freunde, die aus Ghetto-Blastern fern von allen Bildschirmen Distanz signalisieren, neugierige Fellows vom Wissenschaftskolleg -„herzlichen Glückwunsch“-, kaum Polizei, und die ganz normalen Fantrauben vor den offenen Eingängen mit den großen grünen Rechtecken.“

  3. kleiner wink mit dem gartenzaun:
    grüsse an alf , olaf und matthias…..
    heute trau ich mich sowieso! mit dem italiener hat’s ja nicht geklappt, da setz ich auf spanien- last minute sozusagen.;-))

    @ulli und den gastautor
    danke für die weiterbildung!

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