Gedanken zur Schmutzkampagne gegen N.B, stellvertretend für Menschen mit HIV und AIDS

Anfang April 2009 wurde eine junge Sängerin unter dem Vorwurf der HIV-Übertragung verhaftet. In den folgenden Tagen findet unter großer medialer Aufmerksamkeit eine Kampagne mit Vorverurteilungen, Outing und stigmatisierenden Bildern statt.
Dazu ein Gast-Kommentar vom Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Schweizer Organisation für Menschen mit HIV und Aids:

Gedanken zur Schmutzkampagne gegen N.B, stellvertretend für Menschen mit HIV und AIDS.

N.B. wurde medienwirksam verhaftet, zwangsgeoutet und vorverurteilt.
Nachfolgend einige Gedanken und Fragen, die sich im Verlauf dieser traurigen Geschichte mir aufdrängten.

Als ich in den Medien von der Verhaftung von N.B. erfuhr, habe ich die Meldung überflogen und als unwichtig erachtet. Ich dachte keinen Moment daran, dass mich dies noch sehr persönlich betreffen würde, geschweige denn, dass es mich in meiner Funktion als Präsidentin von LHIVE betreffen musste!
Wenige Tage später bin ich erschrocken. Journalisten zitierten den Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, welcher Details der ihr vorgeworfenen Anklagepunkte in der Öffentlichkeit äusserte:
„N.B. ist HIV-positiv und hat in mindestens drei Fällen ihre Sexualpartner wissentlich dem Risiko einer HIV-Infektion ausgesetzt. In einem Fall kam es zur Ansteckung. Das Ganze sei im Zeitraum von 2002-2006 geschehen, und da Gefahr im Verzug war, wurde sie inhaftiert.“
Ich dachte der redet sich um Kopf und Kragen. Aber nein, Schlagzeile über Schlagzeile, immer und immer wieder wurde er zitiert, angereichert mit weiteren Spekulationen und vermeintlichen Details aus N.B. s Leben. Ein gefundenes Fressen…
Die Unschuldsvermutung schien plötzlich nicht mehr zu gelten, Persönlichkeitsrechte und der Schutz von heiklen medizinischen Daten entfallen? Argumentiert wurde mit öffentlichem Interesse und Vorbildfunktion – und wie erwähnt mit Wiederholungsgefahr.
Es wäre zum Lachen gewesen, wenn es nicht so einschneidend tragisch für den Menschen N.B. und für „uns“ Menschen mit HIV und AIDS wäre.

Von wegen Gefahr im Verzug, was hier geschah war Zwangsouting, zum Schutz der sogenannten Volksgesundheit. Später wurde übrigens bekannt, dass die Staatsanwaltschaft die Krankenakte von N.B. hat beschlagnahmen lassen. Dies alles obwohl noch nicht geklärt war ob N.B. überhaupt HIV-positiv ist, in einem erst angelaufenes Verfahren, ohne Beweise.
Ich dachte medizinische Daten seien besonders schützenswerte Daten? Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft hausiert einfach so mit nicht verifizierten Daten einer Angeklagten und spielt sich als moralischer Gesetzesvertreter in den Medien gross auf?
In der U-Haft wurde von N.B. von einer Ärztin und Vorstandsfrau des Vereins der Aids-Aufklärung Deutschland besucht, die ihr Arztgeheimnis und ihr Engagement mehr als fragwürdig auslegte, denn sie gab „der Bild“ ein Interview und outete N.B. gleich nochmals.
Ein Abgeordneter sprach von Menschen mit HIV, als Biowaffen; übrigens noch nicht einmal einklagbar… einfach so, darf der das.

Mein Glauben an das Rechtssystem hat schwer gelitten. Vorverurteilung, Diskriminierung scheint zulässig, denn Menschen mit HIV sind unmoralisch und deshalb Menschen zweiter Klasse.
Das Bild der gefährlichen kriminellen Menschen mit HIV, der Unverantwortlichen, Schmuddligen war wieder hergestellt und wurde regelrecht zelebriert.
Wer trägt eigentlich Verantwortung für soviel Unwissen und Diskriminierung? Wem dienen diese Bilder? Was haben die Journalisten und die Behörden und Aids-Hilfen in den letzten 25 Jahren verpasst an Aufklärung, dass solches heute, 2009, möglich ist? .
Nicht genug tauchte dann noch ein Anwalt auf, der sich ins Szene setzte, und vom Medienype zu profitieren versuchte; Legt ein Mandat nieder, dass er nie hatte. Unglaublich.

Ich musste handeln, so versuchte ich mich mit anderen HIV- AktivistInnen kurz zu schliessen, mit der Frage was tun wir und wie? Wie ohne N.B. zu schaden und immer die heikle Frage: „ schaden wir „uns“ durch irgend ein Solidaritätsbezeugnis mit ihr“? Eine Frage die mir Bauchschmerzen bereitete. Ich mag es nicht, wenn eigene Interessen zu Ent-Solidarisierung führen.
In der Blogwelt herrschte unterdessen Stammtischstimmung.
Sehr unangenehm berührten mich die vielen Voten von Menschen mit HIV, die sich distanzierten, N.B. vorverurteilten und sich als „gute, unschuldige HIV-Positive“ präsentierten.
Verstehen kann ich solches nur im Kontext eigener Verletzungen, Stigma und Selbst-Entwertung. Als Versuch sich zu rehabilitieren und als Flucht nach vorne.
Viele Andere wiederum zeigten, wegen des Falles von N.B., um so mehr Angst und Scham sich zu HIV und AIDS zu bekennen. Nicht nur virtuell, sondern im realen Leben.
Persönlich hat mich die Schmutzkampagne gegen N.B. und Menschen mit HIV und AIDS getroffen.
Wir sind schmutzig, gefährlich, schuldig und kriminell. Unabhängig von wissenschaftlichen und medizinischen Fakten; die Meinung ist gemacht.

Mein unerschütterliche Glaube an die Möglichkeit Stigma und Selbststigma zu begegnen und aufzulösen, ist schwer ins Wanken geraten. Mich beschäftigten die Fragen: Wie können wir die Mechanismen entkräften, die uns zu Menschen zweiter Klasse machen? Wird noch zu meinen Lebzeiten HIV als eine Infektionskrankheit wahrgenommen, wie andere auch?

Wohltuend war die deutliche Stellungnahme der Deutschen Aids Hilfe gegen die Verhaftung und Vorverurteilung von N.B. und die differenzierten und kritischen Meldungen in einigen Medien, die sich schon länger zum Thema HIV mutig, informativ und konsequent äussern. Besonders zu erwähnen sind die beiden Blogs: „ondamaris“ und „der blidblog“.
Dies hat mich ermutigt in mitten dieser Hetzte gegen N.B und Menschen mit HIV und AIDS in die Öffentlichkeit zu gehen und in der Sendung „Stern TV“ von Günter Jauch aufzutreten.
Eine Möglichkeit die EKAF- Botschaft hinauszutragen, einen Kontrapunkt zu setzen gegen Scham und Schuld: selbstbewusst HIV-positiv.
Leider ist es mir bisher nicht gelungen einen direkten Kontakt mit N.B. herzustellen, trotz vielen Versuchen.

Zehn Wochen nach ihrer Verhaftung sitzt sie selbst bei Günther Jauch. „ Ja ich bin HIV-positiv. Nun kann mich keiner mehr erpressen.“, sagt sie in ihrem ersten Interview und dass sie für ihr Recht kämpfen werde. Zu den Vorwürfen kann sie sich nicht äussern, solange der Rechtsfall nicht abgeschlossen ist. Sie hat ihre Situation als Prominente, als Mensch und Mutter geschlidert und bestimmt damit auch berührt.
Leider äusserte sie bis jetzt noch keinen Satz in „unsere Richtung“… kein Wort auch über die Solidaritätsbekundungen von Menschen mit HIV und AIDS, die sie erreichten seit ihrer Verhaftung. Schade.
Trotzdem hat sie rechtzeitig vor ihrem ersten Konzert nach der Verhaftung die Berichterstattung über ihre Person wieder selbst in die Hand genommen.

Nur, und das gilt für uns alle, wer hat wirklich Kontrolle über seine heiklen Daten, über seine Antworten auf Fragen zur sexuellen Gesundheit, Vorlieben, Compliance?
Wer weiss, was er wem anvertrauen kann? Und wieviel Einfluss können wir nehmen auf das Bild, von Menschen mit HIV das durch die Journalisten geprägt wird?
Wer bestimmt über sein Coming out wirklich selbst?
Warum sollten wir uns verstecken? Wegen Irrationalitäten, Unwissen und dem brauchbaren Bild des gefährlichen Unverantwortungslosen, der Andere abschrecken soll sich zu infizieren? Macht uns unsere Unsichtbarkeit nicht zum Spielball? Was lassen wir uns gefallen und wie werden wir zu Handelnden?

N.B. wurde zum Outing gezwungen, während fast zeitgleich in den U.S.A ein Abgeordneter gewählt wurde, der offen schwul und HIV-positiv ist. Die Schere geht auf. Wir können uns entscheiden.
N.B. hat als Prominente erfahren was ein Leben mit HIV bedeutet, was es für Menschen mit HIV im Alltag bedeutet…ich wünsche mir, dass Menschen mit HIV N.B. tragen können und viceversa.

Inzwischen ist bekannt geworden, dass der Haftbefehl gegen N.B. aufgehoben wurde. Hoffen wir, dass das Verfahren eingestellt wird und sich Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt und Journalisten genauso öffentlich zu ihrem eigenen Fehlverhalten stehen.

Michèle Meyer
.

6 Gedanken zu „Gedanken zur Schmutzkampagne gegen N.B, stellvertretend für Menschen mit HIV und AIDS“

  1. @Michèle

    Macht uns unsere Unsichtbarkeit nicht zum Spielball? Was lassen wir uns gefallen und wie werden wir zu Handelnden?

    So traurig es auch klingt – das Groß der HIV Positiven ist in der Tat ein Spielball. Das Häuflein „Aufrecht gehender Gesicht zeigender HIV Positiver“ ist recht überschaubar und klein. Nicht groß genug als das wir für Andere als Spielball zu schwer wären. Leider. Und solange das der Fall ist und bleibt wird sich nichts ändern. Das sind meine pers HIV Foren Erfahrungen. Da ist es zappenduster was „Gesicht zeigen“ betrifft. So sehr ich pers Veranstaltungen von HIV Positiven für HIV Positive schätze, solange man sich nur innerhalb eines „geschützten Rahmen“ bewegt, solange bewegt man nichts – solange bewegt sich nichts.

    Ich kann das Pferd zum Wasser führen – saufen muß es selbst.

  2. Nachtrag:
    Den Text hatte ich ursprünglich für die NEWSLETTER geschrieben ( ein Projekt von AHS und LHIVE), leider wurde er erst wegen seiner (Un)-Länge abgelehnt, jedoch war abgemacht den Text zu verlinken… Gestern kam die neue NEWSLETTER, kein Wort, kein Link zu dem Text. somit ist der Text hier erstveröffentlicht und neu auch bei LHIVE nachzulesen.
    http://www.lhive.ch/index2.html

  3. wie ich erst heute erfahren habe, wurde dieser text in der newsletter „positiv“- einem gemeinsamen projekt von LHIVE und der aids-hilfe schweiz – nicht veröffentlicht, nicht etwa wegen seiner länge, nein, weil er journalistisch nicht gut genug war. ich bedanke mich höflichst …für diese professionelle be-urteilung und bin froh, dass aus gerechnet du, ulli ,der du mit dem medienpreis ausgezeichnet wurdest, den text veröffentlicht hast!

  4. Ein JOURNALIST liebe Michelle, hätte sich mit dem Inhalt – mit Deinen Gedanken auseinandergesetzt, hinterfragt, recherchiert und sich möglicherweise mit Dir in Verbindung gesetzt . . . . . . 😉

Kommentare sind geschlossen.