Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz

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