Oralverkehr: „sehr geringes Risiko“

Oralverkehr ist nicht risikofrei, sagen die CDC in einer neuen Publikation. Oralverkehr bedeutet hinsichtlich HIV ein „sehr geringes Risiko“, betont die DAH. „Blasen – raus bevor’s kommt“ gelte weiterhin.

Die us-amerikanischen Centers for Disease Control CDC haben eine neue Stellungnahme zu Oralverkehr und HIV-Risiko herausgegeben. Sie beginnt mit den Worten „Oral Sex Is Not Risk Free“ und stellt kurz darauf fest „numerous studies have demonstrated that oral sex can result in the transmission of HIV and other sexually transmitted diseases (STDs)“.

Oraler Sex könne zu HIV-Übertragung führen, hätten zahlreiche Studien gezeigt, sagt das CDC. Oral-Sex sei eine häufige sexuelle Praktik, ergänzen die CDC.

Die CDC berufen sich in ihrem aktuellen Paper insbesondere auch auf eine Studie von di Campo. Eine Studie, die er selbst schon unter dem Titel „Oral transmission – reality or fiction?“ publiziert hat.

„Beim Blasen raus bevor’s kommt“ – auf diese leicht verständliche Formulierung hat die Deutsche Aids-Hilfe bisher ihre Haltung zu Oralverkehr und HIV-Risiko zusammengefasst.

Raus bevor's kommt (c) DAH
Raus bevor's kommt (c) DAH

Hat sich hieran etwas geändert, etwa durch neue Studiendaten?
Nein.

Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen Aids-Hilfe, hat die wesentlichen Informationen zu Oralverkehr und HIV-Risiko zusammengefasst:

Studien im Überblick
In seiner Literaturstudie (Review) stieß Campo zwar auf Studien, in denen einige HIV-Übertragungen durch Oralsex vorkamen, aber er bezeichnet das Risiko als sehr gering. Er beschreibt unter anderem eine große Studie von del Romero. Dieser untersuchte 135 heterosexuelle diskordante Paare und deren Handlungen bezüglich Oralsex. In den mehr als zehn Jahren Beobachtungszeit waren viele andere Paare ausgeschieden, da sie andere, meist größere Risiken eingegangen waren (etwa durch ungeschützten Analverkehr). Die übrig gebliebenen 135 Paare ergaben 19.000 Expositionen durch oralen Sex (Cunnilingus sowie Fellatio ohne und in circa einem Drittel der Fälle mit Ejakulation), was zu keiner einzigen HIV-Übertragung geführt hatte. Knapp 40 Prozent der HIV-positiven Partner nahmen eine antiretrovirale Therapie ein (1989 bis 2000, also auch vor der hochwirksamen Kombitherapie).

Es gibt aber auch Einzelfallberichte und einzelne Studien, die Übertragungen durch Oralverkehr belegen, z.B. eine kleine Studie von Dillon mit 120 Personen mit frischen HIV-Infektionen, die zu 6,6 Prozent wahrscheinlich auf Oralverkehr zurückgehen. Damit ist das Risiko bei Oralverkehr bezifferbar, liegt aber immer noch weit hinter anderen Risiken (ungeschützter Anal- oder Vaginalverkehr) zurück.

Schwierigkeiten der Risikokalkulation
Warum ist es so schwer, das Risiko für Oralverkehr eindeutig zu bestimmen? Ein Grund liegt darin, dass das niedrige Risiko bei Oralverkehr von dem hohen Risiko bei Vaginal- und Analverkehr überlagert wird (und die meisten Menschen sich nicht nur auf eine Sexualpraktik beschränken). Problematisch ist andererseits, dass in den Studien nicht immer sauber zwischen Oralverkehr mit bzw. ohne Ejakulation unterschieden wird.

Fazit
Was schließt man aus der Studienlage? Campo und Kollegen, die in ihrem Literaturreview die wichtigsten zehn Studien zu Oralverkehr zusammenfassen, schlussfolgern, dass das HIV-Übertragungsrisiko durch Oralverkehr „sehr gering“ ist. Die Mundschleimhaut bietet eben doch einen besseren Schutz als Vaginalschleimhaut, Vorhaut oder Darmschleimhaut. Und man sieht, dass Ergebnisse von Studien mit festen (heterosexuellen) Paaren etwas anders ausfallen als Ergebnisse von Studien mit Gelegenheitspartnern. Denn der/dieHIV-positive Partner/in in der Partnerstudie hat die akute Infektion schon hinter sich, wenn das Paar in die Studie eintritt und hat eher keine relevante STD. Denn bei hoher Viruslast durch akute HIV-Infektion, eventuell zusammen mit einem syphilitischen Geschwür, kann auch aus einem sonst geringen Risiko die eine oder andere Übertragung resultieren – eine Situation, die in einer Partnerstudie praktisch nicht vorkommt.
Insgesamt aber scheint in der Prävention der Oralverkehr im Vergleich zu ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr eher überbewertet worden zu sein.
Die bisherigen Empfehlung „Raus bevor es kommt“ bei Oralverkehr ist weiterhin gültig, HIV-haltige Flüssigkeiten sollten nicht mit Schleimhaut in Kontakt kommen. Der Fokus der Prävention sollte allerdings deutlicher auf der Vermeidung der großen Risiken liegen, also auf den Schutz beim Anal- und Vaginalverkehr.

Literatur zu den genannten Studien
Campo J, Perea MA, del Romero J, Cano J, Hernando V, Bascones A (2006). Oral transmission of HIV. Reality of fiction? An update. Oral Diseases 12: 219 – 228
del Romero J, Marincovich B, Castilla J et al. (2002). Evaluating the risk of HIV transmission through unprotected orogenital sex. AIDS 16: 1296–1297
Dillon B, Hecht F.M., Swanson M. (2000). Primary HIV Infections Associated with Oral Transmission. Abstract473. 7th Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections (CROI).“

Dank an Armin Schafberger für die Genehmigung zur Verwendung des Textes!

weitere Informationen:
CDC Juni 2009: Oral Sex and HIV Risk (pdf)

12 Gedanken zu „Oralverkehr: „sehr geringes Risiko““

  1. “Oral Sex Is Not Risk Free”

    Na dann bin ich mal auf das nächste Statement zum Thema „Sex + HIV + Kondome“ gespannt. „Unfortunatelly Sex with condoms is not Risk Free. We therefore advise that persons infected with HIV are excluded from having Sex.“

    „Insgesamt aber scheint in der Prävention der Oralverkehr im Vergleich zu ungeschütztem Anal- oder Vaginalverkehr eher überbewertet worden zu sein.“

    Das sehe ich auch so. Insofern frage ich mich schon ob bei solcher „Weisheit äh Statement“ eine gesellschaftliche oder politische Absicht dahintersteckt als eine medizinische insbesonders wenn selbst „Campo und Kollegen in ihrem Literaturreview die wichtigsten zehn Studien zu Oralverkehr zusammenfassen und schlussfolgern, dass das HIV-Übertragungsrisiko durch Oralverkehr „sehr gering“ ist.

    Wenn in Organisationen wie dem CDC Personen das Sagen haben die von einer „EIne Strategie – Verhalten ist nur dann richtig wenn sie Risk Free – 100% sicher ist“ Haltung ausgehen dann wird – könnte das was den Komplex HIV betrifft Folgen haben an die ich gar nicht denken möchte.

  2. @ alivenkickin:
    ich denke bis das cdc oder die bzga sich trauen zu sagen „condom sex is not risk free“ werden wir noch eine ganze weile warten müssen 😉

  3. Ach, „risk free“ ist er ja auch nur unter bestimmten (kommunikativen) Bedingungen. Und solange man glaubt dass der (mündige) Bürger (und auch die Bürgerin!) nicht in der Lage sind, sich damit auseinanderzusetzen, werden wir wohl tatsächlich auf eine staatliche Reaktion noch warten müssen. Was Oralverkehr angeht, sind ja auch immer die Grundvoraussetzungen von Bedeutung. Bei einem allgemein guten Gesundheitsszustand (z.B. keine Mandelentzündung oder Vorhandensein von Liäsionen aufgrund anderer Infekte) ist Oralverkehr sicherlich ohne nennenswertes Risiko. Botschaften zur Prävention müssen sich sicherlich an den wissenschaftlichen Studien orientieren, aber sie müssen vor allem auch lebensnah und lebenspraktisch sein.

  4. Botschaften zur Prävention müssen sich sicherlich an den wissenschaftlichen Studien orientieren, aber sie müssen vor allem auch lebensnah und lebenspraktisch sein.

    Und genau das ist der Kasus Knackus – die AH´s und viele der Hiv Positiven sind sich dessen schon bewußt und können das entsprechend einschätzen. Wo das noch nicht angekommen ist, sind Vereine eben wie dieser CDC, BzgA etc. Deren Einfluß darf man nicht verkennen, haben sie doch alle eines gemeinsam – den Staat i.e. die Regeirung und deren „Lesart“ hinter sich bzw stehen unter deren Kuratell genannt Fuchtel – insbesondere monetär.

  5. Wohl wahr. Da gibt es sicher immer mal wieder ein Kämpfchen. Der Staat besteht ja auch nur aus hilflosen (Stammtisch-)Repräsentanten, die mal bessere, mal schlechtere Referentinnen und Referenten haben. Ideologisches und allzu katholisches muss man halt sauber auf den Tisch legen. Die DAH hat da schon manche Krise überlebt; sie hat aber auch eine gute Unterstützung in der erweiterten Community bisher. Ich glaube auch nicht, dass das BMG die DAH schließen will. Da sind erst andere dran! Und Frau Schmidt hat sich sehr gut entwickelt in letzter Zeit. Hoffentlich macht ihr im Herbst die Mutterkreuzträgerin aus Niedersachsen nicht den Stuhl streitig!

  6. @ alf
    Wenn Du „ohne nennenswertes Risiko“ schreibst, ist das zentrale Schlüsselwort „nennenswert“.
    Ich denke, es ist schon wert, genannt zu werden. Wenn wir Menschen ernst nehmen, müssen wir ihnen die Bewertung von Informationen letztendlich selbst überlassen. Bestimmte Fakten tatsächlich nicht zu „nennen“, hieße sie zu entmündigen.
    Ich nehme aber an, daß Du das wohl eher umgangssprachlich meinst, also als Bewertungshilfe verstanden wissen willst 😉

  7. Ja genau, das ist dann eine subjektive Entscheidung. Was der eine als ein zu vernachlässigendes Risiko empfindet, ist für den anderen ein großes Risiko. Das erfordert eine individuelle Entscheidung, unabhängig von der objektiven Information. Vernazza hatte im Rahmen der EKAF-Verlautbarung zur Viruslastmethode mit den Wahrscheinlichkeiten von Flugzeugabstürzen argumentiert.

  8. das ist es doch nur wenn man nicht informiert ist. information geht doch weit über das „buchwissen“ hinaus. eine individuelle entscheidung kann ich doch nur treffen wenn ich a) über objektive informationen (vorhandenes wissen) verfügen und b) subjektive information – wissen. diese subjektive information – wissen erhält man nur über kommunikation mit dem partner/IN bevor es zur sache geht..
    und genau da liegt der hase im pfeffer. wenn kommunikation nicht stattfindet ist hinterher oftmals der katzenjammer groß.

    entweder es is mir egal was wird – dann ab dafür.
    wenn nicht dann sollte man sich entsprechend verhalten z.b. an die safer sex regel halten. letzendlich kennt man sich ja, weiß wie man tickt.

    oder um auf vernazza einzugehen. wenn ich panik habe das – wenn ich fliege – dieser flieger abstürzt, dann fahr ich eben mit der bahn, dem paddelboot oder bleib zu hause. und selbst da biste nicht sicher. stell dir vor der flieger stürzt auf dein haus . . . .

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